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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 25 Antworten
und wurde 3.142 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.04.2012 21:03
Wie man einen Skandal macht Antworten

Aktuell scheint es noch immer so zu sein, daß irgendwo in den Medien der echte Text der geplanten GO-Änderung veröffentlich wurde. Ich habe ihn selber nur von einer zuverlässigen Quelle im Bundestag erhalten. Die Hysterie geht also weiter.

Parallel wird übrigens auch über eine Änderung des §31 diskutiert. Der hat aber mit Lammert/Schäffler gar nichts zu tun. Sondern da geht es um persönliche Erklärungen - ein GO-Paragraph, den die Kommunisten massiv mißbraucht hatten und wo eine Reform dringen nötig ist. Wie genau die aussehen könnte, ist aber wohl noch in Diskussion.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

16.04.2012 21:16
#2 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Ok, dann hängt viel jetzt von der juristischen Bewertung des Ausdrucks "im Benehmen" ab. Das ist ja auch unter Berücksichtigung des Wikipedia-Zitats nicht so klar, wie du es gerne vorstellen würdest. "Nicht unbedingt" kann heißen "im konkreten Fall schon".

Aber wir haben schon mal neu eine Beschränkung der entsprechenden Redezeit auf 3 Minuten. Diese gilt auch für die Erklärung zur Abstimmung, wo bisher 5 Minuten vorgesehen waren.

Gehen wir das Ganze doch mal pragmatisch an: Wenn deine Interpretation stimmt, hätte sich gegenüber Lammerts vorher nicht von der GO gedeckten Praxis nur geändert, dass die Redezeit auf 3 Minuten beschränkt wurde. Woher kommt dann also der Anstoß zur Regelung? Aus Güte der Fraktionen, die sich ob Lammerts Vorstoß begeistert gezeigt haben und das deswegen endlich in Regelform gießen wollten?

Auch generell darf man gegenüber der hiermit verbundenen erneuten Aufwertung der Fraktionen grundgesetzliche Bedenken haben.

Aber seien wir gnädig. Sobald "im Benehmen mit den Fraktionen" durch "nach Information der Fraktionen" ersetzt wurde und es bei den fünf Minuten bleibt, soll das meinetwegen durchgehen. Wozu die Unklarheit des "nicht unbedingt" ausprobieren.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

C. Offline




Beiträge: 2.639

16.04.2012 21:45
#3 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Lieber Zettel,

also dürfen alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben? Dann bin ich beruhigt und Kauder hat sich geirrt.

Der Riesling gehört zu Deutschland.

Jenninger Offline



Beiträge: 14

16.04.2012 21:47
#4 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Laut Liberaler Aufbruch soll die Änderung des §31 so erfolgen:

§ 31 Erklärung zur Abstimmung
(1) Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.
(2) Jedes Mitglied des Bundestages kann vor der Abstimmung erklären, daß es nicht an der Abstimmung teilnehme.

Neue Version:

§ 31 Erklärung zur Abstimmung
(1) Nach Schluss der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Anstelle der schriftlichen Erklärung nach Satz 1 kann der Präsident das Wort für eine mündliche Erklärung, die nicht länger als drei Minuten dauern darf, erteilen.

Das ist schon ein Unterschied.

Michael B. Offline



Beiträge: 66

16.04.2012 21:55
#5 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat
Wenn sich die Fraktionen im Ältestenrat einigen [...], gibt es KEINE Redezeit für einzelne Abgeordnete außerhalb der Fraktionsredezeit.
Das kann man jetzt kritisieren - aber wenn die SZ behauptet, "sollen künftig nur diejenigen Parlamentarier das Wort erhalten, die von den Fraktionen dazu bestimmt wurden." - dann ist das schlicht falsch. Das ist nicht neu, sondern schon immer Praxis.


Hier liegt glaube ich ein Denkfehler Ihrerseits vor: Die GO legt ja keineswegs fest, daß nur von der Fraktion bestimmte Redner das Wort erhalten; dies ist lediglich Praxis. Siehe auch §27(1): "Mitglieder des Bundestages, die zur Sache sprechen wollen, haben sich in der Regel bei dem Schriftführer, der die Rednerliste führt, zum Wort zu melden." So etwas wie "Fraktionsredezeit" gibt es in der GO nicht, das ist lediglich Praxis, so wie der "Fraktionszwang", den es eigentlich auch nicht gibt, oder geben dürfte. Bisher bedurfte es, um diese Redner auszuschließen, einer einvernehmlichen Ausnahmeregelung des Ältestenrates, um dieses zu tun. Die neue Regeleung hingegen kehrt dieses um: Der Präsident kann diesen Leuten für 3 Minuten das Wort erteilen, es ist aber nicht (mehr) die Regel.

Zitat
Als Lammert eigenmächtig im letzten Winter den "ESM-Rebellen" Schäffler und Willsch das Wort erteilte, dann war das politisch wohl eine gute Idee - aber ohne Grundlage in der Geschäftsordnung.


Auch das ist nicht richtig, die Grundlage ist neben §27(1) evtl. auch §28(1), der vorsieht, daß "insbesondere soll nach der Rede eines Mitgliedes oder Beauftragten der Bundesregierung eine abweichende Meinung zu Wort kommen" soll.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.04.2012 21:59
#6 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Rayson
Ok, dann hängt viel jetzt von der juristischen Bewertung des Ausdrucks "im Benehmen" ab.


Nicht wirklich. Dazu gibt es ja gefestigte Rechtsprechung und langjährige Verwaltungspraxis.

Im Prinzip bedeutet es, daß die Fraktionen informiert werden müssen und gegebenenfalls ihre Bedenken vortragen können. Was ja auch völlig unproblematisch ist. Dann entscheidet der Bundestagspräsident nach eigenem Ermessen.
Im sonstigen Leben kann es dann juristische Probleme geben, wenn Bedenken vorgetragen wurden, die die Entscheidung als sachlich nicht gerechtfertigt darlegen und die Entscheidung trotz der Bedenken fällt. Dazu muß es aber erst einmal Richtlinien für "sachlich nicht gerechtfertigt" geben. Das ist bei Genehmigungsverfahren etc. normalerweise der Fall, da KANN ein "Benehmen" also durchaus eine gewisse Bremswirkung haben.
Im Bundestag dagegen gibt es solche Richtlinien nicht, und der Bundestagspräsident müßte es schon ganz krass treiben, bevor das irgendwie justiziabel werden kann.

Zitat
Aber wir haben schon mal neu eine Beschränkung der entsprechenden Redezeit auf 3 Minuten.


Gegenüber bisher GO-mäßigen 0 Minuten.
Und die 3 Minuten gelten auch nur "in der Regel", in begründeten Fällen kann der Bundestagspräsident auch mehr zubilligen.

Zitat
Wenn deine Interpretation stimmt, hätte sich gegenüber Lammerts vorher nicht von der GO gedeckten Praxis nur geändert, dass die Redezeit auf 3 Minuten beschränkt wurde.


Nein. Geändert hätte sich im wesentlichen, daß es überhaupt eine Regelung gibt! Lammert hat sich ja für seinen GO-Verstoß eine Rüge eingefangen. Und obwohl ich ihm in der Sache zustimme - die Rüge war natürlich berechtigt. Und wenn er das weiter so handhaben würde, würden sie ihn wegen wiederholt regelwidrigem Verhalten wohl absägen. Es kann ja auch nicht sein, daß ein Bundestagspräsident frei Schnauze agiert und die GO mißachtet.

