Ob es heute wieder eine Ideologie-Sehnsucht gibt, zumindest in der schönen Literatur, die des Dekonstruierens müde wird? Ludwig Weimer wurde auf der Suche nach einer Zeitdiagnose, die sich etwa mit der Hellsichtigkeit jener Ödön von Horváths vergleichen läßt, nicht recht fündig. https://zettelsraum.blogspot.com/2016/05...rt-und-tat.html
Zitat "Eine Menge von Schriftstellern schreibt; manche glänzen rhetorisch. Sie dürfen andere, die mit ihrem Mühen etwas erleben und schaffen, sozusagen berauben, sie müssen schreiben, ohne sich um die Verwirklichung der Werte kümmern zu müssen. Das ist ihre Freiheit, es ist auch schwere Arbeit. Sie beschreiben es so schön, dass wir es goutieren, und vielleicht sind wir als Leser noch viel passiver als die Schreiber in Sachen Verwirklichung eines zum guten korrigierten Lebens."
"...; manche glänzen rhetorisch ...". - Zu solchen Schriftstellern gehört Daniel Kehlmann, der hochbegabte - in einem kirchlichen Internat sozialisierte - Literat. Er ist ein Meister verschiedenster Sprachebenen. Er bringt ans Licht, was die Welt vielleicht auch nur der Möglichkeit nach aktuell bewegt. Mit jugendlicher Scharfsicht durchleuchtet er das Innenleben mannigfaltiger Charaktere und macht daraus ihr Handeln erkennbar. Mehr von ihren Ängsten, Gelüsten und menschlichen Verstiegenheiten Getriebene erscheinen am Werk als freie, selbstsichere Akteure.
In seinem im Jahre 2013 erschienenen Roman "F" begegnet man beispielsweise solch schriftstellerischer Artistik. Unter den Roman-Figuren, einem Vater und drei Söhnen, fällt mir der aus erster Ehe stammende Sohn ein. Er wurde Pfarrer, glaubt aber nicht. Dem entsprechend gestaltet sich sein Leben und das seiner Umwelt. Entlarvende Metapher: Heimliches Essen von Schokoladeriegeln im Beichtstuhl, während ein Beichtender mit einiger Scheu sich müht, seine menschlichen Vergehen vor Gott einzugestehen.
Vielen Dank, Herrn Weimer, für das anregende neue Thema!
Eine Ideologie-Sehnsucht gibt es, lieber Ludwig Weimer. Das kann ich aus eigener Anschauung bestätigen.
Aber warum sollten die Kirchen dieses Bedürfnis nicht befriedigen können? Liegt das wirklich daran, dass das (in Form der Kirchen) organisierte Christentum im Wortsinne un-glaub-würdig geworden ist? Ich denke nicht. Das Problem befindet sich m.E. auf einer anderen Ebene: Was bieten die Kirchen denn noch an Ideologie? Das Parteiprogramm der Grünen - bei den Evangelischen quasi 1:1, bei den Katholiken (noch) mit Abstrichen. Wann meldet sich ein Bischof (oder gar der Papst) denn noch einmal mit einem spirituellen Thema zu Wort? Es geht immer nur um Sozialethik. Spengler hat ganz richtig erkannt, dass eine Religion dann tot ist, wenn sie sich nur noch mit Sozialethik beschäftigt. Die Kirchen haben kein Angebot mehr für denjenigen, der in der Religion das sucht, was das Wort eigentlich bedeutet: nämlich die Rückbindung (re-ligio) an Gott. In den medialen Auftritten der Kirchen ist - polemisch überspitzt formuliert - Gott tot.
Daniel Kehlmann kennzeichnet den Pfarrer, der nicht glaubt und dennoch sein Amt ausübt wie einen gewöhnlichen Beruf - "Martin" nennt er ihn vielsagend und paradox -, vor allem auch dadurch, dass dieser da, wo er im Glauben Farbe bekennen müsste oder sollte, sich hinter der Floskel "Mysterium" - Geheimnis versteckt - verstecken kann. Oder er weicht Situationen aus, in denen er - gelegentlich auch von Jugendlichen - in Glaubensdingen befragt werden könnte. Zugleich wird er zum Beobachter des zwielichtigen Tuns seiner Brüder, ohne ihnen aufgrund seiner Befangenheit ein Korrektiv sein zu können.
Ich denke, ‚gutmeinende‘ Anwender verderben leider das Thema Gott. Sie suchen krampfhaft einen Lebensbezug und finden nur die Moral. Die soll dann modern sein, also entlehnt man eine zeitgeistliche Umweltethik usw. Direkt von Gott reden geht nicht, sagen sie, als gäbe es nur den Weg Mystik und keine großen Narrative, von denen die Profs doch abstrakt reden. Die spannende Geschichte Gottes mit seinem Volk wird im Kirchenjahr mit seinen Festen und Riten nicht mehr gegenwärtig.Wie waren wir in der Jugend ergriffen!
Mir fielen neulich beim jüngsten kathol. Unternehmen Jugendbibel große Mängel auf. Ich liste sie kurz auf. Entstanden ist die „Jugendbibel der Katholischen Kirche“ in der Projektschmiede von Youcat. Der gleichnamige Jugendkatechismus erschien 2011 und wurde in nur vier Jahren zum derzeit erfolgreichsten katholischen Buch der Welt nach der Bibel, das inzwischen in 39 Sprachen mit einer Auflage von fast sechs Millionen Exemplaren verbreitet wurde. Die Youcat-Bibel ist äußerlich schon eine Bibel, wie es sie noch nie gab, ansprechend. 2016 wird sie nach der deutschen Fassung in 20 weiteren Sprachen erscheinen. Die Religionspädagogen offenbaren selber die Grenzen dieser Bibelausgabe. Einer schreibt: „Auf einer niederschwelligen Weise haben wir genau das (nämlich den moralischen Sinn, die ethischen Forderungen zu suchen) versucht.“ Recht haben sie damit, dass es eine gut aufgemachte Auswahlbibel sein muss, weil eine Vollbibel im Regal verstaubt. Aber tatsächlich hat das Kriterium ‚individuelle jugendliche Spiritualität‘ zu einer Verkürzung von drei Dimensionen des Gottesvolkes der Bibel geführt:
1. wurde die Differenzierung Volk Gottes und Jüngerschaft dadurch vergessen, dass alle Texte zur Jüngerschaft, Berufung, Sammlung, Aussendung und speziellen Ethik der Nachfolger gestrichen wurden, so dass nur die Moral für Nichtnachfolger und Heiden übrig blieb; die wesentlichen Texte über die Auferbauung von Gemeinde fielen also der Kürzung zum Opfer; 2. wurden aus den Büchern die meisten weltlichen und auf die menschlichen Triebe bezogenen und sündigen Themen getilgt, für deren Heilung das Gottesvolk doch gerade geschaffen wurde. 3. Die Kürzung schneidet die jüdischen Wurzeln der Kirche noch weiter ab. Hier wurden ohne jede Erklärung und Erwähnung alle Texte zur Landnahme und Inkulturation einfach weggelassen, als bezögen sich der Auszug aus Ägypten und der Glaube nur auf einen Wüstenausflug mit einer Bergmesse. Dadurch wird diese Auswahlbibel stark verengt auf ein religiöses Hilf-dir-selbst-Buch für die Jugendphase. Das wirkliche Abenteuer der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel, mit dem Juden Jesus und seinen Jüngern und die Welthaltigkeit der Bibel sind verharmlost dargeboten. In der Kürzung der jüdischen Bibel vermisst man die Vorbereitung des Themas Ernst der Berufung durch Gott. Im Neuen Testament entfallen Stellen über die wahren Verwandten („Wer sind meine Brüder?