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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 55 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.07.2011 02:10
Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Vielleicht werden wir demnächst Strom verbrauchen, der in von Gazprom in Deutschland mitbetriebenen Kraftwerken erzeugt wird, die Erdgas verfeuern, das von Gazprom aus der Erde geholt und über Gazprom-eigene Pipelines zu uns gebracht wurde.

Eine komplette Gazprom-Energiekette also. Es wird Zeit für eine öffentliche Debatte zum deutsch-russischen Verhältnis, zur deutschen Außenpolitik überhaupt. Von der man ja den Eindruck hat, daß sie sich seit der Wiedervereinigung in humanitären Aktionen erschöpft.

Frank Offline




Beiträge: 187

06.07.2011 09:26
#2 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Rapallo 2.0

Russland ist mit ca. 32% auch schon der größte Öllieferant Deutschlands.

Russland wird auch noch direkt Atomstrom liefern.

http://af.reuters.com/article/energyOilN...lBrandChannel=0

Außenpolitik findet leider bei uns nicht statt. In der Union ist der "antiislamophobe" R. Polenz Oberaußenpolitiker.

In der Sicherheitsakademie der Bundeswehr dominieren "Israelkritiker"
http://www.baks.bund.de/DE/Veranstaltung...ahost_node.html

Wir verkaufen lieber den Saudis 200 Leopardpanzer, nachdem die Griechen mit 1200 Leopard Europas größte Panzerarmee geworden sind (Cicero 6/2011).

Rapallo 1.0 funktionierte, weil Deutschland unter Rathenau klare Vorstellungen hatte:
Druck auf den Westen, Übungsmöglichkeiten für die Reichswehr, Druck auf die KPD über den Umweg Moskau, Druck auf das verfeindete Polen.

Rapallo 2.0 ist nur noch hektisches "Wir brauchen Energie", das befreundete Ostmitteleuropa ist uns egal.

Sit intra te concordia et publica felicitas

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2011 12:23
#3 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Vielleicht sollte man sich mal Zeit nehmen und versuchen, die gesamte Situation ausschließlich aus der polnischen Perspektive zu betrachten. Alles begann mit der erfolgreichen Zerschlagung des Yukos Konzerns und der Ersteigerung der wichtigsten Tochter, Juganskneftegas, durch den Rosneft-Strohmann Baikalfinanzgruppe. Vom Anwalt des Mehrheitsaktionärs von Yukos wurde Gerhard Schröder damals als Mafioso bezeichnet, da er im Interesse deutscher Konzerne den Rechtsbruch toleriert hatte. Dann wurde die Pipline durch die Ostsee, an Polen vorbei und unter Beteiligung deutscher Konzerne gebaut. Mindestens ein hochrangiger, ehemaliger Stasi-Offizier führt das Konsortium. Der Mutterkonzern von Lichtblick baut die Pipeline weiter Richtung Berlin. Schröder sitzt fest im Sattel des Konsortiums und Angela Merkel führt fort, was der Fan der gelenkten Demokratie vorbereitet hat. Den Bürgern Polens muss das wie ein Deja Vu vorkommen. M.E. übt Deutschland erheblichen Druck auf seine Partner in EU und NATO aus. Warum weiß ich nicht, aber es ergeben sich mehrere Theorien, die aber noch im Bereich der Spekulation, wenn nicht Verschwörungstheorie, liegen. Globale Energiepolitik ist sicher nichts für Weicheier, aber diese isolationistische und spalterische Außenpolitik gibt der Skepzis hinsichtlich der deutschen Wiedervereinigung, z.B. von Margarete Thatcher, recht. Das Deutschland je seine Westbindung unter einer schwarz/gelben Regierung in Frage stellt, lag bisher ausserhalb meiner Vorstellung.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.07.2011 13:47
#4 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Lieber Erling Plaethe,

Zitat von Erling Plaethe
Vielleicht sollte man sich mal Zeit nehmen und versuchen, die gesamte Situation ausschließlich aus der polnischen Perspektive zu betrachten.

Und aus derjenigen der baltischen Staaten, der Ukraine, Georgiens, Ungarns, der Slowakei, Tschechiens, Rumäniens, Bulgariens ...

