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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 57 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

01.12.2011 21:14
#51 RE: Marginalie: Ist Breivik schizophren? Antworten

Zitat von Zettel
Ich bin Kantianer, was die Erkenntnistheorie angeht. Ich sehe nicht, daß die Erkenntnistheorie wesentlich über Kant hinausgekommen ist.

Verstandeskategorien gehören dazu. Ich bin gar nicht einmal sicher, daß Daniel Dennett sie kennt oder ihre Existenz akzeptiert. Er hat, wie gesagt, von Kant wenig Ahnung; wie überhaupt von der Geschichte der Philosophie. Das interessiert ihn nicht; so wenig, wie einen Teilchenphysiker Demokrit.

Ich denke aber, dass die stances das konzeptualistische Element in Dennetts System einnehmen - sie sind die Art und Weise, wie uns die Evolution zu denken eingegeben hat, und da können wir nicht raus. Insofern sind sie schon so etwas wie Kategorien, auch wenn Dennett sie natürlich rein funktionalistisch interpretiert.

Zitat von Zettel
Die Größe dieses erbarmungslosen Gedankens ist erschreckend; so etwas konnte eben nur dieser geniale Mann denken. Dennett denkt es in sozusagen verwässerter Form.

Genau. Die Verwässerung liegt im Funktionalismus, während Kant uns das ganze Programm zumutet, vor allem in die Praktische Philosophie hinein (die bei Dennett sich aus meiner Sicht auf "Geh nicht in die Kirche und sei nett zu deinen Nachbarn" beschränkt )

Zitat von Zettel
DIch mag das nicht eingestehen; insofern bin ich kein Kantianer. Ja, die Welt ist weithin unerklärlich. Aber wir geben uns verloren, wenn wir aufhören, sie erklären zu wollen.

Das Erklären bestreitet er ja gar nicht, synthetische Sätze über die Welt sind ja möglich, problematisch wird es erst, wenn Sie behaupten, über die Welt da draußen was auszusagen.

Zitat von Zettel

Zitat von Meister Petz
Der fundamentale Unterschied ist aus meiner Sicht, dass Dennett's Intentional Stance ein bloßes Interpretationsmodell ist, das allem den gleichen Grad an Intentionalität zuschreibt, was einen Turingtest besteht. Da würde Kant nie mitziehen.

Mich würde dazu die Meinung von Herr interessieren.

Er hat - ich glaube, als er in dieses Forum kam - zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß Kant das, was für den Menschen als vernünftiges Wesen gilt, für jedes denkbare vernünftige Wesen gelten lassen möchte.

Ich habe das damals, wenn ich mich recht erinnere, bestritten; mich aber danach überzeugt, daß es solche Stellen bei Kant gibt.


Vernünftiges Wesen im Kantschen Sinne, schließt das nicht Intentionalität ein? Nicht nur ein von einem intentional stance als solches wahrnehmbares? Ich habe Kant immer so verstanden, dass der Vernunft eine Teleologie innewohnt, die man nicht funktional wegerklären kann.

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

01.12.2011 21:43
#52 RE: Marginalie: Ist Breivik schizophren? Antworten

Zitat von Zettel
Man darf Korrelationen nicht klassifikatorisch interpretieren; so wenig, wie (ohne weitere Informationen) kausal. Aber Meßfehler liefern auch keine Begründung für Willensfreiheit.


Das ist ein interessanter Punkt. Dass die neurobiologischen Korrelationen nicht zur Klassifikation taugen, liegt Ihrer Ansicht nach an Messfehlern? Bessere Messungen, stärkere Magneten, vielleicht die Kombination von MRT und EEG (ist schon Standard) mit Messungen der Hormonreagibilität bei bestimmten Paradigmen und Genotypisierung, alles um den Messfehler zu reduzieren, kämen wir dann einer solchen Klassifikation näher?

Ich denke nicht. Erstens weil die ganz natürliche Variabilität im gesunden, im kranken und im psychopathischen Gehirn immens ist. Das hat dann nichts mit Messfehlern zu tun. Und wir werden nie das gesamte System Mensch soweit durchschauen können, um eine Breivik-Biologiekonstellation von einer Kolbe-Biologiekonstellation unterscheiden zu können. Einerseits weil die kombinatorische Explosion uns erschlägt, wir haben nur 7 Milliarden Datenpunkte im Trainingsset, und jeder neue Datenpunkt wird sich von jedem früheren unterscheiden. Und andererseits (und zweitens) weil ich den Extremreduktionismus, der nötig ist, um solch ein Programm ernsthaft zu diskutieren, so überhaupt nicht ernst nehmen kann

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.12.2011 21:46
#53 Kant und Dennett Antworten

Lieber Petz,

es ist mir eine Freude, mit Ihnen und Gorgasal über Kant zu diskutieren, und Erkenntnistheorie und Statistik; ich hoffe, daß auch Herr bald wieder mit von der Partie ist.

Und über Beiträge von anderen, vor allem DrNick, würde ich mich sehr freuen.

