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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 82 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Kallias Offline




Beiträge: 2.300

17.06.2008 11:42
#51 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten

Zitat von califax
Jürgen Habermas in der SZ

Zitat von Habermas
Bis zum Gipfel in Nizza ist dieser Prozess, befördert durch die wirtschaftsliberalen Antriebe, als ein Eliteprojekt über die Köpfe der Bevölkerung hinweg betrieben worden. Seitdem werden die Erfolge der wirtschaftlichen Dynamik zunehmend als Nullsummenspiel wahrgenommen. Es gibt quer durch alle Gesellschaften hindurch immer mehr Verlierer.
...
Die sozialpolitischen und kulturellen Nebenwirkungen der erwünschten und europaweit durchgesetzten Marktfreiheiten werden auf Nationalstaaten abgewälzt, denen der Zugriff auf die Entstehungsbedingungen dieser externen Kosten verwehrt ist.
...
Ein Gemeinwesen darf nicht von vornherein so konstruiert sein, dass schon die Anlage des Gebäudes Alternativen zum bisher vorherrschenden Marktliberalismus ausschließt.

Ach so, der Marktliberalismus ist schuld an dem Debakel.
Zitat von Habermas
Der Ministerrat sollte über seinen Schatten springen und mit den nächsten Europawahlen ein Referendum verbinden.

Die Fragestellung müsste hinreichend klar sein, um eine Richtungsentscheidung zu erlauben. Und die Bürger müssten am selben Tag nach demselben Verfahren zum selben Thema ihre Stimme abgeben können.

Diesen Gedanken, den Europäern die Wahl zwischen zwei Verfassungsentwürfen vorzulegen, etwa einem "intergovernemalistischen" und einem "föderalistischen", finde ich sehr interessant. Dann bekommen wir, was wir wählen, nicht was die Regierungen als gut für uns befinden.
Zitat von Habermas
Mit Engagement und Glück könnte daraus eine Union der zwei Geschwindigkeiten hervorgehen, wenn sich die Länder, in denen das Referendum angenommen wird, zu einer engeren Kooperation auf Gebieten der Außen- und Sicherheits- sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammenschließen.

Ach nein, das ist es ja gar nicht, was Habermas vorschlägt: nur über seine Wunsch-Richtung einer "engeren Kooperation" sollen wir entscheiden. Und nicht die Mehrheit soll den Auschlag geben, sondern die Ja-Länder trennen sich von den Nein-Ländern und machen ihren eigenen Club auf. Die Spaltung Europas heißt dann "Union der zwei Geschwindigkeiten".

Gruß,
Kallias

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 11:47
#52 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von Zettel
Imperien, Staatenbünde, Bundesstaaten sind bisher auf eine von zwei Weisen entstanden: Entweder (das war die Regel) wurden sie zusammengeraubt. Das war so von Dareios über die Römer bis zu den Habsburgern, dem Osmanischen Reich, dem Zarenreich. Oder sie entstanden aus einer nationalen Bewegung heraus, wie die USA, das Bismarckreich, das geeinte Italien.


Ob das Wort "zusammengeraubt" als treffend oder zu unscharf betrachtet (vor allem im Hinblick auf die Habsburger) sei einmal dahingestellt. Aber das Bismarckreich und Italien wurden ebenso "zusammengeraubt". Und die USA entstanden zwar als freiwilliger Zusammenschluß in Abwehr einer äußeren Bedrohung, haben dann aber kräftig "dazugeraubt".

In Antwort auf:
Das geeinte Europa soll weder auf die eine noch die andere Art entstehen. Es gibt niemanden, der es erobern wollte oder könnte. Es gibt keinen gemeinsamen Willen der Völker.


Das geeinte Europa ist vielmehr auf dem zweiten Weg entstanden: freiwilliger Zusammenschluß. Es gab auch eine europäische Bewegung. Was es nicht gab (im Gegensatz zu Deutschland und Italien) ist eben eine das ganze vorantreibende, aggressive ("räuberische") Macht. Frankreich unter De Gaulle hätte das sein können, aber der General war selbst zu sehr Nationalist, als daß er hätte Frankreich in Europa aufgehen lassen. Daher blieb das ganze stecken.

In Antwort auf:
Warum haben denn alle, außer den Iren, auf ein Referendum über den Vertrag von Lissabon verzichtet? Natürlich deshalb, weil sie befürchteten, es würde bei ihnen genauso ausgehen wie jetzt in Irland.


Weil die Wahrscheinlichkeit, da bei 26 Abstimmungen einer nein sagt (und wenn es nur Luxemburg oder Dänemark wäre) sehr hoch ist und dann die ganze Verhandlungsarbeit vorher umsonst war.

In Antwort auf:
Was ist das für ein Bundesstaat oder Staatenbund oder was immer, der sich nicht traut, sich durch das eigene Volk legitimieren zu lassen? Dann war das Europa, das Bonaparte zusammenrauben wollte, doch eine bedeutend ehrlicherer Angelegenheit.


Bonaparte hat immer alles durch das (französische) Volk legitimieren lassen. Im EU-Europa wird dagegen immer nach dem Konsensus aller Mitglieder gesucht. Genau das macht die Sache ja so schwierig.

Ihre Vergleiche, lieber Zettel, entbehren leider zunehmendet jeden historischen Sinn.

In Antwort auf:
Ich denke, das kann man schon so zusammenfassen, daß man nicht noch mehr Souveränitätsrechte nach Brüssel abgeben wollte.


Ich halte das für eine sehr einseitige Zusammenfassung.

Gruß,
str1977

Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon.

Aber beide sind aus Stein gemacht.

Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

17.06.2008 13:24
#53 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von str1977
Nun, die Einigung ist, vor allem was Deutschland angeht, auch deshalb geglückt, weil eine aggressive Macht den Rest des Landes (bzw. den größten Teil des Landes) militärisch unterjocht hat.

Hä?

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 14:39
#54 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von FTT
Zitat von gelegentlicher Besucher
Für die Kompetenzen die die Union hat mag da ja eine marginale Demokratisierung rauskommen. Nur: Mit der Integration der beiden anderen Säulen werden eben ganz neue Entscheidungen auf die undemokratischen Unionsinstitutionen übertragen, die derzeit noch auf nationaler Ebene demokratisch entschieden werden. Unterm Strich bleibt eindeutig ein Demokratieverlust übrig.


Es scheint mir zum Teil das Wesen dieser Diskussion hier zu sein, dass ich konkret Belege aus dem Reformvertrag vorlege, die, wie ich meine, meine Position belegen, die dann zumeist ohne nähere Begründung ("marginale Demokratisierung") abgetan werden, woraufhin wiederum sehr unkonkret sehr vage von weiterer Integration, Zentralisierung etc. gesprochen wird. Grundsätzlich würde es der Substanz der Diskussion doch sehr helfen, wenn man sagt, wo Integration XY im Reformvertrag vorkommt und warum sie schlecht ist.


Das scheint mir daran zu liegen, daß die Verfassung bzw. der Vertrag eine gewisse Kompetenzverteilung benennt, die man nun nach gusto entweder mit dem real existierenden Ausgreifen der Unionsorgane oder dem theoretisch angebrachten bzw. wünschbaren vergleicht. Und je nachdem wird man ein Zunehmen oder Begrenzen der Zentralisierung wahrnehmen.

Zitat von FTT
Zitat von gelegentlicher Besucher
Übrigens ist die wirklich undemokratische Institution ja auch nicht der Ministerrat sondern die eher gestärkte Kommission.


Warum ist die Kommission, sofern sie vom Parlament bestellt wird, die "wirklich undemokratische Institution"?


Sie ist nicht in ihrer Bestellung "undemokratisch" - auch bisher nicht, denn sie wird ja vom demokratisch legitimierten Ministerrat vorgenommen.

