Zitat von RexCramerDie Konservativen und Liberalen in der Version ohne Anführungsstriche sind in der außerparlamentarischen Opposition!
-- El liberalismo pregona el derecho del individuo a envilecerse, siempre que su envilecimiento no estorbe el envilecimiento del vecino. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Man stelle sich mal vor, just in dieser Minute erwache jemand aus mehrjährigem Tiefschlaf und würde versuchen sich über die Situation in den deutschen Medien zu informieren.
Was würde man über den gerade zurückgetretenen Bundespräsidenten denken, wenn man sich solche Beiträge wie diesen hier durchliest: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1193607/ Ein Bundespräsident, der "für jeden erkennbar nicht über die Kraft des gesprochenen Wortes verfügt", der "dummerweise nicht [weiß] was er sagt", der "nicht auf dem Boden unserer Verfassung steht", jemand den man "doch nicht ernst nehmen" kann.
Es erinnert zuweilen an die Berichterstattung über George W. Bush, wo man manchmal den Eindruck hatte, die Amerikaner hätten einen verhaltensgestörten Analphabeten ins Amt gewählt.
Zitat von KaaIch glaube, man muß ganz deutlich sagen, daß das Gleichnis die Rolle des Vaters nur für Gott beschreibt. Für Menschen ist die Rolle des verlorenen Sohnes gedacht.
Ist eben das alte Problem: Als Mensch sein wollen wie Gott.
Zitat von Lukas 1,52fEr stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Entweder man liest das als demütigen Ausdruck des Glaubens an eine göttliche Weltregierung oder als linkes Aktionsprogramm.
Zitat von Herrwie dieselbe Presse vor wenigen Monaten auf einen anderen Rücktritt, den von Käßmann, reagiert hat ...
Und Käßmann (ausgerechnet!) ist ja auch schon als Nachfolgekandidatin für Köhler genannt worden. Na gut, wenigstens dieser Vorschlag wird nicht durchkommen.
Ansonsten sieht es so aus, als würde Merkel auch bei der Nachfolgefrage foul spielen.
Eigentlich hat ja die Koalition eine klare Mehrheit in der Bundesversammlung und könnte aus eigener Kraft einen Kandidaten wählen. Und das wäre normalerweise gerade angesichts der Koalitionskrise angesagt, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.
Aber nicht mit Merkel. Sie favorisiert völlig ohne Not eine Kandidatur, die auch von der Opposition mitgetragen wird. Derselben Opposition, die Köhler fertig gemacht hat. Das ist nicht nur fast ein Nachtreten gegen Köhler, es ist auch ein Zeichen von Schwäche, man weicht vor diesem Oppositionsangriff zurück und versucht einen Kandidaten zu installieren, der keine solche Kritik auf sich zieht.
Und nebenbei hat sie damit eine FDP-Kandidatur (die durchaus angebracht wäre) torpediert. Wahrscheinlich soll es auf einen profillosen, nirgends aneckenden CDU-ler à la Lammert hinauslaufen, von dem sich Merkel nicht gefährdet fühlen muß.
Einen neuen Höhepunkt der Agitation gegen Köhler hält Focus Online parat. Wenn man glaubt, tiefer geht's nicht mehr, kommt von irgendwo ein notorischer Journalist daher:
"Als beratungsresistent und aufbrausend bleibt Horst Köhler im Schloss Bellevue in Erinnerung. Er hinterlässt eine demoralisierte Manschaft. [sic!]"
Empörungsmaschinerie ist der richtige Ausdruck. Das wird auch so bleiben, Köhler "hat fertig", aber diesmal will man mitreden und sich nicht jemanden von Merkel aus dem Hut zaubern lassen. Gruß, Inger
Es tut mir leid, aber ich kann dem Tenor der Diskussion hier diesmal wirklich nicht folgen.
Horst Köhler ist kein Opfer linker Kampagnen oder selbstverliebter Hauptstadtmedien. Er ist leider über seine eigenen Schwächen geworden.
