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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 36 Antworten
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 Pro und Contra
Seiten 1 | 2
Wamba Offline



Beiträge: 295

02.01.2008 20:10
Ein Thread über Gott und die Welt Antworten

Ein Thread, der sich ursprünglich auf eine "Meckerecke" und auf - ausgerechnet! - Gregor Gysi bezogen hatte, hat sich im Lauf der Zeit zu einem der längsten und wohl auch interessantesten in diesem kleinen Zimmer entwickelt. Es geht in den Beiträgen, die in ihm entstanden sind, um Religion, um Wissenschaft, um Philosophie.

Da der Thread nicht nur weit vom Ausgangsthema weggeführt hat, sondern auch arg lang und damit unhandlich geworden ist, erscheint es mir sinnvoll, ihn hier, unter einem neuen Titel, fortzusetzen.

Zu Sylvester hat Kaa in einem sehr schönen Beitrag viele der Fragen, die zuvor diskutiert worden waren, noch einmal aufgegriffen und kommentiert. Ich habe sie gebeten, diesen Beitrag hierher zu kopieren; ebenso M. Schneider, seine Antwort hierher zu übertragen. Auch die Diskussion zur Bergpredigt hat hier ihren neuen Platz gefunden.

Dann kann es - wenn die Inspiration bleibt, wenn der Kairos sich einstellt - hier munter weitergehen.

Kaa Offline




Beiträge: 658

02.01.2008 23:03
#2 Die Kopie aus dem Gysi Thread Antworten
Mit diesem Thread geht dieses Jahr sehr schön zu Ende. Religion und Kosmologie/Evolution. Weihnachten hatte ich meinen Vater besucht, der gerade 80 geworden ist. Er kann sich soviel merken, auch noch aus den Vorlesungen in seiner Studentenzeit. Da komme ich mir richtig dumm vor. Wie hier auch. Aber das kann ich ja leichter ändern, als daß ich bei Civilization IV auch nur als König gewinne, geschweige denn als Gottheit.

Abgesehen davon sind mir, wie es bei so einem langen Thread kein Wunder ist, viele Anmerkungen und Fragen aufgetaucht. Die, die mir beim dritten Durchlesen immer noch wichtig sind, kommen gesammelt in diesen Beitrag.

Zitat von Zettel 13.12.2007 23:09
Lassen Sie mich dazu a bisserl ins Bedeutend-Allgemeine abschweifen.

Denn das Problem, das Sie zu Recht ansprechen, besteht ja nicht nur in Bezug auf die Dramaturgie von Talk Shows. Es ist meines Erachtens überhaupt die Crux des "postmodernen Diskurses".

Diese Soziologisierung von Fragen, die ihrem Wesen nach Fragen nach der Wahrheit sind, ist der moderne Nachklapp des Psychologismus, gegen den Husserl zu Felde gezogen ist.

Damals hat man versucht, von der Philosophie über die Theologie bis zur Mathematik die diversesten Fragen auf "letztlich" psychologische Fragen zu reduzieren. Husserl hat gezeigt, daß das schon aus logischen Gründen gar nicht gehen kann.

Man dachte damals, dieser Denkweise sei der Todesstoß versetzt. Im letzten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts tauchte sie wieder auf als "Konstruktivismus". Alles, was wir für Wahrheit halten, ist - so wurde und wird behauptet - gesellschaftliches Konstrukt. Selbst die Naturwissenschaften sind nur "sozialer Konsens" und könnten auch ganz anders sein, wäre die Kultur anders ("Hopi-Physik"! )

Gerade diejenigen dieser soziologistischen Denkrichtung, die gern mit dem Begriff des Diskurses agieren, verunmöglichen im Grunde jede rationale Auseinandersetzung. Man kann sie natürlich leicht schachmatt setzen, indem man darauf verweist, daß auch ihr Konstruktivismus, wenn sie Recht hätten, ein soziales Konstrukt wäre und insofern nur auf einer Meta-Ebene interessant.

Naja, lieber Zettel, Du weißt, schwammige Logik stürzt sich auf mich wie ein menschenfressender Tiger.

Ich glaube mit dem Wort "psychologisch" warst Du polemisch. Mir erscheinen Theorien, die die Wahrheit letztlich in den interaktiven menschlichen Geist verweisen, nicht widerlegbar. Was ich noch dazu schreiben wollte, lasse ich mal, denn der Wikipedia Artikel zeigt, daß Du es Dir zu einfach machst und ich nicht in der Situation bin, es Dir schwerer zu machen .


Zitat von Zettel 15.12.2007 17:10
Wie viele Frauen denkt sie praktisch-konkret
Als Frau möchte ich, auch im Hinblick auf nachfolgende männliche Kritik dieses Satzes anmerken, daß ich Dich aufgrund dieser formulierten Erkenntnis zum Frauenversteher dieses Forums für Dezember 2007 erhebe. Eine Frage habe ich dazu: Wie kann man sonst noch denken ohne zu Onanieren? Denken hat ja nur Sinn im Austausch mit der Welt.

Zitat von Zettel 16.12.2007 16:00
Zu behaupten, daß es nichts in diesem Sinn für den Menschen Unfaßbares gäbe, würde darauf hinauslaufen, zu leugnen, daß es eine Evolution gibt.

Denn wenn es sie gibt, dann ist sie ja nicht gerade mit dem Menschen zu Ende. Dann wird es also nach uns Wesen geben, die das erfassen können, was für uns unfaßbar ist. Also gibt es für uns Unfaßbares.

Die Evolution entwickelt doch nicht unbedingt mehr Erkenntnisvermögen.

Zitat von Zettel 16.12.2007 18:10
Katholisch, lieber str1977, ist, wer sich als Katholik versteht
Oh nein. Exkommunizierte Katholiken, die sich als katholisch verstehen, sind Kirchenstalker.

Zitat von gelegentlicher Besucher 16.12.2007 23:16
die Kirch lehrt tatsächlich eine Beschädigung der im ursprünglichen Schöpfungsplan vorgesehenen Naturgemäßheit der Gemeinschaft mit Gott
Ab da hatte mich der Thread gepackt.

Zitat von gelegentlicher Besucher auch 16.12.2007 23:16
Das an dem Ranke-Heinemann festhält ist nicht ihr verstand, sondern die Extrapolation ihrer Lebenserfahrung auf Bereiche, die der direkten Erfahrung nicht zugänglich sind
Und ab da interessierte mich, wer der "gelegentliche Besucher" ist.

Zitat von gelegentlicher Besucher nochmal 16.12.2007 23:16
"niemand kommt zum Vater außer durch mich" ... wenn also jemand ziemlich eindeutig den Anspruch der Göttlichkeit oder doch zumindestens göttlichen Bevollmächtigung erhebt, dann gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten:
Es gibt noch eine vierte: Johannes war kreativ. Lüdemann behauptet: "Und nicht von Jesus, sondern vom Autor des Johannes-Evangeliums stammt das berühmte Wort: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich."

Zitat von gelegentlicher Besucher und nocheinmal 16.12.2007 23:16
Eher hilft noch lächerlich machen. Wahrscheinlich kennen sie den Sokal-Hoax schon
Bruno Latour meint dazu:: Warum nun wurde dieser furchtbare Artikel von einer gefälligen Zeitschrift akzeptiert? Weil es ganz einfach eine schlechte Zeitschrift ist, deren es viele gibt, in allen Disziplinen.

Zitat von M.Schneider 17.12.2007 11:01
Wenn ich also diese Arbeitsweise der Evolution als gegeben kenne, die Entstehung des Lebens an einem integrierenden Faktor festmache, demzufolge Evolution und integrierender Faktor in irgendeiner Weise verbinden muss, dann kann ich damit und nun natürlich philosophisch an die Frage des Universums gehen.

Dieses Universum, so es überhaupt das Einzige ist, ist derartig gigantisch groß, beinhaltet Massen und Energie in einer nicht zu beschreibenden Größenordnung, dass man sagen muss, dass das Wort Verschwendung für die Umschreibung des Universums geradezu eine schamlose Untertreibung ist.

Genau das widerspricht aber unserer Kenntnis vom Arbeiten der Evolution. Sie verschwendet nie etwas und von daher zieh ich den nüchternen Schluss, also ist auch das Universum nicht Verschwendung, sondern an irgend einen Zweck gekoppelt, über den wir allerdings nur spekulieren können

Die Verbindung zwischen Evolution und Entstehung des Universums ist mir entgangen, dear M. Schneider - Evolution entwickelt sich in einem Resourcenraum, das Universum ist die Gesamtheit aller Resourcen.

Zitat von M.Schneider 17.12.2007 11:01
Ich habe ja nicht gesagt, dass dieser Faktor das System nur erschaffen hat und dann gar nichts mehr tut, ich habe lediglich gesagt für mich ist es eine kindliche Überlegung, dass er das Leben jedes einzelnen Individuums zu jeder Stunde lenkend kontrolliert.
In jedem Moment. Es ist auch kindlich, doch es ist ein Gedanke, der mitwachsen kann. Das Problem (und die Lösung) ist natürlich, daß wir über etwas reden, das unser Fassungsvermögen übersteigt. Wenn Gott jeden Moment jedem Menschen liebevoll persönlich zugewandt ist - wie kann er ganz für mich da sein und ganz für dich? Ist er nicht gestresst, dauernd auf auch nur mich aufzupassen, ist er nicht genervt über den Unsinn, denn alleine ich anstelle? Vielleicht hat Gott aber keine Ziele, die wir uns vorstellen können. Vielleicht hat er keinen Plan in unserem Sinne.

Zitat von M.Schneider 17.12.2007 11:01
Natürlich ist auch das wieder reine Spekulation, wenn wir uns Gedanken darüber machen ob unser Geist in der Lage ist, alles in diesem Universum (zumindest irgendwann) zu verstehen oder nicht.

Nach der derzeitigen Informationslage gibt es für mich weder für die eine- noch für die andere Annahme Beweise.

Als Optimist neige ich jedoch dazu erst mal davon auszugehen, irgendwann verstehen wir doch alles.

Als Anhänger der Evolution sollten Sie diesbezüglich kein Optimist sein. Alles zu verstehen wäre kostenintensiv. Selbst wenn nur so das Fortbestehen der Menschheit erreicht werden könnte, würde die Evolution dann eben auf eine billigere Entwicklung für den selben Raum ausweichen.

Zitat von M.Schneider 18.12.2007 15:29
Der 2. Hauptsatz definiert irreversible Prozesse: Er sagt aus, dass bei allen in einem abgeschlossenen System ablaufenden Vorgängen die Entropie S (die molekulare Unordnung) mit fortschreitender Zeit nur zunehmen kann.
Jetzt wollte ich eigentlich fragen, ob denn die Moleküle in einem biologischen Verbund (einer Karotten oder einer Maus) tatsächlich geordneter sind, als wenn sie einfach so rumschwirren täten. Habe vorher aber in Wikipedia über Entropie gelesen - und da steht, daß der zweite Hauptsatz kein Gesetz ist, sondern eine (ungeheuer große) Wahrscheinlichkeit. Und daß die Physiker das Wort Unordnung für Entropie gar nicht mögen. Die Zitate dort sind toll.

Zitat von M.Schneider 19.12.2007 11:15
Die Entropie eines abgeschlossenen Systems wird nie von alleine kleiner!

Hier liegt die Betonung auf alleine. Ohne dass Sie Arbeit leisten, kann die Entropie nicht kleiner werden.

Wenn ich drinne Arbeit leiste, wird die Entropie im System dennoch nicht kleiner. Wenn ich von draußen Arbeit leiste, ist das System nicht abgeschlossen.

Zitat von M.Schneider auch 19.12.2007 11:15
Es wird manchmal gesagt, die Entstehung des Lebens widerspräche doch nicht den Zweiten Hauptsatz, weil nämlich die Erde kein geschlossenes System ist und damit permanent im Energieaustausch mit der Sonne steht.

Das ist aber eine falsche Erklärung, der Fernseher entsteht dennoch nicht, also nützt der Energieaustausch nichts. Arbeit zu leisten um die Entropie zu verringern heißt nämlich nicht irgend welche Arbeit zu leisten, es musste nämlich ganz spezielle Arbeit sein.

Da dürfen wir uns nicht von unserer Verwendung des Begriffes "Arbeit" zielgerichtet führen lassen. Der Fernseher ist mit unserer Arbeit entstanden. Wenn Menschen heute einen Fernseher bauen, wissen sie genau, wie und wozu, bei jedem Arbeitsschritt, bei jedem Teil. Und der selbe Fernseher wird tausendfach gebaut, tausendfach gleich. Es ist wichtig, daß am Ende immer ein ununterscheidbarer Fernseher rauskommt. Es soll ein Fernseher rauskommen. Vereinfacht gesagt, zuerst war die Idee, dann das komplexe Objekt.

Organismen sind erst entstanden, und nun könnten wir über den Plan grübeln. Das machen wir aber nicht, denn wir wssen, daß bei anderen Gegebenheiten andere Organismen entstanden wären oder auch gar keine. Wir sind nur in der Lage, über den Plan nachzudenken (wenn wir das täten), weil wir zufällig auf einem Ort in Universum sitzen, wo wir entstehen konnten. Auf abertausend anderen Planeten könnten wir alle Bauteile einer Möhre und eines Frosches in einer Edelstahlkiste ablegen - es käme nie nicht mal eine Amöbe raus. Auf diesen Planeten würden wir sagen: q.e.d.

Zitat von M.Schneider 20.12.2007 10:56
Nun, ganz einfach (fast).
Ja, wenn M.Schneider das beschreibt, ist es wirklich ganz einfach. Danke schön für diesen anschaulichen Überblick über die Entstehung unseres Sonnensystems.

Zitat von M.Schneider auch 20.12.2007 10:56
... Ursuppen-Experiment ... (Der Versuch ist heute allerdings umstritten)
Wieso? Er wurde häufig nachvollzogen.

Zitat von Zettel 20.12.2007 19:00
Eine von zwei möglichen Alternativen ist die, daß Zufall im Spiel ist.

