Ich habe gestern und vorgestern gezögert, zu diesem Thema einen Artikel zu schreiben. Erstens erschien es mir unpassend für Pfingsten. Zweitens sind zur Abtreibung wahrscheinlich alle denkbaren Argumente ausgetauscht. Und drittens sind bei diesem Thema emotional aufgeladene Diskussionen zu erwarten; etwas, das ich in diesem Forum ja zu vermeiden versuche.
Jetzt habe ich dazu doch etwas geschrieben; so sachlich, wie es mir möglich war. Den Ausschlag haben zwei Artikel im gestrigen Slate gegeben, die mir heute zugesandt wurden. Sie enthielten zum Teil Aspekte, die ich so noch nicht gesehen hatte.
Ich bitte, etwaige Diskussionsbeiträge sachlich und mit Achtung für den Standpunkt des Anderen zu schreiben; auch wenn es bei diesem Thema, was ich gut verstehe, schwerfällt.
In der Tat, das hat das Zeug zu intensiven Diskussionen.
Der verlinkte Slate-Artikel ist an folgender Stelle schwach:
Zitat von William SaletanIf a doctor in Kansas were butchering hundreds of old or disabled people, and legal authorities failed to intervene, I doubt most members of the National Right to Life Committee would stand by waiting for "educational and legislative activities" to stop him. Somebody would use force.
The reason these pro-life groups have held their fire, both rhetorically and literally, is that they don't really equate fetuses with old or disabled people.
Oder sie verstehen, dass die Maximalforderung politisch nicht durchsetzbar ist. Dieses Argument versucht Saletan später im Text zu entkräften; meines Erachtens ohne Erfolg.
Viel besser gefallen mir Megan McArdles Posts zum Thema:
Zitat von Megan McArdle[I]n this case, I think the analogy to slavery is important, for two reasons. First of all, it was the last time we had an extended, society-wide debate about personhood. And second of all, as now, there were structural political reasons that it was much harder--nearly impossible--to change slavery through the existing political process.
Listening to the debates about abortion, it seems to me that really broad swathes of the pro-choice movement seem to genuinely not understand that this is a debate about personhood, which is why you get moronic statements like "If you think abortions are wrong, don't have one!" If you think a fetus is a person, it is not useful to be told that you, personally, are not required to commit murder, as long as you leave the neighbors alone while they do it.
Conversely, if Africans are not people, then slavery is not wrong.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
ich finde die Argumentation absolut nachvollziehbar, gerade als Abtreibungsgegner diese Tat zu verurteilen. Gerade wenn man jemanden als Mörder ansieht (was ich bei einer Spätabtreibung eines lebensfähigen Kindes ohne vorliegende medizinische Indikation tue, alles Andere ist Augenwischerei), muss man trotzdem darauf achten, nicht in Selbstjustiz zu verfallen. Ich kann ja auch nicht Verbrecher, die z. B. auf Grund von Verfahrensfehlern auf freien Fuß kommen, einfach nach Gutdünken hinrichten. Das würde mich ebenfalls zum Mörder machen.
Was ich mich aber frage - aus reiner Neugier - ist folgendes: Wieso wird im Kreise aufgeklärter Menschen von Abtreibungsgegnern immer verlangt, für die Ansicht von Abtreibungsbefürwortern Verständnis zu haben? Mir ist klar, dass die Demonstrationen gegen den 218 in der Rückschau oft als Liberalisierungsschub angesehen werden. Ich teile diese Meinung gar nicht, ich halte sie in einer Gesellschaft die vorgibt, dem menschlichen Leben und seiner Unversehrtheit den allerhöchsten Wert einzuräumen, zumindest zivilisatorisch für einen Rückschritt. Und gerade unter den hier oft diskutierten Universalverbietern, die mir nicht einmal soviel Selbstbestimmung einräumen, in meiner Stammkneipe eine Zigarette zu rauchen, ist diese Freigabe eine heilige Kuh. Und dafür fehlt mir offen gesagt schon ein wenig das Verständnis.
