Zitat von WFIDie demokratische Grundlage scheitert an dem grundlegenden Problem, dass es keine europäische Öffentlichkeit und kein europäisches Volk gibt. Es gibt zwar eine transnationale Elite (ein bisschen wie vor 1914, nicht wahr, auch wenn es noch keine vererbaren Positionen gibt?) aber es gibt kein "demos".
Damit treffen Sie meines Erachtens den Kern.
Es wird gern die Parallele zur Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert gezogen. Aber da war immer erst die gemeinsame Nation da, und auf der Grundlage dieses gemeinsamen Nationalgefühls konnte der Nationalstaat entstehen.
Bei Europa versucht man das andersherum. Es ist ungefähr wie bei einer Zwangsheirat nach dem Prinzip "Die Liebe wird dann schon in der Ehe kommen".
Das Schlimme ist, daß ja nie eine breite Diskussion darüber stattgefunden hat, welches Europa man eigentlich will. Roman Herzog und Lüder Gerken haben das schon vor viereinhalb Jahren schonungslos analysiert; ich habe damals einen Artikel dazu geschrieben: Das im Irrgarten der Einigung herumtaumelnde Europa; ZR vom 15. 1. 2007
Zitat von WFIBis jetzt deutet alles darauf hin, dass Demokratie im Nationalstaat am besten aufgehoben ist. Der demokratische und souveräne Nationalstaat ist der natürliche Feind dieser Elite, die "ihre Völker" lieber nach ethnischen und regionalen Aspekten einteilen würde, sowie nach Geschlecht und sozialer Klasse.
Meines Wissens hat es bisher noch nie einen demokratischen Vielvölkerstaat gegeben.
Die großen Vielvölkerstaaten des 19. Jahrhunderts beispielsweise - das Osmanische, das Zaren- und das Habsburger Reich - waren alle Polizeistaaten. Bürokratie, Militär und Polizei hielten sie zusammen.
Solche Gebilde, die ein Staat ohne Nation sind, tendieren zum Zerfallen, sobald dieser Herrschaftsapparat nicht mehr funktioniert; siehe in der jüngeren Geschichte das Schicksal der UdSSR und Jugoslawiens.
Zitat von ZettelMeines Wissens hat es bisher noch nie einen demokratischen Vielvölkerstaat gegeben.
Ein paar gibt es schon: Südafrika, Botswana, Namibia, Indien, Singapur (da kann man sich streiten), Suriname, Guyana, Trinidad und Tobago, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Mauritius, Ghana, Mali, Benin, Papua-Neuguinea... Die üblichen Verdächtigen, postkoloniale Gebilde, viele davon britisch kolonisiert.
Zitat von ZettelMeines Wissens hat es bisher noch nie einen demokratischen Vielvölkerstaat gegeben.
Ein paar gibt es schon: Südafrika, Botswana, Namibia, Indien, Singapur (da kann man sich streiten), Suriname, Guyana, Trinidad und Tobago, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Mauritius, Ghana, Mali, Benin, Papua-Neuguinea... Die üblichen Verdächtigen, postkoloniale Gebilde, viele davon britisch kolonisiert.
In diese Richtung hatte ich meinen Blick gar nicht gelenkt, als ich über diese Frage nachdachte.
Das waren oder sind ja alles Kandidaten für nation building. Vielleicht sind einige gegenwärtig noch Vielvölkerstaaten im Sinn des Habsburger Reichs - also zusammengesetzt aus verschiedenen Teilstaaten mit eigener Sprache, eigener Kultur, eigener nationaler Identität. Aber sofern sie das noch sind, ist das Ziel doch die Entstehung einer einzigen Nation.
Übrigens hat ja zwar einerseits der Kolonialismus diese künstlichen Staaten erst geschaffen, indem die kolonialen Grenzen ohne Rücksicht auf Ethnien gezogen wurden. Andererseits hat jedenfalls Großbritannien auch das hinterlassen, was überhaupt die Staatlichkeit erst ermöglichte: Eine gewisse Infrastruktur, eine britisch erzogene Elite und vor allem Englisch als Verkehrssprache.