Kleine Energie-Fluktuationen, wie das André Linde mit seinen bubbles entwickelt hat, beispielsweise. Ein Zufall, der zur Entstehung des Lebens auf der Erde führte, beispielsweise.

Die andere Möglichkeit - der ich sehr zuneige - ist die, daß auch der "historische" Aspekt des Universums Gesetzmäßigkeiten unterliegt - nur solchen, die wir mit unserem Primatengehirn nicht verstehen.

Einen Zufall kann ich in der Blasentheorie nur aus Sicht unserer Blase erkennen. Und wenn das eine mögliche Sichtweise ist, würde das ja Zufall und Gesetzmäßigkeit verbinden.

Zitat von Rayson 21.12.2007 04:30
Jesus droht historischer zu werden als es manchem Theologen lieb ist. ... Aus meiner eigenen Kirche bin ich jedenfalls weniger affektheischende Positionen von Frauen gewohnt. Von geweihten Priesterinnen übrigens
Inwiefern wird Jesus historischer? Welche Kirche weiht Pristerinnen?

Zitat von M.Schneider 21.12.2007 13:39
Bis hierhin richtig, insbesondere der Wärmegewinnen durch künstliche Blitze war überhaupt notwendig um einfache Aminosäuren entstehen zu lassen. Über die Komplexität von Aminosäuren, Fettsäuren und einfachen Zuckerverbindungen ging das Experiment jedoch nicht hinaus. Mehr konnte nicht hergestellt werden, und das was entstand, war nur normale Chemie.

Eine Verletzung des zweiten Hauptsatzes war hier nicht gegeben, es wurde Arbeit investiert.
Genau die Arbeit die investiert wurde, also in Form von Wärme und Strahlungszugabe künstlich simuliert wurde, war genau das, was die Sonne derzeit an der Erde an Arbeit leistet. Es konnte jedoch nicht annähernd Leben entstehen, nicht mal komplexe chemische Moleküle. Daher auch meine Ausführungen in dem früheren Text, das Arbeit und Arbeit nicht das gleiche ist.

Es gibt zielgerichtete Arbeit und es gibt Energie, die irgendwo reinfließt und irgendwas bewirkt. Schließlich haben die Blitze die Aminosäuren auch nicht geplant. WIR sind der Fall, wo zufällig was entstanden ist, was auf Millionen und Abermillionen anderen Planeten nicht entstanden ist. Es könnte ja sein, daß bei einer Milliarde Versuchen mit Planeten so zehn mal komplexe organische Moleküle entstehen. Spätestens ab der Komplexität von Einzellern läuft ja auch in Ihren Augen alles wieder ohne direkten göttlichen Eingriff.

Es scheint da eine Erklärungslücke zu geben. Zwischen den einfachen und den komplexen organischen Molekülen. Eventuell besteht auch noch eine Lücke zwischen Molekülen und Molekülverbunden. Es ist wohl keine Erklärungslücke zwischen dem Einzeller und dem Frosch. Drum trifft es der Fernseher nicht so ganz. Er ist in der Komplexität dem Frosch näher als dem Einzeller. Abgesehen davon ist er anorganisch.

Ich freue mich sehr, daß ich diesen Thread gefunden habe und wünsche allen Teilnehmern dieses Forums einen schönen Silvesterabend und ein frohes Jahr 2008.

Kaa
M.Schneider Offline



Beiträge: 672

03.01.2008 07:57
#3 RE: Die Kopie aus dem Gysi Thread Antworten

Lieber Zettel, liebe Kaa


Zitat von Zettel 16.12.2007 16:00

Zu behaupten, daß es nichts in diesem Sinn für den Menschen Unfaßbares gäbe, würde darauf hinauslaufen, zu leugnen, daß es eine Evolution gibt.

Denn wenn es sie gibt, dann ist sie ja nicht gerade mit dem Menschen zu Ende. Dann wird es also nach uns Wesen geben, die das erfassen können, was für uns unfaßbar ist. Also gibt es für uns Unfaßbares.


Nun, die Betonung sollte darauf liegen zu sagen noch gibt es für uns Unverständliches aber nicht weil unser Geist nicht kann, sondern einfach weil wir noch nicht weit genug vorgedrungen sind.

Zitat von Kaa

Die Evolution entwickelt doch nicht unbedingt mehr Erkenntnisvermögen.


Doch, schon, weil sie ja auch das Hirn immer mehr optimiert.

Zitat von Kaa

Die Verbindung zwischen Evolution und Entstehung des Universums ist mir entgangen, dear M. Schneider - Evolution entwickelt sich in einem Resourcenraum, das Universum ist die Gesamtheit aller Resourcen.

Möglich, wissen wir aber nicht, es gibt durchaus wissenschaftliche Überlegungen, dass es mehr als nur ein Universum gibt.

Zitat von Kaa

Als Anhänger der Evolution sollten Sie diesbezüglich kein Optimist sein. Alles zu verstehen wäre kostenintensiv. Selbst wenn nur so das Fortbestehen der Menschheit erreicht werden könnte, würde die Evolution dann eben auf eine billigere Entwicklung für den selben Raum ausweichen.


Die Evolution arbeitet aber nicht nach Kosten, sondern nur in Hinblick auf die Erzeugung von Optimallösungen für vorhandene Randbedingungen einer Spezies. Das sie dabei nichts verschwendet, liegt in der Natur einer Optimallösung.

Zitat von Kaa

Jetzt wollte ich eigentlich fragen, ob denn die Moleküle in einem biologischen Verbund (einer Karotten oder einer Maus) tatsächlich geordneter sind, als wenn sie einfach so rumschwirren täten. Habe vorher aber in Wikipedia über Entropie gelesen - und da steht, daß der zweite Hauptsatz kein Gesetz ist, sondern eine (ungeheuer große) Wahrscheinlichkeit. Und daß die Physiker das Wort Unordnung für Entropie gar nicht mögen. Die Zitate dort sind toll.


Das Physiker das Wort Unordung mit gemischten Gefühlen verwenden liegt nicht daran, dass der Begriff Ordnung oder Unordnung falsch ist, nein im Gegenteil, er ist perfekt, allerdings liegt das Problem darin, dass Nichtwissenschaftler mit dem Begriff der Unordung mehr den Zustand ihres Schreibtischs verbinden als Energie- und Massenpotentiale, der Entropie.

Es gibt viele durch die Pysik postulierte Sätze, die genau genommen nicht den Status eines Gesetzes haben. Das liegt daran, das wir bestimmte Dinge zwar als absolut richtig kennen, aber dennoch noch nicht beweisen können. Ein Beispiel dafür ist auch das 1. Newtonsche Axiom.

Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Translation, solange die Summe aller auf ihn einwirkenden Kräfte Null ist.

Die Geschwindigkeit ist also unter der genannten Voraussetzung in Betrag und Richtung konstant. Eine Änderung des Bewegungszustandes kann nur durch Ausübung einer Kraft von außen erreicht werden, beispielsweise durch die Gravitationskraft.

Wir kennen die Gravitation, wir wissen wie sie wirkt, wir können sie berechnen aber niemand weiß was Gravitation genau ist. Deshalb nennt man es auch Axiom, nicht Naturgesetz. So ähnlich ist es auch mit dem 2. HS der Thermodynamik.

Zitat von Kaa

Wenn ich drinne Arbeit leiste, wird die Entropie im System dennoch nicht kleiner. Wenn ich von draußen Arbeit leiste, ist das System nicht abgeschlossen.


Das stimmt so nicht. Es kann in einem geschlossenen System Arbeit geleistet werden, z.B. durch das Stattfinden einer chemischen Reaktion.

Übrigens sollte es nicht abgeschlossenes System heißen, sondern nur geschlossenes System. (Massenaustausch ist nicht möglich, Energieaustausch schon)


Zitat von Kaa

Zitat von M.Schneider auch 19.12.2007 11:15

Es wird manchmal gesagt, die Entstehung des Lebens widerspräche doch nicht den Zweiten Hauptsatz, weil nämlich die Erde kein geschlossenes System ist und damit permanent im Energieaustausch mit der Sonne steht.

Das ist aber eine falsche Erklärung, der Fernseher entsteht dennoch nicht, also nützt der Energieaustausch nichts. Arbeit zu leisten um die Entropie zu verringern heißt nämlich nicht irgend welche Arbeit zu leisten, es musste nämlich ganz spezielle Arbeit sein.

Da dürfen wir uns nicht von unserer Verwendung des Begriffes "Arbeit" zielge-richtet führen lassen. Der Fernseher ist mit unserer Arbeit entstanden. Wenn Menschen heute einen Fernseher bauen, wissen sie genau, wie und wozu, bei jedem Arbeitsschritt, bei jedem Teil. Und der selbe Fernseher wird tausendfach gebaut, tausendfach gleich. Es ist wichtig, daß am Ende immer ein ununterscheidbarer Fernseher rauskommt. Es soll ein Fernseher rauskommen. Vereinfacht gesagt, zuerst war die Idee, dann das komplexe Objekt.

Organismen sind erst entstanden, und nun könnten wir über den Plan grübeln. Das machen wir aber nicht, denn wir wssen, daß bei anderen Gegebenheiten andere Organismen entstanden wären oder auch gar keine. Wir sind nur in der Lage, über den Plan nachzudenken (wenn wir das täten), weil wir zufällig auf einem Ort in Universum sitzen, wo wir entstehen konnten. Auf abertausend anderen Planeten könnten wir alle Bauteile einer Möhre und eines Frosches in einer Edelstahlkiste ablegen - es käme nie nicht mal eine Amöbe raus. Auf diesen Planeten würden wir sagen: q.e.d.


Nun, letzteres hat weniger mit dem 2. HS zu tun, als mit der Tatsache, das Leben, zumindest wie wir es von der Erde kennen, nur in einem bestimmten Fenster aus Randbedingungen entstehen kann. (Temperatur, Druck, Sauerstoffgehalt usw.) Dabei ist jedoch das Fenster für einfaches Leben wie Bakterien schon auch auf der Erde extrem groß. Z.B in der Tiefsee, im Bereich schwarzer Smoker usw.

Zitat von M.Schneider auch 20.12.2007 10:56

... Ursuppen-Experiment ... (Der Versuch ist heute allerdings umstritten)

Wieso? Er wurde häufig nachvollzogen.


Das Experiment kann keine Aussagen darüber machen, wie sich die Moleküle etwa zu großen Strukturen verbunden hätten.


Zitat von Kaa

Es gibt zielgerichtete Arbeit und es gibt Energie, die irgendwo reinfließt und irgendwas bewirkt. Schließlich haben die Blitze die Aminosäuren auch nicht geplant. WIR sind der Fall, wo zufällig was entstanden ist, was auf Millionen und Abermillionen anderen Planeten nicht entstanden ist. Es könnte ja sein, daß bei einer Milliarde Versuchen mit Planeten so zehn mal komplexe organische Moleküle entstehen. Spätestens ab der Komplexität von Einzellern läuft ja auch in Ihren Augen alles wieder ohne direkten göttlichen Eingriff.


Thermodynamisch ist Arbeit und Energie das Gleiche. Stecke ich Energie in ein System, z.B. Wärme, dann verrichte ich damit Arbeit.

Die Blitze haben die Aminosäuren nicht geplant sondern umgekehrt, die Entstehung der Aminosäuren waren chemisch gesprochen endotherme Reaktionen, die die Wärmezufuhr der Blitze benötigten, weil die Reaktion sonst nicht ablaufen kann.

Wir sind nicht der Fall, wo zufällig etwas entstanden ist, weil große Ordnung = kleine Entropie nicht zufällig entsteht. Allenfalls herrschte auf der Erde das notwendige Lebensfenster in Bezug auf die Randbedingungen, welches eben auf vielen anderen Planeten nicht in der notwendigen Form existiert.

Zitat von Kaa

Es scheint da eine Erklärungslücke zu geben. Zwischen den einfachen und den komplexen organischen Molekülen. Eventuell besteht auch noch eine Lücke zwi-schen Molekülen und Molekülverbunden. Es ist wohl keine Erklärungslücke zwi-schen dem Einzeller und dem Frosch. Drum trifft es der Fernseher nicht so ganz. Er ist in der Komplexität dem Frosch näher als dem Einzeller. Abgesehen davon ist er anorganisch.


Na ja, da gibt es schon noch mehr Lücken. ZB. Warum ist das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile. (Der Unterschied zwischen einer Leiche und einem lebenden Organismus).

Der Fernseher darf nur gesehen werden, um die Wirkung des 2.HS als Beispiel zu beschreiben.

Auch ich wünsche allen ein frohes und erfolgreiches 2008

Herzlich M.Schneider

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

03.01.2008 14:10
#4 Jesus und die Bergpredigt Antworten

Als Einstieg zu dieser Diskussion hier in Auszügen mein Kommentar im Gysi-Thread:

Ich will gerne verdeutlichen, wie die Bergpredigt aus heutiger theologischer Sicht zu verstehen ist.

Jesus ist tatsächlich nur unter dem Blickwinkel der Radikalität zu verstehen, allerdings einer Radikalität, die sich auf bekannte Ziele bezieht. Im Mittelpunkt seiner Lehre steht die Liebe, und Liebe kennt bekanntlich keine Grenzen. Jesus versucht zu vermitteln, dass die Liebe Gottes zu den Menschen unendlich ist. Und er zeigt, wie ein Mensch diese Liebe erwidern kann.

Nehmen wir als Analogie die menschliche Liebe. Wogegen Jesus sich wendet, ist ein instrumentelles Verständnis der Form, wonach der gierige Liebhaber soundsoviel diesen oder jenen Körperteil der Frau zu streicheln habe, um zu seinem Ziel zu gelangen.

Nein, er verlangt die echte, wahre, bedingungslose Liebe, eine, die nicht der Bedürfnisbefriedigung des Einzelnen dient, sondern nur das Wohl des anderen im Kopf hat.

