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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 50 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Rayson Offline




Beiträge: 2.367

01.09.2011 23:03
#26 RE: Missverständnis über Auswirkung von Steuern Antworten

Zitat von Techniknörgler
Steuern würden die Anbieter von Waren und Dienstleistungen belasten, dabei aber nicht die Kunden. Das stimmt so natürlich nicht.



Richtig.

Zitat von Techniknörgler
Alle Steuern sind zusätzliche Kosten, die an den Kunden weiter gegeben werden.



Das ist so trivial leider nicht. Richtig ist, dass alle Steuern auch verdient werden müssen, denn sonst würden die Anbieter ja vom Markt verschwinden (Ausnahme: Zielgrößensteuern!). Wie aber die Inzidenz im konkreten Einzelfall aussieht, hängt von einigen Dingen ab, die gerne in Angebots- und Nachfragekurven abgebildet werden.

Von Hotelbesitzern hört man z.B. häufig, dass sie die Steuerentlastung eben nicht im gleichen Maß zu Preissenkungen verwendeten (ein Problem "zu hoher Preise" soll ja auch nur an der Landesgrenze bestanden haben), sondern aus den dadurch möglichen Zusatzeinnahmen Investitionen finanzierten.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.09.2011 00:14
#27 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Rayson
Koalitionsausschuss uns Koalitionsvertrag sind ja nur Symptome für den eigentlichen Grund des Zustandes, den du, lieber Zettel, so beklagst: Die Regierung wird von einer Koalition gestellt.

In der zweiten Regierung Adenauer (1953 bis 1957) waren vertreten: Die CDU, die CSU, die FDP, die DP und der BHE. Ohne Koalitionsvertrag. In der momentanen Regierung Fillon sitzen Minister aus drei Parteien (UMP, NC, Les Progressistes). Ebenfalls ohne Koalitionsvertrag.

Ich rüge ja nicht, lieber Rayson, daß die Parteien, die eine Koalition eingehen, verhandeln und sich verständigen. Ich rüge, daß in Deutschland mit typisch deutscher Gründlichkeit dabei Mammut-Papiere entstehen, die alles und jedes regeln und deren Regelungen dann auch noch von den Parteien de facto eingeklagt werden ("Das steht nicht im Koalitionsvertrag", die andere Seite "bricht den Koalitionsvertrag"). Ich rüge, daß der Kanzler nicht frei ist, die Ministerien zu besetzen, sondern dieses Vorrecht an die Führungsgremien der jeweiligen Partei abgetreten hat.

Als Glos zurücktrat, entschied nicht die Kanzlerin über die Nachfolge, sondern Seehofer. Als Guttenberg zurücktrat, hätte die CSU jeden beliebigen Nachfolger ernennen können; die Kanzlerin hätte ihn gehorsam dem Bundespräsidenten vorgeschlagen. Nur weil die CSU niemanden hatte, der Verteidigungsminister werden wollte, kam es zu der Rochade.

Zitat von Rayson
Gut, Merkel ist in der Demütigung ihres "Partners" ja schon recht weit gekommen, aber so bar jeder Selbstachtung ist dann auch die FDP nicht (und wenn dich daran stört, dass es sich um eine Partei handelt, dann nimm meinetwegen die Fraktion), dass sie sich von der Kanzlerin diktieren lassen würde, welche Posten sie mit welchen Leuten zu besetzen habe.

Kein Kanzler hat je diktiert, wer welches Ressort bekommt; übrigens auch nicht in Weimar. Er hat Gespräche geführt, Konsultationen. Dann hat er entschieden. So ist das in einer parlamentarischen Demokratie.

Ich kenne überhaupt kein Land, in dem die Koalitionsparteien "ihre" Ressorts besetzen, ohne daß der Regierungschef - der Kanzler, der Ministerpräsident, der Premierminister - das beeinflussen kann. Kennst du eines?

Zitat von Rayson
Die Regierung ist noch nicht zwei Jahre im Amt. In dieser Zeit haben wir bereits gesehen: den 2. Wirtschaftsminister, den 2. Gesundheitsminister, die 2. Ministerin für Frauen und Gedöns, den/die 2. Minister/in für Arbeit und Soziales, den 2. Innenminister und sogar den 3. Verteidigungsminister. Für diese Ämter ist ein Schnitt von einem neuen Minister pro Jahr doch nicht so übel, oder?

Sehr übel ist das, lieber Rayson. Denn in keinem dieser Fälle hat die Kanzlerin von sich aus das Kabinett umgebildet, sondern immer kamen Minister abhanden. In dem Artikel habe ich das so illustriert: Der Kanzler ist ein Flickschneider, der Löcher zunäht; kein Maßschneider, der einen neuen Maßanzug schneidern darf.

Herzlich, Zettel

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

02.09.2011 00:26
#28 RE: Missverständnis über Auswirkung von Steuern Antworten

Zitat

Von Hotelbesitzern hört man z.B. häufig, dass sie die Steuerentlastung eben nicht im gleichen Maß zu Preissenkungen verwendeten (ein Problem "zu hoher Preise" soll ja auch nur an der Landesgrenze bestanden haben), sondern aus den dadurch möglichen Zusatzeinnahmen Investitionen finanzierten.



Kategorie Qualitätsverbesserung.

Zitat


(Ausnahme: Zielgrößensteuern!)



Könnten Sie näher erläutern, was damit gemeint ist? Mir sagt der Begriff nämlich spontan nichts.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

02.09.2011 01:07
#29 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Ich rüge, daß in Deutschland mit typisch deutscher Gründlichkeit dabei Mammut-Papiere entstehen, die alles und jedes regeln und deren Regelungen dann auch noch von den Parteien de facto eingeklagt werden ("Das steht nicht im Koalitionsvertrag", die andere Seite "bricht den Koalitionsvertrag").