Zitat
Woher kommt dann also der Anstoß zur Regelung? Aus Güte der Fraktionen, die sich ob Lammerts Vorstoß begeistert gezeigt haben und das deswegen endlich in Regelform gießen wollten?


Es ist ein Kompromiß. Es ist wohl durchaus Konsens, daß "Abweichler" reden dürfen. Ich sehe hier keine Verschwörung von Zensurs-Freaks, die Meinungen unterdrücken wollen. Was auch unsinnig wäre, weil der Redebeitrag im Bundestag ziemlich das unwichtigste Mittel der Öffentlichkeitsarbeit eines "Abweichlers" ist und das Verhindern der Wortmeldung ihn ja sogar als "Opfer" moralisch stärkt.

Aber mindestens werden die Fraktionen jetzt vorher über die geplanten Wortmeldungen und die Rednerreihenfolge informiert und können sich darauf einrichten - das war wohl seinerzeit das Hauptärgernis. Und aus eigener Parlamentserfahrung finde ich es auch fair, wenn vor der Sitzung die Spielregeln klar sind und man sich vernünftig auf die Debatte vorbereiten kann.

Grundsätzlich habe ich natürlich große Vorbehalte gegen die sehr starke Stellung der Fraktionen. Aber mir ist es nicht unbedingt lieber, wenn im Gegenzug ein Bundestagspräsident ziemlich nach eigener Willkür schalten und walten kann. Die Abwägung zwischen Parlamentarierrechten und Arbeitsfähigkeit des Parlaments ist verdammt schwierig.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.04.2012 22:06
#7 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Jenninger
Laut Liberaler Aufbruch soll die Änderung des §31 so erfolgen:


Vielen Dank. Das macht natürlich schon einen Unterschied.

Hier wird dem Bundestagspräsidenten also die Möglichkeit eingeräumt, den Mißbrauch der persönlichen Erklärung zu stoppen. Die Kommunisten haben das ja benutzt, um mit Dutzenden von Wortmeldungen die Fraktionslinie wieder und wieder vorzutragen, weit über die normale Redezeit hinaus - mit "Abweichlern" hatte das überhaupt nichts zu tun.

Ob das die beste Lösung ist? Da bin ich unschlüssig. Es hängt dann sehr von der Fairneß des Präsidenten ab. Der natürlich grundsätzlich mehr zu trauen ist als der Fairneß von gewissen demokratiefeindlichen Fraktionen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

16.04.2012 22:09
#8 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Jenninger
Laut Liberaler Aufbruch soll die Änderung des §31 so erfolgen:

§ 31 Erklärung zur Abstimmung
(1) Nach Schluß der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine mündliche Erklärung, die nicht länger als fünf Minuten dauern darf, oder eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.
(2) Jedes Mitglied des Bundestages kann vor der Abstimmung erklären, daß es nicht an der Abstimmung teilnehme.

Neue Version:

§ 31 Erklärung zur Abstimmung
(1) Nach Schluss der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Anstelle der schriftlichen Erklärung nach Satz 1 kann der Präsident das Wort für eine mündliche Erklärung, die nicht länger als drei Minuten dauern darf, erteilen.

Das ist schon ein Unterschied.

Ja, lieber Jenninger, aber da geht es ja nur um das Instrument der Persönlichen Erklärung.

Dieses wurde von den Kommunisten in der Sitzung am 27. 2. 2012 grob mißbraucht, in der über das Rettungspaket für Griechenland abgestimmt wurde. Während die Debatte im TV übertragen wurde, trat einer der kommunistischen Abgeordneten nach dem anderen ans Pult und gab eine Persönliche Erklärung ab, warum er mit "nein" stimme. Man kann sich das hier ansehen.

Ich fand das damals unverschämt; ein Trick, um sich Redezeit zu erschleichen. Aber der Präsident war machtlos; denn er mußte die Persönlichen Erklärungen zulassen. Die jetzt beabsichtigte Änderung ist offenbar eine Reaktion auf diesen Vorfall. Bisher war dieses Recht meines Wissens noch nie von einer Fraktion derart mißbraucht worden; die Kommunisten haben die Änderung nachgerade erzwungen, indem sie die bisherige Regelung mißbraucht haben.

Aber das betrifft nicht den Punkt, um den es vor allem geht, nämlich Rederecht für Abgeordnete mit einer von der Fraktion abweichenden Meinung.

Herzlich, Zettel

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.04.2012 22:11
#9 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Michael B.
Die GO legt ja keineswegs fest, daß nur von der Fraktion bestimmte Redner das Wort erhalten; dies ist lediglich Praxis.


Aber eine Praxis, die sich aus dem §35 herleitet:
"Gestaltung und Dauer der Aussprache über einen Verhandlungsgegenstand werden auf Vorschlag des Ältestenrates vom Bundestag festgelegt."

Im Ältestenrat und natürlich bei der Plenarabstimmung können sich die Fraktionsführungen de facto immer durchsetzen und damit eine "Gestaltung der Aussprache" festlegen, bei der nur die Fraktionsvertreter Redezeit haben.

Zitat
die Grundlage ist neben §27(1) evtl. auch §28(1), der vorsieht, daß "insbesondere soll nach der Rede eines Mitgliedes oder Beauftragten der Bundesregierung eine abweichende Meinung zu Wort kommen" soll.


Aber WER diese Gegenrede hält, ist völlig offen. Da hätten Abweichler nur eine Chance, wenn wirklich alle Fraktionen der Bundesregierung zustimmen.
Im konkreten Fall aber hatte ja schon der Kommunistenvertreter eine abweichende Meinung zur Regierung gebracht, damit hätte Schäffler nicht mehr zu Wort kommen müssen.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

16.04.2012 22:28
#10 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von R.A.
Im Prinzip bedeutet es, daß die Fraktionen informiert werden müssen und gegebenenfalls ihre Bedenken vortragen können.



Nein, nach dem von dir zitierten Wikipedia-Artikel bedeutet es mehr. Wenn man nur ein Anhörungsrecht gewollt hätte, hätte man das auch so formulieren können.

Zitat von R.A.
Gegenüber bisher GO-mäßigen 0 Minuten.



Die in der Praxis, ohne dass eine Handhabe dagegen vorgelegen hätte, auf fünf Minuten festgelegt wurden. Woher also der Änderungsbedarf? Eine Gefahr, dass aus den 5 Minuten 0 geworden wären, bestand offensichtlich nicht.

Zitat von R.A.
Lammert hat sich ja für seinen GO-Verstoß eine Rüge eingefangen. Und obwohl ich ihm in der Sache zustimme - die Rüge war natürlich berechtigt.



Das ist die Frage. Wie weit darf sich eine GO zum Ersatzgrundgesetz aufschwingen?

Zitat von R.A.
Es ist wohl durchaus Konsens, daß "Abweichler" reden dürfen.



Der muss neu sein. Nicht nur Kauder ließ sich anders verlauten.

Zitat von R.A.
Aber mindestens werden die Fraktionen jetzt vorher über die geplanten Wortmeldungen und die Rednerreihenfolge informiert und können sich darauf einrichten - das war wohl seinerzeit das Hauptärgernis.



