Der Anlaß für diesen Artikel ist ein Interview mit dem amerikanischen Philosophen John Searle in der FAZ, der sich zu dieser Frage äußert. Seine Antwort ist ein kräftiges jein. Und das gibt, scheint mir, zu denken.
Wieder mal hast du, lieber Zettel, die Dinge auf den Punkt gebracht! So hatte ich das, bei allem Kopfschütteln über die alle Grenzen ihres Fachs überschreitenden Behauptungen der Neurobiologen, noch gar nicht gesehen: Es ist nicht ein Fehler der handelnden Personen, dass für sie beobachtbare Ursache-Wirkungs-Ketten alles erklären, es ist gerade die wissenschaftliche Methode, die dieses fordert und die alles ausblendet, was als "überflüssig" angesehen wird. Der eigentliche Fehler besteht darin, nicht zu erkennen, dass in einigen Fällen die behauptete Überlegenheit der Methodik eben selbst zu den Dingen gehört, die mit ihr erklärt werden sollen. So ein wenig "Gödel, Escher, Bach" lugt da um die Ecke, oder?
Gestatte mir, noch eine kleine andere Parallele anzubringen. Sie betrifft unsere ständige Privatdebatte ;-) Der alt-katholische Theologe Hans-Jürgen van Minde hat einen, wie ich finde, der besten Aufsätze zu Dawkins' "Gotteswahn" geschrieben, die man online lesen kann. Und am Ende gibt es eine nette Schnittmenge zu deinem Beitrag:
Zitat von van MindeDawkins bemüht sich, die Existenz eines Gottes in dem Kapitel „Warum es mit ziemlicher Sicherheit keinen Gott gibt“ (S. 155) auf Grund naturwissenschaftlicher Argumente zu widerlegen. Nun muss jede Erklärung auf dieser Basis notwendig lückenhaft bleiben. Weder der Urknall als solcher noch der Übergang vom Anorganischen zum organischen Leben oder der vom animalischen zum geistigen Bereich können – sagen wir es vorsichtig: beim jetzigen Erkenntnisstand – begründet oder erklärt werden. Deshalb leugnen ernsthafte Wissenschaftler die Grenzen ihrer Methoden nicht, so wie ernsthafte Theologen darauf verzichten, die entsprechenden Lücken mit Gott auszufüllen. D.h. die Erklärung des „Ganzen“ bleibt uns versagt. Und ich möchte an dieser Stelle noch einmal Kant bemühen. Damals richtete er seine These einer Einschränkung der menschlichen Vernunft auf diese Welt und ihre Gesetze an die Theologen und Philosophen seiner Zeit. Heute könnte sie ebenso gut an die Adresse mancher Naturwissenschaftler gerichtet sein, sich ihrer Grenzen bewusst zu werden. Denn erst mit dem Dasein eines Universums, also mit dem Urknall sind Raum, Zeit, Materie und Naturgesetze existent. Das Forschungsobjekt für Menschen ist nur dieses konkrete Universum. Das „Ganze“ aber ist mehr!
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Hi, hi, zum wievielten Male hast Du jetzt das Thema am Kragen? Ich habe noch vor kurzem Deine Weltforumsdiskussion mit Monika gelesen. Meine Meinung hat sich nicht geändert, obwohl ich zugebe, daß es Legionen an Determinanten gibt. Aber wir würden doch nur instiktiv, womöglich affektiv reagieren, wenn wir keinen freien Willen hätten.- Wie unterscheidet sich denn sonst der Mensch vom Tier? Grüßchen, Inger
ich freue mich, mal etwas zum Thema Philosophy of Mind hier zu lesen. Erinnert mich sehr an mein Studium (ich hatte in der mündlichen Magister-Abschlussprüfung u.a. das Thema Dennett vs Searle on Qualia). Bin aber nie allzu tief in die Materie eingestiegen, weil mir das am Ende zu viel Automatentheorie wurde (und dass ich dazu keinen guten Zugang habe, wenn es zu formal wird habe ich im Mathe-Thread schon mal dargelegt).
Der meiner Meinung nach aktuell interessanteste Ansatz ist der des Panexperientialismus oder Panprotopsychismus (der unter anderem eine neue Deutung der Quantenmechanik enthält), wie er von Gregg Rosenberg vertreten wird. Die Idee dahinter, wie es möglich ist, die kausale Lücke zu schließen, ist eine neue Interpretation des Themas Verursachung.
Hier einige Kapitel zum Lesen. Bitte stehenlassen (habe gesehen, dass Sie kürzlich einen Link auf ein Forum entfernt haben, aber hier befindet sich nur großartige Philosophy of Mind ). http://www.ai.uga.edu/~ghrosenb/book.html
Zitat von Ingerzum wievielten Male hast Du jetzt das Thema am Kragen?
Seltener, liebe Inger, als ich Andrea Ypsilanti und Barack Obama allein in den letzten Wochen am Kragen hatte.
Zitat von IngerIch habe noch vor kurzem Deine Weltforumsdiskussion mit Monika gelesen.
Du meinst den Weltknoten? Das gibt es noch? Muß doch Jahrhunderte her sein ...
Zitat von IngerAber wir würden doch nur instiktiv, womöglich affektiv reagieren, wenn wir keinen freien Willen hätten.- Wie unterscheidet sich denn sonst der Mensch vom Tier?
Gute Frage, liebe Inger.
Wenn wir dem Menschen einen freien Willen zubilligen, dann müssen wir sagen, ob denn auch Tiere einen freien Willen haben. Wenn ja, auch der Regenwurm? Wenn nein - hatte dann irgendwann in der Evolution ein Paar, das ohne freien Willen war, einen Nachkommen, der ihn hatte?
Es ist ein ähnliches Problem wie das der kausalen Geschlossenheit der Welt. Die Natur macht keine Sprünge. Der freie Wille muß etwas sein, das in der Evolution allmählich entstanden ist.
Wenn wir keinen freien Willen hätten, hätten wir tausende von Jahren gut damit gelebt. Wir sollten einfach weitermachen wie bisher, selbst wenn es nicht einmal eine nicht vollständig determinierte Entscheidung gibt.
