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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 59 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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DrNick Offline




Beiträge: 809

13.06.2011 17:09
#51 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von Zettel
Der kategorische Imperativ ist eben ein formales und kein materielles (in der Terminologie der Juristen) Prinzip. Hegel rennt eine Tür ein, die Kant sperrangelweit aufgesperrt hat.

[...]

Kants Ethik ist die angemessene Ethik für eine freie Gesellschaft, in der jeder den kategorischen Imperativ in seiner eigenen Verantwortung mit Inhalt füllen muß. Eine herrschende materielle Wertethik, die - weil sie eben herrschend ist - keine anderen Werte gelten läßt, ist mit einer offenen, freien Gesellschaft nicht vereinbar.



Das ist eine Lesart, lieber Zettel, die mir grundsätzlich sympathisch ist, und von einer "Wertethik" i.e.S. halte ich auch nicht viel. Mein Rekurs auf Hegel sollte auch nur auf den Punkt hinweisen, daß Kants Ethik, sobald man versucht, mit ihr praktische Probleme zu lösen, nicht voraussetzungslos ist. Um in der Depositum-Problematik zu einer Antwort zu kommen, muß ich etwa unterstellen, daß Eigentum etwas "Wertvolles" ist.

Das muß natürlich nicht unbedingt ein echter Mangel des Ansatzes sein. Man kann umgekehrt die Stärke der Ethik Kants gerade darin sehen, daß sie gerade nicht auf jede Frage der "Soll dies der Fall sein?" mit "Ja!" oder "Nein!" antworten muß, sondern daß viele Fragen durch eine solche "formalistische" Ethik gerade nicht vorentschieden werden. Das wäre dann der liberale Zug in Kants praktischer Philosophie.

Ein Problem, was mir Ihre Lesart aber aufzuwerfen scheint, könnte man als impliziten Kulturrelativismus bezeichnen: Meine Pflicht, das Depositum zurückzugeben verdankt sich ja nur dem Umstand, daß ich zufälligerweise in einer Gesellschaft lebe, in der es die Institution des Eigentums gibt.

Warum sollte man aber die Frage, ob es sinnvoll ist, in einer Gesellschaft die Institution des Eigentums zu haben, nicht rational beantworten können? Kants Ethik sagt mir zu dieser Frage nichts, aber man könnte ja z.B. auf postive Konsequenzen dieser Institution hinzuweisen, darauf etwa, daß eine Gesellschaft, in der es Eigentum gibt, einen höheren Wohlstand aufweist. Eine solche konsequentialistische Bewertung funktioniert aber nur dann, wenn ich unabhängig von formalen Verfahren bestimmte "Werte" als gültig ausweisen kann. Das müssen keineswegs die Werte einer materialen Wertethik oder so etwas wie die "Heiligkeit des Lebens" sein. Man könnte ja auch an utilitaristische Werte wie "Glück" oder "Abwesenheit von Leid" denken.

Kurz: Gerade wenn man Kant konsequentialistisch deutet, sollte man darauf hinweisen, daß ein Konsequentialismus ohne "Werte" nicht funktionieren kann.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.06.2011 22:32
#52 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von DrNick
Man kann umgekehrt die Stärke der Ethik Kants gerade darin sehen, daß sie gerade nicht auf jede Frage der "Soll dies der Fall sein?" mit "Ja!" oder "Nein!" antworten muß, sondern daß viele Fragen durch eine solche "formalistische" Ethik gerade nicht vorentschieden werden. Das wäre dann der liberale Zug in Kants praktischer Philosophie.

Ja, so verstehe ich Kant.

Meine sehr große Wertschätzung für Kant speist sich allerdings überhaupt nicht aus seiner Ethik, sondern aus der Transzendentalphilosophie. In der Erkenntnistheorie hat er aus meiner Sicht einen Stand erreicht, der sofort in der nächsten Generation des "Deutschen Idealismus" wieder verlorenging und den auch die Analytische Philosophie nicht wieder durchgängig erreicht hat.

Vor und nach Kant fragt die Erkenntnistheorie, wie man denn zu sicherer Erkenntnis gelangt; das waren mal die idées innées und mal alternativ die sensory impressions; heute steht die Methodik im Mittelpunkt.