Das Problem mit der Kommission, die ja eigentlich Exekutive ist, ist das Ausgreifen ihrer Maßnahmen. Klar, eine Regierung kann auch Verordnungen erlassen - nur die Verordnungen der Kommission setzen sich leider oft über nationale Gesetze und gar Verfassungen hinweg.

Gruß,
str1977

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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 15:06
#55 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten

Zitat von Kallias
Die Politiker haben mit dem Lissaboner Vertrag anscheinend die falschen Probleme gelöst. Mehrheitsabstimmungen statt Einstimmigkeit: das macht den Politikern das Leben leichter, man muß nicht mehr jeden Quertreiber mit einem Zuckerstückchen beschwichtigen, nur um zu einem Ergebnis zu kommen. Aus Sicht der einfachen Untertanen stellen Veto und Blockade dagegen eher einen Schutz als ein Hindernis dar. Wenn ein System als bürokratisch, anonym, autoritär und entmündigend wahrgenommen wird, dann wünscht man sich nicht unbedingt, es solle effektiver funktionieren.


Aber das ist ein allgemeines Problem und gehört zu dem, was ich Demokratismus nenne. Dieser redet einem demokratischen Zentralismus (damit meine ich nicht, daß was Lenin darunter verstand, sondern was die Worte wirklich ausssagen). Es wird von oben für alle entschieden - nur das die Führung demokratisch gewählt (ich will nicht sagen legitimiert, weil "demokratische Legitimation" auch eher ein Phantasiekonstrukt ist) wird.

Da ist die Frage was besser ist: ein demokratisch gewählter Diktator oder eine undemokratische subsidiäre Vielfalt.

In Antwort auf:
"Brüssel" ist eben ein Symbol für einen undurchsichtigen Apparat geworden, der unablässig zeusgleich aus unerforschlichem Ratschluss seine Blitze schleudert und z.B. den italienischen Pizzabäckern die Holzkohle verbietet. Diesem Apparat steht das gemeine Volk seit Jahrzehnten in Furcht und Spott gegenüber, da können sie reformieren, so viel sie wollen. Der Ruf ist ruiniert.


Genau. Es ist vor allem der Ruf. In Wahrheit ist die Kommission eben kein großer Moloch. Nur hat sie zu oft danebengegriffen und zu oft nutzen auch Poltiker die Kommission um sich gegen sie zu profilieren. Daher der Ruf und der zählt dann am Ende.

In Antwort auf:
Man kann es aber auch anders sehen: die EU produziert im Bereich ihrer Zuständigkeit nicht komplette Gesetze, sondern nur Richtlinien, die dann von den nationalen Parlamenten so ausgestaltet werden können, daß sie in die jeweilige Rechtsordnung hineinpassen; keine Entmündigung also, sondern eine Art subsidiäre Gesetzgebung, die den Mitgliedstaaten selbst in EU-weiten Belangen den Spielraum zur Eigenständigkeit läßt. Aber es wirkt eben wie eine Diktatur.


Sehr richtig. Die Kommission erläßt nur Richtlinien im Rahmen der vom Ministerrat beschlossenen Gesetze. Wer sitzt im Ministerrat: Frau Merkel, Herr Sarkozy etc.

In Antwort auf:
Demokratisierung: vermutlich liegt den Menschen daran gar nicht so viel. Der Verfassungsentwurf war, so habe ich mich belehren lassen, im wesentlichen eine Zusammenfassung bestehender Verträge, dafür brauchte man nicht unbedingt Volksabstimmungen,


Eben. Und daher ist auch eine sichere Ratifizierung durch Parlamente völlig okay. D.h. war es. Nun ist es für diesen Vertrag zu spät.

In Antwort auf:
Gestern schreibt Thomas Kielinger in der »Welt«, die Furcht vor dem EuGH habe bei der Kampagne der Neinsager die Hauptrolle gespielt, sowohl bei jenen, die um das günstige irische Steuerrecht fürchten, als auch bei den Nationalisten der Sinn Fein, als auch bei der katholischen Kirche, die Angst um das Abtreibungsverbot hat.


Aus meiner eigenen, beschränkten Wahrnehmung kann ich das bestätigen. Eine irische Freundin hat genau die Abtreibungsproblematik angeführt, als sie ihr Nein begründete: in Zeiten, in denen manche von einem Recht auf Abtreibung schwadronieren, will man nicht Brüssel mit mehr Macht ausstatten.

In Antwort auf:
Falls sowohl Kielinger als auch FAB recht haben, wäre das Nein demnach gar nicht so irrational gewesen, und der Euroskepsis wäre dann nicht durch mehr Demokratie und bessere Kompetenzaufteilung zu begegnen, sondern vielmehr konkret und direkt durch die Beseitigung oder Zügelung des Gerichtshofes. (Etwa mit dem BVerfG als Revisionsinstanz?)


Es hat schon etwas mit Kompetenzen zu tun, aber die Hauptfrage ist nicht die horizontale Verteilung zwischen den EU-Organen sondern zwischen Union and Nationen. Das BVG kann nicht Revisionsinstanz des EuGH sein (zumindest nicht im eigentlichen Sinne), aber man sollte (falls noch nicht getan) klar festschreiben, daß normales EU-Recht nicht einfach Verfassungen aushebeln kann. (Das ist ja auch in den USA derzeit durchaus ein Problem.)

Ich will auch mal zwei Begriffe ins Feld werfen, die aus Amerika stammen, auch wenn sie nicht unbedingt aus dem besten aller Kontexte stammen:

1. Interposition (http://en.wikipedia.org/wiki/Interposition)
2. Nullification (http://en.wikipedia.org/wiki/Nullificati...Constitution%29)

Das Problem ist ja nicht, daß die Subsidiarität nicht in der EU vorgeschrieben wäre, sondern daß sie so schwer durchzusetzen ist.

Gruß,
str1977

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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 15:13
#56 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten

Zitat von Zettel
Wir brauchen keine Direktiven, die national umgesetzt werden, sondern das meiste, was diese Direktiven beinhalten, braucht überhaupt nicht zentral reguliert zu werden. Was geht es die Brüsseler Bürokratie an, ob in Deutschland diskriminiert wird? Was geht es sie an, ob in Frankreich in den Restaurants geraucht werden darf? Was geht sie die Sicherheit von Rollstuhlfahrern in Italien an?

Zentral geregelt werden muß dasjenige, dessen nationale Regelung zu Problemen führen würde; also im wesentlichen das, was den Handel, die polizeiliche Zusammenarbeit usw. innerhalb der EU betrifft, und sodann die Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen.


Da widersprechen sie sich aber selbst: Sie sagen, wir brauchen keine Direktiven und sagen dann daß etwas zentral geregelt werden müsse. Und im übrigen laufen dann diese Direktiven meist über den Anspruch des Freihandels, für den alles kompatibel sein soll.

In Antwort auf:
In der Weimarer Republik wurde unheimlich viel politisiert, und die Wahlbeteiligung war in der Regel sehr hoch. Ein gutes Zeichen? Überhaupt nicht.


Und die Wahlbeteiligung stieg dann analog zum Erfolg der Nazis, weil diese viele Nichtwähler mobilisierten?

Wie sagen viele zur Jugend: "Hauptsache Ihr geht wählen, egal was!" Was ein Quatsch!

In Antwort auf:
Warum, zu Geier, soll denn nicht, sagen wir, in Luxemburg ein Rauchverbot gelten und in Bayern frei geraucht werden können? Wem würde daraus ein Nachteil entstehen?


Genau. Oder in Hessen und Bayern unterschiedlich. Oder unterschiedlich in den Cafés Schönborn und Michel (NS. die liegen sich gegenüber.)

