Wieder einmal ein Artikel, der sich im wesentlichen auf Stratfor stützt.
Die dortigen Analysen sind sicherlich nicht immer richtig - der vorhergesagte Krieg zwischen Indien und Pakistan scheint zum Beispiel glücklicherweise auszubleiben -, aber ich schätze die Fähigkeit vor allem George Friedmans, Tatsachen miteinander zu verknüpfen und daraus Schlüsse zu ziehen.
Die Türkei steht vor der Frage, ob sie eine imperiale Poltik verfolgen soll, die im Kern auf die Wiederherstellung des Osmanischen Reichs in Form von Einflußsphären hinausläuft. Das ist die zentrale Aussage von Friedmans Analyse.
Aus deutsche Sicht ist sie u.a. deshalb interessant, weil die nach Deutschland eingewanderten Türken innerhalb einer solchen imperialistischen Strategie ja auch eine Rolle spielen könnten.
"Assimilation ist ein Verbrechen", Sie erinnern sich?
Zitat von FriedmanAsia Minor is the pivot of Eurasia. It is the land bridge between Asia and Europe, the northern frontier of the Arab world and the southern frontier of the Caucasus. Its influence spreads outward toward the Balkans, Russia, Central Asia, the Arab world and Iran. Alternatively, Turkey is the target of forces emanating from all of these directions.
Ziemlich off-topic: dieses Zitat ruft mir noch einmal ins Gedächtnis, wie glücklich wir alle sein sollten, dass Konstantinopel hier fast tausend Jahre lang die Stellung gehalten hat. Immerhin wurde die Stadt schon 674-678 und 717-718 von den Arabern belagert, und wenn Konstantinopel gefallen wäre, wären die Araber vielleicht von Osten her nach Tours und Poitiers gekommen, und ich will gar nicht wissen, in welchem Zustand Europa dann jetzt wäre...
Zitat von WikipediaRealizing that the end had come, [Constantine XI Palaiologos] reportedly discarded his purple cloak and led his remaining soldiers into a final charge, in which he was killed.
-- The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)
Ich gebe zu, dass ich in der Frage eines Tuerkeibeitritts meine Haltung immer wieder mal gaendert habe. Angefangen von 'auf keinen Fall' aus einer kulturellen Perspektive, hin zu 'natuerlich, die warten schon so lange, sind im wesentlichen eine Demokratie und sollen sich nicht nach Osten hin orientieren'. Zwischendurch war ich auch ueberzeugt, dass ein Beitritt der Tuerkei zur EU die EU unregierbar macht - im Sinne einer zentralen Ueber-Regierung und zu marktwirtschaftlichen Reformen zwingt.
Vielleicht verdeutlichen diese 3 Positionen den Zwiespalt, vor dem die EU mit der Tuerkei steht.
Vor dem von Ihnen, Zettel, skizzierten Szenario fuerchte ich mich dagegen nicht. Eine starke Tuerkei ist mir lieber als ein starker Iran - zumindest solange die NATO in Griechenland steht und die Tuerkei-Expansion nicht nach Westen geht. Ohne wirtschaftliche Dynamik wird sich auch kein Empire aufbauen lassen und wirtschaftliche Freiheit zieht immer auch ein gewisses Mass an persoenlicher Unabhaengigkeit nach sich.
Zitat von GorgasalZiemlich off-topic: dieses Zitat ruft mir noch einmal ins Gedächtnis, wie glücklich wir alle sein sollten, dass Konstantinopel hier fast tausend Jahre lang die Stellung gehalten hat. Immerhin wurde die Stadt schon 674-678 und 717-718 von den Arabern belagert, und wenn Konstantinopel gefallen wäre, wären die Araber vielleicht von Osten her nach Tours und Poitiers gekommen, und ich will gar nicht wissen, in welchem Zustand Europa dann jetzt wäre...
Byzanz hat ja, lieber Gorgasal, eine sehr komplexe Rolle in der Bewahrung des Abendlandes gespielt (genauer: darin, daß die antike Kultur nicht schlicht unterging, sondern in der Kultur des christlichen Mittelalters ihre Fortsetzung fand).
Einerseits hat Byzanz bis ins Spätmittelalter hinein standgehalten, wie Sie es erwähnen. Andererseits wurde es dabei aber immer "orientalischer", dh seine Kultur verschmolz mit der arabischen. Was wiederum diese auf eine Höhe hob, die sie aus sich heraus nie hätte erreichen können. Die großen arabischen Gelehrten wie Averroes, Avenzoar und Alhazen war im Grunde die Erben von Platon und Aristoteles.
Zitat von DagnyIch gebe zu, dass ich in der Frage eines Tuerkeibeitritts meine Haltung immer wieder mal gaendert habe. Angefangen von 'auf keinen Fall' aus einer kulturellen Perspektive, hin zu 'natuerlich, die warten schon so lange, sind im wesentlichen eine Demokratie und sollen sich nicht nach Osten hin orientieren'. Zwischendurch war ich auch ueberzeugt, dass ein Beitritt der Tuerkei zur EU die EU unregierbar macht - im Sinne einer zentralen Ueber-Regierung und zu marktwirtschaftlichen Reformen zwingt.
Ich war anfangs - das ist aber schon ziemlich lange her - ziemlich neutral; das Thema hat mich nicht interessiert. Inzwischen steht für mich der Aspekt im Vordergrund, daß bei einem Beitritt früher oder später die Freizügigkeit folgen würde. Das würde zu einer so massiven Einwanderung nach Deutschland führen, daß wir jede Hoffnung auf Assimilation der Einwanderer vergessen könnten.
