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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 40 Antworten
und wurde 2.933 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

15.01.2009 20:27
#26 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten

Zitat von R.A.
Zitat von Gorgasal
Zitat von R.A.
alleine schon die Sprache scheint wohl zu merkwürdigen Denkformen zu verleiten


Da habe ich mich insofern etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt, als ich das nur unzureichend belegen kann.

Ein Freund hat mir vor Jahren erklärt, daß es im Arabischen nur geringfügige grammatikalische Unterschiede zwischen Indikativ und Konjunktiv gibt, daß bei nicht völlig exakter Aussprache kaum zu unterscheiden ist, ob ein Redner etwas wünscht, etwas vorhersagt, oder etwas für Realität erklärt.

Naja, das ist schwierig. Als semitische Sprache gibt es eine solche Trennung zwischen Indikativ und Konjunktiv eigentlich gar nicht, nur parallele Sprachformen. Insofern könnte man sagen, dass Sie da recht haben... allerdings gilt Ähnliches auch für das Hebräische. Aber vielleicht kann Ruth uns hier weiterhelfen, sie hat mich unlängst schon einmal semitistisch zurückgepfiffen

Grundsätzlich bin ich mit Erklärungen entlang der Sapir-Whorf-Hypothese skeptisch. Sprachfamilien einerseits und Kultur, Ideologie, Geographie, Kolonialgeschichte andererseits sind einfach sehr schwer zu trennen.
http://en.wikipedia.org/wiki/Sapir%E2%80%93Whorf_hypothesis

Zitat von R.A.
Und mir schien das glaubhaft, weil ein etwas, hmmm, unklares Verhältnis zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei arabischen Politikern noch stärker zu sein scheint als in anderen Ländern bei diesem Berufsstand üblich.

Und da haben Sie wiederum recht...

--
The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

15.01.2009 20:30
#27 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten

Zitat von Zettel
Also, lieber R.A., ich bleibe (erst mal) bei meiner These: Der Anschluß an die westliche Zivilisation, der den Kolonialgebieten im 19. Jahrhundert zwangsläufig (und natürlich gezwungenermaßen) zuteil wurde, fehlte den Kolonien des Osmanischen Reichs. Natürlich behaupte ich nicht, daß das der einzige Faktor ist; aber einer, der meist weniger gesehen wird.

Ich muss zugeben, dass diese Hypothese mich weniger überzeugt, werter Zettel. Die Unterschiede zwischen beispielsweise Indochina, Schwarzafrika, Algerien und dem Libanon - um bei französisch dominierten Kolonien zu bleiben - sind dermaßen viel stärker als die Gemeinsamkeiten, dass ich die Kolonialmacht nur als sehr viel schwächeren Einfluss sehe als die lokale Kultur. Beispielsweise sind Indochina von den Roten Khmer abgesehen bestialische Schlächtereien erspart geblieben, wie sie in Schwarzafrika an der Tagesordnung sind - übrigens auch in ehemals britischen Kolonien.

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The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 13:52
#28 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten
Zitat von Gorgasal
Ich muss zugeben, dass diese Hypothese mich weniger überzeugt, werter Zettel. Die Unterschiede zwischen beispielsweise Indochina, Schwarzafrika, Algerien und dem Libanon - um bei französisch dominierten Kolonien zu bleiben - sind dermaßen viel stärker als die Gemeinsamkeiten, dass ich die Kolonialmacht nur als sehr viel schwächeren Einfluss sehe als die lokale Kultur. Beispielsweise sind Indochina von den Roten Khmer abgesehen bestialische Schlächtereien erspart geblieben, wie sie in Schwarzafrika an der Tagesordnung sind - übrigens auch in ehemals britischen Kolonien.

Als ich damals die Serie geschrieben haben, lieber Gorgasal, und auch jetzt beim Wiederlesen kam mir die These eigentlich sehr plausibel vor. Jetzt komme ich, angesichts der Einwände von R.A. und Ihnen, natürlich ins Grübeln.

Der Gedankengang war damals: Am Islam liegt es nicht, denn es gibt islamische Länder wie Indonesien und Malaysia, die auf dem Weg in die Moderne sind. Es ist umgekehrt: Der Islam ist in Arabien seit einigen Jahrzehnten im Vormarsch, weil dessen Weg in die Moderne gescheitert war.

Dieser war gescheitert, weil er in Form des "arabischen Sozialismus" versucht worden war; von Nasseristen, Baathisten. Selbst Ghadafi trat damals als Sozialist auf.

