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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 66 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Loki Offline



Beiträge: 128

08.09.2011 22:20
#26 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Urlauber
Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Krankheiten hat sich verdoppelt. Wenn sich die Zahl der Simulanten und der wirklich Kranken verdoppelt, haut es doch rechnerisch hin.



Das mag sein, die Zahlen kenne ich nicht. Mich erstaunten eher Ihre Einsichten, daß es Goth-Frauen erlaubt sei, "den eigenen Körper zu verwerfen" - was immer das bedeuten mag - und daß Magersüchtige und RitzerInnen allesamt unfruchtbar seien. Solange Sie diese Behauptungen nicht begründen, halte ich Sie für unbegründet.

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

08.09.2011 23:47
#27 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Loki

Zitat von Urlauber
Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Krankheiten hat sich verdoppelt. Wenn sich die Zahl der Simulanten und der wirklich Kranken verdoppelt, haut es doch rechnerisch hin.



Das mag sein, die Zahlen kenne ich nicht. Mich erstaunten eher Ihre Einsichten, daß es Goth-Frauen erlaubt sei, "den eigenen Körper zu verwerfen" - was immer das bedeuten mag - und daß Magersüchtige und RitzerInnen allesamt unfruchtbar seien. Solange Sie diese Behauptungen nicht begründen, halte ich Sie für unbegründet.


Wenn Sie wollen, bittesehr.
Im Übrigen ist Kritik willkommen. Wenn Sie belastbare Zahlen haben über die Zahl der von Magersüchtigen/Essgestörten oder Ritzerinnen zur Welt gebrachten Kinder, wäre ich Ihnen dankbar.

Loki Offline



Beiträge: 128

09.09.2011 00:31
#28 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Urlauber
Wenn Sie belastbare Zahlen haben über die Zahl der von Magersüchtigen/Essgestörten oder Ritzerinnen zur Welt gebrachten Kinder, wäre ich Ihnen dankbar.



Habe ich nicht. Ich habe aber auch keine entsprechenden Behauptungen aufgestellt, weshalb die Begründungspflicht bei Ihnen liegt. Für den Fall, daß Sie ihr nachzukommen beabsichtigen sollten, weise ich Sie schon jetzt darauf hin, daß eine eventuell geringe Zahl zur Welt gebrachter Kinder kein zuverlässiger Indikator für Unfruchtbarkeit ist.

DasPio Offline



Beiträge: 26

09.09.2011 09:02
#29 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Magersüchtige können in der Tat meistens keine Kinder bekommen (Schutzmechanismus des Körpers).
ABER: das bedeutet nicht das sie unfruchtbar sind, sobald die Magersucht überwunden ist setzt der normale Zyklus wieder ein (dies kann allerdings dauern und auch mit Hormonbehandlungen unterstützt werden).

Gorgasal Online




Beiträge: 4.095

09.09.2011 10:31
#30 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Werter Zettel: nehmen Sie's mir nicht übel, aber dieser Artikel war nicht Ihr stärkster.

Sie weisen darauf hin, dass Psychotherapeuten mit psychischen Erkrankungen Geld verdienen und leiten daraus in einem gewagten Schluss ab, dass die Zunahme von Diagnosen allein darauf zurückzuführen sei. Das illustrieren Sie dann noch mit dem Beispiel eines Glasers, der Scheiben einwirft. Wollen Sie Psychotherapeuten auf eine Stufe mit Kriminellen stellen?

Später in der Diskussion:

Zitat von Zettel
Bis zur Erfindung der Psychologie vor ungefähr 150 Jahren wäre niemand auf den Gedanken gekommen, daß man das "therapieren" muß.


Wäre das nicht eine mindestens ebenso gute Erklärung für die Zunahme von Diagnosen? Dass bis vor nicht allzu langer Zeit psychische Erkrankungen einfach nicht im Blickfeld waren?

Umgekehrt: bis zur Entdeckung von Mikroorganismen wäre auch niemand auf die Idee gekommen, dass Trinkwasser sauber sein soll. Hätten wir uns also auch eine saubere Trinkwasserversorgung sparen können?

Weiter:

Zitat von Zettel
Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Sozialarbeiter. Wir brauchen weniger Psychologen, Ernährungsberater, Umweltberater, Verbraucherschützer, Helfer aller Art.

Denn dieses Spinnennetz von Hilfen infantilisiert doch die Menschen. Es nimmt ihnen die Verantwortung für sich selbst. Es macht sie damit krank.


Brauchen wir auch weniger Ärzte, Klempner, Computerfachleute, Metzger? Die nehmen uns auch die Verantwortung für uns selbst, wann hätte ich denn das letzte Mal eine Bronchitis kuriert, eine Toilette eingebaut, meinen Rechner neu installiert, ein Schwein geschlachtet? Und umgekehrt bin ich ganz glücklich, dass es Leute gibt, die von der Ätiologie psychischer Störungen eine Ahnung haben und wissen, wann (und welche) Psychotherapie oder medikamentelle Therapie helfen kann.

Schließlich:

Zitat von Zettel
Ich habe keine Ahnung, ob in Europa Psychosen, Neurosen und was sonst noch von ICD-10 F00 bis F99 aufgelistet wird, zugenommen haben.


Nun schreiben Sie selbst, dass Sie "keine Ahnung" haben, ob diese Störungen zugenommen haben. Ja, woher nehmen Sie sich denn dann um Himmels willen das Recht, Psychotherapeuten ohne einen einzigen Datenpunkt zu unterstellen, sie würden nur drauflos diagnostizieren, um ihren Geldbeutel zu füllen oder sich wichtig zu machen?

Um so mehr, als Daten zu genau dieser Frage denkbar leicht zu finden sind: der Welt-Artikel, über den Sie sich echauffieren, verweist auf eine Studie von Wittchen (der - worauf oben schon verwiesen wurde - einer der führenden klinischen Psychologen in Deutschland ist), die in European Neuropsychopharmacology erscheinen soll. Die findet man mit gängigen Methoden hier. Und anscheinend haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, zumindest diesen Abstract zu lesen, bevor Sie Ihre Philippika verfasst haben, denn sonst hätten Sie eine Antwort auf Ihre Frage nach Zunahmen psychischer Erkrankungen gefunden:

Zitat
Although many sources, including national health insurance programs, reveal increases in sick leave, early retirement and treatment rates due to mental disorders, rates in the community have not increased with a few exceptions (i.e. dementia).



