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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 50 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

17.05.2011 23:04
Der Gefangene von Rikers Island Antworten

In diesem Artikel geht es mir nicht darum, ob DSK schuldig oder unschuldig ist. Vieles spricht gegenwärtig für seine Schuld; für Verschwörungstheorien gibt es nur schwache Anhaltspunkte. Gleichwohl kann es gut sein, daß er unschuldig ist.

Es geht mir vielmehr um die Folgen der Verhaftung für den Betroffenen, der bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung nicht bestraft werden darf. Eine Strafe - eine massive, eine außerordentlich harte Strafe - ist aber das, was DSK gegenwärtig durchleiden muß.



Ja, durchleiden muß. Ich wundere mich bei solchen Fällen immer wieder, wie ungleich das Mitleid vieler unserer Mitmenschen verteilt ist. Sobald jemand reich, prominent, einflußreich und erfolgreich war, scheint das Mitleid mit ihm blockiert zu werden, wenn ihm das widerfährt, was DSK jetzt passiert.

Ein Phänomen, über das nachzudenken sich vielleicht lohnen würde. Kann man sich mit "so jemandem" nicht identifizieren und hängt Mitleid an Identifikation, an Empathie? Oder schlummert in vielen Menschen die Vorstellung von einer "ausgleichenden Gerechtigkeit" nach dem Prinzip: "Dem ging es jetzt so lange gut, da kann es ihm ruhig einmal schlecht gehen. Für unsereins ist das Leben ja auch kein Zuckerschlecken"?

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

17.05.2011 23:21
#2 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Hm, Zettel, Sie sind unglücklich mit der Behandlung von DSK - aber wie sollte man denn Ihrer Meinung nach mit ihm umgehen? Auf Kaution freilassen, mit der Gefahr, dass er die Kaution verfallen lässt und Frankreich ihn tatsächlich nicht ausliefert, wenn es zum Prozess kommt? Die U-Haft komfortabler gestalten, auf Kosten des Steuerzahlers? Die U-Haft für diejenigen komfortabler gestalten, die es sich leisten können?

Und das gleiche für alle anderen U-Häftlinge in den USA? Oder nur für diejenigen, die es bisher so gut hatten, dass die U-Haft subjektiv ganz furchtbar für sie ist? Ich gebe zu bedenken, dass Herr DSK, wenn die Vorwürfe sich nicht erhärten, vielleicht nicht Frankreichs nächster Staatspräsident wird, aber er wird auch nicht von Sozialhilfe leben. Wenn ein normaler Mensch in den USA, vielleicht noch jemand aus der Unterschicht, das gleiche Schicksal erleidet, dann ist er ganz schnell seinen Job los und lebt von Food Stamps. Insofern ist das "Argument", die U-Haft sei für DSK ganz besonders furchtbar, nicht sonderlich überzeugend - eher steigert es meinen Blutdruck. Solange Anatole Frances Hinweis auf die GleichbehandlungUngleichbehandlung durch das Recht zutrifft ("La loi, dans un grand souci d'égalité, interdit aux riches comme aux pauvres de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain."), wird es eben Aspekte des Rechts geben, die den einen saurer aufstoßen als den anderen, und umgekehrt.

Und der Artikel von Daniel im NO ist ja wirklich nur noch armselig. Erstens krankt er an genau den gleichen unbeantworteten Fragen wie Ihr Artikel. Zweitens kann man eine mise à mort vielleicht noch als Ausrutscher werten - aber wenn Daniel dann mit Metaphern wie dem Stier in der Arena kommt, der den Gnadenstoß erwartet, oder mit DSKs "Kalvarienberg", dann stelle ich mir doch die Frage, ob da jemand die Relationen zwischen einer U-Haft, so unschön sie sein mag, und einer Hinrichtung nicht so ganz auf die Reihe bekommt. Schließlich schreibt Daniel: "L’année dernière, j’ai eu l’impression que s’ouvrait un fossé entre le peuple américain et nous." Einerseits zeigt dieser Satz wohl eher den Graben zwischen ihm und der europäischen Rechtspraxis auf, und zweitens sind wir hier wieder bei meiner Eingangsfrage - was hätte denn Herrn Daniels Auffassung nach ein französisches Gericht im analogen Fall getan? Übrigens sind die französischen Gefängnisse auch keine Landschulheime. Soviel zum fossé.

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Leibniz Offline




Beiträge: 383

17.05.2011 23:47
#3 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Solange DSK objektiv von der Justiz nicht anders behandelt wird als irgend eine andere Person in einer solchen Lage gibt es keinen Grund mehr Mitgefühl mit ihm zu haben als eben mit irgend einer anderen Person.

Und wenn sie medial anders behandelt wird, dann war das vorher aber auch schon so gewesen.

Wieviel Mitgefühl man dann tatsächlich aufbringt liegt eben in der persönlichen Einschätzung des Falls.

Dass bei einer sehr reichen und prominenten Person das Mitgefühl oft weniger leicht aufkommt liegt vielleicht an einer anderen Vermutung: dass sich eine solche Person aus einer solchen Situation oft auch dann herausdrehen kann, wenn sie sich schuldig gemacht hat.

In erster Linie weil sie die besten Anwälte bezahlen kann; aber auch weil sie in der Regel über eine höhere Intelligenz verfügt als ein einfacher Delinquent aus Bronx. Was daran soll mein Mitgefühl steigern?

Zitat von Zettel
"Sobald jemand reich, prominent, einflußreich und erfolgreich war, scheint das Mitleid mit ihm blockiert zu werden."

So ist es doch nicht. Bunte Blättern leben auch kräftig vom Mitleid mit reichen, prominenten, einflußreichen und erfolgreichen Menschen die von Schicksalschlägen getroffen werden.

