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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 131 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Frank Offline




Beiträge: 187

21.10.2012 16:44
#76 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Eine kleine Ergänzung zur Bevölkerungszahl Jerusalems

Karl Marx hat 1854 sehr kenntnisreich die Situation des Orients beschrieben.

Nach Marx und seiner französischen Quelle gab es übrigens in der Zeit um 1853 eine jüdische Mehrheit in Jerusalem

"...and that the sedentary population of Jerusalem numbers about 15,500 souls, of whom 4,000 are Mussulmans and 8,000 Jews. The Mussulmans, forming about a fourth part of the whole, and consisting of Turks, Arabs and Moors, are, of course, the masters in every respect, as they are in no way affected with the weakness of their Government at Constantinople. Nothing equals the misery and the sufferings of the Jews at Jerusalem, inhabiting the most filthy quarter of the town, called hareth-el-yahoud, the quarter of dirt, between the Zion and the Moriah, where their synagogues are situated – the constant objects of Mussulman oppression and intolerance, insulted by the Greeks, persecuted by the Latins, and living only upon the scanty alms transmitted by their European brethren."
http://www.marxists.org/archive/marx/works/1854/03/28.htm

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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

21.10.2012 17:10
#77 Die Eroberung von Jerusalem Antworten

Zitat von Gansguoter im Beitrag #75
Jerusalem war im Mittelalter ein kleines Kaff. Erst Mitte des 19. Jh. überschritt die Einwohnerzahl die Marke von 15.000 Einwohnern. Man bedenke: Köln als wohlhabende HAndelssstadt war im Spätmittelalter mit 40.000 Einwohnern die größte Stadt nördlich der Alpen.

Danke für diesen Hinweis und überhaupt Ihren fachlich fundierten Beitrag, lieber Gansguoter. Das ist der Diskussionsstil, der diesem Forum entspricht; und ich bin gespannt auf die Antwort von Jorge Arprin.

Ich kenne mich, wie schon geschrieben, zu diesem Thema überhaupt nicht aus und hatte allerdings auch als sozusagen Bestandteil meines Weltwissens parat, daß es nach der Eroberung Jerusalems dort ein Massaker gegeben hat. Ich habe jetzt nur kurz nachgesehen und bin via Wikipedia auf die Chronik von Wilhelm von Tyrus gestoßen; offenbar eine der Hauptquellen für die Geschichte des ersten Kreuzzugs. Sie wurde rund 70 Jahre danach verfaßt. Wilhelm von Tyrus hatte lokale Quellen zur Verfügung, denn er stammte aus Palästina, studierte dann in Europa und kehrte nach Jerusalem zurück, wo er dann seine Geschichte der Kreuzfahrerstaaten schrieb.

Das achte Kapitel beginnt mit der Geographie und Geschichte Jerusalems und seiner Umgebung. Ab dem 5. Abschnitt wird dann über den ersten Kreuzzug berichtet. Zu den Menschen, die sich bei der Belagerung in Jerusalem aufhielten, schreibt Wilhelm:

Zitat
In der Stadt, hieß es, sollen vierzigtausend tapferer und bestens bewaffneter Männer gewesen sein, denn es war aus den benachbarten Städten und aus dem Bezirk der Stadt eine große Menge zusammengeflossen, die teils vor dem Feind in die Stadt flüchten und hier ihre Rettung finden, teils die Königsstadt gegen die bevorstehende Gefahr beschützen und mit Waffen und Lebensmitteln versehen wollten.


Danach hätte Jerusalem also in seinen Mauern sehr viel mehr Menschen gehabt, als es der Einwohnerzahl entspricht.

Wilhelm schildet dann, wie ein erster Sturm auf die Stadt nach nur wenigen Tagen Belagerung scheiterte und wie man zunächst mit dem Bau von Belagerungsmaschinen begann.

Diese Arbeiten zogen sich lange hin, obwohl alle, selbst die Ritter, sich beteiligten. Während dieser Zeit ging es dem christlichen Heer - rund 20.000 Mann und noch einmal 20.000 Personen im Troß, ungefähr 15.000 kampffähige Reiter - immer schlechter; vor allem wegen des Wassermangels. Weiter heißt es:

Zitat
Die Zahl der Unseren verminderte sich von Tag zu Tag, und da durch verschiedene Zufälle, denen die menschliche Schwachheit ausgesetzt ist, beinahe jeden Tag viele umkamen und von nirgends her neue hinzutraten, die ihre Stelle hätten ersetzen können, so nahm jeder folgende Tag dem gestrigen etwas von dem, was er gehabt hatte. Umgekehrt vermehrten sich die Streitkräfte der Feinde, und zum Verderben der Unsrigen kamen ihnen immer neue Hilfsmannschaften hinzu, die durch die unbesetzt gebliebenen Teile der Stadt freien Zutritt hatten.


