"Was ist Realität" fragt bündig Ulrich Schnabel im aktuellen Heft von "Zeit Wissen". Er gibt eine triviale, eine - finde ich - arg vordergründige Antwort.
Etwas hintergründiger ging es da schon vor zweieinhalb tausend Jahren zu, als die Vorsokratiker als erste (als erste im Abendland, genauer gesagt) die Frage nach der Realität stellten.
es ist schön dass sie mit einigen Diskussionen zu philosophischen Fragen beginnen wollen. Philosophie ist ein Hobby, dass bei mir leider viel zu kurz kommt.
Trotzdem möchte ich noch einen Gesichtspunkt zu Ihren Gedanken über die Realität hinzufügen. Die Antwort in der "Zeit" (Realität ist stets das, was wir dafür halten) ist wirklich etwas platt und eigentlich wohl eher eine hilflose Kapitulation vor diesem scheinbar leichten Problem. Meiner Meinung nach gibt es allerdings eine Basis, die man bei dieser Frage wohl nicht verlassen kann: Eine objektive Realität gibt es nicht. Eine objektive Realität gäbe es nur dann wenn es möglich wäre, eine "nicht-menschliche" Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erhalten und dies mit der menschlichen Wahrnehmung zu vergleichen - doch selbst dann gäbe es eine Unsicherheit, da beides eben nur Wahrnehmungen sind.
Solange dies nicht möglich ist, muß der Mensch eben das "Maß aller Dinge sein", der "Maßstab".
Bleibt also die menschliche Realität und das ist eben nicht das was wir dafür halten sondern das, was wir erfahren. Selbst Träume und Gefühle sind Realität; eben subjektive. (Eine New-Age-Antwort wäre wohl: "Realität ist" ) Ich gebe zu, das ich damit eventuell den Weihnachtsmann eine gewisse Realität gebe, aber wenn jemand nun mal fest an ihn glaubt ist das nun mal die Realität dieses Individuums.
Ob und wie man daraus eine allgemeine Realität ableiten kann ist eine schwierige Frage, die ich hier auf die Schnelle nicht beantworten kann
Zitat von VolkerDDie Antwort in der "Zeit" (Realität ist stets das, was wir dafür halten) ist wirklich etwas platt und eigentlich wohl eher eine hilflose Kapitulation vor diesem scheinbar leichten Problem.
Es ist, lieber VolkerD, aus meiner Sicht eine nicht nur flapsige (offenbar an das Scherzwort: "Intelligenz ist, was die Intelligenztests messen" angehängte), sondern auch ausgesprochen dumme Antwort.
Denn der Begriff "Realität" ist ja ein Begriff, der überhaupt nur zusammen mit dem Begriff des "Scheins" (des Irrtums, des Bloß-Meinens, des Irrealen usw.) einen Sinn ergibt.
Ob etwas real ist, fragen wir, weil wir Reales von dem unterscheiden wollen, was gar nicht real ist, aber dafür gehalten wird.
Wenn aber alles real ist, was jemand für real hält, dann fallen Schein und Realität zusammen. Der Begriff der Realität wird dann sinnleer.
So sinnleer, wie der Begriff der Wahrheit wird, wenn man annimmt, daß jede Aussage wahr ist, nur weil sie jemand macht. Wahr und falsch sind dann nicht mehr unterscheidbar; der Begriff der Wahrheit wird sinnleer.
Zitat von VolkerDEine objektive Realität gibt es nicht. Eine objektive Realität gäbe es nur dann wenn es möglich wäre, eine "nicht-menschliche" Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erhalten und dies mit der menschlichen Wahrnehmung zu vergleichen.
Welche Realität wollen Sie denn dann mit dieser Ihrer Aussage beschreiben?
Tut mir leid, ich weiß, mit diesem Einwand mache ich es mir einfach, aber ich konnte einfach nicht widerstehen...
-- El reaccionario, hoy, es meramente un pasajero que naufraga con dignidad. - Nicolás Gómez Dávila
In Antwort auf:Ob etwas real ist, fragen wir, weil wir Reales von dem unterscheiden wollen, was gar nicht real ist, aber dafür gehalten wird.
Wenn aber alles real ist, was jemand für real hält, dann fallen Schein und Realität zusammen. Der Begriff der Realität wird dann sinnleer.
So sinnleer, wie der Begriff der Wahrheit wird, wenn man annimmt, daß jede Aussage wahr ist, nur weil sie jemand macht. Wahr und falsch sind dann nicht mehr unterscheidbar; der Begriff der Wahrheit wird sinnleer
Da gebe ich Ihnen recht; nur: wie kann man die individuelle Realität von dem trennen was allgemein real ist? Gibt es eine "neoliberale Verschwörung von Kapitalisten" oder ist dass der Weihnachtsmann von (leider zu vielen) Menschen die sich als "links" gerieren?
Es wird ein allgemeiner Maßstab benötigt, aber wo liegt dieser, wie kann man ihn definieren
Zitat von VolkerDEine objektive Realität gibt es nicht. Eine objektive Realität gäbe es nur dann wenn es möglich wäre, eine "nicht-menschliche" Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erhalten und dies mit der menschlichen Wahrnehmung zu vergleichen.
Welche Realität wollen Sie denn dann mit dieser Ihrer Aussage beschreiben? Tut mir leid, ich weiß, mit diesem Einwand mache ich es mir einfach, aber ich konnte einfach nicht widerstehen...
Ist es ein Einwand, lieber Gorgasal? Sie stellen ja nur eine Frage; und die naheliegende Antwort - ich glaube, so ähnlich hat VolkerD gerade auch geantwortet - könnte lauten: Meine eigene, subjektive Realität.
