Zur Krise der FDP und zur Person Westerwelle habe ich mich lange nicht mehr geäußert. Ich tue es auch jetzt mit Zögern, denn deren Lage ist aus meiner Sicht so, daß es für einen Liberalen wahrhaft keine Freude ist, sie zu analysieren.
Verteidigung nicht in dem Sinn, daß ich diese Entscheidung für richtig halte. Ich komme zu einer anderen Abwägung. Aber es war eine begründete Entscheidung; und ganz gewiß rechtfertigt sie nicht eine Ablösung Westerwelles.
Diese ist aus anderen Gründen erforderlich; und am besten wäre der Weg, daß der Minister in Würde seinen Hut nimmt, statt auszuharren, bis es nicht mehr geht.
Zitat von ZettelWesterwelle hätte so, wie er im Wahlkampf die Schwerpunkte gesetzt hatte, bei der Regierungsbildung das Amt des Finanzministers für sich reklamieren müssen. Aber er wollte unbedingt Außenminister werden und damit das in der (informellen) Rangfolge der Ministerien ranghöchste Ressort leiten.
Ist es, lieber Zettel, wirklich gesichert, daß Westerwelle unbedingt Außenminister werden wollte? Das wird zwar immer behauptet und ist sicher auch nicht ganz unplausibel, aber einen echten Beleg dafür habe ich noch nicht gesehen. Vielleicht hat Westerwelle das Außenministerium nur deswegen übernommen, weil kein anderes attraktives Ministerium mehr übrig blieb? Es gab ja mehrere Berichte aus den Koalitionsverhandlungen, denen zufolge Angela Merkel darauf insistiert hat, daß die Union das Finanzministerium übernimmt. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung ist also nicht unbedingt an Westerwelle gescheitert.
Und zum Thema Libyen: Mich irritiert ein wenig, daß Westerwelle für die Entscheidung der Bundesregierung so sehr geprügelt wird, während es ja Schröder vielfach als ganz großes Verdienst angerechnet wird, daß er "uns aus dem Irak-Krieg herausgehalten" hat, obwohl sich Deutschland damit ebenfalls gegen seine Verbündeten stellte. Für Fischer scheint die Ablehnung des Irak-Kriegs sogar so zentral zu sein, daß er sein "Nein" in Form des schlichten englischen Satzes "I am not convinced" gleich als Titel seiner Erinnerungen gewählt hat (die übrigens so schöne Sätze wie "Ich war nach diesen Worten des Kanzlers, obgleich noch immer in der Unterwäsche, sofort hellwach" enthält).
Da scheint man doch klar mit zweierlei Maß zu messen. Wenn Westerwelle sich für einen Einsatz in Libyen ausgesprochen, hätte man das sicher auch als Ausweis mangelnder Kompetenz dargestellt.
Zitat von DrNickDa scheint man doch klar mit zweierlei Maß zu messen.
So sehe ich das auch. Und alleine das ist - selbst wenn es hinreichend andere Gründe für einen Rücktritt gäbe und dieser für alle Beteiligten vorteilhaft wäre - ein Grund für mich für Westerwelles Verbleib im Amt zu sein.
Ich möchte gerne zurück zu einer Politik, in der über die Sache gestritten wird und nicht irgendwelche Dinge aus dem Kontext gerissen und als Vorwand für ganz andere Dinge verwendet werden. Es stört mich gewaltig, dass Sachfragenb mit Entscheidungsspielraum zu moralischen Fragen aufgeblasen werden ("Kein Krieg", "Man kann die Demokratie nicht herbeibomben") aber die gleichen Leute zu einer anderen Zeit, sei es beim Thema Kosovo oder Libyen, dann doch wieder ganz andere Positionen einehmen. Natürlich nicht ohne wieder das ganz große Rad zu drehen ("Ein zweites Ausschwitz verhindern"; Bei aller Verachtung für Gaddafi, wo drohte in Lybien ein Völkerkrieg?). Und jetzt nehmen wir mal an Westerwelle trete deswegen zurück. Die nächste Frage die gestellt würde, wäre "Ja, jetzt musste Westerwelle zurücktreten aber ist er nicht nur ein Bauernopfer? War es nicht die Kanzlerin, die die Enthaltung beschloss?"
