Michael Miersch hat vor vielen Jahren in der WELT einen sehr schönen Beitrag mit dem Titel "Ja, bin ich denn rechts?" veröffentlicht, in dem er die Frage stellt:
Zitat von M. MierschHieß links sein nicht: fortschrittsoptimistisch sein, Lust auf Veränderung haben und an ein besseres Morgen glauben?
Das Präteritum ist berechtigt. Vielleicht haben ja nicht die Altlinken ihre Gesinnung abgelegt, sondern umgekehrt?
Ein beängstigendes Beispiel für das Antiemanzipatorische, Antiaufklärerische, das in linksliberalen Kreisen fröhliche Urständ feiert, liefert ein auf ZEIT-Online erschienener Artikel, in dem von einer Liebesgeschichte zwischen einem abendländischen Atheisten und einer tunesischen Muslimin mit wenig aufgeschlossenem Elternhaus erzählt wird. Ob die Story wahr oder nur gut erfunden ist, tut nichts zur Sache: Denn die entsprechenden Ausführungen zeigen überdeutlich, dass in den sich progressiv wähnenden Kreisen in den letzten Jahrzehnten ziemlich viel in die falsche Richtung gegangen ist.
Natürlich kann sich die Geschichte so zugetragen haben, aber ich bin skeptisch - kenne zu viele moslemisch/christliche Mischehen. Derart interreligiöses / auch noch fortschrittliches (via Internet) Kennenlernen findet eher in höheren Bildungsschichten statt in denen die Toleranz (Tunesien und nicht Saudi-Arabien!) das beschriebene Szenario nicht hergibt. Umgekehrt würde eine Muslimin in Anbetracht der Strenggläubigkeit ihrer Eltern die Religion in einer Kontaktanzeige zur Bedingung machen.
Eher ein echtes Problem auch bei hiesigen moslemischen Türken dürfte sein, dass die Kinder bereits 'versprochen' sind, da steht dann schnell die Ehre der ganzen Familie auf dem Spiel. Aber sucht die Tochter dann einen Partner und will gleichzeitig ihre Familie mit einbeziehen?
Im Übrigen ist meine ehemalige US-Chefin (Christin) auch zum Judentum übergetreten, nachdem sie einen Juden geheiratet hatte. So ist halt das Leben.
Das ist interessant, lieber Noricus, endlich(!) haben wir auch mal einen deutlichen Dissenz. Denn ich finde der Artikel hat erstaunlich wenig mit Politik zu tun, es ist ein durch und durch privates Problem mit einer ebenso privaten Lösung, die man akzeptieren kann oder auch nicht. Ich halte die Geschichte grundsätzlich für wahr, wenn auch mit Sicherheit Details massiv verändert wurden. Ein Kennenlernen über Tinder (!) mit einer gläubigen Muslimin(!). Ja, genau. Sex vor der Ehe kein Thema, aber der Ramadan wird eingehalten? Auch nicht. Und die Familie schickt einen Verwandten, der auch noch in die Wohnung einbricht, aber bekommt über ein Jahr lang nicht mit, was ihre Tochter so treibt. Yes. Da ist einiges nicht stimmig und dennoch halte ich die Grundzüge der Geschichte für glaubhaft. Aber es bleibt dabei, dass es sich um eine private Entscheidung handelt: Der junge Mann musste entscheiden, was ihm wichtiger war: Die formale Ablehnung des Islam für sich oder seine Frau. Er hat eine Entscheidung getroffen. Ich glaube das es keine gute Entscheidung war, aber es ist auch nicht die meine.
Aus meiner Bekanntschaft kenne ich ganz ähnliche Probleme (und nicht nur einen Fall!). Ein Bekannter stand vor dem Problem entweder zum Judentum zu konvertieren oder eben nicht heiraten zu können. Und ins Judentum wird man im Unterschied nicht mal "ebens so" aufgenommen. Da darf man erst einmal ein bis zwei Jahre zum Unterricht dackeln, darf den ganzen Kram lernen, darf sich beschneiden lassen (oh das macht Spass für erwachsene Männer) und muss dann noch in einer Art von Gerichtsverhandlung belegen, warum er wirklich Jude werden will. Das ist mit einem Lippenbekenntnis nicht getan. Und es wird auch danach nicht getan sein, denn die Gemeinde erwartet von ihren Mitgliedern ein bischen mehr. Er tut das trotzdem. Weil er eben seine Frau liebt. Ist das dann auch eine Unterwerfung unters Judentum? Und was wäre, wenn die Frau keine Muslimin wäre, sondern eine Zeugin Jehovas? Die heiraten auch in der Regel untereinander, und die einzige Möglichkeit hier die Traumfrau zu bekommen, bestünde in der Taufe. Eine Unterwerfung?