Na ja, diese Regelungen werden ja nicht "eingeklagt", sondern es wird höchstens geklagt, dass sie nicht eingehalten werden. Einen Sanktionsmechanismus gibt es nicht. Koalitionen werden eben so lange fortgeführt, wie die Koalitionspartner das wollen, völlig egal, ob der Koalitionsvertrag befolgt wurde oder nicht. Ich glaube, du überschätzt die Rolle dieses Werkes ganz gewaltig. Es ist zwar *ein* Argument in der Auseinandersetzung, aber je weiter es zeitlich zurückliegt, um so unwichtiger wird es.

Zitat von Zettel
Ich kenne überhaupt kein Land, in dem die Koalitionsparteien "ihre" Ressorts besetzen, ohne daß der Regierungschef - der Kanzler, der Ministerpräsident, der Premierminister - das beeinflussen kann. Kennst du eines?



Ich würde mal die Vermutung wagen, dass es in den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern nicht viel anders ist als bei uns, kann das mangels Sprachkenntnissen aber nicht nachprüfen. Auch die Minister der Liberaldemokraten in Großbritannien werden die sich wohl selbst ausgesucht haben. Und dort gab es sogar, du wirst es kaum glauben, ein "Coalition Agreement". Das ist zwar deutlich kürzer als das deutsche Gegenstück, aber die Jungs und Mädels dort haben auch noch nicht so viel Erfahrung mit Koalitionen . Festgeschrieben wurde aber dennoch einiges. Und in Ungarn ist es üblich, dass die Minister vom Koalitionspartner "vorgeschlagen" werden. Ein Fall, dass auf diese Art und Weise mal ein Vorschlag abgelehnt wurde, ist bislang nicht bekannt geworden.

Nur mal so: Da gibt es also eine Koalition mit zwei Parteien. Der Kanzler/Premier ist Parteichef der einen Partei. Diese Partei besetzt ihre Ministerposten in Eigenregie. Niemand von der anderen Partei funkt ihr dazwischen. Und dann soll ausgerechnet die es dulden, dass der Parteichef ihres Koalitionspartners ihnen in ihre Ministerentscheidungen hineinquatscht? Weil das formal irgendwie so im Grundgesetz steht? Man stelle sich das zu GroKo-Zeiten vor. Was haben wir gelacht.

In Deutschland und anderswo wird kein Premierminister mit seinem Koalitionspartner einen Streit vom Zaun brechen, weil ihm eine von diesem vorgeschlagene Nase nicht (mehr) passt. Jedenfalls nicht, wenn ihm die Koalition noch etwas wert ist. Das mag zu Adenauers Zeiten noch anders gewesen sein, aber durchzuhalten wäre es wohl auf keinen Fall gewesen. Dazu decken sich die Eigeninteressen der Handelnden zu sehr mit dem jetzigen System.

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Rayson Offline




Beiträge: 2.367

02.09.2011 01:12
#30 RE: Missverständnis über Auswirkung von Steuern Antworten

Zitat von Techniknörgler


Könnten Sie näher erläutern, was damit gemeint ist? Mir sagt der Begriff nämlich spontan nichts.



Das wäre eine Steuer, die an die Zielgröße des Entscheiders anknüpft. Grob gesagt wäre das z.B. eine Steuer auf Gewinne (grob, weil wir uns damit die ganze Periodisierungsproblematik einkaufen). Eine solche sollte z.B. keinen Einfluss auf bereits erfolgte optimale Preisentscheidungen haben.

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tekstballonnetje Offline



Beiträge: 236

02.09.2011 02:59
#31 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Rayson

Zitat von Zettel
Ich rüge, daß in Deutschland mit typisch deutscher Gründlichkeit dabei Mammut-Papiere entstehen, die alles und jedes regeln und deren Regelungen dann auch noch von den Parteien de facto eingeklagt werden ("Das steht nicht im Koalitionsvertrag", die andere Seite "bricht den Koalitionsvertrag").



Na ja, diese Regelungen werden ja nicht "eingeklagt", sondern es wird höchstens geklagt, dass sie nicht eingehalten werden. Einen Sanktionsmechanismus gibt es nicht. Koalitionen werden eben so lange fortgeführt, wie die Koalitionspartner das wollen, völlig egal, ob der Koalitionsvertrag befolgt wurde oder nicht. Ich glaube, du überschätzt die Rolle dieses Werkes ganz gewaltig. Es ist zwar *ein* Argument in der Auseinandersetzung, aber je weiter es zeitlich zurückliegt, um so unwichtiger wird es.

Zitat von Zettel
Ich kenne überhaupt kein Land, in dem die Koalitionsparteien "ihre" Ressorts besetzen, ohne daß der Regierungschef - der Kanzler, der Ministerpräsident, der Premierminister - das beeinflussen kann. Kennst du eines?



Ich würde mal die Vermutung wagen, dass es in den Niederlanden oder den skandinavischen Ländern nicht viel anders ist als bei uns, kann das mangels Sprachkenntnissen aber nicht nachprüfen. Auch die Minister der Liberaldemokraten in Großbritannien werden die sich wohl selbst ausgesucht haben. Und dort gab es sogar, du wirst es kaum glauben, ein "Coalition Agreement". Das ist zwar deutlich kürzer als das deutsche Gegenstück, aber die Jungs und Mädels dort haben auch noch nicht so viel Erfahrung mit Koalitionen . Festgeschrieben wurde aber dennoch einiges. Und in Ungarn ist es üblich, dass die Minister vom Koalitionspartner "vorgeschlagen" werden. Ein Fall, dass auf diese Art und Weise mal ein Vorschlag abgelehnt wurde, ist bislang nicht bekannt geworden.




Was den Koalitionsvertrag betrifft, kann ich mit Skandinavien nicht dienen, aber mit den Niederlanden.

In Flandern gibt es so etwas übrigens auch. Inklusive Fotos und Gedöns schlappe 120 Seiten.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

02.09.2011 08:16
#32 RE: Missverständnis über Auswirkung von Steuern Antworten

Zitat von Rayson
(…) Von Hotelbesitzern hört man z.B. häufig, dass sie die Steuerentlastung eben nicht im gleichen Maß zu Preissenkungen verwendeten (ein Problem "zu hoher Preise" soll ja auch nur an der Landesgrenze bestanden haben), sondern aus den dadurch möglichen Zusatzeinnahmen Investitionen finanzierten.