Allgemein: Ist es wirklich ein Einwand gegen den Relativismus, daß er sich selbst absolut setze, also dementiere?
Zitat von VolkerDwie kann man die individuelle Realität von dem trennen was allgemein real ist? Gibt es eine "neoliberale Verschwörung von Kapitalisten" oder ist dass der Weihnachtsmann von (leider zu vielen) Menschen die sich als "links" gerieren? Es wird ein allgemeiner Maßstab benötigt, aber wo liegt dieser, wie kann man ihn definieren
Ein wenig, lieber VolkerD, möchte ich Sie da auf die kommenden sieben Folgen vertrösten.
Aber zum Trost schon mal eine vorläufige Antwort: Es gibt zwei Maßstäbe, Empirie und Logik. Sie betreffen zwei verschiedene Arten von Wahrheit; Leibniz hat sie als erster (glaube ich) unterschieden und - er schrieb ja meist französisch - vérités de raison und vérités des fait genannt; Vernunftwahrheiten und empirische Wahrheiten.
Es sind, nach Leibniz, Vernunftwahrheiten, daß etwas nicht zugleich wahr und falsch ist und daß es zwischen zwei Punkten auf einer Geraden unendlich viele weitere Punkte gibt (diese Beispiele, sind mir eben eingefallen, an die von Leibniz kann ich mich nicht erinnern).
Das sind deshalb Vernunftwahrheiten, weil uns die Vernunft sagt, daß es nicht anders sein kann. Es widerspricht dem Begriff der Wahrheit, daß etwas zugleich wahr und nicht wahr sein kann. Es widerspricht dem Begriff der Geraden, daß es zwischen zwei Punkten keinen weiteren gibt, denn dann gäbe es an dieser Stelle eine Lücke; die Punkte würden somit gar nicht auf einer Geraden liegen.
Daß hingegen die Strecke von Hannover nach München länger ist als die von Hannover nach Hamburg, das ist eine empirische Wahrheit. Es wäre nicht vernunftwidrig, wenn die nach Hamburg länger wäre. Aber es ist nicht so. Und wir wissen es, weil es Methoden gibt, es nachzuweisen.
Leibniz hätte zB in Hannover sein Ränzlein schnüren und einmal, seine Schritte zählend, nach Hamburg wandern können, einmal nach München.
Aber was ist nun mit Verschwörung der Kapitalisten, lieber VolkerD? Ganz einfach - wenn jemand ihre Existenz behauptet, dann muß er sie beweisen. So, wie Leibniz das mit dem Schrittezählen tut, als vérité de fait also.
Eine Aussage ist zwar immer entweder wahr oder falsch. Aber nicht immer wissen wir auch, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Bei einer vérité de raison bedarf es vielleicht eines schwierigen Beweises; bei einer vérité de fait vielleicht komplizierter Messungen, um herauszufinden, ob sie wahr oder falsch sind.
Und sehr oft müssen wir uns mit Vermutungen begnügen, mit Wahrscheinlichkeitsaussagen. Wir wissen oft nicht sicher, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Das ändert nix daran, daß es entweder wahr oder falsch ist.
So auch mit der Realität: Etwas ist entweder real oder nicht. Aber oft wissen wir nicht, ob das eine oder das andere der Fall ist.
ob diese Schlußfolgerung am Ende des Artikels wirklich ein Plattitüde ist? Natürlich nutzen Naturwissenschaftler und Ingenieure Meßinstrumente. Das wäre der Hort der Rationalität. Aber wenn sie im trauten Kreise der Fachkollegen zusammensitzen und über neueste Ergebnisse diskutieren, sind sie meisten ohne ihre Instrumente unterwegs. Sie waren doch oft genug auf solchen Veranstaltungen. Solange es keine wirklich strittige Fragen und Ergebnissen sind, über die diskutiert wird, mag es sehr rational zugehen. Ist dies nicht der Fall und es gibt Zoff in der Wissenschaft, das gleichnamige Buch ist übrigens sehr lesenswert, ist das Diskutieren, Entscheiden und Handeln nicht unbedingt von Rationalität bestimmt. Dann können selbst seriöse, ansonsten ruhige und gelassene hoch- und höchstrangige Wissenschaftler mit allen Würden, die Menschen so verteilen, sich in eine Gruppe Hell Angels verwandeln. Bis auf die Rockerkluft und die Schlägerei stimmte eigentlich alles. 1989 im Herbst im Max Planck Institut für Physikalische Chemie selbst miterlebt.
Das Wissenschaftler immer ein Bollwerk der Rationalität sind, kann man wirklich nicht sagen. Dann kommt, wie bei dieser netten Diskussion 1989, sehr wohl die sehr sehr subjektive Wahrnehmung der Realität zum Tragen, die Fesseln der Erfahrungen und Überzeugungen, von denen sich selbst Wissenschaftler nicht immer befreien können.
Zitat von LiberoDas Wissenschaftler immer ein Bollwerk der Rationalität sind, kann man wirklich nicht sagen. Dann kommt, wie bei dieser netten Diskussion 1989, sehr wohl die sehr sehr subjektive Wahrnehmung der Realität zum Tragen, die Fesseln der Erfahrungen und Überzeugungen, von denen sich selbst Wissenschaftler nicht immer befreien können.
Sehen Sie das tatsächlich anders? Interessant!
Nein, das sehe ich nicht anders, lieber Libero.
Nur, wer leidenschaftlich diskutiert, wer Abends beim Wein und Wiskey seinen Gedanken freien Lauf läßt (ich nenne das gern "ins Unreine denken"), der weiß ja - wenn er ein ernstzunehmender Wissenschaftler ist -, daß er über Vermutungen, vielleicht über persönliche Überzeugungen diskutiert.
