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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 54 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.03.2010 11:36
Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

In dieser Meckerecke greife ich noch einmal das Thema der Verhaftung von Jörg Kachelmann auf, zu dem es schon diesen Thread gibt.

Es geht mir diesmal nicht um den Fall als solchen, sondern um das Instrument der U-Haft. Was inzwischen über die Bedingungen bekannt ist, unter denen Jörg Kachelmann zu leben gezwungen wird - ein Mann, der wie Sie und ich unbescholten ist und als unschuldig zu gelten hat -, ist schlichtweg empörend.

Jedenfalls für einen Liberalen, der die Würde des Menschen höher achtet als das Geld, das der Staat durch derart unwürdige Haftbedingungen einsparen mag.

Forentourist Offline



Beiträge: 36

25.03.2010 12:16
#2 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Alles sehr richtige Anmerkungen. Nur ist damit leider keine Wahl zu gewinnen, und deshalb haben solche Maßnahmen auch kaum Priorität bei der entscheidenden Klasse.

Bessere Unterbringung kostet Geld. Die Pizza vom Bringdienst auf eine eingebackene Feile zu durchleutchten, kosten auch Geld (für Personal und Material). Eine angemessene Entschädigung für unschuldige U-Häftlinge kostet Geld. Und verglichen mit der geringen Anzahl der Betroffenen ist das relativ viel Geld. Geld, mit dem man auch andere Wähler umschmeicheln könnte. Ohne die Gefahr, eine "Luxus-Knast"-Schlagzeile in der Bildzeitung zu produzieren.

Diskus Offline



Beiträge: 206

25.03.2010 12:57
#3 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Zitat
Freilich ist das Schweizerdeutsch für kräftiges Regnen. Im Deutschen bedeutet es bekanntlich Urinieren.


Und kräftiges Regnen. Zumindest in Norddeutschland.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

25.03.2010 13:06
#4 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Zitat von Forentourist
Ohne die Gefahr, eine "Luxus-Knast"-Schlagzeile in der Bildzeitung zu produzieren.


Das ist leider alles richtig.

Wir hatten das vor einigen Jahren, als in Weiterstadt eine reine Untersuchungshaftanstalt gebaut wurde. Die hatte z. B. ein Schwimmbad - als kleiner Ausgleich, was den U-Inhaftierten an anderen Sportmöglichkeiten genommen wurde.

Das gab einen kreischenden Aufschrei in der Presse.

Florian Offline



Beiträge: 3.135

25.03.2010 13:19
#5 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Zitat
Zitat
--------------------------------------------------------------------------------
Freilich ist das Schweizerdeutsch für kräftiges Regnen. Im Deutschen bedeutet es bekanntlich Urinieren.
--------------------------------------------------------------------------------
Und kräftiges Regnen. Zumindest in Norddeutschland.



Und in Bayern.
Es ist wohl ein ganz allgemeiner Slang-Ausdruck.
(Ich habe übrgigens mal ein paar Jahre in der Schweiz gewohnt - und kann mich nicht daran erinnern, dort "schiffen" schon einmal gehört zu haben.
Meine Vermutung ist daher, dass Kachelmann hier ganz bewusst einen deutschen Ausdruck verwendete. Schliesslich wendete er sich ja auch an ein deutsches Publikum).

So oder so: Was diese Anekdote im Welt-Artikel zu tun hat, verstehe ich auch nicht. (Wobei ich den Umgang der Medien mit Kachelmann bislang eigentlich relativ fair finde. Er hat wohl das Glück, eher ein "lieber Schwiegesohn-Image" zu haben, so dass man ihm die Tat nicht ohne weiteres zutraut. Würde der gleiche Vorwurf gegen "problematischere" Charaktere erhoben (sagen wir mal Dieter Bohlen oder Lothar Matthäus) wäre die öffentliche Vor-Verurteilung sicher viel stärker.

Was Ihre Meinung zur Untersuchungshaft betrifft:
volle Zustimmung!!
Schon wenige Tage in Untersuchungshaft können einen Menschen gesellschaftlich vernichten. Das sollte daher wirklich die ultima ratio sein.
Und WENN man schon U-Haft anordnet, dann müsste man sich zumindest um ein Gerichtsverfahren in ganz wenigen Wochen kümmern.