Solche Aussagen kamen von den einschlägigen Verbänden, die ihre Mitglieder befragt haben. Offen gesagt zweifle ich an der Aussagekraft solcher Umfragen. Man wird nie unterscheiden können, ob die Investition vorgezogen wurde, ob sie ohnehin fällig gewesen wäre, ob sie jetzt nachgeholt wurde …

Nebenbei gesagt: Ich würde als IT-Freiberufler auch gern mehr Geld investieren und könnte mir dafür steuerliche Vereinfachungen vorstellen ;-)

Hurz Offline



Beiträge: 96

02.09.2011 09:10
#33 Wie das? Antworten

Zitat von Florian
Die Netto-Preise sind in praktisch jedem Hotel in Deutschland durch die Steuersenkung kräftig gestiegen.



Das verstehe ich nicht. Woher kommt das? Können Sie mir den Zusammenhang näher erläutern?

Fragt

Daddeldu

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.09.2011 10:08
#34 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
In der zweiten Regierung Adenauer (1953 bis 1957) waren vertreten: Die CDU, die CSU, die FDP, die DP und der BHE. Ohne Koalitionsvertrag. In der momentanen Regierung Fillon sitzen Minister aus drei Parteien (UMP, NC, Les Progressistes). Ebenfalls ohne Koalitionsvertrag.


Mir scheint, lieber Zettel, daß Sie die ganze Diskussion nur um eine oberflächliche Formalie führen. Früher waren eben mündliche Absprachen üblich, heute werden die gleichen Inhalte aufgeschrieben.
Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Trend - in den 50ern wurden noch Millionengeschäfte mit Handschlag getätigt, heute jede Transaktion auf Papier festgehalten.

Inhaltlich macht das für den politischen Betrieb überhaupt keinen Unterschied. Absprache oder Vertrag sind nicht einklagbar (deswegen ist "Koalitionsvertrag" eigentlich der falsche Begriff). Im laufenden Geschäft werden die Abmachungen auch dauernd angepaßt und verändert - wenn die Beteiligten den nötigen Konsens finden.

An den Entscheidungsfreiheiten des Kanzlers oder anderer Politiker hat sich kein Jota geändert.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.09.2011 10:20
#35 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
In der zweiten Regierung Adenauer (1953 bis 1957) waren vertreten: Die CDU, die CSU, die FDP, die DP und der BHE. Ohne Koalitionsvertrag. In der momentanen Regierung Fillon sitzen Minister aus drei Parteien (UMP, NC, Les Progressistes). Ebenfalls ohne Koalitionsvertrag.

Mir scheint, lieber Zettel, daß Sie die ganze Diskussion nur um eine oberflächliche Formalie führen. Früher waren eben mündliche Absprachen üblich, heute werden die gleichen Inhalte aufgeschrieben. (...) An den Entscheidungsfreiheiten des Kanzlers oder anderer Politiker hat sich kein Jota geändert.


Ich sehe keinen Hinweis darauf, daß das so ist, lieber R.A.

Mir scheint aber, daß sich unsere Diskussion jetzt a bisserl im Kreis dreht.

Vielleicht kann uns die Empirie weiterhelfen: Gibt es für die Zeit vor 1998 irgendwelche Hinweise auf Vereinbarungen, wonach die Parteien "ihre" Ministerien nach eigenem Gutdünken besetzen konnten, ohne daß der Kanzler darauf Einfluß gehabt hätte?

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

02.09.2011 11:15
#36 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Vielleicht kann uns die Empirie weiterhelfen: Gibt es für die Zeit vor 1998 irgendwelche Hinweise auf Vereinbarungen, wonach die Parteien "ihre" Ministerien nach eigenem Gutdünken besetzen konnten, ohne daß der Kanzler darauf Einfluß gehabt hätte?



Dem Manne kann geholfen werden :

Zitat von "Spiegel" vom 11.01.1993
Als sich die Liberalen am vorigen Freitag in Bonn versammelten, um einen neuen Wirtschaftsminister zu nominieren...


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13679410.html

Zitat von "Spiegel" vom 17.12.1990
Viele Bewerber für wenige Ämter - trotz vieler Anläufe sind sich die Liberalen nicht einig, wer in Kohls Kabinett einrücken darf.


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13502521.html

Zitat von "Spiegel" vom 14.05.1973
Erstaunlicherweise ist die ein gutes Stück näher liegende Frage, warum er überhaupt Bundeswirtschaftsminister werden konnte, in der Tat "kaum aufgetaucht, auch öffentlich nicht. Und die Mitglieder des Parteirates, die damals im Hotel Dreesen seiner von Scheel und Genscher dringlich betriebenen Benennung schließlich zustimmten, wußten -- auch wenn ihnen der mobile Mann aus Mainz unheimlich oder gar suspekt war -- außer dem Parlamentsneuling Otto Graf Lambsdorff einfach keinen potenten und zugleich praktikablen Gegenkandidaten.


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42601712.html

--
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Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

02.09.2011 11:45
#37 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Ich glaube, lieber Rayson, dass Kohl trotzdem die Fäden fester in der Hand hatte. Immerhin hat er es geschafft, Strauß bis zu dessen Tod auf Distanz zu halten. Daraus resultieren auch viele "Erfolge" der FDP in seinen ersten Regierungsjahren, die Hohl in Wirklichkeit nur zugelassen hat, um Strauß zu ärgern!

Gruß Petz

Florian Offline



Beiträge: 3.180

02.09.2011 12:07
#38 RE: Wie das? Antworten

Zitat

Zitat von Florian
--------------------------------------------------------------------------------
Die Netto-Preise sind in praktisch jedem Hotel in Deutschland durch die Steuersenkung kräftig gestiegen.
--------------------------------------------------------------------------------

Das verstehe ich nicht. Woher kommt das? Können Sie mir den Zusammenhang näher erläutern?