Und er weiß das von dem Bemühen um wissenschaftliche Wahrheit zu trennen. Wenn er ein Manuskript schreibt, dann begründet er die Auffassung, die er dort vertritt, nicht damit, daß das nun mal seine Überzeugung sei, sondern mit Daten.
Er publiziert seine Daten und seine Interpretation dieser Daten in der Absicht, zu einer gemeinsamen Erkenntnis der Welt beizutragen. Nicht, um seine persönliche Weltsicht zu propagieren.
Jedenfalls, wenn er ein "bürgerlicher" Wissenschaftler ist. Bei Marxisten ist das freilich anders. Für die ist Wissenschaft ebenso parteilich wie Kunst und Kultur. Und es ist diese Politisierung, und damit Relativierung, der Wissenschaft, die leider in den siebziger Jahren auch an deutschen Unis hier und da Einzug gehalten hat.
In dieser zweiten Folge gehte es um dasjenige Phänomen, das deutlicher als jedes andere die Frage nach Realität und Schein aufwirft: den Traum.
Träume sind irreal in dem Sinn, daß das, was wir im Traum erleben, sich gar nicht tatsächlich abspielt. Sind sie aber überhaupt in dem anderen Sinn real, daß wir, während wir schlafen, von Zeit zu Zeit - zur jeweiligen REM-Zeit, sozusagen - ein "Traumbewußtsein" haben? Daß wir Erleben haben, phänomenales Bewußtsein, englisch mentation? Nicht einmal das ist sicher.
Schriftsteller und Philosophen haben ein sehr unterschiedliches Verhältnis zum Träumen. Den einen ist es mehr Inspiration, den anderen mehr das, was Descartes stupor genannt hat. Oft wird das nur matt mit "Erstaunen" übersetzt. In meiner Übersetzung steht "Benommenheit". Man könnte auch "Schauder" sagen.
Vielleicht ist ja die Realität wirklich nur das, was man sich jeweils gerade darunter vorstellt, jedoch hilft die Vorstellung, es gäbe eine objektive Realität sehr dabei, sich vorzustellen, daß man sich jetzt in diesem Augenblick im Irrtum befinden könnte.
Und ohne diese Vorstellung wäre das Leben keine Komödie, und deshalb lasse ich sie mir von den Phänomenalisten, Solipsisten und Relativisten auch nicht nehmen!
Die Frage ist doch, ob man in einer Welt leben möchte, in der alles offen zutage liegt, die sich aber ständig ändert, oder in einer Welt, in der sich nur unsere Vorstellungen über sie ändern, während sie bleibt wie sie ist und uns gelassen übersteht?
Ohne eine Welt, die sich uns souverän entzieht, würde dem Handeln und dem Forschen der Ernst fehlen, wie etwa bei jenen Politikern, die jeden Tag eine feste Überzeugung haben.
Fazit: im Relativismus ist nichts richtig lustig und nichts richtig ernst. Ich mag ihn nicht.
Die Frage, ob es eine objektive Realität gibt, dürfte damit geklärt sein. Nun fragt sich noch, wie sie denn ist, diese Realität. Und da zeigt sich, daß wir erschreckenderweise in drei oder sogar vier Realitäten gleichzeitig leben, die miteinander unvereinbar strukturiert sind, die zwar zusammenhängen, wobei es aber es kaum vorstellbar ist, auf welche Weise.
Die erste ist die sprachlich-zwischenmenschliche Wirklichkeit. Sie enthält Personen, die miteinander kommunizieren, wobei sie Symbole benutzen, die sich, wie oben dargelegt, auf eine objektive, in diesem Fall intersubjektive Welt beziehen.
Die zweite ist die sinnlich-bewußte Realität, die Wirklichkeit unserer Wahrnehmungen, Gedanken, Weltvorstellungen. Im Vergleich zur ersten ist sie privat: das heißt, im Rahmen der ersten Realität betrachtet, gibt es die bewußten Vorstellungen auf zweierlei Weise, nämlich als die eigenen und die der anderen. Für uns selbst sind private Empfindungen manchmal die bedrängendste ungebändigste Wirklichkeit, während uns unsere diesbezüglichen Beteuerungen dann keiner abnimmt, vor allem die nicht, die es angeht. Die unverständliche Ausnahme, die ich unter allen Personen für mich darstelle, macht den Zusammenhang zwischen der bewußten und der sozialen Welt so schwer erklärbar. Die anderen sind sich ja ebenso eine Ausnahme, aber doch nicht so wie ich mir...
Die dritte Realität ist eine weniger unmittelbar erfahrbare, nämlich die materielle Welt. Sie ist nicht gegeben, sondern erschlossen, und somit haben sich die Vorstellungen darüber im Lauf der Zeit stark verändert. Während die erste Realität betreffende Sätze wie beispielsweise "... und dann fragte Theaitetes den Sokrates ... worauf Sokrates den Kallias für seine Einsicht lobte ..." u. dgl. auch heute noch ohne weiteres verständlich und überzeugend sind, wirken die Naturvorstellungen der Alten doch oft sehr fremdartig. Trotzdem würde ich auch die physikalische Realität nicht bestreiten wollen, obwohl anzunehmen ist, daß die meisten unserer Theorien darüber falsch sind. (Oder passen die Grundtheorien etwa inzwischen zusammen?)
