Das Gespenstische am Deutschland dieser Tage ist nicht nur die Irrationalität des "Ausstiegs", sondern vor allem auch das Wir-Gefühl, dieses Volksgemeinschafts-Bewußtsein, welches das Land erfaßt hat.
Wieso findet über diese Entscheidung (eine der, wie man vorhersagen kann, folgenreichsten in der Geschichte der Bundesrepublik; eine, für die kaum jemand außerhalb Deutschlands Verständnis hat) nicht wenigstens eine heftige Debatte statt?
Weil Deutschland zu sich selbst zurückgefunden hat, behaupte ich in dem Artikel. Eine These, die ich schon einmal angedeutet habe und die für mich in den fast zwei Monaten, die inzwischen vergangen sind, immer plausibler geworden ist.
Zitat Deutschland findet jetzt zu sich selbst zurück. Anders kann man dieses Wir-Gefühl, das in diesen Tagen spürbare Bewußtsein einer Volksgemeinschaft, die sich entschlossen auf ihren Sonderweg macht, kaum verstehen. Gebt Raum, ihr Völker, unsrem Schritt.
So ist es.
"Der Ausstieg wird zum Volksfest" meinte RTL-News gerade. Bebildert wurde diese Aussage durch bunt angezogene Jecken, Trompetenorchester, nie-mehr-die-CDU-wählende Omas mit Atom-Nein-Danke-Hüten und allerlei sonstigem Party-Schnickschnack. Eine Mischung zwischen Kölner Karneval, Ballermann-Saufparty und Göbbel's Sportpalastrede. Der Deutsche hat in der Tat zu sich selbst zurückgefunden. Der Ausstieg aus dem "teuflischen Atom" ist ein perfektes Alibi. Deutsche Massen marschieren wieder d.h. sie "dürfen" endlich marschieren. Es ist ja für das Gute. Und sie dürfen andere Länder schulmeistern. Der Deutsche darf sich wieder herrenmenschlich überlegen fühlen.
Zitat Alle haben den falschen Tritt; nur Deutschland hat den richtigen. Deutschland findet jetzt zu sich selbst zurück. Anders kann man dieses Wir-Gefühl, das in diesen Tagen spürbare Bewußtsein einer Volksgemeinschaft, die sich entschlossen auf ihren Sonderweg macht, kaum verstehen. Gebt Raum, ihr Völker, unsrem Schritt.
die Deutschen fanden bereits 1933 ihre nationale Identität durch Abgrenzung von einem halluzionierten Bösen. Nichts wirklich Neues folglich.
Vielen Dank für den Artikel. Die Verbindung zum deutschen Sendungsbewusstsein("Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen") ist sehr interessant, war mir bislang noch nicht in den Sinn gekommen erscheint aber passend. Es scheint so als wären wir Deutschen unfähig, das zu tun, was alle anderen auch tun, unsere Interessen zu vertreten(innen- wie außenpolitisch). Zusammen genommen mit den Rissen in EU und NATO, einer neuen Allianz zwischen Großbritanien und Frankreich(wenn Libyen kein Strohfeuer ist) sowie die Einigung unsere östlichen Nachbarn führt Deutschland wirklich in eine neue isolierte Lage. Das Außenministerium und Auswärtige Amt sind ja eigentlich nicht für ihr schlechtes Personal bekannt(abgesehen von den Ministern von Zeit zu Zeit), vielleicht schaffen sie es ja hinter den Kulissen Deutschland vor dem schlimmsten zu bewahren.
In der DDR spürte man ab Mitte der Achtziger ein zunehmendes "Knirschen" im Fundament und war am Ende trotzdem verblüfft über den schlagartigen Einsturz. Möchte keine schiefen Vergleiche anstellen, aber die Erfahrung, daß nichts per se von ewiger Dauer ist - wir Ostdeutsche haben sie schon. Man könnte sogar - als Optimist - den kommenden Monaten interessiert entgegensehen. mfG
Fritz Vahrenholt hat es auf "Welt Online" sehr treffend ausgedrückt:
Zitat von Fritz VahrenholtWenn die Gesellschaft auf die Kernenergie verzichten möchte, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien auf längere Sicht von Kohle und Erdgas begleitet werden. Anderenfalls heißt Dekarbonisierung nichts anderes als Deindustrialisierung. Mitunter gewinnt man den Eindruck, dass auch nichts anderes von manchem politischem Akteur gewollt ist.
