geht es dir auch so? Mein Eindruck ist, daß wir in dieser Diskussion, die ich sehr ergiebig fand, uns jetzt dem Punkt nähern, wo jeder die Auffassung des anderen verstanden hat.
Wobei wir freilich wieder bei der Problematik des "Verstehens" sind, worüber die Hermeneutiker sich ja sozusagen professionell den Kopf zerbrechen.
Der Punkt, an dem ich mit dem Verständnis deiner Position noch Schwierigkeiten habe, betrifft die Analogie zum Lesen eines Romans.
Wer einen Roman liest, der geht in der Regel - wenn es sich nicht gerade um einen Schlüsselroman handelt - davon aus, daß es sich um das handelt, was man heute gern "Fiktion" nennt; also um etwas Erdachtes.
Man läßt sich auf das Lesemodell ein, Erdachtes als Reales zu betrachten, um des Lesegenusses willen. Man läßt sich in Welten sozusagen entführen, von denen man natürlich weiß, daß sie nicht real sind.
Es fällt mir nicht schwer, die Bibel - nicht nur das NT - so zu lesen. Es sind ja tolle Geschichten im AT, es sind eindrucksvolle Texte im NT, die von einem großen moralischen Neuerer handeln, die das Motiv des guten Menschen entfalten, der für seine Sache in den Tod geht.
Das ist anrührend, und es gibt mir als Leser Stoff zur Reflexion, zumal mit diesen Texten ja Kindheitserinnerungen, Jugenderinnerungen verbunden sind.
Aber ist das wirklich die Lesehaltung, das Lesemodell, mit dem "der" Christ an die Bibel herangeht? Ich meine, wenn du die Analogie zum Roman eingeführt hast, dann muß doch noch etwas nachkommen.
Die Trennung zwischen fiction und nonficition ist ja etwas relativ Neues. In der Antike weitgehend unbekannt; Herodot zB beginnt mit wilden Mythen und geht dann zur, wir würden sagen, jüngeren Geschichte über, die er sachlich schildert. Wenn Platon von Atlantis berichtet - wollte er dann als Geschichtsschreiber verstanden werden oder als philosophischer Erzähler?
Die Frage nach der Realität des Geschilderten wurde sozusagen ausgeklammert; ich weiß gar nicht mal, ob sie von jedem antiken Autor verstanden worden wäre. So wenig, wie diejenigen, die dem Nibelungenlied lauschten, sich gefragt haben dürften: Ja, war das denn alles nun wirklich so?
Bis ins 19. Jahrhundert wurde ja oft vom Autor so getan, als erzähle er Reales. Beim "Robinson Crusoe" geht das hin bis zu langen Listen von aus dem Wrack gerettetem Gut und sonstigen Details, die in einem Roman eigentlich keinen Sinn machen, die aber Realität suggerieren.
In Kleists "Berliner Abendblättern" sind überwiegend ganz normale Zeitungsmeldungen abgedruckt, dazwischen aber auch Erzählungen Kleists, von denen keineswegs sofort ersichtlich ist, daß es sich um Fiktion handelt.
Oft bediente sich ein Autor auch der bekannten Geschichten von aufgefundenen Dokumenten usw.; die "Insel Felsenburg" ist ein Beispiel, viele Texte der Romantiker.
Die strenge, uns so selbstverständliche Trennung zwischen Fiktion und Dokumentation ist, soweit ich sehe, ein Kind der Aufklärung, vor allem des 19. Jahrhunderts und hat sich erst mit dem Siegeszug der Wissenschaften so durchgesetzt, daß sie uns heute trivial erscheint.
Aber wir haben sie nun einmal - und deshalb habe ich das im vorausgehenden Beitrag geschilderte Problem mit deiner Roman-Analogie.
Das als Ergänzung; mal wieder länger geworden, als ich wollte.
Was die Romananalogie angeht, muss ich aber vielleicht doch nochmal etwas ausholen...