Viel Aufwand wird getrieben, um die bewußte Realität aus der materiellen abzuleiten, schon seit Jahrhunderten, und heute immer noch mit Hirnforschung und was weiß ich was. Auch das Umgekehrte wurde öfter schon ebenso erfolglos versucht. Ich nehme an, es geht weder in der einen noch in der anderen Richtung. Eine physikalische Erklärung der Wort->Sache-Beziehung steht wohl auch noch aus, ich weiß gar nicht, ob sich das überhaupt schon jemand vorgenommen hat, während die Versuche, alle Wirklichkeit als sprachlich-sozial zu deuten trotz ihrer Beliebtheit bei Studiosi und Zeit-Autoren mit ihren "kulturellen Prägungen" u.dgl. wohl auch nicht gelungen sind und vermutlich nicht gelingen werden.
Drei Realitäten, die kein systematisches Ganzes bilden. Vielleicht gibt's sogar noch eine vierte Wirklichkeit, die transzendente. Dafür spricht vor allem der Gedanke, wenn es schon drei sind, warum nicht auch vier? (Meinte Spinoza nicht, wir lebten sogar in unendlich vielen Realitäten zugleich?) Mir erscheint das plausibel. Andererseits ist der Zugang zur Transzendenz (per mystischer Erfahrung, göttlicher Offenbarung oder buddhistischer Erleuchtung) noch viel seltener und unverlässlicher als es selbst unsere unzulänglichen naturwissenschaftlichen Theorien sind. Demzufolge spielt das Wunschdenken, wie etwa die Hoffnung, die Sehnsucht nach Sinn oder die Befreiung von der Pfaffenherrschaft usw. bei der Bejahung oder Bestreitung der Transzendenz eine entscheidende Rolle. "Glaube ist Hoffnung" behauptet so der Hl. Vater (in "Spe salvi").
Das wäre dann natürlich wieder so ähnlich wie in der zwischenmenschlichen Realität. In der bewußten Realität hingegen gibt es weder Wunschdenken noch Mutmaßungen: "Wenn ich Wärme fühle, mag ich mich täuschen, und es ist gar nicht wirklich warm, weil ich ja womöglich nur träume, aber daß ich empfinde, als sei es warm, ist untrüglich wahr" usw. Descartes. Bei der materiellen Welt hingegen brauchen wir zwar Mutmaßungen, sind aber nicht grundsätzlich aufs Hoffen angewiesen, wenn auch in der Praxis sehr häufig.
Die Wirklichkeit ist also sowohl strukturell als auch epistemisch fragmentiert. Wir tanzen sozusagen auf drei Hochzeiten gleichzeitig und das ist immerhin aufregender als nur auf einer zu sein. Ein bißchen seltsam ist freilich auch.
Zitat von ZettelIch wachte auf und erinnerte mich an einen Traum. Kann ich sicher sein, diesen Traum, schlafend - in einer REM-Phase meines Schlafs - tatsächlich erlebt zu haben? Gibt es überhaupt ein Traumbewußtsein?
Stellt sich diese Frage nicht auch bei dem Wachbewußtsein? Habe ich den Spaziergang nach dem Essen heute tatsächlich erlebt?
Russell spekulierte mal, wenn die Welt vor fünf Minuten erschaffen wurde, mitsamt allen Gedächtnisspuren, Archiven, Tonscherben im Wüstensand usw., dann wären alle Aussagen der Geschichtswissenschaft falsch; Napoleon hätte nie gelebt, der Trojanische Krieg nicht stattgefunden, Russell niemals promoviert usw., ohne daß wir die geringste Chance hätten, diese Annahme zu widerlegen.
Es haut einem bei solch einem Argument erstmal die Beine weg; es soll aber Zeugnisse geben, wonach Russells Bemerkung eine ausgiebige ernsthafte Debatte nach sich gezogen habe.
Eine andere Frage ist die, ob es überhaupt Bewußtlosigkeit gibt: wenn wir meinen, gerade eben aus Bewußtlosigkeit erwacht zu sein, liegt das womöglich nur daran, daß die Bewußtheit zuvor keine Spuren im Gedächtnis hinterlassen hat? Manchmal, wenn ich nach einem Traum aufzuwachen glaube, kann ich miterleben, wie die Erinnerung an den Traum zu zerfallen scheint. Zerfällt das Gedächtnis schneller, als ich es schlaftrunken aufgreifen kann, bilde ich mir dann ein Erwachen aus Bewußtlosigkeit ein?
Zitat von ZettelIch wachte auf und erinnerte mich an einen Traum. Kann ich sicher sein, diesen Traum, schlafend - in einer REM-Phase meines Schlafs - tatsächlich erlebt zu haben? Gibt es überhaupt ein Traumbewußtsein?
Stellt sich diese Frage nicht auch bei dem Wachbewußtsein? Habe ich den Spaziergang nach dem Essen heute tatsächlich erlebt?
Das sehe ich auch so. Jede Erinnerung kann ein false memory sein. Im Experiment kann man solche false memories sogar gezielt sozusagen in ein Gehirn einpflanzen.
Allerdings sehe ich einen wesentlichen Unterschied zur Sachlage beim Träumen:
Daß Sie zu der Zeit bei Bewußtsein waren, als sie den Spaziergang machten, an den Sie sich erinnern (wenn Sie ihn denn machten), ist aufgrund anderer, ähnlicher Erfahrungen zu vermuten (als zum Beispiel Ihr Nachbar sie sah).
Beim Erinnern von Träumen hingegen könnte es sein, daß sich grundsätzlich vor dem Aufwachen nichts im Bewußtsein abspielt. Es muß nicht so sei, aber es kann. Wir wissen es nicht; und bisher ist mir keine Möglichkeit eingefallen, wie man das überprüfen könnte.