“) und über die Sendung der Jünger, der Rangstreit der Jünger, die Warnung vor dem Ärgernisgeben, das Vorgehen bei der brüderlichen Zurechtweisung. Auffallend ist auch das Fehlen der Unterscheidung zwischen dem Maßstab des RWeltenrichters für die Jünger und dem für die Heidenvölker. In den Briefen des NT, in denen der Begriff ‚Jünger-Nachfolge‘ umgewandelt ist zum Begriff ‚Auferbauung von Gemeinde‘, vermisst man eben dieses Auferbauen der Gemeinde. Die Kürzungen betreffen auch das Thema jüdische Wurzeln der Kirche: Der entscheidende Verlust geschieht in der Auswahlbibel durch die Auslassung der Kapitel 9-11 im Römerbrief. Hier beginnt der Römerbrief erst mit Kapitel 5 und endet mit Kapitel 8, und zwar ohne jeden Hinweis, dass die Heilsgeschichte vorne und hinten weggeschnitten sind und damit das kirchen- und weltgeschichtlich von Paulus gestellte Problem der endgültigen Rettung Israels, die das Anliegen der Treue Gottes zu seiner ersten Liebe ist und durch die Einpfropfung von Heiden auf den jüdischen Ölbaum geschehen soll. Es bezeichnet die heutige Not, dass eine Hinführung zur Vollbibel wichtige theologische Dimensionen unterschlagen zu müssen glaubt oder einfach nicht kennt. Die Vollbibel wäre wohl keine Alternative bei der Neuevangelisierung, weil sie nicht verstanden und beiseite gelegt wird. Es kommt vielmehr auf die Vermittlung durch den gelebten Glauben von Erwachsenen an, auf den Ort und den Prozess, die der Bibel Inhalt und Gestalt gegeben haben. Die katholische Kirche hat heute nicht nur einen hilflosen Klerus, sondern ihr fehlen auch lebendige Gemeinden.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5 Es bezeichnet die heutige Not, dass eine Hinführung zur Vollbibel wichtige theologische Dimensionen unterschlagen zu müssen glaubt oder einfach nicht kennt. Die Vollbibel wäre wohl keine Alternative bei der Neuevangelisierung, weil sie nicht verstanden und beiseite gelegt wird. Es kommt vielmehr auf die Vermittlung durch den gelebten Glauben von Erwachsenen an, auf den Ort und den Prozess, die der Bibel Inhalt und Gestalt gegeben haben. Die katholische Kirche hat heute nicht nur einen hilflosen Klerus, sondern ihr fehlen auch lebendige Gemeinden.
Ludwig Weimer
Lieber Herr Weimer, man könnte ja fragen: Warum gehören Sie nicht zu den Herausgebern einer "idealen" Auswahlbibel für Jugendliche, die den Glauben lernen wollen? - Sie geben zur Antwort: Es käme vielmehr auf die Vermittlung durch den gelebten Glauben von Erwachsenen an, ... - Mit einem Wort: Die Bibel an sich, auch die inhaltlich ganz dem Glauben adäquate, könne allenfalls das Kompendium und der Steigbügel zu dem erlebbaren Ort sein, an dem quasi Gott selbst bis heute seine Zeilen zuverlässig und verstehbar schreibt?
Anders formuliert habe ich den Sachverhalt als Bitte formuliert heute auf der Home-Page der Katholischen Integrierten Gemeinde gefunden:
Finger Gottes 15. Mai 2016, Pfingsten (zu Apg 2, 1-11)
„Der Finger an Gotts rechter Hand“ – so übersetzte Martin Luther den entsprechenden Vers aus dem Hymnus Veni, Creator Spiritus, der Rhabanus Maurus (10. Jh.) zugeschrieben wird. Oft ist von der Hand oder dem erhobenen Arm die Rede, um das Handeln Gottes zu umschreiben, nur selten vom Finger. Im Psalm 8 wird der Himmel als das „Werk deiner Finger“ besungen; vom Sinai bringt Mose zwei steinerne Tafeln mit, „auf die der Finger Gottes geschrieben hatte“ (Ex 31,18). Vielleicht hat sich der Dichter am meisten von dem inspirieren lassen, was die ägyptischen Weisen zum Pharao sagen, wenn Mose und Aaron ihn mit den „ägyptischen Plagen“ zum Einlenken bewegen sollen: „Das ist der Finger Gottes“ (Ex 8,15). Von Jesus ist überliefert: „Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ (Lk 11,20). Anderes Wort für Pfingsten: hoffen dürfen, einmal seine Handschrift irgendwo zu erkennen. ars
Zitat von Simon im Beitrag #6„Der Finger an Gotts rechter Hand“ – so übersetzte Martin Luther den entsprechenden Vers aus dem Hymnus Veni, Creator Spiritus, der Rhabanus Maurus (10. Jh.) zugeschrieben wird. (... ) Vielleicht hat sich der Dichter am meisten von dem inspirieren lassen, was die ägyptischen Weisen zum Pharao sagen, wenn Mose und Aaron ihn mit den „ägyptischen Plagen“ zum Einlenken bewegen sollen: „Das ist der Finger Gottes“ (Ex 8,15).
Ich stelle hier die These auf, der Dichter fand das Bild, der Heilige Geist als Finger Gottes, bei Ambrosius von Mailand:
Zitat Da nun Christus Gottes Rechte ist, der Geist aber figürlich gleichsam zur Vervollständigung des einen, auf die Gottheit übertragenen Körpers den Finger darzustellen scheint, begreift sich, daß das Reich der Gottheit gleichsam ein Organismus ist. (Qu: Ambrosius von Mailand (340-397) – Lukaskommentar: https://www.unifr.ch/bkv/kapitel1737-1.htm)
Im Übrigen gefällt mir der Schluss des Zitates von ars sehr gut:
Zitat von Simon im Beitrag #6Anderes Wort für Pfingsten: hoffen dürfen, einmal seine Handschrift irgendwo zu erkennen.[/i] ars
der Vergleich bei den alten Kirchenvätern ist umfänglicher. Gott hat keine Hände, um in die Welt einzugreifen, er habe - sagen sie - dennoch zwei, die eine durch Jesus, die andere im heiligen Geist, der ja durch viele, viele Personen wirkte und wirkt. "Hand Gottes", "Finger Gottes" - Es ist eine treffende poetische Leistung. Vielleicht auch angeregt durch die Abbildung der Hand Gottes aus einem Wölkchen oder Kleiderärmel, die 1000 Jahre auch christlich das einzig 'erlaubte' Abbild Gottes über Szenen der Heilsgeschichte und schon jüdischerseits verbreitet war. Die Synagoge in Dura Europos und die Mosaiken in Santa Maria Maggiore in Rom an den Seitenwänden oben sind Beispiele.
Was noch eine und ältere poetische Leistung war: den Geist als Feuerzungen auf allen Versammelten zu beschreiben, wie es Lukas in der Apostelgeschichte tat. Er wandte sich damit ab von dem Bild der flatternden Taube bei der Bußtaufe Jesu im Jordan.(Herkunft? Genesis 1,2 Schweben - oder Brüten? - über dem Chaoswasser? Parfümierte abgerichtete Taube bei Krönungen von antiken Herrschern?)