Durch seinen abrupten Rücktritt hat er dem Land, das sich in einem ausgesprochen kritischen Zustand befindet, ein völlig unnötiges und schädliches Theater aufgezwungen. Das hat mit bürgerlichem Verantwortungsbewusstsein überhaupt nichts mehr zu tun, sondern wirkt - pardon - nur egozentrisch und divenhaft. Köhler, der doch "Deutschland dienen" wollte, zwingt uns allen eine Staatskrise auf, wie sie lächerlicher und unpassender nicht sein könnte.
Das deutsche Hauptproblem ist derzeit mit Sicherheit nicht die Reputation des Bundespräsidenten. Die Bundesregierung, ja die deutsche Politik insgesamt, stünde in diesen Tagen eigentlich vor der historischen Aufgabe, ein überzeugendes Konsolidierungsprogramm zu erarbeiten. Das muss bis zur Sommerpause - ja eigentlich schon bis zur Fußball-WM- stehen. Stattdessen rotiert nun alles um Postenschacher - ist ja auch viel einfacher und schöner, da macht jeder gerne mit.
Köhler wollte einst "unbequem" sein, aber er hat sich schon seit geraumer Zeit vor allem durch Anbiederei an einen vermuteten linksliberalen Mainstream hervorgetan. In der Phase vor seiner Wiederwahl drängte sich der Eindruck auf, dass es ihm vor allem darum ging, rot-grüne Stimmen in der Bundesversammlung zu gewinnen. Manche seiner Reden hätten auch von Frau Käßmann stammen können.
Dass er über umfangreiche Erfahrungen im Bankengeschäft und der internationalen Finanzpolitik verfügt und dort an allen wichtigen Entscheidungen der letzten 20 Jahre maßgeblich beteiligt war, hat er stets derart gut vesteckt, dass sich schon die Frage stellt, ob da womöglich irgendwelche politischen "Leichen im Keller" liegen. Wahrscheinlich steckte dahinter aber nur der Wunsch, die schönen Beliebtheitswerte nicht zu gefährden. Die Chance, in der Finanzkrise kompetente Führung zu zeigen, hat Köhler damit aber vertan.
Bei alledem ist er offenbar ein ziemlich schlechter Chef. Die dramatischen Auflösungserscheinungen im Stab des Präsidialamtes in den vergangenen Monaten sind jedenfalls keine Medienerfindungen.
Natürlich schlachtet die Linke diesen Vorgang jetzt zu ihren Zwecken aus, und natürlich hat sie sich redlich bemüht, diesen Präsidenten mürbe zu machen.
Aber die traurige Wahrheit ist trotzdem: Dieser Präsident hatte sich seine Probleme zum größten Teil selbst eingebrockt und die Art, wie er uns jetzt zur unmöglichsten Zeit die Suppe vor die Füße schmeißt, ist unwürdig.
Wenn so die letzten aufrechten bürgerlichen Kräfte in diesem Land aussehen - dann gute Nacht.
Zitat von R.A.Die Berner Zeitung sieht den Köhler-Rücktritt deutlich anders als die deutsche Presse: http://www.bernerzeitung.ch/meinungen/do.../story/12050850 Das ist eben der neutrale Blick des Außenstehenden - während die deutschen Kommentatoren größtenteils selber zu den Schuldigen gehören.
Sehr richtig. Anders ist es auch nicht zu verstehen, dass man z.B. im Heute Journal die fünfte Garde der deutschen Politikwissenschaft sowie irgendeinen Kommunikationswissenschaftler anschleift, der uns dummen Wählern und Steuerzahlern erklärt, dass der Bundespräsident ja erstens irgendwie untauglich und die Bevölkerung nach einer Woche "Überzeugungsarbeit" durch die Medien schon eine andere Meinung haben werde.
Zitat von Florian Man kann den Respekt vor einem Amt auch dadurch vermissen lassen, indem man es erkennbar so wenig schätzt, dass man aus nichtigem Anlass zurücktritt. Und in Ihrer Text-Analyse haben Sie auch sehr schön herausgearbeitet, dass Köhler für den Rücktritt keine logische Herleitung anbietet. Auf eine solche saubere Begründung hätte der Souverän aber m.E. schon einen Anspruch gehabt, wenn sein höchster Vertreter sich das Amt nicht länger antun will. Warum Zettel dieses in meinen Augen schäbige Verhalten (beinahe schon auf Lafontaine-Niveau) auch noch mit dem Prädikat "Ehrenmann" auszeichnet, entzieht sich mir. (Und nota bene: Ich habe mich bislang eigentlich immer als Köhler-Fan empfunden. Nennen Sie es enttäuschte Liebe wenn Sie wollen - aber seinen Rücktritt finde vom Grunde her und auch vom Stil her ich nicht in Ordnung).