Und nebenbei fühle ich Mitleid mit Westerwelle. Mir ist kein Politiker bekannt, der so unfair behandelt wurde wie er. Er kann machen was er will, er wird dafür an den Pranger gestellt.
Zitat von Zettel... und ganz gewiß rechtfertigt sie nicht eine Ablösung Westerwelles.
Diese ist aus anderen Gründen erforderlich; und am besten wäre der Weg, daß der Minister in Würde seinen Hut nimmt, statt auszuharren, bis es nicht mehr geht.
Diplomatie ist die höchste Form der Lüge. Es ist ein Pluspunkt für Westerwelle, wenn er ausgerechnet an ihr scheitert, allerdings auch die bestätigung der Annahme, dass er als Außenminister völlig untauglich ist. Wie und warum es zur Enthaltung im UN-Sicherheitsrat kam, ist mir weiterhin rätselhaft, allerdings sollte man dabei nicht übersehen, dass die FDP die Partei ist mit den besten Beziehungen zur "islamischen" Welt. Seine mehr als demonstrative Unterstützung eines EU-Beitritts der Türkei gehört mit dazu.
Wenn allerdings die ZEIT Westerwelle ans Bein pinkelt, ist es natürlich für mich ein Aufruf uneingeschränkte Solidarität mit ihm zu üben, da kann er ein noch so großer Idiot sein.
Zitat von DrNickIst es, lieber Zettel, wirklich gesichert, daß Westerwelle unbedingt Außenminister werden wollte? Das wird zwar immer behauptet und ist sicher auch nicht ganz unplausibel, aber einen echten Beleg dafür habe ich noch nicht gesehen. Vielleicht hat Westerwelle das Außenministerium nur deswegen übernommen, weil kein anderes attraktives Ministerium mehr übrig blieb? Es gab ja mehrere Berichte aus den Koalitionsverhandlungen, denen zufolge Angela Merkel darauf insistiert hat, daß die Union das Finanzministerium übernimmt. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung ist also nicht unbedingt an Westerwelle gescheitert.
Ich sehe da mehrere Szenarien. Das eine wäre die von Ihnen durchaus plausibel dargestellte Möglichkeit. Die andere die traditionelle Rolle des Außenministers als Vizekanzler, besetzt durch den Spitzenkandidaten des kleineren Koalitionspartners. Desweiteren ziehe ich aber auch eher eigenützige Motive in Betracht, die vom erhofftem Popularitäts-Schub durch das bisher so angesehen Amt bis hin zu einem gewollten Einreihen in die teilweise verdienstvolle FDP-Außenminister-Riege reichen.
An für sich dürfte sich heute kein ehrgeiziger Spitzenpolitiker mit Gestaltungswillen noch sehenden Auges dieses Ressort aufdrängen lassen. Westerwelle hätte wissen können und müssen, dass die Außenpolitik längst zu einer vorzugsweise auf Gipfeln ausdiskutierten "Chefsache" geworden ist. Die Entmachtung zieht sich ja runter bis in die diplomatischen Ränge, vor einigen Monaten las ich einen Artikel mit den Klagen eines deutschen Botschafters, dessen jahrelang übliche diplomatische Arbeit immer mehr "nach oben" wegdelegiert wird, warscheinlich um den Bedeutungsverlust des Auswärtigen Amts in irgend einer Form auszugleichen.
Zitat von Andreas RinkeDer Bundesregierung ist spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, dass sie sich in einem unauflösbaren Dilemma befindet. Sie kann auf den Wunsch der Partner eingehen und einem Militäreinsatz trotz der erheblichen inhaltlichen Bedenken Merkels, Westerwelles und de Maizières zustimmen. Die Folge wäre eine innenpolitische Debatte. Zumindest an diesem Punkt spielt die anstehende Landtagswahl in Baden-Württemberg bei der Abwägung eine Rolle. Denn Tag für Tag haben die Spitzen der Regierung bei ihren Wahlkampfauftritten die ablehnende Haltung ihrer Wähler in der Frage zu spüren bekommen. Die Alternative ist: Die Bundesregierung steht zu ihren Bedenken und geht das Risiko ein, nicht mit den engsten außenpolitischen Partnern zu stimmen.
