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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 69 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Frankenstein Offline




Beiträge: 891

23.12.2023 13:39
#51 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von fedchan im Beitrag #46
Ansonsten wird angeblich immer das Leid der Opfer nicht berücksichtigt, sondern nur auf den Täter geschaut. Das liegt im Strafprozess allerdings in der Natur der Sache, weil es um einen massiven Grundrechtseingriff zu Lasten des Täters geht, der rechtsstaatlich sauber gerechtfertigt werden muss, was beinhaltet, dass seine konkrete Schuld ermittelt wird. Und es ist bspw. in sich schlüssig, zu sagen, dass ein Straftäter, der sein Leben lang bestimmte ethisch-moralische Vorstellungen von seiner Herkunftsgesellschaft mitbekommen hat, diese Imprägnierung nicht ohne Weiteres ablegt, bloß weil er vor relativ kurzer Zeit in einen anderen Kontinent gereist ist. Wollen wir das nicht berücksichtigen, bestrafen wir fehlende Assimilation, nicht jedoch die konkrete Tat. Anders gesagt: Werden Migranten aufgrund fremdkultureller Moralvorstellungen hierzulande straffällig, sind die daraus folgenden Fragen an die Regierung zu stellen, die einst die Migration ermöglichte; die Strafjustiz ist da relativ hilflos.

Also erst einmal vielen herzlichen Dank für Ihre hochinteressanten Ausführungen, werter fedchan

Zum von mir zitierten Part würde ich gerne Folgendes anmerken:

Ich arbeite mit sehr vielen Migranten mit den von Ihnen angesprochenen 'fremdkulturellen Moralvorstellungen' zusammen und kann Ihnen daher aus erster Hand Folgendes versichern:

Bei denen ist das Unverständnis bzw. die Empörung über die in Deutschland praktizierte Kuscheljustiz gegenüber Straftätern ganz locker nochmal 'ne Zehnerpotenz höher als bei der autochthonen Bevölkerung.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

23.12.2023 13:48
#52 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Sehr geehrter fedchan,
auch ich muss mich für den ausführlichen Beitrag bedanken (ich hätte da lieber einen Gastbeitrag draus gemacht, eben weil ich Pro und Kontra Debatten sehr wichtig finde). Mir fehlt leider die Zeit jeden Punkt aufzugreifen, außerdem wollen wir uns ja auch nicht in Details verlieren. Aber drei grundsätzliche Punkte möchte ich dennoch gegenhalten:

- Das Problem mit dem Risiko ist ein generelles. Die meisten Straftäter gehen, selbst ohne ein Verhältnis in Bestrafung erlebt zu haben, meistens davon aus, nicht erwischt zu werden. Gerade bei den schweren Straftaten wie Mord, Raub oder Vergewaltigung gehen fast alle Täter davon aus nicht erwischt zu werden. Bankräuber kalkulieren keine Haftzeit mit ein. Eine solche Einpreisung findet eher im Bereich der Kleinkriminalität statt, maximal noch bei Betrügern. Nun war aber der Ursprungsbeitrag an einem schweren Verbrechen aufgehangen und nicht an einer Bagetelle. Die Straftäter, namentlich die Vergewaltiger, haben hoffentlich(!) nicht erlebt, dass sie nur bei jeden zehnten Vergewaltigung bestraft werden. Und ich sage betont hoffentlich, denn GENAU DAS ist es, was beim Hamburger Urteil rauskommt. Es wird eben keine Strafe empfunden, sondern das Urteil wird als Freispruch interpretiert. Und animiert zu weiteren Taten. Die Wahrscheinlichkeit bei einem schweren Verbrechen nicht erwischt zu werden, ist deutlich geringer. Und insofern kommt der von ihnen beschriebene, negative Lerneffekt, nicht zum Tragen. Was hier zum Tragen kommt ist die geringe Strafe. Mithin müsste, nach der von Ihnen vorgetragenen Spezialprävention, hier insbesondere ein hartes Urteil her. Um nämlich genau diese neun Delinquenten davon zu überzeugen, dass sie etwas sehr falsches getan haben, das eben nicht gesellschaftlich geduldet ist.
Aber selbst ab von dem konkreten Fall und den schweren Straftaten, ist es nicht das Risiko alleine, was ausschlaggebend ist, sondern auch die Folgen, die im Falle einer Verurteilung drohen. Anders gesagt: Die Wahrscheinlichkeit beim Schwarzfahren erwischt zu werden sind sehr gering. Die Folgen aber recht gewaltig und zwar so gewaltig, dass die meisten Leute, selbst wenn das Risiko gering ist, aufs Schwarzfahren verzichten. Und das gilt in vielen Bereichen, vom Steuerrecht bis zum Spucken auf die Straße. In Singapur steht auch nicht überall ein Polizist rum, aber trotzdem sehen Sie keine Kaugummis auf dem Boden, weil es drakonisch bestraft wird. Und um in Deutschland zu bleiben, es gibt auch nicht viele Leute die mit 100 durch die Stadt fahren. Nicht weil überall Radarfallen wären, so viele sind das gar nicht, sondern weil die Rechtsfolgen gewaltig sind, wenn man erwischt wird.

- Es ist schön, wenn sich Juristen viele Gedanken um Straftheorie und Mittel zum Zweck, Würde des Menschen und Weiß-der-Kuckuck was alles machen. Ernsthaft. Theoriefindung ist gut, und man sollte immer begründen warum etwas so ist, wie es ist. Aber was Juristen vergessen ist etwas viel wichtigeres: Jura ist kein Selbstzweck. Denn Selbstzwecke verkommen immer sehr schnell zu intellektueller Selbstbefriedigung. Jura ist am Ende eine Auftragsarbeit. Und zwar eine Auftragsarbeit, beauftragt vom Souverän, früher dem Herrscher, heute dem Volk. Jura muss einen Zweck erfüllen und dieser Zweck wird NICHT von Juristen vorgegeben sondern vom Volk. Das Volk hat ein Gerechtigkeitsempfinden und es ist Aufgabe der Juristen das abzubilden. Wenn sie das nicht tun, und das tun sie in Deutschland immer weniger, dann versagen die Juristen. Schlicht und einfach. Und das hat m.E. nach sehr viel mit dem falschen Selbstverständnis von Juristen, vor allem von Richtern zu tun. Das Volk ist kein dummer Haufen, der von den klugen Juristen erklärt bekommen will, was gerecht oder richtig ist. Das Volk hat eine Vorstellung was gerecht ist. Und die Diskrepanz zwischen dem, was die Juristen tun und dem, was das Volk erwartet, darf nicht allzu groß sein. Die Konsequenz kann man in weniger entwickelten Ländern nämlich durchaus sehen und das ist Paralleljustiz oder schlicht auch Lynchjustiz. Ich will es ganz simpel runterbrechen: Wenn die Juristen nicht für etwas sorgen, was von den Bürger als gerecht empfunden wird, dann werden irgendwann andere für Gerechtigkeit sorgen.

- Das Richter risikominimierend urteilen mag eine Folge sein, wenn ihnen Haftung droht. Nur: Das machen Millionen anderen Menschen auch nicht anders. Wenn der Konstrukteur eine Brücke entwirft, dann macht er das auch risiominimierend. Und das ist auch gut so, sonst macht er sich nämlich strafbar. Das man für die eigenen Handlungen Verantwortung und Haftung übernimmt ist für Millionen Menschen simpler Alltag. Und das sich Juristen (wie auch Politiker nebenbei) da raus nehmen ist ein Skandal für sich.
Was Sie darstellen ist, dass das Risiko einseitig ist. Aber das ist ja gar nicht der Fall. Natürlich kann ein Richter, der haftbar wäre, sich überlegen, dass er, wenn er jemanden zu Unrecht einsperrt, er dafür zahlen muss. Umgekehrt besteht aber auch das Risiko, dass er, wenn er ihn nicht einsperrt, er dann beispielsweise abgewählt wird. Er muss mithin zwischen Risiken entscheiden. Genauso wie jeder andere auch. Der oben genannte Konstrukteur ist seinen Job ebenso los, wenn er doppelt soviel Material verbraucht, als notwendig wäre. Und er muss begründen was er tut. Dass Otto Brixner im Nachhinein nicht erklären muss, warum er einen Unschuldigen in seiner Verhandlung mehrfach angebrüllt hat und seine Beweise nicht einmal lesen wollte, das ist das zentrale Problem. Denn als Konstrukteur muss ich, wenn die Brücke einstürzt, erklären warum ich etwas nicht gelesen habe. Ich muss mich rechtfertigen. Otto Brixner sitzt zuhause und pfeift darauf für irgendetwas Verantwortung zu tragen.

Eine letzte Sache noch, die ich nur aus perösnlichen Gründen nachschiebe: Sie sprachen davon, dass es im Zivilrecht besser funktioniert und Entscheidungen gut begründet sind. Das ist, auch wenn es persönlich konnotiert ist, nicht meine Erfahrung. Begründen kann man viel und in aller Regel in die eine wie die andere Richtung. Das ist eine Frage der berühmten Würdigung. Es ist mein Eindruck das Richter nach dem Bauch urteilen und dann in Gesetzen eine Begründung finden und detailliert aufschreiben. Und ich habe das live erlebt und zwar sowohl als Verlierer als auch als Gewinner. Ein Anwalt hat es mir gegenüber einmal so erklärt: Wir gehen jetzt da rein, und der Richter haut so lange auf den Parteien herum, bis die mit dem, was er sich überlegt hat, einverstanden sind. Und genau das habe ich mehrfach genau so erlebt. Da kommt jemand rein, hat bereits eine feste Meinung und kloppt so lange auf den Parteien rum, bis die das hinnehmen. Und macht einer nicht mit, findet der Richter (oder die Richter) eine Begründung im Gesetz, warum das genau so sein muss. Und wie gesagt, ich habe das von beiden Seiten erlebt, und was es bei mir nicht hinterlassen hat, war der Eindruck von Gerechtigkeit. Was immer man im Fernsehen sieht, hat mit dem, was ich erlebt habe, nahezu gar nichts zu tun. Aber das ist rein meine persönliche Erfahrung, die ich nicht total verallgemeinern will. Aber ich für meinen Teil weiß wo der dumme Spruch herkommt: In Deutschland vertrauen 80% der Bürger dem Rechtsstaat. Die anderen 20 haben ihn schon kennen gelernt.

Llarian Offline



Beiträge: 7.120

23.12.2023 13:52
#53 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #50
Sollte sich das auf den Hamburger Innensenator Andy Grote ('Du bist so 1 Pimmel') beziehen:
Den muss ich insofern in Schutz nehmen, dass er definitiv nicht woke ist und bis heute im linksradikalen/-extremistischen Antifa-Milieu verhasst. Grote ist eher so Schmidt-Flügel.