Ich will das Verhalten nicht "schäbig" nenen, aber etwas von Lafontaine hat es ja schon. Ich halte es nur für völlig grundlos.
Ich war/bin kein großer Köhler-Fan, aber er hatte seine Sache bisher ganz gut gemacht. Sicher, die kritischen Töne waren oft recht flach, aber "der Präsident als Sprachrohr des 'Volksempfindens'" (ich bitte diese Vokabel zu entschuldigen, mir fällt grad keine bessere ein) ist auch eine Art, das Amt auszufüllen - Professoren, Prediger, Sänger, Wanderer, Großredner der glatten und der ruppigen Sorte und Versöhner-statt-Spalter hatten wir ja bereits (für Lübke ist mir jetzt leider nichts eingefallen). Und immerhin hat er sein Amt auch so (wie eben u.a. auch Lübke) verstanden, daß er nicht nur Unterschreibautomat ist.
Mit seinem Rücktritt aber hat er die die Politik, die momentan weiß Gott besseres zu tun hätte, in eine unnötige Krise gestürzt. Der Nachfolger wird entweder nicht besser werden (und die meisten diskutierten Kandidaten sind sogar um Längen schlechter) oder an anderer Stelle ein Loch reißen (Wulff, Lammert) oder einfach chancenlos (Papier, Töpfer).
Zitat von FTT_2.0Oder: "Die Kritik ging zu weit (und zu tief, nämlich unter die Gürtellinie) und ist auch hinsichtlich meines Amtes unangemessen. Ich (bin jetzt 67, gehöre von meiner Biographie nicht zum bundespolitischen Selbstdarstellerestablishment und) habe es (deswegen) nicht nötig, mich vom linksliberalen Establishment der Bundesrepublik diffamieren zu lassen (wie es in den letzten Jahren schon so vielen gegangen ist, die nicht bei taz, SZ, Spiegel und Zeit um Erlaubnis gefragt haben, bevor sie etwas in der öffentlichkeit von sich gegeben haben).
Da ist zwar etwas Wahres dran - wenn auch in Köhlers Fall die Kritik doch sehr bedeckt war und v.a. ohne Resonanz in der politischen Öffentlichkeit. So etwas hätte man mit Leichtigkeit aussitzen können.
Wie Rücktritt eine Antwort auf (wie auch immer scharfe) Angriffe sein kann, ist mir immer noch schleierhaft.
Zitat von FTT_2.0http://www.welt.de/politik/deutschland/article7863741/Auch-nach-sechs-Jahren-blieb-Koehler-fremd.html
Kritisch ist der Artikel schon, aber gehässig? Wo sind wir hingekommen, daß Sätze wie "er ist kein guter Redner" und "er liebt den Pomp" schon als unerträglich gelten? Gefallen tut mir der Ton auch nicht, aber wir sollten auch nicht allzu dünnhäutig sein.
Und ohnehin, da der Artikel nach dem Rücktritt erfolgt, kann er nicht als Grund für den Rücktritt gelten.
Zitat von Zettel Es wird wieder einmal deutlich, daß wir nicht mehr eine linke und eine "bürgerliche" Presse haben wie einst, sondern nur noch Nuancen einer linken Presse.
Wie wäre es mit einer linksbürgerlichen Presse - denn das Bürgertum ist nunmal größtenteils links geworden.
Zitat von HerrIst eigentlich auch interessant, wenn man vergleicht, wie dieselbe Presse vor wenigen Monaten auf einen anderen Rücktritt, den von Käßmann, reagiert hat ...
So wie ich das in Erinnerung habe, war das Medienecho in der Causa Käßmann geteilt.