Aber warum war die Reaktion auf den gescheiterten Sozialismus der Islamismus, und nicht (wie in Osteuropa, China, Indochina) der Aufbau des Kapitalismus?

Eine Antwort darauf sollte meine These geben: Weil der arabische Sozialismus einer im Grunde zurückgebliebenen Gesellschaft aufgepropft worden war. Und warum war sie zurückgeblieben? Weil ihr Jahrhunderte in den Knochen stecken, in denen sie als vergessene, verrottende Provinzen des Osmanischen Reichs dahindämmerten. Während die von den Franzosen und den Briten kolonisierten Länder eben durch diese in die Moderne befördert wurden, wenn auch nicht freiwillig.



Mir kam und kommt das einleuchtend vor. Aber ich muß zugeben, daß die empirischen Belege dünn sind, wie auch schon R.A. erbarmungslos erkannt hat.

Ja, es stimmt, daß Algerien nicht viel weiter ist als Ägypten, obwohl es ja sogar jahrzehntelang aus Provinzen Frankreichs bestand. (Allerdings sind Tunesien und Marokko unter den vergleichsweise modernen Ländern Arabiens; vielleicht aber nur, weil ihnen der arabische Sozialismus erspart geblieben war). Und wenn ich schon anfange, mich selbst zu widerlegen: Auch Griechenland gehörte ja lange zum Osmanischen Reich ...

Also, vielleicht ist - war - es eine schöne These, die nur leider den kleinen Mangel hat, falsch zu sein.

Herzlich, Zettel
Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

16.01.2009 14:01
#29 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten

Zitat von Zettel
Aber warum war die Reaktion auf den gescheiterten Sozialismus der Islamismus, und nicht (wie in Osteuropa, China, Indochina) der Aufbau des Kapitalismus?


Vielleicht, Lieber Zettel, weil der Kapitalismus an den Universitäten, an denen die Führer studiert hatten, rettungslos desavouiert war? Und dann hat die Abkehr von der Marktwirtschaft ja auch Vorteile:

a) Wie gut, daß wir, Eure Führer, Euch das erspart haben!
b) Wie gut, daß wir jetzt nicht mehr beweisen müssen, daß wir es können!
c) Natürlich sind die Kapitalisten an Eurem Elend schuld, nicht wir!

Wahrscheinlich gibt's noch viel mehr schöne Ausreden...

Herzlich, Thomas

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.01.2009 14:03
#30 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten

Zitat von Gorgasal
allerdings gilt Ähnliches auch für das Hebräische.

Das muß nicht viel heißen.
Zum Einen reden wir hier ja nur über einen Faktor, der durch viele andere beeinflußt oder kompensiert werden kann.
Zum Anderen sind die Israelis wohl sehr stark auch von anderen Sprachen geprägt, insbesondere kann fast jeder wohl Englisch.

In Antwort auf:
Grundsätzlich bin ich mit Erklärungen entlang der Sapir-Whorf-Hypothese skeptisch.

Vielen Dank für diesen Link - mir war nicht klar, daß es dafür eine ausformulierte Theorie gibt.
Mir schien dieser Einfluß der Sprache auf das Denken immer eine Selbstverständlichkeit zu sein, das paßte auch zu meinen Erfahrungen mit Englisch, Deutsch bzw. romanischen Sprachen.

Wobei ich natürlich voll zustimme:
In Antwort auf:
Sprachfamilien einerseits und Kultur, Ideologie, Geographie, Kolonialgeschichte andererseits sind einfach sehr schwer zu trennen.

Ich glaube, daß es diesen Spracheinfluß gibt - aber angesichts der vielen anderen Faktoren und überhaupt der Schwierigkeit, die "Mentalität eines Volks" zu fassen, ist keinerlei Beweisführung möglich.

Vor allem wird es wohl auch (auch nicht zu fassen oder gar zu messen) einen umgekehrten Einfluß geben: Wenn ein Volk wegen Geschichte, kulturellen Besonderheiten oder Kontakten zu anderen Völkern/Sprachen Mentalitätsbesonderheiten entwickelt, dann wird sich das auch im Sprachgebrauch niederschlagen.

D.h. sie denken nicht nur so, weil ihre Sprache es ihnen nahelegt, sondern ihre Sprache hat sich so entwickelt, weil das ihrem Denken entspricht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 14:27
#31 Sprache - Denken - Wirklichkeit Antworten

Unter diesem Titel sind vor Jahren einmal Arbeiten Whorfs auf Deutsch erschienen; ich glaube, bei rororo.

