Viele haben wohl erwartet, daß sich dieser Autor bei seinem Urlaub in Irland nur auf das Kulinarische konzentrieren würde. Was ja auch verständlich wäre, die Gastronomie dort ist besser als in jedem anderen englisch-sprachigen Land. Es gibt dort sogar eßbares Brot.
Aber daneben blieb doch noch Zeit um der Chronistenpflicht genüge zu tun.
Zitat Denn natürlich ist das Land von dieser Frage ungleich stärker betroffen als jeder andere EU-Partner. Irland hat eine komplett offene Grenze zu Nordirland, hunderttausende Iren leben im UK und der von der EU stark geförderte Friedensprozeß in Nordirland ist in eine unklare Situation geraten.
Die Situation hier ist noch deutlich vertrakter (sprich: unmöglich) als es auf den ersten Blick vielleicht aussieht, denn dieser Knackpunkt geht weit vor die EU zurück. Die offene Grenze ist wesentlich ein Element des Anglo-irischen Vertrags von 1921, bei dem eine feine Balance zwischen der territorialen Integrität Irlands als Insel und dem Selbstbestimmungsrecht Nordirlands getroffen wurde (die natürlich dennoch nicht ausgereicht hat, den inneren Frieden zu sichern). Kurz gesagt, die offene Grenze ist absolut notwendig, um einen totalen Bürgerkrieg in Nordirland zu verhindern. Das erfordert sorgfältig konzertiertes Handeln von London und Dublin; es kommt nicht von ungefähr, daß beide Länder zum exakt gleichen Zeitpunkt (1. Januar 1973) der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten sind, um jede Verwerfung und Komplikation zu vermeiden.
Ein Alleingang des UK ("Brexit") schafft hier praktisch unüberwindliche Schwierigkeiten. Um Nordirland in einem metastabilen Friedenszustand zu erhalten, ist eine offene Grenze zwischen der Republik und Nordirland unabdingbar; aber als EU-Außengrenze müßte sie gesichert werden. Es ist völlig unklar, wie dieser Widerspruch gelöst werden soll. Abgesehen davon würden die verschiedenen Freizügigkeiten (innerhalb der EU und zwischen der Republik und Nordirland sowie zwischen Nordirland und dem Rest des UK) findigen Migranten (deren Fernhalten einer der ganz großen Punkte des "Leave"-Lagers ist) ein Schlupfloch gewähren, während der produktiven Einwanderung (z.B. Studenten und steuerzahlende Arbeitnehmer aus der EU) durch den Brexit Barrieren in den Weg gelegt werden.
Die Geschichte mit Nordirland ist ein Riesenproblem für einen Brexit. Typisch für das ganze, auf bloßer Demagogie beruhende Vorgehen ist, daß diese Frage nicht nur bei den Kampagnen vor dem Referendum vollkommen ausgeblendet wurde, sondern sich auch jetzt noch niemand dafür zu interessieren scheint.
Zitat von R.A.Wer noch irgendwelche Illusionen über die Qualität der deutschen Außenpolitik haben sollte, hätte Mitte Juli die irischen Zeitungen lesen sollen. Da besucht der irische Premier Berlin, um bei der Kanzlerin die irischen Sorgen wegen der Brexit-Verhandlungen vorzubringen. Denn natürlich ist das Land von dieser Frage ungleich stärker betroffen als jeder andere EU-Partner. Irland hat eine komplett offene Grenze zu Nordirland, hunderttausende Iren leben im UK und der von der EU stark geförderte Friedensprozeß in Nordirland ist in eine unklare Situation geraten. Das heißt nicht, daß Deutschland Irland gegenüber zu besonderen Hilfestellungen verpflichtet wäre. Aber verstehen und berücksichtigen muß man die speziellen irischen Probleme schon. Insbesondere da die Beziehungen zwischen Irland und Deutschland immer sehr eng und freundschaftlich waren. Aber Merkel läßt den irischen Kollegen völlig abblitzen. Sie könne da keinen besonderen Handlungsbedarf sehen, Irland wäre kein Sonderfall, sondern würde genauso behandelt wie jeder andere EU-Staat. Ignorant, arrogant, ohne auch nur den Versuch, mit unverbindlicher Höflichkeit einen Gesichtsverlust für den Gast zu vermeiden. Eine völlig sinnlose Brüskierung.
Herzlichen Dank für diese Information, die unsere national-deutschen demokratieabgebenden Medien leider nicht vermittelt haben. Können Sie eine Quelle "for further reading" angeben?
Zitat von Fluminist im Beitrag #2Die Situation hier ist noch deutlich vertrakter (sprich: unmöglich) als es auf den ersten Blick vielleicht aussieht, denn dieser Knackpunkt geht weit vor die EU zurück.
Richtig. Und leider nehmen viele Leute (vielleicht auch im Kanzleramt) das als Entwarnung: Hat ja schon vor der EU funktioniert, wird also auch nachher funktionieren. Und dabei übersehen sie eben, daß Iren und Briten bisher eben alle Europa-Schritte gleichzeitig gemacht haben - und das geht beim Brexit eben nicht mehr.