Auch die Menschen, die sich in Jerusalem befanden, arbeiteten in dieser Zeit an Verbesserungen der Befestigungen, wobei die Christen der Stadt teilweise in Ketten zur Arbeit gezwungen wurden.

Der Sturm auf Jerusalem wird ab dem 13. Abschnitt [korrigiert] geschildert:

Zitat
Wie nun der Tag anbrach, kam das ganze Heer bewaffnet zusammen, um, wie ihm angekündigt worden war, einen Sturm auf die Stadt zu unternehmen. Alle waren entschlossen, entweder ihr Leben für Christus zu lassen oder die Stadt wieder in ihre christliche Freiheit zu setzen. In dem ganzen Volk war kein Greis oder Kranker oder einer, welchen seine Jugend noch nicht waffenfähig machte, der nicht von frommer Kampflust gebrannt hätte, ja sogar die Weiber vergaßen ihres Geschlechts und ihrer Gebrechlichkeit und wagten es, mehr als ihre Kräfte vermochten, sich männlichen Arbeiten zu unterziehen und die Waffen zu ergreifen.


Die Eroberungsschlacht ging den ganzen Tag weiter und war in der Nacht immer noch nicht entschieden. Sie wurde den nächsten Tag über fortgesetzt. Schließlich gelingt es, mit Hilfe eines Kastells (einer der Belagerungsmaschinen) an einer Stelle die Mauer zu überwinden und in die Stadt einzudringen:

Zitat
Es war an einem Freitag, um die neunte Stunde des Tages, und es scheint eine göttliche Veranstaltung gewesen zu sein, daß an dem Tage und zu der Stunde, in welcher der Herr in ebendieser Stadt litt, das gläubige Volk, das für den Ruhm seines Erlösers focht, seine Wünsche glücklich erfüllt sah. (...) Sofort durchzogen der Herzog und die, welche mit ihm waren, in geschlossenen Gliedern, mit gezückten Schwertern und mit Schilden und Helmen bedeckt, die Straßen und Plätze der Stadt und streckten alle Feinde, die sie finden konnten, ohne auf Alter oder Rang Rücksicht zu nehmen, mit der Schärfe des Schwertes nieder. Und es lagen überall so viele Erschlagene und solche Haufen abgeschlagener Köpfe herum, daß man keinen anderen Weg oder Durchgang mehr finden konnte, als über Leichen. Und unsere Fürsten waren mit einer unermeßlichen Menge Volkes, das, ohnedies mordlustig, nach dem Blut der Ungläubigen noch besonders dürstete, auf verschiedenen Wegen, Unzählige niedermetzelnd, beinahe schon bis nach der Mitte der Stadt gekommen, als der Graf von Toulouse und die übrigen Fürsten, die mit ihm waren, noch immer den Streit am Berg Zion fortsetzten und nichts davon wußten, daß die Stadt erobert und der Sieg in den Händen der Unseren sei.


Das Gemetzel geht dann weiter:

Zitat
Es kamen also in die Stadt der tapfere und ausgezeichnete Mann, der Graf von Toulouse, Graf Isoard von Die, Raimund Pelet, Wilhelm von Sabran, der Bischof von Albara und viele andere Edle, deren Namen und Anzahl uns nicht überliefert worden sind. Diese alle zogen einmütig, bis an die Zähne bewaffnet, in geschlossenen Gliedern durch die Stadt und richteten ein furchtbares Blutbad an. Die, welche dem Herzog und den Seinigen entkommen waren und dem Tod entfliehen zu können glaubten, wenn sie sich nach anderen Seiten der Stadt wendeten, fielen nun diesen in die Hände und kamen so aus den Strudeln der Charybdis in die der Skylla. Es wurden nämlich in der Stadt so viele Feinde erschlagen und so viel Blut vergossen, daß die Sieger selbst mit Schauder erfüllt werden mußten.