Wir hätten dann wirklich ein binationales Deutschland, wie Belgien. Nur mit viel größeren ethnischen Gegensätzen und ohne abgegrenzte Siedlungsgebiete der beiden Nationen in Deutschland. Noch dazu mit einem massiven sozialen Gefälle, hoch korrelierend mit der nationalen Zugehörigkeit. Eine Horrorvorstellung.
Seit Erdogan bei seinem Deutschland-Besuch die Assimilation türkischer Einwanderer als Verbrechen (in anderer Übersetzung: als Schande) bezeichnet hat, ist ja offensichtlich, was die Politik zumindest der gegenwärtigen türkischen Regierung ist: Kolonisierung Deutschlands.
Zitat von ZettelAndererseits wurde es dabei aber immer "orientalischer", dh seine Kultur verschmolz mit der arabischen. Was wiederum diese auf eine Höhe hob, die sie aus sich heraus nie hätte erreichen können. Die großen arabischen Gelehrten wie Averroes, Avenzoar und Alhazen war im Grunde die Erben von Platon und Aristoteles.
In der Tat, vermittelt einerseits durch die Byzantiner, andererseits auch durch die koptischen Christen Ägyptens.
Aber inklusive Italien. Daher kommen die wunderschönen byzantinischen Apsen Ravennas. Und die Phocassäule auf dem Forum Romanum - gestiftet von einem Papst zum Dank dafür, dass Kaiser Phocas im 7. Jahrhundert die Barbaren aus Rom hinausgeworfen hatte.
Zitat von ZettelAls ich kürzlich über die Geschichte Algeriens nachgelesen habe, habe ich zu meiner Verwunderung erfahren, daß selbst dort zeitweise Byzanz herrschte.
Das war die große Rückeroberung der an die Vandalen verlorengegangenen Gebiete in Nordafrika. Ein letztes Aufbäumen des Römischen Reiches unter Justinian, wie man auf Ihrer Karte sieht. Danach kamen die Araber.
Wie gesagt, Ostrom ist ein kleines privates Steckenpferd von mir. Und ich finde es noch immer eine Schande, wie wenig ich über diesen fundamentalen Einfluss auf das europäische Mittelalter im Geschichtsunterricht gelernt habe.
-- The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)
als ich heute früh den Stratfor-Newsletter gelesen habe, ärgerte ich mich mal wieder, dass ich einfach keine 380 $ p.a. übrig habe.
Tatsächlich ist es spannend, dass das Verhältnis zu EU in dieser geopolitischen Analyse nicht vorkommt und die Analyse dennoch nicht mangelhaft ist. Warum ist das so?
Man könnte ja davon ausgehen, dass ein Beitritt - unabhängig davon wie wahrscheinlich der sein mag - die Westbindung der Türkei langfristig stabilisieren würde.
Zitat von C.K.Man könnte ja davon ausgehen, dass ein Beitritt - unabhängig davon wie wahrscheinlich der sein mag - die Westbindung der Türkei langfristig stabilisieren würde.
Das könnte man sich eigentlich auch von der NATO-Mitgliedschaft der Türkei versprechen. Nur ist die rein militärisch angelegt und seit Jahren auf Sinnsuche.
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Zitat von DagnyVor dem von Ihnen, Zettel, skizzierten Szenario fuerchte ich mich dagegen nicht. Eine starke Tuerkei ist mir lieber als ein starker Iran - zumindest solange die NATO in Griechenland steht und die Tuerkei-Expansion nicht nach Westen geht.
Liebe Dagny, Anfang August letzten Jahres haben wir uns schon die gleichen Fragen gestellt:
und meine Besorgnis hat nicht abgenommen. Die Türkei wird in vielerlei Hinsicht das Zünglein an der Waage werden und ist sich dessen allzu sehr bewußt.
Ich füge hier mal ein Zitat von "Eisvogel" an, welches m. E. bis heute an Gültigkeit nichts verloren hat:
"Wir können nicht ehrlichen Herzens behaupten, dass die angestrebte Integration des Islam in Europa ohne all diese Gesetze möglich wäre. Wo der “neue Mensch” absolut unerlässlich ist, der gewisse Gefühle und Einstellungen (Offenheit für neue Impulse) hegen muss, damit keine Katastrophe passiert - ist der Totalitarismus bereits da. In jeder Rede zur Integration tritt er offen zutage. Wann hat es angefangen, dass Politiker anfingen, zu sagen, wie sich das Volk in Sprache, Gedanken und sogar Gefühlen ändern muss, damit die gewünschte Politik durchgeführt werden kann? Wann hat es aufgehört, dass es andersrum lief: Dass gesagt wurde, wie sich die Politik ändern muss, damit den Wünschen des Volkes Rechnung getragen wird? Und warum haben wir die schleichende Wandlung unserer Politiker von gutbezahlten Dienern zu gutbezahlten Erziehern nicht bemerkt?"
"Tatsächlich ist es spannend, dass das Verhältnis zu EU in dieser geopolitischen Analyse nicht vorkommt und die Analyse dennoch nicht mangelhaft ist. Warum ist das so?"
Weil George Friedman nach Erdogan's Ausbruch mal auf eine Weltkarte geschaut hat und dann einen ziemlichen Unsinn zussammengereimt hat der weder Hand noch Fuss hat.
Bis vor kurzem war noch Iran die aufstrebende Macht im Mittleren Osten. Jetzt soll das die Tuerkei sein. Wer ist es morgen? Der Irak? Und was hat Bevoelkerung mit Macht zu tun? Demach muesste Indonesien dabei sein Suedostasien zu uebernehmen - und danach sieht es ja wirklich nicht aus.