Zitat von FAB.Weder beim Mehrheitswahlrecht noch durch eine 5%-Klausel werden die Stimmen der Wahlberechtigten von vorneherein unterschiedlich gewichtet.
Schon richtig, das macht die Sache aber nicht besser. Es sind halt deutliche Abweichungen vom Idealbild eines reinen, ungestörten Wahlrechts. Und regionale Besonderheiten sind halt auch solche Abweichungen.
Zitat Es verwundert mich immer wieder, daß, obwohl wir doch alle schon in der Schule gelernt haben, wie undemokratisch, ja nachgerade unmoralisch das seinerzeitige preußische "Dreiklassenwahlrecht" gewesen ist
Was nun mehr über die Qualität dieser Schuldoktrinen aussagt. Immerhin durften die ärmeren Wähler in Preußen wenigstens teilweise mitwählen, anderswo waren sie schlicht ausgeschlossen. Und ein Zensuswahlrecht ist natürlich grundsätzlich angemessen dort, wo es im Parlament wirklich nur im alten Sinne um die Steuererhebung bzw. Verwendung geht, wo also die Exekutive (und der wesentliche Teil der Legislative) beim Monarchen liegt.
Zitat die Anwendung desselben Prinzips in der EU ohne weiteres akzeptiert wird.
Das preußische Wahlrecht und das EU-Wahlrecht sind schon sehr unterschiedliche Sachen, da kann man m. E. nicht von "denselbem Prinzip" sprechen.
Zitat von ZettelEs wird gern die Parallele zur Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert gezogen.
Und diese Parallele ist natürlich falsch. Was immer die EU sein kann, sein sollte, sein wird - es wird ein ziemlich neuartiges Gebilde sein, ohne historisches Vorbild, und natürlich überhaupt nicht mit dem Nationalstaat alter Prägung vergleichbar.
Überhaupt halte ich ja den Nationalstaat à la 19. Jahrhundert für einen verhängnisvollen historischen Irrweg.
Zitat Das Schlimme ist, daß ja nie eine breite Diskussion darüber stattgefunden hat, welches Europa man eigentlich will.
Richtig. Es wurden immer nur Propaganda-Schlagworte gebracht, von so grundsätzlicher Natur, daß man nicht PC-konform widersprechen konnte. Die europäische Bewegung ist in den letzten 20 Jahren ziemlich mißbraucht worden.
Zitat Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass Demokratie im Nationalstaat am besten aufgehoben ist.
Das sehe ich überhaupt nicht. Es ist lediglich so, daß in einem möglichst homogenen Nationalstaat die einer demokratischen Struktur inhärente Intoleranz etwas erträglicher wird. Denn es ist ja so, daß vom Grundsatz her 51% den restlichen 49% fast beliebig ihren Willen aufzwängen können. Alles an Minderheitenrechten, an Inhomogenität in der Staatsbevölkerung stört den politischen Prozeß in einer Demokratie.
Zitat Der demokratische und souveräne Nationalstaat ist der natürliche Feind dieser Elite ...
Aber nicht, weil er souveräner Nationalstaat ist. Sondern weil gegenwärtig die politischen Diskussionen, die Medienlandschaft und die kritische Öffentlichkeit sich noch an den Nationalstaaten orientieren. Der Umweg über die EU ermöglicht es den Eliten, sich dieser öffentlichen Diskussion weitgehend zu entziehen.
Zitat Meines Wissens hat es bisher noch nie einen demokratischen Vielvölkerstaat gegeben.
Aber Hallo! Haben wir nicht mit der Schweiz DAS Paradebeispiel für einen demokratischen (und liberalen!) Vielvölkerstaat? Und so schlecht läuft Indien auch nicht.