Zitat von Meister PetzWas ich mich aber frage - aus reiner Neugier - ist folgendes: Wieso wird im Kreise aufgeklärter Menschen von Abtreibungsgegnern immer verlangt, für die Ansicht von Abtreibungsbefürwortern Verständnis zu haben?
Aus meiner Sicht ist der Dissens so fundamental, daß man vernünftigerweise von keiner Seite Verständnis für die andere erwarten kann, lieber Petz. Die einen können nicht verstehen, wie die anderen Mord billigen können. Ich zB kann nicht verstehen, wieso es Mord ist, wenn das Einnisten einer befruchteten Eizelle verhindert wird.
Ich weiß nicht, ob Sie sich auf meine einleitende Bemerkung bezogen; vielleicht. Da habe ich um gegenseitige Achtung gebeten, was aus meiner Sicht etwas ganz anderes ist als Verständnis. Achtung kann - und sollte - man jedem gegenüber haben, von dem man voraussetzen kann, daß er seine Position aufgrund vernünftiger Überlegung und einer anständigen Gesinnung erreicht hat. Ob man diese Position verstehen im Sinn von nachvollziehen kann, das ist aus meiner Sicht eine andere Frage.
Zitat von ZettelIch weiß nicht, ob Sie sich auf meine einleitende Bemerkung bezogen; vielleicht. Da habe ich um gegenseitige Achtung gebeten, was aus meiner Sicht etwas ganz anderes ist als Verständnis. Achtung kann - und sollte - man jedem gegenüber haben, von dem man voraussetzen kann, daß er seine Position aufgrund vernünftiger Überlegung und einer anständigen Gesinnung erreicht hat. Ob man diese Position verstehen im Sinn von nachvollziehen kann, das ist aus meiner Sicht eine andere Frage.
Ja so habe ich Ihre Anmerkung auch verstanden, aber sie hat mich auch daran erinnert, dass häufig einseitig mehr erwartet wird als nur Achtung für die Person, die etwas sagt (in der Achtung der Person sind wir Katholen im Gegensatz zu den Linksspießern meistens gar nicht so schlecht, wir lieben ja den Sünder, nur nicht die Sünde ). Ich meinte so etwas wie
Zitat von Megan McArdle via Gorgasal ...which is why you get moronic statements like "If you think abortions are wrong, don't have one!" If you think a fetus is a person, it is not useful to be told that you, personally, are not required to commit murder, as long as you leave the neighbors alone while they do it.
Und wir reden hier nicht über das Verhindern der Einnistung einer befruchteten Eizelle (das machen sogar einige Kontrazeptiva oder die Pille danach), sondern über z. T. lebensfähige Kinder.
Zitat von Meister PetzGerade wenn man jemanden als Mörder ansieht (was ich bei einer Spätabtreibung eines lebensfähigen Kindes ohne vorliegende medizinische Indikation tue, alles Andere ist Augenwischerei)
Tiller hat auch gemäß den Gesetzen von Kansas lebensfähige Kinder nur abgetrieben in cases where this would prevent "substantial and irreversible impairment of a major bodily function" for the mother, also nur nach medizinischer Indikation. Dazu gab es auch einen Prozess, den er gewann. http://en.wikipedia.org/wiki/George_Tiller
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von Meister PetzUnd wir reden hier nicht über das Verhindern der Einnistung einer befruchteten Eizelle (das machen sogar einige Kontrazeptiva oder die Pille danach), sondern über z. T. lebensfähige Kinder.
Wenn ein Kind als Frühgeburt zur Welt kommt und die Mutter tötet es, dann steht sie wegen Totschlags (möglicherweise auch Mordes, da bin ich nicht sicher) vor Gericht. Wenn der Abtreibungsarzt eine Frühgeburt herbeiführt und das Kind planmäßig tötet, dann kann er - je nach Gesetzeslage - straffrei bleiben.
Ich halte das auch für eine absurde Gesetzeslage. Da sind wir uns, lieber Petz, vermutlich ganz einig.
Aber wenn ich die katholische Position richtig verstehe, dann entsteht der Mensch nach ihr im Augenblick der Befruchtung. Verhindert man die Einnistung, dann tötet man also einen Menschen; begeht demnach Totschlag oder u.U. Mord. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Zitat von Zettels RaumUnd weist dann darauf hin, daß auch Abtreibungs- Gegner in den USA die Tat jedoch keineswegs gebilligt hätten. Warum eigentlich nicht, fragt Saletan.
