Zitat von DrNick im Beitrag #22
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Grundsätzlich ist der Gedanken zwar korrekt, es gibt aber einen kleinen Fehler: Auch die empirische Sozialforschung bildet die wahrnehmbare Realität nicht unbedingt präzise ab.
Das aus unter anderen folgenden Gründen:
- Die empirische Sozialforschung kostet Geld. Sie muss finanziert werden. In unserem derzeitigen System kann dieses Geld vor allen Dingen vom Staat (und semi-staatlichen Akteuren) oder von Unternehmen kommen. Die Unternehmen werden wahrscheinlich solche Forschung bevorzugen, die sich entweder als Werbung verwenden lässt ("Wir helfen...") oder die dabei hilft, besseres Marketing zu machen.
In den USA ist das vielleicht wegen der relativ unabhängigen Elite-Unis nicht so akut wie hier.
- Die empirische Sozialforschung muss sich natürlich auch den sittlichen Vorstellungen der Gesellschaft, in der sie betrieben wird, anpassen. Da sind bestimmte Fragestellungen oder Themenkomplexe wahrscheinlich pauschal erst Mal unerwünscht oder es gibt einen hohen Erwartungsdruck, "die Wahrheit" zu beweisen. Ich lass vor einigen Monaten mal einen Text darüber, wie schwer es im 18. und 19. Jahrhundert im Bereich der Theologie war, eine "historisch-kritische Methode" zu etablieren.
Zu so einer Art von Forschung gehört nicht nur ein gewisser Scharfsinn, Intelligenz oder sogar Genie, sondern auch Mut und die "innere Freiheit" (so will ich es mal nennen) unabhängig zu denken.
- Liegt die Sozialforschung aufgrund von grundsätzliche methodischen Problemen, die sich bei jeder Wissenschaft über den Menschen einstellen, gerne mal daneben.
Ich kann mir daher schon denken, dass ein Korrespondent, der sich im Land wirklich auskennt, den Leser ein treffenderes Bild vermitteln kann als viele sich widersprechende Studien der empirischen Sozialforschung es tun.
Für einige soziale Milieus in meiner Heimatstadt könnte sogar ich das tun.
Voraussetzung dafür ist aber, dass der Korrespondent die Orte auch tatsächlich kennt, die er beschreibt und nicht nur als Tourist durchreist und die Landschaft genießt und dass dieser ehrlich ist.
Dafür muss man auch viel mit Einheimischen reden, eine gewisse Vertrauensbasis aufbauen, was in den USA einfacher sein dürfte als in eher verschlossenen Ländern. Es ist wahrscheinlich auch hilfreich, sich zur Feier eines Ereignisses einfach mal zusammen mit den Einheimischen in eine Bar zu setzen und sich volllaufen zu lassen.
Wer aber natürlich von vornherein weiß, dass Trumps Amerika fürchterlich sein muss und nicht im Traum daran glaubt, dies entschuldigen zu können, der wird keine erhellenden Momente mitteilen können.
Achso, bevor ich schließe, die "nicht empirische" Sozialforschung wie sie etwa Adorno oder die diversen "kritischen Soziologen", "Psychologen" usw. betrieben, führt selbstredend auch nicht zu gesicherteren Erkenntnissen. Nicht das alles, was diese Leute schreiben, falsch wäre, aber die Rechtfertigung lässt eben Raum für Zweifel.