Ich bin zwar nicht Frank, aber ich gehe auch davon aus, dass Grote gemeint ist. Und ich möchte dazu anmerken, dass es Grote nicht für zwei Cent entschuldigt, dass er nicht woke ist. Wenn jemand durch politischen Einfluß ein Rollkommando losschickt, wegen einer einfachen Beleidigung, so gehört der schlicht und einfach noch vor die oben bezeichnete Richterin in die Schlange beim Arbeitsamt. Es ist ein doppelter Skandal, dass Grote das Ganze nicht nur veranstaltet hat, sondern der politische Filz in Hamburg ihm das sogar noch hat durchgehen lassen.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

23.12.2023 14:47
#54 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #51
Zitat von fedchan im Beitrag #46
Ansonsten wird angeblich immer das Leid der Opfer nicht berücksichtigt, sondern nur auf den Täter geschaut. Das liegt im Strafprozess allerdings in der Natur der Sache, weil es um einen massiven Grundrechtseingriff zu Lasten des Täters geht, der rechtsstaatlich sauber gerechtfertigt werden muss, was beinhaltet, dass seine konkrete Schuld ermittelt wird. Und es ist bspw. in sich schlüssig, zu sagen, dass ein Straftäter, der sein Leben lang bestimmte ethisch-moralische Vorstellungen von seiner Herkunftsgesellschaft mitbekommen hat, diese Imprägnierung nicht ohne Weiteres ablegt, bloß weil er vor relativ kurzer Zeit in einen anderen Kontinent gereist ist. Wollen wir das nicht berücksichtigen, bestrafen wir fehlende Assimilation, nicht jedoch die konkrete Tat. Anders gesagt: Werden Migranten aufgrund fremdkultureller Moralvorstellungen hierzulande straffällig, sind die daraus folgenden Fragen an die Regierung zu stellen, die einst die Migration ermöglichte; die Strafjustiz ist da relativ hilflos.

Also erst einmal vielen herzlichen Dank für Ihre hochinteressanten Ausführungen, werter fedchan

Zum von mir zitierten Part würde ich gerne Folgendes anmerken:

Ich arbeite mit sehr vielen Migranten mit den von Ihnen angesprochenen 'fremdkulturellen Moralvorstellungen' zusammen und kann Ihnen daher aus erster Hand Folgendes versichern:

Bei denen ist das Unverständnis bzw. die Empörung über die in Deutschland praktizierte Kuscheljustiz gegenüber Straftätern ganz locker nochmal 'ne Zehnerpotenz höher als bei der autochthonen Bevölkerung.


Ein sehr guter Beitrag von fedchan.
Der einzige Punkt, über den ich ernsthaft gestolpert bin ist der gleiche, den auch Frankenstein oben aufgreift.

Zitat von fedchan im Beitrag #46
Wollen wir das nicht berücksichtigen, bestrafen wir fehlende Assimilation, nicht jedoch die konkrete Tat.


Ich sehe das genau umgekehrt:
GERADE DANN, wenn man individuelle Moralvorstellungen des Täters NICHT berücksichtigt, bestraft man ausschließlich die konkrete Tat.

Zitat von fedchan im Beitrag #46
Anders gesagt: Werden Migranten aufgrund fremdkultureller Moralvorstellungen hierzulande straffällig, sind die daraus folgenden Fragen an die Regierung zu stellen, die einst die Migration ermöglichte;


Dass den Merkel- und Scholz-Regierungen, die sich bezüglich Integrationsfähigkeit dumm und blöd stellen eine gehörige Mitschuld trifft, ist sicher unstrittig.
Aber das ändert doch nichts an der ganz persönlichen Schuld eines individuellen Täters.
Wer in ein fremdes Land kommt, muss die Gesetze dieses Landes achten und kann sich nicht darauf berufen, dass bei ihm zuhause andere Gesetze gelten. Das ist seit Jahrtausenden grundlegende menschliche Allgemeinbildung, über alle Kulturgrenzen hinweg.
Und konkret sollte man sich halt als Migrant schlau machen, welche Gesetze im Gastland gelten.

Natürlich kann man nicht erwarten, dass ein Migrant JEDES Gesetz des Gastlandes kennt.
Niemand wird sich darüber beklagen, wenn ein Migrant nicht weiß, dass Fahrräder in Deutschland eine Klingel haben müssen.
Aber bei den hier im Thread diskutierten Straftaten wie Gruppenvergewaltigung und Mord kann man doch nicht einem Migranten einen Strafrabatt geben, weil er die vielleicht hiesigen Moravorstellungen nicht so genau kennt. Dass er bei Vergewaltigung und Mord Unrecht begeht, muss ihm doch wohl klar sein. (Zumal Mord und Vergewaltigung vermutlich in jedem Land der Welt eine Straftat darstellen. Die genauen Tatbestandsmerkmale mögen vielleicht leicht abweichen. Vielleicht ist nicht in jedem Land Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Aber Vergewaltigung eines unbekannten Mädchens in einem Park wird nirgendwo auf der Welt erlaubt sein).

fedchan Offline



Beiträge: 129

23.12.2023 14:47
#55 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Hallo und Guten Tag!

Zitat
Frank2000 1. Die These von der Nutzlosigkeit der Strafen


Strafen als solche, genauer gesagt: die Strafdrohung, will niemand abschaffen, der bei Trost ist.

Nur: Ist die Straftat begangen worden, hat die Strafdrohung anscheinend nicht funktioniert. Und dann steht man vor dem Problem, wie man die ganz konkrete Straftat ahndet. Da steht man dann ziemlich ratlos da.

Zitat
- In den asiatischen Kulturen (Japan, Südkorea, Singapur,... bis hin zu China) wird die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit extremen Mitteln aufrechterhalten. Die Wirkung ist enorm.


Ich glaube eher, dass die harten Sanktionen (die ja offensichtlich auch nicht dazu führen, dass es keine Kriminalität gibt) Echo eines gesamtgesellschaftlichen Denkens sind, das sehr viel Wert auf Normkonformität legt. Anders gesagt: Die Hauptarbeit, hohe Normkonformität zu bewirken, wird durch Erziehung, sozialen Druck etc. geleistet; insofern ist das normgerechte Verhalten nicht hauptsächlich dezidiert Wirkung des staatlichen Sanktionsregimes.

Ich will aber einräumen, dass man das anders sehen kann. Allerdings darf ich noch verweisen auf das Situationsbild, das man über die USA zeichnet: Hier scheint es deutlich härtere Strafen zu geben als etwa in Deutschland, was aber anscheinend nicht dazu führt, dass jene Nation ein friedliches Paradies wäre. Ich meine, gelesen zu haben, dass die USA mit den höchsten Bevölkerungsanteil weltweit von Strafgefangenen haben.

Zitat
- In den östlichen Bundesstaaten der USA, zB Florida wurde die Durchsetzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung praktisch ausgesetzt. Die Konsequenz war eine Explosion der Straftaten.


Ja. Gibt es keine plausible Strafdrohung, explodiert die Kriminalität.

Zitat
Selbstverständlich kann man der Meinung sein, dass man die Nebeneffekte eines drakonischen Rechts- und Strafsystems nicht möchte (Überwachung, Freiheitseinbußen, Missbrauchspotenzial durch den Staat, Fehlurteile). Aber dass es grundsätzlich nicht geht, würde ich persönlich ausschließen.


Auch wenn die Zusammenhänge nahe liegen, sind das doch unterschiedliche Dinge: Ich kann etwa massive Überwachung fahren, gleichzeitig aber die Sanktion als solche nicht allzu scharf gestalten. Das UK ist etwa bekannt für eine sehr intensive Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, nicht hingegen für drakonische Strafen.

Zitat
Was auch in Deutschland möglich ist, sieht man ja an den repressiven Maßnahmen gegen die autochthone Bevölkerung. Da werden gerne schon mal mit 5köpfigen Rollkommandos die Wohnungen gestürmt, um eine BELEIDIGUNG gegen einen woken Politiker zu verfolgen.


Wenn man gebeten wird, spontan ein mögliches Problem des deutschen Strafverfolgungssystems zu benennen, dürfte sich den meisten internationalen Beobachtern die fehlende – wait for it: UNABHÄNGIGKEIT der deutschen Staatsanwaltschaften aufdrängen. Womit wir wieder beim eigentlichen Thema des Stranges angelangt sind.

Zitat
"Es ist allerdings schon bezweifelt worden, dass positive Generalprävention überhaupt ein legitimer Strafzweck ist, weil der Straftäter dadurch sozusagen Mittel des Staates zur Herbeiführung einer Wirkung in der Gesellschaft wird – das ist ein grundlegendes Menschenwürdeproblem."
Das ist eine sehr europäische Sicht der Dinge und wird von ca 80% der Menschheit nicht geteilt.
Die allermeisten Menschen sehen überhaupt kein Problem darin, dass die Mehrheit das Recht hat, ihre Lebensweise als verbindlich durchzusetzen und zu verteidigen.


Nochmal: Es geht nicht darum, dass man Strafe grundsätzlich zur Disposition stellt. Die Frage ist nur, ob und in welchem Umfang man Strafform und Strafhöhe bei der Sanktionierung der konkreten Tat von einer vermuteten Wirkung auf die Gesamtbevölkerung abhängig macht. Man hört ab und zu, dass Richter bei neuen Trends schnell und „hart” urteilen, um abzuschrecken. Weil man weiß, dass potenzielle Straftäter die Presseberichterstattung über die Arbeit der Justiz intensiv verfolgen . (Hinweis: Der letzte Satz könnte unter Umständen ironisch gemeint sein.)

Freundlicher Gruß,

fedchan

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.430

23.12.2023 14:52
#56 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Natürlich hatte ich Grote im Kopf. Den Namen habe ich nicht genannt, weil ich das nicht für einen extremen Einzelfall halte, sondern eine systematische Verzerrung sehe.

___________________
Verbote sind Freiheit. Meinungen sind Terror. Quoten sind Leistung. Linke Regierung ist Familie. (c) Rot-Grüne Allianz
Prophezeiung: 2022, das Jahr in dem in Deutschland der Schleier für alle eingeführt wird. Nennt sich dann "Maske".
"Warum halten sie Begriffe wie 'Zigeunersoße' für rassistisch, aber 'Schei** Juden' für harmlos?", Hamed Abdel-Samad

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.286

23.12.2023 15:01
#57 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von Frankenstein im Beitrag #50
Ich selber machen keinen Hehl daraus, dass ich mir ein Rechtssystem á la Singapur wünschen würde.