Die Tuerkei als Einfluss in Arabien und als Seemacht...tss. Die Araber erinnern sich im Gegensatz zu vielen Westlern (wie J Fischer) noch sehr gut daran dass sie ihre Unabhaengigkeit vom osmanischen Reich erkaempfen mussten und dass das noch nicht so lange her ist. Sie werden jetzt ganz sicher nicht irgendeinen tuerkischen Einfluss in ihrer Region akzeptieren - u.a.ein Grund warum die Tuerkei mit Israel so gute Verbinungen unterhaelt, wiederum sehr zum Aerger der Araber. Und die Tuerkei als Seemacht - woher soll das denn kommen? Und vor allem, welches Meer wollen sie beherrschen? Das Schwarze Meer, eh schon fast ein tuerkischer See und strategisch nicht so wahnsinnig wichtig, es sein denn die Tuerkei wollte die Ukraine beeinflussen? Das Mittelmeer - wohl ein paar Nummern zu gross fuer die Tuerkei, die ja noch nicht mal mit der griechischen Marine mithalten koennen.
Unvermeidlich ist hier gar nichts - wie es auch in der Geschichte niemals eine "unvermeidliche" Macht gab. Die Tuerkei ist aufgrund ihrer geopolitischen und -strategischen Lage eine Regionalmacht, mehr nicht. Und selbst das hing und haengt mehr von seinen nachbarn ab als von ihr selber. man sollte sich hier nicht von einem hastig zusammengeschriebenen Artikel in Stratfor verrueckt machen lassen.
Zitat von C.K.als ich heute früh den Stratfor-Newsletter gelesen habe, ärgerte ich mich mal wieder, dass ich einfach keine 380 $ p.a. übrig habe.
Sie bedrängen eine ja sehr, die Leute von Stratfor.
Bei mir ist die Überlegung auch, daß ich das Material, das ich bekäme, nicht verlinken könnte, weil es dann ja im Mitglieder- Bereich steht. Und ich versuche, in ZR nur das zu schreiben, was ich für jeden Leser nachprüfbar belegen kann. Wie ein Wissenschaftler, nicht wie ein Geheimdienstler.
Zitat von C.K.Tatsächlich ist es spannend, dass das Verhältnis zu EU in dieser geopolitischen Analyse nicht vorkommt und die Analyse dennoch nicht mangelhaft ist. Warum ist das so?
Das weiß ich auch nicht. Vielleicht wäre der Artikel zu lang geworden.
Zitat von C.K.Man könnte ja davon ausgehen, dass ein Beitritt - unabhängig davon wie wahrscheinlich der sein mag - die Westbindung der Türkei langfristig stabilisieren würde.
Das, dear C.K., ist ja die amerikanische Sicht; war sie es jedenfalls bisher.
Aber zum einen kann man das auch in anderer Perspektive sehen: Die Türkei könnte wieder ihre traditionelle Rolle als Vormacht Südosteuropas einnehmen (der Südwesten für Frankreich, der Norden für England, der Osten für Deutschland; ich habe das vor Jahren mal durchgespielt).
Und zum anderen wären die Wirkungen in Deutschland eben, wie erwähnt, verheerend. Daß es den USA ziemlich egal wäre, wenn Deutschland ein zweites Belgien werden würde, will ich gern glauben. Mir aber, dear C.K., nicht.
Zitat von john jDie Araber erinnern sich im Gegensatz zu vielen Westlern (wie J Fischer) noch sehr gut daran dass sie ihre Unabhaengigkeit vom osmanischen Reich erkaempfen mussten und dass das noch nicht so lange her ist. Sie werden jetzt ganz sicher nicht irgendeinen tuerkischen Einfluss in ihrer Region akzeptieren - u.a.ein Grund warum die Tuerkei mit Israel so gute Verbinungen unterhaelt, wiederum sehr zum Aerger der Araber.
Der Punkt ist mir auch aufgestoßen. Saudi-Arabien wird eine türkische Hegemonie nicht einfach so akzeptieren. Natürlich könnte Saudi-Arabien durch einen erstarkten Islamismus geschwächt werden. Aber Islamisten in Mekka werden sich noch viel weniger von den Türken auf der Nase herumtanzen lassen.
Zitat von john jUnd die Tuerkei als Seemacht - woher soll das denn kommen? Und vor allem, welches Meer wollen sie beherrschen? Das Schwarze Meer, eh schon fast ein tuerkischer See und strategisch nicht so wahnsinnig wichtig, es sein denn die Tuerkei wollte die Ukraine beeinflussen? Das Mittelmeer - wohl ein paar Nummern zu gross fuer die Tuerkei, die ja noch nicht mal mit der griechischen Marine mithalten koennen.
Rein vom Zahlenverhältnis her hat die Türkei mehr Fregatten (19 gegenüber 14, wobei sechs griechische gerade modernisiert werden), mehr U-Boote (14 vs. 9) und mehr Missile Boats (33, dazu 17 im Bau, vs. 20).
Ich habe mal kurz nach dem Budgets der jeweiligen Marinen (?) gesucht, aber nichts gefunden. Laut CIA World Factbook gibt Griechenland 4,3% seines BIP von 351,3 Mrd. $ für das Militär aus, die Türkei 5,3% von 930,9 Mrd. $.
-- The act of defending any of the cardinal virtues has to-day all the exhilaration of a vice. - Gilbert Keith Chesterton, "A Defence of Humility" (in The Defendant)
Zitat von john j Bis vor kurzem war noch Iran die aufstrebende Macht im Mittleren Osten. Jetzt soll das die Tuerkei sein. Wer ist es morgen? Der Irak? Und was hat Bevoelkerung mit Macht zu tun? Demach muesste Indonesien dabei sein Suedostasien zu uebernehmen - und danach sieht es ja wirklich nicht aus."