Kleines Rechenbeispiel:

Ein Hotelzimmer kostete (vor der Steueränderung) Brutto 100 €.
D.h. Netto 84,03 € + 15,97 € Mwst = Brutto 100,00 €.

Nun kommt die Steuersenkung.
Der Hotelier gibt diese Steuersenkung teilweise an seine Kunden weiter.
(Dies ist deshalb plausibel, weil die Nachfrage etwas preiselastisch ist).
Allerdings sind nach meiner Erfahrung die Preissenkungen nur gering ausgefallen.
Sagen wir einmal: Der Preis wird auf Brutto 98 € gesenkt.

Dann steht auf der Übernachtungsrechung folgendes:

Netto 91,59 € + 6,41 € Mwst = Brutto 98,00 €.


Fazit aus Sicht eines Geschäftsreisenden (für den der Netto-Preis relevant ist):
Die Steuersenkung führte zu einer Preiserhöhung von 84,03€ auf 91,59€.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

02.09.2011 12:32
#39 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Meister Petz
Ich glaube, lieber Rayson, dass Kohl trotzdem die Fäden fester in der Hand hatte. Immerhin hat er es geschafft, Strauß bis zu dessen Tod auf Distanz zu halten. Daraus resultieren auch viele "Erfolge" der FDP in seinen ersten Regierungsjahren, die Hohl in Wirklichkeit nur zugelassen hat, um Strauß zu ärgern!



Mag ja sein, aber nicht kraft Kanzleramt, sondern mit den üblichen politischen Tricks.

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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.09.2011 13:49
#40 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Ich sehe keinen Hinweis darauf, daß das so ist, lieber R.A.


Ja was haben denn Adenauer und Konsorten in den wochenlangen Verhandlungen gemacht - wenn nicht Absprachen?
Und nur weil sie das nicht schriftlich fixiert haben, sind diese Absprachen doch nicht weniger bindend als ein heutiger "Koalitionsvertrag".

Zitat
Vielleicht kann uns die Empirie weiterhelfen: Gibt es für die Zeit vor 1998 irgendwelche Hinweise auf Vereinbarungen, wonach die Parteien "ihre" Ministerien nach eigenem Gutdünken besetzen konnten, ohne daß der Kanzler darauf Einfluß gehabt hätte?


Da hat Rayson schon schöne Beispiele geliefert.

Und das war nicht nur in der Adenauerzeit, sondern schon in der Weimarer Republik so!
Obwohl dort ja noch die Kanzler stark vom Reichspräsidenten abhängig waren, und deswegen auch oft parteilose Minister beriefen. Aber wo es formale Koalitionen gab, benannten die entsprechenden Parteien auch "ihre" Minister.

Belege dazu sind recht schwierig zu googlen, weil meist nur die Ergebnisse der Regierungsbildungen referiert werden. Aber bei Wikipedia (hier natürlich eine problematische Quelle) heißt es z. B. beim Lebenslauf von Julius Curtius: "Die DVP nominierte ihn Anfang 1926 als Reichswirtschaftsminister".

Beispiele finden sich aber auch in der englischen Parlamentsgeschichte im 19. Jahrhundert. Wenn ein Premierminister die Unterstützung einer Parlamentariergruppe braucht (mit Parteien hat das nur bedingt zu tun), dann mußte er natürlich nicht nur auf deren inhaltliche, sondern auch auf die personellen Forderungen eingehen.

lois jane Offline



Beiträge: 662

02.09.2011 15:19
#41 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Eigentlich müßte ich ja Zettels Protest gegen die Abweichung von Verfassung und Praxis zustimmen. Und sollte immer zugunsten der Verfassung aufgelöst werden, nicht (wie neulich von der FAZ in einem mir entfallenen Zusammenhang ganz offen suggeriert) durch Verfassungsänderung. Was treibt mich aber dazu, eher R.A. zuzustimmen?

1. Den Fall Westerwelle könnte ein Revirement nicht lösen, denn dieser hat sich selbst ins Abseits gestellt und wäre auch an keinem anderen Ressort interessiert.

2. Ein Revirement ist in der Verfassung sowenig vorgesehen wie ein Koalitionsvertrag. Beides wird nicht erwähnt, ist aber auch nicht "verboten". Allerdings frage ich mich, warum ein Revirement eigentlich angestrebt werden soll.

3. Es ist nichts neues und keinesfalls etwas, was auf Rot-Grün zurückgeht. Parteienproporz spielte auch bei Umbildungen unter Kohl und früher eine Rolle, auch unter Adenauer: so folgte etwa dem Innenminister Heinemann (CDU) der CDU-Mann Lehr, dem Aufbauminister Wildermuth (FDP) der FDP-Mann Neumayer (1. Kabinett), dem Bundesratsminister Hellwege (DP) der DP-Mann Merkatz (2. Kabinett). Allerdings waren die früheren Kanzler (vor Schröder und Merkel) stärkere Führungspersönlichkeiten, so daß dergleichen durchsetzen konnten. Merkel und Schröder können bzw. konnten dies noch nicht einmal in der eigenen Partei.

4. Was historische Vergleiche angeht, ist gerade den Fall Adenauer 1956 ein extrem schlechtes Beispiel. Nicht hatte Adenauer damals eine stärke Stellung als Schröder und Merkel in der eigenen Partei und in der Politik insgesamt, die ihm nach dem Austritt der FDP verbliebenen Parteien waren eben schwache Partei - die DP kämpfte gegen die völlige Vereinahmung durch die CDU, während die FVP als FDP-Abspaltung keinerlei unabhängige Basis hatte.

Kein Kommentar!

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

02.09.2011 15:56
#42 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von lois jane
die DP kämpfte gegen die völlige Vereinahmung durch die CDU, während die FVP als FDP-Abspaltung keinerlei unabhängige Basis hatte.