Zuguterletzt erlaube ich mir ein weiteres Zitat aus dem Abstract:

Zitat
The most frequent disorders are anxiety disorders (14.0%), insomnia (7.0%), major depression (6.9%), somatoform (6.3%), alcohol and drug dependence (> 4%), ADHD (5%) in the young, and dementia (1–30%, depending on age).


Insbesondere die Prävalenz von Demenz und ihren Vorstufen im Alter ist massiv, hebt natürlich auch den Schnitt und wird mit der Alterung der Gesellschaft weiter zunehmen.

Meine Bitte: lesen Sie doch bitte nächstes Mal zumindest die referenzierte Literatur, bevor Sie einen ganzen Berufsstand verunglimpfen. Denn wenn ich unbegründete Vorwürfe haben will, dann finde ich die zur Genüge im Netz. Dafür brauche ich ZR nicht. Und bislang waren Sie diesbezüglich auch eine angenehme Ausnahme.

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.09.2011 12:53
#31 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Lieber Gorgasal,

Zitat von Gorgasal
Sie weisen darauf hin, dass Psychotherapeuten mit psychischen Erkrankungen Geld verdienen und leiten daraus in einem gewagten Schluss ab, dass die Zunahme von Diagnosen allein darauf zurückzuführen sei.

Ich habe mir den Artikel jetzt noch einmal angesehen. Ich finde keinen Satz, in dem ich das sage.

Was ich geschrieben habe, ist dies:

Zitat
Natürlich gibt es Menschen, die an einer Psychose leiden. Die Häufigkeit einer schizophrenen Erkrankung beispielsweise liegt konstant bei etwas mehr als einem Prozent der Bevölkerung; seit einem Jahrhundert unverändert, weitgehend unabhängig vom gesellschaftlichen Umfeld. Es gibt des weiteren Menschen, die an einer nicht psychotischen seelischen Störung leiden - an einer Phobie wie Flugangst zum Beispiel, an Waschzwang, an einer Sucht; dergleichen. Sie sind meist - nicht immer - behandlungsbedürftig.

Und dann gibt es eine riesige Grauzone, bei der alles von der Diagnose abhängt. Vor hundert Jahren wimmelte es von Menschen - vor allem Frauen -, die unter einer "Hysterie" litten. Sigmund Freud hat, nachdem er in Frankreich bei dem großen Psychiater Charcot mit der Hysterie bekannt geworden war, seine Theorie wesentlich auf dieser Erkrankung aufgebaut; seine ersten Fallstudien hat er zusammen mit Josef Breuer 1895 unter dem Titel "Studien über Hysterie" publiziert. Heute wird Hysterie kaum noch diagnostiziert.

Menschen geht es oft seelisch schlecht. Das gehört nun einmal zum Leben. Man trauert, man ist deprimiert, man hat sich nicht so unter Kontrolle, wie man das gern hätte. Früher besprach man das mit Freunden und Verwandten, vielleicht mit dem Pfarrer. Meist berappelte man sich wieder; wie auch heute.

Aber heute gerät jemand, dem es einmal nicht so gut geht, schnell in die Fänge der Gesundheitsindustrie. Er wird "diagnostiziert"; seinem Problem wird ein Etikett aufgepappt (labeling). Und flugs landet er als ein Fall in den Statistiken. Zur Freude der Helfer, die gern an ihm verdienen möchten.


Zitat von Gorgasal
Das illustrieren Sie dann noch mit dem Beispiel eines Glasers, der Scheiben einwirft. Wollen Sie Psychotherapeuten auf eine Stufe mit Kriminellen stellen?

Das war ein Kinder-Spottvers, den ich da zitiert habe, lieber Gorgasal. Mit dem Sinn: Man schafft Bedarf, den man dann befriedigen kann.

Was heute als klinisch relevant diagnostiziert wird, wurde das früher nicht. Damit wächst der Bedarf an Psychotherapie, und zwar in einem gigantischen Ausmaß. Ich habe die "Welt" zitiert:

Zitat
Besonders heikel ist angesichts der Studienergebnisse, dass die Behandlungsraten psychischer Erkrankungen äußerst niedrig sind. In Deutschland sind nur rund vier Prozent der Betroffenen in psychotherapeutischer Behandlung - und das ist schon doppelt so viel wie in vielen anderen europäischen Ländern.

Die Zahl der Psychotherapeuten hat sich zwischen 1992 und 2003 aufgrund des Psychotherapeutengesetzes von 1999 ungefähr verzehnfacht (Psychologen und Fachärzte). Sie liegt jetzt bei 2,5 pro 10.000 Einwohner. Wenn das nur 4 Prozent des Bedarfs an Psychotherapie deckt, dann würden rund 60 Psychotherapeuten pro 10.000 Einwohner benötigt, um den Bedarf ganz zu decken (grob gerechnet).

Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Gesamtzahl aller Ärzte pro 10.000 Einwohner ungefähr 35.

Herzlich, Zettel

johngalt Offline



Beiträge: 14

09.09.2011 14:20
#32 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Lieber Herr Zettel,

mir ist entgangen, dass die meisten sich in dem Forum Sie-tzen. Dann tue ich es ab jetzt auch.

Leider scheinen meine bisherigen Einträge Sie nicht besonders beeindruckt zu haben.
Da ich ansonsten Ihre Artikel sehr schätze aber mir das aktuelle Thema doch ziemlich wichtig ist und ich Ihre Schlussfolgerungen in diesem Thema nicht unterstütze versuche ich es doch nochmal.

Zitat
Natürlich gibt es Menschen, die an einer Psychose leiden. Die Häufigkeit einer schizophrenen Erkrankung beispielsweise liegt konstant bei etwas mehr als einem Prozent der Bevölkerung;



Die psychotischen Erkrankungen sind sowohl genetisch bedingt aber auch teilweise auf das Umfeld zurück zu führen. Das heisst, dass das Umfeld in welchem ein Kind erzogen wird, unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der Psyche dieses Menschen hat. Und somit kann es sehr wohl immer mehr psychisch kranke Menschen geben, wenn in der frühen Phase der meisten Kinder zumeist negative Effekte dazukommen.