Berufsunfähig kann man einen Menschen auch machen ohne ihn zu töten.
Da ist ein fundamentales Loch in ihrer Logik, lieber Zettel: Nur weil man etwas ablehnt, muss man nicht den Mord als Weg dorthin gutheissen. Wir haben ja gerade erst die Debatte gehabt, und Sie selber haben den Standpunkt vertreten, man müsse Gesetze auch um ihrer selbst willen respektieren. Hier passt das durchaus: So können Abtreibungsgegner eine Abtreibung als Mord betrachten, aber deswegen noch lange nicht einen anderen Mord gutheissen, um einen weiteren zu verhindern. Ich könnte durchaus der Meinung sein ein "Abtreiber" sei ein Mörder und gehöre ein Leben langs ins Gefängnis. Dennoch kann ich sein fundamentales Recht auf Leben respektieren.
Und selbst als erklärter Gegner der Abtreibung in sich, kann man trotzdem eine Notwendigkeit sehen, dass dieser Arzt seine Arbeit macht. Denn was ist die Alternative ? Das die Frauen wieder zu Schlächtern gehen werden. Soll es das sein ? Man kann Abtreibungen durchaus als gesellschaftliches Problem sehen (ich sehe es so), und vielleicht auch als gesellschaftlicher Mord. Und trotzdem muss der Arzt kein Mörder sein, seine Motive können absolut ehrenhaft sein.
Zitat von ZettelAber wenn ich die katholische Position richtig verstehe, dann entsteht der Mensch nach ihr im Augenblick der Befruchtung. Verhindert man die Einnistung, dann tötet man also einen Menschen; begeht demnach Totschlag oder u.U. Mord.
Korrekt.
Anderswo hatten Sie geschrieben, dass Sie "einen Haufen Zellen" nicht als Menschen betrachten. Ich darf darauf hinweisen, dass ich auch nur ein (etwas größerer) Haufen Zellen bin (plus eine unsterbliche Seele, aber darauf können wir uns möglicherweise nicht einigen ). Und ich habe den dringenden Verdacht, dass es bei Ihnen nicht viel anders ist - obwohl Sie nach den mir zugänglichen Informationen auch ein sanft grünlich schimmerndes hochintelligentes Gas aus dem Andromedanebel sein könnten, völlig zellfrei
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
In Antwort auf:Aber wenn ich die katholische Position richtig verstehe, dann entsteht der Mensch nach ihr im Augenblick der Befruchtung. Verhindert man die Einnistung, dann tötet man also einen Menschen; begeht demnach Totschlag oder u.U. Mord. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Schwierig ist es, es anders zu definieren. Wir haben ja nur zwei feste Zeitpunkte, an denen man sich orientieren kann. Die Zeugung und die Geburt. Die Geburt ist als Zeitpunkt aber noch viel problematischer. Denn wie würde man es definieren, wenn jemand einer Hochschwangeren ein Medikament gibt, dass den Fötus tötet ? Es ist schwierig, dass keinen Mord zu nennen. Die katholische Position mag rigoros sein, ist aber deutlich konsister als die meisten anderen. Die 3-Monats Regel ist ja nun ein Witz für sich.
Ich finde man muss in dieser Frage sehr vorsichtig sein, eine nicht geteilte Position als absurd zu bezeichnen. Denn der eigene Standpunkt wird in aller Regel kaum weniger absurd sein. Es IST eine schwierige Frage.
die katholische Kirche hatte ja früher auch eine 80-Tage-Frist (http://de.wikipedia.org/wiki/Schwangersc...uch#Christentum), diese wurde mit der "Sukzessivbeseelung" begründet. Im Prinzip ist das ähnlich willkürlich wie die heutige Fristenlösung, aber halt mit theologischer Begründung.
Der Unterschied bestand aber auch damals nur darin, dass die Verfehlung bei einem später abgetriebenen Kind gravierender war. Und dem würde ich zustimmen, allerdings nicht unbedingt aus theologischen Gründen.