Obwohl die Existenz der historischen Person Jesus nicht hundertprozentig bewiesen ist (wie die individuelle Existenz praktisch aller seiner Zeitgenossen...), geht man heute meist davon aus, dass es ihn wohl tatsächlich gegeben hat. Von dem Punkt aus aber gehen Glaubender und Nichtglaubender unterschiedliche Wege. So auch bei der Lektüre der Evangelien.
Für uns Christen ist es selbstverständlich, dass die Evangelien "wahr" sind. Damit ist nicht zwingend historische Wahrheit gemeint, sondern die Wahrheit der Botschaft. Mögen die einen nachweisen, dass es "die" Bergpredigt wohl so nicht gegeben hat oder dass der Kindermord des Herodes nie stattgefunden hat - das ist für Christen im Grunde irrelevant, so lange sie die Botschaft dahinter erkennen können. Es ist für uns also zweitrangig, ob die Worte der Bergpredigt tatsächlich in dem Zusammenhang gefallen sind, in den sie im NT gestellt werden. Wichtig ist uns vielmehr, dass in ihnen die Botschaft zum Ausdruck kommt, die Jesus verkündet hat.
Das kann man jetzt wieder als Nichtglaubender bezweifeln und z.B. in der "nachösterlichen Redaktion" Verfälschungen vermuten. Gerne. Aber auch das ist letztlich eine gehobene Form der Spekulation. Ich jedenfalls glaube daran, dass die Worte wahr sind.
Meine Romananalogie ist daher eine Einladung an die Nichtglaubenden. Wenn ihr das NT so lest wie einen Roman, versteht ihr besser, was wir unter der christlichen Botschaft verstehen. Bei uns ist das mit Glauben unterlegt, aber man kann den Inhalt eben auch anders erfassen, ohne den Glauben mitzubringen. Die Botschaft, die in den Texten zum Ausdruck kommt, ist m.E. erkennbar in sich schlüssig und bedarf keiner zusätzlichen externen Interpretationshilfen. Wie bei einem Roman eben, wo man auch zur Interpretation versuchen kann, die Lebensumstände des Autors zum Zeitpunkt der Niederschrift zu ergründen, dabei aber wahrscheinlich ebenso den Reichtum des Werkes selbst mutwillig eingrenzt.
Danke für deinen Hinweis auf die Geschichte der Trennung von "Fiction" und "Non-Fiction". Ich glaube (hier im Sinne von "I think"...), er liefert einen wichtigen Hinweis darauf, wie ältere Texte, also eben auch die Evangelien, gelesen werden müssen.
Was das Buch von Ratzinger angeht: Nun, höchstwahrscheinlich bist du nicht die Zielgruppe. Ich möchte da aber doch noch darauf hinweisen, dass Ratzinger in dem Buch nicht nur nicht "ex cathedra" spricht, sondern auch explizit das Recht auf Widerspruch für sich (im Sinne von: "gegen" sich) in Anspruch nimmt. Das heißt, alle Thesen in seinem Buch sind nicht katholische Lehre, sondern Reflektionen und Thesen des Joseph Ratzinger. Warum er da dann unbedingt zwischen theologischer Deutung und historischer Meinung trennen soll, verstehe ich nicht.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonObwohl die Existenz der historischen Person Jesus nicht hundertprozentig bewiesen ist (wie die individuelle Existenz praktisch aller seiner Zeitgenossen...), geht man heute meist davon aus, dass es ihn wohl tatsächlich gegeben hat.
Ja, das habe ich eigentlich bisher auch vorausgesetzt. Meines Wissens gibt es auch ein paar allerdings magere außerbiblische Quellen darüber, daß um diese Zeit in Galiläa ein Wanderprediger aufgetreten ist.
Zitat von RaysonFür uns Christen ist es selbstverständlich, dass die Evangelien "wahr" sind. Damit ist nicht zwingend historische Wahrheit gemeint, sondern die Wahrheit der Botschaft.
Ja, das ist es, was ich aus dieser Diskussion gelernt habe. Aber so recht einleuchten will es mir immer noch nicht.