Ich habe, und es ist ja kein Geheimnis, dass ich den Islam nicht mag, kein Problem mit dem, was hier passiert ist. Ich sehe es (ausnahmsweise) auch nicht als ein typisches Beispiel für eine schleichende Islamisierung an. Worum es hier geht ist etwas zu teilen, was der Frau so wichtig ist, dass sie darauf nicht verzichten kann. Wer mit einer solchen Frau das Leben verbringen will, muss sich dem anpassen.
Zitat von Llarian im Beitrag #3 Worum es hier geht ist etwas zu teilen, was der Frau so wichtig ist, dass sie darauf nicht verzichten kann. Wer mit einer solchen Frau das Leben verbringen will, muss sich dem anpassen.
Nur dass der Mann mit gleicher Berechtigung von der Frau verlangen könnte, Atheistin zu werden. Oder dass zumindest die Frau mit ihrer -wie in dem Artikel ja auch beschrieben- völlig übergriffigen Familie brechen soll.
Doch, der beschriebene Fall ist Unterwerfung. Allerdings nicht unter den Islam, sondern unter einen der Partner. Das ist exakt der gleiche Fall, wenn einer der Partner auf sadistische Praktiken steht und der andere nicht. Und dann verlangt wird - wenn du mit mir zusammen sein willst, dann muss ich dich schlagen und foltern dürfen. Jeder normale Mensch (und ich wette: auch die meisten Psychologen) würde sagen: das ist nicht normal, sich derart weit von seinen eigenen Wünschen zu entfernen und sich derart den Wünschen des Partners zu unterwerfen.
Ich bin absolut kein Fan von einseitigen Beziehungen und kann die auch nicht wirklich respektieren. Tolerieren klar - aber respektieren nicht.
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Zitat von Frank2000 im Beitrag #4 Nur dass der Mann mit gleicher Berechtigung von der Frau verlangen könnte, Atheistin zu werden. Oder dass zumindest die Frau mit ihrer -wie in dem Artikel ja auch beschrieben- völlig übergriffigen Familie brechen soll.
Richtig. Könnte. Und dann geht es eben nicht. Man muss halt schlicht abwägen was einem wichtiger ist. Ist, würde ich behaupten, Grundlage jeder längeren Beziehung.
Zitat Doch, der beschriebene Fall ist Unterwerfung. Allerdings nicht unter den Islam, sondern unter einen der Partner. Das ist exakt der gleiche Fall, wenn einer der Partner auf sadistische Praktiken steht und der andere nicht. Und dann verlangt wird - wenn du mit mir zusammen sein willst, dann muss ich dich schlagen und foltern dürfen. Jeder normale Mensch (und ich wette: auch die meisten Psychologen) würde sagen: das ist nicht normal, sich derart weit von seinen eigenen Wünschen zu entfernen und sich derart den Wünschen des Partners zu unterwerfen.
Was "normal" ist, hilft selten weiter. Entscheidend ist doch nur, dass es eine freie Entscheidung unter mündigen Erwachsenen ist. Welche Wünsche normal sind und welche nicht, ist absolut nicht allgemein festzulegen. Man wird die umgekehrte Situation ebenso oft finden: Wenn Du mit mir zusammen sein willst, dann darf es nur Blümchensex geben. Auch das kann man akzeptieren. Oder lassen. Gerade sexuellen Vorlieben sind ja nun wirklich unterschiedlichst ausgeprägt. Für den von Ihnen beschriebenen Fall des Sadisten wäre es vielleicht einfach nicht möglich mit einem Menschen auf Dauer glücklich zu sein, der keine masochistischen Tendenzen hat. Ich finde es völlig legitim das klar auszusprechen und auch ebenso legitim Bedingungen zu stellen. Es wird ja dadurch niemand gezwungen diese anzunehmen.