Die protestantische Kirche übrigens eiert wie gewohnt rum bei diesem Thema (auch aus dem Artikel):
Zitat von WikipediaDie protestantische Sozialethik entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit der Enzyklika Casti connubii von 1930 eine nuancierte Haltung. Grundsätzlich wird der Schwangerschaftsabbruch verurteilt, aber es wird auch die Forderung abgelehnt, dass eine Frau ein ungewolltes Kind gegen ihren dezidierten Willen austragen und sich dann Jahrzehnte lang um das Kind kümmern müsse; auch in das Leben der Mutter werde dadurch unwiderruflich eingegriffen. Dieser Konflikt des Rechtes auf die eigene Lebensgestaltung sowohl bei der Mutter als auch beim Kind sei nicht auflösbar, und ein Kompromiss nicht möglich.[70Die feministische Bewegung stellt die Autonomie und die Eigenverantwortung als Ausdruck der Menschenwürde unabhängig von der Entscheidung für oder Gegen den Schwangerschaftsabbruch in den Vordergrund.[73]
Zitat von Meister PetzGerade wenn man jemanden als Mörder ansieht (...), muss man trotzdem darauf achten, nicht in Selbstjustiz zu verfallen. Ich kann ja auch nicht Verbrecher, die z. B. auf Grund von Verfahrensfehlern auf freien Fuß kommen, einfach nach Gutdünken hinrichten. Das würde mich ebenfalls zum Mörder machen.
Mit der selben Argumentation könnte man sich gegen die Todesstrafe wenden. Auch da wird eine Art Selbstjustiz in Stellvertretung ausgeübt und staatlich ("vom Volk") sanktioniert.
Das ganze Thema geht weit über sachliche, biologische und juristische Betrachtungen hinaus, es betrifft uns in unserem Innern, in unserer Lebensauffassung, in unseren Emotionen. Ich selbst fühle mich je nach Gesichtswinkel, den ich annehme, einmal auf der einen, dann auf der anderen Seite des Spektrums. Was mich am meisten bewegt: Welche persönlichen Motivationen kann ein Abtreibungsarzt (oder im Falle der Todesstrafe der vollstreckende Arzt) haben, sich solcher Fälle anzunehmen?
In der rabbinischen Tradition gibt es (unter anderem) die Ansicht, ein Kind sei erst 30 Tage nach der Geburt ein Mensch mit vollständiger Seele. Abtreibung ist deswegen noch lange nicht erlaubt, aber kein Mord.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von Meister PetzGerade wenn man jemanden als Mörder ansieht (...), muss man trotzdem darauf achten, nicht in Selbstjustiz zu verfallen. Ich kann ja auch nicht Verbrecher, die z. B. auf Grund von Verfahrensfehlern auf freien Fuß kommen, einfach nach Gutdünken hinrichten. Das würde mich ebenfalls zum Mörder machen.
Mit der selben Argumentation könnte man sich gegen die Todesstrafe wenden. Auch da wird eine Art Selbstjustiz in Stellvertretung ausgeübt und staatlich ("vom Volk") sanktioniert.
Außer, dass wir eben unser Recht auf Gewaltausübung an den Staat mit seinem Gewaltmonopol abgegeben haben. Sonst wäre auch jede Gefängnisstrafe Freiheitsberaubung, jede Geldstrafe Diebstahl.
Zitat von vivendiWas mich am meisten bewegt: Welche persönlichen Motivationen kann ein Abtreibungsarzt (oder im Falle der Todesstrafe der vollstreckende Arzt) haben, sich solcher Fälle anzunehmen?
Tiller trieb ja nur nach medizinischer Indikation ab. Wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht, dann kann ich es schon nachvollziehen, wenn ein Arzt die Abtreibung lieber durchführt, als dass die Schwangere in einem unsterilen Hinterhof abtreibt.
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
Zitat von WikipediaDie feministische Bewegung stellt die Autonomie und die Eigenverantwortung als Ausdruck der Menschenwürde unabhängig von der Entscheidung für oder Gegen den Schwangerschaftsabbruch in den Vordergrund.