Und jetzt kommt es zusammen. Jesus sagt: Wie könnt ihr zu der Überzeugung kommen, nur weil ihr bestimmte Formalien eingehalten habt, hättet ihr das Gebot Gottes erfüllt? Das schafft ihr erst, wenn ihr Gott wirklich liebt, und diese Liebe kann keine Grenzen kennen. Also wenn ihr euch rühmt, diese oder jene Tat nicht begangen zu haben, was ist mit euren Gedanken, in denen ihr euch das wünscht? So lange ihr diese Gedanken habt, spielt ihr mit Gottes Geboten, aber ihr liebt ihn nicht. Also: Ihr liebt eure Nächsten. Na super. Und damit ist die Chose gegessen? Mehr braucht keiner? Dünnpfiff. Erst wenn du deine Feinde liebst, bekommst du einen Eindruck davon, wie sehr Gott dich liebt. Und was du zu tun hast, wenn du seine Liebe erwidern möchtest.

Das ist, wie gesagt, ein unglaublich radikaler Anspruch. Einer, dem kein Mensch je gerecht werden kann. Das Problem Luthers. Und er fand die Lösung, allerdings eine, die schon in der Schrift vorhanden war: Auf die Werke selbst kommt es nicht an, aber ihr müsst sie aus tiefstem Herzen angestrebt haben. Denn nichts anderes bedeutet es, Jesus Christus als seinen Heiland anzuerkennen und ihm zu folgen.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




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03.01.2008 14:50
#5 RE: Jesus und die Bergpredigt Antworten
Lieber Rayson,

ich habe mit der Antwort gezögert. Nicht nur, weil ich mir dafür Zeit nehmen wollte. Es war mir schon klar, daß mir eine Antwort schwerfallen würde.

Das, was du schreibst, ist schön, es ist anrührend. Ja, eine Welt, in der es eine solche unbegrenzte Liebe gibt, wäre wahrscheinlich eine erstrebenswerte Welt (ganz sicher bin ich da nicht).

Ich verstehe auch, daß eine solche Radikalität des Liebens wohl nicht einfach als Philosophie durchzuhalten wäre. Sie muß wohl, weil sie eben so schwer ist, ihre Grundlage in einem Glauben haben, der schwerer zu erschüttern ist als nur eine Lebensphilosophie.

Es ist ja eine Haltung gegen die Welt, so wie sie nun einmal ist. Das macht die Radikalität aus, in meinen Augen. Insofern gibt es da eine Parallele zu asketischen Bewegungen. Wie immer genau der Kontakt von Jesus mit den Essenern ausgesehen hat - daß es da Einflüsse gibt, wird, soweit ich das weiß, kaum bestritten.

Nur daß es bei Jesus - bei dem Jesus der Bergpredigt, wie du ihn verstehst - eben nicht die radikale Weltverneinung durch den weitgehenden Verzicht auf die Befriedigung aller Bedürfnisse ist. Sondern alle Bedürfnisse werden in gewisser Hinsicht einem einzigen untergeordnet: dem zu lieben.

Lieben, so habe ich es einmal gelernt, nicht im Sinn von Eros, sondern im Sinn von Agape. Evolutionsbiologisch gesprochen: Die Liebe, die unabhängig von der Sexualität nötig ist, damit Gruppen bestehen können. Vor allem also die Liebe zu den eigenen Kindern. Sodann die Freundschaft, die Liebe zu anderen Gruppenmitgliedern. So, wie es die intraspezifische Aggression gibt, gibt es auch diese intraspezifischen Bindungen.

Jesu Radikalität besteht darin, daß er diese in uns biologisch angelegte Zuneigung zu Artgenossen zu einem absolut gültigen Prinzip erhebt, bis hin zu den Feinden unter diesen Artgenossen.



Ich kann mir denken, lieber Rayson, daß du, wenn du das liest, findest, daß ich völlig an deiner Intention vorbeiargumentiere. Ich argumentiere aus der antiken Tradition der Lebensphilosophie heraus, die die Frage zu beantworten versucht, wie man ein glückliches Leben führen kann. Ich argumentiere aus der evolutionären Psychologie heraus. Du aber sprichts von Glauben, von deinem Glauben.

Nur habe ich, als ich mir die Antwort überlegt habe, gemerkt, daß ich auf dieser deiner Ebene überhaupt nicht argumentieren kann. Ich müßte vom Glauben reden wie der Blinde von der Farbe.



Inzwischen habe ich in Ratzingers Buch das Kapitel über die Bergpredigt gelesen. Er stellt nicht das "liebe deinen Nächsten" in den Mittelpunkt, sondern die Seligpreisungen; die Makarismen, wie das, entnehme ich dem Text, bei den Theologen heißt. (Und im zweiten Abschnitt des Kapitels setzt er sich mit Jesu Verhältnis zur Tora auseinander).

Makarios - das heißt, ich weiß es noch einigermaßen aus dem Griechisch-Unterricht, nicht nur "selig", sondern auch schlicht "glücklich". Und das schien mir bisher - und scheint mir weiter, in meinem laienhaften Verständnis - der Inhalt dieser Seligpreisungen zu sein: Sie versprechen denen, denen es schlecht geht, daß es ihnen besser gehen wird. Sie versprechen denen Glück, die bisher wenig Glück hatten. Und sie knüpfen dabei - das beschreibt Ratzinger im einzelnen - an ähnliche Verheißungen im AT an.

Glücklich werden: ob auf Erden, ob im Himmel - darüber streiten sich wohl die Theologen; Ratzinger hat ja auch darüber ein Kapitel, wie inner- oder außerweltlich das "Reich Gottes" zu verstehen ist.

Ich kann das nicht beurteilen. Aber als ich jetzt die Bergpredigt wieder gelesen habe, kam sie mir eigentlich weniger radikal vor, als ich gedacht hatte. Denen, denen es schlecht geht, zu wünschen, ihnen in Aussicht zu stellen, daß es ihnen besser gehen soll - ist das nicht Inhalt auch anderer Religionen? Des Judentums, des Buddhismus?

Herzlich, Zettel
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

03.01.2008 18:12
#6 Sozialkonstruktivismus und Soziologisierung der Wissenschaft Antworten

Liebe Kaa,

ich möchte auf die einzelnen Punkte in getrennten Beiträgen antworten; nach und nach.

Zitat von Kaa
Zitat von Zettel 13.12.2007 23:09
Damals hat man versucht, von der Philosophie über die Theologie bis zur Mathematik die diversesten Fragen auf "letztlich" psychologische Fragen zu reduzieren. Husserl hat gezeigt, daß das schon aus logischen Gründen gar nicht gehen kann.

(...) Ich glaube mit dem Wort "psychologisch" warst Du polemisch.

Nein, liebe Kaa, pölemisch war das nicht gemeint und ist es, glaube ich, auch nicht.

Es geht um ein ziemlich zentrales Thema nicht nur der Logik, sondern auch der Erkenntnistheorie: Sind die Gesetze der Logik "letztlich" nur Gesetze, nach denen unser Denken abläuft? Wenn ja, dann ist die Psychologie des Denkens sozusagen die Grundlagenwissenschaft der Logik.

Darüber gab es um die Wende zum 20. Jahrhundert einen großen Streit, über den der Artikel von M. Kusch in der Stanford Encyclopedia of Philosophy ausgezeichnet informiert. Auf diesen Streit hatte ich mich bezogen und dabei die Position von Husserl eingenommen. Kurz zusammengefaßt: Die Logik befaßt sich mit dem, was richtig und was falsch ist, nicht damit, warum wir etwas für richtig oder falsch halten. Das tut die Psychologie des Denkens. "x ist der Fall" und "Ich meine, daß x der Fall ist" sind zwei Aussagen auf unterschiedlichen Ebenen. Man kann die erste nicht auf die zweite reduzieren.
Zitat von Kaa
Zitat von Zettel 13.12.2007 23:09
Man dachte damals, dieser Denkweise sei der Todesstoß versetzt. Im letzten Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts tauchte sie wieder auf als "Konstruktivismus". Alles, was wir für Wahrheit halten, ist - so wurde und wird behauptet - gesellschaftliches Konstrukt.

Mir erscheinen Theorien, die die Wahrheit letztlich in den interaktiven menschlichen Geist verweisen, nicht widerlegbar. Was ich noch dazu schreiben wollte, lasse ich mal, denn der Wikipedia Artikel zeigt, daß Du es Dir zu einfach machst und ich nicht in der Situation bin, es Dir schwerer zu machen .

Da hast du, liebe Kaa, glaube ich nicht den richtigen Wikipedia-Artikel gelesen. Es geht dort um einen durchaus ernstzunehmenden wissenschaftstheoretischen Konstruktivismus. Was ich meinte, war aber der Sozialkonstruktivismus, über den in diesem Artikel der deutschen Wikipedia etwas zu lesen ist.

Wobei "etwas" schon stark schöngefärbt ist, denn beide Artikel sind ärmlich. Sehr viel besser ist der Artikel "social constructivism" in der internationalen Wikipedia.

Diese Idee von der "sozialen Konstruktion der Wirklichkeit" krankt aus meiner Sicht am selben Grundfehler wie der alte Psychologismus: Es wird nicht hinreichend unterschieden zwischen dem Gegenstand und seiner Erkenntnis.

Natürlich hängt die Erkenntnis der Wirklichkeit in erheblichem Maß von sozialen Faktoren ab, so wie die Anwendung der Logik von psychologischen Faktoren mitbestimmt wird. Aber deswegen ist doch nicht die Wirklichkeit selbst etwas Soziales!

Das ptolemäische und das kopernikanische Weltbild waren beide natürlich von den sozialen Umständen mitbestimmt, in denen sie erdacht wurden. Aber das eine war falsch und das andere - in Annäherung - richtig. Und das Weltbild der Ebstorfer Weltkarte, die eine Scheibe mit Jerusalem im Zentrum zeigt, war grottenfalsch, obwohl es ebenfalls ein soziales Konstrukt gewesen sein mag.

Liebe Kaa, diese Idee von der sozialen Konstruktion spielt ja unter anderem in feministischen Überlegungen eine große Rolle. Manche gehen so weit, von einer "männlichen Wissenschaft" zu sprechen.

Ich halte das für völlig verfehlt. Natürlich können Vorurteile oder Präferenzen darüber mitbestimmen, an welche wissenschaftliche Theorie jemand glaubt. Aber ob sie richtig oder falsch ist, das hat damit doch nichts zu tun.

Glaubt (!) jedenfalls, herzlich grüßend,

Zettel


Rayson Offline




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04.01.2008 00:10
#7 RE: Jesus und die Bergpredigt Antworten

Lieber Zettel,

in dieser Diskussion entsteht bei mir ein Gefühl, das ich auch bei anderen Diskussionen mit Atheisten oder Agnostikern schon hatte: Mir scheint, als würde meine Argumentation als Versuch verstanden, den anderen zu bekehren. Dabei liegt mir nichts ferner als das. Wenn eine "Bekehrung" von außen erforderlich wäre, kann der Glaube kein echter Glaube sein. Woran mir allerdings etwas liegt, ist die Darstellung (=Verkündiging?) des christlichen Glaubens. Zunächst generell, aber besonders gerne auf meine Konfession und meinen eigenen Glauben bezogen. Zuvörderst nicht mit dem Ziel, andere zu überzeugen, sondern verstanden zu werden. Wobei "verstehen" auf das Nachvollziehen abzielt, also für Atheisten oder Agnostiker auf eine vielleicht notwendige Korrektur des Bildes von "den anderen".

Wenn ich also den Versuch unternehme, die Bergpredigt zu deuten, dann nicht mit dem Ziel, dass jemand wie du ein Erweckungserlebnis bekommt, sondern vor allem mit der Absicht, populäre Missverständnisse transparent zu erledigen.

Man kann gegen Gott, gegen Jesus und dann auch gegen die Bergpredigt vieles ins Feld führen. Aber nicht alles davon betrifft das Christentum. Natürlich beschreibt Jesus nicht die Welt, wie sie ist. Wäre diese das Ideal, bräuchte man keinen Jesus. Aber Jesus beschreibt auch nicht eine Welt, wie sie sein soll. Womit wir wahrscheinlich beim ersten Missverständnis wären. Das Gebot "Liebe deine Feinde" ist kein Gebot. Oder anders: Es ist ein Gebot, von dem der, der es aufstellte, wusste, dass es so gut wie nie einzuhalten ist. Es ist vielmehr ein Hinweis auf die Art, wie man Glauben leben soll. Es gibt im Glauben keine kodifizierte Gewissheit, so wie es auch in der Liebe keine kodifizierte Gewissheit gibt. Aber wir wissen auch, dass es die Liebe gibt, und dass Menschen unter ihrem Gebot handeln. Was Jesus also eigentlich sagt, ist: Vergesst die Regeln, sondern lebt euren Glauben. Liebt Gott, wie er euch liebt. Braucht ihr einen Vergleich? Liebt euren Vater so, wie er euch liebt. Soll heißen: Bedingungslos. Weil der Vater der Vater ist, liebe ich ihn. Weil ich Gott liebe, liebe ich meinen Nächsten. "Nächster" aber ist kein Exklusivitätsstatus. Ein Mensch kann nicht annähernd so lieben wie Gott, deswegen gibt es keinen Punkt, an dem er sich befriedigt zurücklehnen könnte. Das Gebot bleibt grundsätzlich für alle Menschen außer Jesus in seiner Perfektion unerfüllbar.

Das passt zur Welt. Die umfassende Liebe (richtig, Agape) ist da nicht Realität. Sie kann es auch nicht sein, denn wenn sie es wäre, existierte das Reich Gottes bereits. Die Bergpredigt ist andererseits auch kein Aufruf an die Massen, endlich so zu handeln wie ihr Ideal es vorschreibt. Sondern sie ist vor allem eine Antwort an die Saturierten: Glaubt bloß nicht, euch sei das Himmelreich sicher, nur weil ihr euch an die Gebote A-Z gehalten habt. Ihr könnt euch gar nicht an die Gebote halten, die euch ein Leben im Paradies versprechen. Ihr seid Menschen, ihr fehlt. Aber der Glaube an mich öffnet euch den Ausweg. Das ist die Botschaft der Bergpredigt.