Ganz richtig, die Rahmenbedingungen waren andere.

Das schwankte ja auch in der Weimarer Republik sehr stark (und das war die Zeit, in der Adenauer Politik gelernt hatte): Es gab Kabinette, die hatten gar keine Parteienbasis im Parlament, die verwalteten nur oder lavierten mit wechselnden Mehrheiten. Da konnte sich der Kanzler natürlich die Minister halbwegs aussuchen (oft mußte er dabei aber auf den Präsidenten hören).

Und dann gab es Phasen mit formalen Koalitionen, in denen die sie tragenden Parteien eine gemeinsame Mehrheit im Parlament hatten und sich für eine dauerhafte Zusammenarbeit vereinbart hatten (dauerhaft konnte auch schnell zu Ende sein, aber es war eben auf Dauer angelegt, nicht auf wechselnde Mehrheiten).
Und in solchen Koalitionen wurden natürlich auch die Ministerien aufgeteilt und von den jeweiligen Parteien besetzt.

Ich entsinne mich dunkel, daß eine Regierungsbildung von Marx u.a. daran gescheitert ist, daß die DNVP Stresemann nicht mehr als Außenminister wollte.
Wohlgemerkt: Der Kanzler hätte das akzeptiert, und die DNVP wollte auch nicht das Ressort für sich. Aber das Ministerium war eben in DVP-Hand, und die war nicht bereit, ihren Minister zu ersetzen.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

02.09.2011 18:36
#43 RE: Missverständnis über Auswirkung von Steuern Antworten

Zitat von stefanolix
Solche Aussagen kamen von den einschlägigen Verbänden, die ihre Mitglieder befragt haben.



Auch. Mein Cousin kennt aber einige Hoteliers persönlich, und von dem habe ich diese Info.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.09.2011 23:10
#44 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von R.A.

Zitat von Zettel
Ich sehe keinen Hinweis darauf, daß das so ist, lieber R.A.


Ja was haben denn Adenauer und Konsorten in den wochenlangen Verhandlungen gemacht - wenn nicht Absprachen?


Mein "daß das so ist", lieber R.A., bezog sich auf Ihr "An der Entscheidungsfreiheit des Kanzlers hat sich kein Jota geändert". Ich bleibe dabei: Adenauer hatte eine erhebliche größere Entscheidungsfreiheit bei der Besetzung der Ministerien als heute die Kanzlerin. Es gab nicht die Regelung, daß die Parteien wen immer sie wollten in das Kabinett entsenden konnten. Aber wie schon gesagt: Wir drehen ums im Kreise.

Zitat von R.A.

Zitat
Vielleicht kann uns die Empirie weiterhelfen: Gibt es für die Zeit vor 1998 irgendwelche Hinweise auf Vereinbarungen, wonach die Parteien "ihre" Ministerien nach eigenem Gutdünken besetzen konnten, ohne daß der Kanzler darauf Einfluß gehabt hätte?


Da hat Rayson schon schöne Beispiele geliefert.


Das muß ich mir noch ansehen und gehe dann dort darauf ein.

Zitat von R.A.
Beispiele finden sich aber auch in der englischen Parlamentsgeschichte im 19. Jahrhundert. Wenn ein Premierminister die Unterstützung einer Parlamentariergruppe braucht (mit Parteien hat das nur bedingt zu tun), dann mußte er natürlich nicht nur auf deren , sondern auch auf die personellen Forderungen eingehen.

Auch da wieder , lieber R.A. Ich bestreite ja nicht, daß die Koalitionspartner ihre personellen Vorstellungen hatten. Ich bestreite nur, daß es schon immer so Usus, war, daß über diese nicht verhandelt wurde, sondrn daß es allein Sache der jeweiligen Partei war, wen sie auf welchen Ministerposten "entsendet".

Und das liegt daran, daß die Ressorts eben nicht per Vertrag den Parteien für die gesamte Legislaturperiode zur Verfügung gestellt wurden; sondern im Zug eines Revirements konnte sich das ändern. Wie bei dem Beispiel von 1956, als Adenauer den - so sagte man damals - "glücklosen" Theodor Blank (CDU-Sozialausschüsse) fallenließ, der die Bundeswehr als vormaliger Leiter des "Amts Blank" aufgebaut hatte, und ihn durch den jungen, ergeizigen Atomminister Franz-Josef Strauß (CSU) ersetzte.

Was er übrigens schon bald bereute. Ich habe den Briefwechsel Adenauers aus dieser Zeit gelesen; da ging er Alte hart ins Gericht mit der Impertinenz, mit der Strauß sofort versuchte, seine Vorstellungen durchzusetzen. - Aber das nur nebenbei.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.09.2011 23:59
#45 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Rayson

Zitat von Zettel
Vielleicht kann uns die Empirie weiterhelfen: Gibt es für die Zeit vor 1998 irgendwelche Hinweise auf Vereinbarungen, wonach die Parteien "ihre" Ministerien nach eigenem Gutdünken besetzen konnten, ohne daß der Kanzler darauf Einfluß gehabt hätte?



Dem Manne kann geholfen werden :

Zitat von "Spiegel" vom 11.01.1993
Als sich die Liberalen am vorigen Freitag in Bonn versammelten, um einen neuen Wirtschaftsminister zu nominieren...


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13679410.html

Zitat von "Spiegel" vom 17.12.1990
Viele Bewerber für wenige Ämter - trotz vieler Anläufe sind sich die Liberalen nicht einig, wer in Kohls Kabinett einrücken darf.


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13502521.html

Zitat von "Spiegel" vom 14.05.1973
Erstaunlicherweise ist die ein gutes Stück näher liegende Frage, warum er überhaupt Bundeswirtschaftsminister werden konnte, in der Tat "kaum aufgetaucht, auch öffentlich nicht. Und die Mitglieder des Parteirates, die damals im Hotel Dreesen seiner von Scheel und Genscher dringlich betriebenen Benennung schließlich zustimmten, wußten -- auch wenn ihnen der mobile Mann aus Mainz unheimlich oder gar suspekt war -- außer dem Parlamentsneuling Otto Graf Lambsdorff einfach keinen potenten und zugleich praktikablen Gegenkandidaten.


http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42601712.html


Danke für die Mühe, lieber Rayson. Es gab diese Praxis also in der Tat schon früher; daran hatte ich mich nicht erinnert.