Wenn man, wie in deinem Beitrag, lieber Zettel, eine Brücke schlagen will zum "Deutschtum", dann kann man dahinter die alte deutsche Anfälligkeit für Romantik erkennen, die sich immer wieder in verschiedener Art und Weise Bahn gebrochen hat, ob im Germanenkult oder einer Verklärung der "heimischen Scholle".
Aber selbst wenn das Teil eines "Volkscharakters" sein sollte (man müsste in diesem Zusammenhang mal zum Spaß ermitteln, wie hoch der Anteil von Migranten bei den Anti-AKW-Demonstrationen ist ), erklärt das nicht die Irrationalität, mit der insbesondere die Partei der Kanzlerin und ihr süddeutsches quartalsirres Pendant der Problemlage begegnen. Mittlerweile ist ja sogar die FDP die einzige Partei, die es wagt, Begriffe wie "Versorgungssicherheit" und "Bezahlbarkeit" auch nur in den Mund zu nehmen...
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat Das Gespenstische am Deutschland dieser Tage ist nicht nur die Irrationalität des "Ausstiegs", sondern vor allem auch das Wir-Gefühl, dieses Volksgemeinschafts-Bewußtsein, welches das Land erfaßt hat. Wieso findet über diese Entscheidung... nicht wenigstens eine heftige Debatte statt?
Ich erlebe ein solches Wir-Gefühl einer geschlossenen "deutschen Volksgemeinschaft" eigentlich nicht. Ich sehe nur einen Rausch des Oben-auf-Seins im erweiterten grünen Lager, zu dem halt auch Medien wie die zitierte SZ gehören. Dort herrscht nun das überwältigend gute Gefühl, immer Recht gehabt und jetzt endlich Recht bekommen zu haben. Das ist oft nicht schön anzuschauen, aber doch irgendwie menschlich nachvollziehbar. Sollen sie eben feiern.
Auf der anderen Seite gibt es sehr viele, die den Turboausstieg und den deutschen Sonderweg durchaus mit Skepsis und bangen Gefühlen verfolgen. Diesem Teil der Bevölkerung - der vielleicht sogar eine Mehrheit ausmacht - ist aber die Stimme abhanden gekommen. Denn Union und FDP, die traditionellen Wortführer einer nicht-grünen Position, sind intellektuell und moralisch einfach implodiert.
Wer kann und will sich denn jetzt den Grünen noch entgegenstellen, wenn eine schwarz-gelbe Bundesregierung mit Hilfe von bestellten Ethikkommissionen und wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsräten aus vollen Rohren in das eigene Lager feuert? Assistiert von einer wie immer opportunistisch handelnden Wirtschaft, die sich eben darauf einstellt, mit dem neuen Zeitgeist ihr Geld zu verdienen.
Die Debatte über den Ausstieg findet nicht statt, weil die organisierten Kräfte des "bürgerlichen Lagers" in Panik alle Positionen verlassen haben. Es gibt dort jetzt nur noch versprengte und demoralisierte Einzelkämpfer, die sich erst einmal neu organisieren müssen.
Irgendwann wird daraus auch mal wieder eine artikulations- und machtfähige politische Bewegung werden. Aber auf absehbare Zeit gehört die Bühne eben dem grünen Lager, das nach seiner traditionellen Methode verfährt, sich selbst zur Verkörperung einer gefühlten volonté générale zu erklären.
Zitat The best lack all conviction, while the worst Are full of passionate intensity.
Das hat W.B. Yeats in Zeiten geschrieben, die mit den unsrigen nicht verglichen werden sollen. Aber als Kurzbeschreibung der "Ausstiegsdebatte" passt es trotzdem.
Zitat von ZettelDas Gespenstische am Deutschland dieser Tage ist nicht nur die Irrationalität des "Ausstiegs", sondern vor allem auch das Wir-Gefühl, dieses Volksgemeinschafts-Bewußtsein, welches das Land erfaßt hat.