Come on, give me a break... Als ob es den Ablauf irgendwie gestört hätte, dass zwei Redner jeweils fünf Minuten lang sprechen.

Zitat von R.A.
Aber mir ist es nicht unbedingt lieber, wenn im Gegenzug ein Bundestagspräsident ziemlich nach eigener Willkür schalten und walten kann. Die Abwägung zwischen Parlamentarierrechten und Arbeitsfähigkeit des Parlaments ist verdammt schwierig.



Siehst du, und mir ist lieber, wenn eine qua Stellung eher unabhängige Person die Interessen eines Bundestags als Ganzes vertritt, als dass diese durch Interessen der beteiligten Fraktionen neu definiert werden.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Michael B. Offline



Beiträge: 66

16.04.2012 22:38
#11 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat
Im Ältestenrat und natürlich bei der Plenarabstimmung können sich die Fraktionsführungen de facto immer durchsetzen und damit eine "Gestaltung der Aussprache" festlegen, bei der nur die Fraktionsvertreter Redezeit haben.


Nein. Es obliegt nicht dem Ältenstenrat, die Redner zu bestimmen, sondern dem Präsidenten, der gemäß §27(1) zu handeln hat: "Ein Mitglied des Bundestages darf nur sprechen, wenn ihm der Präsident das Wort erteilt hat. [...] Mitglieder des Bundestages, die zur Sache sprechen wollen, haben sich in der Regel bei dem Schriftführer, der die Rednerliste führt, zum Wort zu melden."

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

16.04.2012 22:42
#12 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Rayson
Das ist die Frage. Wie weit darf sich eine GO zum Ersatzgrundgesetz aufschwingen?


Natürlich gar nicht. Ich sehe das Problem aber hier nicht. Ansonsten wäre der Weg zum BVerfG ja leicht.

Zitat

Zitat von R.A.
Es ist wohl durchaus Konsens, daß "Abweichler" reden dürfen.


Der muss neu sein. Nicht nur Kauder ließ sich anders verlauten.



Ich habe mich falsch ausgedrückt. Natürlich gab es auch Leute wie Kauder. Aber die waren eben (auch in den Fraktionsführungen) nicht ausschlaggebend und man hat sich auf diesen Kompromiß geeinigt (was natürlich kein echter Konsens ist).

Zitat
Come on, give me a break... Als ob es den Ablauf irgendwie gestört hätte, dass zwei Redner jeweils fünf Minuten lang sprechen.


Wenn man nicht mehr darauf antworten kann, ist das schon relevant.

Zitat
Siehst du, und mir ist lieber, wenn eine qua Stellung eher unabhängige Person die Interessen eines Bundestags als Ganzes vertritt, als dass diese durch Interessen der beteiligten Fraktionen neu definiert werden.


Da stimme ich Dir völlig zu. Lieber der Bundestagspräsident als die Fraktionschefs. Aber etwas mehr kalkulierbare Spielregeln und etwas weniger "Willkür" durch den Chef sind mir noch lieber. Es sind schließlich auch andere Bundestagspräsidenten denkbar ...

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

16.04.2012 22:45
#13 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Werter R.A.,
es wäre interessant zu wissen, von wem Sie Ihre Informationen haben.
Ihrer Rechtsansicht kann ich nicht beitreten. Wenn § 35 GO die Bedeutung hätte, die Sie ihm unterstellen, dann wären die von einem meiner Vorredner zu Recht zitierten §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 GO sinnlos. In den Erläuterungen zur GO (http://www.bundestag.de/dokumente/rechts...l/gescho07.html) heißt es denn auch: "Nach der Geschäftsordnung bestimmt der Präsident die Reihenfolge der Redner, im Alltag aber vereinbaren dies die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen. Übung ist, dass man sich auf die Gesamtzeit für die Behandlung eines Tagesordnungspunktes einigt, und diese Gesamtzeit dann auf die einzelnen Fraktionen im ungefähren Verhältnis zu ihrer Stärke verteilt." Das heißt: Lammert hat das getan, wozu ihn die positivierte GO ermächtigt, aber gegen die im Alltag herrschende Übung (sehen Sie diese als Gewohnheitsrecht an, das der GO in diesem Punkt derogiert hat?) verstoßen. Ist es nicht eher so, dass man mit der geplanten und offenbar auch schon wieder verworfenen Novelle die genannte Übung positivieren wollte?

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

17.04.2012 02:02
#14 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Die SZ hat schon recht. Einer Republik angemessen wäre, Filibustern zuzulassen.

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

17.04.2012 09:42
#15 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

@ Dagny:
Ist es wirklich sinnvoll, ein Recht, das missbraucht worden ist, zur Verhinderung weiteren Missbrauchs abzuschaffen bzw. erheblich zu reduzieren und damit auch einen nicht zu beanstandenden Gebrauch zu vereiteln? Ist das nicht ein zu radikaler und - um an einen anderen Thread anzuknüpfen - (im negativen Sinne) typisch deutscher Weg? Wäre nicht vielmehr der Wähler berufen, den Feinden der Demokratie, die ihre Verachtung für deren Institutionen durch den besagten Rechtsmissbrauch zur Genüge offengelegt haben, beim nächsten Urnengang das Vertrauen zu entziehen?

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

17.04.2012 09:53
#16 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Noricus
es wäre interessant zu wissen, von wem Sie Ihre Informationen haben.


Den Text der geplanten Änderung habe ich von einem Bundestagsabgeordneten. Ansonsten sind das meine eigenen Schlußfolgerungen aus öffentlichen Quellen.

Zitat
Wenn § 35 GO die Bedeutung hätte, die Sie ihm unterstellen, dann wären die von einem meiner Vorredner zu Recht zitierten §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 GO sinnlos.


Nein, das paßt schon zusammen. Die Fraktionen / der Ältestenrat legen fest, wie die Gesamtredezeit sein soll und wie die sich auf die Fraktionen verteilt.
Anschließend legen die Fraktionen intern fest, wer zu welchem Thema redet - und diese Leute melden sich dann, wenn der Punkt aufgerufen wird. Der Präsident sortiert dann nach Reihenfolg der Wortmeldung oder Fraktionsstärke, manchmal gibt es ja situativ weitere Redner einer Fraktion (falls noch Redezeit übrig ist), um auf andere Beiträge zu antworten.

Zitat
Lammert hat das getan, wozu ihn die positivierte GO ermächtigt


Nein. Die Gesamtstruktur der Debatte war nach §35 vorgegeben, gegen die hat er durch die eigenmächtig erteilten Zusatzredeoptionen verstoßen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

17.04.2012 09:55
#17 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Dagny
Die SZ hat schon recht.


Das ist jetzt so pauschal eine merkwürdige Behauptung. Die Lügen der SZ sind ja direkt aus den Texten nachweisbar.

Zitat
Einer Republik angemessen wäre, Filibustern zuzulassen.


Kann man so sehen, hat seine eigenen Vor- und Nachteile.
Hat aber überhaupt nichts mit der SZ zu tun. Die würden wahrscheinlich zu den Ersten gehören, die gegen Filibustern Stellung beziehen (von wegen undemokratische Obstruktion).