(Und dazu eine Klammerbemerkung: Ich vergesse immer wieder, die Überschrift zu ändern, wenn die Diskussion längst bei einem anderen Thema ist. Werde mich zu besser versuchen).

Zitat von R.A.
Mir schien dieser Einfluß der Sprache auf das Denken immer eine Selbstverständlichkeit zu sein, das paßte auch zu meinen Erfahrungen mit Englisch, Deutsch bzw. romanischen Sprachen.

Ich habe, als ich das gelesen habe, versucht, herauszufinden, wie es eigentlich bei mir ist. Denke ich anders, wenn ich Englisch oder Französisch spreche oder schreibe? Ich bin mir da nicht sicher. Er scheint mir, daß ich das Gedachte doch nur anders ausdrücke. Englisch zum Beispiel vorsichtiger ("there is evidence" statt "es spricht alles dafür" oder "on sait que" ).
Zitat von R.A.
Vor allem wird es wohl auch (auch nicht zu fassen oder gar zu messen) einen umgekehrten Einfluß geben: Wenn ein Volk wegen Geschichte, kulturellen Besonderheiten oder Kontakten zu anderen Völkern/Sprachen Mentalitätsbesonderheiten entwickelt, dann wird sich das auch im Sprachgebrauch niederschlagen.
D.h. sie denken nicht nur so, weil ihre Sprache es ihnen nahelegt, sondern ihre Sprache hat sich so entwickelt, weil das ihrem Denken entspricht.

So sehe ich das auch. Sapir und vor allem aber Whorf (der übrigens auch einer der Privatgelehrten war, über die wir in dem Kallias-Thread diskutieren; von Haus aus Versicherungsgutachter, Abteilung Brände) haben da wohl einen komplexen Kausalzusammenhang aufgeschnitten und eine gerichtete Kausalität konstruiert.

Whorf geht so weit, sogar zu behaupten, die Hopi (deren Sprache und Kultur hat er hauptsächlich untersucht hat) hätten, wenn sie eine moderne Physik geschaffen hätten, eine andere entwickelt als das Abendland - eine ohne Substanzen, wo alles nur aus Kräften und Ereignissen besteht. (Wenn ich mich recht erinnere; es ist schon ein paar Jahrzehnte her, daß ich ihn gelesen habe).

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.01.2009 14:57
#32 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten

Zitat von Zettel
Der Gedankengang war damals: Am Islam liegt es nicht, denn es gibt islamische Länder wie Indonesien und Malaysia, die auf dem Weg in die Moderne sind.

Ich befürchte schon, daß der Islam DER wesentliche Faktor bei den Modernisierungsproblemen ist. Obwohl es inzwischen einige Beispiele gibt, daß man wohl auch mit diesem Handicap fertig werden kann.

Ich nenne mal drei Beispiele, warum ich den Islam für problematisch halte:
1.) In der Türkei war (trotz der Reformtraditionen) eine Modernisierung erst möglich, als Atatürk in einem ganz massiven Anti-Religionskampf den Islam zurückdrängte.
Und seit die Islamisten die Atatürk-Errungenschaften wieder zurückdrängen, kommen auch massiv die Probleme.
2.) Der Libanon hatte wg. seiner christlichen Mehrheit lange Zeit einen großen Modernisierungsvorsprung vor den übrigen Staaten der Region.
3.) In der britischen Kolonie Indien waren Kolonisationsgeschichte und Rahmenbedingungen für die verschiedenen Landesteile ziemlich ähnlich.
Das hinduistische Indien entwickelte sich nach der Unabhängigkeit in Richtung Moderne (obwohl die sozialistische Phase dabei nicht hilfreich war), das islamische Pakistan ist eine Staatskatastrophe, fast schon ein "failed state".

Die retardierende Wirkung des Islam ist in den arabischen Ländern aber offensichtlich größer als z. B. in Malaysia oder Indonesien.

Das könnte damit zu tun haben, daß arabisch lernen eine hohe Hürde ist und der Koran nicht übersetzt werden darf.
D.h. in nicht-arabischen Ländern haben die Gläubigen nicht den direkten Einfluß bzw. die Versuchung, wortwörtlich nach dem Text zu leben.
Weiter ist es wohl ein Problem, daß die arabischen Länder die Blütezeit des Islam im Mittelalter als geistigen Bezugspunkt und Vorbild haben. Da scheint die Rückkehr dahin attraktiver als eine Modernisierung.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.01.2009 15:11
#33 RE: Sprache - Denken - Wirklichkeit Antworten

Zitat von Zettel
Ich habe, als ich das gelesen habe, versucht, herauszufinden, wie es eigentlich bei mir ist. Denke ich anders, wenn ich Englisch oder Französisch spreche oder schreibe?