C. Offline




Beiträge: 2.639

18.05.2011 01:19
#4 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Zitat von Zettel zitiert Monsieur Daniel
L’égalité? Tous les acteurs élus de cette cérémonie - car ils sont tous élus, la juge comme les policiers - savaient que Strauss-Kahn n’était pas un homme comme les autres et qu’il ne serait pas également traité par la meute des journalistes, des photographes et de cameramen qui l’attendaient.

(Gleichheit? Alle die gewählten Beteiligten an dieser Zeremonie - denn sie sind alle gewählt, die Richterin wie die Polizeibeamten - wußten, daß Strauss-Kahn nicht irgend ein beliebiger Mensch ist und daß er von der Meute der Journalisten, der Fotografen, der Kameraleute, die ihn erwarteten, nicht als ein solcher behandelt werden würde.)



Das Gleichheitsprinzip wird nicht von Richterin und Polizeibeamten, sondern "von der Meute der Journalisten, der Fotografen, der Kameraleute" verletzt. Für die Staatsgewalt muss jeder Verdächtige ein Mensch wie die anderen sein, sie darf sich dabei nicht vom Medienrummel beeinflussen lassen. Es gibt einen Tatverdacht, die Fluchtgefahr ist nicht von der Hand zu weisen, somit hat das Gericht so zu handeln, wie es bei jedem anderen handeln würde. Die Vorverurteilung findet außerhalb des Gerichtssaals durch Journalisten und sonstige extralegalen Akteuren statt.

http://www.iceagenow.com/ Cooling is the New Warming

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

18.05.2011 08:46
#5 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Zitat von C.
Das Gleichheitsprinzip wird nicht von Richterin und Polizeibeamten, sondern "von der Meute der Journalisten, der Fotografen, der Kameraleute" verletzt.


Völlig richtig. Ich erinnere mich auch, dass einer der Zimmerleute auf einen Twitter-Feed aus dem Gerichtssaal aufmerksam machte, wer war denn das nur...

Und: Daniel beklagt sich darüber, dass er keine Beweise gesehen hat, die DSKs Festhalten in U-Haft nahelegen. Aber will er denn nun weniger mediale "Hinrichtung" oder mehr?

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Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

patzer Offline



Beiträge: 359

18.05.2011 08:52
#6 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.05.2011 09:55
#7 Warum kann U-Haft nicht komfortabel sein? Antworten

Zitat von Gorgasal
Hm, Zettel, Sie sind unglücklich mit der Behandlung von DSK - aber wie sollte man denn Ihrer Meinung nach mit ihm umgehen? Auf Kaution freilassen, mit der Gefahr, dass er die Kaution verfallen lässt und Frankreich ihn tatsächlich nicht ausliefert, wenn es zum Prozess kommt? Die U-Haft komfortabler gestalten, auf Kosten des Steuerzahlers? Die U-Haft für diejenigen komfortabler gestalten, die es sich leisten können?

Die U-Haft komfortabler gestalten, auf Kosten des Steuerzahlers. Die U-Haft für diejenigen komfortabler gestalten, die es sich leisten können. Ich habe das seinerzeit am Ende des Kachelmann-Artikels erläutert, den ich verlinkt habe.

Warum wird denn dem Hartz-IV-Empfänger nicht eine Geldstrafe in derselben Höhe auferlegt wie dem Gutverdienenden? Weil man zu Recht davon ausgeht, daß eine objektiv identische Strafe subjektiv verschieden hart wäre. Exakt so ist es auch bei den Haftbedingungen.

Hier geht es aber noch nicht einmal um Strafe, sondern nur darum, Flucht und/oder Verdunklung zu verhindern. Es gibt keine, wirklich keine Rechtfertigung dafür, dies mit psychischen und auch körperlichen Belastungen zu verbinden, wie ich sie für die Fälle Kachelmann und jetzt DSK geschildert habe.

Wenn jemand es in der U-Haft gut haben will, dann soll er dafür saftig zahlen - so viel, daß die Kosten gedeckt werden; daß er vielleicht noch für die mitbezahlt, die weniger zahlen können. Warum soll er denn keinen Hotelkomfort genießen, wenn er es sich leisten kann? Warum sich nicht bedienen lassen, sich Essen aus dem Zweisterne-Lokal bestellen, wie er es gewohnt ist, Zeitungen lesen, TV sehen, sich Pornos ansehen, falls er den Testosteronspiegel eines DSK hat?

Er kann sich das alles unter normalen Umständen leisten. Jetzt ist er unter Verdacht geraten; aber als unschuldig zu betrachten. Was gibt dem Staat das Recht, ihm jetzt den Lebensstil vorzuenthalten, den er gewohnt ist?



Sie können einwenden, lieber Gorgasal, daß es dann zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen bedürfte. In den Kuchen aus dem Zweisternelokal könnte ja eine Fluchtwaffe eingebaut sein usw. Ja gut - für alles das soll der Betreffende zahlen.

Würde das in großem Stil eingeführt, dann würden dafür vielleicht Versicherungen angeboten, wie jetzt für den Aufenthalt im Krankenhaus. Ich bekomme in diesen Tagen die Rechnungen für meinen Krankenhausaufenthalt. Interessant, welche Kosten ich alle verursacht habe, ohne es zu merken. Interessant, daß die (bescheidene) Kost und das (mehr als bescheidene) Logis in einem Krankenhaus so viel teurer sind als in einem Hotel. Aber gut, ich zahle das gern; letztlich über die horrenden Beiträge für meine Versicherung.

Das wäre alles machbar. Man müßte sich nur erst einmal von der voraufklärerischen Vorstellung befreien, daß an jemandem, auf den ein Verdacht gefallen ist, damit sozusagen schon ein Stück Schuld haftet.