Gruß,
str1977

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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 15:20
#57 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten
Zitat von Zettel
Dem Hauptteil der Habermas'schen Überlegungen stimme ich aber nicht zu, der durch diesen Absatz repräsentiert wird:

"Doch die Probleme des Klimawandels, des extremen Wohlstandsgefälles und der Weltwirtschaftsordnung, der Verletzung elementarer Menschenrechte, des Kampfes um knappe Energieressourcen betreffen alle gleichermaßen. Während alle von allen immer abhängiger werden, beobachten wir auf der weltpolitischen Bühne die Verbreitung von ABC-Waffen und eine sozialdarwinistische Enthemmung der Gewaltpotentiale. Müsste nicht ein handlungsfähiges Europa im eigenen Interesse sein Gewicht für eine völkerrechtliche und politische Zähmung der internationalen Gemeinschaft in die Waagschale werfen?"

Das ist aus meiner Sicht genau der falsche Weg für Europa. Diese Idee, daß wir Europäer so eine Art Weltpolizist sein sollen, nur einer ohne Pistole und Schlagstock, halte ich für ganz und gar verfehlt.

Wenn Europa Weltpolitik machen will - den Versuch dazu gab es ja mit der Achse Moskau-Berlin-Paris - , dann wird es als erstes gewaltig aufrüsten müssen. Die Vorstellung, man könne als militärischer Schwächling gegen die Supermacht USA und gegen das in ungeheurem Tempo aufrüstende China bestehen, ist abwegig.

Europa braucht - das ist meine feste Überzeugung - heute die transatlantische Allianz mindestens so dringend wie zur Zeit des Kalten Kriegs. Entweder schaffen wir es, als der Westen gemeinsam gegen China zu bestehen, oder die Chinesen werden erst Europa zu einer Statistenrolle degradieren und dann die USA niederkonkurrieren.


Mmh. Ich finde schon, daß Habermas da recht hat. Nur darf man sich nicht der Illusion hingeben, dies ginge einfach nur durch schöne Reden. Daher ist Ihr Einwand richtig: ein Weltpolizist braucht auch einen Stock.

Ich verstehe übrigens nicht, warum Sie eine europäische GASP immer in Gegensatz zu Amerika sehen wollen. Klar, der altneue Gaullismus existiert. Aber es würde der NATO nichts schaden, wenn sie auf zweien wenigstens einigermaßen gleichwertigen Säulen ruht und nicht nur auf amerikanischer Übermacht. Derzeit sind ja auch die Atlantiker in Europa wieder in der ersten Reihe (Merkel, Sarkozy, Berlusconi, Großbritannien und Polen sowieso.)

Gruß,
str1977

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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 15:39
#58 RE: Volksabstimmungen Antworten

Zitat von Zettel
Aber dann, wenn eine neue Verfassung eingeführt wird, fragt man das Volk.


Dieser apodiktische Satz erschließt sich mir eben nicht so klar. Das ist ein möglicher Weg, aber nicht der einzige.

Eine Verfassungsordnung lebt davon, von den Untertanen anerkannt zu werden. Aber das muß jeden Tag neu geschehen. Da genügt es nicht wenn irgendeine willkürlich festgesetzter Anteil zustimmt.

Und nein: Vergleiche eines Gemeinwesens mit einem Unternehmen lehne ich ab. Vor allem wenn sie schief laufen: wenn, dann wäre das Volk die Hauptversammlung.

In Antwort auf:
Nicht immer werden allerdings neue Verfassungen vom Volk bestätigt. Das Grundgesetz wurde es nicht; übrigens gegen den Willen der Amerikaner und Briten, die als gute Demokraten dafür gewesen waren.


Genau das ist es was mir sauer aufstößt. "Als gute Demokraten" - und wenn dann das nicht will, ist man dann ein schlechter Demokrat. Adenauer war also kein guter Demokrat, Napoleon I und III schon?

Die Ministerpräsidenten haben das genau richtig entschieden, denn das Grundgesetz spricht ja auch vom Verfassungssubjekt als "das deutsche Volk in den Ländern" - eine Volksabstimmung (bundesweit oder europaweit) suggeriert immer, es gäbe ein einheitliches Volk. 1990 war es kein Versäumnis, nicht abstimmen zu lassen. Man hätte allerhöchstens die DDR-Bürger über den Beitritt abstimmen lassen sollen (und damit diversen Geschichtsklitterungen den Boden entziehen können).

Ich kann diese Referendumsseligkeit wirklich nicht verstehen.

In Antwort auf:
Man hat dann den traité simplifié, wie von Sarkozy vorgeschlagen, in Lissabon beschlossen und einfach erklärt, das sei jetzt keine Verfassung mehr, sondern nur noch ein Vertragswerk.


Er ist ja auch nicht mit dem Verfassungsvertrag identisch. Das Wort "Verfassung" zu vermeiden war nur eine der Änderungen. Man hat es sich wohl dabei zu einfach gemacht, aber illegitim war das nicht. Nur kurzsichtig.

Eine de-facto Verfassung gibt es jetzt schon - dafür braucht man nicht ein spezielles Dokument (siehe England). Nur ist die derzeitige Verfassung nicht auf die erweiterte EU angepaßt.

Die Iren können nicht "Stellvertretend für uns alle" sprechen. Es ist bestenfalls Spekulation, wie andere Völker abgestimmt hätten. Und wie gesagt, Volksabstimmungen sind nicht überall vorgesehen. Sie betreiben hier selbst ein Stück jener Zentralisierung, die sie der EU vorwerfen: überall soll nur eine Regel gelten.

In Antwort auf:
Deshalb mein Vorschlag: Der Vertrag wird in allen Ländern einer Volksabstimmung unterworfen. Wenn alle außer Irland zugestimmt haben, bittet man die Iren, erneut abzustimmen. Sie würden dann mit Sicherheit mit "ja" stimmen.


Wozu? Irland hat Nein gesagt. Der Vertrag ist erledigt. Wir brauchen einen neuen!

In Antwort auf:
Würden. Denn natürlich würde eine solche Abstimmung in vielen Ländern so ausgehen wie jetzt in Irland. Deshalb hat man ja versucht, diese De-facto-Verfassung am Volk, an den Völkern Europas, vorbeizuschmuggeln.


Also nur ein Pseudo-Vorschlag, eine Verhöhnung des demokratischen Prozesses?

Gruß,
str1977

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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 15:41
#59 RE: Volksabstimmungen Antworten

Zitat von Feynman
Zitat von Zettel

Aber dann, wenn eine neue Verfassung eingeführt wird, fragt man das Volk.


Wie war das noch mal bei der US-Verfassung, lieber Zettel?

Herzlich, Feynman


Eben. Am besten man führt, wenn man erstmal eine gescheite Verfassung hat, gar keine neue ein und ändert auch nichts an ihr.

Gruß,
str1977

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str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2008 15:45
#60 RE: Barrosos Chuzpe Antworten
Zitat von Zettel
Zitat von str1977
Nun, die Einigung ist, vor allem was Deutschland angeht, auch deshalb geglückt, weil eine aggressive Macht den Rest des Landes (bzw. den größten Teil des Landes) militärisch unterjocht hat.

Hä?


Ihnen dürfte doch bewußt sein, daß der deutsche Nationalstaat 1866/71 dadurch gegründet wurde, daß ein Mitglied des Deutschen Bundes erst aufgerüstet hat, dann die Bundestreue gegebrochen hat, ausgetreten ist und mit einigen Verbündeten Krieg gegen den Bund geführt hat. Dann hat es einen Großteil der gegnerischen Bundesglieder (Hannover, Hessen-Kassel, Nassau, Frankfurt) annektiert, die Verbündeten in einen Bundesstaat gepresst. Den übrigen Gegnern (außer dem großen Österreich) wurden Bündnisse aufgedrängt und dann ein Verteidigugnskrieg provoziert, um auch diese in den Sack zu stecken.