Zitat Ich bin absolut kein Fan von einseitigen Beziehungen und kann die auch nicht wirklich respektieren. Tolerieren klar - aber respektieren nicht.
Was Sie respektieren ist grundsätzlich ihre Sache. Nur wundern Sie sich nicht, wenn Sie auch nicht respektiert werden. Ich persönlich bin jedenfalls der Meinung, dass man sich in der Beurteilung anderer Leute Beziehungen zurück halten sollte, so lange diese unter mündigen Erwachsenen geführt werden.
Ich finde, Llarian hat recht.Zumindest mich interessiert es wirklich nicht, über welche Stöckchen so ein geistiger Sandalenträger zu springen bereit ist. Abgesehen davon, dass er mit seinem Verhalten die ganze Lächerlichkeit seines zeitgeistigen Atheistengehabes demonstriert, soll er doch nach seiner Facon halal werden. Die Frage, die sich mir beim Lesen dieses Artikels ganz spontan stellt, ist diese: Wie wäre wohl der Grundton eines Zeit-Artikels, wenn die Eltern der Braut nicht Ali und Sheherazade wären, sondern Karl-Heinz und Heidrun. Und der Freier wäre statt Torben-Benjamin eben Mohhamed. Wären die, wenn sie keinen Moslem im Haus wollten auch "eben etwas konservativ"? Auch wenn sie weder Bekannte zur Kontrolle von Prinzesschen ausschicken und nicht im Entferntesten daran dächten, dem minderjährigen Sohn Horst mal eben nahezulegen, mittels messern die Familienehre wieder gerade zu biegen? Würde man sich bei der Zeit ebenso putzig die Aeuglein reiben, wenn aus Karl-Heinzens Community ein ganz klein wenig Druck auf das holde Paar ausgeübt würde? Ich hab da so meine Zweifel. Und genau das ist für mich Ausdruck des linken (und nicht linksliberalen- liberal und links geht nicht zusammen, das ist in etwa so wie totalitärdemokratisch) Holzwegs.
"Nur wundern Sie sich nicht, wenn Sie auch nicht respektiert werden. Ich persönlich bin jedenfalls der Meinung, dass man sich in der Beurteilung anderer Leute Beziehungen zurück halten sollte, so lange diese unter mündigen Erwachsenen geführt werden."
Werter Llarian, ich habe Sie schon verstanden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Sie mich verstanden haben.
Was Menschen im Privaten treiben geht mich nach meinem Verständnis nix an und will ich auch nicht wissen. Und wenn es mir ungefragt erzählt wird, kann ich es immer noch tolerieren.
Nun gibt es aber eine Menge Leute - und nach meine Erfahrung speziell Linke - die rollen ihr Privatleben aus und wollen dafür noch gelobt werden. Denen reicht Toleranz nicht aus: sondern die Umgebung soll es ausdrücklich gut finden.
So kommt auch der Zeit-Artikel rüber und so sind auch die ersten Leserkommentare (zumindest die veröffentlichten).
Max hat es erkannt: man braucht nur minimal an den Randbedingungen zu drehen und der Artikel wäre in der Zeit zerrissen worden. Es wird also nur für BESTIMMTE Lebensmodelle diese scheinbare linke Toleranz und Respekt gewährt.
Um es mal neu zu formulieren:
Ich interessiere mich nicht für das Privatleben anderen Menschen. Wer mir aber sein Privatleben aufdrängt und dann noch wohlwollendes Schulterklopfen erwartet, ist bei mir falsch. MEIN Lebensmodell ist nämlich, dass ich Religion im Allgeimen, den Islam im Speziellen und religiösen Fanatismus ganz besonders für dumm und schädlich halte.
Wird jetzt von mir erwartet, dass ich mein Lebensmodell verleugne, damit andere ihr Lebensmodell der Unterwerfung öffentlich ausleben können?
Wer seine Meinung äußert - und das veröffentlichen des Privatlebens ist eine Meinungsäußerung - muss auch mit Ablehnung dieser Meinung bzw einer anderen Meinung (in Form verweigerten Respekts) leben können.
___________________ Kommunismus mordet. Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.
Zitat von max im Beitrag #6Wie wäre wohl der Grundton eines Zeit-Artikels, wenn die Eltern der Braut nicht Ali und Sheherazade wären, sondern Karl-Heinz und Heidrun.