Zitat Die großen Vielvölkerstaaten des 19. Jahrhunderts beispielsweise - das Osmanische, das Zaren- und das Habsburger Reich - waren alle Polizeistaaten.
Das stimmt für das Habsburger Reich nicht wirklich. Verglichen mit z. B. England oder Frankreich hatte zwar die Monarchie mehr Macht im Vergleich zum Parlament - aber ein Polizeistaat war das nicht und die Rechtslage der Bürger nicht wesentlich anders als in den westlichen Demokratien. In vielen Punkten war das Habsburger Reich sogar ein Musterbeispiel, wie man mit sehr verschiedenen nationalen, sprachlichen und religiösen Gegensätzen vernünftig umgehen kann. Auf jeden Fall war es für die völlig gemischte Bevölkerung dieser Region eine viel angemessenere Staatsform als die "Nationalstaaten", die nach 1918 dort dem Zeitgeist folgend aufgedrückt wurden und bis heute heftige Probleme haben.
Zitat von ZettelMeines Wissens hat es bisher noch nie einen demokratischen Vielvölkerstaat gegeben.
Ein paar gibt es schon: Südafrika, Botswana, Namibia, Indien, Singapur (da kann man sich streiten), Suriname, Guyana, Trinidad und Tobago, Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Mauritius, Ghana, Mali, Benin, Papua-Neuguinea... Die üblichen Verdächtigen, postkoloniale Gebilde, viele davon britisch kolonisiert.
In diese Richtung hatte ich meinen Blick gar nicht gelenkt, als ich über diese Frage nachdachte.
Es würde sich wohl lohnen, das genauer zu betrachten, besonders die Entwicklung Indiens nach der Unabhängigkeit 1947, das mir der EU am engsten verwandt erscheint. Leider kenne ich mich da auch zuwenig aus, aber es ist doch sehr bemerkenswert, dass Britisch-Indien nach der Dekolonialisierung nicht wieder in Kleinstaaten zerfallen ist. Das nation building scheint zumindest in Indien erfolgreich gewesen zu sein (Pakistan dagegen scheint in einem ewigen Zerfall gefangen zu sein).
Zitat Meines Wissens hat es bisher noch nie einen demokratischen Vielvölkerstaat gegeben.
Aber Hallo! Haben wir nicht mit der Schweiz DAS Paradebeispiel für einen demokratischen (und liberalen!) Vielvölkerstaat?
Welche Völker leben denn in der Schweiz? Ich kenne nur eines, das Schweizer Volk.
Es lesen und schreiben hier ja auch Schweizer. Frage an sie: Käme irgend ein Schweizer auf die Idee, die Deutschschweizer, die Welschen usw. als verschiedene Völker zu sehen?
Zitat von ZettelKäme irgend ein Schweizer auf die Idee, die Deutschschweizer, die Welschen usw. als verschiedene Völker zu sehen?
2010 sahen sich 26% der Schweizer in erster Linie als Schweizer, 39% als zugehörig ihrer Wohngemeinde, 18% ihrem Wohnkanton, 12% ihrer Sprachregion. Seite 21 hier.
-- Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von R.A.Das preußische Wahlrecht und das EU-Wahlrecht sind schon sehr unterschiedliche Sachen, da kann man m. E. nicht von "denselbem Prinzip" sprechen.
Das Parlamentsplenum setzt sich aus mehreren Deputationen zusammen, die von abgegrenzten Teilgruppen der Gesamtwählerschaft jeweils getrennt gewählt werden; der einzelne Abgeordnete im Plenum repräsentiert, je nachdem, welcher Deputation er angehört, sehr unterschiedlich viele Wähler. Beim EP beträgt das Verhältnis der Stimmgewichte einerseits eines deutschen und andererseits etwa eines maltesischen oder luxemburgischen Wählers etwa 1:10 bis 1:12. Bei der preußischen Landtagswahl 1913 betrug laut Wikipedia der entsprechende Unterschied im Stimmgewicht zwischen den Wählern der ersten und der dritten Abteilung ebenfalls etwa 1:10. Doch, ich denke schon, daß die Strukturprinzipien dieselben sind.