Daß das unter Jubel einer nationalliberalen Strömung geschah ändert ja nichts an der Tatsache.

Lieber Zettel, Sie wollen mir doch nicht weiß machen, daß Sie nicht wüßten, daß das Deutsche Reich gegründet wurde "mit Eisen. Und Blut."?

Gruß,
str1977

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Gilbert Offline



Beiträge: 70

17.06.2008 18:58
#61 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von FTT
Es scheint mir zum Teil das Wesen dieser Diskussion hier zu sein, dass ich konkret Belege aus dem Reformvertrag vorlege, die, wie ich meine, meine Position belegen, die dann zumeist ohne nähere Begründung ("marginale Demokratisierung") abgetan werden, woraufhin wiederum sehr unkonkret sehr vage von weiterer Integration, Zentralisierung etc. gesprochen wird.

Nun, das würde ich ja ganz umgekehrt sehen. Das Problem ist ja, dass beide Seiten wissen, was sie selber denken. Darum sieht man in seinen eigenen Stichworten auch jeweils das ganze Gedankengebäude und in denen der Gegenseite eben nicht. Darum will ich mal versuchen, meine Meinung etwas genauer zu erklären. Weiter oben sehen Sie die Demokratisierung durch den Vertrag
Zitat von FTT
In der erweiterten parlamentarischen Mitsprache bei der Gesetzgebung? In der Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament? In der verstärkten Einbeziehung der nationalen Parlamente? In den verbesserten Möglichkeiten, das Subsidiaritätsprinzip einzufordern und einzuklagen?

(Wobei die Fragezeichen daher kommen, dass ich das Zitat aus seinem Zusammenhang als rhetorische Frage gerissen habe.)

Die Wahl des Kommissionspräsidenten ist eine reine Umbenennung der bisherigen Bestätigung, inhaltlich bleibt das Verfahren genau so wie es ist. Der Rat schlägt vor, das Parlament stimmt ab ob es einverstanden ist. Wenn nicht das gleiche nochmal. Ich bin in der Tat der Meinung, dass eine Abstimmung von Bestätigung in Wahl umzubenennen keine Demokratisierung ist. Die verstärkte Einbeziehung der nationalen Parlamente ist die sogenannte "Notbremse". Das ist ein reines Anhörungsrecht, die nationalen Parlamente können wie informell auch jetzt Briefe an die Kommission schreiben. Die verbesserten Möglichkeiten das Subsidiaritätsprinzip einzufordern ist nochmal die gleiche wirkungslose "Notbremse" und verbesserte Möglichkeiten es einzuklagen sind nicht vorgesehen.

Der einzige Punkt den man ernst nehmen kann ist die erweiterte Mitsprache des Europaparlaments. Konkreter ist das die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens (künftig "ordentliche Gesetzgebung" genannt). Das ist gut, aber man sollte sich mal ansehen worum es dabei geht. Die wesentlichen Bereiche die da neu drunterfallen sind die Fischereipolitik und Satzungsänderungen der unabhängigen Organe Gerichtshof und EZB. Ansonsten kommen noch ein Haufen so glorreicher Kompetenzen wie die Agrarsubventionspolitik außer Quten und Preise oder die Entwicklungshilfe für Staaten die keine Drittweltstaaten sind dazu. Das ist wie gesagt sehr schön, aber im Vergleich zu den heute schon dem Mitentscheidungsverfahren unterliegenden Sachen (nämlich im Wesentlichen die Harmoniesierung der Rechssysteme für den Binnenmarkt, was nach EUGH-Rechtsprechung so ziemlich alles bedeutet) eben doch ganz eindeutig marginal.

Und dem steht nun gegenüber, dass die Union nach dem Vertrag mit der "gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" und dem "Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts" riesige und bewusst unscharf formulierte Kompetenzbereiche übernimmt. Für Deutschland wird das sehr wahrscheinlich eine Teilname an der gemeinsamen Verteidigung bedeuten für Irland wäre es z.B. immernoch ganz konkret so, dass die Regierung ohne das Volk nochmal zu fragen die diplomatische Neutralität ihrer Botschaften in Staaten aufgeben müsste, mit denen die großen Staaten im Rahmen der GASP Konflikte haben. Und das sind eben Fragen die bisher national also wesentlich demokratischer entschieden wurden.

Zitat von FTT

Warum ist die Kommission, sofern sie vom Parlament bestellt wird, die "wirklich undemokratische Institution"?


Die Kommission fusioniert mit ihrem exklusiven Initiativrecht Exekutive und Legislative. Anders als in einem parlamentarischen System kann man ihre Richtung durch einen anderen Wahlausgang nicht wesentlich ändern, da sie sich vorher wie hinterher nach nationalen Vorschlägen (so ähnlich wie die "Vorschläge" des Premjerministers an die britische Königin) also aus verschiedenen nichttverbündeten Parteien zusammensetzt und als Kollegialorgan entscheidet. Der Präsident soll zwar in Zukunft nach dem EP-Wahlergebniss ausgewählt werden, aber er hat auch nur eine von zukünftig 18 (derzeit 27) Stimmen. Das normale Kontrollinstrument "bei der nächsten Wahl die andern wählen" kann also den Kurs der Kommission nicht wesentlich beeinflussen. Und die in der Schweiz (wo es in der Hinsicht ähnlich ist) vorhandene Möglichkeit das Referendum zu ergreifen gibt es auch nicht. Trotz einer formalen Sukzession der Machtdelegation hat das Volk also keine reale Einflussmöglichkeit auf den Kurs der Kommission.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

17.06.2008 22:21
#62 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten

Zitat von str1977
Ich will auch mal zwei Begriffe ins Feld werfen, die aus Amerika stammen, auch wenn sie nicht unbedingt aus dem besten aller Kontexte stammen:
1. Interposition (http://en.wikipedia.org/wiki/Interposition)
2. Nullification (http://en.wikipedia.org/wiki/Nullificati...Constitution%29)
Das Problem ist ja nicht, daß die Subsidiarität nicht in der EU vorgeschrieben wäre, sondern daß sie so schwer durchzusetzen ist.

Vielen Dank für die Hinweise. Als juristischem Laien kommt mir bei der Subsidiarität die Frage wesentlich vor, wer die Überforderung feststellt, der Helfende, der Hilfesuchende, beide im Konsens oder eine unabhängige dritte Instanz. Je nachdem würden ganz andere Verhältnisse entstehen.

Gruß,
Kallias

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

18.06.2008 09:49
#63 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten

Lieber Zettel,

hier ein Artikel von Frank Furedi in "spiked" http://www.spiked-online.com/index.php?/site/article/5347/

Auszug:

EU officials, politicians and their friends in the media all read from the same carefully rehearsed script following the Irish electorate’s rejection of the Lisbon Treaty. Adopting a kind of fantasy language, with all the hallmarks of classic Orwellian doublespeak, the EU and its representatives told the world that the ‘No’ vote did not really mean ‘No’, since Irish voters were thoroughly confused.
...
The message is clear: the immature response of the Irish people to the Lisbon Treaty should not be taken seriously. This relentless attempt to infantilise an entire people is an alarming historical moment. The reprimand of a naughty child always hints at future punishment. Will the EU do more than simply threaten to take the Irish children’s toys away? Let’s keep a very close eye on what the EU does next.

Herzlich, Thomas

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 11:13
#64 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten

Sehr interessanter Artikel, lieber Thomas. Ein anderer Auszug:

Zitat von spiked
Consider the breathtaking cynicism of the EU Commissioner Margaret Wallström. She told the BBC that we must ‘analyse’ the Irish result and then conduct a public survey to find out what was behind the ‘No’ vote. Taking on the role of a disinterested doctor or scientist, Wallström believes that ‘research’ can discover the source of the Irish disease; such ‘research’ will no doubt lead to the cobbling together of a diagnosis, and then a cure.