Alle diese Staaten haben sich vorbehaltlos nach Westen orientiert, weil sie als ehemalige Sowjetrepubliken oder Satellitenstaaten ja wissen, was es bedeutet, sich nach Osten zu orientieren. Jetzt sehen sie, wie die Vormacht des westlichen Europa sich ihrerseits nach Osten zu orientieren beginnt.

Zitat von Erling Plaethe
Den Bürgern Polens muss das wie ein Deja Vu vorkommen. M.E. übt Deutschland erheblichen Druck auf seine Partner in EU und NATO aus. Warum weiß ich nicht, aber es ergeben sich mehrere Theorien, die aber noch im Bereich der Spekulation, wenn nicht Verschwörungstheorie, liegen. Globale Energiepolitik ist sicher nichts für Weicheier, aber diese isolationistische und spalterische Außenpolitik gibt der Skepzis hinsichtlich der deutschen Wiedervereinigung, z.B. von Margarete Thatcher, recht.

Es ist im Grunde wie zur Zeit des Warschauer Pakts: Rußland liefert die Rohstoffe, und es bekommt dafür hochwertige Güter. Nur daß die terms of trade etwas gerechter sind als damals, weil die Rote Armee heute hinter den Grenzen steht (sieht man von Georgien ab).

Deutschland hätte sich durch Ausbau der Atomnenergie von Rußland unabhängig machen können. Man tut das Gegenteil. An eine Verschwörung glaube ich nicht, sondern bekanntlich an die Wiederkehr deutscher kollektiver Besoffenheit. Wie auch immer - Rußland braucht die Lieferungen aus Deutschland nicht unbedingt; wir werden aber schon bald ohne die Lieferungen aus Rußland gar nicht mehr lebensfähig sein. Zugleich verkleinern wir die Bundeswehr, während Rußland die Rote Armee aufrüstet. Zugleich ziehen sich die USA aus Europa zurück.

Deutschland wird schon bald Rußland doppelt ausgeliefert sein: wirtschaftlich und militärisch. Die Weichen sind längst gestellt; das Weichenstellen begann 1998 mit dem Amtsantritt Schröders.

Zitat von Erling Plaethe
Das Deutschland je seine Westbindung unter einer schwarz/gelben Regierung in Frage stellt, lag bisher ausserhalb meiner Vorstellung.

Es begann, wie gesagt, schon viel früher. Im Vorfeld des Irakkriegs 2002/2003 hat Schröder bereits mit Rußland zusammengearbeitet.

Bush hat Deutschland das Angebot eines partnership in leadership gemacht. Vielleicht wäre das die letzte Möglichkeit gewesen, das Ruder noch herumzureißen. Jetzt sehe ich keine mehr.

Herzlich, Zettel

Hagen Offline



Beiträge: 21

06.07.2011 14:09
#5 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Das ist vielleicht eine etwas arg drastische Untergangsprophezeiung. Solche vordergründigen Abhängigkeiten beruhen ja häufig auf Gegenseitigkeit. Russland kann kaum die Gaszufuhr einschränken ohne selbst in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen. Es ist sicherlich ein Machtmittel, aber Deutschland jemals als Vasall Gazproms zu sehen halte ich für unrealistisch.

Eine ganz andere Frage stell ich mir (vielleicht weil ich noch jung bin und den Ost-West Konflikt nur aus Geschichtsbüchern kenne): Warum sollte man nicht über das ganze territoriale Ost-West-Denken drüber wegkommen? Ist das nicht inzwischen veraltet? Bzw. Ist es immer noch richtig Russland als etwas "Böses" darzustellen? Sollte man nicht mittlerweile globaler denken, nach dem Motto wir brauchen Gas und Russland und andere Staaten besitzen es (unabhängig von der Austrittsschnapsidee)?

edit: Rechtschreibfehler korrigiert.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.07.2011 14:17
#6 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Zitat von Hagen
Russland kann kaum die Gaszufuhr einschränken ohne selbst in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen.


Das ist aber nicht ganz symmetrisch. Denn einige Monate ohne Rohstoffeinnahmen kann ein Land wie Rußland besser verkraften als Deutschland einen Winter ohne Gas.