Zitat
Menschen geht es oft seelisch schlecht. Das gehört nun einmal zum Leben. Man trauert, man ist deprimiert, man hat sich nicht so unter Kontrolle



Das wird niemand als eine Depression aus psychotherapeutischen Sicht definieren. Daher wird sowas auch bei der Auswertung nicht berücksichtigt.

Zitat
Was heute als klinisch relevant diagnostiziert wird, wurde das früher nicht



Wie kommen Sie auf diese Behauptung? Das empfinde ich nicht so.

Zitat
Die Zahl der Psychotherapeuten hat sich zwischen 1992 und 2003 aufgrund des Psychotherapeutengesetzes von 1999 ungefähr verzehnfacht



Das Gesetz hat nur teilweise eine andere Gruppe als Psychotherapeuten definiert. Daher ist auch die Anzahl eine Andere. Wie bei den Arbeitslosen wo immer wieder andere Zahlen mit einander verglichen werden.

Der Vergleich mit den Ärzten hinkt eh. Wenn man viel öfters in Prävention und teilweise auch in die Psychotherapie investieren wurde, dann wurde sich die Anzahl der Ärzte auch verringern.


Ich habe den Eindruck, dass Sie die Psychotherapeuten gegenüber sehr voreingenommen eingestellt sind. Die Ärzte empfinden Sie als sinnvoll und nötig aber bei die Psychotherapie wollen Sie diese nur auf paar psychische Erkrankungen einschränken und ansonsten scheinen Sie diese als ziemlich unnötig zu empfinden.
Dagegen sprechen immer mehr Fakten. Und auch die Ärzte selber erkennen es immer öfter.
Allein bei der Unterstützung der Krebstherapie mit Psychologen wurden massive Ergebnisverbesserungen erzielt, um nur ein Beispiel nu nennen.

Aber nochmal zu der Studie von Professor Hans-Ulrich Wittchen. Die Erkenntnis daraus soll sein, dass man nicht immer mehr Psychotherapeuten über die Krankenkassen finanzieren und diese mit genug Arbeit versorgen soll.
Es sollte viel mehr darauf geachtet werden, dass man in die Prävention investiert.
Und ausserdem sollte einem bewusst werden dass der beste Schutz in der passenden Umgebung für die eigenen Kinder ist.
Denn nur so kann man dem Problem der steigenden Anzahl der psychischen Erkrankungen eindämpfen. Das Ignorieren hilft dagegen sehr selten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

09.09.2011 18:07
#33 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von johngalt
Ich habe den Eindruck, dass Sie die Psychotherapeuten gegenüber sehr voreingenommen eingestellt sind.

Überhaupt nicht, lieber johngalt. Ich teile allerdings nicht die optimistische Beurteilung dessen, was Psychotherapie leisten kann (welche denn überhaupt?) in weiten Teilen der Öffentlichkeit. Und ich bin der Auffassung, daß nicht jeder, der "eine Therapie macht", auch im klinischen Sinn krank ist.

Allerdings wäre zunächst über den Begriff der Krankheit und den der Gesundheit zu diskutieren; da hat sich ja im letzten halben Jahrhundert, nicht zuletzt unter dem Einfluß der WHO, viel verändert.

Ich glaube, lieber johngalt, daß Sie, was meine Einstellung angeht, eine etwas voreilige Ferndiagnose gestellt haben.

Und ich diskutiere auch lieber zur Sache als zur Person.

Herzlich, Zettel

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

09.09.2011 20:35
#34 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Loki
Für den Fall, daß Sie ihr nachzukommen beabsichtigen sollten, weise ich Sie schon jetzt darauf hin, daß eine eventuell geringe Zahl zur Welt gebrachter Kinder kein zuverlässiger Indikator für Unfruchtbarkeit ist.

Aber vielleicht ein Indikator für ungewollte Kinderlosigkeit, (129.000 Fundstellen bei google] die sich durch nichts von Unfruchtbarkeit (bzw. Zeugungsunfähigkeit) unterscheidet und von der in Deutschland immerhin jedes siebente Paar betroffen ist.
Hunger, Krankheit und Sklaverei kommen als Ursache für das Desaster vermutlich nicht in Frage. Für Einzelfälle lassen sich Erklärungen finden, aber was ist der Grund für die Menge?

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

09.09.2011 21:24
#35 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Urlauber
Hunger, Krankheit und Sklaverei kommen als Ursache für das Desaster vermutlich nicht in Frage. Für Einzelfälle lassen sich Erklärungen finden, aber was ist der Grund für die Menge?


Das Alter ?

Gorgasal Online




Beiträge: 4.095

09.09.2011 22:07
#36 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Zettel
Ich teile allerdings nicht die optimistische Beurteilung dessen, was Psychotherapie leisten kann (welche denn überhaupt?) in weiten Teilen der Öffentlichkeit.


Was aber nicht unbedingt etwas mit der Prävalenz von psychischen Erkrankungen zu tun hat.

Zitat von Zettel
Und ich bin der Auffassung, daß nicht jeder, der "eine Therapie macht", auch im klinischen Sinn krank ist.


Völlig richtig. Wie auch wahrscheinlich ein Teil der Ersatzteile, die meine Werkstatt in mein Auto einbaut, nicht nötig war.

William Briggs kommentiert die zugrundeliegende Studie auch. Im Gegensatz zu Zettel allerdings unter Bezugnahme auf den dortigen Text.

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Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

09.09.2011 22:48
#37 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat

Brauchen wir auch weniger Ärzte, Klempner, Computerfachleute, Metzger? Die nehmen uns auch die Verantwortung für uns selbst, wann hätte ich denn das letzte Mal eine Bronchitis kuriert, eine Toilette eingebaut, meinen Rechner neu installiert, ein Schwein geschlachtet? Und umgekehrt bin ich ganz glücklich, dass es Leute gibt, die von der Ätiologie psychischer Störungen eine Ahnung haben und wissen, wann (und welche) Psychotherapie oder medikamentelle Therapie helfen kann.