Wenn ich die Kommentare zu den Berichten zu Libyen lese, hat sich die Stimmung nicht wesentlich geändert, allerdings hätten die Herren Journalisten bei einem Außenminister Fischer oder Steinmeier und eine Präsidenten Bush vermutlich anders berichtet.
Zitat von DrNickUnd zum Thema Libyen: Mich irritiert ein wenig, daß Westerwelle für die Entscheidung der Bundesregierung so sehr geprügelt wird, während es ja Schröder vielfach als ganz großes Verdienst angerechnet wird, daß er "uns aus dem Irak-Krieg herausgehalten" hat, obwohl sich Deutschland damit ebenfalls gegen seine Verbündeten stellte. Für Fischer scheint die Ablehnung des Irak-Kriegs sogar so zentral zu sein, daß er sein "Nein" in Form des schlichten englischen Satzes "I am not convinced" gleich als Titel seiner Erinnerungen gewählt hat (die übrigens so schöne Sätze wie "Ich war nach diesen Worten des Kanzlers, obgleich noch immer in der Unterwäsche, sofort hellwach" enthält).
Da scheint man doch klar mit zweierlei Maß zu messen. Wenn Westerwelle sich für einen Einsatz in Libyen ausgesprochen, hätte man das sicher auch als Ausweis mangelnder Kompetenz dargestellt.
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, lieber DrNick.
Es ist ja nachgerade grotesk, wie just diejenigen, die den Irak-Feldzug voll moralischer Empörtheit verurteilt haben, jetzt mit derselben Empörtheit verurteilen, daß wir uns am Libyen-Feldzug nicht beteiligen. Mal steht man auf dieser, mal auf jener Seite; aber immer mit dem vollen Gewicht politischer Moral ("Schande" schreiben Lau und Ulrich).
Noch inkonsistenter ist der Umgang mit dem Völkerrecht. Den Koalitionstruppen im Irak wurde ein "völkerrechtswidriger Angriffskrieg" vorgeworfen, weil man behauptete, daß Resolution 1441 die Invasion nicht decke (die von den USA eingebrachte weitergehende Resolution, die sie explizit autorisieren sollte, war bekanntlich an Deutschland, Frankreich und Rußland gescheitert).
Jetzt verstoßen England und Frankreich gegen die Resolution 1973, die in Artikel 4 den Einsatz von Bodentruppen ausdrücklich untersagt ("excluding a foreign occupation force of any form on any part of Libyan territory"). Aber kein Hahn kräht danach.
Zitat von dirkUnd nebenbei fühle ich Mitleid mit Westerwelle. Mir ist kein Politiker bekannt, der so unfair behandelt wurde wie er. Er kann machen was er will, er wird dafür an den Pranger gestellt.
Das geht mir auch so, lieber Dirk. Ich habe deshalb lange gezögert, diesen Artikel zu schreiben und mich überhaupt lange mit Kritik an Westerwelle zurückgehalten. Ich hatte vor Monaten schon einmal Artikel "Westerwelle muß weg" fertig und habe ihn dann abgeschwächt und die Überschrift geändert.
Aber wichtiger als Westerwelle ist die FDP. Mir scheint die konkrete Gefahr zu bestehen, daß sie zu einer Splitterpartei wird, mit kaum mehr Wählern als die Rechtsextremen zusammen (man wird das in Berlin sehen). Und solange Westerwelle für die FDP steht, wird sie auf keinen grünen Zweig kommen.
Das ist ungerecht. Aber es ist nun einmal so. Die Personalie Westerwelle ermöglicht die jetzt laufende Kampagne, deren Ziel es ist, die FDP endgültig fertigzumachen.