Karl Theodor Offline




Beiträge: 55

17.04.2012 16:31
#18 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Vielen Dank für den Beitag. Mir ist ein ähnlich hysterischer Kommentar im Handelsblatt aufgefallen. Ich war ganz verwundert, dass man sonst keine Bericht hierüber lesen konnte. Vermutlich wird das Sommerloch jedes Jahr größer - im Gegensatz zum Ozonloch.

Wer nichts weiss muss glauben. Wer nicht mehr an Gott glaubt, der glaubt an alles mögliche/andere, (was sich eben so anbietet).

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

17.04.2012 22:20
#19 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von R.A.
Ich sehe das Problem aber hier nicht. Ansonsten wäre der Weg zum BVerfG ja leicht.


Der Verweis auf das BVerfG ersetzt aber keine Diskussion...

Zitat von R.A.
Aber die waren eben (auch in den Fraktionsführungen) nicht ausschlaggebend und man hat sich auf diesen Kompromiß geeinigt (was natürlich kein echter Konsens ist).


Die Frage ist: Kompromiss zwischen welchen Positionen? Offensichtlich findet hier ein kleiner Kampf zwischen Fraktionsführungen und Bundestagspräsident statt, wie man auch hier nicht allzu indirekt aus dem FAZ-Artikel entnehmen kann: http://www.faz.net/aktuell/politik/inlan...n-11719575.html

Mit dem etwas schwammigen Begriff "im Benehmen" (wenn man nur "Information" gewollt hätte, hätte man das auch so geschrieben) soll offensichtlich verhindert werden, dass der BT-Präsident auf eigene Faust bestimmt, welche Abweichler wie lange reden dürfen. So wiederum will Lammert sich nicht einschränken lassen.

Auch ein Indiz: Wenn die ganze Aktion nur dem Wohl der Abweichler und der Stärkung des Rederechts des einzelnen Abgeordneten hätte dienen sollen, dann hätte man den Text des Vorschlags, der da zur Abstimmung gestellt werden sollte, ja nach dem ersten entsprechenden Pressebericht mal eben veröffentlichen können. So aber wussten auch Abgeordnete lange Zeit nicht, über was da geredet wurde. Auch das Einknicken und Verschieben bis zum St.-Nimmerleinstag durch Union und FDP spricht nicht gerade dafür, dass die Initiatoren der Ansicht waren, ihren Vorschlag durchbringen zu können, wenn dessen Inhalt denn mal bekannt wurde. Dabei wäre die Sache so einfach gewesen, wenn denn die Beschwichtigungsreden die wahre Absicht wiedergegeben hätten: Einfach im §31 den Begriff "im Benehmen" durch "nach Information" ersetzen, die Redezeit auf fünf statt drei Minuten festlegen, und niemand beschwert sich. Das aber war ganz offensichtlich doch nicht gewollt.

Zitat von R.A.
Wenn man nicht mehr darauf antworten kann, ist das schon relevant.


Irgendein Redner hat immer das letzte Wort. Ich sähe nichts Falsches darin, wenn es die Abweichler wären, nachdem sich schon vorher Kohorten ausgiebig für die andere Meinung ausgesprochen haben.

Zitat von R.A.
Aber etwas mehr kalkulierbare Spielregeln und etwas weniger "Willkür" durch den Chef sind mir noch lieber. Es sind schließlich auch andere Bundestagspräsidenten denkbar ...


Das ist das Problem mit allen Institutionen. Aber der Bundestag braucht einen von den Fraktionen aka Parteien unabhängigen Repräsentanten, und als solcher wird der BT-Präsident auch gewählt. Diesen Job kann und soll ihm keiner abnehmen, auch eine Regelung nicht.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.04.2012 10:50
#20 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Rayson
Die Frage ist: Kompromiss zwischen welchen Positionen? Offensichtlich findet hier ein kleiner Kampf zwischen Fraktionsführungen und Bundestagspräsident statt...


So sehe ich das auch.

Zitat
Mit dem etwas schwammigen Begriff "im Benehmen" (wenn man nur "Information" gewollt hätte, hätte man das auch so geschrieben) soll offensichtlich verhindert werden, dass der BT-Präsident auf eigene Faust bestimmt, welche Abweichler wie lange reden dürfen.


Schwammig ist der Begriff m. E. nicht, da gibt es eine langjährige juristische Praxis. Und natürlich wollen die Fraktionen jetzt nicht neu einführen, daß der Präsident ganz nach Belieben über die Redezeit verfügt. Aber letztlich kann er das jetzt - das Benehmen gibt den Fraktionen kein Vetorecht.

Insgesamt sage ich nicht, daß die GO in der neuen Fassung ideal gewesen wäre. Aber eben eine Verbesserung gegenüber der aktuellen Lage, nicht eine Verschlechterung.

Zitat
Auch ein Indiz: Wenn die ganze Aktion nur dem Wohl der Abweichler und der Stärkung des Rederechts des einzelnen Abgeordneten hätte dienen sollen, dann hätte man den Text des Vorschlags, der da zur Abstimmung gestellt werden sollte, ja nach dem ersten entsprechenden Pressebericht mal eben veröffentlichen können. So aber wussten auch Abgeordnete lange Zeit nicht, über was da geredet wurde.


Ich kann den genauen Zeitablauf nicht rekonstruieren. Aber "lange Zeit" stimmt wohl nicht.
Da ist im zuständigen Ausschuß ein Entwurf erarbeitet worden, wohl Ende letzter Woche. Dann hat die SZ am Wochenende den shitstorm losgetreten. Und am Montag haben die Abgeordneten den Text bekommen. Wahrscheinlich ein ganz normales Verfahren.

M. E. ist, daß die meisten Reaktionen von Leuten kamen, die die Änderung gar nicht genau kannten. Bei vielen Äußerungen (z. B. von Burkhard Hirsch) findet man am Anfang der journalistischen Futterkette auch Formulierungen wie "erklärte er auf Anfrage durch die SZ".

Mit anderen Worten: Da haben die SZler die üblichen Verdächtigen durchtelephoniert, haben denen etwas vom Untergang der Demokratie erzählt - und dann haben die wie zu erwarten zitierfähige Empörung abgeliefert.
Wie man halt einen Skandal inszeniert ...

Zitat
Auch das Einknicken und Verschieben bis zum St.-Nimmerleinstag durch Union und FDP spricht nicht gerade dafür, dass die Initiatoren der Ansicht waren, ihren Vorschlag durchbringen zu können, wenn dessen Inhalt denn mal bekannt wurde.


Das war schlicht Kapitulation vor der vorgefaßten öffentlichen Meinung. Es hatten sich schon zu viele Politiker auf eine kritische Haltung festgelegt, der breiten Öffentlichkeit den Unterschied zwischen "Benehmen" und "Genehmigung" zu erklären hätte auch nicht funktioniert, es gab keine Chance mehr auf eine sachliche Diskussion.

Zitat
Dabei wäre die Sache so einfach gewesen, wenn denn die Beschwichtigungsreden die wahre Absicht wiedergegeben hätten: Einfach im §31 den Begriff "im Benehmen" durch "nach Information" ersetzen, die Redezeit auf fünf statt drei Minuten festlegen, und niemand beschwert sich. Das aber war ganz offensichtlich doch nicht gewollt.