Zitat von KalliasRussell spekulierte mal, wenn die Welt vor fünf Minuten erschaffen wurde, mitsamt allen Gedächtnisspuren, Archiven, Tonscherben im Wüstensand usw., dann wären alle Aussagen der Geschichtswissenschaft falsch; Napoleon hätte nie gelebt, der Trojanische Krieg nicht stattgefunden, Russell niemals promoviert usw., ohne daß wir die geringste Chance hätten, diese Annahme zu widerlegen.
Es haut einem bei solch einem Argument erstmal die Beine weg; es soll aber Zeugnisse geben, wonach Russells Bemerkung eine ausgiebige ernsthafte Debatte nach sich gezogen habe.
Zu Recht, finde ich. Auch wenn das Argument heutzutage eher in abgewandelter Form von Kreationisten verwendet wird: Vor 6000 Jahren wurde die Welt von Gott mit allen Merkmalen geschaffen, die darauf schließen lassen, sie sei Milliarden Jahre alt.
Was Russells Szenario angeht, kann man allerdings fragen, worin denn der Unterschied besteht. Angenommen, die Welt wurde vor fünf Minuten erschaffen und wir beide, samt allen anderen daran Interessierten, beginnen jetzt mit dem Versuch, uns einen Reim auf alle diese Dokumente usw. zu machen - dann käme so ungefähr dasselbe heraus wie jetzt.
Zitat von KalliasEine andere Frage ist die, ob es überhaupt Bewußtlosigkeit gibt: wenn wir meinen, gerade eben aus Bewußtlosigkeit erwacht zu sein, liegt das womöglich nur daran, daß die Bewußtheit zuvor keine Spuren im Gedächtnis hinterlassen hat?
Vielleicht ist es gar keine andere Frage, sondern dieselbe, von der anderen Seite betrachtet?
Augustinus hat den Begriff Memoria verwendet, von dem manche meinen, er sei ein Vorläufer des Begriffs des Bewußtseins. Von William James stammt der Satz "our consciousness is an after-consciousness" (aus dem Gedächtnis zitiert).
Das Problem hat praktische, ja ethische Aspekte. Wie sicher kann man eigentlich sein, daß jemand, der in Narkose liegt, keine Schmerzen empfindet? Daß er sich nach Ende der Narkose nicht daran erinnert, besagt nichts; eines der Narkotika könnte auch das Gedächtnis ausgelöscht haben. Daß er nicht die üblicherweise mit Schmerz einhergehenden Reflexe zeigt, ist ein stärkeres, aber kein zwingendes Argument; denn Narkotika lähmen auch die Motorik. Auch wird bei der Diagnose von Bewußtsein auf Reflexe keine Rücksicht genommen, weil man davon ausgeht, daß die auch ohne Bewußtsein funktionieren.
Zitat von KalliasManchmal, wenn ich nach einem Traum aufzuwachen glaube, kann ich miterleben, wie die Erinnerung an den Traum zu zerfallen scheint. Zerfällt das Gedächtnis schneller, als ich es schlaftrunken aufgreifen kann, bilde ich mir dann ein Erwachen aus Bewußtlosigkeit ein?
Es könnte auch sein, daß die in einem Zustand der Bewußtlosigkeit, aber der Aktivität bestimmter Systeme im Gehirn gebildeten Spuren, die uns "Erinnerungen" vorgaukeln, schnell zerfallen.
Entgegen dem, was man vor einem halben Jahrhundert dachte, als Kleitman und Mitarbeiter ihre bahnbrechende Entdeckung des REM-Schlafs machten, "gibt" es auch im NREM-Schlaf eine Art Träumen, nur weniger lebhaft, weniger bizarr.
Woher weiß man das? Weil Personen, die man in einer NREM-Phase weckt, dennoch von solcher mentation erzählen. Aber wann fand sie statt? Findet sie überhaupt als bewußtes Erleben statt?
Danke, lieber Kallias, für Ihre sehr interessante Kommentierung!
in diesem Zusammenhang möchte ich Sie auf das Buch "Exploring the World of Lucid Dreaming" von Stephen LaBerge und Howard Rheingold verweisen, das sich unter anderem mit Traumerkennungstechniken beschäftigt. Das sprichwörtliche Kneifen funktioniert leider nicht. Eine empfohlene Methode besteht darin, zweimal hintereinander auf eine Uhr zu schauen oder geschriebenen Text zu lesen. Bedauerlicherweise ist es mir bisher allerdings noch nicht gelungen, luzides Träumen oder "Klarträumen" zu erlernen.
Fiction und Nonfiction - das sind die beiden Kategorien, in die Bücher üblicherweise eingeteilt werden.
Diese dritte Folge der Serie befaßt sich mit Unterschieden, vor allem aber mit der Grenze zwischen Fiktion und Realität.
Anhand von allerlei Beispielen - sozusagen von Homer bis zu Oliver Pocher - versuche ich zu zeigen, daß Realität und Fiktion oft nicht scharf getrennt sind.
Umso so dringlicher stellt sich die Frage, was eigentlich das Merkmal des Realen ist, das sigillum veri, wie es Thomas von Aquin nannte.
In Antwort auf:Was also ist der Unterschied? Nicht das Fiktive ist das definierende Merkmal der Fiction, sondern der Umstand, daß das Fiktive so dargestellt wird, als sei es real. Das Wesen der Fiction ist es, so zu tun, als schildere sie Realität.
Vielleicht etwas off topic, lieber Zettel, aber irgendwie doch auch hierher gehörend: Worin besteht eigentlich der "wirkliche" Unterschied zwischen einem Original und einer Kopie, die so täuschend echt gemacht ist, daß selbst Experten sie nicht als solche erkennen können? (Dabei ist es egal, ob es sich um ein Bild, ein Möbelstück oder ne Jacke von Elvis handelt. Auch spreche ich hier nicht über den Tauschwert, wie das z.B. bei einer täuschend echt nachgemachten Banknote der Fall wäre. Ich meine also nur den "Gefühlswert" bei Kopie vs. Original.)