Du magst das so interpretieren, wie du möchtest. Mir kommt es nur darauf an, diesen Text so auszulegen, wie ich es als kritischer Leser eines Textes gewohnt bin. Wenn Jesus nur eine Romanfigur wäre, müsste man ihn so und nicht anders verstehen.

Es geht mir nicht darum, Gott zu begründen oder zu rechtfertigen. Es geht mir darum, begreiflich zu machen, was christlicher Glaube eigentlich ist, denn es betrübt mich, dass sich die Gegner des Christentums immer nur die Version herauspicken, die den leichtesten Gegner darstellt. Das ist meistens die Doktrin des römischen Katholizismus. Die hat unter Atheisten und Agnostikern prozentual wahrscheinlich mehr Anhänger als unter den Christen.

Zu Ratzinger diese Antwort:

Der "Jesus" von Ratzinger ist unter einem speziellen Blickwinkel und einer bestimmten Annahme geschrieben.

Die Annahme besteht im Grunde nur aus dem uralten christlichen Glaubenssatz, dass die Evangelien zwar nicht von Gott geschrieben oder "eingeflüstert" wurden, aber als von ihm inspiriert betrachtet werden können. Das heißt, dass die Texte auch jenseits ihrer Entstehungsgeschichte gelesen und auf Aussagen hin untersucht werden können, so wie man z.B. auch einen Roman lesen würde. Das Werk erhebt sich sozusagen über den Autor.

Der Blickwinkel ist die Göttlichkeit Jesu. Mir scheint, im Hintergrund steht bei Ratzinger hier teils ausgesprochen (Judentum), teils unerwähnt (Islam) der fundamentale Unterschied zu den beiden anderen großen monotheistischen Religionen, eben die Trinität, und dort speziell die Ausfüllung der Rolle "Sohn". Ratzinger klopft sozusagen die Evangelien auf Aussagen zu diesem Thema hin ab. Auch die Bergpredigt liest er so, aber man irrte sich, wenn man das Ergebnis als "die" Interpretation Ratzingers missverstehen würde. Er ist auf die anderen Aspekte des Textes an dieser Stelle erst gar
nicht eingegangen. Höchstwahrscheinlich, weil er ihre Kenntnis voraussetzt. Vielleicht aber auch, weil sie für die römisch-katholische Kirche eher unangenehm wären, da es sich um eine klare Absage an ein Bild von Religion als System von Regeln handelt.

Vielleicht muss man, so wie ich, vor diesem das Jesus-Buch von Klaus Berger gelesen haben, das viel radikaler ist und sich viel frontaler gegen bestimmte Erkenntnisse der "historisch-kritischen" Methode richtet, um zwischen den Linien das Feld der Möglichkeiten neu zu entdecken.

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




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05.01.2008 00:44
#8 RE: Jesus und die Bergpredigt Antworten

Zitat von Rayson
in dieser Diskussion entsteht bei mir ein Gefühl, das ich auch bei anderen Diskussionen mit Atheisten oder Agnostikern schon hatte: Mir scheint, als würde meine Argumentation als Versuch verstanden, den anderen zu bekehren.

Nein, lieber Rayson, von mir überhaupt nicht.

Mich interessiert die Diskussion mit dir - wie auch damals die über Agnostizismus - , weil ich deine Position besser verstehen können möchte. So, wie ich dir meine verständlich(er) machen möchte. Daß einer von uns den anderen überzeugt, halte ich für sehr unwahrscheinlich und - jedenfalls, was mich angeht - auch überhaupt nicht erstrebenswert. Denn ich sehe ja, daß du mit deinem Glauben glücklich bist. Welcher Teufel sollte mich reiten, das ändern zu wollen? Und umgekehrt ist es aus meiner Sicht nicht anders. Das sagst du ja in dem nachfolgenden Abschnitt deines Beitrags. Ich übergehe jetzt einen größeren Abschnitt, weil ich da völlig mit dir übereinstimme. Bis zu dieser Stelle:
Zitat von Rayson
Was Jesus also eigentlich sagt, ist: Vergesst die Regeln, sondern lebt euren Glauben.

Als ich die Bergpredigt jetzt wieder gelesen habe, mit dem Bemühen, mit so wenig Vorverständnis wie möglich zu lesen, ist mir die Vielzahl der Gebote aufgefallen, die sie enthält. Gerade kein "vergeßt die Regeln". Sondern die alten Regeln bleiben, aber sie werden radikalisiert, gewissermaßen auf die Spitze getrieben. Vielleicht manchmal auch durch neue ersetzt, die aber noch radikaler sind.

Gewiß, am Anfang gibt es die Seligpreisungen. Aber dann geht es los, mit Matth. 5, Vers 17: "Ihr sollte nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen."

Und dann geht es weiter, Schlag auf Schlag sozusagen. Zum Beispiel die Verse 21 und 22: "Ihr habt gehört, daß es im Gesetz des Mose heißt: 'Du sollst nicht töten! Wer aber einen Mord begeht, muß vor ein Gericht.' Ich aber sage euch: Schon wer auf seinen Bruder zornig ist, den erwartet das Gericht. Wer zu seinem Bruder 'Du Idiot!' sagt, der wird vom Obersten Gericht abgeurteilt werden, und wer ihn verflucht, dem ist das Feuer der Hölle sicher."

So geht es bis zum Vers 37. Erst ab Vers 38 kommen die neuen Vorschriften, die die der Tora nicht auf die Spitze treiben, sondern deren Vorschriften oft umkehren und dabei freilich auch radikalisieren.

Die Philologen werden ja wahrscheinlich Ergebnisse oder Vermutungen darüber haben, wie diese sehr unterschiedlichen Textabschnitte entstanden sind. Mir schien es - ganz laienhaft - jedenfalls so, als gäbe es drei solche Abschnitte: Die Seligpreisungen; dann diese Verse, die die Regeln der Tora auf die Spitze treiben; und dann die Verse, in denen sie umgekehrt und dabei radikalisiert werden. Das setzt sich in die Kapitel 6 und 7 fort.
Zitat von Rayson
Ein Mensch kann nicht annähernd so lieben wie Gott, deswegen gibt es keinen Punkt, an dem er sich befriedigt zurücklehnen könnte. Das Gebot bleibt grundsätzlich für alle Menschen außer Jesus in seiner Perfektion unerfüllbar.

Ich weiß nicht, lieber Rayson, ob du damals meinen kleinen Essay zu Luther gelesen hast. Genau das, was du schreibst, stand im Mittelpunkt der lutherischen Unterweisung, die mir als Kind "zuteil wurde", bis zur Konfirmation.

Ich fand das fürchterlich deprimierend, daß wir Menschen zappeln können, wie wir wollen, und wir werden doch nicht aus eigener Kraft selig werden. "Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren". Nun gut, Gott erbarmt sich, wenn wir sozusagen die Waffen strecken, wenn wir uns als Sünder bekennen und gar nicht mehr versuchen, es ihm recht zu machen.

Der eigentlich Hammer war, daß er sich dazu geopfert hat, daß er sich absichtlich quälen ließ, für uns arme Sünder. Ich fand das entsetzlich, daß ich so sündig sein soll, daß ein anderer - auch noch Gott! - sich quälen lassen muß, damit ich erlöst werde.

Lieber Rayson, als ich dann Nietzsche gelesen hat, ging es mir wie vermutlich Hunderttausenden von Jugendlichen: Das war eine ungeheure Befreiung. Endlich fühlte ich mich nicht mehr als hoffnungsloser Sünder, Sünder wie alle Menschen, sondern als frei und selbstverantwortlich. Auch wie alle Menschen, wenn sie sich nur von dem freimachen, was Nietzsche Sklavenmoral nannte.

Wahrscheinlich ist dein katholischer Blick längst nicht so selbstquälerisch wie der Luthers. Aber der Ausgangspunkt ist doch derselbe: Unerfüllbare Forderungen, die in der Bergpredigt an uns Menschen gestellt werden.

Soviel erst einmal. Demnächst Fortsetzung, wenn du magst.

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




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05.01.2008 02:52
#9 RE: Jesus und die Bergpredigt Antworten

Die "Gebote" der Bergpredigt sind eben nicht als Gebote zu lesen, sondern als Antithesen zu einem Glauben, der meint, nach Strich- und Abhakliste vorgehen zu können und zu müssen. Jesus will nicht, dass man einzelne Gebote befolgt; er will, dass man liebt. Und da kann es für ihn nur einen Maßstab geben: Die grenzenlose Liebe Gottes. Das habe ich versucht, in meinem ersten Kommentar hier zu beschreiben. Jesus sagt praktisch: "Klasse, dass du deinen Nächsten liebst. Und du glaubst, damit ist es getan? Da kann dein Streben dann aufhören? Denkste! Fang nur nicht so an. Ich kann dir auf jedes Gebot, durch dessen Erfüllung du dir deine Gerechtigkeit verdienen wolltest, ein weiteres draufpacken. So lange, bis du merkst, dass es nicht um die Gebote selbst geht."

Die Steigerung und Radikalisierung der bekannten Gebote ist nicht eine neue Möhre, die da dem Hasen vor die Nase gehalten wird, sondern ein Beleg für die Aussichtslosigkeit eines formalistischen Glaubens.

Zitat von Zettel
Ich fand das fürchterlich deprimierend, daß wir Menschen zappeln können, wie wir wollen, und wir werden doch nicht aus eigener Kraft selig werden. "Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren". Nun gut, Gott erbarmt sich, wenn wir sozusagen die Waffen strecken, wenn wir uns als Sünder bekennen und gar nicht mehr versuchen, es ihm recht zu machen.


Das fandest du deprimierend? Ich bin da doch ein wenig entsetzt, wie billig du gerne Seligkeit bekommen hättest Aber etwas ernsthafter: Wie Luther finde ich das eher befreiend. Ich werde nicht an meinem Tun gemessen, von dem ich weiß, dass es nicht perfekt sein kann, sondern an meiner Einstellung. Wenn du meinst, man müsse nicht mehr versuchen, es Gott "recht zu machen", dann ist das ein falsches Verständnis der Lutherschen Rechtfertigungslehre (die übrigens inzwischen auch katholischer Grundsatz ist). Nur besteht das "recht machen" nicht aus dem peinlich genauen Befolgen einzelner Forderungen, sondern aus gelebtem Glauben. Gott ist da ziemlich egalitär: Er belohnt nicht nur den Erfolgreichen, sondern alle, die sich nach Kräften bemühen. Daher ist nix mit Selbstquälerei, schon gar nicht mit Hoffnungslosigkeit, im Gegenteil.

Übrigens haben wir hier einen wesentlichen Unterschied z.B. zum Islam, der tatsächlich einzelne Forderungen aufstellt, aber selbst bei kompletter Erfüllung die Erlösung eben nicht garantiert, sondern immer noch in das Ermessen Allahs stellt. Deswegen ist der Märtyrertod da so beliebt. Wer diesen stirbt, kann sich sicher sein, denn ihm ist das Paradies tatsächlich fest versprochen.

Interessant finde ich, dass du dich durch das Wegnehmen einer Chance befreit fühltest. Du hast das, was du als "hoffnungsloser Sünder" fürchtest zu verpassen, einfach abgeschafft. Hat das nicht etwas von der Fabel mit dem Fuchs und den ihm zu hoch hängenden Trauben? Frei und selbstverantwortlich bleibt der Mensch allerdings. Denn niemand kann gezwungen werden, Jesus zu folgen. Man hat immer die Wahl.

Mit deiner Interpretation des Kreuzestods Jesu machst du übrigens ein neues Fass auf, das wir vielleicht erstmal geschlossen halten sollten, um diese Diskussion "on topic" zu lassen. Wer weiß, vielleicht diskutieren wir hier ja noch bis Ostern. Das wäre dann ein guter Zeitpunkt

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Zettel Offline




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05.01.2008 17:17
#10 Denken und der Austausch mit der Welt; Männer und Frauen Antworten

Liebe Kaa, weiter geht's, und wieder mit einer philosophischen Hammer- Frage.

Zitat von Kaa
Zitat von Zettel 15.12.2007 17:10
Wie viele Frauen denkt sie praktisch-konkret

Als Frau möchte ich, auch im Hinblick auf nachfolgende männliche Kritik dieses Satzes anmerken, daß ich Dich aufgrund dieser formulierten Erkenntnis zum Frauenversteher dieses Forums für Dezember 2007 erhebe. Eine Frage habe ich dazu: Wie kann man sonst noch denken ohne zu Onanieren? Denken hat ja nur Sinn im Austausch mit der Welt.

Dem letzten Satz stimme ich völlig zu. (Beim vorletzten würde mich eher die umgekehrte Frage interessieren, ob man onanieren kann, ohne zu denken; aber das ist nun wirklich ein anderes Thema ).

Ich stimme, liebe Kaa, dem letzten Satz sogar sehr zu. Denken ist aus meiner Sicht die Fortsetzung des Handelns mit anderen Mitteln. "Probehandeln mit geringen Besetzungsenergien", we es Freud formuliert hat. Wenn wir denken, statt gleich zu handeln, dann vermeiden wir sehr viele Unfälle. Es ist ungefähr wie die Simulationen, die in Kap Kennedy und in Houston stattfinden, bevor das Shuttle wirklich losfliegt.

Aber alle die Simulationen sind für die Katz, wenn nicht am Ende gestartet wird. So ist es auch mit dem Denken: Denken, aus dem keine Konsequenzen für das praktische Handeln folgen, ist völlig nutzlos. Reine Messerwetzerei, wie einer meiner akademischen Lehrer es gern nannte.



Zu solchem nutzlosem Denken neigten vor allem hochspekulative Philosophen wie Leibniz und Hegel, die großen Konstruierer eines "Systems". Sie neigten dazu, an die Stelle der Erprobung an der Realität die innere Konsistenz zu setzen.