Lieber Gorgasal, hier vergleichen Äpfel mit Birnen: Im einen Fall geht es um Dienstleistungen und Warenproduktion für die ihnen Fachkompetenz oder Zeit fehlen, weshalb sie diese in Anspruch nehmen. Zettel ging es (wenn ich seinen Kritikpunkt richtig verstanden habe) um Berufsbilder die den Menschen die moralische Verantwortung nehmen und sie bemüttern, einer Infantilisierung der Gesellschaft Vorschub leisten.

Woran diese Infantilisierung noch liegen könnte wäre wohl auch einen längeren Beitrag wert, denn ich glaube nicht dass es sich bei der Sozialarbeiterexplosion um die ursprünglich Ursache handelt, sondern um eine Folge der Sehnsucht nach infantiler Geborgenheit, doch ich denke hier gibt es eine Rückkopplung, einen Art Teufelskreis.

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

10.09.2011 11:38
#38 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Llarian

Zitat von Urlauber
Hunger, Krankheit und Sklaverei kommen als Ursache für das Desaster vermutlich nicht in Frage. Für Einzelfälle lassen sich Erklärungen finden, aber was ist der Grund für die Menge?


Das Alter ?


Ich habe schon mitgekriegt, dass man den in den MSM publizierten Zahlen generell misstrauen sollte.
Aber man hat nicht die Kraft und Zeit, alles zu verifizieren. Wenn der Begriff hinreichend eingegrenzt ist und die Zahlen einigermaßen mit der Alltagserfahrung fluchten, übernehme ich die ungeprüft.
So wie hier
Bei der Analphabetenrate können wir davon ausgehen, dass 3-jährige Kinder nicht mitgezählt werden. So wie ich in unserem Fall unterstelle, dass mit "ungewollt kinderlos" nur diejenigen in der Statistik sind, deren körperlicher (durchaus mit dem Alter korrelierender) Zustand für das Projekt in Frage kommt. Die Statistiker werden Paare von Achtzigjährigen schon nicht mit gezählt haben.

So oder so, es finden sich natürlich immer "Gründe". Aber mir macht die immer größer werdende Zahl von "Gründen" genauso viel Angst wie die Energie und der Scharfsinn, mit denen immer neue "Gründe" erfunden werden.

Noch nie hatten die Deutschen einen solchen materiellen Wohlstand. Es gibt von allem für alle im Überfluss. Selbst die Ärmsten in Deutschland gehören zu den 15% der Reichsten der Welt.
Es gibt keine Klassenschranken. Die Türen aller Bildungseinrichtungen sind für jedermann weit offen. Jeder kann in jedem Fussball-, Briefmarkensammler-, Wander- oder sonstigen Verein mitmachen. Noch nie gab es in Deutschland so viele Museen und Bibliotheken wie heute; die jeder nutzen kann, weil der Eintritt fast nichts kostet und weil die Deutschen noch nie zuvor so viel Freizeit hatten.
Man würde sagen, das ist der Stoff aus dem das Glück gemacht wird. Doch die Menschen werden immer trauriger, verzagter, depressiver. Um das zu vertuschen, erfinden sie immer neue Diskriminierungen, Gewalten, Syndrome und sonstige "Gründe" (neuerdings sogar Atome und Klima) dafür, dass sie sich immer weniger trauen. Nicht nur dass die zweite Elementarfunktion des Lebens (die Selbstreproduktion) immer weniger funktioniert, nun steigt sogar die Anzahl (auch wenn sie noch gering ist) der Menschen, die nicht mal das Essen (was die nicht mal erarbeiten müssen sondern geschenkt kriegen) im Körper behalten. Und es wird noch schlimmer. Neuerdings wird das beste Deutschland aller Zeiten in Brand gesteckt. Die Brandstifter sind keine Kriegsgegner (deren Motive rational erklärbar sind), sondern die Bürger und damit Nutznießer des Landes. Selbstverständlich hat die Gründeerfindungsindustrie auch dafür bereits "Gründe" gefunden.
Bei dieser Bilanz verbietet sich ein "weiter so" von selbst. Wie viele "Gründe" wollen wir denn noch erfinden?
Es sieht ganz danach aus, dass sich das Elend proportional zur Anzahl der "Gründe" und Helfer entwickelt. Wie lange geht das noch gut?

Llarian Offline



Beiträge: 7.127

10.09.2011 13:05
#39 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Urlauber
Noch nie hatten die Deutschen einen solchen materiellen Wohlstand. Es gibt von allem für alle im Überfluss. Selbst die Ärmsten in Deutschland gehören zu den 15% der Reichsten der Welt.
Es gibt keine Klassenschranken. Die Türen aller Bildungseinrichtungen sind für jedermann weit offen. Jeder kann in jedem Fussball-, Briefmarkensammler-, Wander- oder sonstigen Verein mitmachen. Noch nie gab es in Deutschland so viele Museen und Bibliotheken wie heute; die jeder nutzen kann, weil der Eintritt fast nichts kostet und weil die Deutschen noch nie zuvor so viel Freizeit hatten.


Das sind aber alles keine Gründe Kinder in die Welt zu setzen, lieber Urlauber. Reichtum korreliert nicht zwingendermaßen mit dem Wunsch nach Kindern, es kann, muss aber nicht. Ohne Statistiken zu bemühen, sehe ich zwei Gründe, die einem schon im persönlichen Umfeld direkt ins Auge springen: Viele haben den Wunsch haben den Wunsch zu Kindern gar nicht sondern betrachten ihr Lebensziel in gänzlich anderen Dingen, andere verschieben ihren Kinderwunsch, bis sie zumindest selber etwas älter sind. Und dann ist eben das Problem, dass die Schwangerschaften nicht immer so eintreten, wie man sie gerne hätte. Mit 16 oder 18 ist schwanger werden schon mit dem einen Unfall ganz schnell passiert, mit 40 muss man sich schon Mühe geben, dass es in einem Jahr klappt.