Ich bin heute einer Atomkraftgegnerdemonstration über den Weg gelaufen. Überall gelbe Trillerpfeifen, offenbar zentral beschafft. Ich kann offen gestanden nicht nachvollziehen, wie jemand Argumente durch Trillerpfeifen ersetzt, und eine Bewegung, die auf ihren Demonstrationen Trillerpfeifen zentral anliefert, sollte sich meines Erachtens allein dadurch im zivilisierten Diskurs unmöglich machen. Meinen Kindern versuche ich zu vermitteln, dass meistens nicht derjenige recht hat, der am lautesten brüllt. Dieses Stück Kinderstube scheint an diesen Ludditen vorbei gegangen zu sein.
Meine spontane Assoziation war übrigens nicht Sportpalast, sondern Fackelzug.
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Was aber wird mit denen die nun mauloffenstauned dieses
Zitat Wir-Gefühl, dieses Volksgemeinschafts-Bewußtsein, welches das Land erfaßt hat.
voller Angst betrachten? Die verstanden haben, was der WBGU mit seiner "Großen Transformation" in die Wege leiten will und in einer, für mich unvorstellbaren Deutlichkeit, ausspricht? Wo soll man sich denn noch hinwenden, wenn die entsetzte Gusche wieder zugeklappt ist? Bekomme ich meine alte, faulige DDR wieder oder noch Schlimmeres? Wird man mich in einigen Jahren wegen meiner Äußerungen im Internet abholen und ...?
Nein, ich werde nicht ins schreiende Schweigen verfallen. Ich werde gezielt mit Jedem darüber reden, der mir die Gelegenheit dazu erlaubt. Ich werde meine Teilhabe zum Geplanten verweigern. Für das Mainstreamisiertwerden bin ich zu bockig und wohl für die Yes-we-can-Sager zu verdorben.
Beste Grüße B.
---------------------------------------------------- Bibliotheken sind eine gefährliche Brutstätte des Geistes
Zitat von BibliothekarWas aber wird mit denen die nun mauloffenstauned dieses
Zitat Wir-Gefühl, dieses Volksgemeinschafts-Bewußtsein, welches das Land erfaßt hat.
voller Angst betrachten? Die verstanden haben, was der WBGU mit seiner "Großen Transformation" in die Wege leiten will und in einer, für mich unvorstellbaren Deutlichkeit, ausspricht? Wo soll man sich denn noch hinwenden, wenn die entsetzte Gusche wieder zugeklappt ist?
Was mich betrifft, wende ich mich an das kleine Stückchen Öffentlichkeit, welches bei mir im Blog vorbeischaut. Jeder Leser ist auch wieder ein Multiplikator, und ich gebe die Hoffnung nicht auf dass wir alle auf diese Weise das Pflänzchen Vernunft ein wenig düngen.
Beste Grüße, Calimero
---------------------------------------------------- Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire
Zitat Jeder zweite Bundesbürger ist für einen raschen Ausstieg aus der Atomenergie. Nach dem jüngsten ZDF-Politbarometer plädieren 50 Prozent dafür, die deutschen Kernkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten. 35 Prozent favorisieren einen Ausstieg bis 2021, wie ihn einst die rot-grüne Bundesregierung geplant hatte. Nur 13 Prozent wollen nach der Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen an der von Schwarz-Gelb im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung bis 2035 festhalten.
Das sind zusammen 98 Prozent.
Also sind maximal 2 Prozent dafür, überhaupt nicht "auszusteigen". Hat die FG Wahlen diese Alternative überhaupt angeboten?
Deutschland ist ein Volk von Aussteigern im Gleichschritt.
Ich habe es ja in ZR geschrieben, daß ich nach dieser Erfahrung, welche die ganze Unvernunft der Deutschen schlagartig offenbart hat, keine Zukunft mehr für unser Land sehe. Ein Volk, das in diesem Fall eine kollektive Besoffenheit zeigt, wird das auch in anderen Fällen tun.