Kant hat aber zu klären versucht, was denn "sichere Erkenntnis" überhaupt bedeuten kann. Er hat verstanden, daß jede Messung ebenso vom Messenden und seinem Meßinstrument wie vom Gemessenen abhängt. Er ist der Philosoph der Kopenhagener Interpretation. - Naja, das nur nebenbei (für Gorgasal ).

Zitat von DrNick
Ein Problem, was mir Ihre Lesart aber aufzuwerfen scheint, könnte man als impliziten Kulturrelativismus bezeichnen: Meine Pflicht, das Depositum zurückzugeben verdankt sich ja nur dem Umstand, daß ich zufälligerweise in einer Gesellschaft lebe, in der es die Institution des Eigentums gibt.

Ja schon. Und es steht mir ja frei, eine andere Gesellschaft zu wollen. Dann werde ich den kategorischen Imperativ mit anderen Inhalten füllen.

Zitat von DrNick
Warum sollte man aber die Frage, ob es sinnvoll ist, in einer Gesellschaft die Institution des Eigentums zu haben, nicht rational beantworten können? Kants Ethik sagt mir zu dieser Frage nichts, aber man könnte ja z.B. auf postive Konsequenzen dieser Institution hinzuweisen, darauf etwa, daß eine Gesellschaft, in der es Eigentum gibt, einen höheren Wohlstand aufweist.

Gewiß. Aber das hat wenig mit Ethik zu tun. Man kann auch behaupten, daß in einer Gesellschaft ohne Eigentum alle glücklicher sind, weil es keinen Neid gibt; oder daß alle am allerglücklichsten in einer Gesellschaft sind, die nach der Scharia organisiert ist, weil dann alle dem Willen Allahs gehorchen.

Das sind aus meiner Sicht - in meiner Interpretation Kants - alles Fragen unterhalb der Ebene des kategorischen Imperativs. Dieser erklärt, was überhaupt Sollen ist; nicht, was wir unter jeweils gegebenen Umständen sollen.

Zitat von DrNick
Eine solche konsequentialistische Bewertung funktioniert aber nur dann, wenn ich unabhängig von formalen Verfahren bestimmte "Werte" als gültig ausweisen kann. Das müssen keineswegs die Werte einer materialen Wertethik oder so etwas wie die "Heiligkeit des Lebens" sein. Man könnte ja auch an utilitaristische Werte wie "Glück" oder "Abwesenheit von Leid" denken.

Kurz: Gerade wenn man Kant konsequentialistisch deutet, sollte man darauf hinweisen, daß ein Konsequentialismus ohne "Werte" nicht funktionieren kann.

So wenig wie ein Taschenrechner, wenn ich keine Werte eingebe und keine Operationen bestimme. Was der eine oder der andere eingibt, das hängt von ihm ab und dem, was er berechnen will. Alle brauchen aber einen funktionierenden Taschenrechner.

"Heiligkeit des Lebens" und "Abwesenheit von Leid" sind eben konkurrierende Werte; ganz konkret konkurrierend, wenn es um PID geht. Ich glaube nicht, daß uns der kategorische Imperativ da weiterhilft; und ich glaube nicht, daß Kant das glaubte.

Da ist Ende der Fahnenstange. Die Frage ist nur, ob derjenige, der die Macht hat, dem anderen erlaubt, sich gemäß von dessen eigenen Werten zu entscheiden, oder ob er versucht, diesem die Werte des Mächtigen selbst aufzuzwingen.

Man kann das verschieden beantworten, und dann geht es in der Tat um Kulturrelativismus. Aber ich glaube nicht, lieber DrNick, daß das viel mit dem kategorischen Imperativ zu tun hat.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

15.06.2011 01:00
#53 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von Gorgasal

Zitat von Zettel
Was warum als Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung dienen kann, das kann ja überhaupt nicht Gegenstand einer formalen Analyse dessen sein, was sittlich ist. Die Maxime (bei Kant das subjektive Prinzip des Wollens) sagt mir nur, welches Kriterium ich anlegen soll - diese Maxime meines Wollens muß sich zugleich eignen, Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung zu sein.


Und leider verstehe ich noch immer nicht, warum ich Kant zufolge gerade dieses Kriterium anlegen soll... Warum soll mich die Verallgemeinerbarkeit interessieren? Warum ist "wenn das alle täten..." ein Argument?


