Zitat von ZettelGenau das ist der Punkt, wo die Anhänger des Kompatibilismus sich meines Erachtens in die Tasche lügen. Sie sagen, eine freie Entscheidung sei doch eine, die man nach vernünftigen Erwägungen, die man verantwortlich trifft - aber welche Erwägungen man anstellt, wie man die Alternativen bewertet, nach welchem Algorithmus man die Entscheidung trifft, das sei eben doch determiniert.
Genau.
Zitat von ZettelAber wenn ich jetzt eben entscheide, ob ich diesen Punkt abschließe oder ihn noch weiter kommentiere - dann kann ich das nur unter der Voraussetzung, daß beide Möglichkeiten offenstehen und daß ich frei zwischen ihnen wählen kann.
Da ist der Knackpunkt. Wir sind uns ja schon soweit einig, daß zwischen gefühlter Freiheit (des Willens) und existierender Freiheit kein notwendiger Zusammenhang besteht.
Das weiß ich nicht, liebe Kaa. Das genau ist ja das ungelöste Problem. Wir haben es, im Slang der Wissenschaft gesagt, mit zwei Datensätzen zu tun, auf die jeweils eine Theorie gut paßt.
Wenn wir die Natur erklären wollen, inclusive das Gehirn, dann kommen wir bestens mit der Annahme einer durchgehenden Kausalität, einer kausal geschlossenen Welt hin.
Wenn wir unser eigenes Entscheidungsverhalten und das anderer Menschen verstehen wollen, dann kommen wir ebenso prächtig mit der Annahem hin, daß wir Menschen einen freien Willen haben.
Das Problem ist, wie die beiden Datensätze miteinander vereinbar, ob und ggf. wie die beiden Theorien integrierbar sind. Kant war der Meinung, daß sie das nicht sind und daß just das ein Beispiel für die Beschränktheit unseres Erkenntnisvermögens ist. Aber ober er damit Recht hatte, wissen wir ja nicht.
Zitat von KaaErst mal, die einfacher persönliche Frage: Entscheidest Du das wirklich? Ich nicht. (Soll heißen: Kommt es Dir wirklich so vor, als würdest Du das entscheiden? Mir nicht) Bei mir passieren solche kleinen Dinge einfach. Ich kommentiere weiter, ich beende den Beitrag.
Ja klar, das ist normalerweise Routine. Aber wenn ich jetzt innehalte und überlege: Schreibe ich jetzt weiter oder mache ich Schluß?, dann ist das eben eine Entscheidungssituation. Und ich bin überzeugt, daß es in meiner Macht liegt, das eine oder andere zu tun. Du auch, oder?
Zitat von KaaJa, Dir stehen beide Möglichkeit offen. "Du" bist aber auch die prozessierende (informationsverarbeitende) Einheit. Welche Möglichkeit Du (diese Einheit) wählt, weißt Du (diese Einheit) erst, wenn Du (diese Einheit) gerechnet hat. Vorher bist Du (diese Einheit) der objektiv richtigen Meinung, daß es keine Grenzen im Aussen gibt, die Dir (dieser Einheit) eine der beiden Möglichkeiten verbauen.
Aber auch nicht im Innen. Darauf kommt es an. Nicht nur Freiheit in dem Sinn, tun zu konnen, was man will. Sondern auch wollen zu können, was man will.
Zitat von KaaDu kannst doch nicht die ganze Zeit "wissen" welche Kriterien gerade die vernünftigsten für jedes Problem das Dir begegnet sind. Das ist eine Frage der Kapazität. Du kannst es für die meisten Fälle berechnen - ... naja. Das ist der eine Ansatz. Der ist falsch, glaube ich.
Verstehe ich dich richtig: Das Erlebnis der Willensfreiheit entsteht, wenn wir nicht wissen, wie wir uns entscheiden werden, obwohl es schon festliegt?