Es ist kein Widerspruch wenn mehrere Akteure einer Region relativ an Bedeutung - von mir aus auch Macht - gewinnen. Es ging Friedmann auch nicht darum zu zeigen, dass die Türkei "DIE" Macht in der Region wird. Und Friedmann spricht vom GDP als entscheidender Faktor. Nicht von der Größe der Bevölkerung. Und das GDP und das Potenzial zur Machtprojektion, wie auch immer diese ausgestaltet wird, zusammenhängen, finde ich einleuchtend. Auch wenn es sicher keine hinreichende Bedingung ist.
Zitat von john j Unvermeidlich ist hier gar nichts - wie es auch in der Geschichte niemals eine "unvermeidliche" Macht gab. Die Tuerkei ist aufgrund ihrer geopolitischen und -strategischen Lage eine Regionalmacht, mehr nicht.
Wohl wahr, sollte aber kein Grund sein, nicht die Spannungsverhältnisse und Potenziale ausfindig zu machen, die auf das Handeln eines Akteurs Einfluss haben. Und eine Regionalmacht an so einer Schnittstelle, ist einfach wichtig. Ob nun "stark" oder "schwach"
Und ich fühle mich geistig auch noch sehr gesund ;-))
Zitat von john jWeil George Friedman nach Erdogan's Ausbruch mal auf eine Weltkarte geschaut hat und dann einen ziemlichen Unsinn zussammengereimt hat der weder Hand noch Fuss hat.
Da irren Sie, lieber John. Hätte es weder Hand noch Fuß, dann hätte ich mir ja nicht die Mühe gemacht, darüber zu berichten.
Zitat von john jBis vor kurzem war noch Iran die aufstrebende Macht im Mittleren Osten. Jetzt soll das die Tuerkei sein.
Erstens schließt das eine das andere nicht aus. Zweitens kenne ich niemanden, der behauptet hätte, daß der Iran die wirtschaftlich aufstrebende Macht sei. Er will den Nahen Osten ideologisch und militärisch dominieren.
Zitat von john jWer ist es morgen? Der Irak?
Durchaus möglich. Wenn es weiter so aufwärts geht wie im Augenblick, und wenn die Ölpreise wieder steigen.
Zitat von john jUnd was hat Bevoelkerung mit Macht zu tun? Demach muesste Indonesien dabei sein Suedostasien zu uebernehmen - und danach sieht es ja wirklich nicht aus.
Die Bevölkerung ist natürlich ein Faktor unter vielen.
Zitat von john jDie Tuerkei als Einfluss in Arabien und als Seemacht...tss. Die Araber erinnern sich im Gegensatz zu vielen Westlern (wie J Fischer) noch sehr gut daran dass sie ihre Unabhaengigkeit vom osmanischen Reich erkaempfen mussten und dass das noch nicht so lange her ist.
Haben Sie, lieber John, Ihre Kenntnisse darüber aus "Lawrence of Arabia"?
Ihre Unabhängigkeit haben die Araber sich nicht erkämpft, sondern sie sind nach 1918 aus dem Osmanischen Reich überwiegend in den Status von Mandatsgebieten entweder der Briten oder der Franzosen gewechselt. Die Briten haben im Irak und in Syrien die Haschemiten als ihre Statthalter installiert. Das geschah, weil die Türkei den Ersten Weltkrieg verloren hatte, nicht, weil die Araber im heutigen Irak, in Süden oder in Jordanien die Unabhängigkeit erkämpft hätten.
Gekämpft hatten die Wahabiten und eben diese Haschemiten, aber überwiegend im heutigen Saudi-Arabien, wo die Türken nie viel zu sagen gehabt hatten (und dort mehr gegeneinander als gegen die Türken).
Die einzigen Araber, die ihre Unabhängigkeit wirklich erkämpft haben, waren die Algeriens. Allerdings waren das zum erheblichen Teil Berber, und ihre Unabhängigkeit haben sie von den Franzosen erkämpft, und es war nicht nach dem Ersten Weltkrieg.
Zitat von john jUnd die Tuerkei als Seemacht - woher soll das denn kommen? Und vor allem, welches Meer wollen sie beherrschen? Das Schwarze Meer, eh schon fast ein tuerkischer See und strategisch nicht so wahnsinnig wichtig, es sein denn die Tuerkei wollte die Ukraine beeinflussen? Das Mittelmeer - wohl ein paar Nummern zu gross fuer die Tuerkei, die ja noch nicht mal mit der griechischen Marine mithalten koennen.
Niemand spricht davon, daß die Türkei "ein Meer beherrschen" könnte. Jedenfalls hat wede Friedman noch habe ich davon gesprochen.
Zitat von john jUnvermeidlich ist hier gar nichts - wie es auch in der Geschichte niemals eine "unvermeidliche" Macht gab. Die Tuerkei ist aufgrund ihrer geopolitischen und -strategischen Lage eine Regionalmacht, mehr nicht.
Und das ist nach Ihrer Ansicht unvermeidlich so?
Zitat von john jman sollte sich hier nicht von einem hastig zusammengeschriebenen Artikel in Stratfor verrueckt machen lassen.