Hier betrachte ich nur die ästhetische Seite, die Leistung, ein Bild, Symbol, eine Analogie für das unsichtbar Geschehene mit seinen Folgen zu finden. Meine Frage im Beitrag war die nach heutigen Dichtern. Nun finde ich heute in der FAZ eine Besprechung zum neuesten Buch Peter Handkes, einer Herausgabe seines Tagebuchs zwischen 2007 und 2015. Er war für mich ein Zeitgenosse und ich las alles. Einmal schrieb ich einen langen Aufsatz, weil mir der "Bildverlust" so gefallen hatte, und sandte ihm eine Kopie zu und er antwortete mit Zustimmung. Der Schreiber des Zeitungsartikels heute,vom 14. Mai 2016, schreibt Handke äußerst undifferenziert einen Pantheismus zu ("Handke begeistert sich für die Natur und vergöttert sie somit"). In einem Schulaufsatz würde man diese Phrase als unlogisch (begeistert ist nicht gleich Vergötterung) rot anstreichen. Dann wären die meisten Psalmen der Bibel pantheistisch; dann wäre das Jesuswort von den Lilien des Feldes, die schöner sind als Salomos Kleider, Pantheismus? Die Feuilleton-Rezension, die auch gute Entdeckungen enthält (z. B. im Satz: "Aber man muss sich Peter Handke nach der Lektüre dieses Tagebuchbandes als tiefgläubigen oder zumindest tief glaubenssehnsüchtigen Menschen vorstellen"), endet mit dem Satz:"Nein, an eine höhere Instanz als sich selbst glaubt dieser Schriftsteller nicht" (Andreas Platthaus). Das ist nicht nur eine Verkennung, sondern eine als Schlusssatz verstärkte beleidigende Predigt. Vielleicht ist es eine Übersprungshandlung und der Journalist sollte sich selbst an die Brust klopfen? Leider fällt mir zu ihm kein so treffender Witz ein, wie man einen für Hans Küng fand: Küng sei angefragt worden, ob er nicht Papst werden wolle, und habe geantwortet: "Nein, dann bin ich ja nicht mehr unfehlbar".
Ihnen und uns allen einen Geist der Freiheit zum Verstehen unserer Tage, ihrer Armut und ihres Reichtums! Frohes Pfingsten, Ludwig Weimer
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #8Das ist schön, liebe Daska,
der Vergleich bei den alten Kirchenvätern ist umfänglicher. Gott hat keine Hände, um in die Welt einzugreifen, er habe - sagen sie - dennoch zwei, die eine durch Jesus, die andere im heiligen Geist, der ja durch viele, viele Personen wirkte und wirkt.
Bekanntlich betrachtete es Papst Benedikt XIV. als notwendig, die bildnerische Darstellung der dritten "Person" Gottes in Menschen-(Person-) Gestalt im Jahre 1745 zu verbieten und nur noch das Bild der Taube zuzulassen. - Was ist da geschehen? Was ist der Hintergrund eines solchen Verbots?
Zitat "Hier betrachte ich nur die ästhetische Seite, die Leistung, ein Bild, Symbol, eine Analogie für das unsichtbar Geschehene mit seinen Folgen zu finden."
Hätte man logischerweise im bildnerischen Bereich beim strengen jüdischen Bilderverbot verbleiben sollen? - Schade um die Bilder, die dann allesamt verboten wären.
Zitat von Simon im Beitrag #9Bekanntlich betrachtete es Papst Benedikt XIV. als notwendig, die bildnerische Darstellung der dritten "Person" Gottes in Menschen-(Person-) Gestalt im Jahre 1745 zu verbieten und nur noch das Bild der Taube zuzulassen. - Was ist da geschehen? Was ist der Hintergrund eines solchen Verbots?
Ich weiß es auch nicht. Wenn Sie dieser Entscheidung nachdenken wollen, hier ein paar Details, wie dieser Mann getickt hat: In seine Amtszeit fällt das Ende der Hexenprozesse, er rehabilitiert Kopernikus, versucht, die Inquisition aufzulösen und Galileis Verurteilung posthum rückgängig zu machen. Er trägt den Spitznamen "papa protestantem", protestantischer Papst, und unterhält Kontakte zu Philosophen seiner Zeit, z.B. zu Voltaire (Was nicht heißt, dass er immer einer Meinung mit ihm ist). - Insofern würde ich ihm unterstellen, dass er sich etwas bei diesem "Bilderverbot" gedacht hat, wobei ich genauso neugierig wäre wie Sie zu erfahren, was seine Motive bei dieser Entscheidung waren.
- Den Bogen zur Literatur, dem eigentlichen Thema, zu schlagen dürfte schwierig sein. Andererseits: Während ich hier nur Fakten, z.B. über Benedikt XIV., liefern kann, könnte ein Dichter diese deuten und daraus eine relevante Aussage gewinnen. Und das ist heute so knifflig: Die unendlichen Informationen, Voll-, Halb- und Fehlinformationen, zu durchschauen und das so Geschaute sprachlich auf den Punkt zu bringen. Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit: Ich stelle mehr und mehr fest, dass die meisten nur solche Texte/ Bücher/ Internetbeiträge lesen, die ihre eigene Meinung zementieren. Argumente entspringen einer vorgefertigten Meinung, illustrieren diese, und aus. Wie sollte sich ein unabhängiger Dichter und Denker da Gehör verschaffen, wenn eh nur jeder das auswählt, was ihm nach der Nase redet?
Zitat von Simon im Beitrag #9Bekanntlich betrachtete es Papst Benedikt XIV. als notwendig, die bildnerische Darstellung der dritten "Person" Gottes in Menschen-(Person-) Gestalt im Jahre 1745 zu verbieten und nur noch das Bild der Taube zuzulassen. - Was ist da geschehen? Was ist der Hintergrund eines solchen Verbots?
Ich weiß es auch nicht.
Dies:
Zitat Artists throughout the ages have defied the theologians, ignored the denunciations, and depicted the First Person of the Trinity. [...] One famous instance has attracted some consideration, however. This is the so-called Constantia Affair that took place in 1745-46. Pope Benedict XIV. ruled on an anthropomorphic image of the Holy Spirit, painted at the behest of a German nun, Constantia Höss, who had a vision of the Third Person of the Trinity as a beautiful young man. After surveying the history of the tradition which ran the gamut from saying that such images were an impious invention to the argument that they were merely metaphorical (and thus harmless), the Pope concluded that images of any person of the Godhead could be depicted in a form in which it had condescended to appear to mortals as recorded in holy scripture; those images that had biblical foundation were, therefore, legitimate. In other words, God could be represented as a burning bush, a pillar of cloud, of the Ancient of Days (with wooly white hair). The Divine Word could be depicted in so far as it appeared in the incarnate Christ; the Holy Spirit could be shown as a dove or a tongue of flame. Even so, the Pope insisted, it would be sacrilegious to try to depict that Divine Being in its essence Images are never more than indicators or singnifiers of the reality to which they point.
& Fußnote 58: The affair and the Pope's ruling was the subject of François Boespflug, Dieu dans l'art. (1984).
- Robin M. Jensen, "The Invisible God in Christian Art", in: Grant Adamson & April D. DeConick, eds. Histories of the Hidden God: Concealment and Revelation in Western Gnostic, Esoteric, and Mystical Traditions. Routledge, 2013, S. 231.