Das ist der Knackpunkt. Das Verhalten des Bräutigams ist noch irgendwie verständlich, die "Toleranz" der Linken gegenüber dem Brautelternpaar nicht.
Zitat von Noricus im Beitrag #1Ein beängstigendes Beispiel für das Antiemanzipatorische, Antiaufklärerische, das in linksliberalen Kreisen fröhliche Urständ feiert, ...
Zustimmung. Nur: "linksliberal" sind diese Kreise nur in der Eigenbezeichnung. So etwa wie in Deutsche "demokratische" Republik. Korrekt sind es einfach linke Kreise.
Zitat von Llarian im Beitrag #3[...] ich finde der Artikel hat erstaunlich wenig mit Politik zu tun, es ist ein durch und durch privates Problem mit einer ebenso privaten Lösung, die man akzeptieren kann oder auch nicht. [...] Aber es bleibt dabei, dass es sich um eine private Entscheidung handelt: Der junge Mann musste entscheiden, was ihm wichtiger war: Die formale Ablehnung des Islam für sich oder seine Frau. Er hat eine Entscheidung getroffen. Ich glaube das es keine gute Entscheidung war, aber es ist auch nicht die meine.
Die politische Dimension des Artikels liegt nicht in dem, was er expressis verbis ausführt, sondern in dem, wozu er schweigt, lieber Llarian.
Mir ist auch völlig gleichgültig, wer aus welchen Gründen seine Religion ändert. Bei Paaren ist es vermutlich sogar sinnvoll, wenn sie in Glaubensdingen im gleichen Takt ticken, weil die Religionsausübung oder deren Fehlen ja gar nicht so unwichtige Auswirkungen auf das tägliche Leben hat (z.B. Ernährung, Kindererziehung, Freizeitgestaltung [Kirchgang oder nicht]).
Es ist mir auch egal, aus welchen Gründen jemand konvertiert. Bei unserem Paar ist die Motivation für den Übertritt zum Islam allerdings für die politische Dimension entscheidend. Es ist ja nicht Nedia, die sich ein Leben mit einem Nichtmuslim nicht vorstellen kann. Im Gegenteil: Ihr ist bewusst, dass Niklas nie ein richtiger Muslim werden wird, und es besteht offenbar Einvernehmen, dass die Kinder nicht religiös erzogen werden sollen.
Niklas' Konversion erfolgt, weil Nedias Eltern einen Nichtmuslim jedenfalls ablehnen würden, und weil bireligiöse Paare Gefahr laufen, Drangsalen von Glaubenseiferern ausgesetzt zu sein. Die Intoleranz von Nedias Eltern wird nicht einmal ansatzweise problematisiert. Und ebenso nimmt Niklas hin, dass manche Mitglieder von Moscheegemeinden gegen christlich-muslimische Beziehungen in krimineller Weise vorgehen und dagegen niemand einschreitet. Es kommt kein Aufschrei, keine Empörung, nichts. Es wird so getan, als ob engstirnige muslimische Eltern und gewalttätige Moscheevereinsmitglieder etwas sind, mit dem man sich arrangieren muss.
Max (Kommentar Nr. 6) legt den Finger in die Wunde, wenn er die Probe aufs Exempel macht: Eltern, die nur einen biodeutschen Schwiegersohn christlichen Glaubens (oder ohne Bekenntnis) akzeptieren, und ein Umfeld, das vielleicht nicht mit Farbbeuteln und zerstochenen Reifen, aber mit gesellschaftlichem Druck gegen eine muslimisch-nichtmuslimische Beziehung ag(it)iert, würde in der ZEIT nicht achselzuckend-fatalistisch als eine unabänderliche Gegebenheit hingenommen.
Es ist ja nicht weiter merkwürdig, daß Männer wegen Frauen (umgekehrt ja auch) vollkommen idiotische Dinge tun. Das ist halt so. Und das der Autor (oder die Erzählperson)ein Linker ist, läßt sich aus dem Text ja herauslesen. Bemerkenswert ist aber doch das Linke an eine Gesellschaftssicht wie den Islam so unkritisch herangehen und (wie im vorliegenden Fall)auch bei vollem Wissen über die zugrundeliegenden Problematiken die ihnen sonst zur Verfügung stehenden Instrumente (z.B. Kritik ja jeder bestehenden Hierarchie)so vollständig vergessen.