Nun kann man einwenden, daß es aber doch in allen demokratischen Rechtsstaaten eine liberale Strömung gibt, neben einer konservativen und einer linken, *und daß deshalb die FDP als politische Kraft schon erhalten bleiben wird*.
Aber zum einen ist Deutschland eben nicht wie jedes andere Land. Es fehlt ihm die konservative Strömung. Und die linksliberale ist inzwischen - jedenfalls bei den Wählern - in der grünen Partei beheimatet.
Die FDP muß wieder auf die Beine kommen, und zwar schnell, wenn sie nicht ausgezählt werden soll. Das geht nur, wenn Westerlinie aus der Schußlinie genommen wird. Wenn überhaupt.
Herzlich, Zettel
Edit: Satzteil zwischen ** zur Erläuterung nachträglich eingefügt.
Zitat von ZettelEs ist ja nachgerade grotesk, wie just diejenigen, die den Irak-Feldzug voll moralischer Empörtheit verurteilt haben, jetzt mit derselben Empörtheit verurteilen, daß wir uns am Libyen-Feldzug nicht beteiligen. Mal steht man auf dieser, mal auf jener Seite; aber immer mit dem vollen Gewicht politischer Moral ("Schande" schreiben Lau und Ulrich).
Zitat von Zettel Das ist ungerecht. Aber es ist nun einmal so. Die Personalie Westerwelle ermöglicht die jetzt laufende Kampagne, deren Ziel es ist, die FDP endgültig fertigzumachen.
Und genau weil "die Vernünftigen" öfter mal vor den Kampagnen einknicken, haben Kampagnen überhaupt Aussicht auf Erfolg. Ich bin kein Fan von Helmut Kohl, aber sein "Aussitzen" und das berühmte "Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter" haben vielen Kampagnenversuchen den Wind aus den Segeln genommen.
Wenn Westerwelle weg ist, wird halt die nächste Kampagne inszeniert. Es ist ja gerade das Merkmal einer Kampagne, dass sie keinen wirklichen, stichhaltigen Anlass braucht. Wir erleben hier eine einmalige Anti-FDP-Kampagne, und die wird personenunabhängig durchgezogen. Schon als Westerwelle in der Opposition die Ihrer Meinung nach gute Wirtschafts- und Finanzpolitik forcierte, war das Medienecho ja verheerend.
Im Übrigen halte ich mindestens die Außenminister Kinkel, Fischer und Steinmeier für schlechter als Westerwelle (bezogen auf ihre ersten zwei Jahre in der Regierung).
Ich glaube nicht, dass sich die FDP in Regierungsverantwortung noch konsolidieren kann. Zum einen fehlt ihr dazu der Mut(evtl. auch das Personal) und zum anderen bleibt sie solange im negativen Fokus der Medien bis sie in der Opposition ist(hoffentlich noch im Bundestag). Westerwelle hätte mit dem Umbau der Partei vor einigen Monaten abtreten sollen, anstatt das Amt des Außenministers zu behalten, aber er gehört anscheinend nicht zu den Großen, die erkennen, wann ihre Zeit um ist und sich in Würde zurück ziehen.
Die Sache mit Libyen ist die größte Heuchelei der deutschen Medien überhaupt. Es gab wohl sehr wahrscheinlich Luftschläge die zivile Ziele getroffen haben, es wurde Gaddafi "weggebombt" was so nur mit sehr, sehr viel gutem Willen noch von der UN-Resolution gedeckt ist. Jetzt haben Rebellen gesiegt von denen niemand so recht weiß wer sie sind und ob sie das Land führen können während tausende von Gaddafi Soldaten und Unterstützern anscheinend abgetaucht sind. Ich bin mir recht sicher, hätte es eine deutsche Beteiligung gegeben, hätten wir eine völlig andere Berichterstattung. Die Bundeswehr hat ja schon riesige Probleme mit den Medien wenn sie einen entführten Tanklaster bombardieren lässt, wo mitten in der Nacht irgendwo im Nirgendwo angeblich dutzende Zivilisten herum stehen...