Zitat Kurz gesagt, die offene Grenze ist absolut notwendig, um einen totalen Bürgerkrieg in Nordirland zu verhindern.
Vielleicht ist das heute nicht mehr ganz so krass, weil der Friedensprozeß wirklich überraschend gut funktioniert hat und einiges an gegenseitigem Vertrauen da ist. Aber alle Änderungen in der Grenzfrage sind hochriskant.
Zitat Es ist völlig unklar, wie dieser Widerspruch gelöst werden soll.
Er könnte so gelöst werden, wie auch die Freihandelsfrage gelöst werden kann: Es bleibt de facto alles beim Alten, weil das UK alle EU-Regelungen (dann eben auch zur Freizügigkeit) per Einzelvertrag übernehmen muß. Am Ende wäre GB dann in allen praktischen Fragen wie ein EU-Mitglied, aber ohne formale Mitgliedschaft und damit ohen Stimmrecht.
Würde natürlich allen Versprechen der Brexiteers widersprechen - aber die waren eben auch jenseits der Realität.
Zitat Typisch für das ganze, auf bloßer Demagogie beruhende Vorgehen ist, daß diese Frage nicht nur bei den Kampagnen vor dem Referendum vollkommen ausgeblendet wurde, sondern sich auch jetzt noch niemand dafür zu interessieren scheint.
Interessiert keinen auf dem Kontinent (siehe Merkel) und wenige in London. Aber bei Mays Kabinettsumbildung hat das eine gewisse Rolle gespielt. Und in Irland wird das natürlich sehr diskutiert. Insbesondere eben die Option, die grundsätzlich auch die durch den Brexit aufgeworfenen Probleme lösen würde: Die Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik. Aber da drohen eben sehr heftige neue Probleme, bis hin zur Gefahr eines neuen Bürgerkriegs.
Zitat von Emulgator im Beitrag #3Können Sie eine Quelle "for further reading" angeben?
Leider nicht. Ich habe im Land viel "Irish Times" und "Irish Independent" gelesen, ab und zu auch britische Blätter. Abgerundet mit ein paar Fernsehnachrichten. Das ist wahrscheinlich auch alles im Internet zu finden, aber halt nur verstreut.
Über die Vorgeschichte, insbesondere also zum Unabhängigkeitsvertrag und dem Karfreitagsabkommen, gibt es auch alle möglichen Sachen zu lesen (teilweise habe ich mich da auch aus Museen/Ausstellungen informiert). Aber eine vernünftige Gesamtdarstellung wüßte ich jetzt nicht.
Zitat von R.A. im Beitrag #5Leider nicht. Ich habe im Land viel "Irish Times" und "Irish Independent" gelesen, ab und zu auch britische Blätter. Abgerundet mit ein paar Fernsehnachrichten. Das ist wahrscheinlich auch alles im Internet zu finden, aber halt nur verstreut.
Zitat von R.A. im Beitrag #5Über die Vorgeschichte, insbesondere also zum Unabhängigkeitsvertrag und dem Karfreitagsabkommen, gibt es auch alle möglichen Sachen zu lesen (teilweise habe ich mich da auch aus Museen/Ausstellungen informiert). Aber eine vernünftige Gesamtdarstellung wüßte ich jetzt nicht.
Zitat von TAI, Sept 9, 2016A poll earlier this week in Ireland shows a staggering amount of popular displeasure with the European Commission’s ruling last week that Apple must pay back taxes to the Irish government for supposedly negotiating what amounts to a sweetheart deal for itself.
The EC’s ruling, which many eurocrats in Brussels have been preening over, was incredibly ill-timed. With the EU reeling from the verdict of Brexit, this kind of heavy-handedness has provided the spark for yet another potential citizen revolt in the Union.
Stuck on the fringes of Europe without a lot of natural resources, Ireland has embraced a low-tax strategy for attracting multinationals to its shores. With Brexit threatening to isolate the Irish even more from the rest of Europe, that development strategy is more important than ever to the Emerald Isle. The one-time windfall payment being demanded by Brussels from Apple — $14.5 billion — represents a huge amount of money for Ireland: It would cover health care costs for the entire country for an entire year. But the Irish understand very well that a massive one-time payment cannot make up for the long-term hit their coffers would take should corporations decide to close up shop.
Zitat A poll earlier this week in Ireland shows a staggering amount of popular displeasure with the European Commission’s ruling last week that Apple must pay back taxes to the Irish government for supposedly negotiating what amounts to a sweetheart deal for itself.
Tu Felix Hibernia:
Ein ausländischer Konzern wird gezwungen, in Irland mehr Steuern zu zahlen. Und bei einer Umfrage in Irland ist die große Mehrheit der Befragten über diese Entscheidung empört.
Irgendwie kaum vorstellbar, dass es eine ähnliche Reaktion in Deutschland gäbe...
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