Ich kann das nachvollziehen, dh ich kennen solche Situationen, in denen ich sozusagen selbst gespannt bin, was ich denn tun werde. Mich dabei beobachte, wie sich das denn nun entwickelt.
Aber das ist nicht das Erlebnis der Willensfreiheit. Wenn ich eine Willensentscheidung treffe, dann bin ich ja gerade nicht der Beobachter, sondern ein Akteur.
Das ist vor allem dann evident, wenn man sich gegen starke eigene Motive für eine Option entschließt. Wenn, sagen wir, jemand bei einer Schiffskatastrophe nicht selbst ins Rettungsboot springt, sondern erst mal die Kinder und Frauen reinläßt; also gegen seinen Überlebensinstinkt. Da trifft er eine Entscheidung und beobachtet nicht einfach, was er tut.
Zitat von KaaDu entscheidest dich nicht für etwas. Das ist "moment driven". Was die Regeln betrifft, die sind keine PRO Regeln, (wenn das, dann das und wenn zu soviel % so, dann .... ) sondern NEIN- und Einspruch!- Regeln. Grundsätzlich antwortest Du auf keine ... (deine Regel einsetzen). Wenn der dritte Buchstabe im Name des ...-Schreibers ein x ist, und wir Frühling haben, antwortest du zu 1/3 Wahrscheinlichkeit doch auf ... - aber nur kurz. Niemals kaufst du etwas an der Haustür, außer der Kirschbaum blüht, und deine Frau war vorher beim xyz-Arzt - dann kann es passieren, daß Du einem reisenden Händler was abkaufst, aber nur, wenn er braunen Anzug trägt und das Wort "Mondfinsternis" nicht erwähnt. Das ist ein absoluter Geschäftsstopper für dich. Wegen diesem Wort bist du schon auf freiem Feld aus einem Taxi ausgestiegen. Nein, nicht wirklich, du bist ja rational.
Ich glaube, du hast Einspruchsregeln. Die sind mehr oder weniger vernünftig. Auf jeden Fall sind sie "erprobt", "gelernt" - aus Erfahrung entwickelt. Was wirklich passiert wird mehr durch Zufälle im Moment entschieden. Es passiert selten was wirklich dummes, weil viele Möglichkeiten gut wären, und das wirklich dumme von den Einsrpuchsregeln verhindert wird.
Das habe ich in voller Länge zitiert, weil ich es so schön geschrieben finde.
Und weil ich außerdem zustimme. Man kann die Willensfreiheit durchaus als so etwas wie ein Vetorecht auffassen. Impulse werden nicht willentlich generiert. Aber welcher zur Ausführung zugelassen und welcher unterdrückt wird, das ist eine Willensentscheidung. Frontalhirnpatienten können das nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. Sie fallen ihren Impulsen zum Opfer, sie handeln damit ohne freien Willen.
Zitat von KaaIch hätte nix gegen Willensfreiheit. Aber ganz im Gegenteil zu den Leuten, die ihrer bedürfen, kann ich auch ganz gut ohne sie leben.
Das glaube ich dir nicht, liebe Kaa. Du kannst keinen Augenblick ohne sie leben. Komme morgen eine Stunde zu spät zum Dienst und sage deinem Chef, der dich tadelt: Tur mir leid, Chef, aber der Impuls, noch eine Runde zu schlafen, war leider stärker als mein Impuls, pünktlich aufzustehen.
Zitat von Kaa Als Gläubiger glaube ich sogar, daß es sie gibt. Als Denkender halte ich sie aber für sehr schwer erklärbar. Was um alles in der Welt soll das denn sein? Mit der Willensfreiheit, sollten wir die jemeils belegt kriegen, führen wir doch einen Gottesbeweis ein.
Inwiefern? Wenn wir Kant glauben, daß die Kategorie der Kausalität nur eine Kategorie unseres Verstandes ist, was wäre dann auf Gott Verweisendes daran, daß es Willensfreiheit gibt; also Ereignisse, die durch diese Kategorie nicht zutreffend gefaßt werden?