Zitat von ZettelHier, lieber Juno, ist eine Meldung von heute:
Zitat Jeder zweite Bundesbürger ist für einen raschen Ausstieg aus der Atomenergie. Nach dem jüngsten ZDF-Politbarometer plädieren 50 Prozent dafür, die deutschen Kernkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten. 35 Prozent favorisieren einen Ausstieg bis 2021, wie ihn einst die rot-grüne Bundesregierung geplant hatte. Nur 13 Prozent wollen nach der Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen an der von Schwarz-Gelb im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung bis 2035 festhalten.
Das sind zusammen 98 Prozent.
Also sind maximal 2 Prozent dafür, überhaupt nicht "auszusteigen". Hat die FG Wahlen diese Alternative überhaupt angeboten?
Nein, hat sie nicht. Ich habe das inzwischen nachgesehen und den Artikel um dieses Umfrageergebnis ergänzt; auch um ein weiteres Zitat aus der Presse; samt Kommentaren.
Zitat von ZettelAlso sind maximal 2 Prozent dafür, überhaupt nicht "auszusteigen". Hat die FG Wahlen diese Alternative überhaupt angeboten?
Deutschland ist ein Volk von Aussteigern im Gleichschritt.
Das wird, lieber Zettel, durch die Umfrage doch gar nicht belegt. Die Umfrage scheint mir eher zu zeigen, daß die Mitarbeiter der FG Wahlen noch einmal einen Kurs in empirischer Sozialforschung belegen sollten.
Es ist ja völlig idiotisch, bei einer Umfrage zwei konkrete Ausstiegstermine (2021, 2035) zusammen mit einem völlig unbestimmten "möglichst schnell" als Antwortmöglichkeiten anzubieten. "Möglichst schnell" kann ja sowohl im Sinne von "am besten sofort" als auch im Sinne von "wenn eine sichere und bezahlbare Versorgung durch andere Quellen möglich ist" verstanden werden, und zwischen diesen beiden Lesarten liegen Welten.
Eine saubere Umfrage hätte z.B. wie folgt aussehen können:
Soll der Ausstieg
a) bis 2012 ("sofort") b) bis 2021 c) bis 2035 d) nie
Zitat von ZettelAlso sind maximal 2 Prozent dafür, überhaupt nicht "auszusteigen". Hat die FG Wahlen diese Alternative überhaupt angeboten?
Deutschland ist ein Volk von Aussteigern im Gleichschritt.
Das wird, lieber Zettel, durch die Umfrage doch gar nicht belegt. Die Umfrage scheint mir eher zu zeigen, daß die Mitarbeiter der FG Wahlen noch einmal einen Kurs in empirischer Sozialforschung belegen sollten.
Ja, das liegt auf der Hand, lieber DrNick - es sei denn, man unterstellt die Absicht zu manipulieren. Ich hatte erwogen, einen Abschnitt dazu in den Artikel einzufügen, aber das hätte nicht ins Thema und den Gedankengang gepaßt.
Wie würde sich ein Verantwortlicher der FG Wahlen, sagen wir, ein promovierter Sozialwissenschaftler, gegen die geballten Vorwürfe von DrNick und Zettel verteidigen? Er würde vielleicht argumentieren:
"Die Antwortalternativen denken wir uns ja nicht aus. Sie basieren auf dem, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird und was wir als Stimmungen in der Bevölkerung aus Internetforen, Kommentarspalten usw. entnehmen. Und dort gibt es eben die Meinung, man solle so schnell wie möglich aussteigen, während andere für die beiden konkreten Termine sind, die wir in das Item aufgenommen haben. Gar nicht auzusteigen wird nicht diskutiert, und deshalb haben wir auf diese Antwortalternative verzichtet".
Zitat von ZettelEr würde vielleicht argumentieren:
"Die Antwortalternativen denken wir uns ja nicht aus. Sie basieren auf dem, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird und was wir als Stimmungen in der Bevölkerung aus Internetforen, Kommentarspalten usw. entnehmen. Und dort gibt es eben die Meinung, man solle so schnell wie möglich aussteigen, während andere für die beiden konkreten Termine sind, die wir in das Item aufgenommen haben. Gar nicht auzusteigen wird nicht diskutiert, und deshalb haben wir auf diese Antwortalternative verzichtet".