Auch die Idee, dass sich U-Häftlinge (auf eigene Kosten) etwas mehr Komfort zulegen können, finde ich gut.
Vielleicht kostet die Pizza dann 30 Euro (weil sie ja durchleuchtet werden muss etc.) - aber warum nicht, wenn man sich das leisten will.

vielleichteinlinker ( gelöscht )
Beiträge:

25.03.2010 13:20
#6 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Der "Knast" in Weiterstadt wurde äußerst regelmäßig in der Presse als genau das bezeichnet. "Luxusknast". Zu meiner Schulzeit haben wir eine Landtagsdebatte gesehen, in der sich CDU und SPD um den Luxusknast gestritten haben. Freilich ging es um Geld und natürlich hat die SPD-Regierung die Verhältnisse verteidigt - derweil die CDU sich über "Swimming-Pool" und "Fitnessräume" echauffierte. (Es ist übrigens erstaunlich oft vom "Swimming-Pool" die Rede. Nicht etwa von einem Schwimmbecken. Ich vermute der Pool klingt eher nach so etwas und nicht danach). Heute ist es einfach andersrum. Die anderen meckern und die einen verteidigen.

Aber was ich eigentlich sagen wollte: "Schiffen" ist nicht Schweizerdeutsch. Oder zumindest nicht mehr als es auch im "normalen" Deutsch eingebürgert ist. Die Bedeutung "regnet stark" ist auch im Deutschen bekannt. Allerdings - deswegen wundert man sich bei Kachelmann etwas - klingt es unflätig, ist von dem Wort für "Urinieren" abgeleitet.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.03.2010 13:21
#7 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Forentourist
Ohne die Gefahr, eine "Luxus-Knast"-Schlagzeile in der Bildzeitung zu produzieren.


Das ist leider alles richtig.
Wir hatten das vor einigen Jahren, als in Weiterstadt eine reine Untersuchungshaftanstalt gebaut wurde. Die hatte z. B. ein Schwimmbad - als kleiner Ausgleich, was den U-Inhaftierten an anderen Sportmöglichkeiten genommen wurde.
Das gab einen kreischenden Aufschrei in der Presse.


Wahrscheinlich machen die meisten Menschen sich nicht klar, daß es jedem von uns widerfahren kann, in U-Haft genommen zu werden. Es kann immer falsche, aber glaubhafte Beschuldigungen geben. Es kann immer sein, daß bestimmte Umstände sich zufällig so unglücklich fügen , daß ein dringender Tatverdacht konstatiert wird.

Als ich den Artikel schrieb, hatte ich einen der eindringlichsten, beklemmendsten Filme von Hitchcock vor Augen, "The wrong man"; deutsch "Der falsche Mann". Da wird gezeigt, wie eine solche Verhaftung über einen Unschuldigen hereinbricht; der Albtraum.

Noch eine allgemeine Bemerkung, lieber R.A.: Kaum etwas ist nach meiner Erfahrung für das Urteil der meisten Menschen in solchen Bereichen wichtiger als ihre (implizite) Frage: Könnte das auch mir passieren?

Man erregt sich nicht darüber, daß der Staat sich bei der Verfolgung von Steuerhinterziehern wie ein Hehler benimmt, daß jedem Datenschutz Hohn gesprochen wird - denn es sind ja die anderen, die Reichen, die es trifft. Und wird jemand verhaftet, dann ist meist die nachgerade reflexartige Reaktion: Es wird schon etwas dran sein.

Der Verhaftete verwandelt sich vom Normalbürger in einen, der ausgegrenzt ist, mit dem man sich nicht identifizieren möchte. Er bekommt ein Kainsmal. Irgendwie ist er ja jetzt auch ein Knacki, der Kachelmann.

Mir könnte das nie passieren, denkt der Bürger. Aber da irrt er halt.

Herzlich, Zettel

Martin Offline



Beiträge: 4.129

25.03.2010 15:36
#8 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

'Schiffen' ist auch in BaWü gebräuchlich. 'Regnen' ist ein emotionsloser Begriff, 'Schiffen' drückt aber noch den Ärger oder das Mitgefühl über diese Wetterlage aus. "Mensch, morgen regnet es" ist etwas anderes als "Mensch, morgen schifft es".

Gruß, Martin

Martin Offline



Beiträge: 4.129

25.03.2010 15:48
#9 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Lieber Zettel,

Ihrer Ausführung stimme ich voll zu. Ergänzend aus einem Radiointerview eines Mannheimer Vollzugsbeamten, gefragt nach der Unterbringung in einer Zweimannzelle: Dies sei eine auf Erfahrungswerten beruhende Vorsichtsmaßnahme und Standardprozedur, um Suizid in der U-Haft zu verhindern.