Man könnte allerdings auch fragen was dieser für sich genommen ziemlich abstruse Text mit der Beschreibung ziemlich dummer Verhaltensweisen uns überhaupt sagen soll. Letztlich werden hier doch nur Vorurteile bestätigt: Muslime sind blöde und gewalttätige Spießer und Linke (das Private ist Politisch(!)) geben ihre Grundsätze bei erster Gelegenheit auf. Der Text paßt doch viel besser in die Mitgliederzeitschrift der AFD als in ein islamophiles und linkes Wochenblatt wie die Zeit.
Ich sehe diesen Text als einen von vielen in dem uns die völlig absurden Denkgewohnheiten dieser Pseudoreligion als normal vorgestellt werden sollen. Ein noch extremeres Beispiel ist der FAZ Artikel Islamisches Recht: Erlaubt der Koran die Steinigung? - Geisteswissenschaften - FAZ in dem allen Ernstes umfangreich ausdiskutiert wird ob der Untreue überführte Ehefrauen durch Steinigung oder durch Auspeitschung ermordet werden sollen (der Text ist von 2010!).
Natürlich ist die Gewöhnung und Tolerierung obskurantistischer Ideen ein normaler und notwendiger Vorgang wenn ich eine Gesellschaftsordnung wie die bundesdeutsche umstürzen will. Genau so haben es ja die Nazis durch intensive Propaganda erreicht, daß eine Idee wonach durch die massenhafte Aussonderung einer Menschengruppe das Paradies auf Erden ereichbar(er) sei, diskusssionswürdig wurde. Ich darf an dieser Stelle auch an die vor kurzem aktuellen Diskussionen bezüglich der Vorteilhaftigkeit von Kinderehen und Mehrfachehen und deren Tolerierbarkeit erinnern. Und da wurden von allerhöchster Stelle diese für sich genommen völlig amoralischen Ideen diskutierbar gemacht.
Ich muß zu meinem Leidwesen sehen, daß selbst die von mir so hoch geschätzten Teilnehmer dieses Forums den Artikel und seine Brisanz nicht sehen und ihn auch nicht in eine offensichtliche Strategie einordnen können.
__________________________________________ Wegen der aktuellen Krise werde ich fortan Krimsekt, russischen Kaviar, russische Puppen, russische Eier und Boeuf Stroganoff boykottieren
Nur um Missverständnisse sofort zu vermeiden, ich bleibe meiner Meinung vom August 2015 treu:
Zitat Die Forderung, dass sich der Staat aus bestimmten Lebensbereichen, wozu zweifellos Ehe und Sexualität gehören, heraushalten soll, ist durchaus nachvollziehbar. Zumindest solange nicht das Ziel verfolgt wird, den Schwächeren zu seinem Rechte zu verhelfen. Überdies ist es unsinnig, Normen in Gesetzen aufzunehmen, deren Geltung nicht durch Strafen durchgesetzt wird. Ein Gesetzt sollte nicht dazu dienen, dass der Staat beschreibt wie ers gern hätte oder dazu Empfehlungen zu geben.
Ebenso wie ich gegen eine staatliche Einmischung in diesen intimsten Lebensbereich bin, bin ich auch gegen die Einmischung durch die Familie der Angebeteten. Es sind ja nun leider meistens die Frauen, die im Folge der Doppelmoral stärker reglementiert werden als die Männer (¹, bei denen man schon mal ein Auge zudrückt, wenn sie "sich die Hörner abstoßen". Im Grunde könnte ich es aber ebensogut geschlechtsneutral formulieren.