Die Tradition gibt also die ganze Bandbreite der Möglichkeiten vom Bildverbot bis zur freien Bildfindung her; die Beschränkung auf die Taube oder die Flammenzunge verweist auf die Rückkopplung an die durch die Schrift sanktionierten Bilder. Ein gewisses Element eines ikonographischen Puritanismus mag da, bewußt oder unbewußt, mit hineinspielen: gerade in der Spätphase der Gegenreformation finden sich ja Bildgebungen, die ein bedenklich dionysisches Element beinhalten (am bekanntesten sicher Berninis Verzückung de Hl. Theresa; Egon Friedell in der Kulturgeschichte der Neuzeit: "Schließlich vereinigen sich Erotik, Algolagnie und Sehnsucht nach dem Übernatürlichen zu jener bizarren Mischung, deren überwältigendster Ausdruck Berninis Heilige Therese ist"): da könnte es schon sicherer sein, auf hübsche junge Männer zu verzichten.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Eine kleine Hilfe kann ich mit einem Exkurs aus einem meiner neuen Lehrbriefe (zur Tninität) geben:
Zur Darstellung Gottes in der Kunst:
Das Besondere der christlichen Kunst ist die „Zeigbarkeit“ Gottes in der Gestalt eines jüdischen Mannes, des Jesus aus Nazaret. Diese Darstellungs-Möglichkeit geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Christologie einher. Mit dem Anwachsen der Titel, die die Person Jesu theologisch deuten – bis hin zum „Sohn“ bzw. „Logos“ Gottes – verbreiterten sich die Optionen, Gott als „Handelnden“ bildhaft zu gestalten. So trat seit dem 4. bzw. 5. Jh. neben die auch auf jüdischer Seite bevorzugte Darstellung des „Arm“- bzw. „Hand“-Gottes-Motivs oder des „Boten Gottes“ der Bild-Typus vom göttlichen Logos in Gestalt Jesu, ausgestattet mit dem Kreuz-Nimbus, d. h. dass die Kreuzbalken in Strahlenform um sein Haupt auf den Gott der Heilsgeschichte und den Logos hinweisen. Wie im Judentum (wegen des Bilderverbotes) gab es auch in der christlichen Darstellungs-Praxis während des ersten Jahrtausends kaum ein Bild des monotheistischen Gottes. Im byzantinischen „Bilderstreit“ vor und nach 800 berief sich die bilderfreundliche Sicht darauf, dass man ja nur den Menschen Jesus male und nur indirekt seine göttliche Wesenheit. Erst im Zuge der theologischen Auseinandersetzung über die Trinitätslehre im Mittelalter tauchen Bilder des Drei-einen-Gottes auf. Eine der frühesten – uns erhaltenen – Darstellungen findet sich in einer sogenannten „Gnadenstuhl“-Miniatur (throne of grace) in einem Missale aus Cambrai in Frankreich aus dem Jahr 1120. In dieser Darstellung sitzt Gott als Vater auf einem Thron, er hält vor sich den gekreuzigten Christus, über dessen Kopf der Heilige Geist in Gestalt einer Taube schwebt. Bis ins 13. Jh. werden – theologisch konsequent – überwiegend „Vater“ und „Sohn“ quasi spiegelbildlich dargestellt: gleiches Aussehen, gleiches Alter, gleicher Kreuznimbus! Dies macht die Unterscheidung, wer gemeint sei, schwierig. Erst im 13. Jh. – verstärkt dann im 14. und 15. Jh. - wird deutlich zwischen „Vater“ (alt mit weißem Haar und Bart) und „Sohn“ (jung und bartlos bzw. Bartansatz) unterschieden. Ob es weiterführend war, diesen Weg als beinahe einzigen Bild-Modus zu gehen, muss im Rückblick mit einem großen Fragezeichen versehen werden, zu sehr hat sich im Volk der Gedanke „irgendwie sind es doch zwei Götter“ eingeprägt. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass es neben dieser „Hauptstraße“ beinah skurrile Bilder gab, mit deren Hilfe die theologische Differenziertheit festgehalten werden sollte. Das Beispiel eines Dreifaltigkeits-Freskos aus der Kirche von Urschalling in Bayern, 14. Jahrhundert, möge diesen „Neben-Pfad“ aufzeigen: Dort lässt der Maler Gott-Vater und Gott-Sohn symmetrisch gespiegelt auftreten, die in ihren Armen den „Geist“ in Form einer jungen Frau halten. (Das hebräische Wort „ruach“ ist weiblich). Das Kreuzzeichen ist auf die 3 Nimbusse verteilt. Erst im 15. Jh. und in der Folgezeit wird dann Gott als „Handelnder“ fast ausschließlich in Gestalt des „Hochbetagten“ aus der Daniel-Vision (Dan) dargestellt. Man denke nur an die weltweit verbreitete Darstellung Gottes aus dem Schöpfungs-Zyklus von Michel¬angelo in der römischen Sixtina. Darüber vergisst man in der Regel, dass fast 1500 Jahre keines dieser „Bilder“ Verwendung fand.
Wie plausibel, all dies! Dankesehr! Und wie vergnüglich: Ein Zeitgenosse Voltaires trifft eine Entscheidung, die unsereins nicht versteht. Und ein Denker, der einen Gedanken Voltaires in der Signatur führt, schlüsselt alles plausibel und ohne ideologische Verschnörkelungen auf. Ich bin begeistert!
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar zur Jugendbibel.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5Ich denke, ‚gutmeinende‘ Anwender verderben leider das Thema Gott. Sie suchen krampfhaft einen Lebensbezug und finden nur die Moral. Die soll dann modern sein, also entlehnt man eine zeitgeistliche Umweltethik usw. Direkt von Gott reden geht nicht, sagen sie, als gäbe es nur den Weg Mystik und keine großen Narrative, von denen die Profs doch abstrakt reden.
Haben sich damit diese gutmeinenden Anwender nicht letztlich die Marx'sche Kritik zu Eigen gemacht, Religion sei das Opium des Volks? Ist für diese Anwender die Religion nicht eigentlich fragwürdig geworden?
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5Die Religionspädagogen offenbaren selber die Grenzen dieser Bibelausgabe. Einer schreibt: „Auf einer niederschwelligen Weise haben wir genau das (nämlich den moralischen Sinn, die ethischen Forderungen zu suchen) versucht.“
Hätten die Herausgeber dann nicht besser eine Art modernes Erbauungsbuch verfasst, wenn sie das Christentum schon auf seinen moralischen Sinn und seine ethischen Forderungen reduzieren wollen?
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5Recht haben sie damit, dass es eine gut aufgemachte Auswahlbibel sein muss, weil eine Vollbibel im Regal verstaubt.
Hier kann ich Ihnen nicht ganz folgen. Eine Auswahlbibel bringt die Gefahr der Pseudo-Kanonisierung der Auswahl mit sich und verwehrt dem jugendlichen Leser die Möglichkeit, andere Prioritäten zu setzen als der Herausgeber. Ich sehe sehr wohl das Problem, dass den jugendlichen Leser eine Vollbibel überfordert. Wäre da aber nicht eine Art Leitfaden des Herausgebers vorzuziehen, mit welchem dieser eine gewisse Reihenfolge der Lektüre empfiehlt? Dies würde dem Leser die Freiheit geben, seinen eigenen Weg durch die Bibel zu finden, ihn aber auch nicht ohne jegliche Manuduktion zurücklassen.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #5Aber tatsächlich hat das Kriterium ‚individuelle jugendliche Spiritualität‘ zu einer Verkürzung von drei Dimensionen des Gottesvolkes der Bibel geführt: [...] 2. wurden aus den Büchern die meisten weltlichen und auf die menschlichen Triebe bezogenen und sündigen Themen getilgt, für deren Heilung das Gottesvolk doch gerade geschaffen wurde.