Leibniz ist das auch glänzend gelungen. Man kann sich sozusagen in sein System verlieren. Es paßt alles, es ist alles so logisch, ja harmonisch - eben die "beste aller möglichen Welten". Eine sozusagen logisch durchkonstruierte Welt, in der jedes Detail die anderen stützt und von den anderen gestützt wird. Wie die String-Theorie ungefähr, so wie ich sie mir vorstelle, ohne eine Ahnung von ihr zu haben.

Wunderbar stimmig ist das alles bei Leibniz. Nur nicht der Erfahrung entnommen, nicht an der Erfahrung gemessen. "Vérités de Raison", wie Leibniz das nannte, Vernunftwahrheiten. (Neben denen er auch Erfahrungswahrheiten anerkannte; aber die interessierten ihn so wenig, wie sie John Locke brennend interessierten).

Bei Hegel gibt es eine ähnliche Vernachlässigung, ja Herabwürdigung dessen, was du den "Austausch mit der Welt" nennst. Frag mal einen Hegelianer, ob er auch nur eine einzige empirische Beobachtung nennen kann, die auch nur einen einzige Behauptung in der "Phänomenologie des Geistes" belegt. Er würde dich entgeistert, sozusagen entweltgeistert, angucken.



Also, liebe Kaa, der "Austausch mit der Welt" scheint mir schon zentral für jede Philosophie zu sein, die etwas taugt. Und zwar der konkrete Austausch auf der Ebene, daß sich theoretische Aussagen an der Erfahrung bewähren müssen.

Und genau darauf weist - um den Bogen zurück zu kriegen - Frau Ranke-Heinemann auf ihre (meines Erachtens gezielt) drollige Art wieder und wieder hin. Sie läßt diejenigen, die von der Auferstehung des Fleisches sprechen, nicht damit davonkommen, daß das irgendwie passieren wird, sondern sie fragt; Ja wie denn? Sie mißt die Behauptung an der Realität oder, sagen wir, an der Realisierbarkeit.

Es ist, wie wenn ein Architekt eine wunderschöne Brücke entwirft und der Statiker dazu sagt: Na, dann rechnen wir doch erst mal, ob die auch hält.

Und darin sind, nach meiner Erfahrung, Frauen besser als Männer. Sie können sich durch ihre Lebenssituation der Wirklichkeit nicht so leicht entziehen wie manche Männer. Vielleicht hat sich das auch schon genetisch stabilisiert; das ist halt immer schwer zu sagen.

Herzlich, Zettel

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06.01.2008 19:30
#11 Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Zitat von Rayson
Die "Gebote" der Bergpredigt sind eben nicht als Gebote zu lesen, sondern als Antithesen zu einem Glauben, der meint, nach Strich- und Abhakliste vorgehen zu können und zu müssen. Jesus will nicht, dass man einzelne Gebote befolgt; er will, dass man liebt.

Bei solchen Aussagen von dir bin ich, lieber Rayson, ähnlich ratlos wie bei der Lektüre Ratzingers.

Wenn ich die Matthäus-Kapitel 5 bis 7 so lese, wie ich andere Texte auch lese - mit dem Bemühen, so vorurteilsfrei zu verstehen, wie es denn eben geht -, dann springt mir ins Auge, daß hier einzelne Gebote aufgestellt werden. Und es sind ja nicht nur Gebote, sondern es sind Gebote mit Strafandrohung.

Matth. 5, 21-22 habe ich schon zitiert. Ähnlich geht es weiter.

Matth. 5, 26-27: "Sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf daß dich der Widersacher nicht dereinst überantworte dem Richter und der Richter überantwortet dich dem Diener und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir wahrlich, du wirst nicht von dannen herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahltest".

"Willfährig sein" ist also nicht etwa Zuneigung oder Freundlichkeit, sondern gemeint ist das Bezahlen von Schulden. Wer diese nicht bis auf den letzten Heller bezahlt, der wird in den Schuldturm gesperrt, das ist nach meinem Verständnis die Aussage.

Gewiß, lieber Rayson, man kann das theologisch überhöht interpretieren. Man kann es so verstehen, daß gar nicht materielle Schulden gemeint sind, kein realer Richter, kein wirklicher Schuldturm. Aber woher wissen wir das? Ist es nicht viel plausibler, daß Jesus hier einfach zu anständigem, gesetzestreuem Verhalten aufruft; daß er die Zehn Gebote konkretisiert?

Oder nimm die Verse 31-32: "Es ist auch gesagt: Wer sich von seinem Weib scheidet, der soll ihr geben einen Scheidebrief. Ich aber sage euch: Wer sich von seinem Weib scheidet, es sei denn um Ehebruch, der macht, daß sie die Ehe bricht; und wer eine Abgeschiedene freit, der bricht die Ehe."

Nach meinem Verständnis ist das eine Verschärfung der Scheidungsregeln der Tora. Jesus bestimmt, daß ein Mann seine Frau nur dann verstoßen darf, wenn sie die Ehe gebrochen hat. Und daß er keine verstoßen Frau heiraten darf.

Heute würden wir sagen: Er nimmt zur Frage der Ehescheidung eine sehr konservative Position ein, gemessen an dem damals Erlaubten.



Lieber Rayson, das ist meine naive Leseweise. Naiv in zweierlei Hinsicht:

Erstens habe ich keine Ahnung von Bibel-Philologie, von Judaistik, von der Sozialgeschichte der Antike. Gut möglich, daß allein durch die Übersetzung Luthers vieles auf die Verhältnisse im 16. Jahrhundert zugeschnitten wird. Das ist halt eine Einschränkung, die man bei allen Texten aus der Antike machen muß. Einigermaßen richtig verstehen kann man sie nur mit einem großen Anmerkungsapparat, der Begriffe, Anspielungen, Hintergründe liefert.

Zweitens, und das ist für unsere Diskussion wohl wichtiger, lese ich den Text natürlich nicht vor dem Hintergrund einer Glaubenshaltung, wie du das tust. Ich kann nicht sehen, daß er überwiegend von Liebe handelt.

Ausdrücklich tut er das eigentlich nur am Ende des fünften Kapitels, Vers 38 bis 48.

Das sechste Kapitel hat, soweit ich sehe, zwei Themen: Erstens die Ermahnung, nicht zu heucheln. Zweitens die - allerdings wirklich radikale - Forderung, sich nicht um das tägliche Leben zu sorgen, sondern nur Gott zu dienen. Botschaft der Liebe? Ich würde eher denken, Jesus tritt hier für eine mönchische, vielleicht die essenische Lebensform ein.

Und auch das siebte Kapitel enthält solche, sagen wir, moralischen Ermahnungen: Nicht vorschnell richten, dem anderen geben, was er sich wünscht, sich vor falschen Propheten hüten.

Mir kommt es vor, lieber Rayson, als stehe das alles sehr in der Tradition der Propheten des AT. Die Verse über die universelle Liebe gehen (vermute ich, weiß es aber nicht) über diese hinaus; die Verse, die ein mönchisches, asketisches Leben propagieren, tun es. Aber alles im allem sind das, so scheint mir, vernünftige Ermahnung, ein sozialdienliches Leben zu führen.



Ich bin mir eines möglichen Einwands bewußt: Vielleicht erscheint es uns, erscheint es mir, nur deshalb so selbstverständlich, was Jesus fordert, weil wir eben in dieser christlichen Tradition stehen? Vielleicht war das zu Jesu Zeit alles revolutionär, nur aus eine universellen Liebe heraus überhaupt begründbar?

Ich glaube das nicht. Vieles findet man ähnlich in der ganzen antiken Moralphilosophie. Und eben bei den Propheten des AT. Ich will damit das moralisch Genie Jesu nicht mindern. Das alles so zusammenzufassen, es auch sozusagen dadurch zu überhöhen, daß es mit Wundertaten verbunden wurde - sofort nach der Bergpredigt beginnen ja die Berichte über Wunder -, das, könnte ich mir vorstellen, könnte schon etwas sehr Ungewöhnliches gewesen sein.



Aber du merkst an den vielen Konjunktiven und caveats, daß mir bei dem, was ich jetzt geschrieben habe, nicht wohl ist. Mir fehlen alle Kenntnisse, um einen solchen Text historisch richtig interpretieren zu können.

Vielleicht habe ich einmal Zeit und Lust, mir diese Kenntnisse zu verschaffen. Jetzt wollte ich dir eigentlich nur meinen Eindruck beim Lesen schildern, meinen ganz subjektiven Eindruck.

Herzlich, Zettel




Rayson Offline




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06.01.2008 21:03
#12 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Lieber Zettel,

ein wenig Wert lege ich dann doch darauf, dass nicht mein Glaube meine Interpretation des Neuen Testaments bestimmt, sondern dass der Weg eher umgekehrt verläuft. Mein Glaube spielt vielleicht da eine Rolle, wo es um die Auferstehung geht. Aber die Worte Jesu, die betrachte ich ohne Glaubensvoraussetzung.

Warum soll ausgerechnet jemand wie Jesus, der, wie du sagst, das Verbot der Ehescheidung radikalisiert, den Steinewerfern Einhalt gebieten, die eine Ehebrecherin nach jüdischem Gesetz richten wollen? Ist das nicht widersprüchlich? Erst die Messlatte des Gesetzes höher setzen, aber die Bestrafung dann doch vereiteln? Das "wer von euch ohne Sünde ist" ist der Punkt. So radikal, wie Jesus Gottes Gesetze auslegt, weil er hinter ihnen Gottes Liebe sieht, kann sie keiner nach Vorschrift erfüllen. Also weg mit den Listen, hin zum Leben!

Warum soll jemand wie Jesus, der immer noch einen draufsetzt, erkennbar das Sabbatgebot ignorieren? Und dann nicht nur mit der sicherlich aus christlicher Sicht berechtigten Absicht, sich die Rolle Gottes zuzugestehen (was Ratzinger betont), sondern auch mit den Worten "Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Sabbat für den Menschen"? Jesus ist eigentlich der große Vorschriftenrelativierer. Er macht die bekannten Glaubensregeln auf zweierlei Weise unmaßgeblich: Einmal verstößt er bewusst gegen sie, einmal radikalisiert er sie. Und das passt zusammen: Die radikalen Vorschriften kann niemand erfüllen, aber Gott ist als Jesus bei den Sündern und nimmt sie in Schutz. Wer im Vertrauen auf Jesus handelt, handelt richtig, auch wenn er am Sabbat erntet.

Da, wo Jesus nach der Quintessenz des Glaubens gefragt wird, nennt er auch nur eins: die Liebe (z.B. Lukas 10, 25-28). So wie Paulus später im Römerbrief (für mich übrigens einer der schönsten Texte des NT).

Was ich Bibellesern immer "predige", ist: Achtet auf die Person Jesus, und zitiert nicht einzelne Verse wie Gesetzestexte. Wir nennen uns "Christen" und nicht "Biblisten". Der einzige Zweck des NT ist es, Jesus verstehen zu lernen.

Die Problematik der Übersetzung können wir übrigens wohl ausblenden. Erstens halte ich sowieso jeden Versuch, anhand aus dem Zusammenhang gerissener Verse irgendetwas postulieren zu wollen, für Humbug (komischerweise betrifft diese meine Kritik sowohl Kampfatheisten als auch "Römer"). Und zweitens gibt es mittlerweile so viele Übersetzungen, dass genug Sensibilität für die Unterschiede vorausgesetzt werden kann.

Vielleicht, lieber Zettel, wird dir aus dem Gesagten etwas deutlicher, wie man als Christ diese Dinge verstehen kann. Und ich würde dazu noch behaupten: Wie ich als Rayson sie verstehe, ob ich nun Christ bin oder nicht. Denn alles, was ich hier schreibe, ist auf meinem Mist gewachsen und kann keine Lehrmeinungsautorität für sich beanspruchen. Etwas Sekundärliteratur habe ich natürlich gelesen, aber lesen heißt nicht übernehmen, und ich maße mir an, zwischen Küng, Berger, Lüdemann, Ratzinger, Deschner u.a. zu einer eigenen Sicht der Dinge gelangen zu können. Mein Christsein ist zur Hälfte ein erarbeitetes, kein geerbtes. Die andere Hälfte ist ein erlebtes.

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




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08.01.2008 00:27
#13 Evolution und Erkenntnis; Bakterien, Predatoren, Hominiden Antworten

Zitat von Kaa
Zitat von Zettel 16.12.2007 16:00
Zu behaupten, daß es nichts in diesem Sinn für den Menschen Unfaßbares gäbe, würde darauf hinauslaufen, zu leugnen, daß es eine Evolution gibt.

Denn wenn es sie gibt, dann ist sie ja nicht gerade mit dem Menschen zu Ende. Dann wird es also nach uns Wesen geben, die das erfassen können, was für uns unfaßbar ist. Also gibt es für uns Unfaßbares.

Die Evolution entwickelt doch nicht unbedingt mehr Erkenntnisvermögen.

Da stimme ich dir heftig zu, liebe Kaa.

Und zugleich widerspreche ich ebenso heftig deinem Argument.



Ja, die Evolution ist nicht auf mehr Erkenntnisvermögen angelegt.

Sie ist überhaupt auf nichts hin angelegt. Sie geschieht einfach. Sie geschieht deshalb, weil die einen Organismen ihre Gene weitergeben können und die anderen nicht, oder in geringerem Umfang.

Diejenigen, die in diesem Sinn erfolgreich sind, sind es aus den unterschiedlichsten Ursachen.

Zu den erfolgreichsten Organismen gehören die Bakterien, weil sie sich a)vermehren, daß jedes Kaninchen vor Neid zum Weißen Kaninchen erblassen muß und b) nicht totzukriegen sind; selbst im tiefen Eis und in Vulkanen tummeln sich die Härtesten unter ihnen. Erkenntnis ist nicht gerade die Stärke der Bakterien, vermutlich.

Erfolgreich sind Predatoren, die es geschafft haben, ihrer Beute auf besonders gemeine Weise den Garaus zu machen. Mit Klauen und Zähnen, durch Laufen, Springen, Hervorschnellen. Mit Gift, durch Fallenstellen, durch das Spinnen eines Netzes. Die Evolution war da erfindungsreicher als die gesamte Kriegstechnik in der Geschiche der Menschheit.