Jetzt habe ich mich auch noch a bisserl umgesehen und zum Beispiel im "Spiegel" vom 10. 6. 1985 dies gefunden:

Zitat
"Es wäre sein persönliches Mogadischu gewesen", bedauerte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vor Mitarbeitern die verpaßte Gelegenheit. Im Oktober 1977 hatte sich ein von Arbeitslosigkeit, Energiekrise und Parteiquerelen bedrängter SPD-Kanzler Helmut Schmidt mit dem Befehl, im Handstreich die Geiseln aus der Lufthansa-Boeing "Landshut" zu befreien, den Bonner Alltagsnöten entwunden und bei Wählern wie Gegnern Achtung und Zustimmung gewonnen.

Ein ähnlicher Durchbruch, davon ist Geißler überzeugt, wäre auch Kohl gelungen, hätte er nur die Courage gezeigt, den stärksten Mann der CSU im Bonner Kabinett wegen Meuterei zu feuern: CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann hatte dem Regierungschef im Fernsehen Führungsschwäche vorgehalten und damit den eigenen Unionsfreunden - vom Stammtisch bis in die Parteiversammlung - die Stichworte für die Schelte am eigenen Kanzler geliefert.

Am Morgen nach der öffentlichen Demütigung bestürmten führende CDU-Politiker telephonisch den Kanzler, er dürfe diese Provokation nicht dulden, er müsse den Minister entlassen.

Es war also 1985 noch durchaus üblich, daß der Kanzler einen Minister "entlassen" konnte, selbst wenn er von der Partei eines Koalitionspartners gestellt wurde.

Und noch ein Schmankerl aus der Endzeit der Regierung Adenauer; "Spiegel" vom 28.11.1962:

Zitat
Konrad Adenauer mußte nicht nur mit der unbequemen FDP darüber sprechen, sondern auch mit seiner eigenen Partei, denn Josef Hermann Dufhues, seit Juni dieses Jahres Geschäftsführender Bundesvorsitzender der CDU, hatte bereits am Vortage öffentlich eingestanden, seiner Partei bleibe nun nichts anderes übrig, als die Konsequenzen aus einer verfahrenen Situation zu ziehen. Die Bundesregierung müsse unverzüglich umgebildet werden.

Noch einmal versuchte der Kanzler, das Koalitionsmalheur mit bislang bewährten Mittelchen aus der Welt zu schaffen. Dienstag letzter Woche, vormittags in der Kabinettssitzung, zu der die zurückgetretenen FDP-Minister nicht mehr erschienen waren, verblüffte er die christdemokratische Restmannschaft mit einem bizarren Ministerpuzzle. Nach Adenauers Planspiel sollten

- Wohnungsbauminister Lücke den Franz-Josef Strauß im Verteidigungsressort ablösen,

- CDU-Fraktionsvorsitzender und Exaußenminister von Brentano anstelle des kranken Freidemokraten

Stammberger als Justizminister ins Kabinett zurückkehren und

- das rehabilitierte Strauß-Opfer,

- Staatssekretär Hopf, als Nachfolger

von FDP-Starke Bundesfinanzminister werden.

Das wurde alles nicht so; aber es macht doch deutlich, welchen Spielraum der Kanzler bei einem Revirement seines Kabinetts hatte. Es konnte keine Rede davon sein, daß die Parteien "ihre" Ressorts als Erbhöfe hatten, die sie nach Gutdünken besetzen konnten.



Ich finde solche Diskussionen immer spannend und lehrreich, lieber Rayson. Meist ergibt sich, daß die Dinge komplizierter liegen, als der eine und als der andere vermutete. Ich konzidiere, daß es auch schon vor 1998 Fälle gegeben hat, wo die Wiederbesetzung eines vakanten Ressorts der Partei überlassen wurde, die es zuvor besetzt gehabt hatte. Das belegen die beiden Beispiele Friderichs und Rexrodt. Aber generell hatte der Kanzler mehr Möglichkeiten als heute unter der Herrschaft des Koalitionsvertrags, sein Kabinett umzugestalten.

Könnten wir uns darauf einigen? (Die Frage geht auch an R.A.)

Herzlich, Zettel

Rayson Offline




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03.09.2011 01:16
#46 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Danke für die Mühe, lieber Rayson.



Gern geschehen. Aber danke auch für die Anerkennung, denn eigentlich hätte ich in der Zeit etwas an meinem neuen Projekt arbeiten müssen. Nur weil mir das hier mehr Spaß macht und ich insgeheim denke, an einem Tag machen zu können, wofür mir andere eine Woche Zeit geben, treibe ich so einen Unfug

Zitat von Zettel
Es war also 1985 noch durchaus üblich, daß der Kanzler einen Minister "entlassen" konnte, selbst wenn er von der Partei eines Koalitionspartners gestellt wurde.



Gestatte mir, lieber Zettel, dass ich das etwas anders interpretiere: Es war zu dieser Zeit noch üblich, dass einzelne Politiker dies annahmen . Die Idee aber, dass Kohl (gegen Strauß!) einen CSU-Minister entlassen könnte, muss man schon damals als hoffnungsvolle Folklore betrachten. Richtig ist aber natürlich, dass auch die Zugriffskompetenz der Parteien Grenzen hat. Wenn heute ein FDP-Minister öffentlich sagen würde, dass "die Merkel spinnt", was ja wohl ungefähr dem gleichkommt, was damals der "Old Schwurhand" gemacht hat, dann würde die Kanzlerin sich schon noch an den Herrn Rösler wenden und mit ihm über die Personalie diskutieren. Um es mit Tom Gerhardt zu sagen: "Normaaaal, ey!". Aber mit einer generellen Mitsprache des Kanzlers ist das nicht gleichzusetzen. Übrigens würde ich schon bezweifeln, dass Kohl auch "nur" einen CDU-Minister einfach so kraft seines Kanzleramts entlassen hätte. Dazu hatte der zuviel Partei-DNS in sich.