Dem würde ich erstens entgegenhalten, daß in einer Umfrage nicht nur die Antworten auftauchen sollten, die intensiver "diskutiert", d.h. in den Medien breitgetreten werden, sondern auch diejenigen, die die Menschen faktisch haben (könnten). Da in etlichen Ländern (Japan, Frankreich, USA usw.) ein Nicht-Ausstieg ja nicht nur diskutiert, sondern auch praktiziert wird, kann ich mir nicht vorstellen, daß das bei uns niemand für richtig hält. Wie hoch der Prozentsatz der Nicht-Aussteiger ist, weiß ich natürlich nicht, weil es die FG Wahlen nicht für nötig hielt, diese Frage zu stellen.
Und zweitens sollten in einer Umfrage, keine unklaren oder deutungsbedürftigen Antwortmöglichkeiten vorkommen. "So schnell wie möglich" kann, wie gesagt, alles mögliche bedeuten.
Zitat Jeder zweite Bundesbürger ist für einen raschen Ausstieg aus der Atomenergie. Nach dem jüngsten ZDF-Politbarometer plädieren 50 Prozent dafür, die deutschen Kernkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten. 35 Prozent favorisieren einen Ausstieg bis 2021, wie ihn einst die rot-grüne Bundesregierung geplant hatte. Nur 13 Prozent wollen nach der Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen an der von Schwarz-Gelb im Herbst beschlossenen Laufzeitverlängerung bis 2035 festhalten.
Das sind zusammen 98 Prozent.
Dieser Hinweis kam ja schon mehrfach, aber ich wiederhole ihn gerne, weil er in diesem Zusammenhang sehr wichtig ist: Sie übernehmen da "Forschungsergebnisse", die in einem politisch sowieso nicht neutralen und in Sachen Atom extrem einseitig berichtenden Medium veröffentlicht wurden und tun dann so, als ob das, was dieses extrem einseitige Medium als öffentliche Meinung ausgibt (und zum Großteil ja auch durch Dauerpropaganda zumindest begünstigt hat), auch tatsächlich der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung entspricht. Vielleicht bin ich da naiv, aber ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Deutschen wirklich einen Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie wollen, wenn er mit massivsten Wohlstandsverlusten verbunden sein sollte. Genau dieser Punkt wird aber in entsprechenden Umfragen vollkommen ausgespart. Es wird - polemisch gesprochen - eben - meiner Meinung nach bewusst - nicht gefragt: "Wollt Ihr den totalen Atomausstieg? Wollt Ihr ihn auch dann, wenn er euch härteste Opfer abverlangen wird?", sondern nur: "Öko findet Ihr doch gut, oder? Sind doch alle dafür, sagen wir euch doch jeden Tag!" Die Ergebnisse dieser Pseudowissenschaft werden dann jedem Bundesbürger in den öffentlichen Kanälen eingehämmert, bis auch der letzte kippt, obwohl er in der Sache anderer Meinung ist.
Und immer wieder diese Vergleiche mit dem 3. Reich. Haben Sie so wenig Vertrauen in die deutsche Demokratie, dass Sie glauben der Atomausstieg beschert uns den GröFAZ Trittin und die Nationalistischen Einheitsgrünen? Herrschte nich eine ähnliche Aufbruchsstimmung damals für die neue Technologie der Kernkraftwerke, wie heute für erneuerbare Energien?
Die Qualität der Meinungsumfragen in ARD und ZDF ist schon erstaunlich. Als wohlerzogener Bürger denkt man ja, dass hier die seriösesten Institutionen des Landes zusammenarbeiten: Ein öffentlich-rechtlicher Riesenapparat, der durch Zwangsabgaben finanziert wird, damit er sich nicht an der Marktschreierei der skrupellosen Kommerzmedien beteiligen muss; Sozialforscher aus der ersten Reihen, die wahrscheinlich eine ordentliche Rechnung schreiben, dafür aber auch mehr anzubieten haben als ein paar billige Callcenter und Praktikanten, die sich schlagzeilenträchtige Fragen ausdenken.