Wir behalten natürlich die Gesetze und Konstrukte bei! Weiterhin wird ein Verbrecher verurteilt und weiterhin erzählen wir unseren Kindern, daß sie die Wahl haben. Aber manches müssen sie auch tun - da haben sie nur die Wahl es gerne oder widerwillig zu tun. Irgendwann werden sie hören, daß sie gar keinen freien Willen haben. Und das werden sie dann eventuell als Argument gegen unsere Anordnungen anführen. Dann sagen wir ihnen je nach Alter: "Das verstehst Du noch nicht, mein Schatz" (so ca 7 Jahre), "Natürlich hast du einen freien Willen, spürst du es nicht?" (10 Jahre), "Selbstverständlich nicht, hier geschieht mein Wille" (14 Jahre) und mit 16, 17 Jahren legen wir ihnen ein paar Bücher zum Thema auf den Gabentisch.
Liebe Grüße
Kaa
---------- Gründungsmitglied der Initiative: "Für ein abgetrenntes Signaturformat"
das halte ich - mit Verlaub - für eine sehr unphilosophische Denkweise. Die Willensfreiheit ist kein Konstrukt wie der Osterhase, sondern eine conditio sine qua non einer individualisierten Gesellschaft.
Wissenschaft hört auf Wissenschaft zu sein und wird Ideologie, sobald sie anfängt eine Tatsache zu leugnen weil sie nicht "ins Weltbild paßt".
Vor allem, wenn es dazu ohnehin keinen Grund gibt: "freier Wille" heißt ja nicht, unbedingt, ohne kausalen Vorlauf. Frei ist unser Wille, weil wir uns zwischen zwei (oder mehreren) Optionen entscheiden können.
Die Wissenschaft sollte versuchen, daß zu erklären, nicht es wegzuerklären.
Sich einer Entscheidung (für den freien Willen natürlich) zu enthalten, halte ich nicht für weise. Auch wenn derjenige Searle heißt.
In diesem Sinne, Frohe Ostern str1977
PS. Wann kommt eigentlich eine Resolution des Europaparlements gegen die willenfreiheitsleugende Hirnforschung als Gefahr für die westliche Zivilisation.
Zitat von van MindeWeder der Urknall als solcher noch der Übergang vom Anorganischen zum organischen Leben oder der vom animalischen zum geistigen Bereich können – sagen wir es vorsichtig: beim jetzigen Erkenntnisstand – begründet oder erklärt werden. Deshalb leugnen ernsthafte Wissenschaftler die Grenzen ihrer Methoden nicht
Nur kennen wir sie nicht, diese Grenzen, lieber Rayson.
Organisches Leben besteht nach allem, was wir darüber wissen, aus chemischen und elektrischen Prozessen, die auf eine freilich sehr komplexe Weise zusammenwirken. Die Idee eines "élan vital", der zu ihnen hinzutreten muß, wird heute von kaum jemandem mehr ernsthaft vertreten. Also, da sehe ich gar keine Grenze.
"Vom animalischen zum geistigen Bereich" - wenn man darunter versteht, wie im Gehirn Bewußtsein entsteht, dann kann man sicher sagen: Wir sind noch meilenweit von einer Grenze entfernt. Wir wissen ja nocht nicht einmal, wo sie liegen könnte.
Urknall: Ja, da ist im Augenblick eindeutig eine Grenze. Soweit ich orientiert bin, erklären sich die Kosmologen einfach als nicht zuständig für die Frage, was vor dem Urknall war, ob da etwas war. Wenn nichts war, dann ist dazu auch nichts zu sagen. Falls da etwas war, dann scheint es sich per definitionem der Erkenntnis zu entziehen; denn erkennen können wir nur innerhalb von Raumzeit und Kausalität.
Also, lieber Rayson - Dank für dein Lob, das freut mich ja immer - , so sehr ich Kantianer bin, so wenig folge ich Kant in Bezug auf seine Sicherheit darüber, wo die Grenzen liegen. Es gibt sie; das hat Kant hinlänglich nachgewiesen. Aber sie scheinen, sagen wir, dynamischer zu sein, als er annahm.
Zitat von Meister PetzBin aber nie allzu tief in die Materie eingestiegen, weil mir das am Ende zu viel Automatentheorie wurde
Mir scheint, das ist schon fast wieder vorbei. Die Hoffnungen, die man auf die AI gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt. Und so brillant Daniel Dennett ist - sein Funktionalismus war wohl a bisserl blutleer.
Ich glaube, daß hat er inzwischen auch gemerkt. Er ist ja ein ungeheuer neugieriger Mensch, ständig auf Kongressen unterwegs, um sich die neuesten Ergebnisse der Empiriker erklären zu lassen.
Also, lieber Meister Petz - mir scheint, die Schwadron der Philosophen hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen Schwenk gemacht und guckt jetzt nicht mehr auf Computer, inclusive Zellautomaten, sondern auf das richtige Gehirn. Und läßt sich - zu Recht - von dem faszinieren, was da Monat für Monat Aufregendes entdeckt wird.
Zitat von Meister PetzDer meiner Meinung nach aktuell interessanteste Ansatz ist der des Panexperientialismus oder Panprotopsychismus (der unter anderem eine neue Deutung der Quantenmechanik enthält), wie er von Gregg Rosenberg vertreten wird. Die Idee dahinter, wie es möglich ist, die kausale Lücke zu schließen, ist eine neue Interpretation des Themas Verursachung.
Ich kannte Rosenberg bisher nicht (nur seinen kürzlich verstorbenen Namensvetter Jay). Jetzt habe ich die Zusammenfassung seines Buchs, nun ja, überflogen.
Ein begründetes Urteil hat mir das natürlich nicht geliefert. Aber ein paar Eindrücke:
Dem Liberalen Naturalismus stehe ich, wenn ich richtig verstanden habe, was Rosenberg meint, sagen wir "offen" gegenüber. Ich bin nur nicht sicher, ob der gute alte Physikalismus (so, wie ihn die Naturwissenschaftler selbst sehen und praktizieren) nicht auch ein Liberaler Naturalismus ist. Ich staune immer wieder, wie die Philosophen sozusagen den Naturwissenschaftlern mitteilen wollen, was diese eigentlich meinen und glauben.
Für mein Verständnis, lieber Meister Petz, sind solche Versuche wie der von Rosenberg hilfreich gewiessermaßen als Lockerungsübungen - sie machen darauf aufmerksam, daß wir unsere Grundannahmen immer wieder überpüfen müssen.