Herzlich, Zettel

Korrektur: Der erste Satz sollte richtig lauten: "Die U-Haft komfortabler gestalten, aber nicht auf Kosten des Steuerzahlers". Wenn jemand später verurteilt wird, dann fallen die Kosten ihm zur Last. Wenn man in unschuldig festgehalten hatte, dann muß natürlich der Verursacher, also der Staat zahlen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.05.2011 10:46
#8 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Ein sehr schöner Artikel, vielen Dank dafür.

Ich würde drei Aspekte unterscheiden:

a) Die Haftbedingungen von Untersuchungshäftlingen.
Da stimme ich Ihnen komplett zu, das ist ein Skandal. Und zwar nicht nur in den USA, sondern genauso in Deutschland (oder eben auch Frankreich).
Bei der Untersuchungshaft darf es nur darum gehen, Flucht- oder Verdunkelungsgefahr abzusichern. Jede nicht direkt dafür nötige Einschränkung von Lebensqualität eines unschuldigen Bürgers muß vermieden werden, die Untersuchungshaft darf keinerlei Strafcharakter haben.
Insbesondere sollte es selbstverständlich sein, daß der Gefangene freien Zugang zu Büchern, Zeitungen, Radio/TV oder Computer (ohne Internet) hat.

b) Die Behandlung durch die Medien.
Da haben natürlich Prominente einen speziellen Status. Das Photographenrudel beim Haftprüfungstermin ist wohl legitim und unvermeidbar in einer freien Gesellschaft, und die zumutbare Kehrseite einer prominenten Stellung in der Gesellschaft.
Und da ist es wohl auch unvermeidbar, daß die mit dem Prozeß zusammenhängenden Teile des Privatlebens öffentlich werden.
Man sollte dabei nicht vergessen, daß der öffentliche Prozeß eine demokratische Errungenschaft mit Schutzfunktion für den Beschuldigten ist - es ist dadurch sehr viel schwerer für eine Regierung, einen unliebsam gewordenen Promi durch einen Strafprozeß aus dem Verkehr zu ziehen.

c) Konsequenzen schon vor dem Urteil.
Fatal ist dagegen die Neigung, schon die Existenz einer Untersuchung/Anklage zum Anlaß zu nehmen, einen Beschuldigten zu kündigen/seinen Rücktritt zu verlangen. Da müßte eigentlich immer ein rechtskräftiges Urteil abgewartet werden.
Wenn natürlich während des Verfahrens eine Frist abläuft (wie hier die Bewerbung für die französische Präsidentschaft), dann ist das unglücklich und wohl nicht vermeidbar.
Aber ich halte es für skandalös, daß jetzt schon über die IWF-Nachfolge diskutiert wird. Eine solche Institution ist über lange Zeit auch mit einer Vertretungsregelung handlungsfähig, und wenn sich DSKs Unschuld bestätigen sollte, gäbe es nicht den geringsten Grund für einen Wechsel.


Noch ein Detail:

Zitat
der französische Staat ..., der sich weigerte, Roman Polanski an die amerikanische Justiz auszuliefern.


M. E. ist nicht diese Verweigerung das Problem (würden die USA wohl umgekehrt auch nicht machen), sondern die Weigerung der französischen Justiz, Polanskis Verbrechen selber zu verfolgen. Ist ja nicht so, daß Sex mit Kindern in Frankreich legal wäre.

Florian Offline



Beiträge: 3.180

18.05.2011 10:56
#9 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Zitat
M. E. ist nicht diese Verweigerung das Problem (würden die USA wohl umgekehrt auch nicht machen), sondern die Weigerung der französischen Justiz, Polanskis Verbrechen selber zu verfolgen. Ist ja nicht so, daß Sex mit Kindern in Frankreich legal wäre.



Nicht juristisch relevant, dafür aber besonders unappettitlich war m.E. der Umgang der "Intelligenz" mit diesem Fall.
Es gab da ja eine ganz breite Solidarisierungswelle mit Polanski.
Oft mir geradezu makabren Argumenten. So im Stile von "einen so großen Künstler darf man doch nicht einsperren". Und das ganze mit deutlichem anti-amerikanischen Unterton.
Sehr ekelhaft, wenn man bedenkt, dass es sich um die Vergewaltigung einer Minderjährigen handelte!

Florian Offline



Beiträge: 3.180

18.05.2011 11:20
#10 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Zitat
Ich würde drei Aspekte unterscheiden:

a) Die Haftbedingungen von Untersuchungshäftlingen. (...)
b) Die Behandlung durch die Medien. (...)
c) Konsequenzen schon vor dem Urteil. (...)



zu a) und b): volle Zustimmung

zu c):
die Konsequenzen vor dem Urteil sind ja nicht in erster Linie die arbeitsrechtlichen Folgen.
Sondern die gesellschaftliche Vernichtung des Angeklagten.
Es gibt hier ja eine ganz fatale Gemengelage:
1. Nichts zerstört die soziale Existenz zuverlässiger als ein Prozess wegen Vergewaltigung.
2. Nichts ist leichter zu fabrizieren als eine Anschuldigung wegen Vergewaltigung.

Man sieht Punkt 2 ja sehr gut im Falle Kachelmann:
Soweit ich das mitbekommen habe, ist die Beweislage hier sehr dünn und sehr widersprüchlich (sofern die von mir konsumierte Berichterstattung stimmt). Vermutlich wird Kachelmann daher wohl freigesprochen.
Aber trotz dieser dünnen Faktenlage gab es einen Prozess, der sich (seit dem ggf. Tatzeitpunkt im Februar 2010) über ein Jahr hinzog.
Im Grundsatz (wenn vielleicht nicht in dieser Extremform) ist das aber wohl unvermeidlich. Bei Vergewaltigungen gibt es eben oft nicht viel mehr als 2 widersprüchliche Aussagen und einige wenige Indizien. Die Indizien können dann vielleicht nachweisen, dass es Sex gab, aber nicht, ob er einvernehmlich war.
Eine problematische Beweislage ist bei Vergewaltigungen daher wohl sehr häufig.
Aber natürlich kommen Vergewaltigungen vor. Die Justiz kann daher wohl nicht einfach jedes Verfahren sofort einstellen, bei dem die Beweislage problematisch ist. Denn das ist sie eben auch bei vielen tatsächlichen Vergewaltigungen.