Ist es nicht bezeichnend, dass eine Auswahlbibel, welche auf den moralischen Sinn und die ethischen Forderungen der Religion abstellt, gerade diese Themen beiseite lässt? Vielleicht deshalb, weil sie nicht der zeitgeistigen Moral entsprechen und damit auf den jugendlichen Leser unattraktiv wirken könnten? Täuscht das Gefühl, dass man mit der Textauswahl auch eine Auswahl aus der Morallehre der Kirche treffen möchte?
ich zitiere mal meine Detail-Kritik an den Streichungen der Auswahlbibel in puncto unmoralische Vorbilder in der Bibel (dort natürlich zur Abschreckung gedacht): Die weltlichen und von menschlichen Trieben durchtränkten Stoffe, die ausgelassen sind:
Es fällt in der Jugendbibel auf, dass aus Genesis 18 zwar Abrahams Gastfreundschaft aufgenommen wurde, aber nicht der Bezug zum Bösen in Sodom. Es fehlen auch die Kapitel 5-11 in Exodus, also die ägyptischen Katastrophen. Am auffälligsten ist das konsequente Weglassen des Themas Land, schon in der Kundschaftergeschichte (Num 13), dann in der Bileamerzählung (Num 23-24), dann in der Landzuteilung an die Stämme (Num 32) und vor allem auch durch die Streichung von Josua 3-23, und dies ohne Hinweis auf den Inhalt des Übergangenen. Ging es denn nur um einen Monotheismus (im Randkommentar betont), und nicht auch um den Versuch, ein Stück Welt unter der Gottesherrschaft zu verwandeln? Es ist klar, dass man die Sage von der kriegerischen Landnahme erklären muss, und man kann es beim Stand der atl. Wissenschaft auch: Sie ist eine unhistorische Fiktion, gedichtet in einer Zeit, als Israel, vielleicht zwei Generationen lang deportiert, ohne Land und ohnmächtig, dem fremden Imperium eine Heldengeschichte entgegenstellen musste, vielleicht gerade um der Jugendlichen willen. Und was den Bann, das Verbrennen der Städte für Gott, betrifft: Für einen Soldaten war damals der Kriegerberuf nur interessant wegen der Erlaubnis zur Plünderung; wenn dieser Grund entfiel, hatte er kein Motiv zur Gewaltausübung (nach dem Frankfurter Alttestamentler Norbert Lohfink). Das Thema Kampf um den Erhalt der Freiheit des Landes ist auch im Buch der Richter gestrichen worden. Der Abfall der Nordstämme, die Reichsspaltung also, 1 Könige 12, wird nicht erwähnt. Die harten Texte, wo einer oder eine wie Debora oder Judit ihr Leben einsetzen müssen, entfallen. Bevorzugt sind die in der Bibel zu findenden Gebete und die braven Taten. Sünden mit erzählter Erotik sind, recht weltfern von der Wirklichkeit der heutigen Jugendlichen, ausgelassen, nicht nur die Sodomerzählung, sondern selbst in der Allegorie zur Geschichte von Gottes Braut als Findelkind bei Ezechiel 16.
Im Neuen Testament spiegelt sich das z. B. so, dass das im Hebräerbrief Kap. 4 siebenmal aus dem AT zitierte „Land der Ruhe“, in das man jetzt, heute, eingehe, nicht aufgenommen wurde und auch nicht das Kapitel 11 mit der heilsgeschichtlichen Wolke der Zeugen des Glaubens, einschließlich der Dirne Rahab. Dies fällt auf gegenüber der Enzyklika „Licht des Glaubens“ von Papst Benedikt XVI., die mit Hebr 11 den Glauben Israels (Nr. 8-14) beschrieb und das ganze vierte Kapitel mit dem Zitat „Gott bereitet für sie eine Stadt“ (Hebr 11,16) überschrieb. Vom Jakobusbrief zitiert der Jugendkatechismus nur ein paar Verse und so fehlt der ganze Komplex Glaube und Tun, Glaube und Werke und natürlich auch wieder Rahab (2,25). In der Offenbarung des Johannes entfällt das Thema Gemeinde, das die sieben Briefe an die Gemeinden (2-3). meist mit einer scharfen Kritik ihrer Lauheit, bestimmt, (und fehlt, eher verständlich, das 20. Kapitel vom tausendjährigen irdischen Messiasreich, dem Rest Judenchristentum im NT; aber zusammen mit dem Weglassen des Themas Land im AT erhält diese Auswahlbibel dann die Farbe: es geht spirituell nur um einen Jenseits-Himmel, nicht um das Reich Gottes, das schon auf Erden beginnt).
Das Fatale ist nicht, meiner Meinung nach, dass diese Bibel die Moral der Kirche reduziert, die hat sie ja im Youcat, im Katechismus voll und gut beschrieben, sondern dass sie die Welt der Bibel falsch darstellt, nur als Gutes-Benehmen-der-Seele-Buch darstellt. Das Unternehmen wurde vom Anliegen der Neuevangelisierung her gestartet. Die Reduzierung auf das Brave ist das Problem, sie macht die Bibel statt zur Weltliteratur und religiösen Wahrheit über das Leben zu einem Kindergebetbuch. Dieses Christentum bleibt antijüdisch und weltlos, es kann nicht als Lösung auftreten. Das ist meine Kritik.
Zitat von Daska im Beitrag #14Dank auch an Ludwig Weimer, verbunden mit einer Frage:
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #12Eine kleine Hilfe kann ich mit einem Exkurs aus einem meiner neuen Lehrbriefe (zur Tninität) geben:
Können Ihre Lehrbriefe käuflich erworben werden? Beste Grüße Daska
Liebe Daska,
unter www.popolodidio.org findet man den Flyer zu dem postgradualen zweijährigen Fernstudium. Vorläufig gibt es einen Probelauf in deutscher Sprache, der diesen Herbst beginnt. Man kann Freunde darauf aufmerksam machen, die Fakultät spielt keine Rolle, jeder akademische Abschluss zählt. Schon im nächsten Jahr geht alles dann auf die Sprache Englisch über. Die Übersetzungsarbeit läuft schon. Ob wir jetzt/dann den deutschen Kurs zum Kaufen und Lesen ohne den Uni-Weg anbieten, ist noch offen. Vorerst suchen wir deutschsprachige Interessenten für den Probelauf, um den Kurs zu testen. Die Uni ist keine deutsche, daher die Preise. Gruß Ludwig Weimer
Zitat von Noricus im Beitrag #15Ich sehe sehr wohl das Problem, dass den jugendlichen Leser eine Vollbibel überfordert. Wäre da aber nicht eine Art Leitfaden des Herausgebers vorzuziehen, mit welchem dieser eine gewisse Reihenfolge der Lektüre empfiehlt? Dies würde dem Leser die Freiheit geben, seinen eigenen Weg durch die Bibel zu finden, ihn aber auch nicht ohne jegliche Manuduktion zurücklassen.