Nehmen Sie es mir nicht übel, lieber John, aber man könnte auch bei Ihrem Beitrag auf diesen Gedanken kommen, daß Sie ein wenig in Hast gewesen sind.
das Denken in Nationalstaaten (auch in der Erweiterung Osmanisches Reich) ist Islamisten fremd. Es gibt für sie eine islamische Welt und eine nichtislamische Welt und das Bestreben ist die Erweiterung des einflusses der islamischen Welt. Erdogan ist für mich weitaus mehr Islamist als Nationalist, allerdings ist er auch schlau genug, sich nicht für den türkischen Nationalisten wegputschen zu lassen. Ich bin der Überzeugung, dass wohl in Teheran als auch in Istanbul weitaus glbaler gedacht wird als es uns recht sein kann und dass trotz des islamischen Schisma zwischen Schiiten und Sunniten eine größere Einigkeit herrscht als Widersprüche. Zur Zeit werden von der OIC gemeinsam bestimmte Projekte durchgezogen, ein wesentliches Projekt hast Du schon angesprochen:
Das betrifft uns weitaus mehr als irgendwelche Gedankenspiele über nationale Vorherschaften. Erdogan hat deutlich gemacht, wo ersteht, wenn es zum Schwur kommt und das wurde äußerst wohlwollend in Teheran aufgenommen.
http://www.iceagenow.com/ Kaltfront bringt bis zu 20 Zentimeter Neuschnee Montag, 8. Dezember, 13:41 Uhr
"Nehmen Sie es mir nicht übel, lieber John, aber man könnte auch bei Ihrem Beitrag auf diesen Gedanken kommen, daß Sie ein wenig in Hast gewesen sind."
Ja war ich - sorry.
"Da irren Sie, lieber John. Hätte es weder Hand noch Fuß, dann hätte ich mir ja nicht die Mühe gemacht, darüber zu berichten."
Damit wollte ich nicht sie persoenlich angreifen sondern auf den m. E. ziemlich duennen Hintergrund des Stratfor Artikels verweisen der m.E. vor allem mit der Landkarte argumentiert.
"Erstens schließt das eine das andere nicht aus. Zweitens kenne ich niemanden, der behauptet hätte, daß der Iran die wirtschaftlich aufstrebende Macht sei. Er will den Nahen Osten ideologisch und militärisch dominieren."
Das wird ohne wirtschaftlichen Erfolg nicht moeglich sein. Ausserdem, wie sie ja zum Beispiel Irak selber sagten, wer Oel und Gas hat ist eher in der Lage zur aufsteigenden Macht zu werden. Die Tuerkei besitzt weder Oel noch Gas. Und wieviele "aufstrebende Maechte" kann es in einer Region geben bevor sie sich ins Gehege kommen?
"Haben Sie, lieber John, Ihre Kenntnisse darüber aus "Lawrence of Arabia"?"
Nein, sondern aus ein paar Jahren persoenlicher Erfahrung in den Golf-Emiraten, aber weil sie es erwaehnen: Die Araber (das heutige Saudi-Arabien) kaempften im 1. WK mit englischer Hilfe gegen die Tuerken (die immerhin damals Mekka und Medina kontrollierten) um ihre Unabhaengigkeit zu erlangen, und kamen damals mit den Briten immerhin bis Damaskus. Dass als Folge auch Staaten wie Syrien, der Irak, Jordanien ohne direkte Erhebung gegruendet wurden tut dem keinen Abbruch. Der Islam war schon immer ethnisch definiert - d.h. die Araber als urspruengliche Moslems und Heimat Mohammed's (Mekka und Medina) erhoben und erheben den Anspruch auf die Fuehrung der islamischen Welt, wie man ja an Saudi-Arabien deutlich sieht. Die Tuerken wurden von ihnen immer schon als Konkurrenten um diese Rolle gesehen und spater auch als Kolonialherren, und das hat sich m. E. bis heute nicht geaendert. Die laizistische Tradition der Tuerkei seit rund 80 Jahren traegt dazu noch bei.
"Niemand spricht davon, daß die Türkei "ein Meer beherrschen" könnte. Jedenfalls hat wede Friedman noch habe ich davon gesprochen."
Beziehe mich hier auf Friedman - welche Seemacht soll die Tuerkei dann werden?
"Und das ist nach Ihrer Ansicht unvermeidlich so?"
Nein, das haengt von der jeweiligen Konstellation und den Nachbarn der Tureki ab und auch davon inwiefern die Tuerkei selber in der Lage ist diese Rolle enzunehmen. Zwischen 1930 und 1950 bspw redete niemand von einer Regionalmacht Tuerkei. Spaeter war die Naehe der SU ein Hemmnis.
Momentan, u.a. bedingt durch die Schwaeche des Irak ist das schon eher der Fall. Wie es sich in Zukunft entwickelt wird sich zeigen. Auf die Araber als Verbuendete oder auch nur wohlmeinende Neutrale dabei zu hoffen nur weil man die Religion teilt halte ich fuer naja, naiv.
Zitat von C.Lieber Zettel, das Denken in Nationalstaaten (auch in der Erweiterung Osmanisches Reich) ist Islamisten fremd. Es gibt für sie eine islamische Welt und eine nichtislamische Welt und das Bestreben ist die Erweiterung des einflusses der islamischen Welt.
Für Islamisten trifft das sicherlich zu, dear C. Andererseits sind die Führer der arabischen Staaten und der Türkei keine Islamisten.
In der Türkei gibt es den starken, von Kemal Pascha begründeten Nationalismus. Syrien wird immer noch von der antireligiösen Ba'ath-Partei regiert. Der jordanische König ist in erster Linie der Dynastie der Haschemiten verpflichtet. In Ägypten sitzen die Islamisten im Gefängnis, sofern man ihrer habhaft werden konnte. Der Irak hat eine demokratische Verfassung. Der Libanon ist multikonfessionell. Die Wahabiten in Saudi-Arabien sind zwar die Frömmsten der Frommen, aber als Staat nicht expansionistisch; dazu ist die Tradition der Beduinen zu stark.