Der eigentliche Fortschritt kommt aber aus meiner Sicht - halt der eines Empirikers - nicht von solchen philosophischen Bemühungen, sondern von verbesserten bildgebenden Verfahren (mit zugleich hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung), neuen Methoden der Einzelzellableitung (an viel mehr Zellen zugleich, als das heute möglich ist), an mächtigeren Methoden der mathematischen Analyse (zum Beispiel der Synchronisierungsmuster von Zellverbänden).
Wir haben es mit einem System aus rund 100 Milliarden Elementen zu tun; jedes von ihnen ungefähr so komplex wie ein Chip. Was wir heute untersuchen können, das sind einzelne dieser Zellen. Noch vor vierzig Jahren waren das wirklich "single cell recordings"; heute kann man von vielleicht hundert zugleich ableiten. Hundert von hundert Milliarden!
Und andererseits sieht man diese Milliarden in Aktion, wenn man sich fMRI-Scans ansieht oder die Daten anderer bildgebender Verfahren. Da klaffen also noch riesige Lücken.
Ich bin eigentlich ziemlich zuversichtlich, daß, je besser wir das Gehirn verstehen, wir auch immer plausiblere Hypothesen zum Bewußtsein bekommen werden. Aber das wird noch viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte dauern. Von Newton zu Planck, so ungefähr.
Und solange ist es gut, wenn die Philosophen sich ihre Gedanken machen. Das war immer gut für den Fortschritt der Wissenschaften, aber ersetzt hat es ihn nie.
Herzlich, Zettel
PS: Ich habe mich gefreut, daß sie "Philosophy of Mind" nicht mit "Philosophie des Geistes" übersetzt haben. Denn "Mind" heißt hier Seele und nicht Geist. "Philosophische Psychologie", das wäre eine vernünftige Übersetzung.
Zitat von KaaWir behalten natürlich die Gesetze und Konstrukte bei! Weiterhin wird ein Verbrecher verurteilt und weiterhin erzählen wir unseren Kindern, daß sie die Wahl haben.
Hm, aber lügen wir sie damit nicht an, wenn es den freien Willen gar nicht gibt?
Wie würdest du es denn machen? Entscheide!
Ach so, das kannst du ja gar nicht. Also, laß halt dein Gehirn sich betätigen und warte, bis es ein Ergebnis abliefert.
Aber wem sage ich das! Nein, nicht dir. Du kannst ja gar nicht anders, als dein Gehirn will. Also wende ich mich gleich an den Chef: Kaas Gehirn.
Das ich hoffentlich jetzt so beeinflußt habe, daß ein paar Millionen Neurone sich anders verhalten, als bevor die Information aus diesem Beitrag hineingelangt ist, in Kaas Gehirn.
Zitat von str1977"freier Wille" heißt ja nicht, unbedingt, ohne kausalen Vorlauf. Frei ist unser Wille, weil wir uns zwischen zwei (oder mehreren) Optionen entscheiden können.
Wenn die Welt kausal geschlossen ist, dann gibt es, lieber str1977, aber nicht nur einen "kausalen Vorlauf", sondern die Ihrer freien Entscheidung vorausgehenden Prozesse im Gehirn determinieren diese Entscheidung. Und zwar vollständig; die Scholastiker nannten diese letzte, auslösende Ursache causa efficiens.
Zitat von str1977Die Wissenschaft sollte versuchen, daß zu erklären, nicht es wegzuerklären.
Das ist auch meine Position. Aber sie könnte falsch sein. Vielleicht ist ja die Willensfreiheit wirklich eine Illusion und das Bewußtsein ein kausal unerhebliches Epiphänomen. Möglich ist das doch, oder?
Zitat von str1977Sich einer Entscheidung (für den freien Willen natürlich) zu enthalten, halte ich nicht für weise. Auch wenn derjenige Searle heißt.
Als Sachverhalt ist der freie Wille meines Erachtens unbestreitbar. Das sieht ja auch Searle so. Nur hält er auch die kausale Geschlossenheit der Welt für schwerlich bestreitbar. Also konstatiert er - wenn ich ihn richtig verstehen, vielleicht lese ich auch meine eigene Meinung hinein - ein Dilemma.
In Antwort auf:Vielleicht wird es einmal gelingen, die Willensfreiheit und die kausale Geschlossenheit der Welt miteinander in Einklang zu bringen.
Und ich würde mal die These aufstellen, daß es längst eine gute Theorie gibt, die genau dies leistet, nämlich den "Kompatibilismus", der von Searle in dem Interview arg unfair dargestellt wird.
Kurzfassung: Wir sind in einem Sinne des Wortes frei, wenn wir das tun können, was wir wollen. Diese "Handlungsfreiheit" steht natürlich in keinem Widerspruch zur kausalen Geschlossenheit. Und was die eigentliche "Willensfreiheit" angeht, so muß man sich nur von der falschen Vorstellung lösen, diese sei erst dann gegeben, wenn wir als Menschen eine ganz neue Kausalkette in Gang setzen können, die ihrerseits durch nichts verursacht ist. Das ist aber offensichtlich nicht das, was man normalerweise unter einer freien Handlung versteht. Freiheit in diesem Sinne zeichnet sich doch nur dadurch aus, daß der Handelnde nicht etwa durch eine schwere Neurose ("Waschzwang" etc.), durch Einfluß von Drogen etc. zu bestimmten Handlungen genötigt wird, sondern daß die Handlung das Resultat vernünftiger Überlegungen, Abwägungen usw. darstellt. Auch diese Art von Freiheit ist mit der kausalen Geschlossenheit der Welt absolut kompatibel, und ich wüßte nicht, was da noch zu "echter" Freiheit fehlen sollte.
Ich würde in diesem Zusammenhang sehr Harry Frankfurts Essay-Band "The Importance of What We Care about" empfehlen.
In Antwort auf:Mir scheint, das ist schon fast wieder vorbei. Die Hoffnungen, die man auf die AI gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt. Und so brillant Daniel Dennett ist - sein Funktionalismus war wohl a bisserl blutleer. Ich glaube, daß hat er inzwischen auch gemerkt. Er ist ja ein ungeheuer neugieriger Mensch, ständig auf Kongressen unterwegs, um sich die neuesten Ergebnisse der Empiriker erklären zu lassen.