Ich glaube wenn man ostasiatische Rechtssysteme gut bewerten will, müsste man schon einen genaueren Blick hinter die Kulissen wagen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass das Ganze sehr viel mit schönem Schein zu tun hat und weniger mit dem tatsächlichen Willen der Bevölkerung oder auch nur der Staatsgewalten. Analog zur Tatsache, dass man dort auf Umgangsformen und den äusseren Eindruck extrem viel Wert legt, sich seinen Teil zum Gegenüber aber trotzdem denkt.

Wenn es in einem Land viele Verbote und hohe Strafen gibt, bedeutet das nämlich noch lange nicht, dass diese tatsächlich durchgesetzt werden.

Der von Llarian erwähnte, berühmte Kaugummi in Singapur ist da ein sehr gutes Beispiel: In den Verzeigegegenden kann man tatsächlich von der Straße essen (wird dann aber vermutlich bestraft, weil es sicherlich verboten ist von der Straße zu essen ). Aber wenn Sie sich mal 100m von der Orchard Road in irgendeine Seitenstraße begeben, dann liegen da auch die Zigarettenkippen auf der Straße und es sieht aus wie in jeder anderen Stadt, in der die Zivilisation noch nicht berlinesque zusammengebrochen ist. Schon alleine deshalb, weil dort dann nicht mehr alle fünf Meter ein Aschenbecher rumsteht. Dieser völlig überzogene Ordnungswahn in Singapur ist weder gewollt noch durchsetzbar.

Besonders deutlich wird das Phänomen übrigens bei Prostitution und Glücksspiel, den beiden liebsten Freizeitbeschäftigungen des ostasiatischen Mannes: Die sind so gut wie überall verboten, werden aber trotzdem überall (in unterschiedlichen Nuancen, aber selbst in Sharia-Ländern) geduldet, weil niemand ein Interesse daran hat, das Verbot wirklich durchzusetzen. Wie in der Prohibitionszeit der USA. Polizeieinsätze gibt es in dem Segment i.d.R. nur dann, wenn man ein paar nette Schlagzeilen braucht, oder, was auch nicht selten ist, wenn man aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen irgendeinem Gegenspieler eine reinwürgen will.

Man kann dann für sich selbst bewerten, ob einem ein strenges aber scheinheiliges Rechtssystem (das dann notwendigerweise in der Folge auch ziemlich unberechenbar ist) wirklich lieber ist als ein eher liberales Rechtssystem, in dem die Gesetze dann auch durchgesetzt werden. Selten passt der Spruch "es ist nicht alles Gold, was glänzt" besser als hier.

Florian Offline



Beiträge: 3.179

23.12.2023 15:04
#58 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #56
Natürlich hatte ich Grote im Kopf. Den Namen habe ich nicht genannt, weil ich das nicht für einen extremen Einzelfall halte, sondern eine systematische Verzerrung sehe.



Richtig.
Die "systematische Verzerrung" die auch mir immer mehr auffällt:
Bei manchen Straftaten reagiert der deutsche Staat extrem hilflos, bei anderen tritt er sehr robust auf.
Und man hat sehr deutlich den Eindruck, dass die autochtone Bevölkerung (incl. der gut integrierten Ausländer) deutlich härter reguliert wird als die schlecht integrierten Migranten.
Dass da quasi zwei getrennte Rechtsräume entstehen.

Bei der autochtonen Bevölkerung wird erkennbar sogar die Daumenschraube immer härter angezogen.
Schon reine Gedanken-Verbrechen werden zunehmend bestraft oder zumindest gesellschaftlich sanktioniert.

Gleichzeitig entstehen ganze Stadtviertel, in die sich die Polizei kaum noch hineintraut und wo selbst schwere Straftaten nicht mehr verfolgt werden.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

23.12.2023 15:37
#59 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Hallo,

hier nur kurz summarisch geantwortet:

Zitat von fedchan im Beitrag #48
Hallo und Guten Tag.
Zitat von Johanes im Beitrag #47
Ich muss allerdings anmerken, dass Ihre Ausführungen die sog. „absolute Straftheorie” überhaupt nicht erwähnen.

Das liegt daran, dass sie meiner Erinnerung nach nicht mehr vertreten wird.


Nun, das könnte man doch wohl ändern, werter @fedchan

Zitat
Sie wurde in meinem Studium thematisiert – namentlich mit Bezug auf Kant –, aber eben sozusagen philosophiegeschichtlich. Ich erinnere nicht mehr, mit welcher Argumentation man sie so ablehnt; ich vermute aber, dass die Idee einer absoluten Gerechtigkeit den post-Darwinschen Materialismus nicht überlebt hat.



Erzählen Sie das mal Ihren lokalen "Social justice warrior", der am Besten die Schuld seit Beginn der aufgezeichneten Geschichte aufrechnen würde.

Etwas ernsthafter, auch wenn wir schon im vorweihnachtlicher Vorbereitung befangen sind:
Ich glaube, dass dieses Statement bestenfalls konstrovers ist. Bei vielen Leuten existiert diese Vorstellung durchaus noch, nur eben selten explizit als Glaubensakt oder Voraussetzung oder apriori... sondern als mehr oder weniger bewusste Vorstellung.

1. Die Vorstellung von so eine Art "objektiver Moral", die wir nur finden müssen, wird anscheinend von vielen Philosophen ernsthaft vertreten und findet sich auch in den Argumentationen vieler Leute implizit vorausgesetzt.
2. Insbesondere die Vorstellung, dass es Verbrechen gibt, die nach Strafe verlangen, damit Gerechtigkeit hergestellt werden kann, scheint mir eine fast universelle zu sein. Man mag das für ein unaufgeklärtes Rachebedürfnis halten. Einen widerspruch gegenüber den darwinistisch-materialistischen Weltbild sehe ich nicht, weil...
2.1. Es nichts in der materielle, darwinistischen Welt gibt, dass verlangt, Rachebedürfnissen komplett zu unterdrücken. Es folgt ganz einfach nicht daraus.
2.2. Man argumentieren könnte, dass dieses Rachebedürfnis evolutionär entstanden ist. Das rechtfertigt es zwar nicht, aber lässt es als "natürliches Bedürfnis" wie den Hunger usw. erscheinen. Es wäre demnach angemessen, auch die Befriedigung dessen in einen sozialgerechten Rahmen zu gestalten.

Sicherlich wäre es zweifelhaft zu glauben, dass auf der einen Seite Leid entstanden ist und man deshalb auf der anderen Seite Leid erzeugen müssen, um es auszugleichen. Wie in einer Bilanz oder Waage.
Aber Verbrechen deshalb ungestraft zu lassen?

Zitat
Verträge begründen gerade keine absoluten Pflichten, sondern relative: Als Vertragspartner verpflichte ich mich gegenüber dem anderen Vertragspartner, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen. Wenn dieser Vertragspartner konkret kein Interesse mehr daran hat, dass ich die Verpflichtung erfülle, gibt es kein Problem, wenn ich nicht das tue, was vertraglich vorgesehen ist.



Ja. Wo aber liegt hier das Problem?

Wenn jemand ermordet wird, dann hat er wohl Angehörige, die einen Prozess vorantreiben würden. Und selbst wenn nicht, könnte der Rest der Gesellschaft ein Interesse daran haben, die Bestrafung einzufordern.
Schon um die Entstehung einer Lücke zu verhindern.

Konkret gesagt: Wenn der Staat nicht mehr imstande oder willens ist, offensichtliche Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung usw. zu verfolgen und zu bestrafen, wird das nicht dazu führen, dass immer mehr Leute ihn als illegitim erleben?

Zitat
Ja; ich hatte überlegt, den Aspekt anzusprechen. Ich glaube, man subsumiert das unter die negative Spezialprävention. Aber es löst letztlich das Problem nicht, denn natürlich ist die Frage, was passiert, wenn man den Delinquenten wieder entlässt, was man ja früher oder später tun muss.



Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der mit 21 ein schlimmes Verbrechen begangen hat, wieder "rückfällig" wird ist aber doch größer wenn er auf Bewährung rauskommt als wenn er mit 46 Jahren wieder rauskommt, oder

Über humanen Strafvollzug kann man dabei gerne diskutieren, aber der Schutz der Unschuldigen hat ebenfalls seine Bewandtnis. Der Staat hat hier quasi einen Job übernommen.

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

23.12.2023 16:03
#60 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von Frank2000 im Beitrag #49
Dilbert hat das mal auf den Punkt gebracht:
Dilbert: "Die Statistiken zeigen, dass Gefängnisstrafen die Anzahl der Straftaten nicht senken."
Dogbert: "Du bist also der Meinung, dass der Rest der Bevölkerung zusätzliche Straftaten verübt, um stellvertretend für die Eingesperrten die Statistik sauber zu halten?"


Das ist übrigens großartig.
Ein einfaches Meme deutet auf die Schwachstelle eines komplizierten Denksystems. Herrlich!

Zitat von Frank2000 im Beitrag #49
3. Recht einer Gesellschaft auf Durchsetzung der Mehrheitsmeinung


Das sehe ich durchaus als Problem. Denn die ändert sich und ist -- sory, das erwähnen zu müssen -- , Propaganda unterworfen. Da hatte Emulgator einen sehr guten Punkt gemacht.

Zitat von Frankenstein im Beitrag #50
Nach der Lektüre eines halben Dutzends Bücher von John Douglas (FBI-Spezialist für Serienmörder) befürworte ich mittlerweile auch Wiedereinführung der Todesstrafe für Kapitalverbrechen.


Könne Sie das bitte näher ausführe, @Frankenstein?
Eventuell in einem anderen Thread...

Zitat von Llarian im Beitrag #52
Die Wahrscheinlichkeit beim Schwarzfahren erwischt zu werden sind sehr gering. Die Folgen aber recht gewaltig und zwar so gewaltig, dass die meisten Leute, selbst wenn das Risiko gering ist, aufs Schwarzfahren verzichten.


Die harte Strafe beim Schwarzfahren spricht dem milden Urteil bei einem Verbrechen wie den hier besprochenen doch etwas hohn...

Zitat von fedchan im Beitrag #55
insofern ist das normgerechte Verhalten nicht hauptsächlich dezidiert Wirkung des staatlichen Sanktionsregimes.


Im Falle von Japan, (Süd-)Korea und China mag das stimmt, aber nicht im Fall von Singapur.