____________________________________________________ "I want my republic back!"
Zitat von dentix07In jedem demokratischen Staat ist es das von den Bürgern gewählte Parlament das über den Haushalt, Steuern, Gesetze entscheidet, Nur in der EU nicht!
Das ist schlicht und ergreifend falsch. Jeder normale Rechtsakt der EU mit Gesetzescharakter hat die Zustimmung der Mehrheit des Europäischen Parlaments. Daneben noch die Zustimmung des Rates, der sich, ganz ähnlich dem deutschen Bundesratsmodell, aus Abgesandten der Länderexekutiven zusammensetzt.
Das kann man auch anders sehen: der Rat hat ein Vetorecht und blockiert als Exekutive das Parlament oder er bringt Gesetze ein, die im nationalen Parlament keine Mehrheit finden würden. Das ist echt praktisch für die Exekutive und vielleicht ein Grund warum 80% der Gesetze mittlerweile vom EU-Parlament/Ministerrat kommen. Der Bundesrat dagegen, muss nicht bei jedem Gesetz gefragt werden.
Indien wird wohl nicht mehr zerfallen und ist heute - gemessen an der Region - in vieler Hinsicht eine Erfolgsstory. Aber ist das ein Modell für uns? Ich habe ja nicht prophezeit, dass die EU zerfallen wird, sondern dass wir ein besseres Modell durch ein schlechteres ersetzen. Ob die indischen Kleinstaaten erhaltenswert waren, weiss ich nicht. Aber dass die EU in der Gestalt, wie sie sich mittlerweile abzeichnet, etwas leistet was die europäischen Demokratien auf anderem Weg nicht leisten konnten, das bestreite ich entschieden. Ganz im Gegenteil. Das Versagen dieser Eliten wird jeden Tag deutlicher und teurer. Nur dass sie dafür, statt zur Rechenschaft für ihre Lügen und Rechtsbrüche gezogen zu werden, mehr Befugnisse erhalten sollen.
Indien hat für seinen Einheit Jahrhunderte der Fremdherrschaft und einen Bürgerkrieg gebraucht und entscheidende kulturelle Einflüsse von aussen (von uns!) assimilieren müssen, nicht zuletzt die Idee der nationalen Einheit an sich. Danach wurde die Bevölkerung 50 Jahre lang durch Planwirtschaft in Armut gehalten und leidet auch heute noch unter massiver Korruption und Massenelend sowie internen religiösen und politischen Konflikten mit tausenden Toten. So gesehen war Europa westlich des eisernen Vorhanges schon vor 40 Jahren freier und vereinter als Indien, nur eben nicht unter einer Flagge. Indien mag so besser fahren als mit den Alternativen. Für uns gilt das Gegenteil.
Zitat von Uwe RichardWer hat denn je durch Schuldenmachen seinen Wohlstand erhöht? Schulden, die er mit neuen Krediten tilgt?
Nun, das ist ganz einfach: Derjenige, der auch vorher schon nichts mehr hatte, was man ihm wegnehmen kann, oder auch derjenige, dem man die Schulden letztlich erlässt. Die Schuldenaufnahme diente dann immerhin dazu, sich eine Zeit lang einen Konsum zu erlauben, der mit eigenen Mitteln nie hätte realisiert werden können. Vorher ein Bettler, zwischendurch ein König, dann wieder ein Bettler - rational gesehen schlägt das die Variante "immer Bettler" deutlich. Zumal man immer darauf hofft, dass das Schneeballsystem, sofern man es als solches erkannt hat, lange genug funktioniert, oder dass, wenn die Blase platzt, jemand anderes die Zeche zahlt.