Es mag auch solche Effekte geben. Z. B. habe ich manchmal, wenn ich längere Texte in Englisch schreibe, das Gefühl, daß ich anfangs noch etwas gewunden "deutsch" formuliere, um dann allmählich in den kürzeren angelsächsischen Stil reinzukommen.
(Der letzte Satz ist schon ein Beispiel, wie man selbst bei simplen Sachen im Deutschen schon ziemlich verschachtelt daherkommen kann).

Eigentlich meinte ich aber etwas anderes (und vielleicht auch Sapir-Whorf): Wenn man durch seine Muttersprache viele Jahre lang geprägt wurde, hinterläßt das Spuren in der Denkweise.
Deutsche sind eben auf Eindeutigkeit geprägt, nehmen dafür komplizierte und umständliche Formulierungen in Kauf, es darf Mühe kosten, wenn es nur präzise ist.
Angelsachsen dagegen versuchen etwas verständlich und schnell "rüberzubringen", nehmen dafür Unschärfen in Kauf, und um mit diesen fertig zu werden, haben sie ein besseres Gefühl für Nuancen und vor allem Kontext.

Und diese Mentalitätsunterschiede bleiben ihnen auch erhalten, wenn sie in der anderen Sprache kommunizieren.

In Antwort auf:
die Hopi (...) hätten, wenn sie eine moderne Physik geschaffen hätten, eine andere entwickelt als das Abendland

Wenn er das so gemeint hat, wäre es m. E. Humbug.
Denn die Physik selber wäre dieselbe.

Wohl aber könnte die Herangehensweise eine andere sein.

Man sieht das recht schön bei den "Elementen" von Euklid.
Weil ihm die Formelsprache der modernen Mathematik fehlte, insbesondere die Idee der Variablen, kann er seine Beweise nur textlich formulieren.
Deswegen sind sie im Aufbau völlig anders als die heute gewohnten, manche Beweiswege kann er gar nicht benutzen - aber letztlich ist es dieselbe Geometrie mit denselben Gesetzen.

califax Offline




Beiträge: 1.502

16.01.2009 19:59
#34 RE: Sprache - Denken - Wirklichkeit Antworten

Zitat von Zettel

So sehe ich das auch. Sapir und vor allem aber Whorf (der übrigens auch einer der Privatgelehrten war, über die wir in dem Kallias-Thread diskutieren; von Haus aus Versicherungsgutachter, Abteilung Brände) haben da wohl einen komplexen Kausalzusammenhang aufgeschnitten und eine gerichtete Kausalität konstruiert.



Bei den Sachen, die der Brandexperte untersucht hat, stimmte die Kausalkette ja auch. Leere Benzinfässer können doch nicht brennen, oder? Ist ja kein Benzin drin...
Und das ist natürlich trivial: Unser Denken wird durch unsere Informationsaufnahme beeinflußt.
Ist jemand ein Aktivist oder ein Terrorist?

Zitat von Zettel

Whorf geht so weit, sogar zu behaupten, die Hopi (deren Sprache und Kultur hat er hauptsächlich untersucht hat) hätten, wenn sie eine moderne Physik geschaffen hätten, eine andere entwickelt als das Abendland - eine ohne Substanzen, wo alles nur aus Kräften und Ereignissen besteht. (Wenn ich mich recht erinnere; es ist schon ein paar Jahrzehnte her, daß ich ihn gelesen habe).



Schönes Beispiel für die Tücken der kleinen Probandengruppe. Whorf hat alles an seinem Hopi von einem einzigen Bekannten erfahren. Als später Anthropologen mit Whorfs Hopi-Studien bewaffnet den Stamm besuchten, erlebten sie ein blaues Wunder. Da stimmte fast gar nichts.

Klug und fleißig - Illusion
Dumm und faul - das eher schon
Klug und faul - der meisten Laster
Dumm und fleißig - ein Desaster

The Outside of the Asylum

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 21:08
#35 RE: Sprache - Denken - Wirklichkeit Antworten

Lieber Califax,

Zitat von califax
Zitat von Zettel

So sehe ich das auch. Sapir und vor allem aber Whorf (der übrigens auch einer der Privatgelehrten war, über die wir in dem Kallias-Thread diskutieren; von Haus aus Versicherungsgutachter, Abteilung Brände) haben da wohl einen komplexen Kausalzusammenhang aufgeschnitten und eine gerichtete Kausalität konstruiert.