Es gibt auch Zahlenangaben, die Wilhelm aber mit Vorsicht berichtet:

Zitat
Sofort gingen auch die übrigen Fürsten, nachdem sie, was ihnen in den übrigen Stadtteilen in die Hände gekommen war, niedergemacht hatten, nach dem Tempel, hinter dessen Verschanzungen sich das Volk, wie sie gehört hatten, geflüchtet hatte. Sie drangen mit einer Menge von Reitern und Fußvolk herein und stießen, ohne jemand zu schonen, was sie fanden mit den Schwertern nieder und erfüllten alles mit Blut. (...) Schauerlich war es anzusehen, wie überall Erschlagene umherlagen und Teile von menschlichen Gliedern, und wie der Boden mit dem vergossenen Blut ganz überdeckt war. Und nicht nur die verstümmelten Leichname und die abgeschnittenen Köpfe waren ein furchtbarer Anblick, den größten Schauder mußte das erregen, daß die Sieger selbst von Kopf bis Fuß mit Blut bedeckt waren. Im Umfang des Tempels sollen an die zehntausend Feinde umgekommen sein, wobei also die, welche da und dort in der Stadt niedergemacht wurden und deren Leichen in den Straßen und auf den Plätzen umherlagen, noch nicht mitgerechnet sind, denn die Zahl dieser soll nicht geringer gewesen sein.


Nachdem die Feinde besiegt waren, wandte man sich gegen die Zivilbevölkerung:

Zitat
Der übrige Teil des Heeres zerstreute sich in der Stadt und zog die, welche sich in engen und verborgenen Gassen, um dem Tode zu entkommen, verborgen hatten, wie das Vieh hervor und stieß sie nieder. Andere taten sich in Scharen zusammen und gingen in die Häuser, wo sie die Familienväter mit Weibern und Kindern und dem ganzen Gesinde herausrissen und entweder mit den Schwertern durchbohrten oder von den Dächern hinabstürzten, daß sie sich den Hals brachen.


Ein Massaker war es also, lieber Gansguoter, wenn man dieser zeitnahen Chronik trauen kann (was ich nicht beurteilen kann). Aber von "in Blut waten" ist ebensowenig die Rede wie von 70.000 Opfern. Wilhelms Zahlen besagen, daß es 20.000 Feinde gewesen sein sollen, dazu die Zivilbevölkerung.

Inwieweit dieses Massaker auch für mittelalterliche Verhältnisse ungewöhnlich grausam war, kann ich ebenfalls nicht beurteilen. Ich meine mich zu erinnern, daß es sehr unterschiedlichen Umgang mit einer besiegten Stadt gab, der von vielen Faktoren abhing.



Was Sie über die Bedeutung der Kreuzzüge für die Verteidigung des oströmischen Reichs schreiben, fand ich sehr interessant, weil ich davon bisher nichts gewußt hatte. Ich hatte - wie wahrscheinlich die meisten Nichthistoriker - die Kreuzzüge als primär religiös und nicht machtpolitisch motivierte Unternehmen gesehen.

Herzlich, Zettel

augustin Offline



Beiträge: 128

21.10.2012 17:39
#78 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #60
Ja, stimmt. Sie haben absolut recht, das Christentum hat sich bis 1492 friedlich ausgebreitet.


Was ist mit der militärischen Christianisierung der Länder der Sachsen, Friesen, Wenden, Pruzzen und des Baltikums?

Viele Grüße

Augustin

Frank Offline




Beiträge: 187

21.10.2012 19:02
#79 Kreuzzüge-entstanden aus der Gottesfriedensbewegung! Antworten

Zu den Kreuzzügen.
Ich habe nur grob gerade bei den historischen Proseminaren nachgesehen. Dort ist es ein wichtiges Thema.

http://www.uni-bonn.de/~uph202/Einfuehru...reuzzuege.shtml

Wichtig ist m.E. die Ableitung der Kreuzugsbewegung aus der Gottesfriedensbewegung.

Die Gottesfriedensbewegung:
Um 1000 war vor allem in Südfrankreich das Fehdewesen sehr stark ausgeprägt. Da die Kirche in diesen anarchischen Verhältnissen um ihren Besitz, sowie die Ordnung und Sicherheit der Gesellschaft (Fernhändler) fürchtete, wurde die Gottesfriedensbewegung begründet. Sie ging vom Kloster Cluny aus und sollte das Fehdewesen eindämmen. So durften die Fehden von Mittwoch abend bis Montag früh nicht ausgetragen werden (Treuga Dei). Ebenso wurden bestimmte Personengruppen und Orte vor Fehden geschützt (Pax Dei). Bei Bruch des Gottesfrieden drohten kirchliche Strafen wie die Exkommunikation.
Papst Urban II. versuchte 1095 auf dem Konzil in Clermont die Wiederbelebung des Gedankens des Gottesfriedens.
Das Marschziel war Jerusalem, was derzeit sowohl als religiöses als auch als geografisches Zentrum der Welt galt und schon damals eines der wichtigsten Pilgerziele war. Das Kriegsziel war die Hilfe für die orientalischen Kirchen, eher auch das Ziel der (Wieder-)Vereinigung mit der römischen Kirche. Wie auch als Lohn der immer häufiger werdenden Wallfahrten, die neben Jerusalem noch Rom und Santiago de Compostela als wichtigste Ziele hatten, war den Kreuzfahrern die Vergebung der Bußstrafen in Aussicht gestellt worden.