Stattdessen wird zum Teil übelster Schrott abgeliefert. Nur zwei Beispiele aus dem aktuellen ARD/Infratest Deutschlandtrend Mai:
- Hatten die USA das Recht, Bin Laden zu töten? a) Hatten das Recht b) Hätten erst Festnahme versuchen sollen
- Sollen die Anti-Terrorgesetze verlängert werden a) unbefristet verlängern b) befristet verlängern c) erst die Notwendigkeit prüfen
Da erübrigt sich jeder Kommentar. Die Ergebnisse dieser Befragungen kann man sich praktischerweise schon vorher denken.
Natürlich greifen derartige Umfragen ein schon vorhandenes Meinungsklima auf und versuchen nur, es zu verstärken. Das gilt auch in der Ausstiegsdebatte.
Trotzdem bleibe ich dabei, dass wir keinen Kollektivrausch wie etwa bei einer Fußball-WM haben - sondern die Inszenierung eines solchen durch das zweifellos starke grüne Lager. Es wurde von Gorgasal auf die Trillerpfeifenmärsche hingewiesen: Da geht es ja gar nicht um "zivilisierten Diskurs", es geht um eine Vorführung von (Über-)Macht und um Einschüchterung des Gegners, um ein akustisches Sich-Aufplustern und Imponiergehabe, wie man es aus dem Tierreich kennt. Trompeten von Jericho, Marke Ver.di.
Nach einer aktuellen Allensbach-Umfrage sind nur 38 Prozent der Bürger bereit, für den Ausbau der Erneuerbaren höhere Energiepreise zu zahlen. Selbst bei den Befürwortern des raschen Atomausstiegs sind es nur 44 Prozent. Wenn das so stimmt, dann werden die Energiewendepolitiker in absehbarer Zeit ein großes Problem bekommen.
Mein - zugegeben rein anekdotischer - Eindruck ist, dass es in diesem Land inzwischen eine massive Unruhe und einen großen Vertrauensverlust gegenüber der Politik generell gibt. Euro-Krise und Sarrazin-Debatte, Weltfinanzkrise und Arabellion gibt es ja neben der Energiefrage auch noch. Die Grünen bieten eine große, sanft revolutionäre Erzählung, die alles irgendwie zusammenführt: Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist - und diese Idee heißt heute "Ökotopia: Wir müssen gemeinsam diesen Planeten retten".
Wer dieser großen Idee misstraut, steht im politischen Raum ziemlich allein da. Alternativen gibt es ja nicht.
Dass diese Entwicklung für das Land brandgefährlich ist, das sehe ich genau wie Sie, werter Zettel. Die wahre deutsche Ausstiegswelle geht aber Richtung Privatleben, raus aus der Politik. "Abschalten" ist der kollektive Fluchtreflex. "Ich bin dann mal weg" ist nicht von ungefähr einer der erfolgreichsten Buchtitel der vergangenen Jahre.
Zitat von tobiwan2kUnd immer wieder diese Vergleiche mit dem 3. Reich. Haben Sie so wenig Vertrauen in die deutsche Demokratie, dass Sie glauben der Atomausstieg beschert uns den GröFAZ Trittin und die Nationalistischen Einheitsgrünen? Herrschte nich eine ähnliche Aufbruchsstimmung damals für die neue Technologie der Kernkraftwerke, wie heute für erneuerbare Energien?
Ich weiß nicht, wo Sie einen "Vergleich mit dem 3. Reich" sehen wollen. Ich habe jedenfalls keinen angestellt.
Zitat von JunoIch sehe nur einen Rausch des Oben-auf-Seins im erweiterten grünen Lager, zu dem halt auch Medien wie die zitierte SZ gehören. Dort herrscht nun das überwältigend gute Gefühl, immer Recht gehabt und jetzt endlich Recht bekommen zu haben.
Sehr richtig. Die Medien haben im letzten Jahr ein beispielloses Propaganda-Erfolgsstück abgeliefert (nur die Sarrazin-Debatte ist ihnen mißglückt). Sie haben die ungeliebte neue Regierung und insbesondere deren gelbe Komponente sturmreif geschossen, mit Fukushima ein Thema dominierend aufgeblasen und Wahlerfolge erreicht, von denen sie vorher nur träumen konnten. Ein unglaublicher Durchmarsch.