Dennett glaubt nach wie vor, dass die Unterscheidung zwischen Weak und Strong A.I. nicht existiert. Im übrigen beschäftigt er sich (in einer Art Triumvirat mit Pinker und Dawkins) hauptsächlich mit einer evolutionären Begründung seines Funktionalismus. Übrigens tritt er auf den Kongressen unglaublich arrogant auf, ich hatte einmal in München das "Vergnügen" :)
In Antwort auf:Also, lieber Meister Petz - mir scheint, die Schwadron der Philosophen hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen Schwenk gemacht und guckt jetzt nicht mehr auf Computer, inclusive Zellautomaten, sondern auf das richtige Gehirn. Und läßt sich - zu Recht - von dem faszinieren, was da Monat für Monat Aufregendes entdeckt wird.
Mein Eindruck ist genau umgekehrt, nämlich dass die Enttäuschung eher von den bildgebenden Verfahren kommt. In dem Zusammenhang finde ich Rosenbergs Life World Gedankenexperiment schon sehr erhellend. Ich folge ihm darin, dass aus einer reinen Ansammlung von 0 und 1 kein Bewusstsein entstehen kann. Und hier ist tatsächlich der Punkt, wo AI und Empirie zusammenstoßen. Wenn es möglich ist, dass in einem Organismus aus lauter Neuronen, die nichts anderes können als feuern oder nicht feuern (wenn ich das "alles oder nichts-Gesetz" richtig verstanden habe), plötzlich ein Bewusstsein entsteht, dann muss es auch (zumindest prinzipiell) möglich sein, das nachzubauen.
In Antwort auf:Ich bin nur nicht sicher, ob der gute alte Physikalismus (so, wie ihn die Naturwissenschaftler selbst sehen und praktizieren) nicht auch ein Liberaler Naturalismus ist. Ich staune immer wieder, wie die Philosophen sozusagen den Naturwissenschaftlern mitteilen wollen, was diese eigentlich meinen und glauben.
Aber die brauchen das doch auch . Vor allem die, die (frei nach Heisenberg) nur den ersten Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaften getrunken haben!
In Antwort auf:Der eigentliche Fortschritt kommt aber aus meiner Sicht - halt der eines Empirikers - nicht von solchen philosophischen Bemühungen, sondern von verbesserten bildgebenden Verfahren (mit zugleich hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung), neuen Methoden der Einzelzellableitung (an viel mehr Zellen zugleich, als das heute möglich ist), an mächtigeren Methoden der mathematischen Analyse (zum Beispiel der Synchronisierungsmuster von Zellverbänden). ... Ich bin eigentlich ziemlich zuversichtlich, daß, je besser wir das Gehirn verstehen, wir auch immer plausiblere Hypothesen zum Bewußtsein bekommen werden. Aber das wird noch viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte dauern. Von Newton zu Planck, so ungefähr. Und solange ist es gut, wenn die Philosophen sich ihre Gedanken machen. Das war immer gut für den Fortschritt der Wissenschaften, aber ersetzt hat es ihn nie.
Früher waren die Naturwissenschaftler allesamt zugleich Philosophen. Das war gut, denn das hat ihnen geholfen, ihre Ergebnisse bessser zu interpretieren und in einen richtigen Kontext zu stellen. So entsteht wissenschaftlicher Fortschritt. Meiner Meinung nach wirft es kein gutes Licht auf die Naturwisenschaftler, wenn sie bei Diskussionsrunden im Fernsehen aus empirischen Ergebnissen Aussagen ableiten, wo man sie am liebsten aus dem Studio rauszerren und in eine Grundstudiumsvorlesung "Wissenschaftstheorie I" reinsetzen möchte.
Aber um gerecht zu sein, es ist genau so furchtbar, wenn sich die Philosophen als reine Lyriker und Esoteriker geben. Und das sieht man leider noch häufiger.
Zitat von DrNickUnd was die eigentliche "Willensfreiheit" angeht, so muß man sich nur von der falschen Vorstellung lösen, diese sei erst dann gegeben, wenn wir als Menschen eine ganz neue Kausalkette in Gang setzen können, die ihrerseits durch nichts verursacht ist. Das ist aber offensichtlich nicht das, was man normalerweise unter einer freien Handlung versteht. Freiheit in diesem Sinne zeichnet sich doch nur dadurch aus, daß der Handelnde nicht etwa durch eine schwere Neurose ("Waschzwang" etc.), durch Einfluß von Drogen etc. zu bestimmten Handlungen genötigt wird, sondern daß die Handlung das Resultat vernünftiger Überlegungen, Abwägungen usw. darstellt. Auch diese Art von Freiheit ist mit der kausalen Geschlossenheit der Welt absolut kompatibel, und ich wüßte nicht, was da noch zu "echter" Freiheit fehlen sollte. Ich würde in diesem Zusammenhang sehr Harry Frankfurts Essay-Band "The Importance of What We Care about" empfehlen.
Eine ganze Menge. In diesem Fall ist nicht nur die Willensfreiheit, sondern das ganze Bewusstsein maximal epiphänomal. Der Unterschied, ob ich "nach vernünftigen Gründen" oder "durch eine schwere Neurose" handle, ist ja nur ein gradueller, aber kein prinzipieller. In beiden Fällen habe ich keinerlei Einfluss darauf, weil ich nichts verursache. Und da würde ich als Philosoph immer mit dem Zombie-Argument kommen.
ein schöner Beitrag. Aber letztlich sitzen die Anhänger der Determinismus-Theorie in der eigenen Logikfalle - es lohnt nicht wirklich, sich inhaltlich mit ihnen zu beschäftigen.
Denn wenn es nun keinen freien Willen gäbe - es würde nichts ändern. Dann wäre ich halt völlig deterministisch zu meiner "Falschauffassung" gelangt, es gäbe einen freien Willen. Völlig nutzlos, daß Searle und Co. versuchen, mich zu überzeugen. Sie folgen ihrem deterministischen Pfad, ich meinem.
Es gibt auch keine realen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Derzeit werden Diebe eingesperrt (jedenfalls manchmal), weil man ihnen den freien Willen zur Straftat unterstellt und sie daher dafür verantwortlich macht.
Wenn sie keinen freien Willen hätten, könnte man sie für unschuldig halten (was ja die Konsequenz mancher Determinismus-Anhänger ist). Aber dann werden sie halt eingesperrt, weil die Restgesellschaft deterministisch ihren Rachegelüsten folgt. Das Ergebnis ist letztlich das Gleiche.