Vulgärmarxistisch: Das Aggressionspotential der südfranzösischen Ritter wird in den ORIENT abgelenkt! FRIEDE in Europa!
Die Fernhändler werden nicht nur nicht mehr überfallen, sondern profitieren von der Versorgung der Kreuzritter und hoffen auf neue Handelsbeziehungen.

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Gansguoter Offline



Beiträge: 988

21.10.2012 19:40
#80 RE: Die Eroberung von Jerusalem Antworten

Eine Ergänzung: Simon Sebag Montefiori: Jerusalem (dt. 2011), S. 311, Anmerkung, gibt an, dass Historiker heute von vielleicht ca. 10.000 Opfern ausgehen und damit deutlich "weniger Toten" als bei der muslimischen Eroberung von Edessa und Aleppo. Er weist auch darauf hin, dass die Darstellung des Gemetzels bei mehreren christl. Autoren an der Apokalypse des Johannes orientiert sei.

Er verweist dann noch auf Ibn al-Arabi, der aus Jerusalem stammte und sich 1099 in Ägypten aufhielt. Dieser berichtet, auf dem Tempelberg seien in der al-Aqsa-Moschee 3.000 Muslime getötet worden.

Dass es ein Massaker gab, steht im übrigen ja außer Frage; trotzdem ist es, denke ich, wichtig, immer auch den Kontext etc. zu sehen.

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

21.10.2012 19:47
#81 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat
Lieber Aprin



Arprin, nicht Aprin

Zitat
Ich freue mich, in den nächsten Tagen in aller seelischer Tiefenruhe und vor allem mit etwas Zeit einige Ihrer Ausführungen mit Fakten zu konfrontieren. Möge sich dann jeder sein eigenes Bild machen.



Darauf freue ich mich auch!

Zitat
Für heute (mein Zug geht gleich) muss ein Interview mit dem Historiker Nikolas Jaspert zu der Legende des menschenverachtenden "Kinderkreuzzugs" reichen:

http://www.zeit.de/2012/15/Jaspert-Kinderkreuzzug



Danke für das Interveiw. Meine Quellen dazu stammen überwiegend von Will Durant. Ich habe mir jetzt auch noch den Wikipedia-Artikel durchgelesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderkreuzzug

Die Geschichte hat durchaus eine wahren Kern, aber es scheint viele Übertreibungen gegeben zu haben.

Zitat
Balderich ist der erste, der bald nach 1100 angibt, bei der Eroberung seien 20.-30.000 Einwohner getötet worden. Rund 100 Jahre später ist es Ibn al-Jawzi, der die "mehr als 70.000" Toten aufbringt, und nach mal später sind es bei Ibn al-Athir dann wieder 70.000 und bei Ibn Taghribirdi dann 100.000.

Alle diese Zahlen sind völlig aus der Luft gegriffen. Das "bis zu den Knöcheln in Blut wateN" ist eine Ausdrucksweise, die zur Standardbeschreibung einer Schlacht in Literatur und Chronistik des Mittelalters gehört.



Ja, Übertreibungen bei mittelalterlichen Ereignissen scheinen gang und gäbe zu sein.

Aber natürlich nicht nur bei christlichen Massakern, sondern auch bei muslimischen. Ich denke da nur an die Phantasie-Zahl von 270 Millionen Opfer durch islamischen Kolonialismus seit 622.

Zitat
Selbst Historiker sagen, dass ohne die Kreuzzüge Konstantinopel nicht 1453, sondern im 11. Jahrhundert gefallen wäre und die Muslime nicht 1529, sondern 300 Jahre früher vor Wien gestanden hätten. Möglicherweise gäbe es dann kein christliches Europa mehr. Auf jeden Fall hätte sich nicht das christliche Mittelalter entwickeln können und die nachfolgende Renaissance. Man schaue sich das Schicksal der assyrischen Christen, einer der ältesten christlichen Richtungen überhaupt, an.



Das ist ja keine Rechtfertigung für die Kreuzzüge, vor allem nicht für die Massaker, die dabei stattfanden. Dieses "Wenn nicht ..., dann wäre ..." lässt sich endlos fortführen.

Zitat
Die Muslime waren damals Kriege gegen christliche Staaten und untereinander noch vollkommen gewohnt. Die erste muslimischen Agressionen gegen christliche Staaten waren zwar mehrere Hundert Jahre her, aber die letzte nicht.