Vielleicht liegt es an meiner lutherischen Sozialisation. Da stand immer im Mittelpunkt, daß Jesus wirklich für uns gestorben, daß er wirklich auferstanden ist. Da ging es nicht um eine Botschaft, sondern buchstäblich um Leben und Tod. So sah es Luther wohl wirklich.
Wäre er nicht wirklich gestorben und auferstanden, dann wäre unser ganzer Glaube vergeblich - so ungefähr wurde es uns Konfirmanden buchstäblich eingetrichtert.
Überhaupt hätte ich nicht gedacht, daß für dich als Christen der, sagen wir, ethische Aspekt eine so große Rolle spielt - diese Ethik des Den-Mitmenschen-Liebens. Man kann sie doch gut auch haben, ohne Christ zu sein, oder nicht?
Das Christentum, das ich als Kind und Jugendlicher kennengelernt habe, kreiste nicht um Ethik, sondern um Erlösung: Wir sind Sünder, wie können wir damit leben? Antwort: Aus uns heraus gar nicht. Nur, weil Gott sich unserer erbarmt, weil er diesen Wahnsinnsakt begangen hat, sich in einen Menschen zu verwandeln, nur damit er gequält und ermordet werden kann - nur deshalb sind wir errettet.
Ich weiß, lieber Rayson, das habe ich schon am Anfang unserer Diskussion geschrieben. Jetzt, wo sie sich wohl allmählich ihrem Ende nähert, fällt mir auf, wie wenig du auf diesen Aspekt eingegangen bist.
Liegt's daran, daß das Paulus ist und Luther, und daß diese ganze Christologie in deiner Sicht gar nicht zentral für das Christsein ist?
die Diskussion fing an mit der Frage, wie die Bergpredigt zu verstehen sei. Es ist klar, dass dann die Fragen der Botschaft im Mittelpunkt stehen. Und meine Absicht war es ja nicht, meinen Glauben zu verkünden, sondern zu zeigen, dass die Botschaft selbst auch ohne Glaubensinput gelesen und verstanden werden kann.
Wie ich an anderer Stelle schon sagte: Was Glaube ist, steht im Apostolischen Glaubensbekenntnis.
Eins sollten wir bei aller paulinischen Christologie nicht vergessen: Der Jesus der Evangelien hat die Erlösungshoffnung, die er durch seine Worte und Taten verbreitet hat, ja nicht unter Vorbehalt gestellt nach dem Motto "Das gilt alles erst, wenn ich gekreuzigt sein werde". Es ist also nicht die Auferstehung allein, die dem Menschen Hoffnung gibt, sondern es ist vor allem und zuerst die Liebe Gottes. Tod und Auferstehung Jesu würde ich eher als die großartigste und beeindruckendste Art und Weise sehen, mit der Gott diese Liebe zum Ausdruck bringen konnte.
Zitat von ZettelÜberhaupt hätte ich nicht gedacht, daß für dich als Christen der, sagen wir, ethische Aspekt eine so große Rolle spielt - diese Ethik des Den-Mitmenschen-Liebens. Man kann sie doch gut auch haben, ohne Christ zu sein, oder nicht?
Als Christ ist diese Ethik eine Konsequenz der Liebe Gottes. Geht es dir nicht auch so, dass die eigene Liebe durch das Bewusstsein gestärkt wird, selbst geliebt zu werden? Als Nichtglaubender kann ich eine solche Ethik vielleicht irgendwie ableiten, aber kann ich sie auch fühlen? Zumal jede Ethik, die wir uns selbst aufstellen, immer relativ sein muss.