Zitat von KaaWo soll der freie Wille herkommen, wenn nicht aus einem irgendwie geartetem JENSEIST? Sehr mysteriös, wenn NaturWissenschaftler den freien Willen vertreten.
Für mich gar nicht. Denn ein Naturwissenschaftler (so wie ich das verstehe) nimmt zunächst einmal Fakten zur Kenntnis. Auch wenn man sie vorläufig nicht erklären kann.
Der freie Wille ist ein Faktum und keine Theorie. Eine gute Theorie des freien Willens haben wir bisher nicht. Sie müßte ihn in die kausale Geschlossenheit der Welt integrieren oder - wahrscheinlicher - eine übergeordnete Beschreibung liefern, in der Kausalität und freier Wille Spezialfälle sind.
Mein Gefühl: Das ist eine Frage der Logik. Und ohne zu zitieren, zusammengefasst, was ich glaube, daß Du nicht so gravierend siehst, wie ich - und wie ich glaube, daß wirklich gravierend ist:
Ob Du Dich in Deiner Entscheidung frei wähnst, hat keine Aussagekraft über die Freiheit Deiner Entscheidung
Ich wäre sehr sehr zufrieden wenn wir uns darauf einigen könnten. Ich habe es jetzt nicht im Detail durchdacht, aber ich glaube, damit könnte man den freien Willen und den Determinismus vereinbaren. (Der Determinismus a la Laplaceschen Dämon soll out sein - das habe ich nie verstanden, weil ich ja vom Denken her Ingenieur bin - aber ich bin bereit, das zu glauben, ohne es zu verstehen).
Machen wir es wie in der UNO beim Verfassen einer Resolution. Wie möchtest Du den obigen (fettgeschrieben) Satz formuliert haben, daß er in die Resolution mit Deiner Zustimmung aufgenommen werden kann?
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
PS: Wenn der fettgedruckte Satz in einer Form bestehen bleiben kann, die ich unterschreiben kann, bedeutet das, wie gesagt, wahrscheinlich, daß der freie Wille wie bisher behauptet nicht mehr behauptet werden kann. Aber und dafür möchte ich plädieren: Er bleibt existent! (Als etwas anderes). Er bleibt spannend. Und auch hier gilt: Mit der Wahrheit läßt sich viel effektiver Wirklichkeit gestalten, als mit Illusionen. Es gab etwas wie "freien Willen" über einen gewissen Zeitraum - tausende von Jahren, schätze ich - und dieses ETWAS gibt es noch immer, wenn wir uns auf einen Satz einigen können, den ich unterschreiben kann. Dieses ETWAS ist das Spannende. Mit diesem ETWAS wird gesellschaftliches Recht gesprochen.
Wenn ich das nur rüberbringen könnte. Wenn der mythische freie Wille out ist, ist damit noch lange nicht der freie Wille gestorben, den wir erleben. DIESEN freie Wille (den erlebten) gibt es. DIESER (erlebte, nicht "wahre") freie Wille bestimmt unser Rechtssystem und daß wir unsere Kinder schimpfen. Singer hat das mal sehr gut gesagt, sinngemäß. Auch wenn ich wüßte, daß es keinen freien Willen gäbe, würde ich meinen Kindern noch immer sagen, das darfst du nicht. DAS ist das was wirkt. Die Illusion der Wahrheit brauchen wir dafür nicht.
Ich bin mir hundertpro sicher, daß ich da einen wichtigen Punkt habe. Weiß nur nicht, ob ich den nicht vermitteln kann, oder ob ich nicht begreife, daß der sowieso unstrittig ist.
Der neue Faschismus wird nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus Autor im Netz bekannt
Zitat von KaaIch bin mir hundertpro sicher, daß ich da einen wichtigen Punkt habe.
Das glaube ich auch, liebe Kaa. Und weil ich es wichtig finde, dauert es wieder mal mit meiner Antwort a bisserl.