Na und? Die Christen bekämpften sich auch untereinander und überfielen nur deshalb keine fremden Länder, weil sie militärisch nicht dazu in der Lage waren. Die Iraner haben ja auch nicht deshalb seit über 200 Jahren keinen offenen Angriffskrieg geführt, weil sie besonders friedliebend sind/waren...

arprin.wordpress.com

john j Offline




Beiträge: 591

21.10.2012 19:52
#82 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

@ Gansguoter

"Jerusalem war im Mittelalter ein kleines Kaff."

Waere dem so gewesen haette es sich nicht als geografisches, politisches und kulturelles Zentrum des Nahen Osten entwickeln koennen. Zudem ist bekannt dass Einwohnerzahlen von Staedten im MA stark schwankten. Und letztlich dienten befestigte Staedte ja immer auch als Zuflucht fuer die Bevoelkerung der Region im Fall einer Invasion und die Zahl der Einwohner erhoehte sich stark in diesen Faellen. Jerusalem war als der 1. Kreuzzug dort 1099 ankam eine gut befestigte und verteidigte Stadt. Es ist unwahrscheinlich dass dies moeglich gewesen waere wenn es sich um ein Kaff gehandelt haette.

"Weiter gilt es zu bedenken, dass die Plünderung einer belagerten Stadt, die sich nicht ergibt, und das gewaltsame Brechen von Widerstand zu den im MA üblichen Kriegsbräuchen gehört. Die Menschen wurden nicht getötet, weil sie Muslime (oder Juden) waren, sondern als Bewohner einer Stadt, die gerade erobert wurde."

Richtig - siehe auch den sack of Baghdad durch die Mongolen. Aber das macht die Sache an sich auch nicht besser.

"Es ist ja auch bekannt, dass es ein friedliches Miteinander von Christen und Muslimen in den Königreichen Jerusalem, Antiochia etc. gab - friedlicher allemal als die Lebensbedingungen für Christen unter den diskriminierenden Bedingungen in muslimischen Ländern (Verbot, die Straßenmitte zu nutzen; KLeidungsvorschriften; diskriminierende Ehevorschriften; Unterwerfungssteuer; Verbot, Waffen zu tragen ...)."

Mag sein. Allerdings entwickelten sich die Dinge sehr aehnlich fuer Moslems und Juden wenn die Chrsiten dauerhaft in der Mehrheit und an der Macht waren. Siehe Spanien post-1492.


"Dann sollte man einen Unterschied machen zwischen Pogromen, die sich "von unten" entwickeln wie die Judenpogrome im Rheinland 1096/97 (während der Kölner Erzbischof die Wolkenburg öffnete, um den Juden Zuflucht und Schutz zu bieten), und ausdrücklichen Befehlen der politisch und militärisch Verantwortlichen wie Nur al-Din, der 1268 befiehlt, alle Christen in Aleppo zu töten."

Sie vergleichen hier apples and oranges.

"Und zu den Ursachen für den 1. Kreuzzug sollte es eigentlich auch bekannt sein, dass der Kaiser des Oström. Reiches einen Hilferuf an den Westen gerichtet hatte, ihm im Verteidigungskrieg beizustehen, und dass ein weiterer Hintergrund die massiven Einschränkungen und Gewalttaten gegen christliche Pilger sind, wie sie sich im 11. Jh. eingebürgert hatten."

Beides ist bekannt. Bekannt ist auch dass die Fuersten des 1. Kreuzzuges nicht im geringsten die Absicht hatten dem ostroemischen Reich zu helfen oder ihren auf Alexios I Komnenos abgelegten Eid zu halten sondern auf ihren Vorteil aus waren - auch und gern zum Schaden der kirchlich abtruennigen Ostroemer. Bohemond of Taranto und Balduin of Edessa sind die besten Beispiele hierfuer.

"Das oström. Reich befand sich seit dem 7. Jh. in einem andauernden Verteidigungskrieg gegen die Muslime, an die es von Jahrzehnt zu Jahrzehnt Land um Land verloren hatte."

Yup. Es befand sich zugleich in einem Verteidigungskrieg gegen bspw genau die Normannnen in Italien die im 1. Kreuzzug dann in Byzanz als "Helfer" auftauchten.

"Selbst Historiker sagen, dass ohne die Kreuzzüge Konstantinopel nicht 1453, sondern im 11. Jahrhundert gefallen wäre und die Muslime nicht 1529, sondern 300 Jahre früher vor Wien gestanden hätten. Möglicherweise gäbe es dann kein christliches Europa mehr. Auf jeden Fall hätte sich nicht das christliche Mittelalter entwickeln können und die nachfolgende Renaissance. Man schaue sich das Schicksal der assyrischen Christen, einer der ältesten christlichen Richtungen überhaupt, an."