Nach ihrer Trunkenheitsfahrt kamen zunächste ihre Kritiker - nein, ihre Feinde*! - zu Wort und überzogen sie, je nach Stil und Niveau, mit Schmähungen. Nach ihrem trampelhaften Verhalten im innerchristlichen Bereich hatte sie durch ihre Afghanistan-Wort nun zu viele gegen sich aufgebracht. Und das Trommelfeuer endete nicht bis sie schließlich zurücktrat.
(*Ich darf das sagen, zähle ich mich doch selbst zu diesen, wenn ich auch den Rücktritt für überzogen hielt.)
Mit dem Rücktritt konnte Frau K. das Steuer herumwerfen. Innerhalb der ja üblichen "Respekt vor dieser Entscheidung"-Rhetorik, die man bei jedem Rücktritt hören kann (solange kein Mixa dran beteiligt ist), konnten die vorher schweigenden Käßmann-Fanns wieder Oberwasser gewinnen und stilisierten sie nun ob ihres Rücktritts zur Heiligen.
Bei Köhler ist das anders: ja, seine Äußerungen wurden kritisiert, auch durchaus mal rabiat (aber ich sehe noch immer nichts, was unerträglich wäre), aber keiner erwartete oder forderte (im Gegensatz zum Fall Käßmann) einen Rücktritt. Dieser kam überraschend und fiel den Köhlerfreunden in den Rücken. Ja, wer sollte diesen unverständlichen Rücktritt denn nun verteidigen?
Zitat von KaaEs hat was mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn zu tun. Das fing schon Kindergarten an, aber jetzt ist es ganz schlimm. Wer böse ist und Reue zeigt, wird ganz besonders lieb gehabt und der Brave verliert sein halbes Erbe an den zurückgekehrten, ausgetobten Abenteurer. Wer immer brav ist soll sich nicht so haben. Ich glaube, man muß ganz deutlich sagen, daß das Gleichnis die Rolle des Vaters nur für Gott beschreibt. Für Menschen ist die Rolle des verlorenen Sohnes gedacht.
Nur ein kleiner Einwand, weil Sie das Gleichnis falsch wiedergeben: der brave Sohn verliert nichts an den verlorenen. Dieser hat sein Erbteil erhalten und verpraßt und kriegt es auch nicht wieder. Er ist immer noch Sohn und wird als solcher aufgenommen, aber sein Bruder ist der Alleinerbe.
Zitat von IggypopEin Bundespräsident, der "für jeden erkennbar nicht über die Kraft des gesprochenen Wortes verfügt", der "dummerweise nicht [weiß] was er sagt", der "nicht auf dem Boden unserer Verfassung steht", jemand den man "doch nicht ernst nehmen" kann.
Und hätte Frau Merkel freien Lauf, würden wir soetwas auch bekommen ganz sicher bekommen.
Zitat von Lukas 1,52fEr stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.
Entweder man liest das als demütigen Ausdruck des Glaubens an eine göttliche Weltregierung oder als linkes Aktionsprogramm.
Es hat ja auch etwas linkes, revolutionäres, nur daß halt Gott der Akteur ist. Welch böser Fundamentalist, mischt der sich einfach in die Angelegenheiten der Mächtigen.
Zitat von lois jane Es hat ja auch etwas linkes, revolutionäres, nur daß halt Gott der Akteur ist. Welch böser Fundamentalist, mischt der sich einfach in die Angelegenheiten der Mächtigen.
Er hat halt den Vorteil, dass er der All-Mächtige ist ...
Könnte interessant sein, den Gedanken fortzuspinnen: Was bedeutet Gottesgnadentum? Welchen Sinn hat der Gottesbezug in der Verfassung? ...
Zitat von lois jane Es hat ja auch etwas linkes, revolutionäres, nur daß halt Gott der Akteur ist. Welch böser Fundamentalist, mischt der sich einfach in die Angelegenheiten der Mächtigen.
Er hat halt den Vorteil, dass er der All-Mächtige ist ... Könnte interessant sein, den Gedanken fortzuspinnen: Was bedeutet Gottesgnadentum? Welchen Sinn hat der Gottesbezug in der Verfassung? ...
Lieber Herr, ich habe ja schon geschrieben, daß mich das Buch "The Faith Instinct" von Nicholas Wade sehr beeindruckt hat. Wade sieht Religion als ein soziales und ein biologisches Phänomen.