So etwas ist nur in der Theorie einfach. Mit welchen Änderungen genau man den Shitstorm abwehrt und trotzdem noch eine sachlich vernünftige GO hinkriegt - das kann man in einer so aufgeheizten Atmosphäre nicht mehr verhandeln. Schließlich agieren die Beteiligten ansonsten in heftiger politischer Konkurrenz zueinander.

Man sieht das ganz gut beim Verhalten von Beck von den Grünen. Der wußte wohl als einziger von allen Kritikern Bescheid, weil er bei der Beratung mitgemacht hat. Seine Kritik ist im Prinzip ok, er hat halt einen anderen Weg (über den §27) präferiert. Der hätte wohl auch funktioniert (habe ich aber nicht im Detail drüber nachgedacht), ist aber nicht wirklich besser - nur anders.

Beck hat die Chance gesehen und genutzt, diesen fürs Publikum weitgehend unverständlich Detail-Streit aufzubauschen und die Grünen als Retter der parlamentarischen Demokratie zu präsentieren. Der wird einen Teufel tun, und einen veränderten Kompromiß mittragen - schließlich müssen sich die Grünen derzeit gegen die Piraten profilieren.
Und weil die Grünen diesen PR-Erfolg hatten, kann auch die SPD nicht mehr mitmachen - weil sie nicht den bad guy gegenüber dem grünen good guy abgeben wollen.

Bis zum Wochenende war das noch eine normale, halbwegs sachorientierte Beratung mit einem halbwegs vernünftigen Kompromiß als Ergebnis.

Aber seit dem SZ-Artikel ist das nur noch Inszenierung und Unpolitik, da kann es keine sachdienliche Lösung mehr geben.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

18.04.2012 11:52
#21 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von R.A.
Schwammig ist der Begriff m. E. nicht, da gibt es eine langjährige juristische Praxis. Und natürlich wollen die Fraktionen jetzt nicht neu einführen, daß der Präsident ganz nach Belieben über die Redezeit verfügt. Aber letztlich kann er das jetzt - das Benehmen gibt den Fraktionen kein Vetorecht.


Die juristische Praxis bewahrt aber nicht dafür, die z.B. in Wikipedia genannten, letztlich doch unbestimmten Kriterien je nach Einzelfall zu untersuchen. Auch wenn kein Vetorecht herrscht, so wäre der BT-Präsident verpflichtet, sich "ernsthaft um die Herstellung von Einvernehmen zu bemühen". "Benehmen" geht über bloße Anhörung hinaus.

Zitat von R.A.
Und natürlich wollen die Fraktionen jetzt nicht neu einführen, daß der Präsident ganz nach Belieben über die Redezeit verfügt.


Die Frage ist, warum überhaupt etwas "neu eingeführt" werden muss. Und die Antwort darauf lautet: Weil die Fraktionen die faktischen Befugnisse des BT-Präsidenten einschränken wollten. Dass dessen Entscheidung keine Grundlage in der GO hatte, heißt ja nicht, dass sie nicht zulässig war, denn dann würde die GO tatsächlich zum Grundgesetzersatz. Durch das Beispiel hat Lammert außerdem eine Praxis vorgegeben, die bei fast allen auf Zustimmung stieß. Außer den Fraktionsführungen natürlich. Von dieser Praxis abzuweichen, wäre künftigen Präsidenten schwer gefallen.

Zitat von R.A.
Ich kann den genauen Zeitablauf nicht rekonstruieren. Aber "lange Zeit" stimmt wohl nicht.


Da scheint die Politik noch nicht im Internetzeitalter angekommen zu sein, sondern ihre Verfahren noch an der Existenz von Büroboten auszurichten. Wie z.B. Peter Tauber am Montag in seinem Blog bekanntgab, kannte er den Text noch nicht. Nun steht beim Blogeintrag keine Uhrzeit, aber der zugehörige Tweet sagt 11:37 Uhr.

Die nächste Frage ist natürlich: Hätte Transparenz etwas geändert? Sehr wahrscheinlich. Die "Süddeutsche" hat nämlich in ihrer Ursprungsmeldung nicht etwa gelogen, wie du ihr unterstellst, sondern den Text ziemlich genau paraphrasiert, einschließlich "Benehmen". Sicher, eine Meinung dazu hat sie auch abgeliefert, aber auch wenn das natürlich ein Versuch der Einflussnahme ist, so ist es noch keine Lüge. Prantl hat dann in seinem Kommentar den Untergang der Demokratie beschworen, und mir scheint, die folgende Berichterstattung ist dann mehr dem Meinungsspin als den inhaltlichen Informationen gefolgt, die bei den abschreibenden Medien dann kaum noch zu finden waren.

Und was die Chancen auf Änderung angeht: Natürlich wäre das gegangen. Wenn es denn nicht wichtig gewesen wäre, dass da "Benehmen" steht. Dies scheint die Grenze gewesen zu sein, hinter die die Fraktionsführungen nicht mehr zurück wollten. Also eben nicht nur Information. In der Öffentlichkeit wäre eine Anpassung m.E. relativ leicht zu kommunizieren gewesen, schließlich ist es noch nicht soweit, dass Volker Beck bestimmt, was wie diskutiert wird. Aber eine Konkretisierung ist nicht möglich, weil der Kompromiss eben in der relativen Unschärfe des Begriffs lag.

Ungünstig kommt natürlich, dass gleichzeitig eine effektive und nicht geleugnete Verkürzung von Abgeordnetenrechten stattfand mit der Reduzierung der Erklärung zur Abstimmung von fünf auf drei Minuten. Sowas ist dann auch wunderbar geeignet, eine einheitliche Absicht hinter dem Neuentwurf vermuten zu können. Was ich auch tue.

Wir haben hier nicht nur einen Konflikt zwischen BT-Präsident und Fraktionsführungen, sondern auch einen zwischen parlamentarischer Freiheit und Funktionalität. Und da wage ich mal zu behaupten, dass es zukünftig für geraume Zeit niemand leicht haben wird, der ersteres zu Gunsten von letzterem einschränken möchte...

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

R.A. Offline



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18.04.2012 13:50
#22 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Rayson
Auch wenn kein Vetorecht herrscht, so wäre der BT-Präsident verpflichtet, sich "ernsthaft um die Herstellung von Einvernehmen zu bemühen". "Benehmen" geht über bloße Anhörung hinaus.


Das ist richtig. Und ich finde ein solches ernsthaftes Bemühen durchaus in Ordnung. Solange der Präsident letztlich selber entscheiden kann, das ist der Knackpunkt.
Und diese Entscheidungsfreiheit hätte er nach dem vorschlagenen Text, und zwar nur er, die Fraktionen können NICHT mitentscheiden.

Zitat
Die Frage ist, warum überhaupt etwas "neu eingeführt" werden muss.


Weil es bisher KEINE Möglichkeit gab, "Abweichler" gegen den Willen der Bundestagsmehrheit zu Wort kommen zu lassen.

Das nur noch mal zur Erinnerung, weil in der Diskussion oft davon die Rede ist, daß die Fraktionen bzw. Fraktionsführungen per GO zu viel Macht hätten. Diese Ansicht ist aber nicht richtig.
Letztlich ist es der Bundestag mit seiner Mehrheit, der die Redezeiten etc. festlegt. Die Fraktionsspitzen haben also nur indirekt Einfluß, nämlich wenn die Mehrheit der Abgeordneten ihren Vorschlägen folgen.