Erfolgreich sind aber auch Beutetiere, die es gelernt haben, den Nachstellungen ihrer Predatoren zu entgehen. Indem sie lauschen können wie ein Reh und so schnell davonspringen. Indem sie Haken schlagen und Mimikry anlegen. Indem sie giftig geworden sind oder einen Panzer, Stacheln, Schlüpfrigkeit entwickelt haben. Und - die vermutlich am meisten verbreitete Überlebensstrategie ihrer Gene - , indem sie mehr Nachkommen in die Welt setzen, als ihre Predatoren vertilgen können.

Welche Rolle spielt bei alledem die Intelligenz? Sie ist nicht besonders wichtig, kann aber auch nicht schaden. Sie kann dem Jäger nutzen, aber auch dem Gejagten. Sie ist sozusagen eine Universalwaffe, ein Omnibus-Instrument, um die Überlebenschancen zu steigern.



Deshalb, liebe Kaa, jetzt mein Widersprechen:

Die Evolution entwickelt zwar nicht unbedingt mehr Erkenntnisvermögen. Aber in der Evolution wird mehr Erkenntnisvermögen immer einen kleinen Überlebensvorteil verschaffen.

Auch dumme Wesen können bestens überleben, wie die Bakterien. Wenn aber in einer Population von Rehen und in einer Population von Luchsen einige intelligent und einige dumm sind, dann werden die schlauen Luchse mehr Nachkommen sattkriegen als die dummen, und die schlauen Rehe werden länger leben und damit mehr Kinder in die Welt setzen als die dummen.

Weil das so ist, ist es zwar nicht notwendig der Fall, aber sehr, sehr, sehr wahrscheinlich, daß die Evolution nach dem Homo sapiens sapiens Wesen mit einem umfassenderen Erkenntnisvermögen hervorbringen wird.

Soweit ich das mit meinem begrenzten Erkenntnisvermögen beurteilen kann.

Herzlich, Zettel

M.Schneider Offline



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09.01.2008 10:08
#14 RE: Evolution und Erkenntnis; Bakterien, Predatoren, Hominiden Antworten

Lieber Zettel, liebe Kaa


Die Evolution entwickelt doch nicht unbedingt mehr Erkenntnisver-mögen.

Da stimme ich dir heftig zu, liebe Kaa.
Und zugleich widerspreche ich ebenso heftig deinem Argument.


Ihre daraufolgenden Ausführungen lieber Zettel sind schon ganz in Ordnung, es wäre aber im Sinne der Evolutionsstrategie/Bionik sinnvoll, dies mal etwas weiter auszumahlen, damit man erkennt, wie die Evolution in der Praxis arbeitet.

Ich mache mir dazu ohnehin gerade Gedanken.
Ich habe, ausgehend von der Bionik einen schon von mir früher mal ausgearbeiteten Vortrag über, ich glaube 10 Folgen. Darin kann man sehr gut das Wirken der Evolution ersehen, weil die Beispiele auch erläutern was sich biologisch oder physikalisch hinter bestimmten Lösungen in der Natur verbirgt.

Ich muß nur mal darüber nachdenken, weil so ein BLOG immer Probleme macht, wenn man Tabellen oder Bilder innerhalb des Textes darstellen will. Das ist ein Problem, welches sich aber wohl so schnell nicht lösen lässt?

Es bleibt die Darstellung in einer hochgeladenen pdf- Datei als einzige Lösung die mir einfällt. Wenn Sie noch andere Vorschläge haben lieber Zettel, lassen Sie es mich wissen.

Ansonsten würde ich daraus mal so einen Evolutionsstrategie/Bionik Anschauungspfad machen, wenn Interesse besteht.


Herzlich M.Schneider

Zettel Offline




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09.01.2008 11:10
#15 RE: Evolution und Erkenntnis; Bakterien, Predatoren, Hominiden Antworten

Zitat von M.Schneider
Ich muß nur mal darüber nachdenken, weil so ein BLOG immer Probleme macht, wenn man Tabellen oder Bilder innerhalb des Textes darstellen will. Das ist ein Problem, welches sich aber wohl so schnell nicht lösen lässt?

Es bleibt die Darstellung in einer hochgeladenen pdf- Datei als einzige Lösung die mir einfällt. Wenn Sie noch andere Vorschläge haben lieber Zettel, lassen Sie es mich wissen.

Lieber M. Schneider,

die primäre Funktion dieses kleinen Zimmers ist es ja, als Diskussionsforum zu "Zettels Raum" zu dienen.

Daneben habe ich in diesem Unterforum "Weitere Themen" die Möglichkeit eröffnet, daß über dies und jenes diskutiert wird. Ich freue mich, daß davon auch Gebrauch gemacht wird.

Aber das Hochladen ganzer umfänglicher Dateien - seien Sie nicht böse, aber das würde die Grenzen dessen sprengen, was ein solches Forum ist und soll.

Wie wäre es, wenn Sie eine eigene WebSite einrichten würden, auf die Sie dann verweisen könnten? Das hätte den großen Vorteil, daß Ihre sicher interessanten Ausführungen auch Leser außerhalb dieses kleinen Forums finden könnten.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




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12.01.2008 06:18
#16 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Lieber Rayson,

ich merke - und habe deshalb mit der Antwort gezögert - , wie schwer es mir fällt, Streitfragen mit dir zu finden.

Nicht, weil wir einer Meinung wären. Sondern im Gegenteil - weil die Sichtweisen so radikal verschieden sind, daß ich eigentlich nicht viel mehr sagen kann als: Ich respektiere deine Sicht, deine Haltung, deinen Glauben. Aber mehr als respektieren kann ich nicht. Ich kann nicht verstehen, und ich kann erst recht nicht argumentieren.

Laß es mich an einem Punkt erläutern.

Zitat von Rayson
Warum soll ausgerechnet jemand wie Jesus, der, wie du sagst, das Verbot der Ehescheidung radikalisiert, den Steinewerfern Einhalt gebieten, die eine Ehebrecherin nach jüdischem Gesetz richten wollen? Ist das nicht widersprüchlich?

Darauf ist meine Antwort: Ja, natürlich ist es widersprüchlich. Mir scheint die Bergpredigt voller Widersprüche zu stecken.

Und da würde ich nun, wenn ich Zeit und hinreichendes Interesse hätte, weiterfragen: Wie kommen diese Widersprüche zustande? Welche Quellen hat der Autor des Matthäus- Evangeliums benutzt? Welche Ziele hat er verfolgt? Hat er zum Beispiel vielleicht die Passagen, in denen gewissermaßen die Übererfüllung der Vorschriften der Tora verlangt wird, für Judenchristen geschrieben, denen er die Verankerung des Christentums in der jüdischen Tradition deutlich machen wollte?

Ich verstehe von dem allen nichts und kann das nur zur Kenntnis nehmen, daß der Autor vielleicht zwischen 70 und 100 n.Chr. geschrieben hat, daß er vermutlich Markus und noch eine, vielleicht mehrere andere Quellen benutzt hat, daß er wohl, das habe ich gerade nachgesehen, in der Tat ein Jude gewesen sein dürfte, der sich an die Judenchristen wandte.

Und so fort. Ich will das aber im Grunde gar nicht genauer nachlesen, weil mir das alles so fremd ist, so weit weg von dem, worüber ich ein wenig Bescheid weiß, daß dabei nicht viel herauskommen könnte.

Oder laß es mich so sagen: Was ich im Lauf der Jahre über diese ganze Leben-Jesu-Forschung gelesen habe, hat den Eindruck hinterlassen, daß es eine fast hoffnungslose Forschung ist.

Wenn man über, sagen wir, die Vorsokratiker forscht, dann begibt man sich in eine reiche Tradition hinein, in der zitiert und kommentiert wurde. Auch wenn die Textlage ungleich schlechter ist - man hat ja nur die berüchtigten Fragmente -, kann man doch zu einem Bild von, sagen wir, Heraklit, Parmenides oder Demokrit kommen.

Das Christentum hat sich aber außerhalb dieser ganzen Tradition antiker Gelehrsamkeit entwickelt. Man hat - so mein Eindruck - diese innerhalb des Christentums tradierten Schriften, aber der Kontext fehlt weitgehend. Deshalb, so scheint mir, ist die Bibel-Philologie, ist die Leben-Jesu-Forschung ein so außerordentlich mühsames Geschäft.



Das, lieber Rayson, ist die Ebene, auf der sich meine Gedanken bewegen, wenn ich die Bergpredigt oder wenn ich Ratzingers Jesus-Buch lesen.

Mir scheint es überall Lücken und offene Fragen zu geben, bedingt durch das wenige, was der Wissenschaft an Informationen zur Verfügung steht. Diese Lücken kann man nun füllen, die Fragen beantworten, indem man sozusagen um die wenigen vorhandenen Mosaiksteine herum ein Gemälde aus Theologie zaubert.

Das macht, nach meinem Verständnis, Ratzinger. Er beschreibt uns einen Jesus, an den er glaubt; dessen Bild sicherlich auch in der Tradition der Kirche verankert ist.

Aber er möchte, so scheint mir, daß wir Leser - auch wir Nichtkatholiken - diesen Jesus seines Glaubens zugleich als den historischen Jesus betrachten.

Und das geht nicht, geht für mich nicht.

Man kann Nichtwissen auf der wissenschaftlichen Ebene nicht durch Glauben substituieren. Wir wissen offenbar wenig über Jesus, über seine Lehre, über sein Leben. Das ist so, und damit muß sich die Wissenschaft halt zufriedengeben. Die Quellen geben nicht mehr her.

Ratzinger hat jedes Recht der Welt, seinen Glauben darzulegen und zu erläutern. Aber es ist eben sein Glaube. Die wissenschaftliche Forschung ist etwas ganz anderes.

Beides zu vermengen schadet der Wissenschaft. Ob es dem Glauben nützte, vermag ich nicht zu beurteilen.

Herzlich, Zettel

Inger Offline



Beiträge: 296

12.01.2008 12:11
#17 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Lieber Zettel,
ganz herzlich danke ich Dir und Rayson für das feine Gespräch. Ich will mich auch nicht einmischen, aber eine Frage habe ich:Gehst Du mit Deinen wissenschaftlichen Forderungen nicht etwas am Kern vorbei?
Hier ist der Lebensbericht von Jesus, den vier Leute aufgeschrieben haben. Nur einer, nämlich Lukas, hat Quellen benutzt, d.h., er hat Augenzeugen befragt. Matthäus und Johannes waren Jünger und Markus war Begleiter und Assistenz des Petrus. Da gibt es für mich keine Wissenschafzlichkeit nach heutigen Maßstäben. Allerdings gibt es hier eine sehr große Deutungstradition aus der jüdischen Literatur heraus, mit der verständlich gemacht werden soll, weshalb die Ereignisse nun gerade so waren, wie sie waren. An deren Geschichtlichkeit kann man nicht unbedingt zweifeln und den Grundglauben, daß Jesus der versprochene Messias ist, können wir nur zur Kenntnis nehmen. Irgendwo hat die Geschichte ja auch mit Entscheidung zu tun, die umso leichter fallen kann, wenn man sein Leben nicht an Ideologien, sondern an diesem Leben von Jesus ausrichten will.Das ist doch vollkommen unwissenschaftlich und trotzdem mit den vielen Beispielen nachzuvollziehen.
Herzliche Grüßek
Inger

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

13.01.2008 15:59
#18 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Lieber Zettel,

es geht mir doch gar nicht mal um den Glauben an sich. Sondern um die Art, Texte zu lesen. Du behandelst die Texte des NT anscheinend wie eine Reportage oder die Zusammenstellung historischer Ereignisse. Das sind sie aber nicht, das wollen sie auch gar nicht sein. Betrachte sie - auch und gerade als Nicht-Glaubender - doch einfach als das, was sie hingegen sind: Botschaften, "Evangelien" eben.

Ich bin meilenweit davon entfernt, dir etwas unterstellen zu wollen, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass überzeugte Nichtglaubende sich nicht darauf einlassen wollen, einen Weg zu suchen, diese Texte in sich zu verstehen und aus sich heraus zu interpretieren, sondern erfreut jeden Anlass wahrnehmen, sich und anderen zu beweisen, dass da etwas nicht stimmen könne mit diesem ganzen Glaubenszeuchs, dass da einfach etwas faul sein müsse. Seht her, diese vielen Widersprüche, das zeigt doch, wie irrational euer Glaube ist!

Wenn du aber einen Roman liest und darin meinst, Widersprüche festzustellen, fängst du dann an, nach Quellen zu fragen? Oder vermutest du nicht eher, dass der Autor sich dabei etwas gedacht hat, und dass diese Widersprüche vielleicht nur vermeintliche sind, die sich mit einer neuen Sichtweise plötzlich auflösen lassen?

Es ist ja nicht so, dass diese angeblichen Widersprüche vor allem zwischen den Evangelien aufträten. Wir finden sie im Wesentlichen bereits innerhalb eines Evangeliums. Aber wenn es denn eine Möglichkeit gibt, dass der Grund dafür vor allem in einem zu oberflächlichen Verständnis der handelnden Figuren zu suchen ist, dann gebietet es doch der Respekt vor dem Text, genau diese auch zu seiner Beurteilung heranzuziehen statt eines ihm nicht gerecht werdenden Abziehbilds. Bei mir hat dieses Unterfangen jedenfalls zu einer, wie ich meine, tieferen Einsicht in die Lehre Jesu geführt.

Wenn du meinst, dass es der Glaube sei, der zu einer anderen Interpretation führe, dann muss ich dir da widersprechen. Glaube ist, was im Apostolischen Glaubensbekenntnis steht. Aussagen und Texte im Kontext zu interpretieren, das ist aber Sache des Verstandes. Der Unterschied zwischen uns ist da höchstens, dass mein Verstand von Wohlwollen begleitet ist, deiner aber von tiefer Skepsis.