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wie schon angedeutet, könnte ich mir denken, daß wir allmählich auf den Abschluß dieser Diskussion zusteuern. Da es - aus meiner Sicht - eine schöne Diskussion war, will ich da aber nicht vorgreifen, sondern vorerst nur auf zwei Teilthemen eingehen, die du zuletzt angeschnitten hast:
Zitat von RaysonEins sollten wir bei aller paulinischen Christologie nicht vergessen: Der Jesus der Evangelien hat die Erlösungshoffnung, die er durch seine Worte und Taten verbreitet hat, ja nicht unter Vorbehalt gestellt nach dem Motto "Das gilt alles erst, wenn ich gekreuzigt sein werde". Es ist also nicht die Auferstehung allein, die dem Menschen Hoffnung gibt, sondern es ist vor allem und zuerst die Liebe Gottes. Tod und Auferstehung Jesu würde ich eher als die großartigste und beeindruckendste Art und Weise sehen, mit der Gott diese Liebe zum Ausdruck bringen konnte.
Das ist ein spannender Punkt. Nur bin ich nicht sicher, ob ich ihn diskutieren sollte, mangels theologischer Kenntnisse. Also, nur so naiv, wie ich darin nun einmal bin, instruiert nur in meiner Jugend:
So, wie ich damals Paulus und Luther, oder Paulus aus Luthers Sicht, verstanden habe, hätte der Glaube überhaupt keine Grundlage ohne den Kreuzestod. Denn der Glaube besteht in der Zuversicht, daß Gott unsere Sünden auf sich genommen hat. Und das hat er durch seinen Kreuzestod getan.
Ohne die Kreuzigung - so ähnlich haben es uns damals gleich zwei Pfarrer erklärt, einer wurde später ein ganz bekannter Theologe - wäre Jesus nur ein Wanderprediger gewesen, der, wie Buddha, das Gute lehrte. Erst durch den Kreuzestod wurde er zum Erlöser.
Von Liebe, lieber Rayson, war da wenig die Rede. Mein Konfirmationsspruch (den der Pfarrer für mich, wie er sagte, ausgesucht hatte, weil ich als ein kleines Gedächtniswunder galt und er mir deshalb was zum Lernen geben wollte) lautete: "Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Lieblichkeit, Freundlichkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit". So jedenfalls habe ich es in meinem wunderlichen Gedächtnis gespeichert. .
Die Liebe also als eine von einer ganzen Reihe von Tugenden, die aus dem "Geist" entspringen, wenn auch an erster Stelle genannt. (Wo der Spruch steht, weiß ich gar nicht).
Zitat von Rayson
Zitat von ZettelÜberhaupt hätte ich nicht gedacht, daß für dich als Christen der, sagen wir, ethische Aspekt eine so große Rolle spielt - diese Ethik des Den-Mitmenschen-Liebens. Man kann sie doch gut auch haben, ohne Christ zu sein, oder nicht?
Als Christ ist diese Ethik eine Konsequenz der Liebe Gottes. Geht es dir nicht auch so, dass die eigene Liebe durch das Bewusstsein gestärkt wird, selbst geliebt zu werden? Als Nichtglaubender kann ich eine solche Ethik vielleicht irgendwie ableiten, aber kann ich sie auch fühlen? Zumal jede Ethik, die wir uns selbst aufstellen, immer relativ sein muss.
Aus meiner Sicht, lieber Rayson, gibt es viele Quellen von Ethik. Liebe ist für mich nicht darunter, wohl aber Mitleid.
Meine Ethik ist eine vielleicht etwas eigenwillige Mischung aus der Kant'schen Ethik, die im Grunde ethisches Verhalten als Voraussetzung für erfolgreiches menschliches Zusammenleben sieht (das ist aus meiner Sicht der eigentliche Inhalt des kategorischen Imperativs) und der Mitleids-Ethik von Schopenhauer.