Zu dem Zeitpunkt, an dem man sie macht, dienen Schulden aber immer der Steigerung des Wohlstands, so wie jeder Tauschakt. Sonst würde er nicht stattfinden.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Herfried Münkler hat in der internationalen SpOn-Ausgabe gerade begründet, warum die Demokratisierung auf europäischer Ebene auch keine Lösung in dieser Krise sein kann. Er plädiert für eine Stärkung der europäischen Eliten. Die These gefällt mir nicht, aber es ist lesenswert
Zur von den Eliten bewusst in Kauf genommenen Fehlkonstruktion des Euro schreibt der Spekulant Soros aktuell in der Financial Times:
Zitat the euro was an incomplete currency: it had a central bank but no treasury. Its architects were fully aware of this deficiency, but believed that when the need arose, the political will could be summoned to take the next step forward.
Zitat von JunoHerfried Münkler hat in der internationalen SpOn-Ausgabe gerade begründet, warum die Demokratisierung auf europäischer Ebene auch keine Lösung in dieser Krise sein kann. Er plädiert für eine Stärkung der europäischen Eliten. Die These gefällt mir nicht, aber es ist lesenswert
Der Essay ist im gedruckten "Spiegel" der vergangenen Woche erschienen und hier zu finden. Ich habe als Abonnent Zugang zu ihm, meine mich aber zu erinnern, daß alle Heftinhalte außer dem der laufenden Woche auch für Nichtabonnenten freigeschaltet sind.
Bei dieser Gelegenheit: Die internationale Ausgabe von "Spiegel"-Online ist ungleich besser als die deutsche und enthält oft Material, das in dieser nicht zu finden ist.
Zu Münklers Essay ging es mir wie Ihnen, lieber Juno: Intelligent wie immer, aber ich stimme ihm nicht zu. Vielleicht schreibe ich dazu noch etwas.
Herzlich, Zettel
Friedrich
(
gelöscht
)
Beiträge:
13.07.2011 06:54
#41 RE: Zitat des Tages: Eine Strategie für Europa?
Zitat von JunoHerfried Münkler hat in der internationalen SpOn-Ausgabe gerade begründet, warum die Demokratisierung auf europäischer Ebene auch keine Lösung in dieser Krise sein kann. Er plädiert für eine Stärkung der europäischen Eliten.
Ich bin strikt dagegen. Dieselben die uns in den Schlamassel geritten haben sollen noch mehr Macht bekommen. Das kann es nicht sein.
Zitat:
Zu Münklers Essay ging es mir wie Ihnen, lieber Juno: Intelligent wie immer, aber ich stimme ihm nicht zu. Vielleicht schreibe ich dazu noch etwas.
Herzlich, Zettel
Die Lösung könnte so aussehen, daß man sich an die Verträge und Gesetze hält die eben jedem Land seine Freiheit liessen und die Anderen außen vor. Ich kann nicht verstehen wie mehr Macht in den Händen noch Weniger etwas Gutes für die Allgemeinheit sein kann.
Ich stimme auch dem "intelligent" nicht zu. Denn es heißt doch irgendwelche Übermenschen können alles richten. Zentralisierung von Europa ist genau das was man Zentralplanung nennt und das hat noch nie funktioniert.
Zitat von ZettelWelche Völker leben denn in der Schweiz? Ich kenne nur eines, das Schweizer Volk.
Das ist jetzt aber ein übler Definitionstrick!
So nach dem Motto: Wenn der Vielvölkerstaat nicht funktioniert, ist ihre These bewiesen, daß er nicht funktionieren kann. Und wenn er doch funktioniert - dann nehmen sie das als Beleg, daß es nur ein Volk ist!