Zitat
Man würde sagen, das ist der Stoff aus dem das Glück gemacht wird. Doch die Menschen werden immer trauriger, verzagter, depressiver. Um das zu vertuschen, erfinden sie immer neue Diskriminierungen, Gewalten, Syndrome und sonstige "Gründe" (neuerdings sogar Atome und Klima) dafür, dass sie sich immer weniger trauen. Nicht nur dass die zweite Elementarfunktion des Lebens (die Selbstreproduktion) immer weniger funktioniert, nun steigt sogar die Anzahl (auch wenn sie noch gering ist) der Menschen, die nicht mal das Essen (was die nicht mal erarbeiten müssen sondern geschenkt kriegen) im Körper behalten. Und es wird noch schlimmer. Neuerdings wird das beste Deutschland aller Zeiten in Brand gesteckt. Die Brandstifter sind keine Kriegsgegner (deren Motive rational erklärbar sind), sondern die Bürger und damit Nutznießer des Landes. Selbstverständlich hat die Gründeerfindungsindustrie auch dafür bereits "Gründe" gefunden.
Bei dieser Bilanz verbietet sich ein "weiter so" von selbst. Wie viele "Gründe" wollen wir denn noch erfinden?
Es sieht ganz danach aus, dass sich das Elend proportional zur Anzahl der "Gründe" und Helfer entwickelt. Wie lange geht das noch gut?


Was sie aufzählen sind im Prinzip Auswüchse von Dekadenz, aber Dekadenz muss man sich leisten können. Noch kann Deutschland von dem leben, was in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erarbeitet wurde. Das geht aber nicht ewig gut und spätestens dann, wenn keiner mehr die Renten bezahlen kann, die Folgen dieser Dekadenz sind. Und dann wirds ein bischen knacken im Gebälk, es wird ein bissel wehtun und irgendwo stampft man dann die Auswüchse wieder ein. Es bleibt nur zu hoffen, dass das nicht zu spät passiert, so dass es sehr, sehr weh tut. Wenn man zuviel Sarrazin Statistiken liest, bekommt man den Eindruck es wird ganz schön knacken, wenn das Land endlich aufwacht.

Loki Offline



Beiträge: 128

11.09.2011 04:56
#40 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Urlauber
Aber vielleicht ein Indikator für ungewollte Kinderlosigkeit, (129.000 Fundstellen bei google] die sich durch nichts von Unfruchtbarkeit (bzw. Zeugungsunfähigkeit) unterscheidet und von der in Deutschland immerhin jedes siebente Paar betroffen ist.



Ich darf Ihre Position rekapitulieren: Es gibt Ritzerinnen und Magersüchtige und es gibt ungewollt kinderlose, also sind alle Ritzerinnen und Magersüchtigen ungewollt kinderlos, ergo unfruchtbar. Demnach gilt wohl auch: Es gibt Milliardäre und es gibt Obdachlose, also sind alle Milliardäre obdachlos?

Eine nicht ganz unernst gemeinte Frage: Erwarten Sie wirklich, daß man sich damit ernsthaft auseinandersetzt, oder sind Sie hier nur als Veräppelungskünstler unterwegs?

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

11.09.2011 10:03
#41 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Loki

Zitat von Urlauber
Aber vielleicht ein Indikator für ungewollte Kinderlosigkeit, (129.000 Fundstellen bei google] die sich durch nichts von Unfruchtbarkeit (bzw. Zeugungsunfähigkeit) unterscheidet und von der in Deutschland immerhin jedes siebente Paar betroffen ist.



Ich darf Ihre Position rekapitulieren: Es gibt Ritzerinnen und Magersüchtige und es gibt ungewollt kinderlose, also sind alle Ritzerinnen und Magersüchtigen ungewollt kinderlos, ergo unfruchtbar. Demnach gilt wohl auch: Es gibt Milliardäre und es gibt Obdachlose, also sind alle Milliardäre obdachlos?

Eine nicht ganz unernst gemeinte Frage: Erwarten Sie wirklich, daß man sich damit ernsthaft auseinandersetzt, oder sind Sie hier nur als Veräppelungskünstler unterwegs?


Schön, wenn es Leute gibt, die bescheid wissen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

11.09.2011 14:51
#42 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Gorgasal
William Briggs kommentiert die zugrundeliegende Studie auch. Im Gegensatz zu Zettel allerdings unter Bezugnahme auf den dortigen Text.

Vielen Dank für den Hinweis, lieber Gorgasal.

Sie haben Recht, daß ich mich nicht mit der Publikation von Wittchen et. al beschäftigt habe, sondern mit dem Artikel in der "Welt", der über diese Untersuchung berichtet, so, wie sie offenbar der Presse dargestellt wurde. Briggs hat sich mit der Untersuchung befaßt, und er kommt - soweit ich sehe - zu exakt derselben Bewertung wie ich. Auszüge aus seinem Blog:

Zitat
Forty-percent of a population is a lot. Imagine a street filled with people—European people. Perhaps they are standing in line waiting for their free health care. Four out of ten of those poor souls suffer debilitating torments of the mind. Grab just five—of any age, toddlers included—and two of them will have brain damage of some kind or another. (...)

Luckily, much—but not all—of the increase was due to the authors discovering new ways to define “mental illness.” They were able to add “14 new disorders also covering childhood/adolescence as well as the elderly.”

What’s wrong with these folks?

The most frequent disorders are anxiety disorders (14.0%), insomnia (7.0%), major depression (6.9%), somatoform (6.3%), alcohol and drug dependence (> 4%), ADHD (5%) in the young, and dementia (1-30%, depending on age).

Yes, the occasional sleepless night is now a mental disorder. As are “panic disorder,” epilepsy, agoraphobia, “cannabis dependence,” and multiple sclerosis. Because it’s better safe than sorry, toss in “hyperkinetic disorders/ADHD” and “conduct disorder.” Oh, yes, headache, too. All this adds up. Betcha didn’t know that “13% of global disease is due to disorders of the brain, surpassing both cardiovascular diseases and cancer.”

Mir scheint, lieber Gorgasal, daß Briggs fast härter als ich mit diesem Verfahren ins Gericht geht, Störungen durch Änderungen in den diagnostischen Kriterien in den Stand einer klinischen Erkrankung zu erheben. Und auch von meinem Hinweis auf "der Glaser schmeißt die Scheiben ein" ist er nicht weit entfernt, wenn er auch natürlich nicht auf diesen Spottvers zurückgreift:

Zitat
It’s still worse again, because the authors conclude, “In every year over a third of the total EU population suffers from mental disorders. The true size of ‘disorders of the brain’ including neurological disorders is even considerably larger.”