Der dortige Staat hat klar autoritäre Züge und sogar Anzeichen einer Dynastie, aber er hat es irgendwie hinbekommen, seine Gesellschaft so zu ordnen.
Unter anderen mit seiner Einwanderungspolitik, aber ich vermute, sowas spielt auch eine Rolle.

Zitat von fedchan im Beitrag #55
dürfte sich den meisten internationalen Beobachtern


Was ist mit der Protokollführung?



Schöne Adventszeit 2023
und später Frohe Weihnachten
...und keinen politischen Streit unterm Weihnachtsbaum

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

23.12.2023 16:50
#61 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von Johanes im Beitrag #60
[quote="Frank2000"|p173475]Könne Sie das bitte näher ausführe, @Frankenstein?

Auf Douglas Buch 'Mindhunter' basiert die gleichnamige TV-Serie, die - bis auf die fiktiven persönlichen Dramen - sehr nahe an der Materie bleibt.

Er vertritt meiner Erinnerung nach den Standpunkt, dass das Recht der Familien von Mordopfern höher wiegt, als das der Mörder. Denn in der Regel kann die betroffene Familie den Tod oft erst dann verarbeiten, wenn der Täter nicht mehr lebt. Ein Mörder hält also gewissermassen die gesamte Familie des Opfers in Geiselhaft, solange er noch lebt und zerstört sie damit immer weiter.

Das ist leider nur eine sehr krude Zusammenfassung, es ist jetzt auch schon 2-3 Jahre her, dass ich die ganzen Bücher gelesen habe, aber mich haben seine Ausführungen überzeugt. Bei Douglas geht es speziell um Serienmörder und man sollte auch erwähnen, dass sein Kollege Olshaker einen abweichenden Standpunkt hat.

Interessant bei Douglas sind auch seine Ausführungen, dass Wald- und Wiesenpsychologen meist völlig unfähig sind, Verbrecher vernünftig einzuschätzen, von diesen leicht zu manipulieren sind und woran das im Einzelnen liegt. In Deutschland ist dieses Problem mit Sicherheit nochmal um Dimensionen schlimmer.

fedchan Offline



Beiträge: 129

23.12.2023 17:15
#62 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Hallo und Guten Tag!

Zitat
Mich würde brennend fedchans Ansichten zu asiatischen Rechtssystemen interessieren, insbesondere im Vergleich zu den europäischen.


Eigentlich weiß ich darüber zu wenig.

Was ich zunächst sagen kann, ist, dass man die Bewertung der Methoden der Sachverhaltsermittlung und Urteilsfindung von der Bewertung der Sanktionen unterscheiden muss. Die erste Frage ist also, ob das Rechtssystem rechtsstaatlichen Maßstäben entspricht. Singapur ist etwa bekannt für drakonische Strafen, nicht hingegen für die Verletzung rechtsstaatlicher Standards. Ich sage bewusst „bekannt”, weil es durchaus sein kann, dass es da Defizite gibt, die in der internationalen Presse nicht breit thematisiert werden. Ich vermute, dass sich Singapur am Common Law-Strafprozess orientiert; das wäre grundsätzlich rechtsstaatlich.

– Todesstrafe
Europäische Nationen verhängten ja bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein die Todesstrafe; man entschied sich dann allerdings für die Abschaffung. (Es wird kolportiert, dass die Abschaffung der Todesstrafe im Grundgesetz auf eine Zusammenarbeit zwischen SPD und Altnazis zurückgeht: Die einen wollten sie aus humanitären Gründen abschaffen; die anderen wollten verhindern, dass ihre Kumpels am Strang enden.) Ein Zwischenschritt war dabei die Verlagerung des Vollzugs der Strafe in die Gefängnisse selbst; zuvor hatte es öffentliche Exekutionen gegeben. Der Zwischenschritt war meiner Erinnerung nach (u. a.) dadurch motiviert, dass man davon ausging, dass öffentliche Exekutionen im Grunde zu einer Verrohung beitrugen, man aber eigentlich höhere Sensibilität gegenüber menschlichem Leben erreichen wollte. Die Abschaffung dürfte Folge eines gesamtgesellschaftlichen Klimas größerer Humanität gewesen sein.

Frankstein fragt nach meiner Meinung. Meine Ablehnung der Todesstrafe hat mindestens drei Motive. Der wichtigste ist, dass ein Täter niemals um sein Leben fürchten müssen soll, wenn er sich stellt; die Rückkehr zu einem rechtstreuen Leben (mit Inkaufnahme rechtmäßiger Strafen) sollte nicht mit physischer Vernichtung enden. An zweiter Stelle steht bei mir ein sozusagen staatsästhetischer Aspekt: Es ist m. E. unter der Würde des Staates, hinzurichten. Ich versuche, auszudrücken, was ich meine: Staat soll den Hobbes'schen Zustand des bellum omnium aufheben. Eine kriegerischere Handlung als die physische Vernichtung des Gegners gibt es aber wohl kaum. Drittens produzieren Menschen zu viele Fuck-Ups, als dass man selbst einem rechtsstaatlichen Verfahren die Entscheidung überantworten könnte, jemanden umzubringen.

Man ist allerdings m. E. kein böser Mensch, wenn man die Todesstrafe befürwortet.

– Körperstrafen
Die Killerapplikation des Westens ist der Respekt vor dem Individuum. Er findet seinen Ausdruck in dem Konzept der Menschenwürde. Meiner Intuition nach sind Körperstrafen mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren. (Letztlich ist es wohl Intuition, weshalb ich verzichte, das hier philosophisch auszubuchstabieren.)

– drakonische Strafen für Kleinigkeiten
Ja, da sind wir wieder bei der Grundsatzfrage, welche Aspekte die Strafform und -höhe beeinflussen sollte. Unter der Prämisse, dass die Aufklärungswahrscheinlichkeit die Entscheidung zum Begehen einer Straftat maßgeblich entscheidet, ist eine hohe Strafe der Tendenz nach ein Indiz dafür, dass es eben mit der Aufklärung nicht allzu weit her ist.

Letztlich fehlen mir, wie schon angedeutet, Daten, um mir eine qualifizierte Meinung zu den Singarpur'schen Strafdrohungen bilden zu können. Was mich aber natürlich nicht daran gehindert hat, ein paar allgemeine Ausführungen zur Weltlage zu machen.


Freundlicher Gruß,

fedchan

fedchan Offline



Beiträge: 129

23.12.2023 19:06
#63 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Hallo und Guten Tag!

Zitat
Frankstein Ich arbeite mit sehr vielen Migranten mit den von Ihnen angesprochenen 'fremdkulturellen Moralvorstellungen' zusammen und kann Ihnen daher aus erster Hand Folgendes versichern:
Bei denen ist das Unverständnis bzw. die Empörung über die in Deutschland praktizierte Kuscheljustiz gegenüber Straftätern ganz locker nochmal 'ne Zehnerpotenz höher als bei der autochthonen Bevölkerung.


Also sind Migranten in viel stärkerem Maße als Autochthone bereit, sich auf Basis von Presseberichterstattung ohne Kenntnis der Akten eine Meinung zu bilden?

Ernsthafter möchte ich folgende Frage stellen: Wenn Migranten ein härteres Durchgreifen der Justiz für angemessen halten als die Autochthonen – spricht das nicht gerade für kulturelle Unterschiede? Ist die „Härte” der Justiz ein Echo der gesellschaftlichen Sensibilitäten, so scheinen diese in der migrantischen Community, mit der Sie Kontakt haben, nicht in dem Maße ausgeprägt zu sein wie bei den Autochtonen?!

Es kann aber durchaus sein, dass tatrichterliche Feststellungen dahingehend, wie sich konkrete kulturelle Unterschiede darstellen, falsch sind. Das würde aber nichts daran ändern, dass sie im Grundsatz zu berücksichtigen sind.

Zitat
Llarian Nun war aber der Ursprungsbeitrag an einem schweren Verbrechen aufgehangen und nicht an einer Bagetelle.


Ja, das ist mir jetzt auch aufgefallen, dass ich klarstellen muss, dass ich die konkrete Hamburger (?) Entscheidung nicht verteidige. Spontan klingt das Urteil auch für mich nach Murks, aber eben nur spontan; ich kenne die Akte nicht. Ich vermute aber, dass ich nach Lektüre der Akte auch Schwierigkeiten hätte, die gerichtliche Entscheidung nachzuvollziehen.

Ich wollte nur ganz generell darlegen, warum man in Deutschland grundsätzlich nicht so gern schnell „hart” straft.

Zitat
Llarian Das Volk hat ein Gerechtigkeitsempfinden und es ist Aufgabe der Juristen das abzubilden.


Das Problem dabei ist vor allem, auf welcher Basis dieses Gerechtigkeitsempfinden gebildet wird. Man liest in der Presse die Beschreibung einer Straftat und das ist es dann.

Stellen wir uns mal vor, man hört davon, dass drei junge Männer ein Mädchen gemeinschaftlich vergewaltigt haben. Fürchterlich. Ab in den Kerker und die Schlüssel wegwerfen. Und jetzt sieht man die jungen Männer live und in Farbe und denkt sich beispielsweise überrascht: Die sehen aber noch jung aus. Und allein als Folge dieses Gedankens beginnt das vorher so klare Bild, komplexer zu werden. Ja: Was sie getan haben, war unentschuldbar. Aber plötzlich haben die abstrakten Monster konkrete Gesichter.

Nochmals: Ich verteidige nicht das Urteil, welches Anlass zu dem Post und dem Thread war. Ich bitte nur darum, sozusagen von „spontanen Bedenken” zu sprechen, ob ein zu mild erscheinendes Urteil wirklich eine tat- und schuldangemessene Strafe ausgeworfen hat, und nicht auf Basis von Presseberichterstattung davon fest überzeugt zu sein, weil das Urteil dem Gerechtigkeitsempfinden des Volkes widerspricht.

Zitat
Das Richter risikominimierend urteilen mag eine Folge sein, wenn ihnen Haftung droht. Nur: Das machen Millionen anderen Menschen auch nicht anders.


Ich will nicht, dass ein Richter, der über eine meiner Angelegenheiten zu entscheiden hat, in irgendeiner Form darauf Rücksicht nimmt, möglicherweise von der Gegenseite in Haftung genommen zu werden.

Zitat
Es ist mein Eindruck das Richter nach dem Bauch urteilen und dann in Gesetzen eine Begründung finden und detailliert aufschreiben.


Der Fachbegriff für dieses Bauchgefühl ist „Judiz”. (Der polemische Gegenbegriff ist der des „Subsumtionsautomaten”.)