Selbstverständlich ist die Schweiz aus mehreren Völkern zusammen gewachsen. Aus Deutschen, Franzosen und Italienern (die Rätoromanen lasse ich weg, die sind mehr Folklore). Und nach einiger Zeit und vielen Problemen ist etwas gemeinsames Staatsbewußtsein gewachsen, man kann das auch "Volks"-Bewußtsein nennen.
Ob Europa eine ähnliche Entwicklung schaffen wird, ist noch offen. Aber nicht unmöglich. Und ob man dann irgendwann von einem "europäischen" Volk spricht oder von einem Staat mit mehreren Völkern - das halte ich für nebensächlich.
Übrigens sind auch das UK und Spanien (halbwegs) funktionierende Vielvölkerstaaten.
Zitat von WFIIndien wird wohl nicht mehr zerfallen und ist heute - gemessen an der Region - in vieler Hinsicht eine Erfolgsstory.
Richtig.
Zitat Aber ist das ein Modell für uns?
Nein, dazu sind die Voraussetzungen viel zu verschieden. Auch andere Vielvölkerstaaten können kein Modell für die EU sein.
Die mögliche europäische Einigung ist ein historisches Unikat, es kann dafür keine Modelle geben und ich halte es auch für einen Fehler, sich zu stark an solchen orientieren zu wollen (z. B. die ständigen Vergleiche mit den USA).
Bei dieser Entwicklung kann ich auch gut damit leben, daß an vielen Ecken recht merkwürdige Kompromisse geschlossen werden müssen, z. B. bei der Konstruktion des EU-Parlaments.
Aber ein gravierender Fehler (und das wird seit einigen Jahren immer dramatischer deutlich) ist die unklare Verantwortungsaufteilung zwischen EU und den anderen Ebenen. Die EU sollte ausschließlich die Kompetenzen bekommen, bei denen eine europaweiter Regelung sinnvoll ist (und das dürften gar nicht so viele sein). Und die sollte sie dann auch alleine machen, mit dem Parlament als Hauptentscheidungsgremium. Und dabei werden natürlich Fehler passieren (wie bei allen Entscheidungen, nicht nur in der Politik) und dafür kann man die Parlamentarier dann wie üblich bei Wahlen abwatschen.
Und die übrigen Ebenen haben dann ihre Entscheidungen ähnlich zu verantworten. Und wenn irgendein grün-rot-schwarzer Bevormundungspolitiker so einen Unsinn wie das Glühbirnenverbot durchsetzen will, dann muß er dafür auch persönlich gerade stehen und darf nicht ominöse Mächte von oben vorschieben können.
Zitat von JunoZur von den Eliten bewusst in Kauf genommenen Fehlkonstruktion des Euro ...
Der Euro war keine Fehlkonstruktion!
Sondern im Gegenteil war es sehr vernünftig, daß hier die Währung mit der Notenbank von der Budgetpolitik einzelner Teilstaaten getrennt wurde. Wie das ja auch bei Bundesstaaten üblich ist - Bayern, Katalonien oder Texas haben ja auch keine eigene Währungspolitik.
Und um das abzusichern, wurde ja sogar ein explizites Bail-out-Verbot in die Euro-Verträge aufgenommen!
Die Probleme haben wir erst, seit Merkel und Co. im letzten Frühjahr durch nackten Vertragsbruch genau diese Elemente der Konstruktion aushebelten. Für diesen Vertragsbruch kann man aber die Konstrukteure nicht verantwortlich machen.
Zitat von ZettelWelche Völker leben denn in der Schweiz? Ich kenne nur eines, das Schweizer Volk.
Das ist jetzt aber ein übler Definitionstrick!
So nach dem Motto: Wenn der Vielvölkerstaat nicht funktioniert, ist ihre These bewiesen, daß er nicht funktionieren kann. Und wenn er doch funktioniert - dann nehmen sie das als Beleg, daß es nur ein Volk ist!
Aber gar nicht, lieber R.A.