Zitat Mir fällt auf, dass die amerikanische Administration extrem sensibel ist bei diesem Thema und auch wahrgenommen hat, dass diese Position nicht allein vom deutschen Außenminister eingenommen wurde, sondern die gesamte deutsche Regierung diese Position vertreten hat, und die amerikanische Regierung auch von vielen Seiten aus, auch Delegationen, die in Berlin gewesen sind, auch auf Beamtenebene, in einer ziemlich überheblichen Weise belehrt worden sind, was man mit der NATO machen kann und was man mit ihr nicht machen kann, und da haben sich offensichtlich nicht nur Herr Westerwelle geirrt, sondern auch andere in der Regierung, und das ist in Washington nicht vergessen, das wird ein Thema bleiben und das stellt eben die Frage nach der Zuverlässigkeit der deutschen Außenpolitik.
Insofern gebe ich Zettel mit seiner Rücktrittsbegründung "nicht wegen Libyen" durchaus Recht... außerdem wirft die Aussage von Merz, der ja als Vorsitzender der Atlantikbrücke durchaus einen detailierten Einblick haben dürfte, auf die gesamte Regierung ein bedenkenswertes Licht, was man ja aber bereits von Altkanzler Kohl in ähnlicher Form gehört hat.
In der FDP dürfte die Diskussion um Westerwelle nach den vorauss. verloren LTW in M-V und Berlin nochmals an Fahrt gewinnen...allerdings: Ausgang offen. Bisher hat er sich noch immer aus der Affäre gezogen und totgesagte leben bekanntlich länger. Entweder Rösler und Lindner wagen noch in diesem Jahr den Neuanfang, oder er wird nicht mehr notwendig sein.
Zitat von isildurWesterwelle hätte mit dem Umbau der Partei vor einigen Monaten abtreten sollen, anstatt das Amt des Außenministers zu behalten, aber er gehört anscheinend nicht zu den Großen, die erkennen, wann ihre Zeit um ist und sich in Würde zurück ziehen.
Das hätte das Problem der falschen Ressortverteilung, das den Kern vieler Schwierigkeiten darstellt, in denen die FDP zur Zeit steckt, auch nicht gelöst. Diejenigen, die sich jetzt selbst als Nachfolger in Stellung bringen, lassen auch nicht viel Besseres erwarten. Es bleibt dabei: Die Zeit, in der das Amt des Außenministers die ideale Besetzung für den Koalitionspartner war, ist vorbei. Außenpolitik ist jetzt "Chefsache", weil sich Kanzlerinnen nicht mehr so gerne mit den Niederungen von Wirtschafts- und Finanzpolitik befassen und stattdessen fast ausschließlich auf bunte Bilder setzen, die sie umgeben von anderen wichtigen Menschen zeigen.
Heute ist der Finanminister die nach dem Kanzler zweitwichtigste Person im Kabinett. Es war der schwere politische Fehler der FDP, nicht auf dieses Amt zu bestehen. Dass Merkel ihr den Posten nicht geben wollte, bestätigt das nur.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von Zettel Mir scheint die konkrete Gefahr zu bestehen, daß sie zu einer Splitterpartei wird [...]Die Personalie Westerwelle ermöglicht die jetzt laufende Kampagne, deren Ziel es ist, die FDP endgültig fertigzumachen.
Die Kampagne würde auch ohne Westerwelle laufen. Was er braucht ist ein Thema. Vielleicht koennte er sich mit dem britischen Aussenmminister und osteuropäischen Ländern absprechen für einen Plan wie die EU in Zukunft aussehen soll.
Ich würde Ihnen zustimmen, wenn es eine Perspektive nach Westerwelle gäbe. Aber die sehe ich nicht. Keiner der gehandelten Kandidaten hat das Format (Hoyer? Au weia!) und - ich weiss, Sie hören das nicht gerne - wie hätten immer noch Merkel, die der FDP keinen Stich lässt und dabei auch noch die CDU ruiniert.