In der Kombination von (1) und (2) führt das aber leider dazu, dass es sehr leicht ist, die bürgerliche Existenz eines Mannes zu vernichten.

Ich finde das auch für mich persönlich ein sehr bedrohliches Szenario.
Ich bin selbständig und habe über 100 weibliche Mitarbeiter.
Vor Ort bin ich bekannt. (Bekannt genug auf jeden Fall, um ein Gerichtsverfahren mit meiner Beteiligung zu einem gefundenen Fressen für die Lokalpresse zu machen).
Sollte irgendeine meiner 100 Mitarbeiterinnen irgendwann einmal auf die Idee kommen, mich sozial (und geschäftlich) vernichten zu wollen, dann reicht dazu eine ggf. eine etwas fabrizierte Beweislage und ein Anruf bei der Polizei - und fini.
Wirklich beängstigend.

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

18.05.2011 18:18
#11 So nicht Antworten

Lieber Zettel,

ich habe mich lange nicht mehr über etwas geschriebenes geärgert, heute haben Sie das geändert. Man kann über einiges in ihrem Artikel der einen oder der anderen Meinung sein, aber der folgende Absatz ist einfach deplaziert:

Zitat
Das Sexualleben Jörg Kachelmanns zum Beispiel ist inzwischen jedem deutschen Medienkonsumenten, der sich dafür interessiert, bis in die peinlichsten Details bekannt. Die Frau, deren Beschuldigungen er das zu verdanken hat, wird hingegen durch Geheimhaltung ihres Namens und dadurch geschützt, daß man ihr Foto nicht zeigt. Gleichbehandlung?


Es ist sicher zu kritisieren, dass das Leben eines Prominenten so ausgetreten wird. Man kann generell sehr vieles, gerade am Kachemann Prozess, bemängeln. Was man aber NICHT DARF, ist das Opfer und den vermeintlichen Täter auf eine Stufe stellen. Dort stehen sie nämlich nicht. Es stellt sich nicht die Frage, ob die Details eines Opfers in einem Vergewaltigungsprozess geschützt werden oder nicht. Es stellt sich auch keine Frage nach einer Gleichbehandlung. Das sind einfach zwei völlig andere Dinge. Im amerikanischen gibt es dafür ein eigenes Rechtskonstrukt. Und das ist auch gut so.

Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass Kachelmanns Privatleben zu schützen ist (eine Position, die durchaus sicher sehr gut zu vertreten ist), dann sollte man das aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes von Kachelmann tun. Nicht weil man die Persönlichkeitsrechte des Opfers einer Straftat schützt. Das geht davon ganz unabhängig. Oder simpel ausgedrückt: Die Position, wie man mit der Berichtserstattung zu Tätern umgeht, ist sicher diskutabel, die Position wie man mit Opfern umgeht ist es nicht. Da muss nichts gleich behandelt werden, denn es hat von vorneherein mit nichts gleichem zu tun.

patzer Offline



Beiträge: 359

18.05.2011 18:46
#12 RE: So nicht Antworten

wenn kachelmann nicht schuldig ist,wer ist dann opfer und wer täter?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.05.2011 18:57
#13 RE: So nicht Antworten

Zitat von Llarian
Was man aber NICHT DARF, ist das Opfer und den vermeintlichen Täter auf eine Stufe stellen.

Es handelt sich, lieber Llarian, um ein vermeintliches Opfer und einen vermeintlichen Täter.

Vielleicht war Kachelmann Täter, vielleicht nicht. Vielleicht war jene Dame, deren Namen geheimgehalten wird, Opfer; vielleicht war sie die Täterin bei dem Versuch, eine Straftat vorzutäuschen und jemanden wissentlich falsch zu beschuldigen. In diesem Fall war Kachelmann das Opfer.

Ich weiß das nicht; sicher wissen es vermutlich nur die unmittelbar Beteiligten. Was das Interesse der Öffentlichkeit, was den Schutz der Intimspäre angeht, kann ich keinen Unterschied sehen.

Herzlich, Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

18.05.2011 19:52
#14 RE: So nicht Antworten

Nein, lieber Zettel, es handelt sich nicht um ein vermeintliches Opfer. Es handelt sich um ein Opfer. Es besteht die Möglichkeit (sogar nach allem was man so liest eine ordentliche Wahrscheinlichkeit), dass die Frau lügt. Vielleicht wird man sie später anklagen. Dann wird sie zur vermeintlichen Täterin. Vielleicht auch nicht nur zur vermeintlichen. Bis dahin ist sie das nicht, bis dahin ist sie "das Opfer". Und das ist etwas was die Gesellschaft einem Opfer von Kriminalität auch schuldet.

Kein Opfer hat es verdient "vermeintlich" zu sein, nach meinem Dafürhalten ist es schlimm genug, dass ein Mensch einmal vergewaltigt wird. Wir müssen das nicht als Gesellschaft ein zweites mal tun. Zunächst mal ist einfach eine Frage des menschlichen Respektes ein Opfer von Gewalt als solches zu akzeptieren. Das muss uns nicht dazu bringen die Rechte des tatsächlich vermeintlichen Täters in die Tonne zu kloppen. Aber umgekehrt sollte dieser Aspekt nicht dazu führen "vermeintliche" Opfer zu suchen oder den Hintergrund des Opfers in Frage zu stellen. Dazu bleibt immernoch Zeit, wenn es sich herausstellt. Es tut uns überhaupt nichts, aber auch gar nichts, ein Opfer ad hoc als solches zu akzeptieren, das später zu revidieren ist undramatisch. Es tut aber eine ganze Menge das Opfer bereits jetzt in Frage zu stellen. Denn das ist in der Tat ein Akt der Gewalt für sich.