Evolutionsbiologisch gesehen sind das zwei Aspekte desselben Sachverhalts: Wir "müssen" uns ethisch verhalten, weil sonst unsere Spezies längst ausgestorben wäre; das ist der funktionelle, der Kant'sche Aspekt. Und wie alles Sozialverhalten hat dieses ethische Verhalten seine emotionalen, subjektiven Aspekte: Darunter das Mitglied. Aber freilich auch die Furcht des Herrn.
ich bin ja auch alles andere als ein Theologe. Es fehlte uns also ein solcher im Bunde. Aber es ist eben Konsequenz dessen, was ich vorher geschildert habe, nämlich die Texte aus sich heraus zu lesen, dass ich zu solchen Schlüssen komme. Es ist doch so: Wenn tatsächlich der Kreuzestod das wäre, worauf es allein ankommt, dann wären alle Jesus-Worte vorher unmaßgeblich. Wenn ihn einer gefragt hat, wie er gerettet werden kann, dann sind jedenfalls keine Worte überliefert wie: "Bevor ich nicht gekreuzigt wurde, hast du keine Chance", sondern im Gegenteil: Ein "folge mir nach" hat zumindest aus Sicht des Jesus der Evangelien anscheinend gereicht (siehe die Geschichte mit dem Kamel und dem Nadelöhr). Ich finde es ja großartig, wenn Paulus das Problem der Erbsünde durch den Kreuzestod gelöst sieht, aber ich kann nicht erkennen, dass dieses Problem eins gewesen wäre, dass Jesus selbst besonders beschäftigt hätte. Der gute, hochgebildete Paulus neigt für meinen Geschmack manchmal etwas zu sehr dazu, Probleme zu lösen, die es ohne ihn vielleicht nicht gegeben hätte...
Warum ich die Liebe in den Vordergrund stelle, hatte ich schon einmal angedeutet. Da wäre zum einen Jesus selbst in der Einleitung zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,25-28):
In Antwort auf:Da stand ein Schriftgelehrter auf, um Jesus eine Falle zu stellen. "Lehrer", fragte er scheinheilig, "was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?" Jesus erwiderte: "Was steht denn darüber im Gesetz Gottes? Was liest du dort?" Der Schriftgelehrte antwortete: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand. Und auch deinen Mitmenschen sollst du so lieben wie dich selbst." "Richtig!", erwiderte Jesus. "Tu das, und du wirst ewig leben."
Klarer geht es eigentlich kaum noch, oder?
Oder Paulus selbst, dem wir diese Sündentheologie zu verdanken haben, in Römer 13, 8-10:
In Antwort auf:Bleibt keinem etwas schuldig! Eine Verpflichtung allerdings könnt ihr nie ein für alle Mal erfüllen: eure Liebe untereinander. Nur wer seine Mitmenschen liebt, der hat Gottes Gesetz erfüllt. Die Gebote: "Du sollst nicht die Ehe brechen" du sollst nicht töten" du sollst nicht stehlen" begehre nicht, was anderen gehört" und alle anderen Gebote lassen sich in einem Satz zusammenfassen: "Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst." Denn wer seinen Mitmenschen liebt, tut ihm nichts Böses. So wird durch die Liebe das ganze Gesetz erfüllt.
Erbsünde hin, Kreuzestod her: Der ethische Appell kommt mir da doch ziemlich eindeutig rüber.
Mir ist bekannt, dass Ethiken auch anders begründet werden. Aber als alten Ökonomen überzeugt mich z.B. eine Ethik nicht, die davon ausgeht, dass ein Einzelner etwas tut, nur um vielleicht das Überleben seiner Spezies sicherzustellen, obwohl es auf das Verhalten des Einzelnen eben doch gar nicht ankommt. Damit will ich nicht sagen, dass Menschen nicht grundsätzlich so denken können. Täten sie es nicht, dürfte keiner mehr zu einer Wahl gehen. Obwohl: Sehr viele tun es ja tatsächlich auch nicht... Aber ein neues Fass wollte ich damit jetzt wirklich nicht aufmachen, wo wir doch so knapp vor dem Ende der Diskussion stehen ;-)
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
zuerst ein Nachtrag. Ich habe jetzt nachgesehen, wo mein Konfirmationsspruch steht und ob ich ihn überhaupt richtig in Erinnerung hatte. Er steht in Galater 5,22. Und ob ich ihn richtig zitiert hatte, kann, wen es interessiert, hier ermitteln, wo etwas sehr Interessantes zu finden ist: Diverse Bibelübersetzungen im Vergleich.