Was Ratzinger angeht, so macht er auch im Wesentlichen nichts anderes, dehnt aber die Kontextannahme auf die gesamten Schriften des NT aus, weil er die Glaubensannahme trifft, sie alle seien vom Heiligen Geist inspiriert, es lasse sich also in ihnen eine gemeinsame Wahrheit finden. Ich kann aber nicht erkennen, dass es ihm dabei in irgendeiner Form darauf ankäme, Nichtglaubenden etwas über den historischen Jesus zu sagen. Wozu sollte er auch? Seine Diskussion ist eine theologisch interpretierende. Zu einem Missverständnis könnte es höchstens dadurch kommen, dass er sich dadurch mit den Lordsiegelbewahrern der "historisch-kritischen Schule" anlegt. Die würde sich zwar gerne als die von der Wissenschaft einzig zugelassene Theologie etablieren, arbeitet aber bei Lichte gesehen ebenso mit Annahmen, nur eben mit glaubensferneren. Womit wir dann wieder beim Geschmack angekommen wären.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




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13.01.2008 20:08
#19 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Lieber Rayson,

jetzt habe ich den Eindruck, daß wir doch etwas zum Streiten haben.

Zitat von Rayson
es geht mir doch gar nicht mal um den Glauben an sich. Sondern um die Art, Texte zu lesen. Du behandelst die Texte des NT anscheinend wie eine Reportage oder die Zusammenstellung historischer Ereignisse. Das sind sie aber nicht, das wollen sie auch gar nicht sein. Betrachte sie - auch und gerade als Nicht-Glaubender - doch einfach als das, was sie hingegen sind: Botschaften, "Evangelien" eben.

Was diese Texte "sein wollen", das ist aus meiner Sicht eine wissenschaftliche Frage. Ich weiß es nicht; ich weiß nicht einmal, wie sicher es die Historiker wissen.

Bei den Briefen scheint es mir einfacher zu sein. Das sind offenbar Sendschreiben an Gemeinden, mit denen sie belehrt, wohl auch einmal ermahnt werden.

Aber welche Funktion hatten die Evangelien? Nach meinem bescheidenen Wissen waren sie - jedenfalls die der Synoptiker - Versuche, das, was es an mündlichen Überlieferungen in den Gemeinden gab, zu ordnen und es allen Gemeindemitgliedern zugänglich zu machen.

Wer waren jeweils die Adressaten? Auf welchen Wegen wurden die Texte verbreitet? Welche Ziele verfolgten im einzelnen die Autoren? Wieweit haben sie das Material, das ihnen zur Verfügung stand, gesichtet, bewertet, ausgewählt? Wieweit haben sich Lukas und Matthäus auf Markus gestützt, oder hatten sie nur dieselben Quellen wie er? (Daß, liebe Inger, "Matthäus" nicht der gleichnamige Jünger Jesu war, scheint für die Fachleute festzustehen - schon wegen des Entstehungsdatums Ende des ersten Jahrhunderts).

Du merkst, lieber Rayson, ich sehe - in meiner Naivität als jemand, der fachlich keine Ahnung hat - diese Texte in der Tat zunächst einmal als ein Stück Geschichtsschreibung. Ich sehe die Synoptiker als Chronisten, die das festzuhalten versuchten, was in den Gemeinden an Erinnerungen an Jesus kursierte. Ungefähr so, wie jemand sich irgendwann hinsetzt und eine Familiengeschichte aufschreibt, wie es eine Tante von mir gerade getan hat.

Du übersetzt "Evangelion" mit "Botschaft". Ja, gewiß. Aber ein Angelos, ich habe es noch aus dem Xenophon in Erinnerung, ist eben einfach ein weltlicher Bote - einer, den man losschickt, um zum Beispiel über einen militärischen Sieg oder den Tod einer Persönlichkeit zu berichten. Diese Botschaft ist "eu", also gut. Aber es ist doch eben eine Botschaft, keine Predigt, kein Lehrtext. So scheint es mir jedenfalls. Johannes, das ist gewiß eine ganz andere Art von Text.
Zitat von Rayson
Ich bin meilenweit davon entfernt, dir etwas unterstellen zu wollen, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass überzeugte Nichtglaubende sich nicht darauf einlassen wollen, einen Weg zu suchen, diese Texte in sich zu verstehen und aus sich heraus zu interpretieren, sondern erfreut jeden Anlass wahrnehmen, sich und anderen zu beweisen, dass da etwas nicht stimmen könne mit diesem ganzen Glaubenszeuchs, dass da einfach etwas faul sein müsse. Seht her, diese vielen Widersprüche, das zeigt doch, wie irrational euer Glaube ist!

Gut, lieber Rayson, daß du diese Passage so eingeleitet hast, wie du es getan hast.

Denn das, was du da schreibst, trifft auf mich nicht zu, und ich habe, glaube ich, auch keinen Anlaß gegeben, es mir zuzuschreiben. Die Widersprüche haben aus meiner Sicht überhaupt nichts mit dem Glauben zu tun, und schon gar nicht diskreditieren sie ihn in irgendeiner Weise. Sondern sie sind das Normalste von der Welt, wenn sich einer wie der Autor des Matthäus-Evangeliums hinsetzt, um aus der Fülle der Quellen eine einigermaßen stimmige Rekonstruktion zu versuchen.

Was mag er alles über die Bergpredigt zur Vefügung gehabt haben? Wenn er noch lebende Zeugen gekannt haben sollte, dann müßten diese hoch in den Siebzigern oder Achtzigern gewesen sein. Aber konnte er welche kennen? Wo hat er gelebt? Welcher Zufall sollte es mit sich gebracht haben, daß gerade jemand, der damals, Generationen zuvor, einer Predigt gelauscht hatte, jetzt den Weg zu ihm findet? Und dann auch noch ganze Passagen aus dieser damaligen Predigt auswendig weiß? Und andere haben anderes in Erinnerung, Markus hatte es vielleicht aufgeschrieben.

Aus meiner Sicht ist es nichts Diskreditierendes, sondern ganz im Gegenteil ein Positivum, daß Matthäus so viel Widersprüchliches schreibt. Denn es zeigt, daß er seine Quellen hat sprechen lassen, daß er nicht - wie Johannes - eine runde, nämlich seine eigene Geschichte zu erzählen versucht hat.
Zitat von Rayson
Wenn du aber einen Roman liest und darin meinst, Widersprüche festzustellen, fängst du dann an, nach Quellen zu fragen? Oder vermutest du nicht eher, dass der Autor sich dabei etwas gedacht hat, und dass diese Widersprüche vielleicht nur vermeintliche sind, die sich mit einer neuen Sichtweise plötzlich auflösen lassen?

Ja, wenn es ein Roman ist. Aber wenn jemand das mit mündlichen Quellen versucht, was ich zu beschreiben versucht habe, dann sind die Widersprüche eben normal. "Alii dicunt" hieß es in der römischen Geschichtsschreibung, andere wiederum sagen ...
Zitat von Rayson
Es ist ja nicht so, dass diese angeblichen Widersprüche vor allem zwischen den Evangelien aufträten. Wir finden sie im Wesentlichen bereits innerhalb eines Evangeliums. Aber wenn es denn eine Möglichkeit gibt, dass der Grund dafür vor allem in einem zu oberflächlichen Verständnis der handelnden Figuren zu suchen ist, dann gebietet es doch der Respekt vor dem Text, genau diese auch zu seiner Beurteilung heranzuziehen statt eines ihm nicht gerecht werdenden Abziehbilds.

Das Letztere ist auch meine Meinung. Nur sehe ich eben nicht, daß die Widersprüche nur "angeblich" sind. Sie entstehen zwangsläufig, wenn es mehrere Quellen gibt. Auch über Sokrates steht bei Xenophon anderes als bei Platon.
Zitat von Rayson
Wenn du meinst, dass es der Glaube sei, der zu einer anderen Interpretation führe, dann muss ich dir da widersprechen. Glaube ist, was im Apostolischen Glaubensbekenntnis steht. Aussagen und Texte im Kontext zu interpretieren, das ist aber Sache des Verstandes. Der Unterschied zwischen uns ist da höchstens, dass mein Verstand von Wohlwollen begleitet ist, deiner aber von tiefer Skepsis.

Mir fehlt es keineswegs an Wohlwollen; und meine Skepsis ist nur die, mit der man an jeden Text herangehen sollte, nämlich textkritisch. Wobei es allerdings in der Tat zum einen darum geht, aufzuklären, welche Quellen der Autor benutzt hat, was bestimmte Begriffe zu seiner Zeit bedeuteten, welchen Einflüssen er ausgesetzt war, welche Ziele er mit der Publikation verfolgte usw. - und zum anderen geht es darum, den Text zu "verstehen".

Und da, lieber Rayson, scheint mir das Kernproblem zu liegen.

Ich habe bei unserer Diskussion schon öfter an Wilhelm Diltey gedacht, der zwischen einer "erklärenden" und einer "verstehenden" Wissenschaft unterschieden hat; in Deutschland hatte er ja zeitweise viel Einfluß.

Ich halte nichts von dieser Unterscheidung. Wissenschaft ist immer erklärend. Aber nicht alles, was man mit einem Text machen kann, ist Wissenschaft.

Der Begriff des "Verstehens" ist doppeldeutig. Es kann zum einen gemeint sein: Rekonstruieren, was der Autor sagen wollte. Das ist ein Teil des Erklärens. Diese Art von "Verstehen" kann richtig oder falsch sein. Je mehr man über die Zeitumstände kennt, je mehr über die Biographie eines Autors usw., umso besser wird diese Art des Verstehens sein; als Teil wissenschaftlicher Erklärung.

Zweitens kann man mit "Verstehen" aber auch das Interpretieren meinen. Und da gibt es nun kein "richtig" oder "falsch". Ein Text eröffnet immer viele Interpretationen; umso mehr, je besser, also reicher er ist.

Und so sehe ich auch den Umgang mit Texten wie den Evangelien. Man kann sie interpretieren, so wie, sagen wir, Heidegger die Vorsokratiker als Philosophen des Seins interpretiert hat, oder Bertrand Russel den Leibniz als einen sprachanalytischen Philosophen.

Im Fall der Bibel ist das Auslegung, Verkündigung. Nichts dagegen, überhaupt nichts. Nur sollte man das eben - und das ist meine Kritik an Ratzingers Jesus-Buch - nicht mit historischen Fragen vermengen.
Zitat von Rayson
Was Ratzinger angeht, so macht er auch im Wesentlichen nichts anderes, dehnt aber die Kontextannahme auf die gesamten Schriften des NT aus, weil er die Glaubensannahme trifft, sie alle seien vom Heiligen Geist inspiriert, es lasse sich also in ihnen eine gemeinsame Wahrheit finden. Ich kann aber nicht erkennen, dass es ihm dabei in irgendeiner Form darauf ankäme, Nichtglaubenden etwas über den historischen Jesus zu sagen. Wozu sollte er auch? Seine Diskussion ist eine theologisch interpretierende.

Wäre sie das und nur das, dann bestünde meine Kritik zu Unrecht. Ich kann das aber nicht sehen.

Nehmen wir zum Beispiel Ratzingers Auseinandersetzung mit der "johanneischen Frage". Da schreibt er (Seite 263f): "So sind wir nun bei zwei entscheidenden Fragen angelangt, um die es bei der "johanneischen Frage" letztlich geht: Wer ist der Verfasser dieses Evangeliums? Wie steht es um seine historische Glaubwürdigkeit?" Ratzingers Antwort ist, daß das Evangelium auf den Jünger Johannes zurückgehe, daß es aber von einem anderen - dem Presbyter Johannes - als dessen "Sprachrohr" geschrieben sei.

Das ist, lieber Rayson, nicht Auslegung, nicht Interpretation. Sondern es ist eine grundsätzlich falsifizierbare wissenschaftliche These.

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

14.01.2008 19:50
#20 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten
Zitat von Zettel
Lieber Rayson,
jetzt habe ich den Eindruck, daß wir doch etwas zum Streiten haben.


Na endlich, lieber Zettel, werde ich für dich satisfaktionsfähig!

Zitat von Zettel
Was diese Texte "sein wollen", das ist aus meiner Sicht eine wissenschaftliche Frage.


Keine, die man aus den Texten selbst heraus erkennen könnte? Die historische Beweislage ist für diese Zeit und diesen Ort nun leider etwas sehr dürftig. So dürftig, dass Carsten Peter Thiede das Neue Testament für die vergleichsweise fundiertesten Quellen hielt.

Zitat von Zettel
Ich weiß es nicht; ich weiß nicht einmal, wie sicher es die Historiker wissen.


Nun, im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Texte des NT keinen Anspruch auf historische Genauigkeit erheben, sondern dass es sich a) um Texte orientalischer Tradition handelt (also bildreich und ausschmückend) und b) um Texte, die mit glaubensstärkender Absicht geschrieben wurden.

Diese These scheint mir auch plausibel. Für eine historische Schilderung wäre der Fokus auf Jesus-Worte kaum zu erklären, und die Auslassung der Jahre zwischen Geburt und Tod ein unverzeihlicher Lapsus. Auch die zahlreichen Hinweise auf das AT hätten darin keinen Platz (nimm mal eine kommentierte Ausgabe zur Hand - der Fußnotenapparat würde selbst einem zeitgenössischen Wissenschaftler wie dir Respekt einflößen ).

Zitat von Zettel
Du übersetzt "Evangelion" mit "Botschaft". Ja, gewiß. Aber ein Angelos, ich habe es noch aus dem Xenophon in Erinnerung, ist eben einfach ein weltlicher Bote - einer, den man losschickt, um zum Beispiel über einen militärischen Sieg oder den Tod einer Persönlichkeit zu berichten. Diese Botschaft ist "eu", also gut. Aber es ist doch eben eine Botschaft, keine Predigt, kein Lehrtext. So scheint es mir jedenfalls.