In früheren Zeiten war es alles andere als unüblich, dass vor Gericht ein Opfer zur Schlampe degradiert wurde, da wurden dann Fragen nach den Gewohnheiten gestellt, nach dem Umfeld, nach den Freunden, nach Liebschaften, nach allem möglichen. Ein richtiggehend widerlicher Prozess. Und nicht wenige Opfer zeigen genau aus dem Grunde solche Taten nicht an, weil sie diese zweite Vergewaltigung nicht erleben wollen. Ich denke nicht, dass wir dahin zurück müssen. Und deshalb meine ich auch wir brauchen keine "vermeintlichen" Opfer. Ironischerweise glaube ich tatsächlich, dass die meisten angezeigten Gewalttaten auch stattgefunden haben.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.05.2011 20:00
#15 RE: So nicht Antworten

Zitat von Llarian
Nein, lieber Zettel, es handelt sich nicht um ein vermeintliches Opfer. Es handelt sich um ein Opfer. Es besteht die Möglichkeit (sogar nach allem was man so liest eine ordentliche Wahrscheinlichkeit), dass die Frau lügt. Vielleicht wird man sie später anklagen. Dann wird sie zur vermeintlichen Täterin. Vielleicht auch nicht nur zur vermeintlichen. Bis dahin ist sie das nicht, bis dahin ist sie "das Opfer". Und das ist etwas was die Gesellschaft einem Opfer von Kriminalität auch schuldet.

Ich fürchte, lieber Llarian, daß ich das nicht nachvollziehen kann.

Wenn jemand mich fälschlich beschuldigt, ihn bestohlen zu haben, wieso ist der Betreffende dann ein Opfer? Wieso bin nicht ich es, der zu Unrecht Beschuldigte?

Es gibt meines Wissens in gewissen Strömungen des Feminismus so etwas wie die Doktrin, daß einer Frau, die derartige Beschuldigungen erhebt, grundsätzlich geglaubt werden müsse.

Ich halte diese Doktrin für realitätsfremd; auf den Fall Kachelmann bezogen, in dem starke Indizien für eine falsche Anschuldigung sprechen - Gisela Friedrichsen hat sie in ihrer Bericherstattung zusammengestellt - für nachgerade abwegig.

Herzlich, Zettel

Florian Offline



Beiträge: 3.180

18.05.2011 20:11
#16 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Übrigens hat der Fall DSK eine literarische Vorlage:
Bonfire of the Vanities (Im Fegefeuer der Eitelkeiten) von Tom Wolfe.

In diesem Roman geht es um einen New Yorker Banker, der beruflich und privat alles erreicht hat.
("Master of the Universe" nennt er sich selbst).
Er hat eine kleine Affäre laufen, ist also nicht so ganz der Muster-Ehemann. Aber ansonsten ganz anständig.
Und dann wird er aufgrund eines dummen Zufalls einer Straftat beschuldigt (obwohl er in der Realität eigentlich Opfer und nicht Täter war).
In seinem Fall verleichsweise harmlos: Fahrerflucht.

Und dann kommen sie alle aus ihren Löchern gekrochen:
Journalisten, Staatsanwälte, Politiker, Kollegen:
Sie alle wollen aus diesem Fall Honig saugen und vernichten die berufliche und soziale Existenz des Protagonisten.

Speziell die Schilderungen aus dem Gerichtssaal des DSK erinnern stark an die gleiche Szene in Bonfire of the Vanities.


Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch: ein grandioses Sittengemälde der 80er Jahre in New York.

Malte ( gelöscht )
Beiträge:

18.05.2011 21:01
#17 RE: So nicht Antworten

Zitat von Llarian
Nein, lieber Zettel, es handelt sich nicht um ein vermeintliches Opfer. Es handelt sich um ein Opfer.

Nu ja, wenn Sie mehr Informationen haben als alle anderen (Staatsanwaltschaft und Gericht eingeschlossen), dann können Sie jetzt noch das Ruder rumreißen. Wenn Sie unverzüglich das Gericht informieren, wird es zweifellos wieder in die Beweisaufnahme eintreten.

Zitat von Llarian
Vielleicht wird man sie später anklagen.

Der war gut.

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

18.05.2011 21:33
#18 RE: So nicht Antworten

Zitat von Zettel
Ich fürchte, lieber Llarian, daß ich das nicht nachvollziehen kann.


Das wundert mich nicht, lieber Zettel, und das ist gerade das traurige daran. Es mag daran liegen, dass unser ganzer Rechtsstaat sich fast nur um Täter und nahezu nie irgendwo um das Opfer dreht.

Zitat
Wenn jemand mich fälschlich beschuldigt, ihn bestohlen zu haben, wieso ist der Betreffende dann ein Opfer? Wieso bin nicht ich es, der zu Unrecht Beschuldigte?


Weil Straftaten ziemlich selten erfunden werden, lieber Zettel. Es lässt sich nicht immer beweisen, wer es denn getan hat und es ist ja gerade eine Leistung des Rechtsstaates, dass nur die verurteilt werden, die jehenseits eines berechtigten Zweifels, für schuldig befunden wurden. Was nichts daran ändert das die Zahl der erfundenen Straftaten ziemlich gering ist.
Zum anderen, und das ist das wichtige, ist ein Diebstahl etwas gänzlich anderes als eine Gewalttat. Wenn Ihnen etwas gestohlen wird, sie zeigen das an, und jemand wirft ihnen vor, sie seien vielleicht etwas lapidar mit ihrer Börse umgegangen, dann tut das nicht weh. Es ist keine neue Diebstahlserfahrung. Jemand dem Gewalt angetan wurde, emfindet aber gänzlich anders. Einem Vergewaltigungsopfer zu unterstellen, es habe die Tat erfunden, ist schlicht eine Gewalttat in sich. Es wird nicht umsonst als zweite Vergewaltigung vor Gericht emfunden. Manche Leute emfinden das für richtig. Manche finden es beschämend. Ich gehöre zur zweiten Gruppe.