Per Zufall gelangte ich am gestrigen Pfingstsonntag mit Bekannten in eine kleine Ausstellung einer Auswahl von Bildern zur Bibel von Marc Chagall aus den Jahren 1956 - 1960. Sofort war beim gemeinsamen Betrachten und im Gespräch das Interesse für mehrere Szenen in der Bibel geweckt: Esther, die schöne jüdische Frau, die das Herz des fremden Königs für sich gewinnen kann, aber noch viel mehr ... Der bibelkundige Jude kennt das normalerweise. Ihm wird das Buch Esther bei jedem Purim-Fest als Ganzes in der Synagoge vorgetragen. Der Normal-Christ muss sich anhand der Hinweistafel notdürftig informieren. Im besten Fall wird er - durch die Darstellung angeregt - die Geschichte zuhause nachlesen. - So ergeht es ihm mit vielen Szenen aus dem Alten Testament, dem Stoff, den Chagall (bevorzugt) gestaltete. Die Gesetzgebung an Mose auf dem Berg und die Geschichte mit dem Tanz der Israeliten um das Goldene Kalb fällt ihm vielleicht noch sofort ein. Aber Details? - Das Leuchten des Mose beim Empfang der Gesetzestafeln aus der Hand Gottes oder der Gesinnungswandel beispielsweise, den Chagall in einem anderen Bild im Gesicht des Mose erkennen lässt, wo kommt´s vor? - Vieles scheint bekannt: der Harfe spielende König David. Szenen aus der Paradiesgeschichte. Aber das exzellente Doppelgesicht von David und Batseba? Wie war die Geschichte genau? Und wie ging sie aus? - Aus der Verlags-Besprechung der Neuerscheinung "Neue Jugendbibel" erfuhr ich, dass Cartoons das Interesse der jugendlichen Leser für einzelne Geschichten wecken sollen. Das könnte ein Zugang sein - zu dem was die Herausgeber ausgewählt bzw. unterschlagen haben. Aber ist das individuelle Erkunden der Bibel - wenn es denn klappt - überhaupt der empfehlenswerte Weg? Sagte die Kirche - jedenfalls die katholische - nicht bis vor kurzem: sie sei Herr/in des Verstehens? Und: Wäre nicht der Wortgottesdienst eines jeden Sonntags der Ort, wo wichtige Bibeltexte gehört und ausgelegt werden? So stellte es sich jedenfalls das 2. Vatikanische Konzil vor. Und was ist mit dem konfessionellen Religionsunterricht in den Schulen?
Zitat von Simon im Beitrag #18Wie war die Geschichte genau? Und wie ging sie aus?
Leicht tangential dazu ein durchaus frivoles Exempel (nicht zuletzt, weil es mir in dieser Woche, absolut zufällig, über den Weg lief). In Phlip Reeves neuem Roman-für-jugendliche-Leser (das englische Young Adult läßt sich kaum zutreffend übersetzen, & das "adult" wirkt durchaus oxymoronisch), Railhead, gerade in der US-verlegten Variante erschienen (nach der inselenglischen im letzten Oktober) geht es um "Abenteuer im Sternenreich", also um klassische Tropen der Science Fiction. Nur daß der Verkehr zwischen den Welten nicht per Raumschiffen erfolgt, sondern durch Züge: die durch Dimensionstore à la Stargate brausen & an der interstellaren Destination wieder auftauchen. Ganz neu ist diese Bildfindung nicht (Timothy Zahn hat die Romanreihe um den Antares Express darum gestrickt; und daß Geisterzüge die Seelen der Toten sammeln, um sie ihrer Bestimmung zuzuführen, ist ja auch schon ein älteres Motiv aus der verwandten Phantastik; es gibt dann noch, hier klingen genuin antike Motive an, die Sternen- oder Milchstraßenreise als Zielort der Seelen [u.a. Plutarchs "Über das Gesicht id Mondscheibe" & Ciceros "Somnium Scipionis" als Annex zu De re publica (/)]; Hayao Miyazakis "Chihiros Reise" dürfte bekannt sein; der japanische Kinderbuchklassiker, von dem sich Miyazaki diese Konzepte geborgt hat, Kenji Miyazawas Ginga Tetsudō no Yoru [Der Milchstraßenexpress] von 1927, nicht: das Buch versucht, viele Jahrzehnte vor Astrid Lindgrens Brüder Löwenherz, den Verlust durch den Tod für Kinder faßbar zu machen & in Bilder zu fassen, die jenseits der so leicht trivial-kitschigen Frömmelei stehen). Seis drum: der Grund für die Züge als Transportmittel ist letzlich der auctoriale Dezisionismus: weil das einfach cool ist: und es erlaubt ihm, all die Tropoi, die in der Romantik der "rollenden Räder" enthalten sind, mit anklingen zu lassen: vom opulenten Speisewagen bis zur alten Bahnhofsatmosphäre mit ihrem Versprechen von Ferne (Flughäfen haben das ja nie gehabt, noch nicht mal, als die Maximalzahl der Sitzpltze im Aeroplan bei 8 lag). Die Züge sind lebendig (oder quasi-lebendig), mit Intelligenz & (zT recht bösartiger) Intransigenz. Und dieses Bahnsystem nennt sich im Romankosmos "K-Bahn".
Zitat von Philip Reeve, 11 October 2015, 'The A-Z of Railhead. K is for K-Bahn…'When I realised that interstellar trains were going to be at the heart of Railhead, one of the first things I did was look up teleportation, in the hope of finding some nifty way that a train could be flipped from one side of the galaxy to another. One of the first things I stumbled across was the concept of Kwisatz Haderech, or ‘the shortening of the way’. This is a concept from Jewish mysticism. Certain very enlightened rabbis, it was believed, were able to transport themselves supernaturally from one place to another…
Und da stellt man als alter SF-Leser natürlich die Ohren auf: "Kwisatz Haderech" (oder -rach)? Das ist doch? Genau:
Zitat von ebd.To science fiction fans, Kwisatz Haderach has another connotation, because it’s one of the names given to the messiah figure in Frank Herbert’s classic space opera Dune. “I can’t use that,” I thought, “because everybody will think it’s a reference to Dune…” But after exactly 0.5 seconds of serious thought I decided I didn’t care: I liked the sound of those words; they were too good not to use. And the initial K seemed useful. I knew that in German-speaking cities there are often railway lines called the U-bahn and the S-bahn. My interstellar empire would be linked by the K-bahn.
Wobei der "Wüstenplanet" natürlich seinerseits ganz gewaltig mit Motiven aus dem Bereich religiöser Transzendenz, der Erlöserfigur spielt & sie zT brutal invertiert (der "Kw. Had." der Bücher, Paul Muad'Dib, ist ja das Ergebnis jahrtausendelanger Eugenik, vom [pseudo-]religiösen Orden der Bene Gesserit hinter den Kulissen inszeniert); daß dessen Familie, die zu Beginn des 1. Buches vom rivalisierenden Haus Harkonnen ermordet wird, den Namen "Atrides", also der Atriden trägt... man muß im Genre mitunter onomastische Hornhaut entwickeln. Aber da kommt es also her. Wobei ich sicher bin, daß mit dem "Transport" eben nicht die schnöde Bilokation gemeint sein dürfte, sondern das Überspringen geistiger Ebenen oder, wahlweise, die gleichzeitige Präsenz hienieden und in höheren spirituellen Bereichen.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Simon im Beitrag #18 Aber ist das individuelle Erkunden der Bibel - wenn es denn klappt - überhaupt der empfehlenswerte Weg?
Ja und nein. Die Frage ist, wie adäquat Sie als einsamer Bibelleser die biblischen Autoren, die ja aus einer Gemeinschaft kamen und für eine solche schrieben, verstehen können. Was vielleicht ein bisschen Verständnis wecken kann für den Kern Ihres folgenden Zitates:
Zitat von Simon im Beitrag #18 Sagte die Kirche - jedenfalls die katholische - nicht bis vor kurzem: sie sei Herr/in des Verstehens?