Ich habe mich dabei gefragt, wer so arrogant sein kann, Erfahrungswerte derart zu verallgemeinern, insbesondere, da das tagelange Zusammensperren mit einem unerträglichen Menschen an psychische Folter grenzen kann.

Gruß, Martin

Zazaz Offline



Beiträge: 52

25.03.2010 16:18
#10 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Sicherlich ist U-Haft kein Vergnügen. Ich stimme zu dass die U-Haft etwas komfortabler gestaltet werden sollte. Üblicherweise überlegen sich aber sowohl Gericht als auch StA recht genau, ob ein Haftbefehl erlassen werden soll, besonders bei Prominenten.

Übrigens, die Möglichkeit einen Haftbefehl gegen Kaution aufzuheben gibt es in Deutschland bereits, §§ 116, 116 a StPO. Nur wird davon wenig gebrauch gemacht weil bei 95 % aller U-Häftlinge kein (legales) Vermögen vorhanden ist. Fälle wie Kachelmann sind die absolute Ausnahme.

Calimero Offline




Beiträge: 3.280

25.03.2010 16:22
#11 Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

Als ich ihren Artikel las, lieber Zettel, habe ich mich spontan ihrem "gerechten Zorn" angeschlossen. Ja, U-Haft stigmatisiert einen vielleicht unschuldigen Menschen. Ja, Freiheitsentzug ist Horror. Ja, man sollte die angebliche Fluchtgefahr auch eleganter bannen können (wobei ich mir bei einem TV-Promi kaum vorstellen kann, dass der sich irgendwo verstecken könnte - vor allem, wenn seine Haupteinnahmequelle das deutsche Fernsehen ist).

Auch die beschriebene Hygienesituation ist eines entwickelten Landes unwürdig. Aber ... was die Unterbringung und Verpflegung eines unbescholtenen Staatsbürgers angeht möchte ich doch etwas anmerken.

Ein deutscher Wehrpflichtiger ist auch ein unbescholtener Bürger. Trotzdem wird ihm die Freiheit entzogen (bei mir waren es am Anfang zwei oder drei Wochen ohne jeglichen Außenkontakt und mit striktem Rauch- und Alkoholverbot). Freiheit? Keine. Dafür Anbrüllen und würdelose Erziehungs- und Lernrituale, nebst Rödelei bis zum Umfallen.
Die Unterbringung von zwei Menschen auf 13 m²? Es gibt echt Schlimmeres. Unsere 4-Bett-Stuben waren wahrscheinlich auch nicht viel größer, aber man war froh, sich wenigstens mit "Mitinsassen" austauschen zu können. Richtig schlimm war mal so ein 24-Mann-Schlafsaal in einer ehemaligen französischen Kaserne (Nur Kaltwasser).

Tja, und das Essen? Fleischkäse mit Wirsing? Ich glaube kaum, dass dies das einzig wählbare "Menü" war. Es wundert mich sogar ein wenig, dass im Knast überhaupt noch Schweinefleisch angeboten werden darf . Und ... auch verknackte Vegetarier müssen ja versorgt werden.



Ich gehe mit ihnen, wenn sie die deutsche U-Haft-Praxis anprangern (hab vor 'ner Weile mal irgendwo gelesen, dass U-Haft schlimmer als "reguläre" Haft sei), aber an einem prominenten Beispiel "das staatliche Handeln" als überzogen darzustellen greift mE zu kurz. Da fehlt der Seitenblick auf andere "frei(wehr)willig" Verknackte, und der auf die Härte der Sanktion, je prominenter, oder muslimischer ein potentieller Straftäter ist.

Beste Grüße, Calimero

----------------------------------------------------
Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

vivendi Offline



Beiträge: 663

25.03.2010 17:13
#12 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

"Schiffe" ist im Schweizer Dialekt Umgangssprache und absolut nicht unflätig. Es gibt einen weiteren Ausdruck, der aber eher an der Untergrenze liegt "Saiche".