Zitat von RaysonIch finde es ja großartig, wenn Paulus das Problem der Erbsünde durch den Kreuzestod gelöst sieht, aber ich kann nicht erkennen, dass dieses Problem eins gewesen wäre, dass Jesus selbst besonders beschäftigt hätte. Der gute, hochgebildete Paulus neigt für meinen Geschmack manchmal etwas zu sehr dazu, Probleme zu lösen, die es ohne ihn vielleicht nicht gegeben hätte...
Da sind wir, lieber Rayson, irgendwie wieder in einer Schleife angekommen. Wen meinst du mit "Jesus selbst"? Eine historische Gestalt, von der wir nicht mehr wissen, als daß sie wahrscheinlich gegeben hat; als einen Wanderprediger, der vermutlich wegen seiner unbotmäßigen Reden hingerichtet wurde?
Oder meinst du den Jesus der Synoptiker? Aber ist der denn historischer als der, den Paulus vermittelt? Wenn ich das richtig gelesen habe und erinnere, sind ja vermutlich die Paulus-Briefe älter als die Evangelien.
Meine naive Vorstellung als Laie und Agnostiker ist, daß dieser Wanderprediger nicht im Traum damit gerechnet hat, hingerichtet zu werden, und daß sein Tod überhaupt keine Rolle für seine Lehre spielte. So wenig, wie er - denke ich mir als Laie - irgendwie versucht hat, in seinen Reden und seinen Taten (Einzug nach Jerusalem auf einem Esel usw.) Anspielungen an die Heiligen Schriften unterzubringen.
Das, so vermute ich, naiv und unwissenschaftlich, sind alles spätere Zusätze von Autoren, die aus dem Leben, den überlieferten Lehren und dem Tod dieses Wandepredigers eine Christologie zimmerten - vom Messias, der das Gesetz erfüllt, vom Gott, der auf die Erde gestiegen ist, vom Gott gar, der sich für die Menschen geopfert hat.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgend etwas davon diesem Wanderprediger jemals in den Sinn gekommen ist. Er hätte, denke ich mir, ungläubig geguckt, wenn man ihn mit solchen Lehren über ihn konfrontiert hätte. (Entschuldige, lieber Rayson, die vielen Einschübe à la "vermute ich"; du merkst daran, wie unwohl es mir dabei ist, über etwas zu schreiben, wovon ich so wenig verstehe. Aber es reizt mich andereseits schon, sonst täte ich es ja nicht ).
Zitat von RaysonOder Paulus selbst, dem wir diese Sündentheologie zu verdanken haben, in Römer 13, 8-10:
In Antwort auf:Bleibt keinem etwas schuldig! Eine Verpflichtung allerdings könnt ihr nie ein für alle Mal erfüllen: eure Liebe untereinander. Nur wer seine Mitmenschen liebt, der hat Gottes Gesetz erfüllt. Die Gebote: "Du sollst nicht die Ehe brechen" du sollst nicht töten" du sollst nicht stehlen" begehre nicht, was anderen gehört" und alle anderen Gebote lassen sich in einem Satz zusammenfassen: "Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst." Denn wer seinen Mitmenschen liebt, tut ihm nichts Böses. So wird durch die Liebe das ganze Gesetz erfüllt.
Eine schöne Ethik. Wobei ich das "schön" - siehe unten - durchaus ambivalent meine.
Aber ist das eine Religion? Ich komme halt immer wieder zu dem Christentum zurück, das ich als Kind und Jugendlicher kennengelernt habe. Da spielte diese Ethik der Liebe so gut wie keine Rolle; ich glaube auch nicht, daß sie für Luther eine große Rolle gespielt hat. Religion - da geht es um Gott, um Sünde und Gerechtigkeit, um Hölle und Seligkeit, um Verdammnis und Erlösung. Da geht es - so habe ich es damals aufgenommen - um das wirklich Wichtige. Nicht um so etwas dagegen ganz Nachrangiges wie den Umgang mit anderen Menschen. Wie dieser aussehen sollte, das ist Ethik, aber nicht Religion.