Zitat
Es gibt meines Wissens in gewissen Strömungen des Feminismus so etwas wie die Doktrin, daß einer Frau, die derartige Beschuldigungen erhebt, grundsätzlich geglaubt werden müsse.


Dafür muss man kein Feminist sein, lieber Zettel. Ich kann mit Feminismus so nun gar nichts anfangen. Aber umso mehr komme ich nicht auf die Idee einem Opfer weitere Gewalt anzutun. Ich glaube tatsächlich, dass die wenigsten Frauen sich eine solche Tat ausdenken. Es mag diese Fälle wohl geben, aber sie sind ziemlich selten. Jedem Vergewaltigungsopfer nun ein "angeblich" anzuhängen tut dem weit überwiegenden Opfer massives Unrecht. Und das ohne Not, denn ich kann die Rechte des tatsächlich vermeintlichen Täters berücksichtigen ohne einem Opfer ein Stigma "angeblich" anzukleben. Ich kann die Aussagen des Opfers erst einmal als solche hinnehmen. Und als Verteidiger des vermeintlichen Täters sie sicher auch auf ihre Richtigkeit prüfen. Das gilt aber nicht für Allgemeinheit, nicht für die Presse und auch sonst für niemanden. Wenn sich herausstellt, dass eine solche Tat tatsächlich erfunden ist, dann kann ich immernoch von Angeblichkeit sprechen, ich vertu mir da gar nix. Aber das vorgeblich jedem echten Opfer anzukleben ist abstossend.

Ich bin ein grosser Anhänger des Rechtsstaates. Aber ich bin ebenso der Meinung der Rechtsstaat verdient es erst einmal auf die Opfer ausgerichtet zu werden statt auf die Täter.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.05.2011 22:00
#19 RE: So nicht Antworten

Zitat von Llarian
Ich bin ein grosser Anhänger des Rechtsstaates. Aber ich bin ebenso der Meinung der Rechtsstaat verdient es erst einmal auf die Opfer ausgerichtet zu werden statt auf die Täter.

Das ist auch meine Meinung. Nur scheint mir im Fall Kachelmann ganz und gar unklar zu sein, wer Opfer ist und wer Täter.

Herzlich, Zettel

F.Alfonzo Offline



Beiträge: 2.292

19.05.2011 00:04
#20 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Geehrter Zettel,

nach meiner (leider auch persoenlichen) Erfahrung ist es, zumindest bei nicht-Prominenten so, dass die U-Haft von Staatsanwaelten als Druckmittel benutzt wird, um ein Verfahren schnell abgelegt zu bekommen. Denn wenn man erst mal verhaftet ist, spielt die Frage nach Schuld und Unschuld, oder auch die Aufklaerung der Verfahrens keine Rolle mehr, da macht man halt dann nen Deal, um nicht seine komplette Existenz auf's Spiel zu setzen (funktioniert natuerlich nur bei Leuten, die berufstaetig sind, Familie haben, usw... auf wen das nicht zutrifft, der wird auch i.d.R. nicht in U-Haft genommen. Ein Vollprolet, der jemanden halb tot pruegelt, geht nach Hause und wartet auf sein Verfahren. Wenn es ein komplizierteres Wirtschaftsstrafverfahren ist, ruecken alle Beschuldigten erst mal ein, machen nen Deal, um schnell rauszukommen und das Verfahren zu umgehen).

Tja, was will man machen.

Gruesse,
F.Alfonzo

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

19.05.2011 07:38
#21 RE: Der Gefangene von Rikers Island Antworten

Zitat von Zettel
Es geht mir vielmehr um die Folgen der Verhaftung für den Betroffenen, der bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung nicht bestraft werden darf. Eine Strafe - eine massive, eine außerordentlich harte Strafe - ist aber das, was DSK gegenwärtig durchleiden muß.

In Abweichung von den in meinem Artikel zitierten Angaben des Nouvel Observateur hat DSK doch TV in der Zelle; das berichtet jetzt die New York Times. Dort ist auch zu lesen, daß dieses Gebäude nur schwach belegt ist, so daß DSK der einzige Bewohner des ganzen Gefängnisflügels ist.

In der heutigen Ausgabe von Le Monde (Druckausgabe, die ich auf den Kindle geladen habe) wird ein Gepräch mit einem der Wärter zitiert, der sagt, er selbst esse nie von der Kost für die Gefangenen, weil er sie für ungenießbar halte.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.05.2011 12:56
#22 RE: So nicht Antworten

Lieber Llarian, ich kann Dir ja völlig zustimmen bei der Forderung, daß Opfer geschützt werden sollen. Und auch damit, daß das deutsche Justizwesen insgesamt Schwächen hat wenn es um die Berücksichtigung der Opfer geht.

Aber bei der Logik liegst Du hier einfach falsch (und Zettel liegt richtig). Von einem Opfer (wie von einem Täter) kann man erst sprechen, wenn das per Urteil auch erwiesen ist. Und deswegen sollten alle Beteiligten gleiche Schutzrechte in Bezug auf ihre Privatsphäre genießen - weil vor dem Urteil eben nicht klar ist, wer als Opfer oder Täter zu bewerten ist.

Zitat von Llarian
Weil Straftaten ziemlich selten erfunden werden, ...