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 1.997

25.03.2010 17:17
#13 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

@ Calimero:

Sehr gute Einschätzung, man könnte fast gleuben, Sie hätten Erfahrung :)

Ein paar Anmerkungen:

- Einzelzellen sind nicht unbedingt besser: Selbst ein Mann vom Bildungsstand eines Zettel wird sich (wenn er die Wahl gehabt hätte) nach einer Woche in einer Einzelzelle (ohne Zugang zu Medien) wünschen, er wäre zu dem Nazi in die Zelle gegangen; lieber mit einem Deppen unterhalten als 23 Stunden am Tag die Wand anstarren.

- Es gibt tatsächlich die Wahl zwischen 2 Menüs: Eines mit deutscher Kost und eines für Vegetarier und Moslems

- Der U-Häftling hat weniger Rechte als ein Strafgefangener. Das hat mit dem laufenden Verfahren zu tun; man möchte beispielsweise Verhindern, dass jemand aus dem Gefängis Zeugen einschüchtert oder Komplizen warnt. Deshalb dürfen U-Häftlinge nicht telefonieren und können faktisch auch keine Briefe schreiben und erhalten, weil die vom Staatsanwalt oder einem Gericht geprüft werden müssen und deshalb wochen- und monatelang unterwegs sind. U-Häftlinge dürfen meist (entscheidet die Haftanstalt bzw. Gericht und Staatsanwalt) auch nicht arbeiten (ich darf noch mal an die Langeweile eines nicht enden wollenden Tages erinnern), weil man den Kontakt mit Strafgefangenen weitestgehend vermeiden möchte (so könnte ein U-Häftling einem Strafgefangenen einen Brief geben, den dieser dann ohne Kontrolle verschicken darf).

Grüße,
Alfonzo

FTT_2.0 Offline



Beiträge: 537

25.03.2010 17:20
#14 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Zitat von vivendi
"Schiffe" ist im Schweizer Dialekt Umgangssprache und absolut nicht unflätig. Es gibt einen weiteren Ausdruck, der aber eher an der Untergrenze liegt "Saiche".



In Franken und Altbayern benutzt man letzteres Wort in selbiger Bedeutung auch. "Schiffen" habe ich persönlich eher im Südwesten Deutschlands gehört.

P.S. Ich finde es interessant, wie sich der Thread entwickelt.

Florian Offline



Beiträge: 3.135

25.03.2010 17:43
#15 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

@ Alfonzo:

Zitat

- Der U-Häftling hat weniger Rechte als ein Strafgefangener. Das hat mit dem laufenden Verfahren zu tun; man möchte beispielsweise Verhindern, dass jemand aus dem Gefängis Zeugen einschüchtert oder Komplizen warnt.



Es gibt ja soweit ich sehe 2 verschiedene Gründe für Untersuchungshaft:
(a) Fluchtgefahr und (b) Verdunkelungsgefahr.

Die von Ihnen beschriebenen harten Beschränkungen sind ja nur wegen (b) notwendig.
Denn ginge es nur um (a), dann wäre ja z.B. ein freier Medienzugang und ein freier Kontakt zur Außenwelt unproblematisch.

Nun meine Verständnisfrage:
Werden die Beschränkungen eigentlich unterschiedlich gehandhabt, je nachdem ob (a) und/oder (b) der Grund für die U-Haft ist?
Im Falle des Herrn Kachelmann will mir z.B. kein rechter Grund für die Annahme von Verdunkelungsgefahr einfallen: es gibt da ja sicher keine Komplizen, die man warnen könnte. keine Unterlagen, die man verschwinden lassen möchte. etc.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

25.03.2010 18:06
#16 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

Zitat von F.Alfonzo
nach einer Woche in einer Einzelzelle (ohne Zugang zu Medien)


Wie Florian will ich doch etwas nachfragen (wer weiß, ob man es mal brauchen kann): Was heißt "ohne Zugang zu Medien"?

Keinen PC mit Internet kann ich verstehen (jedenfalls bei "Verdunkelungsgefahr", siehe auch Florians Frage).
Kein Fernseher/Radio wäre schon kaum zu begründen.
Keine Bücher oder Zeitschriften wäre aber blinde Schikane.

Florian Offline



Beiträge: 3.135

25.03.2010 19:58
#17 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

Im Internet gibt es ja wirklich nichts, was es nicht gibt.
Bin gerade über einen U-Haft-Blog gestolpert: http://haft-jva.blog.de/

Ist ganz interessant.
Einerseits sind einige Aspekte weniger schlimm als von uns hier angenommen (Fernsehen scheint z.B. erlaubt zu sein).