Als Amuse-Geule, bis das Menü kommt, erst mal dies.
Wir diskutieren ja hier nicht irgendein abstraktes philosophisches Problem, sondern es geht um unsere Freiheit. Die Denkweise, wie sie Markowitsch exemplarisch vertritt (nicht Wolf Singer, der ist weit differenzierter) führt stracks in die Unfreiheit.
In Antwort auf:Die Befürworter des freien Willens sind auch einem Dilemma ausgesetzt.
Und welches Dilemma sollte das denn sein?
Übrigens, die Existenz eines Dilemmas kann ja die Frage weder so noch so beantworten.
Aber es ist nunmal eine Tatsache, daß wir (und damit meine ich jetzt alle Menschen) bei uns Willensentscheidungen wahrnehmen. Da kann man viel erklären, aber wegerklären ist nicht zulässig.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
Zitat von ZettelVerzeihen Sie mir die Beckmesserei, lieber str1977, aber "grüner Käse"? "Green cheese" ist so etwas wie Kräuterkäse.
Dieses Bild ist aber wörtlich ins Deutsche übertragen worden und existiert nun als solches.
In Antwort auf:Was die "Illusion" angeht. Diejenigen, die das annehmen, verweisen darauf, daß ja auch andere Illusionen sehr eindringlich sind. Zum Beispiel die, daß die Sonne im Osten aufgeht, sich über den Himmel bewegt und im Westen untergeht.
Das ist aber keine "Illusion" sondern einfach die Realität aus einem bestimmten Blickwintel betrachtet. Wir sind doch schließlich über den "die Sonne ist das Zentrum des Universums"-Vulgärkopernikanismus hinaus.
In Antwort auf:Könnte die Willensfreiheit nicht von dieser Art sein? Sie ist als ein Wahrnehmungsphänomen real, so wie die scheinbare Bahn der Sonne. Aber astronomisch gibt es diese Bewegung der Sonne eben nicht.
Sie versuchen schon wieder wegzuerklären. Die Bewegung, die so beschrieben wird, gibt es sehr wohl. Die Deterministen behaupten vielmehr - im Bilde gesprochen - Erde und Sonne stünden fest und die Menschen würden es sich nur einbilden.
In Antwort auf:Aber die Frage, ob die Willensfreiheit (oder das Bewußtsein) ein Epiphänomen sei, ist ja keine ideologische, sondern eine empirische.
Die Tatsache der freien Willensentscheidung ist eine empirische. Und ja, ich halte den Versuch, sie wegzuerklären für ideologisch begründet. Und zwar aus der seltsamen Haltung eines menschlichen Selbsthasses in der Moderne.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
str1977
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27.04.2008 00:57
#57 RE: Illusionen und Aspekte; der Absolutsheitsanspruch der Wissenschaft
In Antwort auf:Dem stimme ich zu. Allerdings mit der Einschränkung, daß die verschiedene Aspekte sich im Grad ihrer Subjektivität (Perspektivität) unterscheiden; daß sie insofern der Realität unterschiedlich nah sind. Daß die Sonne sich um die Erde dreht, gilt nur für den Aspekt des irdischen Beobachters. Daß die Erde sich um die Sonne dreht, gilt für alle Aspekte aller denkbarer Beobachter.
Das ist nicht wahr.
Sicher, es ist unwahrscheinlich, daß ein Bewohner des Mars oder der Beteigeuze ein Model aufstellt, in dem sich die Sonne um die Erde bewegt. Er würde eher seinen Planeten als Mittelpunkt nehmen und zwar aus wohlverstandenem Egozentrismus.
Aber es ist nicht wahr, daß er nicht die Erde nehmen könnte. Wenn er sich dann doch für die Sonne entscheidet, dann eben aus dem gleichen Grund, der auch auf der Erde letzlich entscheidend ist: das Modell wird einfacher.