Ich gehe hier mit einigen meiner Vorkommentatoren d'accord, dass Herr Westerwelle für die schlechte Beurteilung seiner Politik durch die deutsche Presse nur zum geringsten Teil selbst Schuld trägt.
Ich würde es mit dem alten Witz ausdrücken: Er könnte übers Wasser laufen, und man würde sagen: "Seht ihr? Schwimmen kann er auch nicht!"
Den Vorwurf, Herr Westerwelle hätte keine Konzeption von den Zielen einer deutschen Außenpolitik finde ich (gelinde gesagt) merkwürdig. Es ist doch gerade das Wesen der Außen"politik", dass sie sich dem Wollen der politisch Handelnden entzieht. Wenn man unter Politik die Durchsetzung des eigenen Gestaltungswillen mit Mitteln der legalen Macht versteht, dann zeigt sich, dass ein Politiker eben jenseits des eigenen Machtbereichs keine echten Gestaltungsmöglichkeiten hat. Und daher auf Änderungen der außenpolitischen Konstellationen immer nur reaktiv reagieren kann.
Was waren denn die deutschen Ziele und Prämissen der Außenpolitik unter Schröder/Fischer in Bezug auf das Verhältnis zu Amerika? Erst sprach man von "uneingeschränkter Solidarität", dann wollte man "an keinen Abenteuern teilnehmen", aber Überflugrechte hat man, als guter Bündnispartner, dann doch gewährt....
Daher ist der jetzige Vorwurf an Herrn Westerwelle, er würde einen außenpolitischen Eiertanz hinlegen, nur der generellen Ablehnung des deutschen Parteiliberalismus durch die deutsche Presse geschuldet.
Am Elend der FDP ist daher die Partei selbst nur zu einem geringen Teil schuld, ihre größte "Schuld" ist, dass sie nicht erkennt, dass sie in Deutschland täglich einen Kampf gegen das vereinte Ressentiment des links-grünen Meinungsmainstreams führen müsste, für welches der Liberalismus/die Marktwirtschaft die Wurzel allen Übels ist.
Die FDP will eine "Deutsche" "Liberale" Partei sein; und ich denke, kaum ein Verteter der FDP ist sich bewußt, welch einen starken Gegensatz diese beiden Adjektive mit Hinblick auf die deutsche Geschichte eigentlich bilden.
Zitat Ist es, lieber Zettel, wirklich gesichert, daß Westerwelle unbedingt Außenminister werden wollte? Das wird zwar immer behauptet und ist sicher auch nicht ganz unplausibel, aber einen echten Beleg dafür habe ich noch nicht gesehen. Vielleicht hat Westerwelle das Außenministerium nur deswegen übernommen, weil kein anderes attraktives Ministerium mehr übrig blieb? Es gab ja mehrere Berichte aus den Koalitionsverhandlungen, denen zufolge Angela Merkel darauf insistiert hat, daß die Union das Finanzministerium übernimmt. Die von Ihnen vorgeschlagene Lösung ist also nicht unbedingt an Westerwelle gescheitert.
Die Ressort-Verteilung ist letztenendes ein Verhandlungsergebnis.
Und 2009 hatte die FDP ja grundsätzlich eine sehr gute Verhandlungsposition. Sie hatte ein unglaublich starkes BT-Ergebnis, die Union ein recht schwaches. Und für die CDU-Mitgliederschaft war klar die FDP der bevorzugte Koalitionspartner. Es gab vor 2009 ja nicht einmal einen zwingenden Unions-Kandidaten für das Finanz-Ressort. Schäuble war doch eigentlich für alle eher überraschend. Hätte Westerwelle auf dem Finanz-Posten bestanden, hätte er ihn bekommen, davor bin ich überzeugt.