Pure Spekulation. Und wo wir schon dabei sind: Haette sich das ostroemische Reich evtl auch ueber 1453 hinaus halten koennen wenn es durch die Invasion von 1204 und das lateinische Reich nicht geschwaecht worden waere?

Edit: Rechtschreibung

Thefoolonthehill ( gelöscht )
Beiträge:

21.10.2012 21:11
#83 RE: Kreuzzüge-entstanden aus der Gottesfriedensbewegung! Antworten

Zitat von Frank im Beitrag #79
Die Gottesfriedensbewegung:
Um 1000 war vor allem in Südfrankreich das Fehdewesen sehr stark ausgeprägt. Da die Kirche in diesen anarchischen Verhältnissen um ihren Besitz, sowie die Ordnung und Sicherheit der Gesellschaft (Fernhändler) fürchtete, wurde die Gottesfriedensbewegung begründet. Sie ging vom Kloster Cluny aus und sollte das Fehdewesen eindämmen. So durften die Fehden von Mittwoch abend bis Montag früh nicht ausgetragen werden (Treuga Dei). Ebenso wurden bestimmte Personengruppen und Orte vor Fehden geschützt (Pax Dei). Bei Bruch des Gottesfrieden drohten kirchliche Strafen wie die Exkommunikation.
Papst Urban II. versuchte 1095 auf dem Konzil in Clermont die Wiederbelebung des Gedankens des Gottesfriedens.
Das Marschziel war Jerusalem, was derzeit sowohl als religiöses als auch als geografisches Zentrum der Welt galt und schon damals eines der wichtigsten Pilgerziele war. Das Kriegsziel war die Hilfe für die orientalischen Kirchen, eher auch das Ziel der (Wieder-)Vereinigung mit der römischen Kirche. Wie auch als Lohn der immer häufiger werdenden Wallfahrten, die neben Jerusalem noch Rom und Santiago de Compostela als wichtigste Ziele hatten, war den Kreuzfahrern die Vergebung der Bußstrafen in Aussicht gestellt worden.

Vulgärmarxistisch: Das Aggressionspotential der südfranzösischen Ritter wird in den ORIENT abgelenkt! FRIEDE in Europa!
Die Fernhändler werden nicht nur nicht mehr überfallen, sondern profitieren von der Versorgung der Kreuzritter und hoffen auf neue Handelsbeziehungen.

Warum „vulgärmarxistisch“? Ich würde sagen: realistisch.
Europa wurde im Mittelalter gleich von mehreren Plagen heimgesucht. Zuerst waren das die Dreifelderwirtschaft, das Kumt und der Eisenpflug, welche die Produktivität der Landwirtschaft schlagartig (für damalige Verhältnisse) erhöhte. Als dann noch das mittelalterliche Klimaoptimum über die Menschen hereinbrach, war die Katastrophe perfekt. Nur noch der kleinste Teil der Früchte verfaulte am Halm, der größte Teil wurde eingebracht. Dieses Nahrungsmittelüberangebot führte zu einer Bevölkerungsexplosion, die sich zu einer regelrechten Landplage auswuchs.
Wohin mit dem youth bulge? Papst Urban II. hatte da eine Idee.

Aber wie das so ist, es bleibt ja nichts wie es war. Die Europäer wurden fett und faul. Es ging seinen sozialistischen Gang. Das Leben war geregelt und Zünften und anderen Gliederungen. Kinder durften nur noch die kriegen, die die ernähren konnten. Die meisten hatten ihren quasi per Geburt bestätigten Platz in der Gesellschaft. Und später spielte das Wetter auch nicht mehr so richtig mit.
Da hatte sich der Wind gedreht im Lande. So wie uns heute unsere nicht allzu fernen Vorfahren als Verbrecher, wenigstens jedoch als Narren vorgestellt werden, mutierten die Kreuzzügler mit der Zeit in der Wahrnehmung der Zeitgenossen zu Deppen und Lästlingen, die nur die Substanz auszehren und ansonsten keinen erkennbaren Nutzen bringen. Weg damit.
Die Kreuzzüge wurden eingestellt, das letzte Personal (Templer) enteignet und ermordet.

Dieser kurze Abriss der Weltgeschichte ist natürlich stark vereinfacht, holzschnittartig und im Detail vielleicht sogar falsch. Aber Großen und Ganzen passt das schon.

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

21.10.2012 21:25
#84 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat
Ich freue mich, in den nächsten Tagen in aller seelischer Tiefenruhe und vor allem mit etwas Zeit einige Ihrer Ausführungen mit Fakten zu konfrontieren. Möge sich dann jeder sein eigenes Bild machen.