In Antwort auf: Ganz einfach - wenn jemand ihre Existenz behauptet, dann muß er sie beweisen [...] Und sehr oft müssen wir uns mit Vermutungen begnügen, mit Wahrscheinlichkeitsaussagen. Wir wissen oft nicht sicher, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Das ändert nix daran, daß es entweder wahr oder falsch ist.
Die meisten Aussagen sind weder wahr noch falsch. "Herr X hat aufgehört seine Frau zu schlagen" kann wahr oder falsch sein oder schlicht eine unsinnige Aussage, weil Herr X niemals seine Frau geschlagen hat. Genauso kann die Aussage "Es gibt eine neoliberale Weltverschwörung" eine unsinnige Aussage sein. Die Strecken zwischen 3 Städten zu definieren, um Aussagen über die Relationen der Abstände zu machen, setzt einen Abstandsbegriff voraus, den ich erstmal einführen muss. Je nachdem welchen ich wähle, kann ich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Bei dem Abstand werden wir noch so etwas wie einen "common sense" finden. Ob nun euklidischer Abstand oder mit Korrekturen durch die Krümmung der Erdoberfläche - wahrscheinlich werden alle Menschen ähnliche Abstandsbegriffe verwenden. Aber was ist mit den Teilen unser Realität, wo wir nicht zu fast gleichen Antworten kommen? Was passiert, wenn wir uns von der wunderschön ästhetischen Welt der Mathematik mit ihren meist entscheidbaren Aussagen wegbewegen, von den naturwissenschaftlichen Versuchsaufbauten mit ihrem Drang nach Messgenauigkeit? Die restliche Welt ist weder ästhetisch noch messgenau. Die Frage, meiner Meinung nach, ist deshalb nicht ob wir wissen, ob die Aussage wahr oder falsch ist sondern ob wir zumindest wissen könnten, also ob die Aussage überhaupt einen Sinn macht. Denn womit wir bei der Beurteilung der dreckigen Realität antreten, ist ein Werkzeugkasten von Deutungsmustern, die für kleine Menschengruppen geschaffen sind. Verschwörung? Hans und Franz intrigieren gegen den Anführer der Clique, Heinz. Julia lästert über Monika und setzt falsche Behauptungen in die Welt. Mit sowas kommen wir klar. Aber wenn wir jetzt die Frage stellen, ob es eine Verschwörung gibt, die weltweit Folgen hat und in die damit vielleicht Millionen Menschen verwickelt sind, dann ist das doch ein bischen so wie wenn sich zwei Blinde darüber streiten, ob eine Blüte blau oder gelb ist. Wie soll man eine solche Behauptung wie "es gibt eine neoliberale Weltverschwörung" also beweisen oder widerlegen? Ist jemand, der schwarze und blonde Haare auf dem Kopf hat, blond? Für den Beweis dieser Aussage kann ich seine blonden Haare vorlegen, für die Widerlegung seine schwarzen.
In dieser vierten Folge geht es a bisserl hin und her zwischen Philosophie, Sozialwissenschaft, Psychologie und Physiologie.
Sie alle befassen sich wissenschaftlich damit, wie unser Bild der Welt entsteht; wie es im Kopf - in der Seele, sagte man bis vor einem Jahrhundert - gebildet wird.
Bedingt durch die unerwartete Pause, geht diese Serie nun nicht mit der Zeit "zwischen den Jahren" zu Ende. Das ergibt, daß ich ihren bisherigen, auf diese Zeit gemünzten Obertitel von dieser Folge an weglasse.
Pentas
(
gelöscht
)
Beiträge:
03.01.2009 11:57
#21 RE: Realität (4): Realität als Konsens. Distales Fokussieren
In Antwort auf:Atome, Gene und schwarze Löcher entziehen sich unserer eigenen, unmittelbaren Erfahrung ebenso wie Hera, Apoll und Poseidon sich der eigenen, unmittelbaren Erfahrung eines Griechen in der Antike entzogen haben.
Kommt auf dem Menschen an. In einem naturwissenschaftlichen Studium hat man teilweise schon eine unmittelbare Erfahrung mit gewissen Dingen. Im Grundpraktikum Atome kann man als Physikstudent "sehen" (mit einem Rasterkraftmikroskop), zumindest falls die Laborübung perfekt läuft.
Vielen Dank, lieber Zettel, für diesen weiteren grandiosen Beitrag in dieser Serie. Ich freue mich schon auf die anderen.
Beim Lesen fühlte ich mich, neben anderem, an die Wirtschaftswissenschaften erinnert. In diesem Fachbereich gibt es, wie in den Sozialwissenschaften allgemein, keine "Wahrheit". Erkenntnisse erlangt man durch das Aufstellen und Interpretieren von Modellen. Aber was ist Realität, was ist Fiktion an diesen Modellen. Darüber entscheidet dann die Plausibilität, also vor allem der Konsens.
Und dann, beim Kommentieren in einem Nachbarthread, fiel mir auf, dass noch eine andere Wissenschaften dasselbe Problem haben.
In Antwort auf:Atome, Gene und schwarze Löcher entziehen sich unserer eigenen, unmittelbaren Erfahrung ebenso wie Hera, Apoll und Poseidon sich der eigenen, unmittelbaren Erfahrung eines Griechen in der Antike entzogen haben.
Kommt auf dem Menschen an. In einem naturwissenschaftlichen Studium hat man teilweise schon eine unmittelbare Erfahrung mit gewissen Dingen. Im Grundpraktikum Atome kann man als Physikstudent "sehen" (mit einem Rasterkraftmikroskop), zumindest falls die Laborübung perfekt läuft.