Zitat von Meister PetzÜbrigens tritt er auf den Kongressen unglaublich arrogant auf, ich hatte einmal in München das "Vergnügen" :)
Er versteht sich wohl als einer, der den Empirikern hilft, indem er ihre Ergebnisse aufsaugt, sie durch die Mühle seiner brillanten Intelligenz dreht und sie dann, aus grobem Schrot in feinstes Backmehl verwandelt, an sie zurückreicht.
Meine persönlichen Erfahrungen mit ihm sind, anders als offenbar Ihre, lieber Meister Petz, ausgesprochen positiv; aber das würde jetzt zu weit führen.
Zitat von Meister Petz
Zitat von Zettel]Also, lieber Meister Petz - mir scheint, die Schwadron der Philosophen hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen Schwenk gemacht und guckt jetzt nicht mehr auf Computer, inclusive Zellautomaten, sondern auf das richtige Gehirn. Und läßt sich - zu Recht - von dem faszinieren, was da Monat für Monat Aufregendes entdeckt wird.
Mein Eindruck ist genau umgekehrt, nämlich dass die Enttäuschung eher von den bildgebenden Verfahren kommt.
Sie sind ja nicht die einzigen. Man kann inzwischen von so vielen Zellen direkt ableiten, daß man ein (wenn auch noch sehr grobes) räumliches Muster daraus errechnen kann. Auch andere Möglichkeiten (zB die guten alten ERPs) sind noch lange nicht ausgereizt.
Bitte bedenken Sie, lieber Meister Petz: Die Arbeiten von Hubel und Wiesel, mit denen diese Ableiterei begann, stammen aus den späten fünfziger, frühen sechziger Jahren. Die ersten Arbeiten mit bildgebenden Verfahren (PET war das damals, zB Ingvar und Lassen), sind in den siebziger Jahren erschienen. Das steckt alles noch in den Kinderschuhen; niemand kann absehen, was diese Verfahren noch ergeben und welche weiteren noch dazukommen.
Zitat von Meister PetzIn dem Zusammenhang finde ich Rosenbergs Life World Gedankenexperiment schon sehr erhellend. Ich folge ihm darin, dass aus einer reinen Ansammlung von 0 und 1 kein Bewusstsein entstehen kann. Und hier ist tatsächlich der Punkt, wo AI und Empirie zusammenstoßen.
Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Ich habe diese AI-Euphorie, wie sie eine Zeitlang sehr in Mode war (außer den von Ihnen genannten zB auch durch Leute wie Fodor und Pylyshyn zur Mode gemacht), nie mitgemacht. Aber ungefähr zwischen 1970 und 1990 waren die meisten auf diesem Trip. Und wie schon erwähnt - Searles "Chinese Room"-Artikel platzte da rein. Searle hat damit teilweise regelrecht Haß auf sich gezogen; denn viele sahen ihre Felle davonschwimmen, wenn es mit dieser "human minds and robots are two variants of intelligent systems"-Welle vorbei sein würde.
Zitat von Meister PetzWenn es möglich ist, dass in einem Organismus aus lauter Neuronen, die nichts anderes können als feuern oder nicht feuern (wenn ich das "alles oder nichts-Gesetz" richtig verstanden habe), plötzlich ein Bewusstsein entsteht, dann muss es auch (zumindest prinzipiell) möglich sein, das nachzubauen.
Genau so stellte man es sich damals vor - weil die meisten, die das vertraten, Philosophen oder Psychologen waren, die nicht wirklich etwas von Neurobiologie verstanden.
Dieses "Alles-Oder-Nichts-Gesetz" stand als wichtigste Erkenntnis über Neuronen in den Lehrbüchern, als ich Anfang der sechziger Jahre meine Nase in diese gesteckt habe.
Schon damals wußte man aber längst, daß es a) selbst beim weitergeleiteten Impuls eine graduelle Depolarisation gibt, die nur eben erst zum Alles-oder-Nichts-Impuls führt, wenn sie "überschießend" wird, also einen Schwellenwert erreicht; b)daß es am Soma eine graduelle Depolaristation gibt, die ebenfalls einen Schwellenwert überschreiten muß, damit das Ganze überhaupt in Gang kommt. Und man kannte damals natürlich auch schon (im Groben) die Rolle der Transmitter.
Inzwischen wird immer deutlicher, wie nebensächlich im Grunde der Alles-oder-Nichts-Impuls ist. Er ist gewissermaßen ein Trick, um große Strecken schnell zu überbrücken - so etwas wie das Funksystem des ZNS. Aber das eigentliche Geschehen findet woanders statt, nämlich in dem Wechselspiel von Hemmung und Bahnung am Soma des einzelnen Neuron. Wobei "einzeln" im Grunde nicht richtig ist, denn auch die komplexen Wechselwirkungen ("cooperation and competition") innerhalb von Neuronenverbänden kann man heute ungleich besser sehen als damals.
Vor allem ist die komplexe Rolle der Transmitter immer deutlicher geworden. Wenn man schon meint, nach einem "Substrat des Psychischen" suchen zu können (was ich für weit verfrüht halte), dann ist meines Erachtens ein biochemisches viel wahrscheinlicher als ein bioelektrisches.
Zitat von Meister Petz
In Antwort auf:Ich bin nur nicht sicher, ob der gute alte Physikalismus (so, wie ihn die Naturwissenschaftler selbst sehen und praktizieren) nicht auch ein Liberaler Naturalismus ist. Ich staune immer wieder, wie die Philosophen sozusagen den Naturwissenschaftlern mitteilen wollen, was diese eigentlich meinen und glauben.
Aber die brauchen das doch auch . Vor allem die, die (frei nach Heisenberg) nur den ersten Schluck aus dem Becher der Naturwissenschaften getrunken haben!
Ja, das stimmt exakt so. Wenn er funktioniert, dann kann dieser interdisziplinäre Dialog sehr spannend sein. Die Philosophen liefern Ideen für neue Experimente, die Empiriker liefern den Philosophen provokative Daten, über die sie nachdenken müssen oder besser dürfen. (Es gibt ja viele Beispiele - Blindsight; die notorisch überschätzen Experimente von Benjamin Libet).