Man könnte vielleicht sagen (das ist jetzt nicht Wade): Der Monotheismus, erst recht der Deismus, sind im Grunde das Ende der Religion gewesen.
Religion soll - das belegt Wade - soziale Bindungen schaffen. Das Ritual ist viel älter als der Glaube - der gemeinsame Tanz, das gemeinsame Singen, das Erzählen der alten Geschichten, die Trance.
Dazu braucht man seinen Gott oder seine Götter. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Ein universeller Gott kann diese Funktion überhaupt nicht mehr haben. Er hat aber im Denken des Abendlands eine ganz andere Funktion bekommen. Er personifiziert diesen ungeheuren Gedanken des Extremen, das wir Menschen nicht erreichen können.
Wir sind sterblich, er ist ewig. Wir schlagen uns mit unserem bißchen Wissen herum, er ist allwissend. Wir sind meist machtlos, er ist allmächtig. Wir sind an diesen erbärmlichen Leib gebunden, er hat keinen.
Berkeley hat das auf die Spitze getrieben mit der Idee, daß die Welt nur existiert, weil Gott sie wahrnimmt. Esse est precipi, aber Gott ist eben der alles Wahrnehmende.
Zitat von lois jane Es hat ja auch etwas linkes, revolutionäres, nur daß halt Gott der Akteur ist. Welch böser Fundamentalist, mischt der sich einfach in die Angelegenheiten der Mächtigen.
Er hat halt den Vorteil, dass er der All-Mächtige ist ... Könnte interessant sein, den Gedanken fortzuspinnen: Was bedeutet Gottesgnadentum? Welchen Sinn hat der Gottesbezug in der Verfassung? ... Herzliche Grüße! Herr
Ja, Gottesgnadentum! Von Louis Cretin bis Friedrich Wilhelm als "Mir kann keiner was!" mißbraucht, war es doch urspürnglich als es unter den Karolingern aufkam, wirklich ein Ausdruck königlicher Bescheidung.
Kaum ist man einige Tage beruflich unterwegs, gerät die Welt aus den Fugen Um möglichen Gerüchten vorzubeugen: Ich stecke weder hinter Köhlers Rücktritt noch hinter der Aktion der Israelis
Ich hatte das Glück (oder Pech, wie man es sieht) auf der Fahrt von Erding nach Hildesheim die ganze Rücktrittsgeschichte am Radio (DLF) erleben zu können. Mein Eindruck:
1. Es wurde viel geredet und wenig gesagt, sowohl von der Journaille als auch von den interviewten Poltikern. Nur vereinzelt Nachdenkliches, Besonnenes, meist die übliche Rhetorik. Die Journaille hat - wie so oft - geistige Windstille durch operative Hektik ersetzt.
2. Auffällig die Diskrepanz zwischen den Äußerungen aus der Bevölkerung und denen der Journaille.
3. Meines Erachtens war die Interview-Affäre nur der Auslöser, der letzte Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Menschlich kann ich - soweit das als Außenstehender möglich ist - den Entschluß Horst Köhlers nachempfinden. Von der politischen Nomenklatura auf den Posten gehievt, aber selbst nicht zu ihr gehörend, muß sich in ihm einiges aufgestaut haben.
4. Dennoch kann ich den Rücktritt nicht billigen. Er ist sozusagen im Angesicht des Feindes desertiert. Von dem Inhaber des höchsten Staatsamtes darf man mehr erwarten als eine derartige Aktion. Sie bestätigt meinen Eindruck vom allgemeinen politischen Niedergang der Republik.
PS (mit einem Augenzwinkern): Lieber Zettel, mir fällt Ihre nahezu inflationäre Verwendung des Begriffs "Staatsmann" in Zusammenhang mit aktuellen Politikern auf. Wenn ich das noch richtig im Gedächtnis habe, sind Köhler und Schäuble Staatsmänner. Und Frau Merkel schon auf dem Weg zur geschichtlichen Gestalt. Metternich ist ein Staatsmann, Bismarck, Friedrich dGr, der Freiherr vom Stein, Otto der Große, das sind Namen aus der deutschen Geschichte, die sich bei mir mit dem Begriff Staatsmann verbinden. Danach kommt die zweite Garnitur mit Männern wie zB Ebert, Noske, Adenauer, Kurfürst Carl Theodor, oder Heinrich der IV, gegen Merkel & Co wahre politische Riesen. Das müßten dann nach Ihrer Wertung Hauptstaatsmänenr und Riesenstaatsmänner sein...