Er wollte aber unbedingt ins Außenamt. Und das war sein entscheidender politischer Fehler. Das Kalkül war vermutlich, dass Außenminister in Deutschland meist sehr beliebt sind und sich dies positiv auf das Image Westerwelles und der FDP auswirken würde. Dass dieses Kalkül nicht aufgegangen ist, lag m.E. weniger an Westerwelle selbst (der ist auch nicht schlechter als Kinkel und eindeutig seriöser und professioneller als Fischer). Auch nicht an der zu dominierenden Kanzlerin (schon immer haben Kanzler Außenpolitik als Chefsache betrachtet. Das war unter Adenauer nicht anders als unter Kohl oder unter Schröder. Genscher durfte z.B. Kohls 10-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung aus der Zeitung erfahren). Sondern an einer Medienmeute, die sich auf die Person Westerwelle eingeschossen hat. Diese Meute hat Westerwelle wohl unterschätzt.
Zitat von FlorianSondern an einer Medienmeute, die sich auf die Person Westerwelle eingeschossen hat. Diese Meute hat Westerwelle wohl unterschätzt.
Richtig. Man muss sich nur mal daran erinnern, dass eine Welle der Empörung durchs Land ging, weil Westerwelle seinen Lebenspartner mit ins Ausland nahm und - man höre und Staune - sogar eine Delegation von Wirtschaftsvertretern unter denen - igitt igitt - sogar ein paar Vertraute waren. Nein unter einem anderen FDP Aussenminister sähe das nicht anders aus. Erst recht nicht, wenn sich die FDP neben der Liberalität in Wirtschaftsfragen ein rechtskonservatives Profil in Gesellschaftsfragen zulegen würde.
Daß Westerwelle vor der Wahl öffentlich den Anspruch auf das Amt des Außenministers erhoben hat, wollte ich auch nicht bezweifeln. Es wäre eine extreme Überraschung gewesen, wenn er das nicht getan hätte. Meine Frage war hingegen, ob er dieses Amt wirklich haben wollte oder es faute de mieux übernommen hat. Es lassen sich ja zwei mögliche Geschichten erzählen:
a) Westerwelle hat das Amt beansprucht, dieses aber nur als Verhandlungsmasse betrachtet, und dabei den Plan verfolgt, es an die Union (vielleicht an die CSU) abzugeben, um im Gegenzug den Bereich Wirtschaft und Finanzen komplett in die Hand der FDP zu bekommen. Da die Kanzlerin ihr Veto eingelegt hat, ist er notgedrungen Außenminister geworden.
b) Westerwelle wollte wirklich Außenminister werden. Er sah sich in der Ahnenreihe von Genscher und Co. und hoffte, auf diesem Wege endlich einmal ein beliebter Politiker zu werden. Leider ist der Plan überhaupt nicht aufgegangen.
Version b) ist die üblicherweise verbreitete und wäre für Westerwelle ein intellektuelles wie auch charakterliches Armutszeugnis. Ich bin mir nur nicht völlig sicher, daß diese Version stimmt.
Zitat von Zettel Mir scheint die konkrete Gefahr zu bestehen, daß sie zu einer Splitterpartei wird [...]Die Personalie Westerwelle ermöglicht die jetzt laufende Kampagne, deren Ziel es ist, die FDP endgültig fertigzumachen.
Die Kampagne würde auch ohne Westerwelle laufen. Was er braucht ist ein Thema.
Zitat Erstens ist das nicht sein Fach. Sein politisches Interesse, seine Leidenschaft galten immer der Gesellschafts- und der Wirtschaftspolitik sowie der Finanzpolitik, die er im Wahlkampf 2009 in den Vordergrund stellte.
Nur als Fußnote, um einer Legendenbildung vorzubeugen: Westerwelle ist auch in der Finanzpolitik alles andere als "vom Fach". Er ist ein rhetorisch und strategisch begabter Generalist, der das tiefere Eindringen in ein politisches Fachgebiet zu allen Zeiten gescheut hat. Für einen Generalsekretär, Fraktions- und Parteichef und Oppositionsführer ist das ja auch richtig. Als Minister kommt man dann allerdings ohne eine gewisse Detailkenntnis nicht aus.
Es mag sein, dass die FDP auf dem Finanzministerium hätte bestehen sollen. Dann aber nicht etwa, weil das Westerwelles Spezialgebiet wäre. Sondern weil es die Machtbalance in der Koalition entscheidend verändert hätte.