Das paßt in ein Muster, das mir schon oft aufgefallen ist: Wer von der eigenen, als allein rational verstandenen Position abweicht, der wird zum Gegenstand von erst diagnostischen und dann therapeutischen Überlegungen. Er wird nicht als Andersdenkender behandelt, der seine rationalen Gründe haben könnte, sondern als ein Irregeleiteter, den man wieder auf den rechten Weg bringen muß. Als ein Fall für Sozialtherapie, sozusagen.

Allerdings nur, wenn die Richtung der Abweichung nicht links ist. Über die Ursachen des Rechtsextremismus gibt es jede Menge Forschung - hast du aber jemals davon gehört, daß jemand die Ursachen des Linksextremismus erforscht hätte, oder gar die Ursachen des Öko-Wahns?

Ich stelle mir das lustig vor: Jemand reicht bei der DFG einen Antrag auf Einzelförderung ein, in dem er ein Projekt zur Erforschung kommunistischer Einstellungen darlegt. Er hat dazu einfach einen Antrag zur Erforschung des Rechtsextremismus genommen; nur ersetzt er die Begriffe eben entsprechend. Er fragt also, ob die Ursachen für eine kommunistische Einstellung vielleicht in der Kindheit liegen, welche Rolle die peer group spielt, ob man wegen einer fehlenden Lebensperspektive Kommunist wird usw.

Man würde an der wissenschaftlichen Zurechnunsfähigkeit des Betreffenden zweifeln, der einen solchen Antrag schreibt.

Herzlich, Zettel




Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

18.06.2008 11:49
#65 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten
Lieber Zettel,

ja, in der Wahrnehmung von Links- und Rechtsextremismus liegt eine erstaunliche Asymmetrie! Ich kann mich noch gut an die Reaktionen auf die Totalitarismustheorie in der Uni erinnern; die war einfach tabu!

Aber mir ist, wie anderen Forumsmitgliedern auch, noch etwas aufgefallen: Die irische Regierung wird offenbar nicht als Repräsentant des irischen Volkes, sondern als Handlanger Brüssels wahrgenommen, dem etwas wirklich schiefgegangen ist und der sich nun dafür rechtfertigen muß. Man überläßt es dem Handlanger, wie der diesen Fehler ausbügelt, solange er nur ausgebügelt wird und man nicht die Geduld verliert.

Tja, das kommt bei mir überhaupt nicht gut an!

Herzlich, Thomas
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.06.2008 14:15
#66 Totalitarismus Antworten

Zitat von Thomas Pauli
Ich kann mich noch gut an die Reaktionen auf die Totalitarismustheorie in der Uni erinnern; die war einfach tabu!

Es ist ja im Grunde noch nicht mal eine Theorie, sondern eine Beschreibung der Wirklichkeit.

Daß die Herrschaftsmechanismen in der Nazi-Diktatur und in kommunistischen Dikaturen einander bis in die Einzelheiten gleichen (Staatsideologie, Einparteiensystem, Massenorganisationen, Gleichschaltung von Verbänden, Vereinen usw., staatlich kontrollierte Berufsorganisationen, Geheimpolizei und politische Verfolgung, Kaderschulung, Blockwartsystem, Staatsjugend, staatliche Ferienorganisationen usw.), das ist ja keine Theorie, sondern Faktum.

Es gehört zu den Meisterleistungen der kommunistischen Propaganda, das erst zu einer "Theorie" erklärt und diese dann, wie du schreibst, tabuisiert zu haben.

Die übliche Begründung war, daß die beiden Systme radikal verschieden seien, weil im einen die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel bei Privaten und im anderen bei "der Gesellschaft" liege. Die marxistische Theorie, daß die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel das Entscheidende sei, wurde also einfach als wahr vorausgesetzt.

Eine Stufe höher lautete die Argumentation: Was beim Nazismus in dessen Wesen liege (zB fehlende Meinungsfreiheit), das sei im Sozialismus lediglich eine vorübergehende Deformation.

Und wer dann immer noch nicht ruhig war, der bekam das Argument aller Argumente serviert: Schließlich hätte Hitler und nicht Stalin die Juden vernichten wollen.

Herzlich, Zettel

FTT Offline



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18.06.2008 21:13
#67 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von gelegentlicher Besucher
Und dem steht nun gegenüber, dass die Union nach dem Vertrag mit der "gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" und dem "Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts" riesige und bewusst unscharf formulierte Kompetenzbereiche übernimmt. Für Deutschland wird das sehr wahrscheinlich eine Teilname an der gemeinsamen Verteidigung bedeuten für Irland wäre es z.B. immernoch ganz konkret so, dass die Regierung ohne das Volk nochmal zu fragen die diplomatische Neutralität ihrer Botschaften in Staaten aufgeben müsste, mit denen die großen Staaten im Rahmen der GASP Konflikte haben. Und das sind eben Fragen die bisher national also wesentlich demokratischer entschieden wurden.



Die GASP und der "Raum der Freiheit..." sind KEINE Kompetenzbereiche, die die Union als solche übernommen hat. Der Teil mit der "Aufgabe der Neutralität" ist, ich wiederhole mich, FALSCH, FALSCH, FALSCH und entstammt meiner Vermutung nach der Propaganda eines Teils der "No-Campaign", der es mit den Fakten nicht so ernst nimmt. Was Deutschland angeht, ist es eine im Übrigen - grundgesetzlich ausdrücklich gebilligte - seit der Gründung der Bundeswehr bestehende Handlungspräferenz, Verteidigung in einem kollektiven Rahmen zu organisieren (NATO!).

Weiterhin bleibt festzuhalten, dass im Verteidigungsbereich auch zukünftig Einstimmigkeit für gemeinsames Handeln erforderlich ist. Und ob die Bundesrepublik bislang im Rahmen der NATO "demokratischer" oder souveräner entschieden hätte, sei dahingestellt.

Zitat von gelegentlicher Besucher
Die Kommission fusioniert mit ihrem exklusiven Initiativrecht Exekutive und Legislative. Anders als in einem parlamentarischen System kann man ihre Richtung durch einen anderen Wahlausgang nicht wesentlich ändern, da sie sich vorher wie hinterher nach nationalen Vorschlägen (so ähnlich wie die "Vorschläge" des Premjerministers an die britische Königin) also aus verschiedenen nichttverbündeten Parteien zusammensetzt und als Kollegialorgan entscheidet. Der Präsident soll zwar in Zukunft nach dem EP-Wahlergebniss ausgewählt werden, aber er hat auch nur eine von zukünftig 18 (derzeit 27) Stimmen. Das normale Kontrollinstrument "bei der nächsten Wahl die andern wählen" kann also den Kurs der Kommission nicht wesentlich beeinflussen.


Man sollte nicht das "Montesquieu"-Modell der Gewaltentrennung als Idealtyp für ein politisches System sehen und Abweichungen davon als Malus werten. Die Quasi-Verschmelzung von Exekutive und Legislative ist in realiter der Normalfall in beinahe allen westeuropäischen Regierungssystemen. Dazu kommt, dass schon Barroso mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im EP gewählt wurde. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Nicht-Ernennung des designierten Kommissars Buttiglione. Schließlich und endlich hat übrigens auch Frau Merkel in ihrem Kabinett formal nicht mehr als eine Stimme.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einen Fehler in einem früheren Post korrigieren:
Zitat von FTT

Zitat von Zettel
Ein Zwitter aus Exekutive und Legislative, der geradezu von einem Anti-Montesquieu ersonnen worden sein könnte.