Zitat
Bzw. Ist es immer noch richtig Russland als etwas "Böses" darzustellen?


Es geht da weniger um Rußland an sich, als um das konkrete Putin-Regime. Und das muß man als das "Böse" sehen - aber auf jeden Fall verfolgt es ziemlich rücksichtslos seine Interessen. Und diese Interessen sind eben nicht die unseren.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.07.2011 14:32
#7 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Zitat von Hagen
Das ist vielleicht eine etwas arg drastische Untergangsprophezeiung.

Worauf und auf wen beziehen Sie sich, lieber Hagen?

Falls Sie - was ich nicht weiß - meinen letzten Beitrag meinen: Ich sehe überhaupt keinen Untergang kommen. Mir scheint nur, daß Europa einer Zeit der Instabilität und der neuen Allianzen entgegengeht. Dabei wird sich Deutschland nach dem Beschluß zum "Ausstieg" aus der Abhängigkeit von Rußland kaum noch lösen können. Wo soll denn die Energie sonst herkommen?

Zitat von Hagen
Solche vordergründigen Abhängigkeiten beruhen ja häufig auf Gegenseitigkeit. Russland kann kaum die Gaszufuhr einschränken ohne selbst in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen. Es ist sicherlich ein Machtmittel, aber Deutschland jemals als Vasall Gazproms zu sehen halte ich für unrealistisch.

Wie gesagt, ich weiß ja nicht, wem Sie worauf antworten. Daß Deutschland der Vasall Rußlands werden könnte, halte ich angesichts der deutschen Wirtschaftskraft auf absehbare Zeit für ausgeschlossen. Wohl aber der schwächere Verbündete. Vor allem auch wegen des krassen Unterschieds in der militärischen Macht. Wenn Deutschland sich aus der Westbindung lösen will, dann wäre die zwingende Voraussetzung eine massive deutsche Aufrüstung. Daran aber denkt in Deutschland niemand.

Die Abhängigkeit wird leider auch wirtschaftlich nicht gegenseitig sein. Ich habe das ja schon geschrieben: Deutschland wird auf die Gas- und auch Öllieferungen aus Rußland angewiesen sein. Rußland wäre bei einem Stop deutscher Lieferungen zwar beeinträchtigt, aber es könnte damit leben. Das ist die machtpolitisch entscheidende Asymmetrie.

Lassen Sie es mich an einem Beispiel erläutern: Von zwei Schiffbrüchigen auf der bekannten einsamen Insel hat der eine die Lebensmittel gerettet und der andere die Schiffsbibliothek. Beide wollen lesen, und beide wollen essen. Trotzdem ist die gegenseitige Abhängigkeit ziemlich asymmetrisch.

Zitat von Hagen
Eine ganz andere Frage stell ich mir (vielleicht weil ich noch jung bin und den Ost-West Konflikt nur aus Geschichtsbüchern kenne): Warum sollte man nicht über das ganze territoriale Ost-West-Denken drüber wegkommen? Ist das nicht inzwischen veraltet? Bzw. Ist es immer noch richtig Russland als etwas "Böses" darzustellen? Sollte man nicht mittlerweile globaler denken, nach dem Motto wir brauchen Gas und Russland und andere Staaten besitzen es (unabhängig von der Austrittsschnapsidee)?

Rußland ist nicht böse. Es ist nur eine ziemlich große Macht, die seit 1989 ungefähr in der Lage ist, in der Deutschland sich nach dem Versailler Diktat fühlte: Darauf sinnend, wie man angetanes Unrecht wieder beseitigen und einstige Größe zurückgewinnen kann. Ich habe das Referat eines der maßgeblichen Vordenker des Kreml, des Professors und ehemaligen hohen Diplomaten Igor Maximytschew, ja in der Georgien-Serie ausführlich besprochen.

Rußland ist zweitens keine Demokratie, sondern eine gemäßigte Diktatur. Gerade erst hat Putin die "Volksfront" gegründet, in der parteiübergreifend alle Bürger zusammengeschlossen werden sollen.