Also, “less than one third of all cases receive any treatment, suggesting a considerable level of unmet needs.” Needs must be met, musn’t they? “Concerted priority action is needed at all levels, including substantially increased funding for…” well, for people like our authors. (...) The only possible solution the authors can imagine is for the government to take money from its citizens and to hand it over to them so that they can study the problem.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung anschließen: Sie haben ja Recht, daß ich hier - wie bei vielen anderen Artikeln - noch gründlicher hätte recherchieren können.

Es ist eine Frage der Zeit. Manchmal fange ich einen Artikel an, für den ich vielleicht eine oder eineinhalb Stunden veranschlage. Dann ergeben sich Fragen, die ich zu beantworten suche; ich finde neues und interessantes Material. Am Ende habe ich vielleicht vier Stunden an dem Artikel gesessen, wie zum Beispiel dem aktuellen über 9/11.

Trotzdem entgeht mir oft wichtiges Material - teils, weil ich es nicht gefunden habe; teils auch, weil ich einfach keine Zeit oder Lust hatte, weiter nachzuforschen. So war es im jetzigen Fall. Mit meinem Urteil habe ich, in aller Bescheidenheit, trotzdem richtig gelegen, wie der Beitrag von Briggs zeigt, den Sie dankenswerter- (und fairer!)weise verlinkt haben.

Weil die meisten Artikel von Ergänzungen profitieren, freue ich mich immer über Kritik und zusätzliche Gesichtspunkte hier im kleinen Zimmer, die ich manchmal auch nachträglich in den Artikel einbaue. Auch Ihre Kritik war - wie sagt man heute? - helpful.

Herzlich, Zettel

Gorgasal Online




Beiträge: 4.095

13.09.2011 12:53
#43 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Techniknörgler

Zitat

Brauchen wir auch weniger Ärzte, Klempner, Computerfachleute, Metzger? Die nehmen uns auch die Verantwortung für uns selbst, wann hätte ich denn das letzte Mal eine Bronchitis kuriert, eine Toilette eingebaut, meinen Rechner neu installiert, ein Schwein geschlachtet? Und umgekehrt bin ich ganz glücklich, dass es Leute gibt, die von der Ätiologie psychischer Störungen eine Ahnung haben und wissen, wann (und welche) Psychotherapie oder medikamentelle Therapie helfen kann.



Lieber Gorgasal, hier vergleichen Äpfel mit Birnen: Im einen Fall geht es um Dienstleistungen und Warenproduktion für die ihnen Fachkompetenz oder Zeit fehlen, weshalb sie diese in Anspruch nehmen. Zettel ging es (wenn ich seinen Kritikpunkt richtig verstanden habe) um Berufsbilder die den Menschen die moralische Verantwortung nehmen und sie bemüttern, einer Infantilisierung der Gesellschaft Vorschub leisten.



Ich habe - ohne selbst vom Fach zu sein - einen winzigkleinen Einblick in die klinische Psychologie. Und ich postuliere hier, dass Psychotherapeuten und Professoren für klinische Psychologie einem Normalbürger auf ihrem Feld an Fachkompetenz mindestens ebensoweit voraus sind wie Ärzte, Klempner, Computerfachleute und Metzger auf dem jeweils ihren.

Und bei jemandem eine klinische Depression zu diagnostizieren (die - anders als in Zettels Artikel darstellt - sehr wohl von gelegentlichen Phasen einer depressiven Verstimmung unterschieden werden), nimmt dem Patienten in keinster Weise moralische Verantwortung ab oder infantilisiert ihn.

Über die Zahlen von Wittchen et al. können wir uns gerne streiten. Aber es geht mir ein wenig gegen den Strich, wenn die Reaktion auf eine erhöhte Inzidenz psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft sich auf "Infantilisierung" beschränkt.

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Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

johngalt Offline



Beiträge: 14

13.09.2011 13:36
#44 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Zettel
Ich teile allerdings nicht die optimistische Beurteilung dessen, was Psychotherapie leisten kann (welche denn überhaupt?) in weiten Teilen der Öffentlichkeit.


Lieber Herr Zettel!

Es ging mir nicht um eine Beurteilung der der Psychotherapie. Im Endeffekt muss jeder Mensch für sich entscheiden, wie er den Wert der Psychotherapie sieht. Und welche der Therapiearten er bevorzugt. Wo ich Ihnen aber Recht gebe ist beim Fehler im System, da die Betroffenen nicht unmittelbar für die Kosten selber verantwortlich sind, sondern eine Gemeinschaft und dieses führt oft zum Missbrauch. Und schadet den wirklich Betroffenen.

Zitat von Zettel
Und ich bin der Auffassung, daß nicht jeder, der "eine Therapie macht", auch im klinischen Sinn krank ist.


Dieser Auffasung stimme ich auch zu. Ebenso sehe ich aber dass vielen, die keine Therapie in Anspruch nehmen, bei einer Therapie geholfen werden könnte.

Zitat von Zettel
Ich glaube, lieber johngalt, daß Sie, was meine Einstellung angeht, eine etwas voreilige Ferndiagnose gestellt haben.


Entschuldigen Sie. Es war nicht meine Absicht Ihnen was zu unterstellen oder persönlich anzugreifen.
Ich hatte nur diesen Eindruck gewonnen, da Sie die Psychologen mit Ärzten verglichen haben und diese in Relationen zu einander gesetzt haben.
Ich persönlich empfinde, dass jemand welcher mir hilft, dass ich nicht bei einem Arzt lande, oder mich parallel zum Arzt begleitet und meine Genesung positiv beeinflusst, nicht weniger wichtig ist. Aber wie gesagt, im Endeffekt soll es jeder für sich selbst entscheiden können.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.09.2011 16:33
#45 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von johngalt

Zitat von Zettel
Ich teile allerdings nicht die optimistische Beurteilung dessen, was Psychotherapie leisten kann (welche denn überhaupt?) in weiten Teilen der Öffentlichkeit.


Lieber Herr Zettel!

Es ging mir nicht um eine Beurteilung der der Psychotherapie. Im Endeffekt muss jeder Mensch für sich entscheiden, wie er den Wert der Psychotherapie sieht. Und welche der Therapiearten er bevorzugt.