Eltern sollten ihren Kindern natürlich ein gewisses Fundament an Werten und Idealvorstellungen mitgeben. Dazu gehört in unserer Kultur sicherlich auch die romantische Liebesheirat. Doch ganz abgesehen von solchen Vorstellungen über die Ehe als Wert an sich gibt es noch einen anderen, überzeugenden Grund gegen das Fremdgehen: In einer Partnerschaft wird zwischen den Partnern meist implizit die Vereinbarung getroffen, dass sie nur noch "miteinander zusammen sind". Wenn nun einer der beiden Partner mit Dritten "romantisch verkehrt", bricht er diese Vereinbarung. Man tut also offiziell so, als wäre man einander treu und erwartet das womöglich noch vom Partner, aber man selbst nimmt sich Sonderrechte heraus, indem man sich über die Vereinbarung hinwegsetzt. Selbst wenn man jetzt sagt, dass man einer freiwilligen Selbstbeschränkung auf den Partner nie zugestimmt habe, sollte man der Fairness wegen doch sichergehen, dass der Partner das auch mitbekommen hat. Erfahrungsgemäß wird der Partner das nämlich meist anders sehen, was mit unserer Kultur zusammenhängt.
Auch müssen die Eltern nicht mit jedem Partner des eigenen Kindes einverstanden sein. Natürlich kann auch das erwachsene Kind aus Verliebtheit, Naivität oder anderen Gründen schlechte Entscheidungen treffen. Beispielsweise wenn ein(e) bekannte(r) Heiratsschwindler(Inn) als Schwiegersohn, bzw. -tochter vorgesehen ist. Solche Entscheidungen müssen die Eltern nicht mittragen. Es wird deshalb in einigen Fällen dazu kommen, dass die Eltern den Kontakt abbrechen oder das Kind enterben wegen der Ehe. Das sind zwar Tragödien, lassen sich aber auch in einer aufgeklärten Kultur nicht völlig verhindern. Allerdings kann ich diesen psychologischen Druck auch nur mit Bachschmerzen tolerieren, siehe zwei Absätze weiter unten.
Was dagegen nicht geht, ist, dass die Eltern eine Art Kriterienkatalog aufstellen, denen die Partner des eigenen Kindes dann bitte genügen sollen. So eine Art Checkliste mit Häkchen: Die Nationalität, die Religion, das Einkommen, der Bildungsstand. Das widerspreche nicht nur der Selbstbestimmung des Individuums(², sondern wäre auch aus psychologischen Gründen falsch. Man gestattet dem eigenen Nachwuchs niemals, in einer so wichtigen Angelegenheit eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Wenn man selbst in einer so arrangierten Ehe feststeckt, mag es irgendwie tröstlich sein, seine Vorstellungen wenigstens bei der Partnerwahl seines Kindes zum Ausdruck zu bringen. Doch damit pflanzt sich diese Form der Unterdrückung nur immer in die nächste Generation fort! In dem Zeit-Online-Artikel ist aber ganz klar die Rede davon, dass die Frau nicht völlig aus freien Stücken heraus ihren Partner wählt. Ihre Eltern kontrollieren sie telefonisch, Freunde der Eltern verschaffen sich Zugang zu ihrer Wohnung usw. Im Gegenteil, der Artikel gibt diverse Anhaltspunkte dafür, dass die Frau auch ohne Konvertierung Hals über Kopf in den Mann verliebt ist und nicht will, dass die Beziehung an den Eltern scheitert. Legt man den Text zugrunde, dann hat die Frau kein Problem mit ihren Geliebten, sondern sie hat ein Problem damit, dass ihre Eltern ein Problem mit ihn haben. Es ist ein großer Unterschied zwischen "ich liebe dich ja, aber mir wäre es lieber, wenn du zu meiner Religion konvertierst" (³ und "ich liebe dich ja, aber meine Eltern...". Dazwischen liegen Welten.
Ich denke, es ist auch eine Frage der Kultur. Um obiges Beispiel aufzugreifen: Wenn die Eltern den Kontakt mit dem Kind wegen der Wahl des Ehepartners abbrechen, so ist das tragisch und sicherlich auch zweifelhaft. Aber das restliche, normale Umfeld des Kindes bleibt ihn erhalten. Die Freunde, ja oft selbst die Geschwister, wenden sich nicht plötzlich von einem ab und man ist nicht völlig isoliert. In der Mehrheitsgesellschaft wird man dadurch nicht zur "gefallenen Frau" oder muss sich verstecken. Man verliert nur möglicherweise Erbansprüche, doch selbst da hat das Gesetz gewisse Schranken gesetzt, und hat mit den emotionalen Folgen zu kämpfen. Die Zustände die im Artikel beschrieben werden gleichen dem nicht. Hier haben wir es offenbar mit einer Mentalität zu tun, die der Tochter bestimmte Vorstellungen bei der Partnerwahl aufzwingen.