In Antwort auf:Trotzdem gibt es aus meiner Sicht so etwas wie einen berechtigten "Absolutsheitanspruch" der Wissenschaft: Nur mit wissenschaftlichen Methoden lassen sich Erkenntnisse finden, die allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen können. Es mag religiöse, es mag philosopische Erkenntnis geben, die für denjenigen, der sie hat, von höchster Evidenz ist. Aber für andere verbindlich ist sie nicht.
Nein, es gibt niemals einen berechtigen Absolutheitsanspruch für irgendetwas, schon gar nicht für die Naturwissenschaft (auf die Sie sich ja wohl beziehen - wenn das eben auch nicht ganz zutreffend ist, stellt doch z.B. die Physik nur einen Teilbereich der hier mißachteten Philosophie dar). Diese ist genauso historisch, sozial, kulturell etc. bedingt wie alles andere auch. In ihrem methodischen Bereich ist sie auch verbindlich, aber das gilt unter Maßgabe der Methoden für andere Disziplinen auch.
Gruß, str1977
Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon. Aber beide sind aus Stein gemacht.
In Antwort auf:Dem stimme ich zu. Allerdings mit der Einschränkung, daß die verschiedenen Aspekte sich im Grad ihrer Subjektivität (Perspektivität) unterscheiden; daß sie insofern der Realität unterschiedlich nah sind. Daß die Sonne sich um die Erde dreht, gilt nur für den Aspekt des irdischen Beobachters. Daß die Erde sich um die Sonne dreht, gilt für alle Aspekte aller denkbarer Beobachter.
Das ist nicht wahr.
Sicher, es ist unwahrscheinlich, daß ein Bewohner des Mars oder der Beteigeuze ein Model aufstellt, in dem sich die Sonne um die Erde bewegt. Er würde eher seinen Planeten als Mittelpunkt nehmen und zwar aus wohlverstandenem Egozentrismus.
Aber es ist nicht wahr, daß er nicht die Erde nehmen könnte. Wenn er sich dann doch für die Sonne entscheidet, dann eben aus dem gleichen Grund, der auch auf der Erde letzlich entscheidend ist: das Modell wird einfacher.
Einem Bewohner der Beteigeuze, lieber str1977, dürfte es beim Aufstellen eines solchen Modells ganz schön warm werden.
Aber im Ernst: Sie übersehen, daß ich von Perspektivität (Subjektivität) gesprochen habe. Lassen Sie mich das a bisserl genauer erläutern:
Wenn Sie ein System von Objekten haben, dann können Sie in der Tat jedes dieser Objekte als Bezugspunkt wählen (wenn Sie es als Koordinatensystem sehen: als Koordinatenursprung) und die Position der übrigen Objekte in Relation zu diesem Bezugsobjekt beschreiben.
Wenn Sie nun aber sich selbst als Beobachter innerhalb dieses Systems befinden, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Sie können entweder die Relationen in Bezug auf diesen eigenen Beobachtungspunkt beschreiben oder in Bezug auf ein anderes Objekt. Das eine ist ein egozentrisches, das andere ein allozentrisches Bezugssystem.
Das geozentrische Weltbild war ein egozentrisches, das kopernikanische ist ein allozentrisches Bezugssystem. Daß es noch weitere allozentrische gibt (man könnte zB. das Zentrum unserer Milchstraße als Bezugspunkt verwenden) ist davon unberührt.
In Antwort auf:Trotzdem gibt es aus meiner Sicht so etwas wie einen berechtigten "Absolutsheitanspruch" der Wissenschaft: Nur mit wissenschaftlichen Methoden lassen sich Erkenntnisse finden, die allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen können. Es mag religiöse, es mag philosopische Erkenntnis geben, die für denjenigen, der sie hat, von höchster Evidenz ist. Aber für andere verbindlich ist sie nicht.