Wenn Sie das Jahr 1943 als "bis vor kurzem" einstufen?
Zitat von Simon im Beitrag #18 Und: Wäre nicht der Wortgottesdienst eines jeden Sonntags der Ort, wo wichtige Bibeltexte gehört und ausgelegt werden?
Wie jetzt? Empfinden Sie es als richtig oder falsch, dass Schriftauslegung und Kirche zusammengehören?
Zitat von Simon im Beitrag #18So stellte es sich jedenfalls das 2. Vatikanische Konzil vor.
Welchen Stellenwert hat dann in ihren Augen die wissenschaftliche Exegese?
Zitat von Simon im Beitrag #18Und was ist mit dem konfessionellen Religionsunterricht in den Schulen?
1974 haben sich die deutschen Bischöfe auf der Würzburger Synode von einem katechetischen Religionsunterricht verabschiedet. Glaubensvermittlung in den Schulen ist also seit kurzem mega-out.
Zitat von Simon im Beitrag #18Wie war die Geschichte genau? Und wie ging sie aus?
"Leicht tangential dazu ein durchaus frivoles Exempel ..."
Ein durchaus nicht nur tangential einschlägiges Exempel fiel mir heute beim Aufräumen in die Hände: Ein amerikanisch-stämmiger Israeli hielt in den Sommerferien 1998 für junge interessierte deutsche Christen einen dreiwöchigen Ulpan, einen Hebräisch-Kurs, ab, wie er für Neueinwanderer nach Erez Israel üblich ist. Am Ende gab es Briefe von Teilnehmern, woraus ich zitieren möchte:
Eine Teilnehmerin (25) schreibt: Eines der wesentlichen Dinge dieser Tage war für mich das Bewusstwerden, was Geschichte bedeuten kann. Herr ... ging mit 18 Jahren nach Israel, um dort zu leben, wo die Geschichte seines Volkes geschrieben wird. ... so ist mir die Geschichte Israels in den letzten Wochen ein Zuhause geworden, angefangen bei Adam und Eva, und ich verstehe plötzlich, was Abraham, Mose und David mit meinem Leben zu tun haben.*
Und eine 15-jährige: Für drei mal vierzehn Generationen Heilsgeschichte wurden unsere Augen neu geöffnet: Isaak wurde Sara nicht geschenkt, damit sie sich in ihrem Alter an ihm freuen konnte, sondern damit das Neue, das mit Abraham begonnen hatte, nicht ohne jemanden blieb, der es weitertrug: die Erfahrung, nach dem Willen Gottes anders als alle anderen zu leben. ... Nach dem Exil in Babel fragten sich die Leute: Wie konnte das geschehen? Und sie schrieben auf, was sie erkannt hatten, damit das Volk Gottes seinen Weg auf die Vergangenheit blickend finden kann. Und mit Jesus, dem zweiten Befreier der Welt, ist uns die Verheißung geschenkt: Gott ist mit uns. Die Erfüllung dieser Verheißung dürfen wir in unserem Leben erfahren.*
Ein 21-jähriger resümiert schließlich unter dem poetischen Motto "Das fliegende Klassenzimmer": Wir waren jeden Tag von halb neun bis halb ein Uhr ... in dem Klassenzimmer der 3. und 4. Klasse. Trotzdem waren wir jeden Tag ganz woanders. Wir flogen zu den verschiedenen Personen, in vergangene Zeiten und viele Länder: Wir spazierten mit Adam und Eva durch das Paradies und ließen uns von der Schlange verführen. Wir wurden mit ihnen vertrieben und fragten uns: Wo ist heute der Garten Eden? Wir waren dabei, als die drei Männer zu dem 100-jährigen Abraham kamen und ihm die unerhörte Neuigkeit erzählten: Nächstes Jahr wird Sara dir einen Sohn gebären. Und wir lachten mit ihm. Wir arbeiteten mit Jakob zweimal sieben Jahre und freuten uns mit ihm, als er endlich Rachel in seine Arme schließen konnte. Wir standen neben Josef, als der Pharao ihm seinen Traum erzählte und hörten gespannt seine Deutung. Wir begleiteten Naomi und Rut nach Bethlehem und sammelten mit Rut Gerste auf dem Feld des Boas. Wir staunten über David, den König Israels, und bauten mit Salomo den ersten Tempel. Wir waren dabei, als sich Israel in Nord und Süd spaltete und zogen mit in die Verbannung nach Babel. Wir kehrten mit Israel nach Kanaan zurück und bauten den Tempel wieder auf.
Wir waren bei Josef aus Nazaret zu Gast, als ihm im Traum ein Engel erschien und ihm einen Sohn "gezeugt aus Heiligem Geist" verhieß. Wir hielten den Atem an, ob er Maria verstoße. Doch er war gerecht und nahm sie zu sich, und sie gebar den Messias, den sie Jesus nannten. Wir kämpften gegen die Römer und mussten mitansehen, wie der Tempel zerstört und Israel über die ganze Erde zerstreut wurde. Herzel, der Zionismus, die erste, zweite und dritte Aliah: Mit den ersten Einwanderern stiegen wir auf nach Erez Israel. Wir erweckten mit Ben Jehuda die hebräische Sprache wieder zu neuem Leben, kämpften im Untergrund gegen Engländer und Araber und bejubelten am 19. November 1947 die Entscheidung der UNO. Wir lauschten am 15. Mai 1948 in Tel Aviv mit Waffen in den Händen den Worten David Ben Gurions, bereit die neu erlangte Unabhängigkeit zu verteidigen. ...*
Und abschließend noch die (ein wenig später intim reflektierende) Stimme einer 15-jährigen: Wenn ich so über Geschichten und auch (die) von ... (dem Kursleiter) selbst, die er erzählte, und Lieder, die wir gesungen haben, nachdenke, ist deutlich zu erkennen, dass viele Juden den Frieden sehnlichst erwünschen. Und das nicht jetzt in Bezug auf ihre Nachbarstaaten; sondern auch die Bewegung des Zionismus z.B. scheint mir als der Wunsch, Frieden und Sammlung in das durch die Bibel verbundene Volk zu bringen. Dass ein jüdischer Staat dafür nicht letzten Endes eine Lösung sein kann, zeigen z.B. die Konflikte zwischen religiösen und säkularen Juden. Ich glaube, dass viele Juden an eine Erlösung oder einen Messianismus glauben ... Vielleicht hätten sie die Erlösung an Christen erleben können, wäre die Kirche nicht so abgefallen von ihrer jüdischen Wurzel. ...*
(Aus: a publication of the Catholic Integrated Community for all friends and members, München 1998)
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #19der japanische Kinderbuchklassiker ...Kenji Miyazawas Ginga Tetsudō no Yoru [Der Milchstraßenexpress]
Milchstraßenexpress Nachtrag. Wir haben diese Hexen immer unterschätzt. Sie waren der Mode & dem technischen Fortschritt schon immer eine Besenlänge voraus.
Zitat Up on their brooms the Witches stream, Crooked and black in the crescent's gleam; One foot high, and one foot low, Bearded, cloaked, and cowled they go. 'Neath Charlie's Wain they twitter and tweet, And away they swarm 'neath the Dragon`s feet. With a whoop and a flutter they swing and sway, And surge pell-mell down the Milky Way.