Islamisten regieren nur im Iran und - oft übersehen - im Sudan.
Zitat von C.Erdogan ist für mich weitaus mehr Islamist als Nationalist, allerdings ist er auch schlau genug, sich nicht für den türkischen Nationalisten wegputschen zu lassen. Ich bin der Überzeugung, dass wohl in Teheran als auch in Istanbul weitaus glbaler gedacht wird als es uns recht sein kann und dass trotz des islamischen Schisma zwischen Schiiten und Sunniten eine größere Einigkeit herrscht als Widersprüche.
Für Teheran gilt das sicherlich; deren Ziel ist das neue Kalifat. Bei Erdogan weiß ich es schlicht nicht. Vielleicht hast du Recht.
Zitat von john jWeil George Friedman nach Erdogan's Ausbruch mal auf eine Weltkarte geschaut hat und dann einen ziemlichen Unsinn zussammengereimt hat der weder Hand noch Fuss hat.
Ganz so krass hätte ich es nicht formuliert - aber im Kern stimme ich Ihnen zu.
Die Türkei ist ein aufstrebender Staat, mit gutem wirtschaftlichem Wachstum und weit dichter an der Moderne als die übrige Region (natürlich mit Ausnahme Israels). Sie wird weiter an Einfluß gewinnen - aber der Vergleich mit dem osmanischen Imperium ist einfach unsinnig.
Die historische Konstellation des Osmanenreichs ist nicht wiederholbar. Die Türken haben damals als anerkannten Vorkämpfer des Islam agieren können - heute sind selbst die heftigsten Islamisten dort nur kleine Würstchen, die von ausländischem Geld leben und nachplappern, was irgendwelche Scheichs vorgeben.
Die strategische Scharnierstelle am Bosporus ist immer noch da, aber recht nebensächlich geworden. Und nicht zu vergessen ist, daß die Türkei heftige ungelöste Probleme hat: Der Konflikt zwischen Islamisten und Säkularen, der Mangel an Rohstoffen, die Kurdenfrage.
Und wichtiger: Die Türkei hat fast keine Freunde - und das ist letztlich die Basis für das diplomatische Netzwerk, ohne das selbst eine Regionalmacht nicht viel reißen kann. Die Türkei hat mit jedem einzelnen ihrer Nachbarn historisch begründete Konflikte, außer einer vorsichtigen Annäherung mit Bulgarien (wohl deutlich der unwichtigste Nachbar) gibt es ringsum Feinde. Der nächste Partner ist Israel (wie lange noch?), dann kommt Deutschland (und die Beziehungen werden beidseitig immer mehr ruiniert) und die USA (die sind weit weg und für die sind die Türken nur ein Partner unter vielen).
Die nach 1990 angedachte Zusammenarbeit mit den Turkvölkern Mittelasiens ist Utopie geblieben. Die haben gerne türkisches Geld genommen, ansonsten fehlt das Interesse - außer vagen Gefühlen wg. Sprache und ferner Vorgeschichte gibt es eigentlich keine Gemeinsamkeiten.
In Antwort auf:Die Araber erinnern sich im Gegensatz zu vielen Westlern (wie J Fischer) noch sehr gut daran dass sie ihre Unabhaengigkeit vom osmanischen Reich erkaempfen mussten...
Das ist ja (m. E. zu Recht) schon etwas relativiert worden - aber die Quintessenz bleibt: Zwischen Arabern und Türken gibt es viele alte Animositäten und tief verwurzelte Vorurteile. Dazu Interessenkonflikte z. B. wg. Wasser und Minderheiten.
Nirgends also eine Basis für eine imperiale Wiederbelebung - und im Umkehrschluß sinkt meine Meinung über Stratfor deutlich.
In Antwort auf:Wer ist es morgen? Der Irak?
Interessanter Seitenaspekt. Die Chancen des Irak sind derzeit nicht schlecht. Wenn es weiter gelingt, die internen Konflikte auszugleichen und eine stabile, moderne Gesellschaft zu schaffen, dann hat der Irak mit seinem Ressourcenreichtum sehr gute Karten. Aber natürlich auch nur für regionalen Einfluß - nicht für ein Imperium.
Zitat von john jWeil George Friedman nach Erdogan\'s Ausbruch mal auf eine Weltkarte geschaut hat und dann einen ziemlichen Unsinn zussammengereimt hat der weder Hand noch Fuss hat.
Ganz so krass hätte ich es nicht formuliert - aber im Kern stimme ich Ihnen zu.
Lieber R.A.,
Friedman sagt ja nicht, daß die Türkei ihr altes Imperium zurückbekommen wird, sondern daß eine darauf ausgerichtete Politik eine Option sein könnte; alternativ zur jetzigen Westbindung, die aus der Zeit des Kalten Kriegs stammt. Wobei "Imperium" natürlich heutzutage nicht heißen würde, daß in Kairo wieder ein Khedive sitzt, sondern daß es eine türkische Einflußsphäre gibt.
Ihre Einwände, lieber R.A., mögen alle begründet sein, aber sie widerlegen ja nicht, daß a) die Türkei eine solche Großmachtspolitik versuchen könnte und daß sie b) auch gelingen könnte.
Ich sehe eine eindeutige Parallele zu Rußlands imperialer Politik.
Rußland hat es es - siehe den Vortrag von Maximytschew - nicht verwunden, 1989 sein Imperium zu verlieren.
Die Türkei hat das zwar 1919, dank Kemal Pascha, besser weggesteckt, indem sie sich auf den Weg der Modernisierung gemacht hat.