Ich bin grundsätzlich auch dieser Ansicht, dass es sich, genauso wie bei der passiven oder aktiven Sterbehilfe, um eine höchst persönliche Entscheidung handelt, die weder die "Gesellschaft" noch der Gesetzgeber übernehmen kann. Es ist kaum anzunehmen, dass jemand den einen (Abtreibung) oder den anderen (Wunsch zu sterben) Entscheid aus anderen Gründen als aus einer höchst persönlichen, unüberwindlichen Notlage heraus trifft. Zumindest die volle Entscheidungsgewalt über seinen eigenen Körper (und was ihm entspringt), muss jedem Individuum überlassen bleiben. Ohne diese Entscheidungsfreiheit gibt es keine Menschenwürde.
Zitat von GorgasalAußer, dass wir eben unser Recht auf Gewaltausübung an den Staat mit seinem Gewaltmonopol abgegeben haben. Sonst wäre auch jede Gefängnisstrafe Freiheitsberaubung, jede Geldstrafe Diebstahl.
Genauso, wie wir dem Staat das Recht auf Gewaltausübung durch Folter untersagen, können wir dem Staat auch den institutionalisierten Mord untersagen.
Zitat von Gorgasal
In Antwort auf:Was mich am meisten bewegt: Welche persönlichen Motivationen kann ein Abtreibungsarzt (oder im Falle der Todesstrafe der vollstreckende Arzt) haben, sich solcher Fälle anzunehmen?
Tiller trieb ja nur nach medizinischer Indikation ab. Wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht, dann kann ich es schon nachvollziehen, wenn ein Arzt die Abtreibung lieber durchführt, als dass die Schwangere in einem unsterilen Hinterhof abtreibt.
Das kann ich auch nachvollziehen, und ich bin der Ansicht, dass das im Entscheidungsermessen der Schwangeren liegen muss. Mir geht es eher um die persönliche Motivation des Arztes. Niemand zwingt ihn, diese offenbar nicht sehr erfreuliche Operation vorzunehmen. Er könnte sich auch auf Blinddärme spezialisieren oder als Tischler arbeiten ...
Zitat von vivendiEs ist kaum anzunehmen, dass jemand den einen (Abtreibung) oder den anderen (Wunsch zu sterben) Entscheid aus anderen Gründen als aus einer höchst persönlichen, unüberwindlichen Notlage heraus trifft. Zumindest die volle Entscheidungsgewalt über seinen eigenen Körper (und was ihm entspringt), muss jedem Individuum überlassen bleiben. Ohne diese Entscheidungsfreiheit gibt es keine Menschenwürde.
Lieber vivendi, das ist durchaus nicht auszuschließen, dass etwas anderes als eine unüberwindliche Notlage vorliegt (der Anteil der Abtreibungen aus medizinischer oder kriminologischer Indikation liegt irgendwo bei 3%). Eine Veränderung der indivisuellen Lebensplanung sehe ich nicht als unüberwindliche Notlage an. Außerdem sind die beiden Entscheidungen nur begrenzt vergleichbar. Eine Abtreibung wird vorgenommen, um das Leben anschließend zu erleichtern, während ein Suizid es beendet.
Das mit der Entscheidungsgewalt und der Menschenwürde ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn ich Zettels "liberal-konservativen Vermittlungsausschuss" bei mir durchführe, schlägt in dem Fall die konservative Seite durch. Achtung der Menschenwürde bedeutet nämlich für mich auch, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn einem die ganze Sache nicht in den Kram passt. Und es ist einfach aus meiner Sicht unverantwortlich und moralisch inakzeptabel, ein Kind nicht zu bekommen, weil es einem nicht in den Kram passt. Natürlich mag es der Menschenwürde entsprechen, wenn ein Mensch die Freiheit hat, alles zu tun wozu er in der Lage ist. Aber er hat halt auch die Pflicht als moralisches Wesen, mit dieser Freiheit anständig umzugehen. Mir geht es keineswegs um ein Abtreibungsverbot. Die staatliche Erlaubnis hält einen verantwortungsvollen Menschen nicht davon ab, die Verantwortung zu übernehmen, genau wie umgekehrt das Verbot nichts verhindert. ich bin lediglich dagegen, das Recht dazu (oder sogar das Bekenntnis, eine Abtreibung vorgenommen zu haben) als zivilisatorischen Fortschritt zu feiern.