Stimmt, mit Montesquieu hat das System wenig zu tun. Unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten würde sich Montesquieu aber auch in der parlamentarischen Demokratie britischer Prägung NICHT wiederfinden.

Gilbert Offline



Beiträge: 70

19.06.2008 23:18
#68 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von FTT
Die GASP und der "Raum der Freiheit..." sind KEINE Kompetenzbereiche, die die Union als solche übernommen hat.

Das ist bestenfalls halbrichtig. In der GASP kann der Europäische Rat nach dem neuen Art. 31(3) EUV einstimmig die Einstimmigkeit in allen nichtmilitärischen Fragen der Außenpolitik abschaffen. Nationale Parlamente oder gar Völker werden dafür nicht mehr gefragt, müssen also davon ausgehen das schon "mitzugenehmigen". Praktisch bedeutet das natürlich, dass es in Zukunft auch in nicht ganz eng wirtschaftlichen Fragen eine gemeinsame Außenpolitik geben wird, während die bisher zwar in großen Worten in den Verträgen stand aber ganz bewusst als praktischer Blindgänger ausgestaltet war.

Im "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" (in dem die irische Regierung ohne weiteren Volksentscheid über einen evtl. Verzicht auf die bisherige Einzelfallreservation entscheiden will) ist es noch deutlicher. Z.B. kann die Union in Zukunft wesentliche Teile des Stafprozesses regeln (dient natürlich alles nur der neuen gegenseitigen Anerkennbarkeit von Urteilen und Entscheidungen...) eine europäische Staatsanwaltschaft einsetzen, und in allen Bereichen die der Europäische Rat einmal einstimmig bestimmen mag auch das substantielle Strafrecht regeln (Eine Möglichkeit solch eine Festlegung rückgängig zu machen fehlt übrigens...). Dazu kommt so ziemlich das ganze Asylrecht und der Grenzschutz und die für die jutitionelle Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten erforderliche Angleichung der Rechtsvorschriften, wobei man wohl davon ausgehen muss das die Erforderlichkeit hier genauso weit ausgelegt wird wie schon bisher die Erforderlichkeit für den Binnenmarkt, die z.B. das Rauchverbot in Gaststätten umfassen soll.

Zusammengefasst kann die Union in der klassischen Außen- und Innenpolitik nach dem Vertrag ganz massiv mitreden. Und im Vergleich dazu kann mir wirklich niemand weismachen die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens wäre nicht marginal.

Zitat von FTT
Der Teil mit der "Aufgabe der Neutralität" ist, ich wiederhole mich,FALSCH, FALSCH, FALSCH

Das gilt für die streng militärische Mitwirkung. Nun kann man aber auch alles andere als neutral sein ohne gleich Truppen zu schicken. Und wie sich z.B. die Botschaften im Ausland verhalten, ob man Wirtschaftssanktionen mitträgt u.s.w. sind eben doch alles Fragen die unter die gemeinsame Außenpolitik fallen können. Wenn es z.B. irgendwo in Afrika einen Krieg gibt, an dem eine ehemalige französische Kolonie gibt muss Irland natürlich auch in Zukunft keine Truppen schicken. Das ist immerhin etwas. Aber wenn Frankreich dann in der EU eine offizielle diplomatische Position und Wirtschaftssanktionen durchsetzt muss Irland das eben schon nach außenhin mittragen und kann eben nicht mehr wie traditionell beide Botschaften offen lassen und sich schön raushalten. Das kann z.B. auch bedeuten, dass man mit irischem Pass nicht mehr wie derzeit als "Neutraler" praktisch überall einreisen kann. Geschützt ist eben nur die militärische Nichtteilname und Neutralität ist weit mehr.
Zitat von FTT
und entstammt meiner Vermutung nach der Propaganda eines Teils der "No-Campaign", der es mit den Fakten nicht so ernst nimmt.

Anders als die Ja-Seite, die diesen Vertrag als etwas anderes als dengescheitertenVerfassungsvertrag vekaufen wollte hat die Nein-Seite nicht gelogen. Auch das Versprechen von mehr Demokratie ist jedenfalls wesentlich weiter von der Wahrheit entfernt als die Sorge um die Einschränkung der Neutralität. Natürlich haben beide Seiten auf einer extrem vagen Ebene argumentiert, weshalb auch beiden Seiten nützliche Gerüchte im Umlauf waren.

Zitat von FTT

Was Deutschland angeht, ist es eine im Übrigen - grundgesetzlich ausdrücklich gebilligte - seit der Gründung der Bundeswehr bestehende Handlungspräferenz, Verteidigung in einem kollektiven Rahmen zu organisieren (NATO!).

Weiterhin bleibt festzuhalten, dass im Verteidigungsbereich auch zukünftig Einstimmigkeit für gemeinsames Handeln erforderlich ist. Und ob die Bundesrepublik bislang im Rahmen der NATO "demokratischer" oder souveräner entschieden hätte, sei dahingestellt.

Für Deutschland stellt sich dabei z.B. ganz konkret die Frage, ob damit das Mandat des Bundestages umgangen werden kann. Denn im Rat wird ja nach "exekutiver Eigenverantwortung" entschieden und was die EU ohne grobe Menschenrechtsverletzung beschließt ist nach Art. 23 GG legal. Was die Einstimmigkeit angeht klingt das für mich nach einer Frage die absehbar mit dem nächsten Vertrag kommt, denn wenn man im Rahmen der "strukturierten Zusammenarbeit" erstmal gemeinsame Verbände aufgestellt hat, wird es natürlich ziemlich offensichtlich sein, dass man die schlecht von einem handlungsunfähigen Gremium kommandieren lassen kann... Diese Salamitaktik ist bei der EU ja nun wirklich eine ganz alte Tradition.

Zitat von FTT

Man sollte nicht das "Montesquieu"-Modell der Gewaltentrennung als Idealtyp für ein politisches System sehen und Abweichungen davon als Malus werten. Die Quasi-Verschmelzung von Exekutive und Legislative ist in realiter der Normalfall in beinahe allen westeuropäischen Regierungssystemen. Dazu kommt, dass schon Barroso mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im EP gewählt wurde. Ich verweise in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Nicht-Ernennung des designierten Kommissars Buttiglione. Schließlich und endlich hat übrigens auch Frau Merkel in ihrem Kabinett formal nicht mehr als eine Stimme.


Es gibt natürlich immer Staaten in denen einzelne Kontrollmechanismen fehlen. Das kann aber nicht rechtfertigen auf alle gleichzeitig zu verzichten. Natürlich gibt es auch in vielen Staaten eine Fusion der legislativen und exekutiven Gewalten aber dann wechselt mit dem Wahlergebnis eben auch die ganze Regierung. Mit der großen Koalition haben wir da derzeit eine Ausnahme, aber normalerweise kann man bei einer Bundestagswahl eben das ganze Gesindel wegjagen. Und mit den zwischengeschalteten Abgeordneten, die sich um ihre Wiederwahl Sorgen machen, führt das dazu, dass die Regierung sich nicht beliebig unpopulär verhalten kann. Die parteipolitische Zusammensetzung der Kommission hängt dagegen von den Regierungen der Mitgliedsstaaten ab. Das Parlament kann zwar wie bei Buttiglione ein Mitglied abschießen weil seine Religion nicht genehm ist, aber eben nicht weil seine Politik nicht passt, denn dann gibt es eben einen Ersatzkommissar aus der gleichen Partei. Und auch wenn Frau Merkel in ihrer Regierung auch nur eine Stimme hat, ist hat sie eben nicht den einzigen Kabinettsposten dessen Besetzung von der Mehrheit im Bundestag abhängt. Wenn nicht gerade eine nationale Wahl gleichzeitig stattfindet ist die parteipolitische Zusammensetzung der Kommission also schon vor der Wahl klar (der Präsident ist ja auch Kommissar, wird also sozusagen auf einen Fachkommissar angerechnet). Das ist trotz ähnlichem Aussehen ein ganz anderes Verfahren als die faktische indirekte Regierungswahl in einer parlamentarischen Demokratie.