Jetzt ist sie eine aufstrebende Macht, aufgrund ihrer Bevölkerungszahl, ihrer wachsenden ökonomischen Stärke und der Stärke ihres Militärs.
Also wird sie für sich einen neuen Platz suchen. Und die imperiale Politik ist eine Option.
Zitat von ZettelFriedman sagt ja nicht, daß die Türkei ihr altes Imperium zurückbekommen wird
Das, lieber Zettel, ist mir schon klar. Aber ich widerspreche Friedman schon bei:
In Antwort auf:sondern daß eine darauf ausgerichtete Politik eine Option sein könnte
Wobei ich "Option" hier natürlich nicht als theoretische Idee verstehe, sondern als Konzept mit Realisierungschance. Deutschland hätte natürlich auch die "Option" im ersteren Sinne, das heilige römische Reich wieder herzustellen. Im zweiten Sinne hat es die nicht.
In Antwort auf:Ihre Einwände, lieber R.A., mögen alle begründet sein, aber sie widerlegen ja nicht, daß a) die Türkei eine solche Großmachtspolitik versuchen könnte und daß sie b) auch gelingen könnte.
Man kann natürlich jeden politischen Unsinn versuchen - aber m. E. ist es ausgeschlossen, daß diese Idee mit einem neuen türkischen Imperium gelingen könnte.
Denn letztlich kann Friedman nur auf die türkische Wirtschaftskraft verweisen. Die ist nett, auch von den Wachstumsraten, aber angesichts des Fehlens ziemlich aller sonstigen nötigen Voraussetzungen zu wenig. Konkret liegen die Türken mit gerade mal 1% des Welt-BSP an Platz 18 - hinter der Schweiz. Und bei den Schweizern sehe ich auch kein imperiale Option ;-)
Bei Rußland ist das anders. Die haben eine frische imperiale Tradition (also z. B. das nötige Knowhow bei Diplomaten und Geheimdienst), sie haben Atomwaffen und einen Sitz im Sicherheitsrat, sie haben reichlich Rohstoffe - und sie haben ein Umfeld, in dem sie Anknüpfungspunkte haben, von russischen Minderheiten in den Nachbarstaaten bis zu den alten Seilschaften in der europäischen Politik.
Rußland hat eine imperiale Option - und wird trotzdem damit scheitern.
Die Türkei hat nicht einmal die Option. Sollte die türkische Politik so dumm sein, das dennoch zu versuchen, würde das in einer peinlichen Blamage enden.
"Rußland hat eine imperiale Option - und wird trotzdem damit scheitern.
Die Türkei hat nicht einmal die Option. Sollte die türkische Politik so dumm sein, das dennoch zu versuchen, würde das in einer peinlichen Blamage enden."
Genau so sehe ich das auch. Und (deswegen habe ich mit meinem ersten posting ein bisschen scharf reagiert) ich kann diesen international relations 101 drivel den Leute wie Friedman als "strategische Analyse" verkaufen wirklich nicht ausstehen. Die schauen auf eine Landkarte, checken das GDP, mixen ein bisschen Geschichte von vor 200 Jahren mit rein, stellen fest dass die Region weitgehend die gleiche Religion hat, und fertig ist die "Analyse".
Wenn Friedman mal auch nur ein paar Wochen in dem Emiraten oder Saudi-Arabien verbracht haette dann wuesste er mit welcher abgrundtiefen Verachtung die meisten Araber dort ihrer non local workforce begegnen, dass das auch Muslime sind ist ihnen voellig egal. Und es handelte sich hier u.a. um Ingenieure, Techniker etc, also nicht nur um menial labor. Und diese Araber werden sich von den Tuerken sagen lassen wo es lang geht? Zumal die Tuerken es ja noch nicht mal in ihrem sozusagen ethnischen Hinterhof, also den Turkvoelkern und ihren -stans geschafft haben bemerkenswerten Einfluss aufzubauen. Da sind Russland und auch die USA weit vor der Tuerkei.
Was das GDP der Tuerkei angeht, ja sie hat in den letzten Jahren gut zugelegt, aber wenn man das GDP per capita betrachtet dann liegt sie nur ungefaehr auf Platz 60 statt auf Platz 18. Das heisst das Gesamt-GDP setzt sich aus einem niedrigen pro-Kopf GDP und vielen Koepfen zusammen. Anders ausgedrueckt: Die Tuerkei ist, was das individuelle Einkommen bzw Vermoegen betrifft immer noch eher arm. Keine guten Voraussetzungen fuer das Imperium das sie angeblich anstreben.
Zuletzt: Erdogan soll den Auftritt bzw Abtritt in Davos geplant haben? Er wusste also vorher dass Peres eine emotionale Rede halten wuerde in der der auch auf Erdogan persoenlich eingehen wuerde, er wusste dass der Moderator ihm das Wort abschneiden wuerde usw? Ich denke eher dass Erdogan, der ja gern mal spontan und emotional reagiert und nicht immer ueberblickt was er gerade sagt, mal wieder einen Aussetzer hatte und dieser nun hinterher zur Strategie erklaert wird.
Zitat von john jZuletzt: Erdogan soll den Auftritt bzw Abtritt in Davos geplant haben? Er wusste also vorher dass Peres eine emotionale Rede halten wuerde in der der auch auf Erdogan persoenlich eingehen wuerde, er wusste dass der Moderator ihm das Wort abschneiden wuerde usw?