Danke für Ihre Gedanken, denen ich kaum widersprechen kann. Es sei denn, sie sind als Religionskritik gemeint. Dem kann man als religiöser Mensch nur entgegen halten, dass soziale, biologische, erkenntnistheoretische oder was auch immer für Funktionsbeschreibungen von Religion den religiösen Gehalt nicht antasten. (Habe ich übrigens bei Richard Schröder gelernt .)
Und noch eine Anmerkung:
Zitat Man könnte vielleicht sagen (das ist jetzt nicht Wade): Der Monotheismus, erst recht der Deismus, sind im Grunde das Ende der Religion gewesen.
Zitat von HerrDanke für Ihre Gedanken, denen ich kaum widersprechen kann. Es sei denn, sie sind als Religionskritik gemeint. Dem kann man als religiöser Mensch nur entgegen halten, dass soziale, biologische, erkenntnistheoretische oder was auch immer für Funktionsbeschreibungen von Religion den religiösen Gehalt nicht antasten. (Habe ich übrigens bei Richard Schröder gelernt .)
Nein, lieber Herr, keine "Religionskritik". Ich bin überzeugt, daß Religion Teil der menschlichen Kultur ist.
Was das "nicht antasten" angeht, sehe ich eine Parallele zum Problem der Willensfreiheit, das ich anders als viele andere Naturwissenschaftler nicht für ein Scheinproblem halte. Die Welt ist kausal geschlossen; wir haben keinen vernünftigen Grund zu der Annahme, daß das menschliche Gehirn aus dieser Geschlossenheit herausfällt. Dennoch können wir als vernünftige Wesen nur existieren, weil wir einen freien Willen haben.
Das Phänomen der Religion kann (vermutlich) lückenlos evolutionsbiologisch und kulturell erklärt werden. Auch da gibt es eine kausale Geschlossenheit. Dennoch ist der Religiöse überzeugt, daß damit nicht "alles erklärt" ist.
Zitat von HerrUnd noch eine Anmerkung:
Zitat Man könnte vielleicht sagen (das ist jetzt nicht Wade): Der Monotheismus, erst recht der Deismus, sind im Grunde das Ende der Religion gewesen.
Nein, das ist natürlich Hegel
Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund.
Ich hatte eigentlich nach Berkeley noch auf Hegel hinweisen wollen, fand dann aber, daß das zu lang werden würde.
Jetzt habe ich einen alten Beitrag aus diesem Thread herausgesucht und zitiere ihn der Einfachkeit halber. Er ist Teil einer sehr spannenden Diskussion mit Gomez:
Zitat von Zettel
Zitat von Gomez
Zitat Entweder ist auch das Ansich ein Produkt des Geistes. Oder es existiert unabhängig von ihm, dann ist es ein Ding an sich in Kants Sinn. Da Hegel das zweite ablehnt, muß er das erste meinen.
Da habe Sie völlig Recht. Aber daraus folgt ja nicht, daß es sich um die Konstruktion meines Geistes handelt, dem das Objekt nur ausgesetzt ist. Denn das Objekt ist genauso abhängig vom Subjekt wie umgekehrt.