Interessanter Punkt, lieber Pentas.
Einerseits ein Beispiel dafür, wie aus hypothetischen Konstrukten beobachtbare Sachverhalte werden. Aus meiner Sicht macht das - vielleicht wichtiger als theoretische Durchbrüche - einen großen Teil des wissenschaftlichen Fortschritts aus: Daß man immer genauer hinsehen kann. Die Hirnforschung zum Beispiel ist durch die bildgebenden Verfahren revolutioniert worden.
Ich habe das eine oder andere davon miterlebt und war immer wieder fasziniert. In der Astronomie ist das jüngste Beispiel, daß es jetzt erste Aufnahmen von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems gibt; zuvor konnte man auf ihre Existenz nur aus Bahnabweichungen des Zentralgestirns schließen.
Das andere ist aber, daß man ja die Atome im Rasterkraftmikroskop nicht wirklich sehen kann. Man sieht Strukturen, die auf Atome hinweisen. Aber was ist passiert? Ein schwingender Federbalken hat seine Frequenz geändert. Er tut das unterschiedlich, je nachdem, wo er sich relativ zu den Atomen der Probe befindet. Aber sehen tun wir sie nicht, die Atome. Wir können nur die Ergebnisse so darstellen, daß sie wie ein Bild der Anordnung von Atomen aussehen.
Zitat von dirkIch freue mich schon auf die anderen.
Das freut mich meinerseits, lieber Dirk. Denn das ist ja ein Experiment. Natürlich wird diese Serie nicht soviele Leser finden, als wenn ich über Andrea Ypsilanti oder Barack Obama schreibe. Aber ich möchte so etwas gelegentlich probieren. Und vermute a bisserl, daß es viele ganz interessant finden, auch wenn sie sich vielleicht nicht zu Wort melden. So, wie die ja fachlich nicht ganz einfache Diskussion mit Gomez (ich hoffe, er meldet sich mal wieder) von erstaunlich Vielen mitgelesen wurde.
Jedenfalls leiste ich mir die kleine Eskapade, und es macht mir Freude.
Zitat von dirkBeim Lesen fühlte ich mich, neben anderem, an die Wirtschaftswissenschaften erinnert. In diesem Fachbereich gibt es, wie in den Sozialwissenschaften allgemein, keine "Wahrheit". Erkenntnisse erlangt man durch das Aufstellen und Interpretieren von Modellen. Aber was ist Realität, was ist Fiktion an diesen Modellen. Darüber entscheidet dann die Plausibilität, also vor allem der Konsens.
So ist es, und doch auch wieder nicht; denke ich jedenfalls. Darum wird es in den nächsten Folgen gehen.
Ohne den Konsens geht es nicht. Aber der Konsens, für sich genommen, ist ja kein geeignetes Kriterium für Realität. Der Konsens der Mönche im Kloster Ebstorf, die die Weltkarte zeichneten, war falsch. Daß es einen Konsens gibt, hat für sich genommen überhaupt nichts damit zu tun, ob dessen Gegenstand die Realität ist oder Einbildung.
Zitat von dirk Und dann, beim Kommentieren in einem Nachbarthread, fiel mir auf, dass noch eine andere Wissenschaften dasselbe Problem haben.
Ja, in der Tat. Zumal die "Klimatologie" ja bis vor kurzem gar keine Wissenschaft war.
Es ist eine Disziplin, die ihre ersten, tastenden Schritte macht, die aber durch politischen Druck (und politische, finanzielle Lockungen) veranlaßt wird, sozusagen intellektuell ständig über ihre Verhältnisse zu leben.
Es ist viel mehr ein interdisziplinäres Unternehmen als eine Wissenschaft. Es müßte dort gestritten werden, über die Methodik und die wissenschaftstheoretischen Grundlagen; so, wie es die Psychologie rund hundert Jahre lang getan hat. Stattdessen erwarten alle von diesem Baby, daß es sich wie ein Erwachsener benimmt.
Zitat von OmniDie meisten Aussagen sind weder wahr noch falsch.
Jede Aussage, lieber Omni, ist entweder wahr oder falsch. Tertium non datur. (Es hat Versuche einer mehrwertigen Logik gegeben; aber das klammere ich jetzt mal aus).
Eine andere Frage ist, ob wir es wissen, ob eine Aussage wahr oder falsch ist. Sehr oft wissen wir das in der Tat nicht.
Zitat von Omni"Herr X hat aufgehört seine Frau zu schlagen" kann wahr oder falsch sein oder schlicht eine unsinnige Aussage, weil Herr X niemals seine Frau geschlagen hat.
Hm, ich glaube, so funktioniert es nicht. Die Aussage ist genau dann wahr, wenn X aufgehört hat, seine Frau zu schlagen. Sie ist falsch, wenn das nicht der Fall ist. Da gibt es kein Problem.
Ein Problem - einen Klassiker der unfairen Rhetorik - gibt es allerdings, wenn man jemanden fragt: "Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen, ja oder nein?"
Der Arme kann weder "ja" noch "nein" antworten. Aber das hat nix mit Realität zu tun. Es liegt daran, daß man Fragen so formulieren kann, daß sie sich nur dann mit "ja" oder "nein" beantworten lassen, wenn man bestimmte Voraussetzungen akzeptiert. Wie gesagt, ein altes (in der Tat seit der Antike bekanntes) Mittel der unfairen Rhetorik.
Zitat von OmniGenauso kann die Aussage "Es gibt eine neoliberale Weltverschwörung" eine unsinnige Aussage sein.