Nein, es gibt niemals einen berechtigen Absolutheitsanspruch für irgendetwas, schon gar nicht für die Naturwissenschaft (auf die Sie sich ja wohl beziehen - wenn das eben auch nicht ganz zutreffend ist, stellt doch z.B. die Physik nur einen Teilbereich der hier mißachteten Philosophie dar). Diese ist genauso historisch, sozial, kulturell etc. bedingt wie alles andere auch. In ihrem methodischen Bereich ist sie auch verbindlich, aber das gilt unter Maßgabe der Methoden für andere Disziplinen auch.
Lieber str1977, die Physik ist nicht ein "Teilbereich der hier mißachteten Philosophie".
Erstens, weil die Philosophie "hier" (Sie meinen Deutschland? Sie meinen unsere gegenwärtige Kultur?) ja gar nicht mißachtet wird. Gut, in Deutschland könnte die Analytische Philosophie etwas mehr rezipiert werden; daran hapert es immer noch. Ungefähr 1957 oder 1958 habe ich als Schüler Wolfgang Stegmüllers "Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft" gelesen und war von da an überzeugt, daß die Zukunft der Philosophie der Analytischen Philosophie gehört. Heute ist sie zwar im angelsächsischen Bereich dominierend, in Deutschland aber immer noch nicht. Aber von "Mißachten" würde ich keinesfalls sprechen.
Zweitens ist die Physik kein Teilgebiet der Philosphie. Definitionen sind natürlich letztlich beliebig, aber eine so weit gespannte Definition von Philosophie würde den Begriff inhaltsleer machen. Philosophie befaßt sich nach heutigem Verständnis mit Themen, die gerade nicht von einer Einzeldisziplin behandelt werden. Also mit deren Fundierung, mit dem Zusammenhang zwischen Disziplinen. Und natürlich mit klassischen Themen wie Erkenntnistheorie und Ethik.
Nun zum "Absolutheitsanspruch". Ich habe ja erläutert, was ich damit meine: Alle, die sich auf bestimmte methodische Grundlagen verständigen (zum Beispiel, Behauptungen durch Daten zu belegen; Intersubjektivität von Beobachtungen; Quantifizierbarkeit; statstische Absicherung), sind in der Lage, gemeinsam herauszufinden, ob eine Aussage stimmt oder nicht.
Sie müssen keine inhaltlichen, keine "materiellen" Übereinstimmungen haben. Es genügt, daß sie sich auf diejenigen methodischen Grundlagen verständigen, die allen Wissenschaften gemeinsam sind (übrigens nicht erst seit der Renaissance; auch die antike Wissenschaft verfuhr schon so).
In diesem Sinn gibt es einen berechtigten Absolutheitsanspruch der Wissenschaften, den andere System von Aussagen, die Wahrheit beanspruche - Religionen zum Beispiel - nicht erheben können.
Herzlich, Zettel
Feynman
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Beiträge:
02.05.2008 19:19
#60 RE: Perspektivität. Egozentrisches und allozentrisches Bezugssystem
Zitat von Zettel Wenn Sie ein System von Objekten haben, dann können Sie in der Tat jedes dieser Objekte als Bezugspunkt wählen (wenn Sie es als Koordinatensystem sehen: als Koordinatenursprung) und die Position der übrigen Objekte in Relation zu diesem Bezugsobjekt beschreiben.
Ja, kann man, und damit jedes Problem beliebig komliziert machen, und damit die einfache Physik dahinter zu verstecken. Im komlizierten Planetenmodel des Ptolemäus war die einfache Gravitationsgleichung nicht ersichtlich. Fairerweise muss man sagen, dass das ptolemäussche Modell dennoch sehr exakt war, und deshalb so lange erfolgreich war, die ersten heliozentrischen Modelle waren dagegen nicht so genau.