Andererseits sind einige Details fies genug. Etwa die begrenzten Möglichkeiten, seine Kleidung zu wechseln. Die begrenzten Möglichkeiten sich zu waschen, ständige nächtliche Kontrollen, keine Kontrolle über den Lichtschalter in der Zelle, für Raucher stark begrenzter Zugang zu Tabak, etc.
Einkaufen von bestimmten Lebensmitteln ist zwar möglich - aber nur einmal pro Woche aus einem begrenzten Katalog (mit 6 Tagen Lieferzeit) und einen Kühlschrank gibt es nicht.
Und schlimm genug, wenn man einen Heroin-abhängigen mit Beginn der U-Haft einfach auf kalten Entzug setzt - Mitleid sollte man aber auch mit dem Zellengenossen dieses Mannes haben...

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.03.2010 20:21
#18 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Zitat von Zazaz
Übrigens, die Möglichkeit einen Haftbefehl gegen Kaution aufzuheben gibt es in Deutschland bereits, §§ 116, 116 a StPO. Nur wird davon wenig gebrauch gemacht weil bei 95 % aller U-Häftlinge kein (legales) Vermögen vorhanden ist. Fälle wie Kachelmann sind die absolute Ausnahme.


Ja, ich weiß, liebe(r) Zazaz. Nur: Warum wird von dieser Möglichkeit, den Vollzug gegen Kaution auszusetzen, nicht so umfassend Gebrauch gemacht wie in den USA? Kachelmann wäre doch zweifellos in der Lage, eine hohe Kaution aufzubringen.

Oder denken wir an einen inzwischen klassischen Fall, die Sistierung von Rudolf Augstein. Er mußte 103 Tage in U-Haft sitzen. Allerdings war man damals so human, ihm wenigtens eine Einzelzelle zu geben. Er las viel in der Bibel und schrieb aus der Zelle Aufmunterndes an seine Redaktion.

Herzlich, Zettel

PS: Willkommen im kleinen Zimmer!

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

25.03.2010 20:47
#19 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

Zitat von Calimero
Ein deutscher Wehrpflichtiger ist auch ein unbescholtener Bürger. Trotzdem wird ihm die Freiheit entzogen (bei mir waren es am Anfang zwei oder drei Wochen ohne jeglichen Außenkontakt und mit striktem Rauch- und Alkoholverbot). Freiheit? Keine. Dafür Anbrüllen und würdelose Erziehungs- und Lernrituale, nebst Rödelei bis zum Umfallen.


Wenn es noch nie Wehrpflicht gegeben hätte und ein Politiker jetzt vorschlüge, sie einzuführen, dann würde man über ihn den Kopf schütteln. Ein so schwerwiegender Eingriff des Staats ja nicht nur in die persönliche Freiheit, sondern auch unter Umständen in Leben und körperliche Unversehrtheit würde dann wohl kaum ein Jurist als vereinbar mit dem GG ansehen; zumal es nur Männer trifft, und auch von diesen nur eine Minderheit.

Aber es gibt die Wehrpflicht nun einmal traditionell; und das beeinflußt offenbar die Sicht. So sehr, daß einerseits für Frauen das Recht aus dem GG abgeleitet wird, Soldatin zu sein, aber die Pflicht, es werden zu müssen, auf Männer beschränkt ist. Alles rechtens.

Zitat von Calimero
Ich gehe mit ihnen, wenn sie die deutsche U-Haft-Praxis anprangern (hab vor 'ner Weile mal irgendwo gelesen, dass U-Haft schlimmer als "reguläre" Haft sei), aber an einem prominenten Beispiel "das staatliche Handeln" als überzogen darzustellen greift mE zu kurz.


Warum, lieber Calimero, sollte man ein solches Thema nicht anläßlich eines aufsehenerregenden Falls behandeln? Ich hatte beim Schreiben des Artikels überlegt, ausdrücklich zu sagen, daß natürlich Prominente keine andere Behandlung erfahren sollten als andere. Aber dann dachte ich, daß das doch eigentlich selbstverständlich ist.

Zitat von Calimero
Da fehlt der Seitenblick auf andere "frei(wehr)willig" Verknackte, und der auf die Härte der Sanktion, je prominenter, oder muslimischer ein potentieller Straftäter ist.