M.Schneider Offline



Beiträge: 672

20.06.2008 14:04
#69 RE: Zitat des Tages: Die Iren zählen Antworten

Lieber Zettel

Ich habe mich gefreut, einmal wieder etwas von Ihnen zu lesen und bin

Die Zeit ist sehr knapp geworden aber manchmal klappt es.

Herzlich
M.Schneider

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

22.06.2008 21:31
#70 RE: Totalitarismus Antworten

Zitat von Zettel
Zitat von Thomas Pauli
Ich kann mich noch gut an die Reaktionen auf die Totalitarismustheorie in der Uni erinnern; die war einfach tabu!

Es ist ja im Grunde noch nicht mal eine Theorie, sondern eine Beschreibung der Wirklichkeit.

...

Es gehört zu den Meisterleistungen der kommunistischen Propaganda, das erst zu einer "Theorie" erklärt und diese dann, wie du schreibst, tabuisiert zu haben.


Ich stimme zwar ansonsten zu, aber es war nicht "kommunistische Propaganda", die die Theorie zu einer Theorie gemacht hat.

Nein, sie ist eine Theorie (und damit eine Beschreibung der Wirklichkeit). Schließlich läuft ja keiner herum und sagt, er sei Totalitarist. Also muß man als Wissenschaftler hier mehrere unterschiedliche Strömungen nach gemeinsamen Merkmalen klassifizieren. (Das ist übrigens auch bei der Faschismustheorie nicht anders.)

Fazit: die Totalitarismustheorie ist eine gute, weil mit der Wirklichkeit recht gut übereinstimmende Theorie.

In Antwort auf:
Eine Stufe höher lautete die Argumentation: Was beim Nazismus in dessen Wesen liege (zB fehlende Meinungsfreiheit), das sei im Sozialismus lediglich eine vorübergehende Deformation.


Da wäre anzumerken, daß hier unter Sozialismus natürlich der totalitäre Sowjetkommunismus zu verstehen ist. Wie es mit andere Sozialismen aussieht, mag man debattieren, aber das kratzt erstmal die Totalitarismustheorie nicht.

Gruß,
str1977

Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon.

Aber beide sind aus Stein gemacht.

Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

22.06.2008 21:35
#71 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

In Antwort auf:
"Der Teil mit der "Aufgabe der Neutralität" ist, ich wiederhole mich,FALSCH, FALSCH, FALSCH"

Das gilt für die streng militärische Mitwirkung. Nun kann man aber auch alles andere als neutral sein ohne gleich Truppen zu schicken.


Aber es wäre auch zu fragen, ob denn Irland bisher tatsächlich neutral war?

Das einzig wirklich neutrale, weil imstande seine Neutralität zu verteidigen, Land in Europa ist die Schweiz.

Gruß,
str1977

Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon.

Aber beide sind aus Stein gemacht.

Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.

str1977 ( gelöscht )
Beiträge:

22.06.2008 21:39
#72 RE: Barrosos Chuzpe (alter Titel: Die Iren zählen) Antworten
Um niemanden weiter aufzubringen, beschränke ich mich auf die reinen Fakten:

Es hat immer schon ein Austrittsrecht der Mitglieder der EGKS/EWG/EURATOM/WEU/EG/EU (oder auch NATO) gegeben, da es sich um internationale Verträge souveräner Staaten handelt. Und jeder Staat kann jederzeit eingegangene Verträge auch wieder kündigen. Das ist ja gerade seine Souveränitität. Das ist nicht immer einfach (siehe v.a. die Währungsunion) und man macht sich keine Freunde bei den betroffenen Nachbarn, aber möglich ist es immer.

Mit einem gewissen Abstrich für die Bundesrepublik vor 1990, denn diese war eben nicht völlig souverän - ja, hat sogar einen guten Teil der Souveränität im Gegenzug zur Integration erhalten.

Gruß,
str1977

Faschismus und Antifaschismus sind nicht dasselbe, genausowenig wie Libanon und Antilibanon.

Aber beide sind aus Stein gemacht.

Laissez faire, laissez aller, laissez abimer.

Gilbert Offline



Beiträge: 70

24.06.2008 15:34
#73 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von str1977
Aber es wäre auch zu fragen, ob denn Irland bisher tatsächlich neutral war?

Das einzig wirklich neutrale, weil imstande seine Neutralität zu verteidigen, Land in Europa ist die Schweiz.


Ist die Schweiz damit auch das einzige souveräne Land Europas?

Irland war z.B. im 2. Weltkrieg durchaus in der Lage einen guten Teil seiner Neutralität zu erhalten, obwohl Churchil zeitweise laut über eine Besetzung nachgedacht hat. (Und aus der Haltung die zu solchen Drohungen führt erklärt sich auch, warum es das wollte...)

Irland hat sich auch (aus dem gleichen Grund, Bündnisse mit England und später Britannien sind für kleinere Partner noch nie gut gegangen) erfolgreich aus der NATO rausgehalten.

Und die irische Regierung hat sich z.B. zum Irak-Krieg überhaupt nicht geäußert, weder zustimmend noch ablehnend noch irgendwie differenzierend, sondern einfach überhaupt nicht.

Das sieht mir alles erfolgreich neutral aus.

Im übrigen kann Irland eine Invasion des geographisch einzig denkbaren Angreifers zwar nicht verhindern aber durchaus so viel Widerstand organisieren, dass sie jeweils strategisch unrentabel ist.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

27.06.2008 09:53
#74 RE: Barrosos Chuzpe Antworten

Zitat von str1977
Zitat von Zettel
Zitat von str1977
Nun, die Einigung ist, vor allem was Deutschland angeht, auch deshalb geglückt, weil eine aggressive Macht den Rest des Landes (bzw. den größten Teil des Landes) militärisch unterjocht hat.

Hä?

Ihnen dürfte doch bewußt sein, daß der deutsche Nationalstaat 1866/71 dadurch gegründet wurde, daß ein Mitglied des Deutschen Bundes erst aufgerüstet hat, dann die Bundestreue gegebrochen hat, ausgetreten ist und mit einigen Verbündeten Krieg gegen den Bund geführt hat. Dann hat es einen Großteil der gegnerischen Bundesglieder (Hannover, Hessen-Kassel, Nassau, Frankfurt) annektiert, die Verbündeten in einen Bundesstaat gepresst. Den übrigen Gegnern (außer dem großen Österreich) wurden Bündnisse aufgedrängt und dann ein Verteidigugnskrieg provoziert, um auch diese in den Sack zu stecken.

Daß das unter Jubel einer nationalliberalen Strömung geschah ändert ja nichts an der Tatsache.

Ich habe, lieber str1977, jetzt noch einmal a bisserl nachgelesen; vor allem in Golo Manns "Deutscher Geschichte", die mir immer eine vergnügliche Lektüre ist.

Man kann das so beschreiben, wie Sie es tun. Nur ist das halt eine der möglichen Wertungen. Man kann es auch so beschreiben:

Bismarck hatte die Tendenz zur Bildung von Nationalstaaten als unausweichlich erkannt. Also setzte er sich, setzte er Preußen an die Spitze dieses Prozesses, statt sich - reaktionär - dagegen zu wehren.

"Pressen" mußte er nur die Dynastien der deutschen Länder und ihre Hofschranzen; notfalls mit einem Reptilienfonds. Das Volk hingegen wollte in seiner großen Mehrheit die Einheit, die Bismarck anstrebte. Preußen erfüllte das, worauf die Zeichen der Zeit standen.