Bei den Sachen, die der Brandexperte untersucht hat, stimmte die Kausalkette ja auch. Leere Benzinfässer können doch nicht brennen, oder? Ist ja kein Benzin drin...

Ja, genau, das war eins seiner Beispiele; in den Fässern war noch Benzindampf. Aber just dieses Beispiel hätte Whorf eigentlich darauf aufmerksam machen können, wie wacklig seine These war. Denn die Leute hielten die Fässer ja nicht für ungefährlich, weil sie für sie das Wort leer hatten, sondern weil sie dachten, daß da nix mehr drin ist.
Zitat von califax
Und das ist natürlich trivial: Unser Denken wird durch unsere Informationsaufnahme beeinflußt.
Ist jemand ein Aktivist oder ein Terrorist?

Whorf meinte das allerdings wohl in einem tieferen Sinn; nämlich bezogen auf die Tiefenstruktur. Ich erinnere mich dunkel an ein Beispiel, mit dem er demonstrieren wollte, wie unterschiedlich die westlichen Sprachen und Hopi sind: In Hopi sind die Aussagen "Ich habe einen Zeh zuviel am Fuß" und "Ich lade mir Gäste aus der Ferne ein" (so ähnlich war es wohl) fast identisch.
Zitat von califax
Schönes Beispiel für die Tücken der kleinen Probandengruppe. Whorf hat alles an seinem Hopi von einem einzigen Bekannten erfahren. Als später Anthropologen mit Whorfs Hopi-Studien bewaffnet den Stamm besuchten, erlebten sie ein blaues Wunder. Da stimmte fast gar nichts.

Daß er nur einen Informanten hatte, habe ich nicht gewußt.

Aber bei diesen Anthropologen ist das ja überhaupt so eine Sache. Von Margaret Meads berühmten Studien bei den Arrapesch und Uschepti (oder so ähnlich, ich habe das jetzt nicht nachgesehen), von denen die einen edle Wilde und die anderen abgrundböse waren, wird ja auch behauptet, daß die Informanten sich einen Jux daraus gemacht haben, ihr Märchen zu erzählen.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

16.01.2009 21:17
#36 Soziologie Antworten

Zitat von Zettel
Aber bei diesen Anthropologen ist das ja überhaupt so eine Sache. Von Margaret Meads berühmten Studien bei den Arrapesch und Uschepti (oder so ähnlich, ich habe das jetzt nicht nachgesehen), von denen die einen edle Wilde und die anderen abgrundböse waren, wird ja auch behauptet, daß die Informanten sich einen Jux daraus gemacht haben, ihr Märchen zu erzählen.

Mir kam gerade die Kontroverse um Margaret Meads Coming of Age in Samoa in den Sinn:
http://en.wikipedia.org/wiki/Coming_of_Age_in_Samoa

--
The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 22:30
#37 Margaret Mead Antworten
Zitat von Gorgasal
Zitat von Zettel
Aber bei diesen Anthropologen ist das ja überhaupt so eine Sache. Von Margaret Meads berühmten Studien bei den Arrapesch und Uschepti (oder so ähnlich, ich habe das jetzt nicht nachgesehen), von denen die einen edle Wilde und die anderen abgrundböse waren, wird ja auch behauptet, daß die Informanten sich einen Jux daraus gemacht haben, ihr Märchen zu erzählen.

Mir kam gerade die Kontroverse um Margaret Meads Coming of Age in Samoa in den Sinn:
http://en.wikipedia.org/wiki/Coming_of_Age_in_Samoa

Ich hätte es, lieber Gorgasal, doch zur Sicherheit nachsehen sollen (aber als ich schrieb, wurde zum Abendessen gerufen ).

Sie haben mit Ihrer so freundlich-zurückhaltend angedeuteten Korrektur nur allzu Recht. Die Sache mit dem Jux bezog sich auf "Coming of Age in Samoa". Die Sache mit den edlen Wilden steht aber in ihrem anderen Buch, "Sex and temperament in three primitive societies" Die Arapesch hatte ich so halbwegs richtig erinnert, wie mir die "Uschepti" in den Sinn gekommen sind, weiß ich aber nicht; anscheinend sprang da eine Assoziation in Richtung Ägypten.