Zitat von vivendiWas mich am meisten bewegt: Welche persönlichen Motivationen kann ein Abtreibungsarzt (oder im Falle der Todesstrafe der vollstreckende Arzt) haben, sich solcher Fälle anzunehmen?
Wenn man Ihrer Argumentation aus dem anderen Posting folgt: Er respektiert ihre Menschenwürde und hilft ihr, ihre volle Verfügungsgewalt über das, was ihrem Körper entspringt, wahrzunehmen. Genauso wie der Henker die von einem ordentlichen Gericht als rechtmäßig befundene Strafe vollstreckt.
Nur interessanterweise sind weder Scharfrichter (selbst bei Todesstrafenbefürwortern) noch Abtreibungsärzte (selbst bei Abtreibungsbefürwortern) sonderlich wohlgelitten. Obwohl sie doch beide einem edlen und vornehmen Zweck dienen (Gerechtigkeit bzw Menschenwürde). Wie kommts?
Zitat von LlarianDa ist ein fundamentales Loch in ihrer Logik, lieber Zettel: Nur weil man etwas ablehnt, muss man nicht den Mord als Weg dorthin gutheissen.
Es ist nicht meine Logik, lieber Llarian. Es ist die von William Saletan, die ich referiere, weil sie mir interessant erscheint.
Meine eigene Haltung ist, wie oft, differenziert; Sie können auch sagen: schwankend oder vage. Ich kann mich weder dem Rigorismus derer anschließen, die mit dem Papst jede Abtreibung als Mord ansehen, noch der leichtfertigen Unbekümmertheit derer, die überzeugt sind, daß "ihr Bauch ihnen gehört".
Ich kann in einer befruchteten Eizelle, in einer Morula oder einer Blastula keinen Menschen sehen, dessen Recht auf Leben und dessen Würde es zu respektieren gilt. Ich kann aber auch in einem Fötus im siebten Monat keinen Körperteil der Mutter sehen, den man auf deren Wunsch oder aufgrund einer Indikation chirurgisch entfernen kann.
Die Grenze liegt aus meiner Sicht dort, wo das ZNS so weit ausgebildet ist, daß - wenn auch rudimentäre - Empfindungen möglich sind. Ich neige deshalb einer strengen Fristenlösung zu.
Ich weiß, lieber Llarian, daß man dagegen viel einwenden kann - wie soll denn sozusagen von einer Sekunde auf die andere aus einem Nichtmenschen ein Mensch werden? Kann man diesen Zeitpunkt nicht fast beliebig definieren? Hängt denn das Recht auf Leben an der Empfindungsfähigkeit?
Es sind dieselben Probleme wie zB auch bei Patienten, deren Gehirnfunktionen weitgehend erloschen sind, die aber noch vegetativ funktionieren. Haben sie ein Recht auf Leben? Wo ist die Grenze?
Es ist dasselbe Problem wie beim Umgang mit höheren Tieren. Müssen wir - wie es Peter Singer fordert - nicht zum Beispiel Primaten als Personen respektieren? Ist es begründbar, daß ein Schimpanse kein Recht auf Leben hat, wohl aber eine Morula?
Zitat von GorgasalAnderswo hatten Sie geschrieben, dass Sie "einen Haufen Zellen" nicht als Menschen betrachten. Ich darf darauf hinweisen, dass ich auch nur ein (etwas größerer) Haufen Zellen bin (plus eine unsterbliche Seele, aber darauf können wir uns möglicherweise nicht einigen).
Zitat von Gorgasal Und ich habe den dringenden Verdacht, dass es bei Ihnen nicht viel anders ist - obwohl Sie nach den mir zugänglichen Informationen auch ein sanft grünlich schimmerndes hochintelligentes Gas aus dem Andromedanebel sein könnten, völlig zellfrei.