Zitat von Zettel
Das wurde alles nicht so; aber es macht doch deutlich, welchen Spielraum der Kanzler bei einem Revirement seines Kabinetts hatte.



Auch hier kommen wir nicht zusammen. Es ist bezeichnend, dass aus der Sache nichts wurde. Die FDP-Minister waren schließlich bereits zurückgetreten, und Adenauer operierte da quasi im "luftleeren Raum". Das ist natürlich ebenso einfach wie folgenlos. Der alte Kanzler gab sich hier der Illusion einer Gestaltungsmacht hin, die er schon lange nicht mehr besaß. Nicht umsonst markierte das den Anfang seines Endes.

Wohlgemerkt: Dass der Kanzler qua Verfassung diesen Gestaltungsspielraum hat, ist unbenommen. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass er ihn politisch schon lange nicht mehr hat. Deswegen ist es seitdem auch nie mehr dazu gekommen, dass ein Kanzler ohne (zumindest duldendes) Einverständnis der Partei, die den Minister stellte, diesen entlassen oder berufen hat. Das gilt sogar für die Partei des Kanzlers selbst.

Zitat von Zettel

Ich finde solche Diskussionen immer spannend und lehrreich, lieber Rayson. Meist ergibt sich, daß die Dinge komplizierter liegen, als der eine und als der andere vermutete.



Das ist wohl wahr. Und wo, lieber Zettel, werden solche Diskussionen auch sonst noch geführt?

Zitat von Zettel
Aber generell hatte der Kanzler mehr Möglichkeiten als heute unter der Herrschaft des Koalitionsvertrags, sein Kabinett umzugestalten.

Könnten wir uns darauf einigen? (Die Frage geht auch an R.A.)



Ok, vielleicht bin ich viel zu hartnäckig, aber: Nein, da gehe ich nur mit, wenn die ersten Jahre der Bundesrepublik als Vergleich herangezogen werden. Schon die letzte Kanzlerschaft Adenauers schien, wie wir oben gesehen haben, den Gesetzen zu folgen, die sich dann weiter durchgesetzt haben. Ich finde auch weiter mit R.A., dass du die Wirkung des "Koalitionsvertrags" sehr überschätzt. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was heutzutage nur wegen eines Koalitionsvertrags gemacht oder nicht gemacht würde. Politik ist eine Frage von Macht, und wer die Macht hat, ist Veränderungen unterlegen. Meinungsumfragen z.B. beeinflussen die heutige Politik viel mehr als Koalitionsverträge. Oder wo war im letzten nochmal der Atomausstieg festgelegt?

Ich behaupte, Politik ist das, was sich als Mischung aus den Interessen und den Machtpositionen der jeweils handelnden Personen ergibt, und zwar immer genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Entscheidungen fallen. Und ich wage die Behauptung, dass das eigentlich nie anders war. Und dazu müssen wir uns darüber unterhalten, was heute eigentlich "Macht" ausmacht. Es sind wohl nicht die vom GG verliehenen Kompetenzen, sondern eher es handelt sich da eher um die Wahrscheinlichkeit, bei einer zum jetzigen Zeitpunkt stattfindenden Wahl seine Ziele zu erreichen. Daraus leitet sich der Rest ab. Man mag das begrüßen oder ablehnen (von einer höheren Warte tue ich letzteres), aber so ist es nun einmal.

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Zettel Offline




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03.09.2011 11:06
#47 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Rayson

Zitat von Zettel
Es war also 1985 noch durchaus üblich, daß der Kanzler einen Minister "entlassen" konnte, selbst wenn er von der Partei eines Koalitionspartners gestellt wurde.



Gestatte mir, lieber Zettel, dass ich das etwas anders interpretiere: Es war zu dieser Zeit noch üblich, dass einzelne Politiker dies annahmen . (...)

Zitat von Zettel
Das wurde alles nicht so; aber es macht doch deutlich, welchen Spielraum der Kanzler bei einem Revirement seines Kabinetts hatte.

Auch hier kommen wir nicht zusammen. Es ist bezeichnend, dass aus der Sache nichts wurde. Die FDP-Minister waren schließlich bereits zurückgetreten, und Adenauer operierte da quasi im "luftleeren Raum". Das ist natürlich ebenso einfach wie folgenlos. Der alte Kanzler gab sich hier der Illusion einer Gestaltungsmacht hin, die er schon lange nicht mehr besaß. Nicht umsonst markierte das den Anfang seines Endes.


So kann man natürlich, lieber Rayson, die Fakten aus der Welt eskamotieren; dies hier läuft unter der Rubrik Große Bühnenmagie, Grundeffekt "Verschwinden".

Denn es geht in unserer jetzigen Diskussion doch darum, wie groß der Spielraum des Kanzlers damals bei der Berufung und Entlassung von Ministern war. Wenn Geißler der Meinung war, daß der CDU-Kanzler Kohl einen CSU-Minister hätte entlassen sollen (der sich übrigens durchaus gemäßigt geäußert hatte, er hatte nur gesagt, er hätte sich "gewünscht", der Kanzler zeige sich entscheidungsfreudiger und lasse ihn nicht mit seinen Vorhaben so lange hängen), dann beweist das, daß kein Koalitionsvertrag oder Quasi-Koalitionsvertrag das verbot. Wenn Adenauer am Kabinettstisch ein Revirement vorschlug, bei dem zum Beispiel ein FDP-Minister durch einen CDU-Minister ersetzt werden sollte, dann beweist dies dasselbe.

Daß das nicht zur Ausführung kam, ist für unsere Diskussion ohne Belang. Jedenfalls gab es keinen Vertrag und keine Absprache, die es verboten hätten.