Herzlich Feynman
Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit. Albert Einstein
jetzt habe ich endlich die WebSite wiedergefunden, auf der Ansgar Beckermann, ein Vertreter der Philosophy of Mind, die Position Kants erklärt. Die auch meine ist. Und ich habe jetzt den Verdacht, daß sie auch deiner sehr nahe kommt. Beckermann hat das besser dargestellt, als man es m.W. sonst irgendwo findet, wenn man sich nicht die Mühe macht, es gleich bei Kant zu lesen.
Ich versuche das jetzt einmal zusammenzufassen. Es sind eine Reihe von Schritten:
1. Empirisch, dh was unsere Erfahrung der äußeren Welt angeht, ist alles kausal determiniert. Auch das menschliche Verhalten; vollständig.
2. Es gibt dennoch praktische Willensfreiheit. Das ist Freiheit in dem Sinn, in dem zB Singer sie meint: Die Freiheit, vernünftig entscheiden und diese Entscheidung ausführen zu können, statt daß man äußerem Zwang oder seinen Trieben usw. unterworfen ist. Diese Willensfreiheit ist für den Determinismus kein Problem; denn es macht keine Schwierigkeit, anzunehmen, daß diese vernünftigen Entscheidungen, wie alles in der Welt, determiniert sind. (Ich glaube, liebe Kaa, das ist das, was du relativ früh in unserer Diskussion einmal gesagt hast).
2. Die eigentlich interessante Frage ist, ob es auch tranzendentale Freiheit gibt. Damit meint Kant, daß wir mit einer freien Entscheidung eine neue Kausalkette beginnen können; daß also dieser Entschluß selbst keine Ursache hat.
3. Können wir so etwas annehmen? Ja und nein, sagt Kant. Denn hier gelangen wir auf das Gebiet der Antinomien der reinen Vernunft. Die eine Annahme ist ebenso beweisbar wie ihr Gegenteil; was nur zeigt, daß unser Erkenntnisvermögen hier überfordert ist. Die Welt muß einen Anfang haben, denn sonst kämen wir nie zu einer vollständigen Erklärung eines Kausalablaufs (weil immer wieder gefragt werden könnte: Warum? ad infinitum). Sie kann aber keinen Anfang haben, weil dieser Anfang selbst ja nicht kausal determiniert wäre. Jedenfalls müssen wir also die Möglichkeit eines Anfangs einräumen, also eines Ereignisses, das keine Ursache hat. Wenn wir das für die gesamte Welt einräumen, dann ist es auch für die einzelne Willensentscheidung nicht widersprüchlich, das anzunehmen.
4. Wie ist eine solche transzendentale Willensfreiheit aber mit der - würden wir heute sagen - kausalen Geschlossenheit der Welt vereinbar? Weil, sagt Kant, diese kausale Geschlossenheit nur für die empirische, aber nicht die intelligible Welt gilt. Die intelligible Welt, das ist die Welt der Dinge an sich. Wir können sie nicht erfahren; aber es ist kein Widerspruch in sich, anzunehmen, daß für sie Kausalität nicht gilt (ebenso, wie für sie die Anschauungsform der Zeit nicht gilt).
5. Das erscheint nun freilich wie eine beliebige Annahme. Das wäre sie auch, wenn sie nicht - und jetzt wechselt Kant aus dem Bereich der reinen in den der praktischen Vernunft - innerhalb der Ethik erforderlich wäre. Denn nur dann, wenn wir voraussetzen, daß der Mensch (transzendental) frei handeln kann, können wir ihn für sein Handeln verantwortlich machen.
Und jetzt, liebe Kaa, zäume ich das nochmal von diesem Ende her auf:
Erstens, wir können gar nicht anders, als aus ethischen Gründen andere und uns selbst als für unser Handeln verantwortlich betrachten. Andernfalls wäre der Mensch nicht autonom, sondern ein Roboter, ein Zombie.
Zweitens, widerspricht das aber nicht der kausalen Geschlossenheit der Welt? Ja, das tut es.