Zitat von RaysonAber als alten Ökonomen überzeugt mich z.B. eine Ethik nicht, die davon ausgeht, dass ein Einzelner etwas tut, nur um vielleicht das Überleben seiner Spezies sicherzustellen, obwohl es auf das Verhalten des Einzelnen eben doch gar nicht ankommt. (...) Aber ein neues Fass wollte ich damit jetzt wirklich nicht aufmachen, wo wir doch so knapp vor dem Ende der Diskussion stehen ;-)
Warum dieses andere Faß nicht aufmachen?
Das Ende der jetzigen Diskussion scheint mir sich abzuzeichnen, weil ich merke, wie jedenfalls ich die Argumente zu wiederholen beginne. Aber Ethik, das wäre ja ein anderes Thema.
Zitat von ZettelOder meinst du den Jesus der Synoptiker? Aber ist der denn historischer als der, den Paulus vermittelt? Wenn ich das richtig gelesen habe und erinnere, sind ja vermutlich die Paulus-Briefe älter als die Evangelien.
Ersteres meinte ich, und Letzteres ist wohl der Fall. Aber Paulus ist noch viel weniger Historiker als seine Kollegen Synoptiker. Paulus steckt mittendrin, der predigt und legt aus. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass er sich durchgehend auf Jesus-Worte bezöge. Seine Theologie, die entwickelt er auch ganz gerne für sich selbst, und entweder glaubt man, da habe der Heilige Geist mitgeholfen, oder man glaubt es nicht.
Lieber Zettel, da es in diesem Leben die freie Entscheidung gibt, nicht zu glauben, kann sich auch jeder die damalige Situation so zurechtvermuten, dass er nicht vor das Problem gestellt wird, widerwillig doch glauben zu müssen. Ich halte das für eine vernünftige Einrichtung
Zitat von ZettelReligion - da geht es um Gott, um Sünde und Gerechtigkeit, um Hölle und Seligkeit, um Verdammnis und Erlösung. Da geht es - so habe ich es damals aufgenommen - um das wirklich Wichtige. Nicht um so etwas dagegen ganz Nachrangiges wie den Umgang mit anderen Menschen. Wie dieser aussehen sollte, das ist Ethik, aber nicht Religion.
Das "wirklich Wichtige" - da frage ich mich doch glatt, wer denn da immer so hartnäckig das NT gegen seinen Wortlaut auslegen wollte ? Oder sollte die Kamera von Evangelium TV etwa fieserweise immer dann Bildstörung gehabt haben, wenn Jesus sich gerade lang und breit über diese Dinge ausgelassen hat, so dass bei uns der fälschliche Eindruck entstehen muss, er habe seinen Schwerpunkt ganz woanders gesehen? Natürlich geht es um Gott: Der Glaube an Gott hat als wichtigste Konsequenz für das Hier und Heute die Liebe. Mehr muss der Mensch nicht tun: Glauben und lieben, dann kann er den Rest getrost den Theologen überlassen... Warum Jesus am Kreuz sterben musste, ist wurscht. Dass er wiederauferstanden ist, ist wichtig. Und das soll keine Religion sein?
Zitat von ZettelAber Ethik, das wäre ja ein anderes Thema.
Hm. Aber keins, das ich gerne im luftleeren Raum diskutiere. Mein "Kann man so sehen, muss man aber nicht" wäre dir in diesem Fall sicher
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Zitat von RaysonPaulus steckt mittendrin, der predigt und legt aus. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass er sich durchgehend auf Jesus-Worte bezöge. Seine Theologie, die entwickelt er auch ganz gerne für sich selbst, und entweder glaubt man, da habe der Heilige Geist mitgeholfen, oder man glaubt es nicht.
Das gilt, scheint mir, für die gesamte Bibel. Ich lese sie, das ist ja vielleicht in dieser Diskussion deutlich geworden, als einen interessanten historischen Text; wobei ich bei der Lektüre nur bedauere, daß ich so wenig vom Kontext verstehe, daß ich das alles nur als Laie beurteilen kann.