Eigentlich, lieber johngalt, sollte es ja so sein wie in der somatischen Medizin: Der Arzt erstellt eine Diagnose und entscheidet dann über die Therapie. Der Patient kann sie natürlich ablehnen; aber es fehlt im logischerweise die Kompetenz, zu entscheiden, welche Therapie die richtige ist.

In der Psychotherapie ist es nun aber - immer noch - so, daß "Schulen" miteinander konkurrieren. Es gibt Psychotherapeuten, die auf die orthodoxe Psychoanalye schwören; andere auf NLP, Gestalttherapie, rational-emotive Therapie und so fort.

Das hat mit Wissenschaft wenig zu tun. Den ernsthaftesten Versuch, auf empirischer Grundlage zu einer Bewertung aller dieser "Therapien" zu kommen und zu klären, wann welche Therapie indiziert ist, hat der verstorbene Klaus Grawe mit seinen Mitarbeiterinnen unternommen.

Nicht überraschend zeigte ihre Metaanalye, daß - dort, wo sie indiziert ist - die Verhaltenstherapie in ihrer Wirksamkeit am besten gesichert ist. Ob eine "große Psychoanalyse" irgend etwas nutzt, weiß aber zum Beispiel niemand. Neben der Verhaltenstherapie ist noch am ehesten die klientzentrierte Therapie erfolgreich; aber wenig zur Therapie wirklich schwerer Fälle geeignet.



Noch einmal: In der Öffentlichkeit wird das, was man mit Psychotherapie erreichen kann, maßlos überschätzt. Die meisten Verfahren sind nicht validiert.

Es ist auch methodisch sehr schwierig, die Wirksamkeit einer Psychotherapie nachzuweisen.

Das liegt zB daran, daß Menschen dann eine Therapie suchen, wenn es ihnen schlecht geht. Es ist nun aber glücklicherweise so, daß man sich meist berappelt. Daß es nach der Therapie besser ist, besagt also gar nichts über deren Wirksamkeit (prä-post-Vergleich).

Besser ist es, die therapierte Gruppe mit einer Wartegrupppe zu vergleichen. Aber auch das besagt nicht viel; denn viele Menschen fühlen sich schon besser, nur weil sie "in Therapie" sind; und sei es eine windige Therapie.

Und so fort. Das ist alles nicht so ganz einfach.

Herzlich, Zettel

johngalt Offline



Beiträge: 14

13.09.2011 17:55
#46 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Lieber Herr Zettel,

wie Sie auch schon schreiben: "Das ist alles nicht so ganz einfach".

Man könnte darauf sehr lang antworten oder auch sehr kurz. Um den Rahmen nicht zu sprengen versuche ich es mich kurz zu fassen.

Auch in der somatischen Medizin gibt es diverse Richtungen, Verfahren, Methoden, ... Der Patient ist dort ähnlich "ausgeliefert" wie bei der Psychotherapie. "Schulen" ist in der Psychotherapie ein veraltetes Begriff. Besser kann man es als Verfahren kennzeichnen.
Es gibt aktuell "nur" drei Verfahren, welche offiziell anerkannt sind. Es ist die Verhaltenstherapie, der tiefenpsycholigische Ansatz und die Psychoanalyse. Diese drei Therapieansaetze haben im standartisierten Messungen die Wirksamkeit belegt. Was nicht besagt, dass andere Verfaren nicht wirksam sind, sondern nur dass diese es eben noch nicht offiziell belegt haben.

Klaus Grawe versuchte sich an einem übergreifenden Modell. Ursprunglich kam er aber aus der Verhaltenstherapie und diese wurde bei Ihm teilweise präferiert, was ein Grund mit war, dass seine Erkentnisse nicht global anerkannt wurden. Oft ist ist aber eine Wirksamkeit bei der Verhaltenstherapie leichter zu beweisen, da diese häufig spezielle Themen bearbeitet wie Phobien, wo die Wirksamkeit eben viel schneller überprüft werden kann.

Also, wie Sie, sehe ich auch das Thema wirklich auch nicht einfach. Ich sehe es aber bei Ärzten auch nicht viel einfacher.
Wie ist Ihre Meinung zu Psychiater oder auch Neurologen? Wurden Sie den psychiatrischen Ansatz bevorzügen, wenn man Medikamente verschreibt und damit den Patienten sofort erstmal hilft? Die unmittelbare Wirkung ist da erstmal sofort gegeben. Die Langzeitwirkung aber bleibt aber oft auf der Strecke.

Pirx Offline



Beiträge: 92

13.09.2011 18:13
#47 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Zettel

Das liegt zB daran, daß Menschen dann eine Therapie suchen, wenn es ihnen schlecht geht. Es ist nun aber glücklicherweise so, daß man sich meist berappelt. Daß es nach der Therapie besser ist, besagt also gar nichts über deren Wirksamkeit (prä-post-Vergleich).

Besser ist es, die therapierte Gruppe mit einer Wartegrupppe zu vergleichen. Aber auch das besagt nicht viel; denn viele Menschen fühlen sich schon besser, nur weil sie "in Therapie" sind; und sei es eine windige Therapie.

Und so fort. Das ist alles nicht so ganz einfach.

Die Vergleichsgruppe müsste also eine Placebo-Psychotherapie erhalten

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.09.2011 18:26
#48 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von johngalt
"Schulen" ist in der Psychotherapie ein veraltetes Begriff. Besser kann man es als Verfahren kennzeichnen.

Schön wär's, lieber johngalt. Aber fragen Sie einmal eine orthodoxen Freudianer, was er von der Verhaltenstherapie hält, oder umgekehrt. Auch RET, NLP, Gestalttherapie und viele andere verstehen sich nach wie vor als Schulen und nicht einfach als Verfahren unter anderen.

Zitat von johngalt
Es gibt aktuell "nur" drei Verfahren, welche offiziell anerkannt sind. Es ist die Verhaltenstherapie, der tiefenpsycholigische Ansatz und die Psychoanalyse.

Meines Wissens die Verhaltenstherapie, die (klientzentrierte) Gesprächstherapie und die Psychoanalyse = Tiefenpsychologie. Diese letztere hat niemals einen Wirkungsnachweis geliefert; es ist ein Skandal, daß sie "anerkannt" ist. Das gilt für die orthodoxe Freud'sche Psychoanalyse ebenso wie für die vielen Abspaltungen - Individualpsychologie à la Adler, Psychosynthese à la Jung, die Neopsychoanalyse à la Sullivan und Fromm und mancherlei mehr.