Weil Kant gar nichts anderes leisten will, als das zu analysieren, was nun einmal gegeben ist.

Das ist das Ziel der Transzendentalphilosophie (Was kann ich wissen?), und das ist der Inhalt der Kant'schen Ethik (Was soll ich tun?). Kant denkt sich ja nicht etwas aus, er fordert nicht und dekretiert nicht.

Der kategorische Imperativ sagt nichts anderes, als daß das Sollen, das im Menschen offenkundig ebenso angelegt ist wie seine Anschauungsformen und die Kategorien des Verstands, dies beinhaltet: Tue nichts, von dem du nicht wollen könntest, daß es alle täten.

Zitat von Gorgasal
Wobei mir auffällt, dass Sie hier gerne "soll" und "muss" schreiben, das macht doch teilweise schon wieder einen recht moralischen Anschein...

Ja, es geht doch um Ethik; es geht um Deontologie.

Zitat von Gorgasal

Zitat von Zettel
Wer meint, Kant dafür kritisieren zu sollen, daß der kategorische Imperativ ein formales Prinzip ist, der sollte sich dann konsequenterweise zu einer materiellen Wertethik à la Scheler bekennen. Also auf Glauben gegründeten Ethik. Nur kann diese nicht das leisten, was Kant wollte, nämlich zu klären, was allgemein das Prinzip sittlichen Verhaltens ist.


Zuallererst fehlt mir ja genau die Argumentation, warum es überhaupt ein allgemeines solches Prinzip geben sollte und warum jeder einzelne sich dadurch gebunden fühlen müsste. Ja, eine auf Glauben gegründete Ethik kann das leisten. Aber ich verstehe noch nicht, was Kant an Stelle einer solchen Argumentation setzt.


Das Faktum. Es gibt nun einmal in uns allen dieses Sollen.

Kant wundert sich gebührend darüber, daß es das gibt. Die Evolutionsbiologie kann das vielleicht heute beantworten. Freud hat eine Antwort zu geben versucht. Kant sucht keine Antwort, sondern er konstatiert das Faktum.

Zitat von Gorgasal

Zitat von Zettel
Die Art, wie gegenwärtig in Deutschland im Fall PID eine bestimmte Ethik zu alle Bürger bindenden Gesetzen gemacht wurde, ist ein warnendes Beispiel. Niemand würde es einem Katholiken verwehren, für sich PID abzulehnen. Aber in Deutschland darf auch derjenige sie nicht nutzen, der die befruchtete Eizelle nicht als schützenswert betrachtet.


Das ist nun doch eine sehr dünne Aussage. Darf ich das ein wenig umformulieren?

Zitat von Frei nach Zettel
Die Art, wie gegenwärtig in Deutschland im Fall der Vernichtung lebensunwerten Lebens eine bestimmte Ethik zu alle Bürger bindenden Gesetzen gemacht wurde, ist ein warnendes Beispiel. Niemand würde es einem Katholiken verwehren, für sich die Vernichtung lebensunwerten Lebens abzulehnen. Aber in Deutschland darf auch derjenige es nicht vernichten, der lebensunwertes Leben nicht als schützenswert betrachtet.


Sie sehen die befruchtete Eizelle als schützenswertes "menschliches Leben" an. Ich sehe sie als eine Körperzelle wie jede andere.

Ich möchte, daß Dasjenige geschützt wird, das leidensfähig ist. Peter Singer hat das mit jeder erforderlichen Klarheit dargelegt, und ich folge ihm vollständig. Sie haben eine andere Ethik, lieber Gorgasal.

Im demokratischen Rechtsstaat muß Platz sein für Ihre ebenso wie für meine Ethik. Ich darf Ihnen meine Ethik nicht per Gesetz aufzwingen; aber ich kann es auch nicht akzeptieren, daß Andersdenkende mir ihre Ethik per Gesetz aufzwingen.

In einem freiheitlichen Rechtstaat sollte festgelegt sein, daß jeder PID haben kann, der das will; daß aber kein Arzt und niemand aus dem medizinischen Personal gegen sein Gewissen daran beteiligt werden darf, PID auszuführen.

Zum Gesetz darf nur gemacht werden, was - idealerweise - der Konsens aller Bürger ist; faktisch wird man sich mit einer sehr großen Mehrheit begnügen müssen.