Ich mache mal den Anfang:
al-Andalus und die Reconquista

Durant schreibt, dass Wissenschaft und Philosophie im Vergleich zu anderen islamischen Staaten der damaligen Zeit vernachlässigt wurden und dass Apostasie und Kritik am Islam meistens bestraft wurden, obwohl es auch agnostische und atheistische Bewegungen gab. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass es in al-Andalus keine “Toleranz” gab, die unseren Vorstellungen von diesem Wort entspricht und al-Andalus folglich auch nicht als Beispiel für die Moderne dienen kann, und die Mauren keineswegs friedlich waren, sondern viele Eroberungskriege führten. Aber für die damalige Zeit waren sie im Vergleich zum christlichen Europa toleranter, wirtschaftlich und kulturell höher entwickelt und werden ihrem historischen Ruf gerecht.

Die “Reconquista”, also die Ansicht, dass es einen 783-jährigen Kampf der Christen gegen die muslimischen Fremdherrscher gegeben hat, ist ein reiner Mythos ohne jeglichen Wahrheitsgehalt. Die christlichen Nationen der Iberischen Halbinsel bekriegten sich während 711 bis 1492 häufiger, als dass sie gemeinsam gegen die Mauren kämpften. Manchmal kämpften christliche Länder gemeinsam mit den Mauren gegen andere christliche Länder. Der spanische Nationalheld “El Cid” kämpfte sowohl für die christlichen Länder als auch für die Mauren. Laut der deutschen Wikipedia wurde der Begriff “Reconquista” nicht mal in Spanien erfunden:

"Der Begriff Reconquista wurde im Mittelalter auf der Iberischen Halbinsel noch nicht verwendet; er wurde erst in der Neuzeit von der französischen Forschung eingeführt und gelangte dann von dort aus in die spanische Geschichtsschreibung."

Edit: Zitate entfernt

arprin.wordpress.com

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

21.10.2012 21:30
#85 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat
Meine Quellen dazu stammen überwiegend von Will Durant.



Ist für Probleme der mittelalterlichen Geschichte vielleicht nicht die erste Referenz, gerade für ein derart schwieriges Thema.

Zitat
Das ist ja keine Rechtfertigung für die Kreuzzüge, vor allem nicht für die Massaker, die dabei stattfanden.



Sie gehen nicht darauf ein, dass der 1. Kreuzzug eben nicht zum Ziel hatte "Kommt, wir schlagen jetzt die Muslime tot", sondern in einem größeren und uach machtpolitischen Zusammenhang zu sehen ist. Und eine Beurteilung ex post (Kreuzzüge haben Europa für mehrere Jahrhunderte vor der muslimischen Expansion geschützt) bedeutet auch keine Rechtfertigung.

Sonst müssten Sie auch sagen, dass die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus keine Rechtfertigung ist für den alliierten Krieg, vor allem den Bombenkrieg mit dem moral bombing gegen Zivilisten.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

21.10.2012 21:41
#86 Bitte kürzen! Antworten

Lieber Jorge Arprin,

ich nehme an, daß das Werk von Durant, aus dem Sie zitieren, urheberrechtlich geschützt ist. Dann sind die Zitate zu lang, zumal Sie sie kaum in einen argumentativen Kontext stellen.

Bitte beschränken Sie sich entweder auf ein Zitat oder kürzen Sie alle Zitate deutlich.

(Wilhelm von Tyurs konnte ich ausführlich zitieren, weil bei dem des Urheberrecht ersloschen ist. )

Herzlich, Zettel

PS: Was Durant als Quelle angeht, wäre ich auch sehr vorsichtig. Das ist doch dieser Schriftsteller, der mit seiner Frau zusammen diese Kulturgeschichte geschrieben hat, oder verwechsle ich ihn? Kein Fachhistoriker, eher wohl als Journalist einzustufen. Das Werk stand früher in vielen gutbürgerlichen Haushalten, neben dem Kleinen Knaur und der "Sittengeschichte des Zweiten Weltriegs".
Nichts für ungut.

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

21.10.2012 21:48
#87 RE: Bitte kürzen! Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #86
Lieber Jorge Arprin,

ich nehme an, daß das Werk von Durant, aus dem Sie zitieren, urheberrechtlich geschützt ist. Dann sind die Zitate zu lang, zumal Sie sie kaum in einen argumentativen Kontext stellen.

Bitte beschränken Sie sich entweder auf ein Zitat oder kürzen Sie alle Zitate deutlich.