Es wird dazu demnächst in ZR eine längere Analyse von Stratfor geben.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.07.2011 14:34
#8 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Hagen
Russland kann kaum die Gaszufuhr einschränken ohne selbst in finanzielle Schwierigkeiten zu kommen.


Das ist aber nicht ganz symmetrisch. Denn einige Monate ohne Rohstoffeinnahmen kann ein Land wie Rußland besser verkraften als Deutschland einen Winter ohne Gas.

Zitat
Bzw. Ist es immer noch richtig Russland als etwas "Böses" darzustellen?


Es geht da weniger um Rußland an sich, als um das konkrete Putin-Regime. Und das muß man als das "Böse" sehen - aber auf jeden Fall verfolgt es ziemlich rücksichtslos seine Interessen. Und diese Interessen sind eben nicht die unseren.


(da haben wir mal wieder parallel fast Dasselbe geschrieben. Nur ich umständlicher )

Hagen Offline



Beiträge: 21

06.07.2011 15:23
#9 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Ich bezog mich auf Ihren Beitrag, Zettel. Leider konnte ich nicht quotieren, da aus irgendwelchen Gründen copy/paste bei mir gerade nicht funktionieren will (zum Abschreiben des Textes, war ich zu faul :)).
Hier antworte ich auf Ihre bzw. auch R.A.s Antwort.

Um auf die Asymmetrie zurückzukommen. Keine Frage, die existiert, aber Deutschland kann auch aus anderen Ländern, wie EU-Staaten, Gas bzw. direkt Strom beziehen, sollte Russland seine Machtkarte ausspielen. Im Gegenzug würde Russland für sehr lange Zeit Deutschland als Kunden verlieren, was aufgrund der ohnehin schon maroden Wirtschaft doch ein erheblicher Verlust der russischen Einkünfte wäre. Der Gas/Stromeinkaufspreis wäre selbstverständlich höher; also würden beide verlieren.
Deutschland halte ich wirtschaftlich mächtig genug, als dass es unter eine russischen Annäherung leiden würde, wie Sie ja auch bereits sagten.
Wie die militärische Dominanz sich auf Deutschland auswirkt, kann ich schwer beurteilen. In wie weit ist militärische Macht noch entscheidend in der heutigen Welt? Regiert nicht letztlich das Geld, weswegen Kriege, gerade in einer solchen Dimension, undurchführbar sind? Vielleicht ist das jedoch auch zu idealistisch gedacht.

Ich interpretierte die militärische und wirtschaftliche Abhängigkeit in Ihren Augen als Untergang. Da habe ich mich wohl vertan.

Auf die ausführlich Analyse freue mich bereits. Ich finde die Thematik höchst interessant und in den deutschen Medien erfährt man davon viel zu wenig.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

06.07.2011 15:58
#10 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Zitat von Hagen
aber Deutschland kann auch aus anderen Ländern, wie EU-Staaten, Gas bzw. direkt Strom beziehen, sollte Russland seine Machtkarte ausspielen.


Die Produktion dieser anderen Länder ist ziemlich komplett für andere Abnehmer verplant. Einige Prozent Lieferausfall könnte man natürlich irgendwie kompensieren - aber der angestrebte russische Anteil an der deutschen Energieversorgung wäre so groß, das könnten andere Lieferanten m. E. nicht kurzfristig ersetzen.

Zitat
Wie die militärische Dominanz sich auf Deutschland auswirkt, kann ich schwer beurteilen. In wie weit ist militärische Macht noch entscheidend in der heutigen Welt?


Das ist tatsächlich schwer zu beurteilen. Im derzeit friedlichen Mitteleuropa scheint militärische Macht tatsächlich weniger wichtig zu sein. Derzeit eben.

Die Georgier sehen das anders. Da besetzen die russischen Truppen einen Teil des Landes und Georgien muß das ohnmächtig hinnehmen. Und die Balten wissen, daß ihnen das durchaus auch passieren kann. Und wer würde ihnen dann helfen? Deutschland bestimmt nicht.