Zitat Auf der anderen Seite gibt es sehr viele, die den Turboausstieg und den deutschen Sonderweg durchaus mit Skepsis und bangen Gefühlen verfolgen. Diesem Teil der Bevölkerung - der vielleicht sogar eine Mehrheit ausmacht - ist aber die Stimme abhanden gekommen. Denn Union und FDP, die traditionellen Wortführer einer nicht-grünen Position, sind intellektuell und moralisch einfach implodiert.
Das ist das Problem. Wen soll denn ein Atomkraftbefürworter überhaupt noch wählen?
Zitat Die Debatte über den Ausstieg findet nicht statt, weil die organisierten Kräfte des "bürgerlichen Lagers" in Panik alle Positionen verlassen haben. Es gibt dort jetzt nur noch versprengte und demoralisierte Einzelkämpfer, die sich erst einmal neu organisieren müssen.
Und das wird dauern. In der FDP sind vorsichtige Ansätze dazu sichtbar - aber noch lange nicht mehrheitsfähig. Während die FDP insgesamt im Abseits steht. In der Union dagegen sind nicht einmal Ansätze erkennbar. Merkel hat das bürgerliche Lager nachhaltig ruiniert, ihm jegliche inhaltlich Orientierung genommen. Es sieht so aus, als würde die Gesamtbilanz ihrer politischen Arbeit noch deutlich schlechter werden als die von Schröder.
Zitat von tobiwan2kUnd immer wieder diese Vergleiche mit dem 3. Reich. Haben Sie so wenig Vertrauen in die deutsche Demokratie, dass Sie glauben der Atomausstieg beschert uns den GröFAZ Trittin und die Nationalistischen Einheitsgrünen?
Nein, lieber tobiwan2k, das glaube ich nicht und habe ich ja auch nicht geschrieben. Geschrieben habe ich über kollektive Besoffenheite, über eine Mischung aus Angst, Überheblichkeit und Unvernunft.
Zitat von tobiwan2kHerrschte nich eine ähnliche Aufbruchsstimmung damals für die neue Technologie der Kernkraftwerke, wie heute für erneuerbare Energien?
Sie meinen mit "damals" die Zeit, als die ersten KKWs gebaut wurden? Das war in den 60er Jahren. Man fand das damals gut; es ist ja billige und saubere Energie. Ein politisches Thema war es nicht.
Vielleicht lesen Sie einmal meine Serie "Die Deutschen und das Atom". Die politische Diskussion kreiste damals um die Atombomben; von denen ja in der Tat die wirklichen Gefahren ausgehen. Nicht um die friedliche Nutzung der Atomenergie. Diese wurde unter "technischer Fortschritt" rubriziert und war so wenig Gegenstand einer Aufbruchstimmung wie, sagen wir, die Entwicklung des transatlantischen Luftverkehrs.
Technologien, die so etwas wie Aufbruchstimmung mit sich brachten, waren zum einen die Weltraumfahrt mit dem Höhepunkt der Mondlandung im Juli 1969 und die Einführung des Farbfernsehens in Deutschland im Jahr 1967.
Ist es nicht bizarr? Es besteht die konkrete Gefahr, daß die Atommacht Pakistan in die Hände von Dschihadisten fällt. Es ist wahrscheinlich, daß der aggressive Staat Iran, der den jüdischen Staat Israel beseitigen will, demnächst eine Atommacht sein wird. Aber das ängstigt in Deutschland kaum jemanden.
Daß Menschen in großer Zahl durch Atomwaffen ums Leben kommen, ist weitaus wahrscheinlicher, als daß das durch einen Störfall in einem AKW geschieht. (In Fukushima ist bekanntlich kein einziger Mensch durch den Störfall ums Leben gekommen). Aber die Deutschen starren wie gebannt auf die imaginäre Gefahr der Atomenergie.
Finden Sie nicht auch, daß bei einem Volk etwas nicht stimmt, das sich derart irrational verhält?