Leider verstehen viele "Demokratie" aber so, daß 51 Prozent 49 Prozent ihren Willen aufzwingen dürfen; und zwar auch dann, wenn es um Ethik geht. Das mag man demokratisch nennen; freiheitlich ist es nicht.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

15.06.2011 09:02
#54 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von Zettel
Ich möchte, daß Dasjenige geschützt wird, das leidensfähig ist. Peter Singer hat das mit jeder erforderlichen Klarheit dargelegt, und ich folge ihm vollständig. Sie haben eine andere Ethik, lieber Gorgasal.

Im demokratischen Rechtsstaat muß Platz sein für Ihre ebenso wie für meine Ethik. Ich darf Ihnen meine Ethik nicht per Gesetz aufzwingen; aber ich kann es auch nicht akzeptieren, daß Andersdenkende mir ihre Ethik per Gesetz aufzwingen.


Soweit ich mich entsinne, will Singer Menschenaffen die gleichen Rechte wie Menschen geben (aber meinen Kindern nicht, jedenfalls nicht im ersten Lebensjahr - ich will jetzt überhaupt nicht wissen, wie Sie das sehen). Damit würde er aber Menschenaffenbesitzern wie Zoos und Pharmaunternehmen seine Ethik aufzwingen. Folgen Sie ihm da nicht?

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

vielleichteinlinker ( gelöscht )
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15.06.2011 09:05
#55 RE: Ungültig wählen? Antworten

Frege hat diese Sprache weniger als Sprache vorgeschlagen. Denn schon mit dem Begriff "Sprache" bewegt er sich außerhalb des Rahmens der formalen Sprache der er ja nicht umsonst die Alltagstauglichkeit abspricht, die er aber als Intrument zur präzisen Beobachtung gutheißt.

Zitat
Man kann sich theoretisch eine Sprache vorstellen, die überhaupt keine vagen Ausdrücke enthält; verwenden würde ich eine solche Sprache aber nicht gerne. Wie würde man in die logisch perfekte Sprache die deutschen Sätze "Ich hätte gerne den roten Pullover" oder "Für mich nur wenig Kartoffelsalat" übersetzen?



Das ist in unserer Sprache wohl nicht auszudrücken, da alles in der fregeschen Sprache einen Namen haben müsste. Sie, der Pullover, das Rot, die Kollokation "roter Pullover", wie auch das "Hätte" und das "Gerne". Man bräuchte für alles in der Welt einen eigenen Namen. Da unsere Sprache aber auf Kategoriekonzepten beruht, wäre das zum Scheitern verurteilt. Von unserem Gehirn, dass sich noch nicht einmal merken kann, wann die Fußballschuhe nach draußen und der Müll nach vorne gehört ganz zu schweigen...

vielleichteinlinker ( gelöscht )
Beiträge:

15.06.2011 09:18
#56 RE: Ungültig wählen? Antworten

Zitat
Beim Problem des Wählens stellt sich das deshalb verschärft, weil ja die einzelne Stimme in der Regel wirklich den Effekt null hat. Nur wenn es ohne meine Stimme in diesem Wahlbezirk genau patt stünde, würde diese eine Rolle spielen.



Ich hänge das mal hier an, es gäbe auch andere Stellen.

Der Kern des Wählens, das habe ich bisher beim hoffentlich genauen Lesen der Debatte noch nicht gesehen, ist es ja nicht nur, dass man wählt. Er besteht auch darin, dass alle Stimmen das gleiche Gewicht haben.

Die Kritik am Wählen wie sie hier formuliert wird, würde auch für ein anderes Wahlrecht gelten. Etwa ein Klassenwahlrecht. Die Stimme eines Wählers der untersten Klasse wiegt hier wenig, die Stimme eines höherklassigen Wählers viel mehr. Warum sollte der unterklassige Wähler dann wählen.

Davon sind wie aber entfernt. Zum demokratischen Minimun gehört es, dass alle Stimmen das gleiche Gewicht haben und sie frei und geheim abgegeben werden können.

Damit lässt sich das Gewicht einer Stimme nicht mehr nur am Ergebnis der Wahl messen sondern auch mit dem Gewicht der anderen abwiegen. Will meinen: Meine Stimme hat nur geringen Einfluss auf das Ergebnis, im Vergleich zu Zettels Stimme etwa ist sie aber sehr gewichtig. Ich gleiche mit meiner Stimmabgabe also nur die "falsche" Stimmabgabe Zettels aus.