- Walter de la Mare, "The Ride-by-Nights" (zuerst in Down-a-Down-Derry: A Book of Fairy Poems, illustriert von Dorothy Lathrop, 1902; 1932 von Benjamin Britten vertont)
Übrigens eine hübsche Illustration von Clarkes 3. Gesetz: "Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic."
Allerdings hat der Herr & Meister Dilberts, Scott Adams, dazu schon im November 2007 angemerkt: "Arthur C. Clark [sic] famously said, 'Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.' But in my house, any sufficiently adavnced technology is broken, and no one knows how to fix it." (Stick to Drawing Comics, Monkey Brain!)
Nachtrag II in Sachen Milchtraßenexpress, Magie (& Schulstoff). Das Buch fängt damit an, daß die beiden jugendlichen Protagonisten, die die für ein japanisches Kinderbuch ungewöhnlichen Namen Giovanni & Campanella tragen, im Unterricht vom Lehrer nach der Milchstraße gefragt werden. Die neuzeitliche Erklärung & die Erwähnung der Tradition (als Seelenweg für die Verstorbenen) lösen dann Campanellas Traumvision aus. Bettina Kümmerling-Meibauer, die dem Buch im 2. der 3 Bände ihrer Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur (Metzler 1999 & 2004) einen Eintrag gewidmet hat, macht daraus einen "Astrologielehrer". Demnächst auch in unseren Anstalten:
Zitat von Sciencefiles, 16.05.2016Dass die Skepsis gegenüber der Schulmedizin mittlerweile soweit geht, dass man beim Bundesministerium für Bildung und Forschung auch die Weiterbildung [!sic] zum Geisterheiler oder Humanquantenenergetiker oder schlicht Geistigen Heiler fördert, das ist eine neue Entwicklung, die man auf Seiten der Ärzteverbände sicher mit Interesse zur Kenntnis nehmen wird.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #22 Wir haben diese Hexen immer unterschätzt. Sie waren der Mode & dem technischen Fortschritt schon immer eine Besenlänge voraus.
Ganz recht.
Das wussten auch schon die Hexen von Mac Beth: Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #22 Wir haben diese Hexen immer unterschätzt. Sie waren der Mode & dem technischen Fortschritt schon immer eine Besenlänge voraus.
Ganz recht.
Das wussten auch schon die Hexen von Mac Beth: Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand.
Zitat Kap. 1 (午后 ごご の授業, "Die Schulstunde am Nachmittag"), Auftakt. (Alle Zitate nach 銀河鉄道の夜 [Ginga Tetsudō no Yoru], geschrieben 1927, zuerst posthum 1934 erschienen als Bd. 3 der ersten 4-bändigen, und fürchterlich schlampert redigierten, Werkausgabe, 宮沢賢治全集』第三巻)
"Wir haben gesehen, daß dieses unscharfe weiße Band manchmal als Fluß beschrieben worden ist, oder als verschüttete Milch, und noch anderes. Weiß einer von euch, was es wirklich ist?" Der Lehrer richtete seine Frage an die ganze Klasse. Dabei zeigte er auf das weiße Nebelband der Milchstraße, das sich auf der Karte, die an der Tafel hing, vom oberen bis zum unteren Rand erstreckte.
Der Lehrer fuhr fort: "Und wenn wir uns diesen sogenannten Himmelsfluß als einen richtigen Fluß denken, dann würde jeder dieser winzigen Sterne einem Sandkorn oder einem Kleselstein auf dem Grund des Flusses entsprechen. Wenn wir ihn uns als einen gewaltigen Strom von Milch vorstellen, dann gleicht er sogar noch mehr einem himmlischen Fluß. Damit meine ich, daß jeder Stern einem der winzigen Fetttröpfchen entspricht, die in der Milch treiben. In dem Fall könnt ihr fragen: und was entspricht dem Wasser in diesem Fluß? Und in dem Fall wäre die Antwort: dem, was für die Ausbreitung des Licht, mit immer der gleichen Geschwindigkeit, sorgt. Mit anderen Worten: ein vollkommenes Vakuum. Die Erde und die Sonne schwimmen darin. Das heißt: wir selber leben im Wasser der Milchstraße, Je tiefer Wasser ist, desto blauer erscheint es uns. Mit der Milchstraße ist es genauso: Je tiefer und weiter entfernt der Grund ist, desto zahlreicher und dichter scheinen die Sterne, und desto weißer und nebelhafter wirkt das Ganze. Bitte schaut euch das Modell hier an."
Der Lehrer zeigte auf eine große flache Glasschüssel, deren Boden und Deckel gewölbt waren und die mit einer Menge glitzernder Sandkörner gefüllt war.
"Hier könnt ihr die Form der Milchstraße erkennen. Wir können uns jedes einzelnen blitzende Körnchen als einen Stern vorstellen, der sein Leuchten verbreitet - genau wie unsere Sonne. Unsere Sonne würde sich etwa in der Mitte befinden, mit der Erde ganz dicht neben ihr. Ich möchte, daß jeder sich vorstellt, das es Nacht wäre und er von der Mitte aus um sich schauen würde. Wenn wir nach oben oder unten schauen, sehen wir nur wenige Sandkörner - oder eben Sterne. Wenn wir zur Seite blicken, schauen wir durch die ganze Breite der Schüssel - also sind viel mehr leuchtende Körnchen oder Sterne sichtbar, und die am weitesten entfernten verschmelzen für uns zu einer nebelhaften Masse. So erklärt man sich heute die Milchstraße."
Miyazaki beginnt seinen Himmelstrip beim Polarstern, die Konstellationen des Sommerhimmels hinab, mit dem Ausblick auf den Kohlensack mit als Dunkelnebel, der das Licht dahinter liegender Sterne absorbiert, sondern als Ausblick auf das Nichts; die absolute Leere jenseits der Milchstraße: daß Campanella, dessen Seele Giovanni hier als Psychopompe manqué, ohne es zu wissen, ins Jenseits geleitet, hier verschwindet, ergibt sich aus dem Buddhismus des Autors), und endet beim Kreuz des Südens als Endstation für die letzten Seelen, die der Transporter von den irdischen zu den diversen elysäischen Gefilden chauffiert; je nach Glauben wird an unterschiedlichen Stationen ausgestiegen (& wer jetzt Sultan Erdogans Spruch von der Straßenbahn, aus der man aussteigt, bringt, kriegt einen Eintrag ins Klassenbuch ).
Das De-la-Mare-Gedicht nennt in den noch-nicht-zitierten Zielen einige andere Stationen zum Herumkariolen mit dem Flugbesen:
Zitat Betwixt the legs of the glittering Chair They hover and squeak in the empty air. Then round they swoop past the glimmering Lion To where Sirius barks behind huge Orion; Up, then, and over to wheel amain, Under the silver, and home again.
"Charlie's Wain" meint den Großen Wagen (das Siebengestirn bildet ja nur etwa ein Viertel des Großen Bären: den Bärenschinken); der Drache gehört zu jenen Konstellationen, die sich niemandem einprägen. Eine ziemlich lange & ziemlich gefaltete Schlange; wenn der sowas wie Fieße ("swarm 'neath the Dragons' feet") hat, ist das die Sternkette, die sich zwischen dem Wagen-samt-Deichsel & dem Polarstern hinzieht - Edasich, Thuban, Giausar. Mit dem Stuhl ist die Sitzgelegenheit der Kassiopeia gemeint, auf denen sie in allen klassischen Darstellungen hockt (Hyginus, Hevelius) denen aber am Sternenhimmel selbst gar nichts entspricht.
Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire
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