Aber häufig ist es auch ein aneinander Vorbeireden. Man erlebt es oft, wie die Philosophen den Empirikern auf die Nerven gehen, weil sie begriffliche Präzision verlangen, wo die Daten sie nun einmal nicht hergeben (man kann ja in der Beschreibung nicht genauer sein als in dem, was man halt weiß). Und andererseits können Empiriker die Philosophen zur Weißglut treiben, weil sie deren subtile Unterscheidungen für Pipifax halten. Und weil sie deren Alltagsbeispiele für wenig beweiskräftig halten. (Sie verstehen oft nicht, daß alle diese Marias und Zombies nur der Illustration dienen und vermuten dahinter den Versuch, etwas zu beweisen).
Zitat von Meister Petz
In Antwort auf:Ich bin eigentlich ziemlich zuversichtlich, daß, je besser wir das Gehirn verstehen, wir auch immer plausiblere Hypothesen zum Bewußtsein bekommen werden. Aber das wird noch viele Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte dauern. Von Newton zu Planck, so ungefähr.
Und solange ist es gut, wenn die Philosophen sich ihre Gedanken machen. Das war immer gut für den Fortschritt der Wissenschaften, aber ersetzt hat es ihn nie.
Früher waren die Naturwissenschaftler allesamt zugleich Philosophen. Das war gut, denn das hat ihnen geholfen, ihre Ergebnisse bessser zu interpretieren und in einen richtigen Kontext zu stellen. So entsteht wissenschaftlicher Fortschritt.
Viele von ihnen waren es; da stimme ich zu. Allerdings sollte man den Beitrag derer nicht unterschätzen, die nur gemessen und gerechnet haben.
Heute ist es, lieber Meister Petz, schlechterdings nicht mehr möglich, zugleich die Philosophie und eine Einzelwissenschaft zu beherrschen. Die Menge dessen, was man lesen müßte, ist schlicht zu groß. Und man muß ja nicht nur lesen, sondern sich auch in sein Labor verfügten.
Da hilft nur Interdisziplinarität. Ich schätze die vor allem angelsächsischen Philosophen (und -innen wie Patricia Churchland, die ja gleich Physiologie studiert hat), die sich wirklich im Detail um die Ergebnisse der empirsichen Wissenschaften kümmern. In Deutschland ist das eher selten. (Obwohl immerhin die analytische Philosophie endlich Fuß zu fassen scheint).
Zitat von Meister PetzMeiner Meinung nach wirft es kein gutes Licht auf die Naturwisenschaftler, wenn sie bei Diskussionsrunden im Fernsehen aus empirischen Ergebnissen Aussagen ableiten, wo man sie am liebsten aus dem Studio rauszerren und in eine Grundstudiumsvorlesung "Wissenschaftstheorie I" reinsetzen möchte.
Das stimmt. Diese Bereitschaft zur Interdisziplinarität fehlt eben nicht nur bei vielen deutschen Philosophen, sondern auch bei den meisten Naturwissenschaftlern (was die mit den Philosophen angeht, untereinander nicht).
Zitat von Meister PetzAber um gerecht zu sein, es ist genau so furchtbar, wenn sich die Philosophen als reine Lyriker und Esoteriker geben. Und das sieht man leider noch häufiger.
Exakt. Ich glaube, Sie und ich, wir sehen das sehr ähnlich.
In Antwort auf:Vielleicht wird es einmal gelingen, die Willensfreiheit und die kausale Geschlossenheit der Welt miteinander in Einklang zu bringen.
Und ich würde mal die These aufstellen, daß es längst eine gute Theorie gibt, die genau dies leistet, nämlich den "Kompatibilismus", der von Searle in dem Interview arg unfair dargestellt wird.
Kurzfassung: Wir sind in einem Sinne des Wortes frei, wenn wir das tun können, was wir wollen. Diese "Handlungsfreiheit" steht natürlich in keinem Widerspruch zur kausalen Geschlossenheit.
Ich habe das lange Zeit auch so gesehen, lieber DrNick (übrigens mehr unter dem Einfluß von Leibniz als unter dem von Hobbes und Hume), aber ich neige zunehmend der Position von Searle zu.
Das Problem ist aus meiner (momentanen) Sicht die Verantwortlichkeit. Wenn wir voraussetzen, daß das, was jemand tut, vollständig durch vorausgehende Prozesse determiniert ist - egal, ob sie, sagen wir, mehr durch das limbische System oder mehr durch das Präfrontalhirn gesteuert werden -, dann können wir "ihn" nicht für das verantwortlich machen, was er tut.
Dann ist die Konsequenz - etwa im Bereich der Kriminalität -, daß wir nicht Schuld bestrafen, sondern Maßnahmen ergreifen. Wir behandeln den Menschen dann im Grunde wie ein Mittel zum Zweck, um den Ausdruck von Kant zu verwenden.
Ich glaube (inzwischen), lieber DrNick, daß ein vernünftiges Zusammenleben nur möglich ist, wenn wir dem anderen Entscheidungsfreiheit zubilligen. Also nicht nur die Freiheit, zu tun, was er will, sondern auch sich aus freien Stücken zu entscheiden, ob er es denn will.
Wir können ihm diese Freiheit nicht zubilligen und zugleich der Meinung sein, sie sei eine Illusion. Und wir können erst recht nicht für uns selbst ernsthaft glauben, unsere Freiheit sei eine Illusion.
Kurz - wie soll unter dieser Prämisse, auch "freie" Entscheidungen seien vollständig determiniert, ein Abwägen, ein Entscheiden in einer Konfliktsituation stattfinden?
Können wir es dann dem Päderasten vorwerfen, daß er argumentiert, seine Tat sei halt zwangsläufig gewesen, weil seine sexuellen Impulse eben stärker gewesen seien als seine Fähigkeit zur Selbststeuerung?
Nein, lieber DrNick, wie müssen meines Erachtens die Willensfreiheit schon ernst nehmen.
Wie geschrieben - ob man das jemals mit der kausalen Geschlossenheit der Welt wird in Einklang bringen können, weiß ich nicht. Im Grunde neige ich mehr der Kant'schen Position zu. Auch die kausale Geschlossenheit, auch die Kategorie der Kausalität überhaupt sind nur Raster, innerhalb deren unsere Erfahrung überhaupt erst möglich ist. Sie sind nicht einfach in der Welt Vorgefundenes; und ein anderes Raster mag eben die Ethik liefern.
In Antwort auf:Wenn die Welt kausal geschlossen ist, dann gibt es, lieber str1977, aber nicht nur einen "kausalen Vorlauf", sondern die Ihrer freien Entscheidung vorausgehenden Prozesse im Gehirn determinieren diese Entscheidung. Und zwar vollständig; die Scholastiker nannten diese letzte, auslösende Ursache causa efficiens.