Du liest sie als Texte, bei deren Entstehung "der Heilige Geist mitgeholfen" hat. So tut es auch Ratzinger. Das sind eben verschiedene Lesehaltungen, unterschiedliche Lesemodelle.
Vielleicht könnte man es so formulieren: Du liest diese Texte mit der Frage: Was wollen sie mir sagen? Ich lese sie mit der Frage: Was steckt dahinter?
Zitat von RaysonDas "wirklich Wichtige" - da frage ich mich doch glatt, wer denn da immer so hartnäckig das NT gegen seinen Wortlaut auslegen wollte ?
Ja, wer?
Zitat von RaysonDer Glaube an Gott hat als wichtigste Konsequenz für das Hier und Heute die Liebe. Mehr muss der Mensch nicht tun: Glauben und lieben, dann kann er den Rest getrost den Theologen überlassen... Warum Jesus am Kreuz sterben musste, ist wurscht. Dass er wiederauferstanden ist, ist wichtig. Und das soll keine Religion sein?
Aber ja ist das eine Religion! Es ist nur nicht das Christentum, so wie man es mir beigebracht hat, das lutherische also.
So, lieber Rayson. Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette...
(So ein Schlagertext würde heute auch nicht mehr erlaubt sein, gell?)
Nein, näher gekommen sind wir uns, glaube ich, nicht (in der Sache, meine ich ). Mir scheint, daß eher der Unterschied in unserer Sicht auf die Bergpredigt - das war ja der Ausgangspunkt gewesen; ich schreibe das für die, die vielleicht nicht von Anfang an mitgelesen haben) - also, daß eher der Unterschied deutlicher geworden ist.
Was ich wohl besser verstanden habe, das ist die innere Schlüssigkeit deiner Position, deines Glaubens. Ob du auch die Schlüssigkeit meiner Position besser verstanden hast, kann ich natürlich nicht beurteilen.
Wenn also nicht Ethik - vielleicht gibt's dann irgendwann mal ein anderes Thema, das sich für eine derartige Diskussion eignet?
Zitat von ZettelVielleicht könnte man es so formulieren: Du liest diese Texte mit der Frage: Was wollen sie mir sagen? Ich lese sie mit der Frage: Was steckt dahinter?
Ich glaube, das trifft es sogar sehr gut. Wobei ich schon darauf bestehe, dass der "Heilige Geist" bei meiner Sichtweise da noch gar nicht im Spiel sein muss...
Zitat von ZettelEs ist nur nicht das Christentum, so wie man es mir beigebracht hat, das lutherische also.
Na ja, bei genauem Licht bestehen die Unterschiede doch vor allem in der Betonung der Dinge, die sich dem einzelnen Gläubigen sowieso entziehen, die er nur staunend zur Kenntnis nehmen kann. Vielleicht bricht bei meiner Betonung des entscheidungs- und handlungsrelevanten Glaubensbestandteils immer noch der Ökonom durch...
Zitat von ZettelOb du auch die Schlüssigkeit meiner Position besser verstanden hast, kann ich natürlich nicht beurteilen.
Ich bin eigentlich der Meinung, die von vornherein gesehen zu haben . Da ich mich mit diesen Fragen vermutlich etwas mehr auseinandergesetzt habe als du (was ich nicht als qualitativen, sondern nur als quantitativen Unterschied verstanden haben möchte!), waren mir Argumentationslinien wie deine, an denen man ja tatsächlich nicht so einfach vorbeikommt, zum Teil natürlich auch schon bekannt.
Zitat von ZettelWenn also nicht Ethik - vielleicht gibt's dann irgendwann mal ein anderes Thema, das sich für eine derartige Diskussion eignet?
Schaun mer mal - ich habe auch nichts Prinzipielles gegen Diskussionen über Ethik, bevorzuge aber einen konkreten Anlass dafür, da mein Grenznutzen bei freiem Spekulieren eine sehr steil fallende Kurve beschreibt...
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