Und warum sollte die Nachricht, dass der Sohn Gottes für unsere Sünden am Kreuz gestorben und uns mit seiner Wiederauferstehung eine ewig gültige Hoffnung gegeben hat, keine Botschaft sein? Denken wir gerne historisch: Eine Trennung zwischen spirituellem und täglichem Leben gibt es erst seit wenigen Jahrhunderten, Jahrzehnten fast.

Zitat von Zettel
Mir fehlt es keineswegs an Wohlwollen; und meine Skepsis ist nur die, mit der man an jeden Text herangehen sollte, nämlich textkritisch. Wobei es allerdings in der Tat zum einen darum geht, aufzuklären, welche Quellen der Autor benutzt hat, was bestimmte Begriffe zu seiner Zeit bedeuteten, welchen Einflüssen er ausgesetzt war, welche Ziele er mit der Publikation verfolgte usw. - und zum anderen geht es darum, den Text zu "verstehen".


Et voilà - mit Letzterem würde ich doch mal anfangen

Zitat von Zettel
Und so sehe ich auch den Umgang mit Texten wie den Evangelien. Man kann sie interpretieren, so wie, sagen wir, Heidegger die Vorsokratiker als Philosophen des Seins interpretiert hat, oder Bertrand Russel den Leibniz als einen sprachanalytischen Philosophen.


Dass die Bibel interpretierbar ist, würde ich am allerwenigsten bestreiten. Ich bin aber verwöhnt: Die Interpretation sollte schon überzeugend sein. Ich kenne leider bisher nur eine, die meinem Anspruch gerecht wird. Alle anderen lassen wichtige Fragen unbeantwortet. Sagen wir es mal so rum: Was spricht dagegen, der Interpretation, die es schafft, aus allen Büchern des NT (gerne mit Johannes, aber besser ohne dessen Offenbarung, denn die ist nun wirklich was ganz Anderes...) dieselbe Nachricht aus den Texten heraus widerspruchsfrei herauszukristallisieren, einen Vorrang einzuräumen?

Zitat von Zettel
Ratzingers Antwort ist, daß das Evangelium auf den Jünger Johannes zurückgehe, daß es aber von einem anderen - dem Presbyter Johannes - als dessen "Sprachrohr" geschrieben sei.
Das ist, lieber Rayson, nicht Auslegung, nicht Interpretation. Sondern es ist eine grundsätzlich falsifizierbare wissenschaftliche These.


Sehe ich auch so. Leider kann ich nicht nachvollziehen, wie Ratzinger das begründet, denn ich habe eben vergeblich versucht, in meinen Bücherbergen sein Werk wiederzufinden. Ich beziehe mich dann besser auf Klaus Berger, der konstatiert, der Verfasser des Johannes-Evangeliums "habe etwas mit dem Verfasser der Johannes-Briefe zu tun" (meint: muss nicht derselbe sein, es kann sich auch um einen Schüler handeln). Für diese wird in einem Werk von 1993 besagter Presbyter als Autor genannt, was aber von anderen Neutestamentlern, u.a. auch Berger selbst, abgelehnt wird. Ratzinger macht sich da also eine ganz bestimmte Argumentation zu eigen. Was spricht dagegen?

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.01.2008 23:37
#21 Welchen Status haben die Evangelien der Synoptiker? Antworten
Lieber Rayson,

wenn wir über die Bergpredigt diskutieren, dann haben wir beide jetzt immer von dem gesprochen, was "Jesus sagte". Wir haben also vorausgesetzt - jedenfalls ich habe das, aber ich denke, du auch - , daß wir einen Text vor uns haben, der über Jesus berichtet, den historischen Jesus.

Mit allen Einschränkungen, die man bei einer solchen Quelle machen muß:

Verschriftlicht erst nach Jahrzehnten des "oralen Tradierens", wie das hochtrabend heißt, also des Erzählens, des Ausschmückens, des Veränderns, wie bei jeder mündlichen Weitergabe.

Ohne daß wir wissen, wer überhaupt die Gewährsleute gewesen sind.

Ohne daß wir, wie bei anderen Texten aus der Antike, verschiedene Quellen vergleichen können. Und so fort.

Aber wir müssen doch nach meinem Verständnis voraussetzen, daß es sich trotz aller dieser Probleme um eine halbwegs zuverlässige Quelle über eine Predigt Jesu handelt.

Wenn nicht, dann dürften wir überhaupt nicht über das diskutieren, was Jesus sagte oder meinte oder verkündete; sondern wir müßten dann über das diskutieren, was Matthäus meinte, oder was die Christen meinten, deren Glauben er aufschriebt.

Noch mal in einem wissenschaftlichen Slang gesprochen: Wir können den Text als Darstellung im Sinn von Bühler lesen, also bezogen auf die Realität, die sein Referent ist. Oder wir können ihn als Ausdruck lesen, also in Bezug auf den Autor, der ihn produziert hat.

Weil ich bisher diese für mich selbstverständliche Voraussetzung gemacht habe, den Text als Darstellung einer historischen Rede zu lesen, habe ich mich schon a bisserl darüber gewundert, daß du schreibst:
Zitat von Rayson
Nun, im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Texte des NT keinen Anspruch auf historische Genauigkeit erheben, sondern dass es sich a) um Texte orientalischer Tradition handelt (also bildreich und ausschmückend) und b) um Texte, die mit glaubensstärkender Absicht geschrieben wurden. Diese These scheint mir auch plausibel.

Ich kann da den Gegensatz nicht sehen.

Ja, gewiß, die Stärkung des Glaubens dürfte eine Absicht gewesen sein; das hatte ich, glaube ich, früher auch schon eingeräumt. Ausschmückungen mögen unter das fallen, was ich eben als Probleme solcher Texte angesehen habe.

Aber wenn wir ihn als Darstellung verstehen, dann müssen wir doch - nach meinem Verständnis - dennoch unterstellen, daß Matthäus sich um historische Genauigkeit bemühte. Daß er nicht von einer fiktiven, sondern von einer historischen Gestalt schreiben wollte, und daß er von ihr das schreiben wollte, was sich wirklich so zugetragen hat.

Gewiß wird ihm das nicht perfekt gelungen sein. Das ist ja beim Herodot auch nicht anders. Aber wenn man ihn liest, dann muß man sich eben entscheiden: Will ich jetzt etwas über das Geschichtsbild Herodots erfahren oder darüber, was tatsächlich, sagen wir, in den Perserkriegen passiert ist? Und das Letzere kann ich nur zu erfahren erwarten, wenn ich voraussetze, daß Herodot sich nach bestem Wissen um historische Genauigkeit bemüht hat.

Oder anders gesagt: Will man etwas über das Geschichtsbild Herodots erfahren, dann wird man die Texte zu verstehen versuchen, vor dem Hintergrund des zeitgeschichtlichen Kontexts. Wenn man etwas über die Perserkriege erfahren möchte, dann wird man Herodot als eine Quelle nutzen, die man mit anderen Quellen kombiniert. Es sind zwei völlig verschiedene Arten, den Text zu nutzen. Und aus meiner Sicht die beiden einzigen, die er anbietet.



Oder gibt es noch eine dritte Möglichkeit? Manchmal kommt es mir so vor. Es kommt mir so vor, als würden Christen von "Worten Jesu" sprechen, aber damit weder meinen, daß es sich um tatsächliche Äußerungen einer historischen Person handelt, die so oder so ähnlich gefallen sind; noch aber auch nur einfach um den Ausdruck des Glaubens von (hier) Matthäus und seiner Gemeinde.

Sondern - so scheint mir - man schreibt die Äußerungen einem "Jesus" zu, der nicht historisch, aber irgendwie doch wirklich ist.

Und da sind wir - falls ich das richtig sehe - dann halt wieder beim Glauben.



Nein, es geht nicht um "Satisfaktionsfähigkeit", lieber Rayson.

Aus meiner Sicht gibt es aber eine grundlegende Verschiedenheit, eine Verschiedenheit der Sprachebene, zwischen wissenschaftlichen Aussagen und Glaubensaussagen. Das ist ja meine Kritik an Ratzinger, daß er das nicht auseinanderhält; daß der Leser seines Buchs selten weiß, ob er sich jetzt auf der einen oder der anderen Ebene befindet.

Soviel erst einmal; zu den anderen Punkten später vielleicht noch etwas.

Herzlich, Zettel
Inger Offline



Beiträge: 296

16.01.2008 15:12
#22 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Lieber Zettel,
ein kleiner Einwand: Die "Fachleute" tradieren seit 100 Jahren die Unmöglichkeit der Abfassung von Schriften in früher Zeit nach den Ereignissen. Genau diese Leute können nicht an den modernen Forschungen teilnehmen, weil sie sich die eigene Zunge abbeißen müßten. Gerade K.P.Thiede ( Gott habe ihn selig) hat mit dazu beigetragen, daß da an etlichen Stellen anders gedacht wird. Und gerade zu Matthäus haben doch die ganz alten und ersten Kirchenväter was geschrieben, was bis vor 100 Jahren nicht als falsch angesehen wurde.
Die Spätdatierung ist ein ganz beliebtes Thema für Forscher der kritischen Methode, die ohnehin in dem NT ein Konglomerat von Mythen sehen
Grüßchen,
Inger

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2008 18:18
#23 RE: Die Bergpredigt, naiv gelesen Antworten

Zitat von Inger
ein kleiner Einwand: Die "Fachleute" tradieren seit 100 Jahren die Unmöglichkeit der Abfassung von Schriften in früher Zeit nach den Ereignissen. Genau diese Leute können nicht an den modernen Forschungen teilnehmen, weil sie sich die eigene Zunge abbeißen müßten. (...) Die Spätdatierung ist ein ganz beliebtes Thema für Forscher der kritischen Methode, die ohnehin in dem NT ein Konglomerat von Mythen sehen.

Ich kann dazu, liebe Inger, wenig sagen, weil es ein Gebiet ist, zu dem ich auch indirekt keinen Zugang habe.

Das ist, wenn du mir den gewaltigen Gedankensprung nicht übel nimmst, wie mit der globalen Erwärmung: Da gibt es ein paar hundert Fachleute weltweit, die ein fundiertes Urteil haben. Wir Laien können meines Erachtens nur ihnen vertrauen oder mißtrauen, aber kein eigenes Urteil zustandebringen.

Was ich zu Matthäus geschrieben habe, das habe ich der Wikipedia entnommen und, diesmal zur Ergänzung, auch der Encylopedia Britannica, die - freilich immer seltener benutzt - in meiner Bibliothek steht.

Die Spätdatierung basiert, so entnehme ich diesen Quellen, wie immer in der Philologie auf Textmerkmalen und Textvergleichen. So zeige der Text eine Kenntnis von Paulus-Briefen, es gebe Hinweise auf Ereignisse und historische Gestalten um das Jahr 70 herum.

Ich kann das überhaupt nicht beurteilen. Auch nicht die Theorie, das Matthäus-Evangelium sei gar nicht in Griechisch geschrieben, sondern eine Übersetzung aus dem Aramäischen.

Liebe Inger, was ich dazu so lese, bestärkt mich nur in der starken Vermutung, daß die Bibel-Philologie schlecht dran ist. Und ich habe ja auch schon geschrieben, was nach meinem bescheidenen Wissen die Ursache ist: Diese Texte entstanden nicht innerhalb des breiten Kontexts antiker Gelehrsamkeit, sondern als Dokumente einer damals noch kleinen Sekte. Dadurch fehlen die Querbezüge, die sonst den Philologen und Historikern helfen.

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

16.01.2008 23:06
#24 RE: Welchen Status haben die Evangelien der Synoptiker? Antworten
Lieber Zettel,

wir wollen uns doch nicht - no pun intended - verzetteln.

Über den historischen Hintergrund der Evangelien gäbe es viel zu sagen. Nur: Das ist nicht mein Punkt. Der ist: Lass uns doch zuerst über die Botschaften reden, die durch die Evangelien vermittelt werden. Gibt es da eine, oder lässt sich wegen zu vieler Widersprüche keine ermitteln? Ich behaupte: Es gibt eine.

Bevor wir auf externe Quellen zurückgreifen, versuchen wir also zunächst, den Text aus sich selbst heraus zu verstehen. Wie einen Roman. Da kannst du noch hundertmal der Meinung sein, diese Texte dürften nicht als Roman gelesen werden - ich sage: Tun wir doch mal so, als ob. Und ich verspreche dir einen Erkenntnisgewinn, der dich zweifeln lassen wird, was mit deiner "kritischen" Methode noch zu gewinnen wäre.

Am Verständnis der christlichen Botschaft natürlich. Nicht daran, wie wahr diese ist und wie historisch begründet. Da stoßen wir dann wirklich an Glaubensfragen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die als führend anerkannte "historisch-kritische" Exegese kaum einen Vers der Evangelien so stehen lässt, wie man ihn normal lesen würde. Aber das ist die zweite Stufe. Reden wir doch erst über die Botschaft, und meinetwegen erst dann darüber, wer originär dahinter steckt.

Mir kommt es auf den Inhalt an, und darauf, dass er richtig (=logisch widerspruchsfrei) verstanden wird.

--
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Rayson Offline




Beiträge: 2.367

16.01.2008 23:11
#25 RE: Welchen Status haben die Evangelien der Synoptiker? Antworten

Lieber Zettel,

zu deiner Debatte mit Inger:

Ja, tatsächlich ist der historische Hintergrund der Zeit Jesu außerordentlich schwach. Wie Inger würde auch ich die Beschäftigung mit den Büchern Carsten Peter Thiedes empfehlen, oder auch mit denen von Klaus Berger: Da relativiert sich jede angebliche Gewissheit.

Aber darauf kommt es nicht an, wenn es darum geht, die Botschaft Jesu - wie sie von den Evangelien und den Briefen erzählt wird - zu ermitteln. Die nämlich ist keine Frage des Glaubens, sondern lässt sich nachlesen. Der Glaube setzt erst da ein, wo es darum geht, was man dem historischen Jesus zuschreiben will oder nicht. Aber das ist der zweite Schritt vor dem ersten.

--
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