Zitat
Dass dessen Entscheidung keine Grundlage in der GO hatte, heißt ja nicht, dass sie nicht zulässig war


Doch. Denn im $35 heißt es eingangs: "Gestaltung und Dauer der Aussprache über einen Verhandlungsgegenstand werden auf Vorschlag des Ältestenrates vom Bundestag festgelegt."
Und wenn die Mehrheit die Gestaltung so entscheidet, daß die "Abweichler" hinten runter fallen - dann hat der Präsident keine legale Möglichkeit, sie trotzdem aufzurufen.

Zitat
denn dann würde die GO tatsächlich zum Grundgesetzersatz.


Ich bin mir unsicher, was Du damit meinst.
Ich vermute schon, daß der Bundestag seine Arbeitsweisen GG-konform selber regeln kann. Die Abstimmungsfreiheit der Abgeordneten ist vom GG gewährleistet. Aber m. E. kann man aus dem GG nichts darüber ableiten, wie oft und wie lange sie vor dem Plenum reden dürfen.

Zitat
Durch das Beispiel hat Lammert außerdem eine Praxis vorgegeben, die bei fast allen auf Zustimmung stieß.


Nein, sie ist vom Ältestenrat mit einer Rüge belegt worden. Und formal völlig zu Recht.

Zitat
Da scheint die Politik noch nicht im Internetzeitalter angekommen zu sein, sondern ihre Verfahren noch an der Existenz von Büroboten auszurichten.


Gut möglich.
Wobei ich es nicht schlimm fände, wenn ein Beschluß vom Freitag erst im Laufe des Montags zu den MdBs käme - über welches Medium auch immer.

Zitat
Die nächste Frage ist natürlich: Hätte Transparenz etwas geändert?


Die Frage suggeriert, es hätte an Transparenz gefehlt. Und das war m. E. nicht der Fall, nur weil zwischen Gremienbeschluß und Weitergabe an die Abgeordneten eine gewisse Zeit verstreicht.

Die SZ hat jedenfalls nicht für Transparenz gesorgt, sondern bewußt Desinformation betrieben. Irgendwo hat sie auch das "Benehmen" erwähnt - aber für den Leser wird nicht ersichtlich, daß die ganze "Maulkorb"-Behauptung oder Prantls "Bundestag wird kaputt gemacht" nur an diesem einen Wort und seiner abseitigen Interpretation durch die SZ hängt.

Zitat
Sicher, eine Meinung dazu hat sie auch abgeliefert, aber auch wenn das natürlich ein Versuch der Einflussnahme ist, so ist es noch keine Lüge.


Das sehe ich durchaus als Lüge, weil faktisch Falsches behauptet wurde.

Und ansonsten gilt gerade für schlechten Journalismus der Lichtenberg-Spruch: "Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern die Wahrheit, mäßig entstellt".

Zitat
Und was die Chancen auf Änderung angeht: Natürlich wäre das gegangen. Wenn es denn nicht wichtig gewesen wäre, dass da "Benehmen" steht. Dies scheint die Grenze gewesen zu sein, hinter die die Fraktionsführungen nicht mehr zurück wollten.


Sachpolitisch wäre das gegangen. Aber nach der Skandalisierung ging es nicht mehr um die Sache, sondern um die Rettung der Demokratie und hemmungslose Profilierung diverser Politiker. Da ist kein Konsens mehr möglich.

Zitat
Ungünstig kommt natürlich, dass gleichzeitig eine effektive und nicht geleugnete Verkürzung von Abgeordnetenrechten stattfand mit der Reduzierung der Erklärung zur Abstimmung von fünf auf drei Minuten.


Ist ungünstig, richtig, aber marginal. Für ein wichtiges Statement reichen drei Minuten immer, mehr Redezeit habe ich in meinen 20 Parlamentsjahren fast nie verwendet, und genügend rübergebracht.

Zitat
Wir haben hier nicht nur einen Konflikt zwischen BT-Präsident und Fraktionsführungen, sondern auch einen zwischen parlamentarischer Freiheit und Funktionalität.


"Parlamentarische Freiheit" ist ziemlich hoch gehängt. Denn das Parlament selber hat ja alle Freiheiten. Auch zum Beispiel die, in epischer Länge die Regierung runterzuputzen, falls das Parlament das für richtig hält.
Auch der einzelne MdB hat und behält ja umfangreiche Möglichkeiten, seine Meinung unters Volk zu bringen - Reden im Bundestag sind da normalerweise ziemlich unwichtig.

Ob es daher die parlamentarische Freiheit beeinträchtigt, wenn die Mehrheit im Bundestag nicht bereit ist, sich im Plenum ad libitum von einzelnen Kollegen zutexten zu lassen (und damit die Zeit verbrauchen, die die Mehrheit vielleicht für ihr wichtigere Themen aufwenden möchte) - das möchte ich bezweifeln. Es war schließlich auch nicht so, daß ohne die Einzelmeldungen z. B. von Schäffler keine Kritik da gewesen wäre - es gab ja Opposition gegen den ESM.

Wohlgemerkt, natürlich ging es hier (noch) nicht um "ad libitum". Aber wenn man die Grundsatzfrage aufwirft, dann geht es halt darum, ob ein MdB reden darf, wenn die anderen gar nicht zuhören wollen. Vielleicht wäre es besser oder interessanter, wenn das möglich wäre. Es gibt gute Argumente für die angelsächsische Parlamentstradition incl. Filibustern usw.
Aber parlamentarisch freier und demokratischer ist das nicht automatisch. Die deutsche Parlamentstradition hat auch ihre Vorzüge.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

18.04.2012 17:00
#23 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von R.A.
Das ist richtig. Und ich finde ein solches ernsthaftes Bemühen durchaus in Ordnung. Solange der Präsident letztlich selber entscheiden kann, das ist der Knackpunkt.
Und diese Entscheidungsfreiheit hätte er nach dem vorschlagenen Text, und zwar nur er, die Fraktionen können NICHT mitentscheiden.



Jetzt wird es glitschig... Die Entscheidungsfreiheit hat er eben nicht, wenn er sich nicht entsprechend "ernsthaft bemüht" hat. Bei total gegensätzlichen Meinungen wird das also ein Entgegenkommen erfordern - und da ist die Frage: Warum sollte das nötig sein?

Zitat von R.A.

Zitat
Die Frage ist, warum überhaupt etwas "neu eingeführt" werden muss.


Weil es bisher KEINE Möglichkeit gab, "Abweichler" gegen den Willen der Bundestagsmehrheit zu Wort kommen zu lassen.



Mir ist neu, dass über die Rednerliste im Bundestag abgestimmt wird. Ist das so?

Zitat von R.A.

Zitat
Zitat Dass dessen Entscheidung keine Grundlage in der GO hatte, heißt ja nicht, dass sie nicht zulässig war


Doch. Denn im $35 heißt es eingangs: "Gestaltung und Dauer der Aussprache über einen Verhandlungsgegenstand werden auf Vorschlag des Ältestenrates vom Bundestag festgelegt."
Und wenn die Mehrheit die Gestaltung so entscheidet, daß die "Abweichler" hinten runter fallen - dann hat der Präsident keine legale Möglichkeit, sie trotzdem aufzurufen.