Wenn man sich jahrzehntelang mit einer Rechtsordnung beschäftigt, entwickelt man irgendwann ein Gefühl dafür, wie das Gesetz einen Sachverhalt wohl bewertet. Und parallel dazu befragt man dann das Gesetz, um zu prüfen, ob das Befragungsergebnis mit dem eigenen Judiz übereinstimmt. Passen Auslegungsergebnis und Judiz zusammen, spricht viel dafür, dass die Lösung stimmig ist.

Vor ein paar Monaten kassierte ein Berufungsgericht ein für uns gutes Urteil erster Instanz mit der Begründung, dass sich zwar ihr Judiz gegen dieses Ergebnis sträube, das Gesetz aber nun einmal eindeutig sei. (Streitentscheidende Norm war die Umsetzung einer EU-Richtlinie; da wundert das nicht.)

Zitat
Llarian Da kommt jemand rein, hat bereits eine feste Meinung und kloppt so lange auf den Parteien rum, bis die das hinnehmen. Und macht einer nicht mit, findet der Richter (oder die Richter) eine Begründung im Gesetz, warum das genau so sein muss. Und wie gesagt, ich habe das von beiden Seiten erlebt, und was es bei mir nicht hinterlassen hat, war der Eindruck von Gerechtigkeit.



Ernst gemeinte Frage: Warum nicht?

In meinen Breiten ordnen Zivilrichter fast immer ein schriftliches Vorverfahren an. In diesem Rahmen werden erstmal Schriftsätze gewechselt, in denen die Parteien jeweils ihre Sicht der Dinge darlegen. Dann bildet sich der Richter eine Meinung. Wenn er das gründlich macht, wird er seine Meinung nicht so schnell ändern. (In Eilverfahren haben Richter weniger Zeit zur Vorbereitung; da ist es durchaus einfacher, sie von etwas zu überzeugen.)

Ja und das ist doch genau das Ziel der Veranstaltung: Es geht darum, dass der Richter sich sein eigenes Urteil bildet. Und das macht er erstmal vor dem Termin auf Basis der Aktenlage.

Was hätte Ihnen denn besser gefallen? Eine Entwicklung der Auffassung des Richters im Rahmen eines Rechtsgespräches im Termin? So ohne Kommentarliteratur und Zugriff auf Datenbanken? Ohne Überlegungszeit? Ohne Möglichkeit, das mit Richterkollegen zu besprechen? Wie soll er dann beispielsweise einen vernünftigen Vergleichsvorschlag machen?


Freundlicher Gruß,

fedchan

Frankenstein Offline




Beiträge: 891

23.12.2023 22:03
#64 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von fedchan im Beitrag #63
Hallo und Guten Tag!

Zitat
Frankstein Ich arbeite mit sehr vielen Migranten mit den von Ihnen angesprochenen 'fremdkulturellen Moralvorstellungen' zusammen und kann Ihnen daher aus erster Hand Folgendes versichern:
Bei denen ist das Unverständnis bzw. die Empörung über die in Deutschland praktizierte Kuscheljustiz gegenüber Straftätern ganz locker nochmal 'ne Zehnerpotenz höher als bei der autochthonen Bevölkerung.

Also sind Migranten in viel stärkerem Maße als Autochthone bereit, sich auf Basis von Presseberichterstattung ohne Kenntnis der Akten eine Meinung zu bilden?

Ernsthafter möchte ich folgende Frage stellen: Wenn Migranten ein härteres Durchgreifen der Justiz für angemessen halten als die Autochthonen – spricht das nicht gerade für kulturelle Unterschiede? Ist die „Härte” der Justiz ein Echo der gesellschaftlichen Sensibilitäten, so scheinen diese in der migrantischen Community, mit der Sie Kontakt haben, nicht in dem Maße ausgeprägt zu sein wie bei den Autochtonen?!

Es kann aber durchaus sein, dass tatrichterliche Feststellungen dahingehend, wie sich konkrete kulturelle Unterschiede darstellen, falsch sind. Das würde aber nichts daran ändern, dass sie im Grundsatz zu berücksichtigen sind.


Werter fedchan,

ich hatte Ihre Ausführungen so interpretiert, dass Richter oft mit Rücksicht auf die Kulturen der 'noch-nicht-so-lange-hier-Lebenden' tendenziell mildere Urteile treffen, als sie dies bei 'biodeutschen Kartoffeln' tun würden.

Mein Einwand ist der, dass Leute aus diesen Kulturen viel härtere Strafen gewohnt sind bzw. befürworten würden, was die ganze Argumentation wie ein Kartenhaus zusammenfallen lässt, da gerade die - gerade eben auch aus dem kulturellen Blickwinkel der Täter - viel zu milden Urteile regelrecht zu weiteren Straftaten animieren. So lernen sie, unsere FDGO zu verachten und Recht + Gesetz nicht weiter ernst zu nehmen.

Zitat

Zitat
Llarian Nun war aber der Ursprungsbeitrag an einem schweren Verbrechen aufgehangen und nicht an einer Bagetelle.


Ja, das ist mir jetzt auch aufgefallen, dass ich klarstellen muss, dass ich die konkrete Hamburger (?) Entscheidung nicht verteidige. Spontan klingt das Urteil auch für mich nach Murks, aber eben nur spontan; ich kenne die Akte nicht. Ich vermute aber, dass ich nach Lektüre der Akte auch Schwierigkeiten hätte, die gerichtliche Entscheidung nachzuvollziehen.



Da bin ich voll und ganz bei Ihnen, ohne die Hintergründe wirklich zu kennen, fällt es schwer, die Angelegenheit nüchtern zu betrachten.

Andererseits lehne ich die Begründung dafür, warum die Details des Falles verheimlicht werden, entschieden ab. Die Dimensionen des Falles und das öffentliche Interesse halte ich für deutlich höher als den Schutz der Straftäter aufgrund ihres Alters. Diese übertriebene Milde, dieser exzessive Täterschutz des deutschen Strafrechts gehören meiner Einschätzung nach auf den Müllhaufen der Geschichte (ebenso wie die skandalöse, von Ihnen bereits erwähnte parteipolitische Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft).

Ich würde auch gerne noch anmerken, dass ich auch aus meiner Biographie heraus (als Jugendlicher war ich in der linksradikalen Punkszene unterwegs und habe auch das eine oder andere Mal deutlich über die Strenge geschlagen, wenn auch nicht in Sachen KV) ein großer Freund drakonischer Strafen bin, solange diese einem im Falle der Läuterung nicht die weitere Biographie versauen. Wer einmal die volle Härte des Gesetzes gespürt hat, überlegt sich beim nächsten Mal zweimal, ob er das wirklich nochmal riskieren möchte. Bei mir hat es damals sogar selbst ohne die volle Härte des Gesetzes gereicht, nach einer (übrigens zu Unrecht!) in Polizeigewahrsam verbrachte Samstagnacht in der Großraumzelle eines Polizeireviers war ich so bedient, dass ich für immer geheilt war (das Wochenende war gelaufen - gefühlt die Höchststrafe). Gelegentliche Sozialstunden, Bewährung und ähnliches Gedöns hatten hingegen keinerlei abschreckenden Wirkung auf mich und ich kann mir beim besten Willen die Fantasie, warum das bei 'erlebnisorientierten Jugendlichen', 'Einmännern' und 'Südschweden' auch nur im Entferntesten anders sein sollte. Die werden bestenfalls vorsichtiger, dass man sie nicht mehr sogleicht erwischt.

Heute arbeite ich selber in der Exekutive und kriege gelegentlich mit, wie 'heilsam' bei so manchem Delinquenten der längere Aufenthalt in einer kargen, stinkenden Zelle sein kann (von 180 auf 0 in wenigen Stunden, die sind dann am Ende meist handzahm und heilfroh, endlich die Zelle verlassen zu können). Die Erfahrung, dass diese Klientel meistens wirklich nicht gerade mit Intelligenz gesegnet ist, kann ich auch vollumfänglich bestätigen.

fedchan Offline



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23.12.2023 22:49
#65 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Hallo und Guten Tag!

Ich hatte vorhin Llarians Ausführungen zur Haftung der Richter etwas unangemessen kurz abgehandelt; das bitte ich, zu entschuldigen.

Zitat
Llarian Das Richter risikominimierend urteilen mag eine Folge sein, wenn ihnen Haftung droht. Nur: Das machen Millionen anderen Menschen auch nicht anders.


Ich vermute allerdings, dass Maßnahmen zur Risikominimierung, die andere Berufsgruppen ergreifen, auch im Interesse der jeweiligen Kunden liegen. Der Bauherr wird im Zweifel wollen, dass der Architekt im Eigeninteresse sicherstellt, dass das Haus nicht zusammenbricht, weil er davon auch profitiert.

Ist eine vergleichbare Interessenparallelität gegeben bei Personen, die sich an einen Richter wenden bzw. vor ihn gestellt werden? Mindestens eine Partei wird wollen, dass der Richter nicht in einer Weise entscheidet, die sein Risiko minimiert. Und das ist m. E. ein legitimes Anliegen.

Zitat
Natürlich kann ein Richter, der haftbar wäre, sich überlegen, dass er, wenn er jemanden zu Unrecht einsperrt, er dafür zahlen muss. Umgekehrt besteht aber auch das Risiko, dass er, wenn er ihn nicht einsperrt, er dann beispielsweise abgewählt wird. Er muss mithin zwischen Risiken entscheiden.


Also soll er abwägen, ob die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass der Beschuldigte, den er trotz fehlenden Haftgrundes in Untersuchungshaft nimmt, ihn verklagt, oder jene, dass er nicht wiedergewählt wird, weil er ihn laufen lässt? Sind das nicht irgendwie sachfremde Kriterien?

Zitat
Der oben genannte Konstrukteur ist seinen Job ebenso los, wenn er doppelt soviel Material verbraucht, als notwendig wäre.


Und hieran wird deutlich, dass vielleicht auch regelmäßig gar nicht klar ist, wann eine richterliche Entscheidung denn „falsch” ist. Wenn die Brücke einstürzt, dürfte definitiv irgendwo ein Fehler sein. Wenn zu viel Material verwendet wird, ist auch das wohl nach objektiven Kriterien feststellbar.

Sie scheinen darauf hinauszuwollen, dass Wähler darüber entscheiden sollen, ob ein Richter „richtige” Entscheidungen trifft. Beim Konstrukteur ist das sicherlich kein richtiges Verfahren. (Oder vielleicht doch, wenn man den Markt als Wähler betrachtet? Mit Haftung ist aber wohl etwas anderes gemeint.)


Etwas zu flott war ich auch bei der Kommentierung von Llarians folgendem Satz:

Zitat
Und wie gesagt, ich habe das von beiden Seiten erlebt, und was es bei mir nicht hinterlassen hat, war der Eindruck von Gerechtigkeit.