Wird wohl statistisch so sein, ändert aber nichts daran, daß in genügend vielen Einzelfällen Straftaten sehr wohl erfunden sind. Es gibt bewußte Falschanschuldigungen, es gibt solche aus Fehlern.
Es sind schon Leute des Diebstahls angeklagt worden, weil die vermeintlich Bestohlenen die Sachen verloren hatten, oder Versicherungsbetrug vorhatten, oder die angeblichen Diebe schlicht anschwärzen wollten.
Es sind schon Leute wegen Körperverletzung angeklagt worden, weil das vermeintliche Opfer im Suff durchs Fenster gefallen ist.
Und insbesondere gibt es erfundene Vergewaltigungsanklagen, dieses Delikt ist ja besonders anfällig dafür.

Zitat
Zum anderen, und das ist das wichtige, ist ein Diebstahl etwas gänzlich anderes als eine Gewalttat.


Richtig.
Und das gilt umgekehrt auch für den Vorwurf. Der Vorwurf einer Vergewaltigung ist viel gravierender als ziemlich jedes andere Delikt außer Mord.
Diebstahl oder Körperverletzung kann man selbst bei Verurteilung oft wegstecken - bei Vergewaltigung kann alleine der Vorwurf Existenzen vernichten, selbst wenn sich hinterher die Unschuld erweist.

Zitat
Einem Vergewaltigungsopfer zu unterstellen, es habe die Tat erfunden, ist schlicht eine Gewalttat in sich.


Wenn es wirklich ein Opfer ist - ja.
Aber die Feststellung, daß noch nichts erwiesen ist und deswegen auch über Opfer und Täter noch nicht entschieden werden kann, das ist keine solche Unterstellung.

Zitat
Ich glaube tatsächlich, dass die wenigsten Frauen sich eine solche Tat ausdenken.


Auch hier: Wird wohl statistisch so sein, ändert aber nichts daran, daß ein solches Ausdenken sehr wohl vorkommt. Ich habe während meiner Schöffentätigkeit selber so einen Fall erlebt. Und es gibt diverse Konstellationen, warum eine Frau so etwas tun kann.

Zitat
Es mag diese Fälle wohl geben, aber sie sind ziemlich selten.


Und das soll jetzt ein Grund sein, jedem Vergewaltigungsvorwurf automatisch zu glauben? Das kann doch nicht Dein Ernst sein!

Zitat
Jedem Vergewaltigungsopfer nun ein "angeblich" anzuhängen tut dem weit überwiegenden Opfer massives Unrecht.


Nein.
Erstens sollte man nicht "angeblich" formulieren - das würde natürlich schon implizieren, daß sie lügt. Zettel hat "vermeintlich" gesagt, das ist neutral und beinhaltet keinerlei Vorwurf gegen die Frau.
Aber zweitens wird JEDE Anklage nur unter Vorbehalt genommen, damit ist nie ein Vorwurf gegen die Klageführenden verbunden. Nur eben die normale Feststellung, daß die Beurteilung noch nicht abschließend möglich ist.

Es ist ja auch umgekehrt nicht ungerecht, daß schlimme Verbrecher als unschuldig gelten, bis das Urteil ergangen ist.

Zitat
Ich kann die Aussagen des Opfers erst einmal als solche hinnehmen.


Hinnehmen sicher - aber nicht automatisch als Wahrheit akzeptieren.

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

19.05.2011 18:51
#23 RE: So nicht Antworten

Zitat von R.A.
Von einem Opfer (wie von einem Täter) kann man erst sprechen, wenn das per Urteil auch erwiesen ist.


Von einem Täter kann man erst nach einem Urteil (oder einem Geständnis) ausgehen. Von einem Opfer sollte man immer ausgehen. Der Widerspruch kostet uns schlicht nichts. Ein Opfer dagegen nur als "angeblich" oder "vermeintlich" oder "vorgeblich" oder was auch immer einzuordnen (ich halte diese feinen Unterschiede doch für reichliche Wortspalterei) passiert dagegen völlig ohne Not. Es ist überhaupt nicht notwendig sich eine Meinung zu bilden, bis das Gericht die Frage untersucht hat. Und bis es so weit ist, ist es überhaupt nicht notwendig eine Einordnung oder Symmetrie oder sonstwas zu bilden.

Zitat
Wird wohl statistisch so sein, ändert aber nichts daran, daß in genügend vielen Einzelfällen Straftaten sehr wohl erfunden sind.


Und aus dieser Motivation heraus wollen wir als Gesellschaft all diejenigen Opfer, die die Tat nicht erfunden haben, mit einem "vermeintlich" strafen ? Nee. Absolut nee. Das hat ein Opfer nicht verdient. Das Opfer (in den allermeisten Fällen) ist bereits vom Täter verletzt worden, ich denke nicht das man da nachsetzen muss oder sollte.

Zitat
Und das gilt umgekehrt auch für den Vorwurf. Der Vorwurf einer Vergewaltigung ist viel gravierender als ziemlich jedes andere Delikt außer Mord.


Natürlich ist es das. Und deshalb sollte ein falscher Anwurf auch gravierende Konsequenzen haben. Das hat aber wenig damit zu tun, wie man zunächst mit dem Opfer umgeht.

Zitat
Und das soll jetzt ein Grund sein, jedem Vergewaltigungsvorwurf automatisch zu glauben? Das kann doch nicht Dein Ernst sein!


Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass man einen solchen Vorwurf erst einmal so hinnehmen sollte. Und ein Opfer als solches (!) behandeln sollte. Ein Opfer erlebt seinen Opferstatus doch nicht erst nach einem Urteil. Es lebt die ganze Zeit von der Gewalttat an damit. Und damit kann es wohl den Opferstatus für sich reklamieren. Und dazu gehört eben auch Vokabeln wie "vermeintlich" für sich zu behalten.