Da sind wir, lieber Gomez, bei einem Knackpunkt. Was nicht mein Geist ist (und natürlich auch nicht der eines menschlichen Anderen, und auch nicht das, was Hegel den objektiven Geist nennt, also die Kultur) - was ist das dann? Es ist Gott. Es ist Gott, der bei Hegel der absolute Geist heißt. Hegel war Theologe. Und es wird meines Erachtens oft unterschätzt, wie sehr sein "System" theologisch geprägt war. Man sieht ihn gern sozusagen von früher und von später her - als einen, der auf Kant aufbaut (manchmal werden ja gar beide mit Fichte unter "deutscher Idealismus" in einen Topf geworfen) und andererseits als so etwas wie einen Vorläufer von Marx. Beide der Theologie abhold. Vielleicht ist das ein Grund dafür, daß man das theologische Element bei Hegel oft unterschätzt. Er war eben ein Zeitgenosse der Romantik; er war heftig bewegt von der Rückkehr des Religiösen in dieser Zeit. Mir ist das das erste Mal aufgegangen, als ich den Artikel "Hegel and Hegelianism" in der Encyclopedia Britannica gelesen habe. (Ich habe die fünfzehnte Auflage; da ist es pp. 551 - 561 im 20. Band der Macropedia). Der Autor ist T. Malcolm Knox, ein ausgezeichneter Hegel-Kenner, Übersetzer von dessen theologischen Schriften und der Ästhetik; er war übrigens langjähriger Rektor der St. Andrews University. Er schildert den Inhalt der um 1798 entstandenen Schrift "Der Geist des Christentums und sein Schicksal" und konstatiert dazu: "In this essay the leading ideas of Hegel's philosophy are rooted". Knox sieht in Hegels System "a philosophy, based on the concept of spirit, that will distill into a conceptual form the insight of religion". Als ich das vor Jahren zum ersten Mal gelesen habe, war es für mich der Schlüssel zum Verständnis von Hegel. Er hatte überhaupt keine Begabung zur Erkenntnistheorie, denn in der Religion - jedenfalls einer Offenbarungsreligion - stellt sich ja die Frage nach der Erkennbarkeit der Welt gar nicht; die Wahrheit braucht nicht gesucht zu werden, man muß sich ihr nur öffnen. Deshalb konnte er im Grunde auch mit Kant nichts anfangen. Von Kant führt der Weg über die Neukantianer und die Wiener Schule zur heutigen analytischen Philosophie. Von Hegel führt kein Weg in die moderne Philosophie; nur einer zu Marx.
Oder anders gesagt, lieber Gomez: Kant stand in der von Descartes eröffneten erkenntnistheoretischen Tradition (wie gelange ich von meinem eigenen Bewußtsein aus zur Erkenntnis der Welt?). Hegel steht hingegen in der von Descartes eröffneten ontologischen Tradition der Trennung von res cogitans und res extensa. Diese cartesianische Spaltung irgendwie zu überwinden war ja ein zentrales Thema der Philosophie des 17. und teilweise noch des 18. Jahrhunderts: Spinozas Pantheismus sollte das leisten, die "occasiones" bei Malebranche, die Leibniz'schen Monaden. Bei Spinoza war die Zauberformel "deus sive natura". Bei Hegel ist sie der "Geist", der als absoluter Geist nicht nur Gott, sondern ganz à la Spinoza auch die ganze Welt ist und als subjektiver das menschliche Bewußtsein. Sozusagen aus demselben Stoff "Geist" gemacht das alles; also vorbei mit der cartesianischen Spaltung. Das war aus meiner Sicht, lieber Gomez, alles sehr rückwärtsgewandt; genau wie die Romantik. Leider hat Marx das eine oder andere von Hegel übernommen, so daß es in unsere Zeit hineingerettet wurde. Vor allem natürlich den Gedanken einer Heilsgeschichte, die bei Hegel das Zu-sich-selbst-Kommen des absoluten Geists ist, und bei Marx die Weltgeschichte, die vom Paradies des Urkommunismus über die Dialektik der Klassenkämpfe in das Zeitalter der Wiederkunft des Kommunismus führen soll. Hegel hat religiöses Denken unter die Philosophen gestreut, Marx hat es unter die Leute gebracht. In einer sehr verwässerten Form, natürlich. Aber immer noch religiös genug, daß es zur Ersatzreligion taugte.
Nicht wahr, die Debatte über Sinn, Legitimität und Nutzen der Hegel'schen Philosophie wollen wir jetzt nicht aufwärmen (Für die anderen Zimmerleute: Ich glaube die haben wir mal ansatzweise per PM geführt.)
Aber was den theologischen Zusammenhang der Hegel'schen Philosophie betrifft, stimme ich Ihnen schon zu. Mir war das eigentlich immer klar; aber das liegt sicher auch an meinem Zugang, der weder über den Marxismus noch über die Erkenntnistheorie führte, sondern über die Religionsphilosophie.
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