Und vor allem, je kultivierter. Wer aus dem kriminellen Milieu kommt und vielleicht mit einem Menschen derselben Herkunft eine Zelle teilt, wer sich im Knastalltag auskennt und zu behaupten weiß, für den mag das alles ja gar nicht schlimm sein. Vielleicht findet er ja auch Leberkäs mit Wirsing köstlich.

Wenn jemand kultiviert ist, was man bei Kachelmann vermuten kann, dann ist das eben ein Albtraum. Oscar Wilde, der Kultivierte schlechthin, ist an den Zuständen im Gefängnis zerbrochen.

Herzlich, Zettel

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 1.997

25.03.2010 23:45
#20 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

@ Florian:
U-Häftlinge werden (nachdem man nicht für jeden ne Extrawurst braten kann, was ja aus organisatorischen Gründen halbwegs verständlich ist) alle gleich behandelt. Es gibt in 'gemischten' Haftanstalten halt eine Regelung für U-Häftlinge und eine für Strafhäftlinge.

F.Alfonzo

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 1.997

25.03.2010 23:55
#21 RE: Fleischkäse vs. Liegestütze Antworten

@ R.A.:

Soweit ich informiert bin, muss jeder Mensch in einer Gefängniszelle Medienzugang haben, das ist Gesetz. Im Detail heisst das: Entweder eine (abgelegte) Tageszeitung, oder ein Radio. Die meisten Gefängnisse haben ein Radio in der Zellenwand eingebaut, dann gibt's kein Problem.
Die meisten sind aber nicht alle. Ich war 10 Tage im Gefängnis Berlin-Moabit: Einzelzellen, kein Radio, keine Zeitung. Zur Unterhaltung bekommt man beim 'Einzug' 2 Bücher (tausch zwischen Gefangenen verboten, alles andere muss beantragt werden), die man dann innerhalb 1-2 Tagen durchliest (man kann viel lesen, wenn man nix anderes zu tun hat), und die restlichen 8 Tage bin ich dann im Kreis rumgelaufen und hab aus Langeweile Möbel und Wände demoliert (Grafitti).

EDIT: Noch ne kleine Anmerkung zum Clash zwischen Recht, Bürokratie und Realität: Die Haftanstalt München/Stadelheim steht unter Denkmalschutz, darf also nicht massiv umgebaut werden. Das Problem ist, dass die meisten Zellen in den Gebäuden entweder nur Oberlichter oder sehr hoch liegende Fenster haben (auf 2m oder so). Laut einer EU-Richtlinie müssen Gefängniszellen allerdings Fenster haben, die auf (weiss den Wert nicht genau) etwa 1,20m beginnen, damit die Gefangenen nach draußen schauen können.
Die Betreiber vom Stadelheim-Knast (keine Ahnung, wer das ist, entweder Bayern oder München) zahlen also Jahr für Jahr eine immense Summe an Strafe an die EU, weil die Richtlinien nicht eingehalten werden; umbauen geht nicht, da dieser abgefuckte Müllhaufen ja scheinbar ein Denkmal ist.

Grüße,
F.Alfonzo

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 1.997

26.03.2010 00:12
#22 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

@ Zettel:

Hier noch eine Steigerung der Folter, falls es Sie interessiert:

Das schlimmste, was einem passieren kann, ist in der U-Haft verschubt zu werden. War bei mir so.

Um das mal zu erklären: Nehmen wir an, es besteht ein Haftbefehl aus Stuttgart, und Sie reisen am Hamburger Flughafen aus dem Ausland ein.
Keine Chance, dass Sie ihren Flug nach Stuttgart antreten können.
Sie werden in Hamburg verhaftet, und sitzen erst mal da eine Woche lang rum. Dann fängt der Schub an... heisst auf deutsch: Sie fahren im Gefängnisbus zum nächsten Knast, bleiben da 3-4 Tage, bis der nächste Bus zum nächsten Gefängnis fährt.

Ich habe für den Weg von Berlin nach München in 4 Haftanstalten gewohnt, der Transport hat 3 Wochen gedauert. Ein Mann, den ich in Berlin kennengelernt habe, wurde nach Stuttgart verschubt, und zwar in 5 Wochen und 7 Haftanstalten.

...und jetzt kommt das beste: Man kann nichts dagegen tun. Nen Anwalt nimmt man sich optimalerweise in der Stadt, in der das Ermittlungsverfahren läuft. Der kann einen dann aber nicht besuchen. Fazit: Habe nach 3 Wochen Haft zum ersten mal mit meinem Anwalt gesprochen.