Zitat von Rayson

Zitat von Zettel
Könnten wir uns darauf einigen? (Die Frage geht auch an R.A.)



Ok, vielleicht bin ich viel zu hartnäckig, aber: Nein, da gehe ich nur mit, wenn die ersten Jahre der Bundesrepublik als Vergleich herangezogen werden.


Tja, dann bleibt nur das berühmt-berüchtigte Let's agree to disagree.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




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04.09.2011 12:21
#48 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Erstaunt es nicht auch Sie, daß der Vorsitzende der FDP die "Linie der Außenpolitik" festlegt und mitteilt, der Außenminister sei bereit, ihr zu folgen?

Jetzt erstaunt es jedenfalls Redakteure des "Spiegel". Auf S. 15 des Hefts der kommenden Woche stellt die Deutschland-Redaktion zwei Zitate einander gegenüber:

Zitat
DAMALS ... ... UND HEUTE

"Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung."

(Artikel 65, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland)

"In außenpolitischen Fragen habe ich klar als Parteivorsitzender die Linie der FDP vorgegeben, der Bundesaußenminister ist dieser Linie auch ebenso klar gefolgt."

(FDP-Parteichef Philipp Rösler am 30. August 2011 auf Schloss Bensberg bei Köln)

Rayson Offline




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04.09.2011 14:14
#49 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Auf S. 15 des Hefts der kommenden Woche stellt die Deutschland-Redaktion zwei Zitate einander gegenüber:...



Aber das letzte Wort hatte in gewisser Hinsicht doch wieder Westerwelle:

Zitat von tagesschau.de
Während die Bundestagsfraktion auf ihrer Herbstklausur in Bergisch-Gladbach zusammensitzt, widersprach Westerwelle über seinen Sprecher der Darstellung Röslers, er habe in der Diskussion über den Libyen-Einsatz den Kurs vorgegeben. Der Sprecher betonte, die Richtlinienkompetenz in der Regierung liege bei der Bundeskanzlerin. Der Außenminister wiederum führe das Auswärtige Amt "eigenverantwortlich mit allem, was dazugehört". Regierungssprecher Steffen Seibert pflichtete dem Außenamtssprecher bei. Die Minister leiteten ihre Geschäftsbereiche wie im Grundgesetz vorgesehen "selbstständig und eigenverantwortlich".

--
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R.A. Offline



Beiträge: 8.171

05.09.2011 09:49
#50 RE: Westerwelle, Kabinettsumbildung Antworten

Zitat von Zettel
Es war also 1985 noch durchaus üblich, daß der Kanzler einen Minister "entlassen" konnte, selbst wenn er von der Partei eines Koalitionspartners gestellt wurde.


Genau das kann ich dem Zitat nicht entnehmen. Denn Zimmermann blieb ja Minister.

1985 war es wie schon zu Adenauers Zeiten oder heute zu Merkels juristisch möglich, daß der Kanzler einen Minister entläßt. Aber Kohl hat es nicht getan, weil dann seine Regierung am Ende gewesen wäre. Und wir reden hier ja über die faktische Spielräume des Kanzlers, nicht die theoretischen.

Zitat
Das wurde alles nicht so; aber es macht doch deutlich, welchen Spielraum der Kanzler bei einem Revirement seines Kabinetts hatte.


Nein, das macht im Gegenteil deutlich, daß der Kanzler schon damals diesen Spielraum faktisch nicht hatte. Adenauer hat einen Vorschlag gemacht, und den haben die Koalitionsparteien abgelehnt. Und damit war der Vorschlag tot, obwohl Adenauer selbstverständlich die juristische Möglichkeit gehabt hätte, ihn einfach durchzuführen.

Zitat
Es konnte keine Rede davon sein, daß die Parteien "ihre" Ressorts als Erbhöfe hatten, die sie nach Gutdünken besetzen konnten.


Aber die Situation war doch genau die gegenteilige: Die Parteien haben "ihre" Ressorts behalten und der Kanzler mußte den Schwanz einziehen.
Daß die Parteien die Ressortverteilung jederzeit im Konsens neu strukturieren könnten, ist ja unbestritten.


Zitat
Aber generell hatte der Kanzler mehr Möglichkeiten als heute unter der Herrschaft des Koalitionsvertrags, sein Kabinett umzugestalten.

Könnten wir uns darauf einigen? (Die Frage geht auch an R.A.)


Eigentlich nicht.
Es gibt starke Kanzler und schwache, es gibt mal gut aufgestellte Koalitionspartner und mal welche, gegen die man etwas durchdrücken kann. Und damit lassen sich die verschiedenen Beispiele komplett erklären - eine wesentiche Veränderung in der Stellung des Kanzlers kann ich über die Jahrzehnte nicht erkennen.
Und schon gar nicht kann ich irgendeine Relevanz darin erkennen, daß die üblichen und notwendigen Abmachungen innerhalb einer Koalition früher nur mündlich und heute schriftlich erfolgen.

Zitat
Wenn Geißler der Meinung war ...


Dann kann das generell viel bedeuten - ist aber nicht als politologische Analyse zu nehmen.
Geißler war damals noch ein treuer Gefolgsmann Kohls und hätte im Zweifelsfall jeden Unsinn erzählt, der taktisch irgendwie nützlich schien.

Zitat
Wenn Adenauer am Kabinettstisch ein Revirement vorschlug, bei dem zum Beispiel ein FDP-Minister durch einen CDU-Minister ersetzt werden sollte, dann beweist dies dasselbe.


Solche Vorschläge kann auch Merkel jederzeit machen. Es sind aber - wie bei Adenauer - nur Vorschläge.

Zitat
Jedenfalls gab es keinen Vertrag und keine Absprache, die es verboten hätten.


Der "Koalitionsvertrag" verbietet keine Vorschläge. Die werden auch dauernd gemacht, inhaltlich wie personell. Und der "Vertrag" wird auch ständig verändert. Raysons Darstellung dazu halte ich für völlig überzeugend.

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