Militärische Macht wirkt oft nicht direkt. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß russichen Truppen in Mecklenburg anlanden und deutsches Gebiet annektieren würden.
Aber indirekt kann sie sehr stark wirken.
Wenn die Balten, oder Polen, oder Skandinavier, oder die Balkanstaaten Angst vor der russischen Militärmacht haben. Und kein Gegengewicht in Sicht ist, weil Obama sich auf die USA zurückzieht und Deutschland weder willens noch fähig ist, Rußland gegenüber zu treten - das hätte schon Konsequenzen.

C.K. Offline



Beiträge: 149

06.07.2011 16:17
#11 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Lieber Zettel,

ich finde es sehr wichtig, dass Sie auf die sicherheitspolitischen Implikationen der "Energiewende" hinweisen, das Thema ist unterbelichtet.

Aber die FTD ist immerhin am Thema dran:
http://www.ftd.de/unternehmen/industrie/...n/60067346.html

Wenn auch nicht so anhaltend wie Sie.

Mit freundlichen Grüßen

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2011 18:57
#12 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

sorry, vertippt

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2011 19:02
#13 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Das Verhältnis zwischen Staaten bezüglich der Bedeutung von militärischer Macht, ist innerhalb von militärischen Blöcken ein anderes, als ausserhalb. Und es ist ganz und gar unähnlich zu den Beziehungen von Bürgern untereinander in einem demokratischen Staat. Es ähnelt eher dem wilden Westen, als zwar Gerichte aber noch keine Staaten existierten.
Grundsätzlich rennt eben jeder mit einer Knarre rum und wer die meisten Kugeln hat und am besten schiessen kann, riskiert die grösste Lippe. Wenn wirklich mal einer nicht nur den Saloon sondern eine ganze Stadt plattmacht, kann er vor Gericht kommen aber weil er dort nicht freiwillig erscheint, müssen Kopfgeldjäger ihn zur Strecke bringen. Und die kämpfen allein, wenn sie meinen genug Kugeln und die beste Schusstechnik zu haben oder sie schliessen sich zusammen. Von Vorteil ist es auch, wenn die Bürger einer Stadt ihre Verteidigung selbst in die Hand nehmen und ausserdem sich Mutige finden, die Sheriff oder Kopfgeldjäger werden, das spart Schutzgeld und man kann in Ruhe handeln. Wenn also mehrere Kopfgeldjäger aus unterschiedlichen Städten öfter mal Leute mit grosser Lippe und wenig Respekt vor dem Eigentum anderer, jagen und zur Strecke oder vor Gericht bringen, stärkt das den Zusammenhalt und man schliesst ein Bündnis. Und dieses ist so gut wie sein unsicherster Kantonist. Wenn der ausscheidet, steht weniger Geld für Kugeln zur Verfügung und weniger Kopfgeldjäger für das Bündnis. Schliesst sich derjenige dann noch der gefährlichsten Räuberbande weit und breit an, hat die in der Nähe des Bündnisses eine Basis und schaut öfter mal vorbei, um Schutz zu gewähren, gegen Bezahlung versteht sich. Das kann's dann gewesen sein, für das Bündnis. Der unsichere Kantonist aus dem auseinander gefallenen Bündnis dient nun dem Chef oder dem Allgemeinwohl der Räuberbande (nach Gusto). Sein Handelsumsatz ist durch die Schutzgeldzahlungen seiner Handelspartner stark zurückgegangen und der Vertrauensverlust tat sein Übriges.Frau Merkel klatscht auch so!

Michel Offline



Beiträge: 265

06.07.2011 20:56
#14 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Kleiner Schönheitsfehler in der Analogie: Es gibt im zwischen Staatlichen selten etwas, das Schutzgeld nahe kommt. Am ehesten Reparationszahlungen, aber ich sehe nicht, wie Russland so etwas durchsetzten könnte. Es ist doch eher so dass Hegemonie mehr kostet als es ökonomische Vorteile bringt.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2011 21:36
#15 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Tributzahlungen vielleicht? Im Fall Russlands ist es das Preisdiktat, da ist das Schutzgeld dann sozusagen eingepreist.