Vorfrage: Man kritisiert die politische Linke dafür, auf Basis eines nebulösen Gerechtigkeitsbegriffes Milliardenbeträge verschieben zu wollen, meint aber gleichzeitig, dass dasselbe Konzept ein legitimer Anspruch an richterliche Entscheidungen ist?

Der Richter entscheidet einen rechtlichen Konflikt. Er wird sich vielleicht bemühen, dass die Intuition von Beteiligten und/oder Beobachtern den Eindruck hat, dass die Lösung gerecht sei. Je komplizierter allerdings der Sachverhalt, desto tendenziell uneindeutiger die Intuition.

Zitat
Florian Ich sehe das genau umgekehrt:
GERADE DANN, wenn man individuelle Moralvorstellungen des Täters NICHT berücksichtigt, bestraft man ausschließlich die konkrete Tat.


Da habe ich mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Es ging mir darum, dass man nicht die unterbliebene Assimilation bestraft, sondern die konkrete Tat in dem Sinne, dass die konkrete Schuld bestraft wird.

Zitat
Wer in ein fremdes Land kommt, muss die Gesetze dieses Landes achten und kann sich nicht darauf berufen, dass bei ihm zuhause andere Gesetze gelten. Das ist seit Jahrtausenden grundlegende menschliche Allgemeinbildung, über alle Kulturgrenzen hinweg.


Dieser Aspekt ist im deutschen Strafrecht relevant für die Frage, ob eine Strafbarkeit überhaupt gegeben ist. Und da ist es in der Tat so, dass ein „Verbotsirrtum”, also die irrige Vorstellung, dass ein bestimmtes Verhalten nicht strafrechtlich relevant ist, in der Regel unbeachtlich ist. In diesem Zusammenhang gilt der Satz, dass Nichtwissen vor Strafe nicht schützt.

Davon zu trennen ist die Frage, ob einem Migranten, der andere Intuitionen in Bezug auf Recht und Ordnung hat, im Rahmen der Strafzumessung eine Strafmilderung zu gewähren ist. Und das leuchtet mir grundsätzlich ein, weil man im Alltag ständig intuitiv unterwegs ist.

Zitat
Johanes Ich muss allerdings anmerken, dass Ihre Ausführungen die sog. „absolute Straftheorie” überhaupt nicht erwähnen.
(...)
Konkret gesagt: Wenn der Staat nicht mehr imstande oder willens ist, offensichtliche Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung usw. zu verfolgen und zu bestrafen, wird das nicht dazu führen, dass immer mehr Leute ihn als illegitim erleben?


Die absolute Straftheorie wird ja dargestellt anhand des Inselbeispiels: Wenn sich eine Gesellschaft auflöst, also die Menschen nicht mehr interagieren, muss trotzdem der Verbrecher hingerichtet werden. Ich behaupte demgegenüber, dass es ohne Gesellschaft keine Strafzwecke gibt.

Zitat
Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der mit 21 ein schlimmes Verbrechen begangen hat, wieder "rückfällig" wird ist aber doch größer wenn er auf Bewährung rauskommt als wenn er mit 46 Jahren wieder rauskommt, oder?


Ich habe Verständnis dafür, dass in diesem Thread vor allem die schweren Verbrechen thematisiert werden, weil diese in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit hervorrufen. Das strafrechtliche alltägliche Massengeschäft betrifft allerdings keine Kapitalverbrechen. Und da ist schon die Frage, ob man durch eine kurze Haftstrafe nicht mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet.

Zitat
Was ist mit der Protokollführung?


Ja, kann auch sein.

Zitat
Frankenstein Er vertritt meiner Erinnerung nach den Standpunkt, dass das Recht der Familien von Mordopfern höher wiegt, als das der Mörder. Denn in der Regel kann die betroffene Familie den Tod oft erst dann verarbeiten, wenn der Täter nicht mehr lebt. Ein Mörder hält also gewissermassen die gesamte Familie des Opfers in Geiselhaft, solange er noch lebt und zerstört sie damit immer weiter.


Das erinnert mich an die fiktive Urteilsbegründung, die Hannah Arendt zum Eichmann-Prozess schrieb: Den Überlebenden ist nicht zuzumuten, mit Eichmann auf einem Planeten zusammenzuleben.

Zitat
ich hatte Ihre Ausführungen so interpretiert, dass Richter oft mit Rücksicht auf die Kulturen der 'noch-nicht-so-lange-hier-Lebenden' tendenziell mildere Urteile treffen, als sie dies bei 'biodeutschen Kartoffeln' tun würden.
Mein Einwand ist der, dass Leute aus diesen Kulturen viel härtere Strafen gewohnt sind bzw. befürworten würden, was die ganze Argumentation wie ein Kartenhaus zusammenfallen lässt, da gerade die - gerade eben auch aus dem kulturellen Blickwinkel der Täter - viel zu milden Urteile regelrecht zu weiteren Straftaten animieren. So lernen sie, unsere FDGO zu verachten und Recht + Gesetz nicht weiter ernst zu nehmen.


Und ich meinte dazu, dass es möglich ist, dass bei entsprechenden Urteilen mit Strafmilderung die kulturellen Hintergründe falsch ermittelt wurden. Wären die kulturellen Hintergründe so, wie von den Gerichten vermutet, dürfte aber eine Strafmilderung vertretbar sein.


Freundlicher Gruß,

fedchan

Llarian Offline



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24.12.2023 00:53
#66 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von fedchan im Beitrag #63
Ja, das ist mir jetzt auch aufgefallen, dass ich klarstellen muss, dass ich die konkrete Hamburger (?) Entscheidung nicht verteidige. Spontan klingt das Urteil auch für mich nach Murks, aber eben nur spontan; ich kenne die Akte nicht.

Wir kennen alle die Akte nicht. Aber wir kennen Dutzende vergleichbare Entscheidungen. Und erstaunlicherweise immer nur solche die wir als lächerlich milde betrachten. Wann wird denn mal über harte Urteile berichtet, die man so nicht erwartet? Und das liegt nicht an der Berichterstattung sondern daran, dass es solche Urteile praktisch nicht gibt. Als Ronald Schill (über den man persönlich sicher denken kann was man will) wirklich harte Urteile sprach wurden diese praktisch alle aufgehoben. Und soweit ich mich entsinne nicht, weil sie rechtsfehlerhaft im Sinne der Sachentscheidung waren, sondern weil sie nicht dem modernen "Rahmen" entsprachen. Man muss heute den Eindruck haben, dass Richter permanent und überall Gründe suchen möglichst schwache Urteile zu sprechen und wirklich jeden noch so großen Unsinn strafmildernd berücksichtigen zu wollen. Und ich denke es gibt auch und gerade da einen deutlich Zusammenhang mit der Weigerung der Justiz solche Dinge öffentlich zu machen. Denen ist das öffentlich schon eher peinlich.

Zitat
Das Problem dabei ist vor allem, auf welcher Basis dieses Gerechtigkeitsempfinden gebildet wird. Man liest in der Presse die Beschreibung einer Straftat und das ist es dann. Stellen wir uns mal vor, man hört davon, dass drei junge Männer ein Mädchen gemeinschaftlich vergewaltigt haben. Fürchterlich. Ab in den Kerker und die Schlüssel wegwerfen. Und jetzt sieht man die jungen Männer live und in Farbe und denkt sich beispielsweise überrascht: Die sehen aber noch jung aus. Und allein als Folge dieses Gedankens beginnt das vorher so klare Bild, komplexer zu werden. Ja: Was sie getan haben, war unentschuldbar. Aber plötzlich haben die abstrakten Monster konkrete Gesichter.


Dann haben sie eben Gesichter. Gerechtigkeitsempfinden speist sich weniger aus öffentlicher Berichterstattung sondern aus ethischem Verständnis. Und das bilden wir weit früher heraus als wir überhaupt Zeitung lesen, vielfach geprägt durch unser Umfeld, unser Elternhaus, unseren Freundeskreis. Ihre Argumentation läuft nach meinem Dafürhalten auf den Komplex der Jugendsünde hinaus. Ja, Jugendliche schlagen über die Strenge. Habe ich auch getan, hat wohl fast jeder irgendwo gemacht. Vielleicht mal die eine oder andere Laterne ausgetreten, sich geprügelt und vielleicht hat sich auch der eine oder andere dazu hinreissen lassen etwas zu stehlen oder sogar eine Scheibe einzuwerfen. Okay, passiert. Jugendliche, gerade junge Männer, sind oftmals entsetzlich dämlich, übermütig und gerade in Gruppen auch verantwortungslos. Aber das führt NIE zu einer Vergewaltigung, einem Raubüberfall oder einer gemeinsam begangenen Körperverletzung. Das ist eine gewaltige rote Linie und die ist auch jedem Jugendlichen bewusst. Es ist genau so wie Sie es beschreiben: Es ist unentschuldbar. Und auch nicht relativierbar. Das Mädel wird ihr ganzes Leben damit verbringen, es wird sie begleiten bis sie eine alte Frau ist. Sie wird es nie vergessen und es wird sie immer begleiten. Da ist es mir egal wie "jung die waren" oder wie nett die aussehen. Es sind Verbrecher, keine überschwenglichen Jugendlichen. Und nebenbei: Ich habe, genauso wie andere, als Jugendlicher genug Mist gemacht. Aber wenn ich erwischt worden bin, habe ich dazu gestanden. Und ich war mir bewusst, dass das falsch war. Diese Früchtchen hier sind ja sogar noch der Meinung sie seien unschuldig.
Natürlich kennen wir nicht die Akte. Nur kann ich mir keinen Milderungsgrund vorstellen, der zu diesem Ergebnis geführt haben kann.

Zitat
Ich will nicht, dass ein Richter, der über eine meiner Angelegenheiten zu entscheiden hat, in irgendeiner Form darauf Rücksicht nimmt, möglicherweise von der Gegenseite in Haftung genommen zu werden.


Und dann haben sie eben Richter vom Stile eines Otto Brixner. Und genau das will ich nicht.

Es geht ja gar nicht darum, dass ein Richter bewerten soll welche Seite für ihn ein größeres Risiko darstellt. Das tut der Konstrukteur auch nicht. Der Konstrukteur sorgt dafür, dass er sich für alle Fehler die passieren, rechtfertigen kann. Wenn er das kann, dann kann die Brücke auch einstürzen, er trägt keine Schuld. Und er kann das beweisen. Aber er muss damit rechnen, dass jemand nachfragt und seine Arbeit überprüft (deswegen verbringen Konstrukteure irre viel Zeit mit Dokumentation, die ansonsten völlig überflüssig ist. Wer mal eine Risikoanalyse für eine Maschine gemacht hat, der weiß was ich meine). Richterliche Arbeit wird im Ergebnis auch geprüft, aber eine negative Prüfung hat nie Konsequenzen für den Richter. Und das ist das Problem.