Cela dit:

Zitat von Meister Petz

Zitat von Zettel
Die Größe dieses erbarmungslosen Gedankens ist erschreckend; so etwas konnte eben nur dieser geniale Mann denken. Dennett denkt es in sozusagen verwässerter Form.

Genau. Die Verwässerung liegt im Funktionalismus, während Kant uns das ganze Programm zumutet, vor allem in die Praktische Philosophie hinein (die bei Dennett sich aus meiner Sicht auf "Geh nicht in die Kirche und sei nett zu deinen Nachbarn" beschränkt )


Dennett ist ein Aufklärer, wie Kant. Er ist aber ein optimistischer Aufklärer.

Dennett ist ein heiterer, fast fröhlicher Mensch. Er ist ganz Amerikaner darin, daß es aus seiner Sicht keine Grenzen gibt; auch und gerade nicht des Erkennens. Er ist ein begeisternder Mann, ungemein sympathisch und - jedenfalls für mich - faszinierend.



Kant war auch für seine Zeitgenossen faszinierend. Er war ja kein trockener Hagestolz, sondern sehr gesellig. Seine Vorlesungen waren witzig.

Aber dieser Mann mit dem ungewöhnlichen Gehirn dachte in die Abgründe hinein. Vielleicht so tief wie nie ein Anderer.

Der ebenfalls geniale Kleist hat ihn verstanden. Er hat sich nicht in seiner "Kantkrise" das Leben genommen, sondern erst einige Jahre danach. Aber Kleist hat verstanden, daß Kant ein Existentialphilosph war.

Einer, neben dem, lieber Petz, Leichtgewichte wie Heidegger und Sartre verblassen. Kierkegaard, der hatte auch diese Ernsthaftigkeit; aber nicht die intellektuelle Schärfe von Kant.

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

01.12.2011 23:23
#54 firing neurons Antworten

Zitat von Zettel
Lieber Petz,

es ist mir eine Freude, mit Ihnen und Gorgasal über Kant zu diskutieren, und Erkenntnistheorie und Statistik; ich hoffe, daß auch Herr bald wieder mit von der Partie ist.

Und über Beiträge von anderen, vor allem DrNick, würde ich mich sehr freuen.

Ganz meinerseits, gerade bei Kant kann ich so viel lernen!

Zitat von Zettel
Dennett ist ein heiterer, fast fröhlicher Mensch. Er ist ganz Amerikaner darin, daß es aus seiner Sicht keine Grenzen gibt; auch und gerade nicht des Erkennens. Er ist ein begeisternder Mann, ungemein sympathisch und - jedenfalls für mich - faszinierend.

Kant war auch für seine Zeitgenossen faszinierend. Er war ja kein trockener Hagestolz, sondern sehr gesellig. Seine Vorlesungen waren witzig.

Das spricht ja dafür, dass die These, die die ganze Diskussion ausgelöst hat, nicht wahr ist. Es kratzt den Menschen eben nicht in seinem Selbstverständnis, dass sein Geist eine materielle Basis hat. An einer CogSci-Fakultät gab es mal ein T-Shirt mit einem kitschigen Herz und dem Aufdruck "It*s only firing neurons, honey"

Gruß Petz

PS: Wo kommt eigentlich das Bild des pedantischen Spießers Kant her?

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.12.2011 01:12
#55 RE: firing neurons Antworten

Zitat von Meister Petz
PS: Wo kommt eigentlich das Bild des pedantischen Spießers Kant her?

Ich kenne Kants Leben vor allem aus der prächtigen Biographie von Manfred Kühn. Da schildert er, glaube ich, wie diese Legende in die Welt kam; aber ich erinnere mich leider nicht an die Einzelheiten.

Kant war in Königsberg eine stadtbekannte Figur; wie später Schopenhauer in Frankfurt. Wie dieser war er Junggeselle; der Diener Lampe regelte sein Leben. Da gab es schon Regelmäßigkeiten; etwa den berühmten Spaziergang.

Er hatte in seiner aktiven Zeit Lehrverpflichtungen, die sich ein heutiger Professor kaum vorstellen kann - mehr als zwanzig Semesterwochenstunden, wenn ich mich recht erinnere. (Es waren allerdings zum Teil wirklich reine "Vorlesungen" aus Büchern). Er führte ein geselliges Haus mit vielen, wechselnden Tischgenossen.

Irgendwie fand er noch genug Zeit zum Denken und zum Schreiben.

Herzlich, Zettel

Martin Offline



Beiträge: 4.129

02.12.2011 08:24
#56 RE: Marginalie: Ist Breivik schizophren? Antworten

Zitat von Zettel
Dies gesagt, lieber Gorgasal:

Mein Punkt ist, daß bisher die Grenze zwischen Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit ziemlich klar zu ziehen war; bald aber vielleicht nicht mehr. Schuldunfähig ist derjenige, bei dem eine - dauernde oder vorübergehende - Beeinträchtigung der Gehirnfunktion vorliegt. Im deutschen Strafrecht:

Zitat
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Wie bestimmt, wie ermittelt man das "unfähig"? Bisher wurde es bei einer Psychose angenommen, bei Schwachsinn oder bei einer Bewußtseinsstörung durch Drogen usw.