Indem Bismarck es schaffte, die Einigung Deutschlands unter Beibehaltung der alten Ordnung und unter Führung Preußens zu gestalten, verhinderte er jahrzehntelange chaotische Verhältnisse, wie sie der Einigung Italiens vorausgingen.
Zitat von str1977
Sie wollen mir doch nicht weiß machen, daß Sie nicht wüßten, daß das Deutsche Reich gegründet wurde "mit Eisen. Und Blut."?

Es war eine Zeit blutiger Einigungskriege. Nicht nur in Italien; auch zB in den USA. Im Vergleich dazu floß in Deutschland wenig Blut. (1866 war ja kein Einigungskrieg, sondern der letzte Krieg um die Vorherrschaft im Reich).

Herzlich, Zettel



PS: Übrigens lagen bei diesem preußisch-österreichischen Krieg die Meisteranalytiker Marx und Engels mal wieder glänzend daneben - sie hatten einen Sieg Österreichs für selbstverständlich gehalten.
FTT Offline



Beiträge: 30

27.06.2008 11:02
#75 RE: Barrosos Chuzpe Antworten
Zitat von gelegentlicher Besucher
Das ist bestenfalls halbrichtig. In der GASP kann der Europäische Rat nach dem neuen Art. 31(3) EUV einstimmig die Einstimmigkeit in allen nichtmilitärischen Fragen der Außenpolitik abschaffen.


Voilà, das heißt ja schon einmal, dass Irland mit der Ratifizierung nicht qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der GASP über sich ergehen lassen müsste. Sie müssen ja zumindest einmal zugestimmt haben.

Außerdem sind es nicht nur die militärischen Bereiche, die ausgeschlossen sind, sondern auch die Fragen mit "verteidigungspolitischen Bezügen".

Drittens gibt es grundsätzlich jetzt schon lange die Möglichkeit, dass einstimmig in der GASP festgelegt werden kann, in einem bestimmten Handlungszusammenhang mit qualifizierter Mehrheit fortzufahren.

Zitat von gelegentlicher Besucher
Zusammengefasst kann die Union in der klassischen Außen- und Innenpolitik nach dem Vertrag ganz massiv mitreden. Und im Vergleich dazu kann mir wirklich niemand weismachen die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens wäre nicht marginal.


Aus Ihrer Argumentation geht das zumindest nicht hervor. Sie verschweigt, dass bspw. der einstimmige "Öffnungsbeschluss" in der GASP ja eben auch ein Veto impliziert. Andererseits ist eine Ausweitung allein des Mitentscheidungsverfahrens von etwa 17 Prozent auf mehr als 38 Prozent der von der Union zu treffenden Entscheidungen sicherlich alles bloß nicht marginal.

Zitat von gelegentlicher Besucher
Zitat von FTT
Der Teil mit der "Aufgabe der Neutralität" ist, ich wiederhole mich,FALSCH, FALSCH, FALSCH

Das gilt für die streng militärische Mitwirkung. Nun kann man aber auch alles andere als neutral sein ohne gleich Truppen zu schicken.


Ich beschränke zur Entgegnung mich auf den Vertragstext:
Zitat von Art. 31 EUV in der Version des Reformvertrages

(...)
(2) Abweichend von Absatz 1 beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit, wenn (...)

Erklärt ein Mitglied des Rates, dass es aus wesentlichen Gründen der nationalen Politik, die es auch
nennen muss, die Absicht hat, einen mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluss abzulehnen, so
erfolgt keine Abstimmung. Der Hohe Vertreter bemüht sich in engem Benehmen mit dem betroffenen
Mitgliedstaat um eine für diesen Mitgliedstaat annehmbare Lösung. Gelingt dies nicht, so kann der Rat
mit qualifizierter Mehrheit veranlassen, dass die Frage im Hinblick auf einen einstimmigen Beschluss an
den Europäischen Rat verwiesen wird.

(4) Die Absätze 2 und 3 [Bereiche, in denen unter bestimmten Voraussetzungen Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden können] gelten nicht für Beschlüsse mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen.


Zitat von gelegentlicher Besucher
Zitat von FTT
und entstammt meiner Vermutung nach der Propaganda eines Teils der "No-Campaign", der es mit den Fakten nicht so ernst nimmt.

Anders als die Ja-Seite, die diesen Vertrag als etwas anderes als dengescheiterten Verfassungsvertrag vekaufen wollte hat die Nein-Seite nicht gelogen.


Doch hat sie schon, weil ich die entsprechenden Falschinformationen über die zwangsweise Entsendung irischer Soldaten nach Mehrheitsbeschluss des Rates auf einer Seite der "No-Campaign" persönlich gefunden habe.

<blockquote><font size="1">Zitat von gelegentlicher Besucher
Was die Einstimmigkeit angeht klingt das für mich nach einer Frage die absehbar mit dem nächsten Vertrag kommt, denn wenn man im Rahmen der "strukturierten Zusammenarbeit" erstmal gemeinsame Verbände aufgestellt hat, wird es natürlich ziemlich offensichtlich sein, dass man die schlecht von einem handlungsunfähigen Gremium kommandieren lassen kann... Diese Salamitaktik ist bei der EU ja nun wirklich eine ganz alte Tradition.[/quote]

Ihre seherischen Fähigkeiten, die ja an mehreren Stellen Ihren Beitrag durchziehen, in Ehren, wette ich mit voller Überzeugung gegen diese wie gegen die meisten anderen Prognosen.

Lassen sie mich anmerken, dass gemeinsame Verbände (a) unabhängig vom Reformvertrag bereits bestehen, (b) das operative Kommando vom "Entsendungsorgan" zu trennen ist, (c) der Befund zur Salamitaktik Erläuterung bedarf.

<blockquote><font size="1">Zitat von gelegentlicher Besucher
Natürlich gibt es auch in vielen Staaten eine Fusion der legislativen und exekutiven Gewalten aber dann wechselt mit dem Wahlergebnis eben auch die ganze Regierung.[/quote]

Schweiz?

<blockquote><font size="1">Zitat von gelegentlicher Besucher
Das Parlament kann zwar wie bei Buttiglione ein Mitglied abschießen weil seine Religion nicht genehm ist, aber eben nicht weil seine Politik nicht passt, denn dann gibt es eben einen Ersatzkommissar aus der gleichen Partei.[/quote]

Bei Buttiglione war die Religion - auch zugespitzt ausgedrückt - nicht das Problem. Außerdem orientiert sich die Besetzung der Kommission eben doch an den Mehrheitsverhältnissen im Parlament.

<blockquote><font size="1">Zitat von gelegentlicher Besucher
Und auch wenn Frau Merkel in ihrer Regierung auch nur eine Stimme hat, ist hat sie eben nicht den einzigen Kabinettsposten dessen Besetzung von der Mehrheit im Bundestag abhängt.[/quote]

Misstrauensvoten gegen einzelne Mitglieder der Bundesregierung sucht man vergeblich im GG. In präsidentiellen Systemen gibt es übrigens, wie Sie wissen, keinerlei Einfluss der Legislative auf die Exekutive.

<blockquote><font size="1">Zitat von gelegentlicher Besucher
Wenn nicht gerade eine nationale Wahl gleichzeitig stattfindet ist die parteipolitische Zusammensetzung der Kommission also schon vor der Wahl klar (der Präsident ist ja auch Kommissar, wird also sozusagen auf einen Fachkommissar angerechnet). Das ist trotz ähnlichem Aussehen ein ganz anderes Verfahren als die faktische indirekte Regierungswahl in einer parlamentarischen Demokratie.[/quote]

Wie die Realität zeigt, gibt es "die faktische indirekte Regierungswahl in einer parlamentarischen Demokratie" nicht, sondern tausend Variationen. Bei Barroso war auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im EP klar, dass der Präsident aus den Reihen der EVP kommen musste.
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