Richtig ist, dass Westerwelle im Wahlkampf ständig über Steuersenkungen geredet hat. Allerdings hat er dabei durch seine platte und oberflächliche Argumentation auch ganz maßgeblich zu dem Eindruck beigetragen, dass die FDP nur eine hohle Parole ("Mehr netto vom brutto") anzubieten hat und gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielt.
Zitat von DrNickMeine Frage war hingegen, ob er dieses Amt wirklich haben wollte oder es faute de mieux übernommen hat.
Ich bin mir recht sicher, daß er es wirklich haben wollte. Es gab im Vorfeld der Wahl innerparteilich einige Diskussionen dazu. Fachlich wäre Wolfgang Gerhardt die erste Besetzung für das AA gewesen, war 2005 auch dafür gesetzt worden (inzwischen aber aus gesundheitlichen Gründen leider nicht wirklich im Rennen). Die allgemeine Insider-Meinung war aber, daß Westerwelle auf diesen Ministerposten bestehen würde.
Und zwar aus zwei Gründen: Genscher hätte darauf bestanden, daß dieser Posten wie "traditionell üblich" vom FDP-Vorsitzenden besetzt würde. Einerseits aus Statusgründen, andererseits weil dieses Ministerium leichter mit dem Parteivorsitz vereinbar wäre als Fachministerien, in denen politische Änderungsprojekte strittig mit der Union betrieben werden müßten.
Und dann war es wohl wirklich so, daß sich Westerwelle endlich eine Stellung wünschte, in der er sich eine gewisse Sympathie aufbauen und nicht mehr vom Haß der Journaille verfolgt werden würde. Und wenn man Westerwelles Werdegang miterlebt hat, dann kann man diesen Wunsch durchaus verstehen. Aber abgesehen davon, daß das natürlich keine wirklich gute Begründung für eine Ministerbesetzung ist - er hat die deutschen Journalisten falsch eingeschätzt. Für die war das erst recht eine zusätzliche Motivation, seine Versuche um Sympathiewerbung im Keim zu ersticken und ihn erst recht fertig zu machen. Denn natürlich hat Zettel recht, daß Westerwelle kein idealer Außenminister ist. Aber besser als Fischer ist er allemal - die Anti-Westerwelle-Kampagne kommt ja auch völlig ohne echte Gründe aus.
Zitat von JunoAllerdings hat er dabei durch seine platte und oberflächliche Argumentation auch ganz maßgeblich zu dem Eindruck beigetragen, dass die FDP nur eine hohle Parole ("Mehr netto vom brutto") anzubieten hat und gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielt.
Die "hohle Parole" ärgert für gewöhnlich nur nicht FDP-Wähler. Die fahren dafür auf andere "hohle Parolen" ab, z.B. dass Hinweise auf das Lohnabstandsgebot "gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielen".
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von ZettelDie FDP muß wieder auf die Beine kommen, und zwar schnell, wenn sie nicht ausgezählt werden soll. Das geht nur, wenn Westerlinie aus der Schußlinie genommen wird.
Frode hat mich per PM auf diesen lustigen Verschreiber aufmerksam gemacht.
Ich lasse ihn so stehen, weil er schön das illustriert, was wir irgendwann einmal diskutiert haben:
Es bietet sich in solchen Fällen eine psychoanalystische Deutung an (ich vermisse bei Westerwelle die Linie. Oder alternativ, wie Frode vermutet: es liegt bei mir "ein schwerer Fall von 'Westerwelle - Allergie'" vor. ). Man kann aber auch schlicht vermuten, daß es sich um einen der klassischen, von der Fehlerlinguistik beschriebenen Verschreiber handelt: Antizipation aufgrund des Worts "Schußlinie", das ich schon für die Wortproduktion aktiviert hatte, als ich mich vertippte.
Und das Fatale ist, daß die eine Erklärung die andere nicht ausschließt, weil Fehler eben multiply determined sind; "überdeterminiert", wie es Freud nannte.
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