Ich habe nur offenbar eine andere Vorstellung von "Volk" als Sie. Aus meiner Sicht definiert sich die Zugehörigkeit zu einem Volk allein durch die Identität, die man für sich selbst sieht und akzeptiert.
Nicht durch die Sprache, nicht gar durch die Gene. Sondern durch die Identifikation mit der jeweiligen staatlichen und/oder gesellschaftlichen Gruppe.
Diese Identifikation kann man zu erfragen suchen. Letztlich zeigt sie sich darin, für welche Gruppe man sich einzusetzen, vielleicht im letzten Extrem zu sterben bereit ist.
Ich vermute, daß die meisten Schweizer bereit sind, die Schweiz zu verteidigen. Ich glaube nicht, daß die meisten Deutschweizer Deutschland im Fall eines Angriffs verteidigen wollen würden, oder die Welschschweizer Frankreich.
Ja, ich stimme zu, aber der Zug ("Die EU sollte ausschließlich die Kompetenzen bekommen, bei denen eine europaweiter Regelung sinnvoll ist") ist ja schon lange abgefahren. Dieses Projekt wird von Machtinteressen, Ideologie und Schmiergeld getrieben. Und wenn wir ganz von vorne anfangen könnten, würde es auch beim zweiten Mal nicht funktionieren. Es ist wie beim Sozialismus: wenn man nur dies oder jenes richtig machen würde, wäre es eine gute Sache. Die Realität sieht anders aus. Deswegen muss ein rationaler Mensch irgendwann aufhören über das "wie" zu reden und sich die Frage stellen: Warum es auf diesem Weg überhaupt versuchen, wenn die Kosten den Nutzen doch bei weitem übersteigen?
Zitat von ZettelIch habe nur offenbar eine andere Vorstellung von "Volk" als Sie.
Wenn man wollte, könnte man dies jetzt zum Anlaß nehmen, eine ausschweifende Diskussion um die Begriffe "Volk" und "Nation" kreisen zu lassen... Was Sie da umschreiben, würde ich eher dem zweiten Begriff zuordnen.
____________________________________________________ "I want my republic back!"
Zitat von ZettelIch habe nur offenbar eine andere Vorstellung von "Volk" als Sie. Aus meiner Sicht definiert sich die Zugehörigkeit zu einem Volk allein durch die Identität, die man für sich selbst sieht und akzeptiert.
Mit dieser Definition hätte ich keine Probleme, da liegt unser Dissens eher nicht.
Sondern erst, wenn es um "Vielvölkerstaat" geht. Bei dem ist es ja so, daß grundsätzlich mehrere Identitäten bestehen. Man hat die Identität seines Volks und die des Gesamtstaats. Der Vielvölkerstaat funktioniert, wenn die Identifikation mit dem Staat groß genug ist. Ein Bayer fühlt sich als Bayer, aber gleichzeitig auch als Deutscher - damit funktioniert Deutschland. Der Vielvölkerstaat funktioniert nicht (bzw. nur mit Zwang), wenn die Identifikation mit dem Gesamtstaat zu schwach ist.
Wobei "Volk" hier ohnehin nicht der glücklichste Begriff ist, man sagt wohl besser "ethnische Gruppe". Denn natürlich sind die Deutsch-Schweizer weder ein eigenständiges Volk noch fühlen sie sich als Teil des deutschen Volks. Trotzdem sind sie eine spezifische ethnische Gruppe mit hoher Identifikation. Ähnlich z. B. die deutschen Südtiroler. Die würden sich nicht als eigenes Volk bezeichnen, sind sich aber höchst unsicher, ob sie nun Deutsche oder Österreicher sind (es war ja lange Zeit überhaupt strittig, ob die Österreicher ein Volk sind ...). Auf jeden Fall aber fühlen sich die Südtiroler nicht wirklich als Italiener, der "Vielvölkerstaat" Italien funktioniert nur begrenzt.