Michel Offline



Beiträge: 265

06.07.2011 21:41
#16 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Aufschläge könnten sowieso nicht viel ausmachen auf die gesamte Volkswirtschaft bezogen und wären auch kaum durchzusetzen. Es ist sogar so, dass Russland den Staaten Rabatt gewährt, auf die es Einfluss ausüben möchte. Das war in der Großmachtpolitik immer üblich. Um die Staaten in der eigenen Einflusszone bei Laune zu halten, musste man ihnen ökonomische Vorteile gewähren.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.07.2011 22:14
#17 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Lieber Hagen,

Zitat von Hagen
Ich bezog mich auf Ihren Beitrag, Zettel. Leider konnte ich nicht quotieren, da aus irgendwelchen Gründen copy/paste bei mir gerade nicht funktionieren will (zum Abschreiben des Textes, war ich zu faul :)).

Quotieren nennt man das jetzt?

Na, immer noch besser als die Frauenquote .

Wenn Sie rechts unter dem Schreibfenster auf "diesen Beitrag zitieren" klicken, dann wird der gesamte Text, auf den Sie antworten, in das Schreibfenster kopiert. Sie können dann das Passende daraus aussuchen.

Zitat von Hagen
Um auf die Asymmetrie zurückzukommen. Keine Frage, die existiert, aber Deutschland kann auch aus anderen Ländern, wie EU-Staaten, Gas bzw. direkt Strom beziehen, sollte Russland seine Machtkarte ausspielen. Im Gegenzug würde Russland für sehr lange Zeit Deutschland als Kunden verlieren, was aufgrund der ohnehin schon maroden Wirtschaft doch ein erheblicher Verlust der russischen Einkünfte wäre.

Besser als mit dem Beispiel der beiden Schiffbrüchigen kann ich es, fürchte ich, nicht sagen. Es ist ein Unterschied, ob bestimmte Einnahmen ausbleiben oder ob ein Land plötzlich nicht mehr genügend Strom hat und/oder die Leute im Kalten sitzen. Wie brutal Gazprom da verfahren kann, haben sie ja bereits mit der Ukraine und anderen Ländern vorexerziert. Pipeline lärrr!

Zitat von Hagen
In wie weit ist militärische Macht noch entscheidend in der heutigen Welt? Regiert nicht letztlich das Geld, weswegen Kriege, gerade in einer solchen Dimension, undurchführbar sind? Vielleicht ist das jedoch auch zu idealistisch gedacht.

Militär ist ja immens teuer. Warum sollte ein Staat das finanzieren, wenn es ihm keine Vorteile brächte? Warum rüstet beispielsweise China gegenwärtig auf wie verrückt?

Natürlich planen die Chinesen keinen Überfall auf ihre Nachbarn. Aber es genügt, daß man das könnte. Die Macht kommt, um mit Mao zu sprechen, aus den Gewehrläufen. Aber dazu müssen diese nicht abgeschossen werden.

Auch Rußland rüstet gegenwärtig gewaltig auf; u.a. modernisiert es seine Raketenwaffe. Auch da kann man fragen, ob denn Putin nicht klüger wäre, das Geld in den Aufbau einer besseren Infrastruktur zu stecken usw. Nun ist der Mann ja aber ziemlich intelligent. Warum also die Rüstung? Weil man einem Land, das drohen kann, eben auch außen-, auch wirtschaftspolitisch entgegenkommt.

Nehmen wir noch einmal die beiden Schiffbrüchigen. Wenn der eine die Statur von Wladimir Klitschko hat und der andere die von Woody Allen, dann wird sich die Frage, wie man die knappen Nahrungsmittel verteilt, schon regeln, ohne daß der eine dem anderen ein Haar krümmen muß.

Oder schauen Sie an, was passiert, wenn ein sehr kleiner und ein sehr großer Rüde einander begegnen.

Herzlich, Zettel

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2011 22:24
#18 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

@Michel
Wow! Also ich habe die Auswirkungen der Rabbatgewährung der Russen gegenüber einem Staat auf den es Einfluss ausüben möchten, erlebt. Es hat mich nicht bei Laune gehalten, wie auch viele andere nicht. Es hat auch Regierungen gegeben deren Laune sich dermassen eingetrübt hat, dass sie es vorzogen ihr Leben zu riskieren um sich diesem Einfluss zu entziehen.