Nein. Aber er könnte sich doch vorgenommen haben, bei passender Gelegenheit einen solchen Eklat zu produzieren. Wäre es nicht diese Situation gewesen, dann halt eine andere. So eine Konferenz ist ja lang.
bei solchen Diskussionen bewegt man sich logischerweise im Bereich der Mutmaßungen. Sie mutmaßen anders als Friedman und als auch ich.
Lassen Sie mich nochmal den aus meiner Sicht entscheidenden Punkt nennen: Die Türkei war bis 1918 eine Großmacht wie Großbritannien, das Zarenreich, das Habsburger Reich, Deutschland. Sie mußte sich mit dem Verlust dieses Status abfinden und sank auf den den eines unbedeutenden Staats zwischen Europa und Asien herab.
Jetzt ist sie im Aufsteigen begriffen. Sie wird sich einen neuen Platz suchen, der ihrer wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung in der Region (!) gerecht wird. Auch militärisch ist sie in der Region, sieht man von Israel ab, unangefochten die Nummer eins.
Das wird wahrscheinlich imperiale Gelüste wecken. Ich sage nicht (Friedman sagt es ja auch nicht), daß sie zur Regierungspolitik werden; sie sind eben eine Option.
Und anders als Friedman glaube ich übrigens, daß es einen für die Türkei attraktiven dritten Weg gibt: Sarkozys Mittelmeer-Union. Frankreich wird in ihr die Vormacht im westlichen Mittelmeer sein, die Türkei im östlichen.
Zitat von Zettelbei solchen Diskussionen bewegt man sich logischerweise im Bereich der Mutmaßungen.
Nur teilweise - denn ich bestreite ja schon, daß die Fakten Friedmans Mutmaßungen überhaupt tragen.
In Antwort auf:Die Türkei war bis 1918 eine Großmacht wie Großbritannien, das Zarenreich, das Habsburger Reich, Deutschland.
Richtig. Und ich bin Ihnen dankbar, lieber Zettel, daß sie ein so schönes Beispiel wie das Habsburger Reich genannt haben.
Hat Österreich heute, nach dem Fall des eisernen Vorgangs und dem EU-Beitritt fast aller seiner ehemaligen Untertanengebiete, eine Option auf Wiedererrichtung des k.u.k.-Reichs?
Die Antwort ist ein klares Nein. Genauso klar wie im Falle Türkei. Und das hat wenig mit Mutmaßungen zu tun und viel damit, daß die Rahmenbedingungen eine solche Idee völlig unrealistisch machen.
Und da ist es gar nicht mal der Punkt, daß Österreich beim Bruttosozialprodukt zu schwach ist. Selbst wenn es die Größe Deutschlands hätte, wäre die Idee völlig abwegig. Ganz einfach deshalb, weil keines der alten Habsburger-Gebiete noch irgendein Interesse an diesen alten Strukturen hat, die Zeit ist völlig darüber hinweg gegangen.
Selbst die Österreicher selber wären daran kaum noch interessiert. So ein bißchen nostalgische Verklärung beim Heurigen ist noch ok, ein gewisses Partnerschaftsgefühl gegenüber den Ungarn gibt es auch noch, aber der Balkan oder Galizien ist den Österreichern mehr als egal.
Und ähnlich ist das bei den Türken. Auch die freuen sich manchmal über einzelne Höhepunkte ihrer Geschichte. Aber die sind meist ziemlich lange her (z. B. Eroberung von Konstantinopel), das spätere osmanische Reich gilt als dekadente Phase des Niedergangs. Und mit ihren ehemaligen Untertanen (vor allem den Arabern) möchten sie noch weniger zu tun haben als die Österreicher mit den Slawen.
Natürlich möchte die Türkei stark sein, Einfluß nehmen, anerkannt sein. Aber ihre Ziele liegen in Brüssel und Washington, sie will ihre Interessen in Zypern oder im kurdischen Grenzgebiet durchsetzen, sie will Handelsbeziehungen zu den Ex-SU-Gebieten und nach Europa ausbauen.
Mit seiner alten Karte liegt Friedman völlig daneben. Die Türken denken nicht mehr in diesen Kategorien. Die Idee einer Einflußsphäre in Ägypten wäre ihnen ähnlich absurd wie den Deutschen die Frage, ob Togo wieder Kolonie wird.
Deswegen haben sie sich m. W. auch überhaupt nicht für die französischen Mittelmeerpläne interessiert. Erstens ist dieser Plan ohnehin unrealistisch, die Franzosen können da auch gar nichts anbieten. Und zweitens geht es da fast nur um Bereiche, die für die Türkei unattraktiv sind.
Die einzige Richtung, in der die Türkei mal imperiale Versuchungen hatte, war Mittelasien, d.h. die Turkvölker dort, die nach dem Ende der SU selbständig wurden.
Für ein Volk wie die Türken, die sich völlig einsam und isoliert zwischen feindlichen Nachbarn fühlen, war es emotional verlockend, befreundete und verwandte Völker zu finden. Nur haben sie inzwischen festgestellt, daß es außer vagen Emotionen kaum eine Basis für eine Zusammenarbeit gibt.
Nola
(
gelöscht
)
Beiträge:
04.02.2009 18:07
#25 RE: Die Macht der Türkei wächst. Unvermeidlich
In Antwort auf:Zitat R.A. Natürlich möchte die Türkei stark sein, Einfluß nehmen, anerkannt sein. Aber ihre Ziele liegen in Brüssel und Washington, sie will ihre Interessen in Zypern oder im kurdischen Grenzgebiet durchsetzen, sie will Handelsbeziehungen zu den Ex-SU-Gebieten und nach Europa ausbauen.
Dazu habe ich unter "weitere Themen" im letzten Jahr einige Punkte zusammengtetragen. Nachzulesen hier:
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