Es ist eine ganz grundsätzliche Frage: Wir machen alle Fehler. Jeder Berufsstand tut das. Aber einige nehmen sich aus der Haftung dafür raus. Und das bei einem Gegenstand der lebenswichtig für alle Betroffenen ist. Und das führt dann in der Konsequenz (und da sind wir beim Kern des Threads) zu Verantwortungslosigkeit. Wenn ich nicht für schlechte Arbeit Konsequenzen erlebe, dann arbeite ich auch schlecht. Wenn Konstrukteure keine Haftung hätten, dann würden sie nicht gewissenhaft arbeiten. Weil es viel leichter ist ohne Reflektion zu arbeiten. Da zieht sich dann Schlendrian rein.

Zitat
Und parallel dazu befragt man dann das Gesetz, um zu prüfen, ob das Befragungsergebnis mit dem eigenen Judiz übereinstimmt. Passen Auslegungsergebnis und Judiz zusammen, spricht viel dafür, dass die Lösung stimmig ist.


Und ist das Gesetz nur wackelig genug, so finde ich die Bestätigung für alles. Ich gehe mit einer Meinung rein und, oh Wunder, ich finde genau das bestätigt. Das ist am Ende confirmation bias par excellance.

Zitat
Ernst gemeinte Frage: Warum nicht?


Weil wir uns dann auch die Verhandlung sparen können. Als Laie geht man in eine solche Verhandlung mit dem Bild das dort verhandelt wird, wie der Name schon sagt. Dann stellt man fest, dass das aber gar nicht der Fall ist, sondern das das Urteil schon lange gefallen ist, und man jetzt gezwungen wird gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Es geht nicht nur um das Ergebnis, deswegen habe ich auch betont, dass ich das sowohl als Gewinner als auch als Verlierer erlebt habe. Es geht auch darum wie man mit den Parteien umgeht. Als Gewinner ist es leicht das hinzunehmen, aber zumindest auf Verliererseite kann ich sagen, dass es nicht gut empfunden wird, wenn das, was man vorbringen möchte, schlicht ignoriert wird. Ich habe kein Problem damit, wenn mir ein Jurist erklärt, dass das aus diesen und jenen Gründen hier nicht hilft, bzw. das nicht die rechtliche Betrachtung ist. Aber das ist es nicht, was ich erlebt habe. Was ich erlebt habe ist (und wie betont, auf Gewinner. wie Verliererseite) das Auftreten von Herrschern, die dem dummen Pöbel beibringen was sie zu tun haben. Und der Pöbel soll schweigen und zustimmen. Als Gewinner wie gesagt, leicht zu ertragen, aber auf Verliererseite ist mir mindestens zweimal am Ende eher Wut auf die Richter geblieben. Nicht auf die Gegenseite. Die hat ihre Vorstellung von richtig, ich habe meine, am Ende kann sich einer durchsetzen. Ich wünsche ihnen auch nicht unbedingt was Böses. Den Richtern dagegen schon viel eher. Erstaunlich oder? Und zwar nicht der Urteile wegen, sondern wegen der Art wie diese Urteile zustanden kamen und verkündet wurden.

Zitat
Was hätte Ihnen denn besser gefallen? Eine Entwicklung der Auffassung des Richters im Rahmen eines Rechtsgespräches im Termin? So ohne Kommentarliteratur und Zugriff auf Datenbanken? Ohne Überlegungszeit? Ohne Möglichkeit, das mit Richterkollegen zu besprechen? Wie soll er dann beispielsweise einen vernünftigen Vergleichsvorschlag machen?


Es spricht ja nichts dagegen sich vorher mit der Thematik zu beschäftigen. Und dann in der Verhandlung dann auch eine solche zu führen. Zumindest der Eindruck der Ergebnisoffenheit muss erst einmal gegeben sein. Vielleicht ganz blöde: So ein Verfahren kostet Geld, Zeit und Nerven. Da sind zwei Parteien, die haben sich monatelang gestritten, Dutzende Schreiben aufgesetzt und jeder ist der Meinung, er hat seinen Grund, warum er zu Gericht will. Jeder wähnt sich im Recht, sonst würde er es nicht so weit treiben. Dafür ist der Spaß zu teuer. Und das kumuliert dann in einer Verhandlung, die vielleicht auf eine Stunde angesetzt ist (manchmal auch mehr). Und eigentlich sollte in dieser Stunde eine lange Besprechung des Themas stattfinden. Wenn aber da schon ein Richter mit der Attitüde aufschlägt, warum man hier seine Zeit verschwende, wo doch alles so klar ist, dann ist das frustrierend. Es ist eine unglaubliche wie völlig verfehlte Arroganz dabei. Für den Richter mag das nur eine Stunde sein, aber für die Parteien ist das etwas mit dem sie Monate lang gelitten haben. Aber ich will auch meine persönliche Frustration hier nicht ausleben, andere mögen bessers erlebt haben (wobei ich durchaus auch genug Erzählungen kenne, die ähnliches berichten). Aber ich glaube das sich viele Richter überhaupt nicht dem Schaden bewusst sind, die ihre Urteile und ihre Verhandlungsführung ebenso anrichten.

Um das noch kurz zu verallgemeinern: Richter müssen sich irgendwo immer zwischen zwei Polen entscheiden, Win-Win Situationen gibt es nicht (allenfalls im Schlichtungsverfahren, aber ist wohl eher die Ausnahme). Oder anders gesagt: Einer wird verlieren. Im Zivilrecht wie auch im Strafrecht. Gibt es im Strafrecht ein hartes Urteil, verliert der Angeklagte. Gibt es eine milde Strafe verlierte oftmals das Opfer. Es wird immer einer verlieren. Aber auch wie der Betreffende verliert, ist ein Unterschied. Ich kann, wie Otto Brixner (s.o.), den Angeklagten anbrüllen, seine Beweise ignorieren und ihn anschließend wegschließen lassen. Oder wie ich es schilderte, in der Verhandlung aufschlagen, und erst einmal erklären, warum mich weitere Ausführungen gar nicht interessieren. Oder ich kann mir höflich anhören was die Parteien vorbringen und dann(!) zu einem Urteil kommen und dieses erklären. Das ist ein himmelweiter Unterschied.
Ich glaube was vielen Richtern nicht bewusst ist, ist die Ohnmacht, die man gegenüber ihnen zwangsnotwendig empfinden muss. Im normalen Leben kann ich bei Konflikten tausend Strategien anwenden, um damit umzugehen, zu mitigieren oder zu vermeiden. Vor Gericht nicht. Es ist eine gänzlich eigene Situation. Und mit der muss man verantwortlich umgehen. Die Macht, die Richtern gegeben ist, ist ganz außergewöhnlich. Und ich glaube viele gehen damit sehr schlecht um. Und das hat viel mit Selbstverständnis zu tun. Und eben auch Haftung.

Llarian Offline



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24.12.2023 01:11
#67 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von fedchan im Beitrag #65
Also soll er abwägen, ob die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass der Beschuldigte, den er trotz fehlenden Haftgrundes in Untersuchungshaft nimmt, ihn verklagt, oder jene, dass er nicht wiedergewählt wird, weil er ihn laufen lässt? Sind das nicht irgendwie sachfremde Kriterien?

Genau darum geht es: Ich denke nicht, dass das sachfremd ist. Es kommt darauf an wie man die Judikative generell betrachtet. Als etwas künstliches, dass ohne Berücksichtigung des Bürgers, irgendwo abstrakt im Himmel rumschwebt oder ob man die Judikative als Auftrag des Bürgers versteht. Und die meisten Juristen vertreten den ersten Standpunkt. Das ist aber falsch. Alle Macht geht in einer Demokratie vom Souverän aus. Die Macht ist den Juristen, und speziell den Richtern, durch den Souverän gegeben. Nicht durch irgendeine göttliche Einflüsterung, einen Herrscher, nicht einmal durch Politiker oder Parlamente. Am Ende sind Richter Ausführende des Volkswillens.

Das ist am Ende auch und gerade eine Frage wie man das Volk begreift: Als mündigen Bürger mit einem bestimmten und ebenso richtigen(!) Rechtsempfinden oder als unmündigen Haufen, dem man erklären muss was richtig ist und was falsch. Das ist eine absolut grundsätzliche Frage, der man sich stellen muss. Denn wenn man ersteres bejaht, dann kommt man ganz schnell dazu, dass Richter zu wählen etwas absolut natürliches und folgerichtiges ist.

Zitat
Sie scheinen darauf hinauszuwollen, dass Wähler darüber entscheiden sollen, ob ein Richter „richtige” Entscheidungen trifft. Beim Konstrukteur ist das sicherlich kein richtiges Verfahren.


In gewissem Sinne schon, auch wenn beim Konstrukteur natürlich die Entscheidung was falsch oder richtig ist, leichter zu bewerten ist. Aber es spricht nichts dagegen, dass sich auch Richter bewerten lassen müssen und sich rechtfertigen müssen für das, was sie tun. Wenn das, was sie tun, richtig ist, ist das ja kein Drama. Für einen Bügermeister ist eine Bewertung durch Wähler ebenso selbstverständlich.

Zitat
Man kritisiert die politische Linke dafür, auf Basis eines nebulösen Gerechtigkeitsbegriffes Milliardenbeträge verschieben zu wollen, meint aber gleichzeitig, dass dasselbe Konzept ein legitimer Anspruch an richterliche Entscheidungen ist?


Ich glaube das der Gerechtigkeitsbegriff im strafrechtlichen Sinne deutlich(!) klarer ist als im politischen. Aber auch anders herum: Ja, man kritisiert die Linke für einen völlig verfehlten Gerechtigkeitsbegriff. Aber im demokratischen muss man ebenso damit leben. Wenn Deutschland sich dazu entscheidet den linken Doktrinen zu folgen (und das passiert ja seit einigen Jahrzehnten), dann hat das eben Folgen. Aber es ist durchaus demokratisch. Keiner soll sich beschweren, der das gewählt hat. Das würde ich bei Richtern genauso sehen: In Kalifornien zum Beispiel haben sich die Bürger Staatsanwälte (okay, sind keine Richter, aber auch Juristen) gewählt, die eine ganz bestimmte politische Linie vertreten. Und erleben jetzt die Folgen. Das ist ziemlich übel, aber keiner kann sich beschweren, dass das nicht demokratisch war. Es war dämlich, aber die Staatsanwälte sind im Auftrag des Souveräns unterwegs.