Wahrscheinlich aus Versehen hast du uns die Bezeichnung des §35 nicht verraten: "Rededauer" . Welche Redner auf der Liste stehen, scheint in diesem Paragrafen, der sich folglich auch nur über Zeiten auslässt, nicht geregelt werden zu sollen. Lammert argumentiert mit dem §28 "Reihenfolge der Redner", wo der erste Satz lautet: "Der Präsident bestimmt die Reihenfolge der Redner."

Zitat von R.A.

Zitat
Durch das Beispiel hat Lammert außerdem eine Praxis vorgegeben, die bei fast allen auf Zustimmung stieß.


Nein, sie ist vom Ältestenrat mit einer Rüge belegt worden. Und formal völlig zu Recht.



Es lebe das unvollständige Zitat

Zitat von R.A.

Zitat
Da scheint die Politik noch nicht im Internetzeitalter angekommen zu sein, sondern ihre Verfahren noch an der Existenz von Büroboten auszurichten.


Gut möglich.
Wobei ich es nicht schlimm fände, wenn ein Beschluß vom Freitag erst im Laufe des Montags zu den MdBs käme - über welches Medium auch immer.



Was heißt "schlimm"? Es ist zumindest äußerst ungeschickt und kontraproduktiv, wenn er bereits in den Medien kursiert. Die Politiker müssen sich heutzutage darauf einstellen, dass sie schnell zur Stellungnahme aufgefordert werden. Dumm, wenn dann eine Beamtenmentalität an den Tag gelegt wird.

Zitat von R.A.

Zitat
Die nächste Frage ist natürlich: Hätte Transparenz etwas geändert?


Die Frage suggeriert, es hätte an Transparenz gefehlt. Und das war m. E. nicht der Fall, nur weil zwischen Gremienbeschluß und Weitergabe an die Abgeordneten eine gewisse Zeit verstreicht.



Und in dieser Zeit hat es an Transparenz gefehlt. Man kann über das Wochenende kein Diskussionsverbot verhängen, zumal wenn die Botschaft schon draußen ist. Dann bestimmt der die Richtung der Debatte, der über sie verfügt und der Rest steht hilflos daneben.

Zitat von R.A.
Die SZ hat jedenfalls nicht für Transparenz gesorgt, sondern bewußt Desinformation betrieben. Irgendwo hat sie auch das "Benehmen" erwähnt - aber für den Leser wird nicht ersichtlich, daß die ganze "Maulkorb"-Behauptung oder Prantls "Bundestag wird kaputt gemacht" nur an diesem einen Wort und seiner abseitigen Interpretation durch die SZ hängt.


Ich kann nicht erkennen, dass die Meinung der SZ sich am Begriff "Benehmen" festmacht. Der wird korrekt erläutert. Übrigens dazu ein kleines Schmankerl von unseren "liberalen" Freunden:

Zitat von taz
Ursprünglich wollte besonders die FDP hier sogar eine stärkere Formulierung – etwa „im Einvernehmen“ mit den Fraktionen.


Gut, es ist die "taz", da wird die Behauptung "frei erfunden" nicht lange auf sich warten lassen. Der ganze Artikel ist aber sehr unaufgeregt und wenig parteilich formuliert. Und wie ich die FDP-Führung beim Mitgliederentscheid erlebt habe, wäre alles andere auch eine Überraschung.

Den Rest sehe ich halt anders. Nur auf eins möchte ich noch eingehen:

Zitat von R.A.
"Parlamentarische Freiheit" ist ziemlich hoch gehängt. Denn das Parlament selber hat ja alle Freiheiten. Auch zum Beispiel die, in epischer Länge die Regierung runterzuputzen, falls das Parlament das für richtig hält.
Auch der einzelne MdB hat und behält ja umfangreiche Möglichkeiten, seine Meinung unters Volk zu bringen - Reden im Bundestag sind da normalerweise ziemlich unwichtig.


Dein hier zu Tage tretender Kollektivismus erstaunt mich: "das" Parlament als handelnde Einheit. Wir wissen: Die gibt es nicht, sondern höchstens eine Mehrheit. In diesem Fall geht es aber um den Schutz vor Minderheiten, da ist das Argumentieren mit Mehrheiten jetzt nicht so überzeugend. Und dass das Rederecht im Bundestag unwichtig sei, wird durch die Empörung der Fraktionschefs über Lammerts Vorstoß nicht gerade gestützt.

Zitat von R.A.
Ob es daher die parlamentarische Freiheit beeinträchtigt, wenn die Mehrheit im Bundestag nicht bereit ist, sich im Plenum ad libitum von einzelnen Kollegen zutexten zu lassen (und damit die Zeit verbrauchen, die die Mehrheit vielleicht für ihr wichtigere Themen aufwenden möchte) - das möchte ich bezweifeln. Es war schließlich auch nicht so, daß ohne die Einzelmeldungen z. B. von Schäffler keine Kritik da gewesen wäre - es gab ja Opposition gegen den ESM.


Jetzt bin ich mal gespannt, welche parlamentarischen Sternstunden, äh: Sternminuten, uns wegen der zusammen 10*60 Sekunden Schäffler und Willsch wohl entgangen sein mögen. Hast du ne Idee? Aber die Idee, dass sich die weit verbreitete Opposition gegen eine so bedeutende Materie wie den ESM überall bemerkbar machen kann, in einer Bundestagsdebatte jedoch keine Stimme bekommt, sofern sie sich nicht als kommunistische entpuppt, ist hervorragend geeignet, den Argumenten zur Überflüssigkeit der Institution Bundestag (z.B. einzutauschen gegen ein Gremium, in das die gewählten Parteien jeweils einen Vertreter entsenden) ein weiteres hinzuzufügen.

Zitat von R.A.
Wohlgemerkt, natürlich ging es hier (noch) nicht um "ad libitum". Aber wenn man die Grundsatzfrage aufwirft, dann geht es halt darum, ob ein MdB reden darf, wenn die anderen gar nicht zuhören wollen. Vielleicht wäre es besser oder interessanter, wenn das möglich wäre.


Bei Oppositionsrednern will in der Regel eine Mehrheit nicht zuhören... Der Punkt ist doch, dass aufgrund der das Grundgesetz eh schon strapazierenden Fraktionsdisziplin, die mit sensiblen Mitteln wie "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen" durchgesetzt wird, in den Mehrheitsfraktionen ein großer Teil von angeblich zustimmenden Abgeordneten, wenn sie ehrlich zu sich und zu ihren Wählern sind, gegen ihr Gewissen entschieden haben, um die daraus resultierenden Nachteile für ihre Karriere zu vermeiden. Gewissensentscheidungen sind ja schließlich gegen den Wortlaut des GG nicht die Regel, sondern werden nach deutscher Parlamentstradition offiziell von den Fraktionschefs "freigegeben".

Zitat von R.A.
Es gibt gute Argumente für die angelsächsische Parlamentstradition incl. Filibustern usw.


Slippery slope. Nichts deutet darauf hin, dass diese Entwicklung "droht".

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L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

18.04.2012 18:32
#24 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von R.A.

Doch. Denn im $35 heißt es eingangs: "Gestaltung und Dauer der Aussprache über einen Verhandlungsgegenstand werden auf Vorschlag des Ältestenrates vom Bundestag festgelegt."
Und wenn die Mehrheit die Gestaltung so entscheidet, daß die "Abweichler" hinten runter fallen - dann hat der Präsident keine legale Möglichkeit, sie trotzdem aufzurufen.