Sie ist nicht unsinnig in dem Sinn, daß die Frage nach ihrem Wahrheitswert ein Scheinproblem wäre. Sie ist nur schwer zu belegen.
Zitat von OmniDie Strecken zwischen 3 Städten zu definieren, um Aussagen über die Relationen der Abstände zu machen, setzt einen Abstandsbegriff voraus, den ich erstmal einführen muss. Je nachdem welchen ich wähle, kann ich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Stimmt. Ein vielleicht noch eindrucksvolleres Beispiel ist die Messung der Länge einer Küste. Je mehr Buchten und Buchten innerhalb der Buchten man einbezieht, umso länger wird die Küste.
Desgleichen bei einer Grenze. Fraktale sind nun einmal, das ist ihr Wesen, geschachtelt.
Zitat von OmniBei dem Abstand werden wir noch so etwas wie einen "common sense" finden. Ob nun euklidischer Abstand oder mit Korrekturen durch die Krümmung der Erdoberfläche - wahrscheinlich werden alle Menschen ähnliche Abstandsbegriffe verwenden.
Sie wissen alle intuitiv, was sie meinen. Dennoch haben Sie Recht: Auch "Abstand" muß operationalisiert werden. Aber auch hier sehe ich eigentlich keinen Zusammenhang mit dem Konzept der Realität. Wenn man messen will, muß man Meßdimension und Meßoperation definieren. Eine ganz andere Frage ist es, ob man richtig oder falsch mißt.
Zitat von OmniAber was ist mit den Teilen unser Realität, wo wir nicht zu fast gleichen Antworten kommen? Was passiert, wenn wir uns von der wunderschön ästhetischen Welt der Mathematik mit ihren meist entscheidbaren Aussagen wegbewegen, von den naturwissenschaftlichen Versuchsaufbauten mit ihrem Drang nach Messgenauigkeit? Die restliche Welt ist weder ästhetisch noch messgenau.
Ästhetisch schon - würde ich behaupten wollen. Aber das ist nun allerdings sehr subjektiv. Es hat nix mit Realität zu tun, sondern mit meiner subjektiven Beurteilung.
Meßbar ist die Welt in hohem Maß. In höherem, als man jeweils denkt. Ich habe vorhin in einem anderen Beitrag die Auffassung vertreten, daß der Fortschritt der Wissenschaften zu einem großen Teil darauf basiert, daß wir immer genauer hingucken können. Überwiegend bedeutet das: Wir können immer genauer messen. Bis hin zu politischen Einstellungen. (Man kann, siehe die letzten US-Präsidentschaftswahlen, das Ergebnis einer Wahl auf weniger als einen Prozentpunkt genau vorhersagen, wenn man genügend viele Daten hat).
Zitat von OmniDie Frage, meiner Meinung nach, ist deshalb nicht ob wir wissen, ob die Aussage wahr oder falsch ist sondern ob wir zumindest wissen könnten, also ob die Aussage überhaupt einen Sinn macht.
Erinnern Sie sich, lieber Omni, an den letzten Satz des Tractatus Logico-Philosophicus?
Er hat mich (so wie auch der erste "Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge") als Primaner ungeheuer beeinflußt; sozusagen mein Weltbild geprägt.
Zitat von OmniDenn womit wir bei der Beurteilung der dreckigen Realität antreten, ist ein Werkzeugkasten von Deutungsmustern, die für kleine Menschengruppen geschaffen sind.
Wohl wahr. Daraus arbeiten "wir" uns heraus - seit der griechischen Aufklärung, dann der Renaissance und der europäischen Aufklärung.
Zitat von OmniVerschwörung? Hans und Franz intrigieren gegen den Anführer der Clique, Heinz. Julia lästert über Monika und setzt falsche Behauptungen in die Welt. Mit sowas kommen wir klar. Aber wenn wir jetzt die Frage stellen, ob es eine Verschwörung gibt, die weltweit Folgen hat und in die damit vielleicht Millionen Menschen verwickelt sind, dann ist das doch ein bischen so wie wenn sich zwei Blinde darüber streiten, ob eine Blüte blau oder gelb ist.
Zitat von OmniWie soll man eine solche Behauptung wie "es gibt eine neoliberale Weltverschwörung" also beweisen oder widerlegen?
Ganz einfach: Wer eine Behauptung aufstellt, der muß den Beweis antreten. Es ist nicht die Aufgabe dessen, der irgendeinen Schwachsinn nicht glaubt, ihn zu widerlegen.
Das scheint mir ein weitverbreiteter Irrtum zu sein, der viel mit Unkenntnis der Bayes'schen Statistik zu tun hat. Wer etwas behauptet, das eine geringe a-priori-Wahrscheinlichkeit hat, der muß entsprechend mehr Belege beibringen als derjenige, der etwas behauptet, das bereits gut belegt ist.
Ich höre immer wieder - gerade auch von Studenten - das Argument: "Ja, aber könnte es denn nicht sein ... (daß es Ufos gibt, daß Homöopathie hilft, daß es einen Sozialismus gibt, in dem alle frei und wohlhabend sind usw.)". Die Antwort ist einfach: Ja, es könnte sein. Nur kann man ja nicht etwas schon deshalb glauben, weil es möglich ist. Man darf es erst dann glauben, wenn es hinreichend belegt ist.
Zitat von OmniIst jemand, der schwarze und blonde Haare auf dem Kopf hat, blond? Für den Beweis dieser Aussage kann ich seine blonden Haare vorlegen, für die Widerlegung seine schwarzen.
Wo ist das Problem? Er ist offenbar dunkelblond (so, wie ich grau bin: Beim genauen Hinsehen ist kein einziges Haar grau, sondern jedes ist entweder weiß oder schwarz).
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