H_W Offline



Beiträge: 456

06.07.2011 22:50
#19 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Zitat
Es geht da weniger um Rußland an sich, als um das konkrete Putin-Regime. Und das muß man als das "Böse" sehen - aber auf jeden Fall verfolgt es ziemlich rücksichtslos seine Interessen. Und diese Interessen sind eben nicht die unseren.



Lieber R.A.,

ich teile Ihre und Zettels Bedenken gegen eine zu große Abhängigkeit von Rußland, denke aber, das Wort "böse" trifft es heute nicht so ganz.

Daß Rußland vergangenen Großmachtzeiten nachtrauert, und diese gerne wiederherstellen möchte ist normal und nachvollziehbar.
Putin ist sicher nicht gerade ein Demokrat, auch wenn ein übler Opportunist das mal behauptet hat. Aber in der gegenwärtigen Situation ist Putin als "Führer" bestimmt nicht das schlechteste, was diesem Land passieren konnte. Putin dient nun mal nicht unseren Interessen, sondern seinen eigenen indem er die Interessen SEINES Landes wahrt.

Das wäre kein Problem, wenn wir mit ihm Geschäfte auf Augenhöhe zum beiderseitigen Vorteil machen könnten, ohne daß eine Seite diese Geschäfte zwingend benötigt.
Und genau an dieser Stelle verrät die Merkelregierung UNSERE Interessen! Wie Sie und Zettel schon dargelegt haben, sind wir nun auf russische Lieferungen angewiesen, alternativlos sozusagen.

Und als Bonus obendrauf liefert Merkel auch noch unsere Nachbarn aus dem ehemaligen UdSSR-Imperium an Rußland aus.
Eine stärkere Westbindung Deutschlands würde Geschäften mit Rußland nicht im Wege stehen, gäbe unserem Wort aber Gewicht, wenn es nötig sein sollte, im Interesse unserer Nachbarn zu intervenieren. Diese Möglichkeiten gibt Merkel ohne jede Not aus der Hand. Die Nachbarn sind also leider gut beraten, wenn sie Deutschland nicht zu sehr trauen!

Die Mischung von Schaukelkurs zwischen Ost und West und gleichzeitigem LinksÖkowahn sind daher nicht nur sachlich gefährlich, sondern auch noch menschlich zutiefst peinlich für unser Land.

Gruß, H_W

Michel Offline



Beiträge: 265

06.07.2011 23:06
#20 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Hatte das jetzt wirklich viel mit den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Sowjets s und der DDR zu tun oder doch eher mit der Untauglichkeit des von der UDSSR proklamierten Wirtschaftssystems?

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2011 23:40
#21 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Meinst du ehrlich dass es Dubcek und Nagy nur um wirtschaftspolitische Fragen ging?

Michel Offline



Beiträge: 265

06.07.2011 23:55
#22 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

Eben und noch viel weniger ging es ihnen um Außenwirtschaftspolitik. Genau darum werden von Großmächten mit der Außenwirtschaftspolitik auch selten wirtschaftliche Ziele verfolgt, mit dem Effekt, dass sie für die Verfolgung ihrer Nebenziele (Hegemonie) draufzahlen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.07.2011 00:11
#23 Ungarn 1956, Prag 1968 Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Meinst du ehrlich dass es Dubcek und Nagy nur um wirtschaftspolitische Fragen ging?

Wenn ich mich da mal einschalten darf, weil ich die ungarische Revolution 1956 und den Prager Frühling 1968 damals sehr intensiv verfolgt habe:

Das waren zwei ganz verschiedene Ereignisse. Ungarn 1956 - das war weniger als ein Jahrzehnt nach der kommunistischen Machtergreifung. Das Volk haßte überwiegend die Kommunisten, zumal Ungarn im Krieg ja auf der Seite Deutschlands gestanden hatte. Imre Nagy, eigentlich einer - wenn ich mich recht erinnere - Bauernpartei entstammend, war zunächst ein Kollaborateur der Kommunisten gewesen und hatte sich dann auf die Seite der Revolution gestellt.