Nach diesem Zitat von FAB:

Zitat

Zitat von BVerfG, Urt. v. 14.07.1959 - 2 BvE 2/58, 2 BvE 3/58 (BVerfGE 10, 4-20)
Wenn die Antragsteller geltend machen, der einzelne Abgeordnete werde mediatisiert und zum bloßen Werkzeug seiner Fraktion gemacht, so wenden sie sich gegen etwas, was ... allenfalls ... durch ein nicht verfassungsmäßiges Verhalten der Fraktionen herbeigeführt werden könnte. Die Fraktionen würden verfassungswidrig handeln, wenn sie beispielsweise einem ihrer Mitglieder bei Strafe des Ausschlusses verböten, eine Rede im Bundestagsplenum zu halten, die nicht völlig mit der von der Fraktion vertretenen Auffassung übereinstimmt. Die Gefahr eines Mißbrauchs der Fraktionsmacht mag durch die Festsetzung von Fraktionsredezeiten vielleicht erhöht werden. Damit werden aber solche Beschlüsse nicht verfassungswidrig. Sie haben nicht die Rechtsfolge, daß die Fraktionsführung ein ausschließliches Verfügungsrecht über die Redezeit erlangt. Vielmehr hat auch bei festgesetzten Fraktionsredezeiten der Bundestagspräsident nach Maßgabe des § 33 BT GO für jeden Abgeordneten, der sich meldet, über die Worterteilung zu befinden. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß der einzelne Abgeordnete sich notfalls auch gegen den Willen seiner Fraktionsfreunde zum Wort meldet und es erhält, um das auszusprechen, was sein Gewissen ihm gebietet.




hat die Rüge des Ältestenrates doch gar keine Grundlage, oder?

Viele Grüße, Erling Plaethe

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.04.2012 18:53
#25 RE: Wie man einen Skandal macht Antworten

Zitat von Rayson
Die Entscheidungsfreiheit hat er eben nicht, wenn er sich nicht entsprechend "ernsthaft bemüht" hat. Bei total gegensätzlichen Meinungen wird das also ein Entgegenkommen erfordern


Nein. "Ernsthaft bemühen" heißt, daß er sich die Gegenposition anhören muß, vielleicht auch, daß er erklären sollte, warum er diese ablehnt. Aber er muß ihr inhaltlich keinen Millimeter entgegenkommen.

Zitat
Mir ist neu, dass über die Rednerliste im Bundestag abgestimmt wird. Ist das so?


Das übliche Prozedere ist, daß zu Anfang der Sitzung die Empfehlung des Ältestenrats zur Abstimmung gestellt wird. Üblich z. B. eine Redezeit pro Tagesordnungspunkt (wichtige mehr, die meisten nur ganz kurz) und die Verteilung dieser Zeit auf die Fraktionen. Das ist die "Gestaltung der Aussprache", der stimmt der Bundestag dann zu.
Und bei den einzelnen Punkten wird dann vom Präsidium gefragt, wer jeweils für die Fraktionen spricht. Daraus macht der Präsident dann eine Reihenfolge. Der Präsident kann nicht verlangen, daß eine Fraktion einen Teil ihrer Redezeit für einen bestimmten Redner reserviert - die Fraktion entscheidet selber, wer sie vertritt. Und der Präsident kann auch nicht den Parlamentsbeschluß über die Gestaltung der Sitzung umstoßen und zusätzliche Zeitkontingente erfinden.

Zitat
Es ist zumindest äußerst ungeschickt und kontraproduktiv, wenn er bereits in den Medien kursiert.


Aber nicht die Schuld der Bundestagsverwaltung.
Das Prozedere ist wahrscheinlich so: In der Ausschußsitzung wird Protokoll geführt. Der Antrag mit dem geänderten Text wird eingebracht (die Antragsteller hätten ihn natürlich vorher an die Presse geben können - das gilt bei GO-Sachen aber als extrem unhöflich, weil man ja Konsens sucht). Nach Beschluß wird ein Protokoll der Sitzung erstellt. Und das ist auch bei flotter Arbeit und aller EDV meist nicht am selben Tag fertig. Dann geht das an den Ausschußvorsitzenden zur Korrektur und Unterschrift. Und dann erst kann es verschickt werden.

Natürlich wäre es im konkreten Fall günstiger gewesen, wenn SPD/Union/FDP als Antragsteller die Änderungen gleich an ihre Leute verschickt hätten. Nur konnten die ja nicht ahnen, was die SZ da an Lügen bringen würde - schließlich ist der Antragsinhalt nach der Kompromißfindung eher langweilig, die wirklich strittigen Änderungswünsche z. B. eines Kauder sind ja rausgeflogen. Wieso hätten sie mit irgendeiner Aufregung rechnen sollen.

Zitat
Und wie ich die FDP-Führung beim Mitgliederentscheid erlebt habe, wäre alles andere auch eine Überraschung.


Dieses Mißtrauen teile ich ja. Und trotzdem ist jemand nicht gleich schuldig, nur weil man es ihm zutraut.

Zitat
Dein hier zu Tage tretender Kollektivismus erstaunt mich: "das" Parlament als handelnde Einheit.


Das ist nicht mein privater Kollektivismus, sondern das historisch gewachsene Demokratie-Verständnis unseres Grundgesetzes. Das Parlament gegen den Monarchen war die klassische Gefechtslage, und bei vernünftiger Gewaltenteilung sollte Parlament vs. Regierung die moderne Form sein. Der einzelne Abgeordnete hat nach dem GG zwar gewisse Schutzrechte, ist aber ansonsten erstaunlich unwichtig.

Zitat
Jetzt bin ich mal gespannt, welche parlamentarischen Sternstunden, äh: Sternminuten, uns wegen der zusammen 10*60 Sekunden Schäffler und Willsch wohl entgangen sein mögen.


Ach Rayson, Du weißt doch, daß ich hier inhaltlich völlig Deiner Meinung bin. Deswegen habe ich Schäffler ja auch so intensiv beim Mitgliederentscheid unterstützt. Und ich finde inhaltlich richtig, daß Lammert ihn hat sprechen lassen und die Kompetenz erhält, das auch künftig so handhaben zu können.

Aber ich habe selber schon genug Erfahrungen mit GOs gemacht, ich war einige Jahre stellvertretender Parlamentsvorsteher, habe eine GO-Reform geschrieben und vor allem viel erlebt, wie man eine GO mißbrauchen kann. Eine GO-Bestimmung, die uns heute beim sympathischen Einzelfall Schäffler toll erscheint, kann uns schon morgen zum Kotzen bringen, wenn Andere sie ganz unvorgesehen nutzen.

Zitat
Slippery slope. Nichts deutet darauf hin, dass diese Entwicklung "droht".


Nein. Aber viele derzeit ventilierte Vorstellungen über den Einzelkämpfer im Parlament und dessen nötige Aufwertung orientieren sich (meist wohl unbewußt) an angelsächsischen Vorbildern. Und so sehr ich andere Aspekte dort schätze (Stichwort: Checks & Balances) - die eher team-orientierte deutsche Praxis halte ich für deutlich besser.
Aber das wäre eine große Diskussion für sich, die hätte ich besser gar nicht anfangen sollen und werde sie deswegen hier beenden.

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