Sie haben's getroffen, aber bitte nicht weitersagen. Einige im Web lauern nur darauf, meine Identität zu lüften.
Allerdings schimmere ich nicht grünlich, sondern mal gelblich-bläulich und mal schwärzlich, je nach Druck und Temperatur. Und hochintelligent bin ich allerdings nur für ein Gas. Wobei wir Gase aus dem Andromedanebel einen leichten evolutionären Vorsprung vor euren terrestrischen Gasen haben könnten.
Ich gebe jetzt auch nur eine Argumentation wieder: Spätabtreibungen seien in bestimmten Fällen berechtigt, um das Leben der Schwangeren zu retten. Diese »bestimmten Fälle« können aber nach Meinung einiger Ärzte physische oder psychische Gründe haben. Bei einer Spätabtreibung (z.B. nach der genetischen Untersuchung des Fötus) darf man wohl davon ausgehen, dass Unbekümmertheit nicht mehr zutrifft. Ich stehe genauso ratlos vor der Frage, wo man die Grenze ziehen soll. Ich kenne aber den Ausspruch (sinngemäß): »Eine Frau wird alles Erdenkliche tun, um ihr Kind zu bekommen. Eine andere Frau wird alles Erdenkliche tun, um ihr Kind nicht zu bekommen«. Dieses »alles Erdenkliche« schließt, wie wir wissen, die Selbstvernichtung mit ein.
Lieber Meister Petz, wie immer, kann ich aus Ihren Beiträgen viel lernen. Sogar über meine ehemals eigene Konfession. Die Wiedergabe von Wikipedia und Einstellung der Protestanten mit ihrem "rumgeiere", würde ich keinesfalls als solches ansehen. Einfach deshalb, weil wohl in der Sache tatsächlich kein Konsens zu erreichen ist.
Wenn Frau den rechtlichen Bereich, den menschlichen Bereich, den gläubigen Bereich, (früher in D) den kriminellen Bereich, den finanziellen Bereich, den ethischen Bereich, den familiären Bereich etc. abwägen sollte - wenn es denn überhaupt ein Überlegen an Abtreibung gibt - kommen mindestens 2 - 3 Bereiche miteinander in Konflikt.
Nun ist das ja insgesamt genommen keine Gegeneinander-Abwägung die man vornimmt, sondern doch meistens schwerwiegende Gründe, die zu solchen Grundsatzgedanken führen. Seit dem im gesellschaftlichen Bereich hier keine Grauzone mehr besteht und eine unverheiratete werdende Mutter nicht mehr gebrandmarkt wird, ist ja schon so viel gewonnen, das Abtreibungen zwar doch noch geschehen, ist dann doch meist aus gesundheitlichen und anderen schwerwiegenden Gründen zu verstehen.
Ich selbst habe als Kind erlebt, wie in der Nachbarsfamilie mit drei Töchtern, die mittelälteste 18jährige Tochter sich das Leben mit Tabletten genommen hat, weil sie von ihrem verheirateten Chef schwanger war. Diese zutiefst seelische Not, wünsche ich niemandem auf der ganzen Welt, und sie wird nicht abgeschafft dadurch, das man derlei Entscheidungen mit abstrakter "Oberkommandatur" bewertet. Ich denke unsere Gesetzgebung hat hier einen großen Meilenstein gesetzt. Indem es diese starre - würde ich jetzt sagen frauenfeindliche - Gesetzgebung aufgebrochen hat, dann kriegt das wieder diesen "mein Bauch gehört mir" Touch den ich gar nicht meine, würde ich sagen menschenverachtende Gesetzgebung, wird sofort der Schutz des Ungeborenen herangezogen, ich versuchs mal mit seelenfeindlicher Gesetzgebung.
Ich behaupte, rein genetisch bedingt, kann ein Mann überhaupt nicht nachvollziehen, was in einer Frau passiert, wenn sie weiß das sie neues Leben in sich trägt. Und selbst die dümmste, oberflächlichste Frau hat Mutterinstinkt und wird trotz schlichten Gemüts nicht mal eben diese Entscheidung aus dem Handgelenk treffen.