Drittens, wieso konnen wir es dann trotzdem annehmen? Weil diese kausale Geschlossenheit nur für die Erfahrungswelt gilt und weil wir allen Anlaß zu der Annahme haben, daß diese Erfahrungswelt nicht "alles" ist; daß dahinter eine Welt ist, die nicht den Gesetzen dieser Erfahrungswelt unterliegt.
So ungefähr, liebe Kaa.
Mein Eindruck ist, daß bisher noch niemand über Kant hinausgekommen ist. Nur ist dessen Antwort ja alles andere als befriedigend. Deswegen habe ich geschrieben, daß die Willensfreiheit eine empirische Realität ist, für die wir aber immer noch keine gute Theorie haben.
Im "Spiegel" dieser Woche gibt es als Ergänzung zu der Berichterstattung über den Fall Fritzl einen Aufsatz von Thomas Darnstädt und Beate Lakotta (S. 64)zum Thema Willensfreiheit, der die Diskussion, wie sie im Augenblick zwischen Neurowissenschaftlern, Psychologen, Philosophen und Juristen stattfindet, ganz gut zusammenfaßt.
Am Ende wird der Philosoph Peter Bieri zitiert, dessen Auffassung der von Kant (und also auch meiner) ziemlich nah kommt.
Übrigens wird bei all diesen naßforschen Behauptungen à la Markowitsch ("Unser Verhalten in einer spezifischen Situation ist durch die Verschaltungen in unserem Gehirn determiniert") übersehen, daß erstens noch niemand auch nur eine Ahnung davon hat, wie im Gehirn Bewußtsein entsteht, und daß zweitens die Hirnforschung noch auf dem Stand ist, auf dem die Physik vielleicht zur Zeit des Archimedes gewesen ist.
Von einem Veständnis davon, wie Milliarden Neuronen zusammenarbeiten, sind wir noch meilenweit entfernt; bei Daten, die entweder nur (wie bildgebende Verfahren), grob zeigen, wohin im Gehirn gerade in erhöhtem Maß Blut fließt oder die (wie bei Einzelzellableitungen) die Aktivität von vielleicht hundert dieser hundert Milliarden Zellen aufzeichnen. Wobei "Aktivität" meist die fortgeleitete Erregung (spikes) ist; einer der vielen Aspekte dessen, was in einer Nervenzelle passiert, die in ihrer Komplexität einem Chip vergleichbar ist.
Das ist ungefärh so, als würden Aliens, die von der Erde einen Computer geklaut haben, diesen zu verstehen versuchen, indem sie erstens messen, wo im Rechner es jeweils gerade besonders warm ist, und indem sie zweitens ein Miiliardstel der Festplatte darauf untersuchen, ob da eine Null oder eine Eins steht.
Ob sich das Gehirn am Ende als ein deterministisches System erweist, weiß niemand. Ob dann, wenn wir die Entstehung von Bewußtsein verstanden haben werden (wenn's denn gelingt), auch der freie Wille verstanden werden wird, weiß auch niemand.
Aufgrund des bißchens an Erkenntnissen über das Gehirn, das wir im Augenblick haben, solche vollmundigen Behauptungen aufzustellen, wie Markowitsch das tut, ist, naja, sagen wir, schon sehr mutig.
das Schöne am Limerick ist, dass er auch für die komplexesten philosophischen Probleme nur 5 Zeilen hat:
I have laboured for long in confusion, Can free will be just an illusion?, If each choice that we make, We are destined to take, Is it fate I should draw this conclusion?
Und als Dankeschön ein kleines Gegengeschenk. Der Hintergrund ist, daß ich meiner Frau von der Diskussion hier über den freien Willen erzählt habe und wir uns seither einen Spaß daraus machen, uns bei Gelegenheit so zu verhalten, als hätten wir keinen:
Es sprach einst ein Mann, der den Müll nach vorn bringen sollte: "Ich will, weiter dösend im Garten, gern geduldig erwarten Ob mein Hirn sich entscheidet: Er will!"
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