Diese war eine richtige, blutige Revolution, deren Ziel die Beseitigung der kommunistischen Herrschaft war. Der "Spiegel" brachte damals eine Bilderserie, die zeigte, wie ein Agent der kommunistischen Geheimpolizei gelyncht wurde. Als ich Anfang der sechziger Jahre mit dem Studium anfing, hatten wir etliche ungarische Kommilitonen, die auf der Seite der Revolution gekämpft hatten und denen die Flucht vor den Russen gelungen war.

Diese hausten brutal. Nagy und ein General, der glaube ich Maleter hieß, hatten sich in ich glaube die amerikanische Botschaft geflüchtet, sich dann aber aufgrund der Zusicherung freien Geleits in die Händer der Kommunisten begeben. Statt das freie Geleit zu respektieren, stellte man sie vor ein "Gericht" und ermordete sie dann.



In Prag 1968 war das alles ganz anders. (Ungelt könnte das besser schildern; schade, daß er nicht mehr da ist) Weder Dubcek noch gar der Staatspräsident Swoboda, der ja sogar General der Roten Armee gewesen war, wollten die Konterrevolution. Sie träumten, ähnlich wie anfangs Gorbatschow, von einem reformierten Kommunismus. Einer "mit menschlichem Antlitz" sollte das sein; hübsche Forderung.

Auch die Wirtschaftsreformer Jiri Pelikan und Eduard Goldstücker wollten nach außen hin einen reformierten Kommunismus; allerdings gingen die Ideen vor allem Pelikans doch sehr in Richtung soziale Martkwirtschaft.

Man darf nicht vergessen, daß dies das Revolutionsjahr 1968 war, in dem es überalle gärte. Überall hatte man Flausen im Kopf. Im Mai wollten französische Kommunisten de Gaulle stürzen, und Studenten wollten "die Fantasie an die Macht" holen. Rudi Dutschke und Genossen planten eine Räterepublik Westberlin. Alle dachten, sie könnten die Gesellschaft neu erfinden.

Breschnew hat sie in Prag auf den Boden der Realität zurückgeholt. Den Sowjets war klar, daß ein freiheitlicher Kommunismus ein Widerspruch in sich war und daß das, was Dubcek und der Parlamentspräsident Smrkovski (ich glaube, so hieß er) und viele andere wollten, zwangsläufig das Ende der kommunistischen Herrschaft herbeiführen würde.

Exakt so, wie es Gorbatschow dann knapp zwanzig Jahre später vorführte, der ebenso ein Traumtänzer war wie Dubcek.

Ich habe öfter "ich glaube" geschrieben, weil ich das jetzt aus der Erinnerung schreibe und keine Zeit habe, die Einzelheiten zu verifizieren.

Herzlich, Zettel

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.07.2011 00:32
#24 RE: Marginalie: Kommen die Russen? Antworten

@Michel
Also wie du von den unterstellten, nicht vorhandenen außenwirtschaftlichen Interessen der Satellitenstaaten, auf die des Hegemons springst, ist für mich lückenhaft. Aber sei es drum, dass die UdSSR in ihrem Einflussbereich Gewinne gemacht hat folgere ich allein aus der Tatsache, dass ihre wirtschaftliche Produktivität unter der Mehrheit Ihrer Satellitenstaaten lag. Aber wie gesagt, dass allein ist es nicht. Jeder Schutzgelderpresser macht weniger Gewinn als ein Geschäftspartner. Insofern hat Russland dazugelernt, die Mafia übrigens auch. Aber ganz gleich welches Modell gewählt wird, unter einem Hegemon sinkt die Wirtschaftskraft, weil die wirtschaftliche Freiheit fehlt. Sie, und nur sie, ist die Vorraussetzung für wirtschaftliche Höchstleistungen, die Deutschland mit seinen hohen Lohnstückkosten braucht. Wenn eine Abhängigkeit von russischem Erdgas eintritt, wird Kapital und Wissen abwandern. Davon bin ich überzeugt, möchte aber dich von gar nichts überzeugen.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.07.2011 00:41
#25 RE: Ungarn 1956, Prag 1968 Antworten

Lieber Zettel!
Sehr interessant, das hab ich so nicht gewusst. Danke!
Grüsse Erling Plaethe

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