Zitat
Aber zweitens wird JEDE Anklage nur unter Vorbehalt genommen, damit ist nie ein Vorwurf gegen die Klageführenden verbunden.


Aber sicher ist das so. Es ist Zweifeln an der Aussage des Opfers. Das ist beim Bestohlenwerden nicht schlimm. Nicht mal beim Betrogenwerden. Bei Opfern von Gewalt ist das aber eine ganz andere Baustelle. Das Opfer kann nicht warten, es ist heute verletzt, nicht erst wenn ein Urteil in dritter Instanz gesprochen ist.

Zitat
Hinnehmen sicher - aber nicht automatisch als Wahrheit akzeptieren.


Das ist ja auch nicht gefordert. Worüber ich mich aufrege (und geärgert habe) ist die Implikation von Zettel Opfer und Täter ständen auf einer Stufe. Und weitergedacht, wenn man die Rechte des vermeintlichen (!) Täters mit Füssen tritt, dann könnte man das ja vielleicht auch mit dem Opfer tun (gleiches Recht für alle). Ist aber nicht so. Ich finde es auch unmöglich, dass auch nur anzudeuten. Ich sagte bereits, es ist vollkommen in Ordnung, dass man darauf hinweist, dass der Täter Rechte hat, auch den Schutz seiner Person. Das hat aber nicht das Geringste, nicht das Tüpfelchen, damit zu tun, wie man mit dem Opfer umgeht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

19.05.2011 19:24
#24 Mißverstanden Antworten

Zitat von Llarian
Worüber ich mich aufrege (und geärgert habe) ist die Implikation von Zettel Opfer und Täter ständen auf einer Stufe.

Lieber Llarian, da haben Sie mich so gründlich mißverstanden, gründlicher geht's kaum.

Ich bin eindeutig nicht dieser Meinung, habe es weder gesagt noch impliziert, sondern habe im Gegenteil mich früher einmal - wenn Sie wollen, suche ich das heraus - exakt aus diesem Grund gegen den Begriff "Opfer-Täter-Ausgleich" gewandt. Opfer und Täter stehen in keiner Weise auf derselben Stufe; und ich finde es empörend, das durch einen solchen Begriff zu suggerieren.

Es geht mir überhaupt nicht darum, wie man ein Opfer und wie man einen Täter behandelt. Dem Opfer muß geholfen werden, der Täter muß bestraft werden. Das ist doch evident.

Es geht mir vielmehr darum, daß man oft - wie jetzt in diesem Fall Kachelmann - nicht weiß, ob jemand ein Opfer oder ein Täter ist.



Ich kann, ehrlich gesagt, ihre Voraussetzung, die hier in Rede stehende Journalistin sei sozusagen axiomatisch als Opfer zu betrachten, nicht nachvollziehen.

Sie hat nachweislich xfach gelogen. Ihre Schilderung des vorgeblichen Tathergangs ist unglaubhaft, wie etliche Gutachter übereinstimmend geschrieben haben. Es gibt - Gisela Friedrichsen hat das in einem ihrer Berichte noch einmal Punkt für Punkt zusammengefaßt; auch das kann ich heraussuchen, wenn Sie wolllen - kein einziges objektives Indiz, das ihre Schilderung stützt. Auch die Gerichtsreporterin der "Zeit" hat das im Detail dargelegt.

Die Frau, die Sie das Opfer nennen, ist von Kachelmann auf übelste Weise hintergangen worden; so, wie er offenbar habituell Frauen hintergangen hat. Es ist aber nicht strafbar, einer Frau Liebe und eine gemeinsame Zukunft vorzutäuschen; es ist nur eine Schweinerei.

Die Frau, die Sie das Opfer einer Vergewaltigung nennen, hatte also ein starkes Motiv, sich an Kachelmann zu rächen. Daß Frauen als Rache an einem Mann, der sie derart behandelt hat, eine Vergewaltigung vortäuschen, ist keineswegs selten. Auch das wurde in der Berichterstattung über den Fall wiederholt dargelegt.

Ich sage nicht - und habe das in dieser ganzen Diskussion nie gesagt -, daß ich glaube, daß diese Frau lügt. Ich halte es nur für möglich; so, wie ich es für möglich halte, daß Kachelmann lügt. Ich sehe mich völlig außerstande, da ein Urteil zu fällen.


Wenn die Vergewaltigung vorgetäuscht war, dann ist Kachelmann das Opfer; und zwar mit einer Schädigung, die derjenigen durch eine Vergewaltigung durchaus vergleichbar ist: Ruf ruiniert, Karriere ruiniert, im Fall einer Verurteilung jahrelanger Gefängnisaufenthalt.

Was Sie über Opfer schreiben, muß also logischerweise auch für Kachelmann gelten. Mir ist unklar, wieso Sie es für ihn nicht gelten lassen wollen.

Herzlich, Zettel

Martin Offline



Beiträge: 4.129

19.05.2011 20:27
#25 RE: Mißverstanden Antworten

Interessant im Rahmen der Diskussion ein Interview mit der Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie der Universität Kiel: http://www.nwzonline.de/Aktuelles/Politi...er-gemacht.html

Es gäbe in der Verhandlung von Vergewaltigungsfällen vor Gericht eine Scheu bei männlichen Richtern und Staatsanwälten, gegenüber dem Opfer misstrauisch zu sein. Ich denke, das ist auch in der Öffentlichkeit und in der Presse der erste Impuls, es sei denn Alice Schwarzer nimmt sich des Falles an. Interessant ist, ob sich diese deutsche Beobachtung auch auf die USA übertragen lässt. Das könnte dann ja auch die Zusammensetzung der Geschworenen beeinflussen (Parität zwischen Männern und Frauen?).

Gruß, Martin

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