Frank2000 Offline




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24.12.2023 09:59
#68 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Nur kurz eingeworfen. Vielleicht habe ich dieses Detail auf die Schnelle überlesen, aber:

Selbstverständlich gibt es für Richter eine extrinsische Motivation für niedrige Urteile und in dem Sinne sind Richter schon seit vielen Jahren nicht mehr unabhängig:

Der "Shit storm-Mechanismus". Wenn Richter Urteile sprechen, die der organisierten digitalen woke-Schlägertruppe nicht passen, dann wird in den sozialen Medien und dem ör-Fernsehen ein Shit storm ausgelöst.

Mir persönlich wäre es da deutlich lieber, statt des digitalen Faustrechts gäbe es eine formale Instanz, vor der sich Richter verantworten müssten.

___________________
Verbote sind Freiheit. Meinungen sind Terror. Quoten sind Leistung. Linke Regierung ist Familie. (c) Rot-Grüne Allianz
Prophezeiung: 2022, das Jahr in dem in Deutschland der Schleier für alle eingeführt wird. Nennt sich dann "Maske".
"Warum halten sie Begriffe wie 'Zigeunersoße' für rassistisch, aber 'Schei** Juden' für harmlos?", Hamed Abdel-Samad

fedchan Offline



Beiträge: 129

24.12.2023 12:06
#69 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Hallo und Guten Tag!

Zitat
Llarian Wann wird denn mal über harte Urteile berichtet, die man so nicht erwartet?


Es wird dann gern die Formulierung „... über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus” benutzt. Solche Berichterstattung bleibt aber anscheinend nicht so sehr im Gedächtnis.

Als Beispiel aus der jüngeren Zeit für eine kategoriale Verschärfung der Bestrafung fällt mir der „Trend” in der Rechtsprechung ein, Autorennen als Mord abzuurteilen, weil man nun davon ausgeht, dass die entsprechenden Angeklagten Eventualvorsatz für eine Tötung haben. Ist allerdings zugegebenermaßen kein Aspekt der Strafzumessung.

Zitat
Ihre Argumentation läuft nach meinem Dafürhalten auf den Komplex der Jugendsünde hinaus.


Da könnte es sein, dass Sie mich missverstanden haben. Mir ging es darum, dass die Intuition, was denn im Einzelfall eine gerechte Strafe sei, sich verkomplizieren kann, je mehr Details man vom Fall kennt. Und mit zu den ersten Details gehört, wie die Täter aussehen.

Es gilt ja als bekannt, dass gut aussehende Angeklagte jedenfalls im jury trial bessere Karten haben.

Zitat
Natürlich kennen wir nicht die Akte. Nur kann ich mir keinen Milderungsgrund vorstellen, der zu diesem Ergebnis geführt haben kann.


Ich spontan auch nicht. Aber ich beurteile Rechtsprechung nicht auf Basis von Berichterstattung. Sehen Sie es mir nach.

Zitat
Und dann haben sie eben Richter vom Stile eines Otto Brixner. Und genau das will ich nicht.


Das erinnert mich an eine Formulierung, die ich in dem Buch „The Rule of Law” von Tom Bingham las. Den Volltext kann man googeln, aber ich paraphrasiere trotzdem. Er schreibt, dass es besser sei, unter cholerischen Richtern (und gierigen Anwälten) zu leiden als unter einem autoritären oder gar totalitärem Regime.

Das klingt etwas weit hergeholt: Wir etablieren in stärkerem Maße negative Konsequenzen für Richter, wenn sie sich danebenbenehmen, und schon klopft der Totalitarismus an der Tür? Die Haftungsfreistellung von Richtern entspricht allerdings der Rechtstradition im common law, was für mich ein Indiz dafür ist, dass sie ihre guten Gründe hat. Weil die können das besser als wir, mit Freiheit und so, die Engländers.

Zitat

Zitat
Passen Auslegungsergebnis und Judiz zusammen, spricht viel dafür, dass die Lösung stimmig ist.


Und ist das Gesetz nur wackelig genug, so finde ich die Bestätigung für alles. Ich gehe mit einer Meinung rein und, oh Wunder, ich finde genau das bestätigt. Das ist am Ende confirmation bias par excellance.



Unterstellt, es wäre so, dass Richter aus dem Bauch heraus entscheiden und gesetzgeberische Intentionen im Ergebnis egal sind. Warum produziert das zwingend ein weniger gerechtes Ergebnis als die Orientierung am gesetzgeberischen Willen?

Konkrete Praxis: Ich werde mit einer Rechtsfrage konfrontiert. Ich überlege mir, was ich glaube, wie es wohl ist, und dann gucke ich in den Kommentar oder versuche, Rechtsprechung zu finden. Ach so, der BGH sieht es anders? Hätte ich jetzt nicht gedacht. Aber Ok, dann stelle ich mich darauf ein.

Zitat
Was ich erlebt habe ist (und wie betont, auf Gewinner. wie Verliererseite) das Auftreten von Herrschern, die dem dummen Pöbel beibringen was sie zu tun haben.
(...)
Wenn aber da schon ein Richter mit der Attitüde aufschlägt, warum man hier seine Zeit verschwende, wo doch alles so klar ist, dann ist das frustrierend.


Bis zu Ihrem Post lebte ich in dem Glauben, dass diese Dinosaurier inzwischen ausgestorben sind. Ich kenne auch solche Geschichten; sie spielen aber vor 20 bis 30 Jahren. Darf ich fragen, wie lange das her ist und wie alt der Richter war?

Es ist im wohlverstandenen Eigeninteresse des Richters auch nicht klug, eine solche Attitüde an den Tag zu legen, weil sie eine höhere Wahrscheinlichkeit produziert, dass er ein Urteil schreiben muss. Geschickter ist, Unsicherheiten zu artikulieren; insbesondere kann es das Rechtsmittelgericht gaaanz anders sehen. Wollen Sie nicht lieber einen Vergleich schließen? Und die Vergleichsvorschläge sind durchaus ausdifferenziert: Ich kenne einen Richter, der auf einer Skala von 0.1 bis 1 die Wahrscheinlichkeit der Berechtigung der jeweiligen Forderungen nach derzeitigem Sachstand auswirft.

Vielleicht ist das eine Generationenfrage: In den letzten zwei Jahrzehnten sind viele Richter pensioniert worden, weshalb auf den Dezernaten jetzt auch viele jüngere sitzen. (Das hat auch Nachteile; die jungen Richter sind im Zweifel strenger, was Fristen für Parteivortrag angeht.)

Zitat
Das ist am Ende auch und gerade eine Frage wie man das Volk begreift: Als mündigen Bürger mit einem bestimmten und ebenso richtigen(!) Rechtsempfinden (...). Denn wenn man ersteres bejaht, dann kommt man ganz schnell dazu, dass Richter zu wählen etwas absolut natürliches und folgerichtiges ist.


Die USA sind, glaube ich, das einzige westliche Land, in dem Richter gewählt werden. Auch da ist das Gegenstand einer ewigen Debatte, die spätestens mit Tocqueville losging.

Ist ein jury trial besser oder möchte man Berufsrichter als Entscheider? Gewählte oder ernannte Richter? Adversarial oder inquisitorial? Die Geschmäcker sind verschieden. Gemeinsam haben alle Systeme meines Wissen nach allerdings eine Haftungsfreistellung.


Freundlicher Gruß,

fedchan

Johanes Offline




Beiträge: 2.637

25.12.2023 00:52
#70 RE: Richter sind verantwortungslos Antworten

Zitat von fedchan im Beitrag #65
Die absolute Straftheorie wird ja dargestellt anhand des Inselbeispiels: Wenn sich eine Gesellschaft auflöst, also die Menschen nicht mehr interagieren, muss trotzdem der Verbrecher hingerichtet werden. Ich behaupte demgegenüber, dass es ohne Gesellschaft keine Strafzwecke gibt.


Entschuldigen Sie die kürze; ich nutze nur die Gelegenheit der Schlaflosigkeit aus.

Ich verstehe Ihren Punkt. Mein Beispiel mit dem Gesellschaftsvertrag ist wieder nur "relativ", nicht absolut.
Welch trivialer Denkfehler.

In der Realität gäbe es im Inselbeispiel allerdings auch keinen Menschen mehr, der einen an die Erfordernis einer Bestrafung erinnern könnte. Ausgenommen das eigene Gewissen. Selbst wenn man sich dazu verpflichtet hätte.

Dennoch, denke ich, dass man rational für die eine Verpflichtung zum Strafen, auch unabhängig von den Konsequenzen für Täter und Gesellschaft, argumentieren könnte.
Ich hätte vielleicht besser von "bedingter" und "unbedingter Strafverpflichtung" oder so reden sollen. Die Strafe also nicht allein als Mittel zum Zweck um durch Abschreckung und Resozialisation die Gesellschaft zu verbesser, sondern als Gebot aus ausgeführt werden muss.

Zitat von fedchan

Zitat
Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der mit 21 ein schlimmes Verbrechen begangen hat, wieder "rückfällig" wird ist aber doch größer wenn er auf Bewährung rauskommt als wenn er mit 46 Jahren wieder rauskommt, oder?


Ich habe Verständnis dafür, dass in diesem Thread vor allem die schweren Verbrechen thematisiert werden, weil diese in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit hervorrufen. Das strafrechtliche alltägliche Massengeschäft betrifft allerdings keine Kapitalverbrechen. Und da ist schon die Frage, ob man durch eine kurze Haftstrafe nicht mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet.




In den USA gibt es in einigen Bundesstaaten die "three strikes-rule".
Es scheint absurd, jemanden wegen drei eher leichter vergehen einzusperren und es ist wahrscheinlich auch schwer dafür zu argumentieren. Dennoch wird es in den USA z. B. durchgesetzt, weil es einfach gültiges Recht ist.

Ich denke aber, der Fall liegt bei Kapitalverbrechen doch etwas anders. Hier ist nachvollziehbar, dass der Schutz der Gesellschaft eine Rolle beim Aufstellen der Regel spielt.

In Übrigen: Die für einen Juristen offenbar "spannendsten Fälle" sind doch eben solche, in denen die Rechtslage durch Gerichte geklärt werden muss. Die machen aber nicht das Massengeschäft aus, sonst wäre die Rechtslage recht bald geklärt.



Schöne Adventszeit 2023
und später Frohe Weihnachten
...und keinen politischen Streit unterm Weihnachtsbaum

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