Eins möchte ich jedoch auch ganz deutlich sagen, eine Gesellschaft die sich zum Wohle und Schutz von geborenem und ungeborenem Leben einsetzt sieht anders aus, da braucht es mehr als heuchlerische o. g. Diskussionen. Eine Gesellschaft, die ihre Jugendlichen mit einem verlogenen, dargebotenem Sexwahn via Medien aufzieht, die die Pille davor, danach, damit, ihr könnt poppen bis zum umfallen, es gibt für alles eine Pille, die mittlerweile Kondome für Kinder fordert, weil die übliche Dareichungsform zu groß ist, wo sich Jungs gegenseitig ihre Genetialien stärkster brutalster Gewalt aussetzen - wie gestern auf M-TV gesehen (also der Jugend und Musikvideokanal), die hier eine Spielart übersatter Gefühle vermittelt, dürfte sich eigentlich über das Thema hier im Thread gar nicht wundern und äußern.
Diese wirklichen kranken Gehirne die sich im TV, speziell im Jugendkanal, verbreiten dürfen, wobei alle wissen das auch das die Jugendlichen nachahmen werden. Ich erinnere nur an die Gewaltvideos, die die Kinder selbst schon produzieren, wo sind sie denn alle wenns darum geht, hier den Hebel anzusetzen? Es wird so viel verboten an unwichtiger Stelle, aber einem Bushido und ähnl. Nachfolger läßt man jeden Sch... zum Vortrage bringen, die angeblich das Gefühl einer ganzen Generation ausdrücken. Ich würde da eher sagen die eine ganze Generation geformt hat. Das ist die linke Freiheit, der niemals Grenzen gesetzt wurde.
Man wartet zurückgelehnt, "geht mich ja nichts an", bis eine Zensursula kommt und richtig verbietet.
In Antwort auf:Der Unterschied bestand aber auch damals nur darin, dass die Verfehlung bei einem später abgetriebenen Kind gravierender war. Und dem würde ich zustimmen, allerdings nicht unbedingt aus theologischen Gründen.
Geht mir ganz ähnlich, lieber Meister Petz. Und dennoch ist diese Antwort nicht befriedigend. Wird das Embryo auf dem Weg vom Zellhaufen zum Kinde sukzessive ein Mensch ? Erst gar kein Mord, dann ein bischen, dann voll ? Ich muss hier unkonstruktiv bleiben, mir gefällt keine der Anworten. Mir will nicht wirklich in den Kopf, dass ein (kleiner) Zellhaufen ein Mensch sein soll. Aber es erscheint mir dennoch das sicherste zu sein.
In Antwort auf:Die protestantische Kirche übrigens eiert wie gewohnt rum bei diesem Thema
Zeigen Sie mir mal ein Thema, wo die nicht rumeiert, bzw. irgendeinen Standpunkt einnimmt, der nicht gerade vorherschenden Mainstream entspricht (sage ich aus meiner Frustration als (zahlender) Protestant heraus).
In Antwort auf:Zumindest die volle Entscheidungsgewalt über seinen eigenen Körper (und was ihm entspringt), muss jedem Individuum überlassen bleiben. Ohne diese Entscheidungsfreiheit gibt es keine Menschenwürde.
Nein, liebe(r) videndi, dem kann ich nicht zustimmen. Wenn ein Mensch in einer Jauchegrube ertrinkt, ein anderer das sieht, dann hat dieser die Pflicht einzugreifen. Er muss sich nicht in Lebensgefahr bringen, aber die Entscheidungsgewalt über seinen eigenen Körper ist hier begrenzt und er muss Ekel und ggf. auch Schmerzen, ertragen. Analoge Beispiele lassen sich finden, so hat ein Soldat auch nicht das Recht, beliebig lange Haare zu tragen (zumindest sehen das die meisten Armeen so, die deutsche mag die Ausnahme sein). Natürlich sind Eingriffe, gerade in die körerpliche Unversehrtheit, mehr als schwierig. Das GG verbietet sie genaugenommen. Und dennoch wird abgewogen, denn auch Grundrechte unterliegen einer Abwägung gegen andere Grundrechte. Zum Beispiel das Recht auf Leben und Würde des anderen.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.