Vielleicht wird das mit einem Bild deutlicher. Stellen wir uns die Wahl als eine Waage vor. Zwei Seiten und welche Seite nach der Wahl mehr Gewicht trägt, die hat gewonnen. Wir Wähler bekommen kleine Kugeln (mit gezählten Atomen) die alle das exakt gleiche Gewicht haben. Nun bewegt eine Kugel die Waage nicht. Warum also meine Kugel auf die Waage legen? Weil ich mit meiner Kugel eine andere Kugel aufwiegen kann.

Mein Argument: Nicht das Gewicht der Stimme ist entscheidend für die Wahlentscheidung sonder das Gleich-Gewicht der einzelnen Stimmen zu einander.

DrNick Offline




Beiträge: 809

15.06.2011 10:25
#57 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von Zettel
Aber das hat wenig mit Ethik zu tun. Man kann auch behaupten, daß in einer Gesellschaft ohne Eigentum alle glücklicher sind, weil es keinen Neid gibt; oder daß alle am allerglücklichsten in einer Gesellschaft sind, die nach der Scharia organisiert ist, weil dann alle dem Willen Allahs gehorchen.



Das hat nur dann nichts mit Ethik zu tun, wenn man schon voraussetzt, daß uns der kategorische Imperativ (KI) Auskunft über alle sensu stricto ethischen Fragen gibt, und dies wollte ich, lieber Zettel, gerade bestreiten. Ob wir eine Gesellschaft nach den Grundsätzen der Scharia organisieren, scheint mir nicht nur eine Frage der jeweiligen individuellen Präferenzen zu sein, sondern ein moralisches Problem. Daß der KI nichts zu drakonischen Strafen für ein "Verbrechen" wie Ehebruch zu sagen hat, spricht gegen den KI als alleinige "Richtschnur" des moralischen Handelns.

Zitat von Zettel
"Heiligkeit des Lebens" und "Abwesenheit von Leid" sind eben konkurrierende Werte; ganz konkret konkurrierend, wenn es um PID geht. Ich glaube nicht, daß uns der kategorische Imperativ da weiterhilft; und ich glaube nicht, daß Kant das glaubte.



Daß uns der KI dabei weiterhilft, wollte ich auch nicht behaupten, im Gegenteil: Das Problem ist doch auch hier, daß wir es mit einem genuin moralischen Problem zu tun haben, das sich mit dem Instrument des KIs nicht bearbeiten läßt.

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

15.06.2011 14:01
#58 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Gorgasal

Zitat von Zettel
Wer meint, Kant dafür kritisieren zu sollen, daß der kategorische Imperativ ein formales Prinzip ist, der sollte sich dann konsequenterweise zu einer materiellen Wertethik à la Scheler bekennen. Also auf Glauben gegründeten Ethik. Nur kann diese nicht das leisten, was Kant wollte, nämlich zu klären, was allgemein das Prinzip sittlichen Verhaltens ist.


Zuallererst fehlt mir ja genau die Argumentation, warum es überhaupt ein allgemeines solches Prinzip geben sollte und warum jeder einzelne sich dadurch gebunden fühlen müsste. Ja, eine auf Glauben gegründete Ethik kann das leisten. Aber ich verstehe noch nicht, was Kant an Stelle einer solchen Argumentation setzt.


Das Faktum. Es gibt nun einmal in uns allen dieses Sollen.

Kant wundert sich gebührend darüber, daß es das gibt. Die Evolutionsbiologie kann das vielleicht heute beantworten. Freud hat eine Antwort zu geben versucht. Kant sucht keine Antwort, sondern er konstatiert das Faktum.