Ja, wenn ... Aber stimmt das denn überhaupt. Nein, natürlich gibt es auch für meinen Willen kausalen Vorlauf, der aber so komplex ist, sich aus so vielen Einzeleinflüssen über Jahre hinweg zusammensetzt, daß dabei eine Willensentscheidung (d.h. ich entscheide für oder gegen etwas) herauskommt (oder zumindest herauskommen kann - ein bestimmte "Erziehung" mag das verhindern können).
In Antwort auf:Das ist auch meine Position. Aber sie könnte falsch sein. Vielleicht ist ja die Willensfreiheit wirklich eine Illusion und das Bewußtsein ein kausal unerhebliches Epiphänomen. Möglich ist das doch, oder?
Möglich wäre das nur in einem sehr theoretischen Sinne. Vielleicht ist ja auch der Mond aus grünem Käse. All jene, die Mondgestein gesehen und betastet haben unterlagen eben einer Illusion. Das wäre allesamt möglicher und wahrscheinlicher, als da0 es keinen freien Willen gäbe. Und nein, ich bin halt nicht bereit, menschenfeindlichen Ideologien einen solchen Platz einzuräumen.
Und wenn der Sachverhalt unbestritten ist, dann wäre die (prinzipielle) Frage doch geklärt, oder?
In Antwort auf:Und was die eigentliche "Willensfreiheit" angeht, so muß man sich nur von der falschen Vorstellung lösen, diese sei erst dann gegeben, wenn wir als Menschen eine ganz neue Kausalkette in Gang setzen können, die ihrerseits durch nichts verursacht ist. Das ist aber offensichtlich nicht das, was man normalerweise unter einer freien Handlung versteht.
Genau dieses Mißverständnis halte ich für die Crux des ganzen.
Freiheit ist es schon, wenn ich mich entscheiden kann etwas zu tun oder es zu lassen, ganz ohne eine zweite alternative Handlung.
Dies ist eine echte Freiheit aber nur eine minimale. Will sagen: des Menschen Freiheit erschöpft sich nicht darin. (Nur damit nicht das Gerücht auftaucht, ich würde genanntem -ismus das Wort reden.) Epiphänomenal würde ich das nicht nennen.
In Antwort auf:Der Unterschied, ob ich "nach vernünftigen Gründen" oder "durch eine schwere Neurose" handle, ist ja nur ein gradueller, aber kein prinzipieller. In beiden Fällen habe ich keinerlei Einfluss darauf, weil ich nichts verursache.
Wieso? Der Unterschied liegt auf der Wahrnehmungsebene und nicht in einer Beinträchtigung der Entscheidungsfreiheit? Oder habe ich etwas übersehen?
In Antwort auf:Das Problem ist aus meiner (momentanen) Sicht die Verantwortlichkeit. Wenn wir voraussetzen, daß das, was jemand tut, vollständig durch vorausgehende Prozesse determiniert ist -
Ja, schon wieder "wenn", aber was soll die Obsession mit der angeblichen(!!) vollständigen Determinierung. Das ist doch großer Käse.
Ach ja, da von künstlicher Intelligenz die Rede war, wollte ich noch sagen: "Lang lebe Serena Butler!"
Zitat von ZettelVielleicht ist ja die Willensfreiheit wirklich eine Illusion und das Bewußtsein ein kausal unerhebliches Epiphänomen. Möglich ist das doch, oder?
Möglich wäre das nur in einem sehr theoretischen Sinne. Vielleicht ist ja auch der Mond aus grünem Käse. All jene, die Mondgestein gesehen und betastet haben unterlagen eben einer Illusion. Das wäre allesamt möglicher und wahrscheinlicher, als da0 es keinen freien Willen gäbe.
Verzeihen Sie mir die Beckmesserei, lieber str1977, aber "grüner Käse"? "Green cheese" ist so etwas wie Kräuterkäse.
Naja, das nur nebenbei.
Was die "Illusion" angeht. Diejenigen, die das annehmen, verweisen darauf, daß ja auch andere Illusionen sehr eindringlich sind. Zum Beispiel die, daß die Sonne im Osten aufgeht, sich über den Himmel bewegt und im Westen untergeht.
Könnte die Willensfreiheit nicht von dieser Art sein? Sie ist als ein Wahrnehmungsphänomen real, so wie die scheinbare Bahn der Sonne. Aber astronomisch gibt es diese Bewegung der Sonne eben nicht. (Jetzt sind wir fast wieder bei Galilei, lieber str1977, der seiner Zeit so weit voraus war, daß er auf die Relativität jeder Bewegung hingewiesen hat).
Zitat von str1977Und nein, ich bin halt nicht bereit, menschenfeindlichen Ideologien einen solchen Platz einzuräumen.
Menschenfeindlich sind aus meiner Sicht Ideologien wie der Kommunismus, der Nazismus, der Islamismus, weil sie den Wert des einzelnen Menschen nicht anerkennen.
Aber die Frage, ob die Willensfreiheit (oder das Bewußtsein) ein Epiphänomen sei, ist ja keine ideologische, sondern eine empirische. Auch wenn die Empirie sie heute noch nicht beantworten kann.
Zitat von str1977Und wenn der Sachverhalt unbestritten ist, dann wäre die (prinzipielle) Frage doch geklärt, oder?
Für die Vertreter eines Epiphänomenalismus ist als Sachverhalt nur unbestritten, daß wir das Phänomen der Willensfreiheit erleben. So, wie als Wahrnehmungsphänomen die Sonne über den Himmel wandert.
In Antwort auf:Was die "Illusion" angeht. Diejenigen, die das annehmen, verweisen darauf, daß ja auch andere Illusionen sehr eindringlich sind. Zum Beispiel die, daß die Sonne im Osten aufgeht, sich über den Himmel bewegt und im Westen untergeht.