Und: Es gibt noch ein paar Ärgernisse, z.B. dass man auf Schub nicht einkaufen kann.
In Haftanstalten gibt es entweder 1mal pro Woche oder 2mal im Monat eine Einkaufsmöglichkeit, auch für U-Häftlinge (sofern sie Geld haben). Man kann dann nötige Dinge wie Tabak, Kaffee oder Körperflegeprodukte zu Tankstellenpreisen einkaufen.
Das Problem ist: Ein Gefängnis ist eine Behörde, in der alles schriftlich mit Fristablauf beantragt werden muss. Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn Sie verschubt werden, sind Sie in keiner Haftanstalt länger als eine Woche, können keinen Einkaufsantrag mehr abgeben und nichts kaufen.

Wenn Sie Glück haben (wie in meinem Fall), teilen Sie sich die Zelle mit Leuten, die längere Haftstrafen absitzen und für eine Gerichtsverhandlung verschubt wurden; die haben dann meist ihren ganzen 'Hausrat' dabei und wissen i.d.R., dass es den U-Häftlingen auf Schub schlecht geht, teilen deshalb ihre wertvollsten Ressourcen wie Kaffee, Tee oder Tabak gerne.

Grüße,
F.Alfonzo

vielleichteinlinker ( gelöscht )
Beiträge:

26.03.2010 00:18
#23 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Genau meine Rede. Ich wollte nur anmerken dass "Schiffen" im Deutschen auch die Bedeutung "es regnet stark" hat. (Und nicht - wie Zettel meint zwingend "urinieren" bedeutet.) Ob es nun tatsächlich - meine erste Intuition - unflätig oder auf einer anderen Ebene anders konnotiert ist als "es regnet (stark), das schau ich mir gerade mal an. Weil es mich interessiert.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

26.03.2010 05:58
#24 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Lieber F.Alonzo,

danke, dass Sie die Situation so schön plastisch beschreiben. Da muss man sich über den Zustand 'Hartz 4' keine Sorgen mehr machen. Wehe dem, bei dem Fluchtgefahr besteht. Auch sonst: Ich meine mich erinnern zu können, dass die Bedingungen der U-Haft durchaus als taktisches Druckmittel der Staatsanwaltschaft eingesetzt wird, um einen (prominenten?) Häftling zu frühen Geständnissen zu bewegen.

Im Übrigen wundere ich mich über das Kommunikationsverbot. Es mag zwar sein, dass ein U-Häftling Zeugen einschüchtern kann, er kann aber auch Hilfe für seine Sache auch über den Anwaltskontakt hinaus organisieren, und das sollte man niemanden verwehren dürfen (im Fall von Kachelmann hat die ihn Beschuldigende in dieser Zeit alle Freiheiten). Da findet m.E. keine Rechtsabwägung statt.

Gruß, Martin

lois jane Offline



Beiträge: 662

26.03.2010 09:51
#25 RE: Zettels Meckerecke: U-Haft Antworten

Ich sehe hier zwei Problemkreise:

1. die Untersuchungshaft, ihre Verhängung und ihre Gestaltung (was aber auch die allgemeinen Haftbedingungen angeht)

Ich glaube schon, daß bei Herrn Kachelmann die Inhaftierung korrekt war, um ein Absetzen in die Schweiz zu verhindern. Aber man muß ihn doch nicht in so ein Loch sperren und der Speiseplan ist unter aller Kanone. (Und das sage ich nicht nur weil grade Fastenzeit ist oder weil es auch Vegetarier gibt.) Sicher ist keine große Auswahl angebracht, aber es sollte schon nicht heißen "Friß oder stirb", insbesondere wenn dann solch Fast Food serviert wird.

2. die hämische Berichterstattung der Medien

Das ist nicht nur hier das Problem. Wann tut endlich jemand etwas gegen unsere sich alles herausnehmenden Medien?

PS. Das eine Pizza durchleuchtet werden müßte halte ich für albern. Man kann vorschreiben, daß der Häftling diese nicht in der Zelle verspeist und somit kann dann auch keine Feile in die Zelle kommen (und hat der Ausbruch per Feile wirklich noch Aussicht auf Erfolg - mir scheint das eher ein Überleibsel aus Western und Comics). Aber ich finde ich, daß der Häftling für solche Maßnahmen, die der Staatsanwalt für nötig befindent, auch noch extra bezahlen sollte.

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