Zitat Diese Identifikation kann man zu erfragen suchen. Letztlich zeigt sie sich darin, für welche Gruppe man sich einzusetzen, vielleicht im letzten Extrem zu sterben bereit ist.
Durchaus.
Und die Deutschschweizer würden selbstverständlich die Schweiz verteidigen. Die meisten würden aber in erster Linie auch ihren Kanton verteidigen. Und sollte es einmal zu größeren Kontroversen entlang des Röstigrabens kommen, würden die Deutschschweizer auch eine hohe Loyalität gegenüber anderen deutschsprachigen Kantonen vertreten.
Das macht eben den funktionierenden Vielvölkerstaat aus: Man gehört noch zu seiner ethnischen Gruppe. Sollte der Staat scheitern, würde man sich auch wieder an dieser orientieren. Aber grundsätzlich ist genug Identifikation mit dem Gesamtstaat da, daß man diesen gemeinsam mit den anderen ethnischen Gruppen verteidigt. Und diese funktionierenden Vielvölkerstaaten gibt es.
Und Europa ist durchaus auf dem Weg in diese Richtung. Obwohl diese Entwicklung durch Fehlentwicklungen massiv gestört wurde und deswegen auch scheitern kann. Noch aber sind die über Jahrzehnte gewachsenen Bindungen vorhanden und tragfähig.
Und Ihr Kriterium mit dem "im letzten Extrem zu sterben bereit" würde da m. E. auch treffen. Natürlich würde niemand für die EU-Kommission sterben wollen. Will sich ja auch keiner für das Bundeskabinett opfern. Aber bei einem externen Angriff auf Europa wäre wohl viel an Solidarität da.
Mal angenommen, die Chinesen landen in der Bretagne und fangen an, Frankreich zu erobern. Vor 100 Jahren hätte man da in Deutschland den Sekt aufgemacht und sich wahrscheinlich noch mit den Chinesen verbündet. Heute dagegen würde ich - unabhängig von formalen Verträgen und NATO-Strukturen - sehr wohl erwarten, daß die Deutschen sich mit den Franzosen angegriffen fühlen würden und auch von sich aus mitkämpfen würden. Und ähnliches würde wohl für die meisten Länder der alten EU-Gemeinschaft gelten.
Gegenüber den neuen Mitgliedern im Osten ist diese Solidarität dagegen wohl noch lange nicht da. Wobei es da halt auch nicht um eine klare externe, außer-europäische Bedrohung geht, sondern um eine russische. Das würde dann hierzulande eher als interner Streit à la Jugoslawien empfunden, wo man nicht unbedingt Partei ergreifen muß.
Zitat von ZettelIch habe nur offenbar eine andere Vorstellung von "Volk" als Sie.
Wenn man wollte, könnte man dies jetzt zum Anlaß nehmen, eine ausschweifende Diskussion um die Begriffe "Volk" und "Nation" kreisen zu lassen... Was Sie da umschreiben, würde ich eher dem zweiten Begriff zuordnen.
Ja, da gebe ich Ihnen Recht.
Daß ich von "Volk" gesprochen habe, lag daran, daß wir über den "Vielvölkerstaat" diskutiert haben. Aber dieser besteht ja in der Regel eher aus Nationalitäten; oft als solche in den Paß eingetragen.
Im Französischen spricht man von la Nation, wenn es um Gesellschaft und Politik geht. Sofern jemand überhaupt von le peuple Français spricht, schwingt da meist etwas von "der Kleine Mann" mit. Auch im Amerikanischen ist the American nation wohl üblicher als the American people; und auch hier schwingt diese Konnotation des Kleinen Mannes mit, wenn man vom Volk spricht.
Im Deutschen gibt es, zurückgehend auf die Romantik und die Volkskunde, die sich dann entwickelt hat, hingegen einen Begriff von "Volk", der sich eher auf Sitten und Gebräuche bezieht, wenn nicht gar - im "völkischen Denken" zuweilen - auf die Gene.
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