Herzlich, Zettel
Nachtrag: Eben sehe ich, daß notquite meint, Sie hätten sich auf ihn bezogen. Ich dachte, Sie hätten sich auf meinen Artikel bezogen.
Vielleicht, wer weiß. Vielleicht haben Sie sich auch auf einen Dritten bezogen.
Offenbar rede ich gegen Wände, wenn ich darum bitte, bei einem Beitrag anzugeben, auf wen und was man antwortet. Oder wie der Hesse sagt: Es, ist, als ob man einen Ochs ins Horn petzt.
Zitat von notquiteVielleicht bin ich da naiv, aber ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Deutschen wirklich einen Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie wollen, wenn er mit massivsten Wohlstandsverlusten verbunden sein sollte. Genau dieser Punkt wird aber in entsprechenden Umfragen vollkommen ausgespart. Es wird - polemisch gesprochen - eben - meiner Meinung nach bewusst - nicht gefragt: "Wollt Ihr den totalen Atomausstieg? Wollt Ihr ihn auch dann, wenn er euch härteste Opfer abverlangen wird?", sondern nur: "Öko findet Ihr doch gut, oder? Sind doch alle dafür, sagen wir euch doch jeden Tag!" Die Ergebnisse dieser Pseudowissenschaft werden dann jedem Bundesbürger in den öffentlichen Kanälen eingehämmert, bis auch der letzte kippt, obwohl er in der Sache anderer Meinung ist.
Ganz so krass sehe ich es nicht, lieber notquite, aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Durch die Formulierung der Frage kann man die Ergebnisse von Umfragen massiv beeinflussen. Ich habe das einmal (ich glaube, sogar mehrfach) in ZR thematisiert und auch durch Beispiele erläutert; habe aber jetzt nicht die Zeit, die Artikel herauszusuchen.
Man muß sich aber im Klaren darüber sein, daß nahezu jede Forumulierung in dieser Gefahr ist. Die Formulierung, die Sie vorschlagen - "Wollt Ihr den totalen Atomausstieg? Wollt Ihr ihn auch dann, wenn er euch härteste Opfer abverlangen wird?" - wäre natürlich auch tendenziös; mehr als die der FG Wahlen.
Man kann diesem Problem nur dadurch beikommen, daß man die Fragen unterschiedlich formuliert und die Ergebnisse vergleicht. In den USA, wo es Dutzende von Instituten gibt und auch zB Unis Umfragen veranstalten, macht man das, wenn die Daten aggregiert werden. In Deutschland geht es kaum, wegen der geringen Zahl der seriösen Institute.
geehrter zettel, hatten wir nicht mal einen disput über die beeinflussbarkeit von umfragen und studien?ich halte diese auftragsarbeiten immer noch für(größtenteils)sehr windig. gruß patzer
Zitat von patzerhatten wir nicht mal einen disput über die beeinflussbarkeit von umfragen und studien?ich halte diese auftragsarbeiten immer noch für(größtenteils)sehr windig.
Sie sind mit den methodischen Problemen behaftet, die DrNick und notquite genannt haben. Aber das liegt in der Natur der Demoskopie.
Wie ich schon oft geschrieben habe: Das Gegenmittel ist das Aggregieren von Daten. Wie überall werden Messungen umso genauer, je mehr Daten in das Gesamtergebnis einfließen. Der Stichprobenfehler wird dann geringer; und zweitens heben sich systematische Fehler in der Regel gegenseitig auf.
Ich habe in ZR aufgrund der Analyse demoskopischer Daten das Wahlergebnis für Sarkozy 2007 und dasjenige für Obama 2008 numerisch sehr genau vorhergesagt.
Auch in dem Fall, den wir jetzt diskutieren, ist die einzige Abhilfe, verschiedene Umfragen zusammenzufassen. Also auch solche, die den Nicht-Ausstieg als Alternative vorgeben; auch solche, in denen auf die Kosten eines Ausstiegs hingewiesen wird. Erst das alles zusammengenommen ergibt ein brauchbares Bild. Nur krieg man so viele Umfragen eben in Deutschland in der Regel selten.
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