Dass es solch ein Sollen gibt, halte ich für gar nicht offensichtlich. Die schiere Idee, Ethik könnte sich nicht nur auf Freie, sondern auch auf Frauen oder Sklaven als Subjekte beziehen, ist eine Errungenschaft des Christentums, die mittlerweile schon als offensichtlicher Teil der menschlichen Natur wahrgenommen wird. Aber keiner beispielsweise der griechischen Philosophen kommt auch nur auf die Idee, dass er seine Ethik auch für Frauen mit entwickeln würde. Viel blumiger ausgedrückt:

Zitat von John C. Wright
The cosmic order of being, for the pagan, is hierarchical from root to twig. At the bottom is mere matter, lower forms of life as birds and fish, higher forms as dogs and horses, then slaves and eunuchs, outlaws and untouchables, peasants, laborers and tradesmen, and higher orders of warriors and kings, aristocrats, mandarins, royalty, lower and then higher orders of various divine beings whose whims influence and order nature. The idea that all men, from leper to the empress, barbarian to pharaoh, bear the image and likeness of God, and that the village idiot and the squire’s doxy all are endowed by their Creator with an innate worth and dignity, even the criminal on the gallows, is so alien to the pagan mind as to be beyond exaggeration.

The Spartan practice of throwing unwanted babies into the pit of Apothetae, or the African tribal practice of slaying at birth one of two twins as unlucky, was keeping in the temper of all races of pre-Christian mankind. The tears and misery of a mere slave or castrated eunuch might move a pagan to laughter or to condescending but large-hearted mercy, but it would not, and could not, move him to what we would recognize as sympathy and fellow feeling. Likewise, polygamy or concubinage is keeping in this temper: the universality of this custom is rarely mentioned, but it was practiced by Chinaman and Hindu, ancient Jew and modern Mohammedan, and by aboriginal peoples of all continents. Rarely do modern minds, sickened and delirious as they are with sexual fantasies, dwell on the grossly unromantic and misogynistic nature of the horrid institution of the harem or the hetaerae. It is natural for men to trample their inferiors and to kiss the trampling boot of their superiors. To regard all men as brothers and sisters, or to hold that a slave or a whore might be a saint is not natural, and forms no part of the pagan world view.

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Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

15.06.2011 14:19
#59 RE: Kant (speziell auch für Gorgasal) ;-) Antworten

Zitat von Gorgasal

Zitat von Zettel
Ich möchte, daß Dasjenige geschützt wird, das leidensfähig ist. Peter Singer hat das mit jeder erforderlichen Klarheit dargelegt, und ich folge ihm vollständig. Sie haben eine andere Ethik, lieber Gorgasal.


Soweit ich mich entsinne, will Singer Menschenaffen die gleichen Rechte wie Menschen geben (aber meinen Kindern nicht, jedenfalls nicht im ersten Lebensjahr - ich will jetzt überhaupt nicht wissen, wie Sie das sehen).



Ich korrigiere mich da: ich wüsste doch ganz gerne, wie Sie das sehen. Singer habe ich in meiner wilden Jugend gelesen, seine "Praktische Ethik" steht noch bei mir im Bücherregal - ich muss das aussortieren, bevor meine Kinder alt genug sind, um so etwas zu lesen.

Also: Singer führt, wenn ich mich recht entsinne, ein ziemlich kompliziertes Argument dafür an, warum man jemanden nicht schmerzlos töten darf: einerseits verursacht das Wissen, man könne getötet werden, Menschen Leid, und andererseits würde es den Freunden und Verwandten des Opfers Leid verursachen.

Das erste Argument greift nicht bei Kleinkindern. Meine Kinder sind zwei Jahre alt. Wäre das einzige, was Sie daran hindern würde, meine Kinder schmerzlos zu töten, dass es mir unangenehm wäre? Sollten Eltern tatsächlich, wie Singer vorschlägt, ihre Kinder bis zu dem Zeitpunkt umbringen dürfen, an dem die Kinder verstehen, was ihr eigener Tod bedeutet?

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Johanes Offline




Beiträge: 2.606

26.07.2011 12:55
#60 RE: Kant Antworten

Dann versuche ich an dieser Stelle auch in eine Diskussion über Kant einzusteigen, auch wenn der Ausstieg aus der Politik schon "Geschichte ist".

Nun, Herr Zettel, wie sehe Sie den Zusammenhang zwischen Kant (ich hoffe es ist klar, das ich mich hier auf die Erkenntnistheorie von ihn beziehe, die Sie nach eigenen Aussagen auch für interessanter halten) und der modernen Wissenschaft, insbesondere der Neurologie?

Ist es nicht so, dass diesem naturwissenschaftlichen Blickwinkel seine idealistische Position an plausibilität einbüßt? Raum und Zeit als reine Anschauungen beispielsweise?

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