Zitat von johngalt
Diese drei Therapieansaetze haben im standartisierten Messungen die Wirksamkeit belegt. Was nicht besagt, dass andere Verfaren nicht wirksam sind, sondern nur dass diese es eben noch nicht offiziell belegt haben.

Korrigieren Sie mich, lieber johngalt: Jedenfalls Grawe und sein Team haben keinen einzigen wissenschaftlichen Wirkungsnachweis für die Psychoanalyse gefunden. Worauf stützen Sie ihre Aussage?

Zitat von johngalt
Klaus Grawe versuchte sich an einem übergreifenden Modell.

Das hat er auch gemacht; übrigens gar kein schlechtes. Ich meine aber seine Metaanalyse "Psychotherapie im Wandel - von der Konfession zur Profession", zusammen mit Ruth Donati und Friederike Bernauer.

Zitat von johngalt
Ursprunglich kam er aber aus der Verhaltenstherapie und diese wurde bei Ihm teilweise präferiert, was ein Grund mit war, dass seine Erkentnisse nicht global anerkannt wurden.

Dafür sehe ich keinen Beleg. Die Metaanalyse seines Teams war von makelloser Objektivität; auch, was die Bewertung der Reliabilität der einzelnen publizierten Ergebnisse angeht. Daß Verhaltenstherapeuten wissenschaftlich sauberer arbeiten als, sagen wir, NLPler, ist ja nicht die Schuld Grawes.

Zitat von johngalt
Wie ist Ihre Meinung zu Psychiater oder auch Neurologen? Wurden Sie den psychiatrischen Ansatz bevorzügen, wenn man Medikamente verschreibt und damit den Patienten sofort erstmal hilft? Die unmittelbare Wirkung ist da erstmal sofort gegeben. Die Langzeitwirkung aber bleibt aber oft auf der Strecke.

Psychische Erkrankungen sind Störungen der Hirntätigkeit. Je besser wir die beteiligten Hirnmechanismen verstehen, umso wirksamer wird man medikamentös therapieren können.

Bei Depressionen beispielsweise sind die Störungen im Serotonin-Haushalt schon recht gut verstanden. Schizophrenie wurde noch in den siebziger Jahren bevorzugt mit "double bind" erklärt; heute zweifelt kaum noch jemand daran, daß Störungen des Dopamin-Haushalts vor allem im Frontalhirn der entscheidende Faktor sind.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.09.2011 18:35
#49 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Pirx

Zitat von Zettel

Das liegt zB daran, daß Menschen dann eine Therapie suchen, wenn es ihnen schlecht geht. Es ist nun aber glücklicherweise so, daß man sich meist berappelt. Daß es nach der Therapie besser ist, besagt also gar nichts über deren Wirksamkeit (prä-post-Vergleich).

Besser ist es, die therapierte Gruppe mit einer Wartegrupppe zu vergleichen. Aber auch das besagt nicht viel; denn viele Menschen fühlen sich schon besser, nur weil sie "in Therapie" sind; und sei es eine windige Therapie.

Und so fort. Das ist alles nicht so ganz einfach.

Die Vergleichsgruppe müsste also eine Placebo-Psychotherapie erhalten


Sie haben den Punkt getroffen, lieber Pirx. Vor allem mit dem Teufelchen - denn es gehört zu den Eigenarten der Psychotherapie, daß niemand zwischen Placebo-Effekten und "echten" Effekten unterscheiden kann.

In Paris gibt es ich weiß nicht wie viele afrikanische Medizinmänner mit ihren Praxen; sie erzielen, wenn ich den betreffenden Berichten glaube, ausgezeichnete psychotherapeutische Erfolge. Wieso auch nicht?

Aber ernsthaft: Aus meiner Sicht ist das einzige vernünftige Verfahren, wenn es um den Wirkungsnachweis geht, der Vergleich zwischen verschiedenen Therapien. Von fünfzig Zwangsneurotikern, die sich in einer Klinik melden, werden nach Zufall 25 einer psychoanalytischen und 25 einer verhaltenstherapeutischen Behandlung zugeteilt.

Man erhebt den Status vor und nach der Behandlung. Und dann wird man sehen.

Herzlich, Zettel

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.09.2011 18:50
#50 RE: Zitat des Tages: Wir kranken Europäer Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Pirx

Zitat von Zettel

Das liegt zB daran, daß Menschen dann eine Therapie suchen, wenn es ihnen schlecht geht. Es ist nun aber glücklicherweise so, daß man sich meist berappelt. Daß es nach der Therapie besser ist, besagt also gar nichts über deren Wirksamkeit (prä-post-Vergleich).

Besser ist es, die therapierte Gruppe mit einer Wartegrupppe zu vergleichen. Aber auch das besagt nicht viel; denn viele Menschen fühlen sich schon besser, nur weil sie "in Therapie" sind; und sei es eine windige Therapie.

Und so fort. Das ist alles nicht so ganz einfach.

Die Vergleichsgruppe müsste also eine Placebo-Psychotherapie erhalten


Sie haben den Punkt getroffen, lieber Pirx. Vor allem mit dem Teufelchen - denn es gehört zu den Eigenarten der Psychotherapie, daß niemand zwischen Placebo-Effekten und "echten" Effekten unterscheiden kann.

In Paris gibt es ich weiß nicht wie viele afrikanische Medizinmänner mit ihren Praxen; sie erzielen, wenn ich den betreffenden Berichten glaube, ausgezeichnete psychotherapeutische Erfolge. Wieso auch nicht?

Aber ernsthaft: Aus meiner Sicht ist das einzige vernünftige Verfahren, wenn es um den Wirkungsnachweis geht, der Vergleich zwischen verschiedenen Therapien. Von fünfzig Zwangsneurotikern, die sich in einer Klinik melden, werden nach Zufall 25 einer psychoanalytischen und 25 einer verhaltenstherapeutischen Behandlung zugeteilt.

Man erhebt den Status vor und nach der Behandlung. Und dann wird man sehen.

Herzlich, Zettel



Also ich schlussfolgere daraus, dass die Psychologie sich der Kritik an ihr nach Form und Inhalt nicht zugänglich zeigt.

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