Natürlich wäre ein staatlicher Eingriff hier fehl am Platze. Es ist eine Sache der Kultur. Es reicht aber schon, wenn sich der Staat neutral verhält und aufmüpfige junge Frauen und Männer vor Erpressung und Gewalt (etwa durch große Brüder) schützt. Die Freiheit, Aufmüpfig zu sein, müssen sie sich schon selbst nehmen. Vorher müssen sie die aber auch erst kennen lernen.
¹: Um das Vorwegzunehmen. Für diese Doppelmoral mag es verhaltensbiologisch/evolutionspsychologisch nachvollziehbare Erklärungen geben. Doch sie rechtfertigen die Ungleichbehandlung nicht und tun daher hier nichts zur Sache. ²: Das ist ein Wert, der den Liberalen heilig sein sollte. Das aufgeklärte Individuum, das seine Entscheidungen selbst trifft, dies ist das liberale Ideal, das mich für sich einnehmen konnte. ³: Wie würde das Forum es eigentlich finden, wenn die Frau stattdessen verlangen würde "Ich kann dich nur lieben, wenn du die Energiewende unterstützt und zu diesen oder jenen Demos mitgehst"? Im traditionellen Verständnis gehen die religiösen Überzeugungen sogar noch viel, viel tiefer als politischen Meinungen.
Zitat aus dem Artikel: "'Ich heirate eine Familie' hieß das vermutlich erste matrimoniale Patchwork-Experiment im deutschen Unterhaltungsfernsehen, damals in den 1980er-Jahren, in die nach Ansicht des hiesigen Qualitätsjournalismus das dem Rechtspopulismus nahestehende Bevölkerungssegment wieder zurückmöchte."
Das mag so sein oder auch nicht so sein. Die Linken wollen in großer Zahlen jedenfalls auch zurück in die (im Rückschau) wohligen Sozialstaaten der 70er Jahre, ohne den Konkurrenzdruck der Globalisierung und die Entwicklungen durch die moderne Technik, wo es noch "sozial gerecht" zuging.
Dass man die Nostalgie hartnäckig nur auf einer Seite des politischen Spektrums sucht, ist ein Irrtum.
Zitat aus dem Artikel: "Der Text zeigt in erschreckender Art und Weise auf, dass seit den 1980er-Jahren im linksliberalen Milieu ziemlich viel in die falsche Richtung gegangen ist."
Naja, aus Liebe oder zu Heiratszwecken zu konvertieren ist eigentlich relativ normal, wenn ich mich umhöre. Jedenfalls sofern eine andere Religion nicht als Ehehindernis begriffen wird, was mir bei Europäern so gut wie nie begegnet ist. Dass beide Seiten ihre abweichenden religiösen Vorstellungen beiseite lassen und so eine Familie gründen mag man für eine fortschrittliche Idee halten. Man entkommt der Frage, wie das Kind erzogen werden soll damit allerdings nicht. Wenn das eine Elternteil dann eine religiöse Erziehung wünscht (oder eine dezidiert areligiöse, das kommt bei manchen Konfessionslosen auch mal vor), während das andere das Thema Religion vielleicht am Liebsten ganz vom Kind weghalten will, bis es alt genug dafür ist ("es soll selbst eine Entscheidung treffen, wenn es reif genug dafür ist"), stehen Probleme ins Haus. Die "gutbürgerliche Lösung", sich auf eine "Hausreligion" für die gemeinsame Familie zu einigen scheint mir da ein möglicher Ausweg.
Ein anderes Problem liegt wohl in der konkreten Religion. Der Islam duldet, wenn ein muslimischer Mann eine Christin heiratet. Umgekehrt aber eher nicht, vielleicht mit Ausnahme einiger liberalerer Interpretationen in einigen Gebieten wie z. B. im Balkan. Wobei Tunesien meines Wissens noch zu den liberaleren Gebieten zählt.
Zitat aus dem Artikel: "Alles fängt so an, wie heutzutage Zwischenmenschliches wohl zu beginnen hat, nämlich über die Kennenlern-App Tinder."