Jedenfalls waren diese anderen, Bösen, die Mundugumor (klingt fast wie Uschepti, nicht wahr? ).

Was aber stimmt, ist, daß auch diese "Ergebnisse" von Mead offenbar höchst fragwürdig sind. Die Arapesch sollten ja das Muster einer femininen, also friedlichen Gesellschaft sein. Wie man zum Beispiel in diesem Artikel von Peter Wood im Frontpage Magazine lesen kann, stimmt auch das nicht. Mindestens zehn Prozent aller zwischen 1910 und 1925 gestorbenen Männer dieses Stamms waren im Krieg ums Leben gekommen, und die Hälfte von ihnen hatte schon einmal einen Menschen getötet.

Naja, ich habe eben mal gerechnet, es ist ziemlich genau 45 Jahre her, daß ich das gelesen habe; ich hoffe also auf Nachsicht für die Schnitzer, werde demnächst aber doch lieber erst nachsehen.

Herzlich, Zettel
Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

16.01.2009 22:43
#38 RE: Margaret Mead Antworten

Zitat von Zettel
... freundlich-zurückhaltend angedeuteten Korrektur ...

Sie überschätzen mich und mein Wissen, werter Zettel. Ich wollte Samoa nur ergänzend hinzufügen und Sie in keinster Weise korrigieren. Dazu müsste ich ja selbst erst einmal nachschauen oder gar - o Graus - mich von vornherein auskennen...

Zitat von Zettel
Naja, ich habe eben mal gerechnet, es ist ziemlich genau 45 Jahre her, daß ich das gelesen habe; ich hoffe also auf Nachsicht für die Schnitzer, werde demnächst aber doch lieber erst nachsehen.

Wenn Sie uns noch ein paar weitere Datenpunkte geben, können wir bald die Halbwertszeit Ihres Wissens bestimmen, am besten getrennt nach Fachgebieten

--
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.01.2009 22:53
#39 Wissen Antworten

Zitat von Gorgasal
Wenn Sie uns noch ein paar weitere Datenpunkte geben, können wir bald die Halbwertszeit Ihres Wissens bestimmen, am besten getrennt nach Fachgebieten

Um dann vorherzusagen, wann alles zerfallen ist?

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

16.01.2009 23:01
#40 RE: Wissen Antworten

Zitat von Zettel
Zitat von Gorgasal
Wenn Sie uns noch ein paar weitere Datenpunkte geben, können wir bald die Halbwertszeit Ihres Wissens bestimmen, am besten getrennt nach Fachgebieten

Um dann vorherzusagen, wann alles zerfallen ist?

Nu, "alles" zerfällt ja nicht, Sie nähern sich höchstens exponentiell asymptotisch der Null an, ohne sie je zu erreichen. Jedenfalls wenn man Wissen nicht als gequantet ansieht, dann hat man nämlich Diskretisierungseffekte, aber über Quantensprünge haben wir unlängst in einem anderen Thread diskutiert, und ich sollte allmählich ins Bett...

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Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

18.01.2009 15:00
#41 RE: "Antizionismus" und klassischer Antisemitismus Antworten

Zitat von Zettel
Zitat von Gorgasal
Ich muss zugeben, dass diese Hypothese mich weniger überzeugt, werter Zettel. Die Unterschiede zwischen beispielsweise Indochina, Schwarzafrika, Algerien und dem Libanon - um bei französisch dominierten Kolonien zu bleiben - sind dermaßen viel stärker als die Gemeinsamkeiten, dass ich die Kolonialmacht nur als sehr viel schwächeren Einfluss sehe als die lokale Kultur. Beispielsweise sind Indochina von den Roten Khmer abgesehen bestialische Schlächtereien erspart geblieben, wie sie in Schwarzafrika an der Tagesordnung sind - übrigens auch in ehemals britischen Kolonien.

Als ich damals die Serie geschrieben haben, lieber Gorgasal, und auch jetzt beim Wiederlesen kam mir die These eigentlich sehr plausibel vor. Jetzt komme ich, angesichts der Einwände von R.A. und Ihnen, natürlich ins Grübeln.

Ich habe gerade anderweitig eine interessante Karte verlinkt, die den Unterschied zwischen deutscher und russischer Besatzung in Polen vor 1914 sehr schön noch heute verdeutlicht:
http://83273.homepagemodules.de/t1801f27...en-waehlen.html

Ganz abstreiten will ich den von Ihnen postulierten Einfluss nicht...

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