Lieber Zettel, statt von Illusion würde ich lieber von Aspekten sprechen. Der Begriff "Illusion" geht von einer "Wirklichkeit" aus, die häufig nur schwer nachvollziehbar ist. Der "Aspekt" ist die Ansicht eines Phänomens aus der jeweiligen individuellen Situation. Er ist nachvollziehbar und in der Praxis anwendbar. Wennn ich morgens aus dem Fenster blicke, geht die Sonne tatsächlich im Osten auf. Mein Standpunkt bestimmt meinen Blickwinkel (Aspekt). In diesem Zusammenhang sollte man auch einmal die Frage nach dem Absolutheitsanspruch der "Wissenschaft" stellen. Erkenntnisse können doch nur im jeweiligen Betrachtungsraum als "gesichert" bezeichnet werden. Darüber hinausgehende Aussagen beleiben trotz aller erwarteten Wahrscheinlichkeit eben nur Folgerungen, deren Beweis noch zu erbringen ist. Unter diesem "Aspekt" ist die Frage nach dem freien Willen positiv zu beantworten. Ich kann immer zwischen "ja", "nein" und "indifferent" wählen. Herzlich, Enha
Zitat von Enhastatt von Illusion würde ich lieber von Aspekten sprechen. Der Begriff "Illusion" geht von einer "Wirklichkeit" aus, die häufig nur schwer nachvollziehbar ist. Der "Aspekt" ist die Ansicht eines Phänomens aus der jeweiligen individuellen Situation. Er ist nachvollziehbar und in der Praxis anwendbar. Wennn ich morgens aus dem Fenster blicke, geht die Sonne tatsächlich im Osten auf. Mein Standpunkt bestimmt meinen Blickwinkel (Aspekt).
Dem stimme ich zu. Allerdings mit der Einschränkung, daß die verschiedene Aspekte sich im Grad ihrer Subjektivität (Perspektivität) unterscheiden; daß sie insofern der Realität unterschiedlich nah sind. Daß die Sonne sich um die Erde dreht, gilt nur für den Aspekt des irdischen Beobachters. Daß die Erde sich um die Sonne dreht, gilt für alle Aspekte aller denkbarer Beobachter.
Insofern ist der eine Aspekt ein (in der Erkenntnis) früher, ein begrenzter, ein subjektiver. Der ander folgt später auf ihn; er ist umfassender
So ist es ja, lieber Enha, auch in der Entwicklung des Kindes, wie Jean Piaget sie untersucht hat. Das Kind sieht die Welt zunächst nur aus seiner Perspektive und lernt erst allmählich, zu verstehen, daß es zB Relationen zwischen Objekten gibt, die von seiner, des Kindes, Perspektive unabhängig sind. Piaget hat das eine "Kopernikanische Revolution" genannt.
Zitat von EnhaIn diesem Zusammenhang sollte man auch einmal die Frage nach dem Absolutheitsanspruch der "Wissenschaft" stellen. Erkenntnisse können doch nur im jeweiligen Betrachtungsraum als "gesichert" bezeichnet werden. Darüber hinausgehende Aussagen bleiben trotz aller erwarteten Wahrscheinlichkeit eben nur Folgerungen, deren Beweis noch zu erbringen ist.
Auch da Zustimmung. Gute Wissenschaftler sind sich dieser Einschränkung ja auch bewußt.
Trotzdem gibt es aus meiner Sicht so etwas wie einen berechtigten "Absolutsheitanspruch" der Wissenschaft: Nur mit wissenschaftlichen Methoden lassen sich Erkenntnisse finden, die allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen können. Es mag religiöse, es mag philosopische Erkenntnis geben, die für denjenigen, der sie hat, von höchster Evidenz ist. Aber für andere verbindlich ist sie nicht.
Wissenschaftler dagegen können sich weltweit, über alle Grenzen der Kulturen, der Religionen, der Gesellschaftsformen verständigen.
Nicht unbedingt darauf verständigen, daß x oder daß y der Fall ist. Sich aber auf Methoden verständigen, mit denen sie gemeinsam herausfinden können, ob x oder y der Fall ist.
Das meine ich nicht. "Die Leute" regen sich auf, bevor das Ergebnis bekannt ist. Sie sagen, es kann nicht sein, daß es keinen freien Willen gibt, bevor die Wissenschaft überhaupt etwas festgestellt hat. Und sollte sie einmal festgestellt haben, daß es keinen freien Willen gibt, dann würden sie Wissenschaftsbashing betreiben - weil es nicht sein kann, daß die Wissenschaft recht hat und ihr Empfinden unrecht.
ABER: Wenn die Wissenschaft feststellen sollte, daß es keinen freien Willen gibt - dann sähe ich kein Problem. Denn sie würde ja nicht ab dieser Feststellung einen bis dato vorhanden gewesenen freien Willen abschalten - nein, sie würde etwas feststellen, was schon seit tausenden und abertausenden von Jahren gilt. Mit dieser Feststellung würde sich die Welt nicht ändern. (Fakt ist, sie könnte sich ändern :-) - aber so kompliziert will ich es erst mal nicht machen).
Wir sind ja ein kluges Forum. Wir betreiben ja kein Wissenschaftsbashing. Sondern wir achten die wissenschaftlichen Tugenden. Also, wenn die Wissenschaft feststellt, daß es keinen freien Willen gibt, und wir anderer Meinung sind, was können wir tun:
0) Wir können einige Sachen nicht machen - die Wissenschaft verteufeln, ironisch werden, an der Sache vorbeireden, auf unserem Standpunkt beharren.
1) Wir könnten Methodenkritik betreiben. Das ist eine interessante Disziplin, die sollte man unbedingt so 5 bis 10 Jahre geübt haben. Auf Forumsniveau finde ich das in meinem Alter aber nicht ergiebig.
2) Wir könnten die Wissenschaftler in ihrer Integrität und Wissenstiefe anerkennen - und uns fragen, was untersuchen die eigentlich?
Die Wissenschaftler, das sind Menschen, wie Du und ich. Also ich meine, die erleben sich auch mit einem freien Willen. Die werden also nicht etwas Triviales untersuchen.
So - und ich bin immer zu gutgläubig. Haut man mir einen Satz um die Ohren "das halte ich - mit Verlaub - für eine sehr unphilosophische Denkweise", dann denke ich, jemand der sich sowas erlaubt, das muß für Qualität bürgen. So eine absolute niederschmetternde Kritik würde ich mir nicht erlauben, und dann im nächsten Satz eine völlig unphilosophische Behauptung hinzuknallen. Der erste Satz schreit einfach nach Qualität im gesamten Beitrag. Und wenn Sie die nicht liefern können, Herr Petz, sollten sie die Kritik auch lassen.
Ne, also wirklich.
Kaa
---------- Gründungsmitglied der Initiative: "Für ein abgetrenntes Signaturformat"
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.