Ich sehe das Problem aus liberaler Sicht nicht. Es gibt auch keine Debütantinnenbälle mehr. Ob man sich jetzt in der Disko kennengelernt hat, am Arbeitsplatz oder per Online-App ist am Ende doch egal. Klar, die Liebe auf den ersten Blick ist etwas anderes...
Zitat aus dem Artikel: "Und auch sonst ist Nedia genau die Muslimin, wie sie sich der linksliberale Europäer wünscht: schon religiös (denn Distanz zum islamischen Glauben macht verdächtig), aber nicht fundamentalistisch."
Wünschen sich linksliberale das so? Oder führen sie solche Gläubigen nur gerne als positives Beispiel an?
Was allerdings auffällt, die im Wesentlichen säkularen muslimischen Frauen mit eher westlichen Lebensstil kommen nie deshalb in die Nachrichten. Dabei gibt es sie und es ist eigentlich eine Schande, dass sie in den Medien mitbekommen, wenn über sie gesprochen wird, dann nur über den Aspekt der Religion. Sie werden also auf dieses Thema reduziert, obwohl es in ihren Leben keine so große Rolle spielt.
Zitat aus dem Artikel: "Schon bei der zweiten Verabredung muss sich Niklas länger als eine halbe Stunde lautlos gedulden, während Nedia mit ihren Eltern telefoniert, die ihr dann auch noch einen Bekannten in die Wohnung schicken, weil Töchterchen ein Wochenende lang nicht erreichbar war.[...]Es ist der Weg der Kapitulation vor all dem, gegen das Linksliberale in Europa noch vor fünfzig Jahren aufgestanden sind."
Wenn ich mir sowas bei einer deutschen Frau vorstelle, würde man sie ganz klar für unterdrückt halten, ihr Frauenhaus und Therapie empfehlen. Zumal dieser Bekannte sich den Schlüssel vom Hausmeister geben ließ!
Komischerweise wird hier allerdings nicht zum Kampf für die Emanzipation gerufen, sondern es wird einfach akzeptiert. Wo also bei Europäern sogar der freiwillig gewählte Lebensstil Gegenstand der Kritik wird (durch Erziehung und Umwelt wurde etwas falsches vorgelebt), werden dort sogar deutliche Anzeichen von Einwirkung von Außen einfach als Teil einer anderen Kultur anerkannt. Somit hätte eine Nedia mit deutschem Freund, die einfach nur mit ihn Zusammensein will ohne dafür ihre Familie um Erlaubnis zu fragen, keine Lobby!
Hallo Llarian, ich glaube, Sie sehen das Problem hier auf einer falschen Ebene. Diese Sache hat nämlich zwei "Ebenen": 1. Die persönliche Ebene, in der ein Paar inmitten aller gesellschaftlicher, rechtlicher und sonstiger Hindernisse versucht sein Glück zu finden. Die alte Geschichte, Romeo und Julia usw. Auf dieser Ebene hat das Paar eine für es tragbare Lösung gefunden und ich wünsche ihm von Herzen, dass es damit glücklich wird. 2. Die gesellschaftlich-kulturelle Ebene. Hier stellt sich nämlich die Frage, wieso man diese Hindernisse überhaupt braucht. Liberalismus heißt ja nicht nur, dass die Staatsquote möglichst niedrig ist. Die Freiheit eines Menschen kann auch durch kulturelle Denkverbote und Tabus beschränkt werden. Es gibt auch so etwas wie eine "geistige Freiheit" und sie muss ebenfalls verteidigt werden.
Nehmen wir doch mal an, die Frau wäre in einer fundamentalistischen christlichen Sekte (oder die Familie der Frau hätte sonst ein Problem mit den Geliebten) und würde sich dabei in einen Mann aus der säkularen "Außenwelt" verlieben. Dann wäre der Artikel bestimmt von der religiösen Intoleranz dieser Sekte handeln, die den Glück der Verliebten im Wege steht, indem die Freiheit der Frau, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, beschränkt wird. Man würde der Frau wahrscheinlich raten, sich von der Familie, die sie kontrolliert, zu befreien und selbst über ihr Leben zu bestimmen.
Das, was im Westen also berechtigterweise als Mangel an Emanzipation aufgefasst wird, wird bei der vermeintlich fremden Kultur einfach als Eigenart toleriert.
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