Seit Jahrzehnten wird nun aber vermutet, daß bei Psychopathen die Frontalhirnfunktionen gestört sind; siehe aktuell zum Beispiel hier.

Soll der Richter jetzt dem Betreffenden sagen: "Aber Sie hätten fähig sein müssen, diese Störung zu beherrschen!" Wenn dieser vielleicht zufällig ein Hirnphysiologe ist, dann könnte er antworten: "Aber die Störung besteht ja gerade darin, daß ich sie nicht beherrschen kann".

Also sollten nicht mehr nur Psychotiker, sondern auch Psychopathen schuldunfähig sein. Ist das die new frontier? Und welche kommt dann?

Herzlich, Zettel




Lieber Zettel,

es ist zwar nicht mein Themengebiet, deshalb kann ich vielleicht umso unbelasteter darüber nachdenken.

Zur Schuldfähigkeit:
Was genau bedeutet 'das Unrecht einer Tat einsehen'? Muss das ein Strafmaß beeinflussen? Ein erwachsener Mensch muss ja nicht ein Unrecht einsehen, er kann aber lernen, dass seine Umgebung unter Strafandrohung bestimmte Taten nicht duldet. Das sind unterschiedliche Dinge, und ich sehe die Schwelle für das Erkennen, was geduldet ist und was nicht, deutlich niedriger als die Einsicht, warum das so ist. Die Zeit bis zum Erwachsenwerden müsste reichen um die Anforderungen der Umwelt zu lernen, der Mensch lernt in dieser Zeit ja auch, dass er auf die Nase fällt wenn er an der Treppe den Fuß nicht anhebt.

Zum Beherrschen Können und Hirnphysiologie: Es mag ja sein, dass eine bestimmte Hirnphysiologie mit - sagen wir mal - niedrigeren Hemmschwellen korreliert. Aber auch hier gilt, dass ein einigermaßen ins Erwachsenenalter Gekommener gelernt haben muss, mit seinen spezifischen Eigenschaften zurechtzukommen, das heißt auch, Situationen zu meiden, die er nicht beherrschen kann. So wie ein Contergangeschädigter lernen muss, mit seinen verkümmerten Gliedmaßen zurechtzukommen. Ein solcher Mensch kann dann nicht alles tun was 'normale' Menschen können, aber er kann nicht allzu komplexe normierte Grenzen einhalten.

Also: Breivik wusste, dass er keine Menschen erschießen darf. Das ist ein recht einfaches Prinzip. Ob er das einsieht, sollte eigentlich nicht interessieren. Warum soll sich das Gericht damit beschäftigen, ob er sich ein Recht auf seine Taten vorgegaukelt hat?

Ich weiß, etwas simpel, aber was spricht gegen einfache Ansätze?

Gruß, Martin

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.255

02.12.2011 09:37
#57 RE: firing neurons Antworten

Zitat von Zettel
Er hatte in seiner aktiven Zeit Lehrverpflichtungen, die sich ein heutiger Professor kaum vorstellen kann - mehr als zwanzig Semesterwochenstunden, wenn ich mich recht erinnere. (Es waren allerdings zum Teil wirklich reine "Vorlesungen" aus Büchern).

Im Vergleich zu den heutigen Verpflichtungen eines Profs, hatten die damals relativ wenig zu tun. Seminararbeiten gab's nicht, und selbst eine Vorbereitung auf eine Vorlesung war meist nicht nötig. Die Studenten kamen, oder auch nicht ... easy livin, sozusagen. Das war meines Wissens selbst in den 50ern des letzten Jahrhunderts nicht anders. Korrigieren Sie mich bitte, falls ich mich irre.

 
Mit freundlichem Gruß

--
„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ – sagt Ingeborg Bachmann

C. Offline




Beiträge: 2.639

22.12.2011 13:04
#58 RE: Marginalie: Ist Breivik schizophren? Antworten

Zitat von Zettel

Er wäre damit nicht schuldunfähig; nach deutschem Recht nicht und offenbar auch nicht nach norwegischem.



Nachtrag: Breivik nicht zurechnungsfähig

Zitat
Oslo (dpa) - Eine norwegische Prüfungskommission hat das umstrittene Gutachten zur Unzurechnungsfähigkeit des Massenmörders Anders Behring Breivik bestätigt. Die Kommission aus Rechtsmedizinern erklärte, sie habe keine Anmerkungen zu dem Gutachten von zwei Rechtspsychiatern. Diese hatten Breivik als «psychotisch» und «paranoid schizophren» eingestuft und damit teilweise heftige Kritik im In- und Ausland ausgelöst


Damit werden sich die Kritiker "aus dem In- und Ausland" nicht zufrieden geben.

http://iceagenow.info

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