(Wilhelm von Tyurs konnte ich ausführlich zitieren, weil bei dem des Urheberrecht ersloschen ist. )

Herzlich, Zettel

PS: Was Durant als Quelle angeht, wäre ich auch sehr vorsichtig. Das ist doch dieser Schriftsteller, der mit seiner Frau zusammen diese Kulturgeschichte geschrieben hat, oder verwechsle ich ihn? Kein Fachhistoriker, eher wohl als Journalist einzustufen. Das Werk stand früher in vielen gutbürgerlichen Haushalten, neben dem Kleinen Knaur und der "Sittengeschichte des Zweiten Weltriegs".
Nichts für ungut.


Ich habe jetzt die Zitate entfernt.

Zu Durant: Er nennt in seinen Büchern Hunderte Quellen von zeitgenössischen Chronisten.

arprin.wordpress.com

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

21.10.2012 22:07
#88 Geschichtsschreibung Antworten

Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #87
Ich habe jetzt die Zitate entfernt.

Danke!
Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #87
Zu Durant: Er nennt in seinen Büchern Hunderte Quellen von zeitgenössischen Chronisten.

Das bezweifle ich nicht, lieber Jorge Arprin. Aber nach meinem Verständnis von Geschichtswissenschaft - als Laie auf diesem Gebiet allerdings - ist die Quellenkritik das A und O.

Ich habe als Jugendlicher mit Begeisterung das Geschichtswerk "Bild der Jahrhunderte" von Otto Zierer gelesen. Ein Mamutwerk in ich weiß nicht mehr wievielen Bänden; es gah sie in rot und in einer weißen Luxusausgabe mit goldener Schrift. Das ging wirklich durch die ganze Geschichte, von der Vorgeschichte bis in die Gegenwart, und war gespickt mit Quellen, die Zierer geschickt einbaute; er machte daraus zB Gespräche zwischen den Akteuren. Aber wissenschaftlich ernstzunehmen war das natürlich nicht.

Es ist gewiß immer ein Problem mit solchen Mammutunternehmen. Wer eine so gewaltige Stoffmasse bändigen will, der kann selten textkritisch arbeiten und die Sekundärliteratur hinreichend berücksichtigen.

Es gibt einige Wenige, die das konnten - Gibbon, Ranke, Toynbee, vor allem der geniale Jakob Burckhardt, der sich gleichwohl auf jeweils eine Epoche in einer Region beschränkt hat.

Dann ist da der (in der Ambivalenz dieses Worts) unvergleichliche Egon Friedell - ungemein belesen, ein glänzender Stilist. Ich habe seine "Kulturgeschichte der Neuzeit" mit großem Vergnügen gelesen - aber was davon mag der Kritik der Fachhistoriker standhalten?

Herzlich, Zettel

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

21.10.2012 22:15
#89 RE: Bitte kürzen! Antworten

Zitat
Er nennt in seinen Büchern Hunderte Quellen von zeitgenössischen Chronisten.



Es reicht nicht, die Quellen zu nennen und/oder daraus zu zitieren. Es braucht auch eine Quellenanalyse, eine Quellenbewertung. Wer ist warum verlässlich, wer nicht? Wer ist von wem abhängig, wer bietet eine Information selbständig? Welchen Interessen folgt dieser oder jener Chronist? Für wen nimmt er Partei? - Im Falle der Kreuzzüge wird die Sache nicht einfacher dadurch, dass viele westliche Chronisten nicht vor Ort waren - anders Wilhelm von Tyrus -, und dass man es mit Quellen zu tun hat in lateinscher, griechischer, arabischer Sprache (und wer kann alle diese Sprachen gleichermaßen?) usw.

Ich kann auch mit einer erstklassigen Referenz belegen, dass Elche keine Knie haben. Zum Schlafen lehnen sie sich gegen Bäume. Wenn man die Bäume ansägt, fallen die Elche samt Baum um, und dann kann man sie gefahrlos erlegen. Schreibt immerhin C. Iulius Caesar.

Aber dass ich das mit einer zeitgenössischen Quelle belegen kann, heißt ja vielleicht doch nicht, dass hier zuverlässig über germanische Jagdmethoden berichtet wird.

Thanatos Offline



Beiträge: 232

21.10.2012 22:33
#90 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zu den Bemerkungen von Gansguoter über die legendären Kinderkreuzzüge möchte ich gerne einen Link beisteuern, es handelt sich um einen Aufsatz in der schweizerischen Zeitschrift für Geschichte. Sehr aufschlußreich im Hinblick darauf, was interessierte Kreise aus einer extrem schwachen Quellenlage zu basteln imstande sind.

http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=szg-006:1978:28::687

Im Übrigen bin ich der Überzeugung, daß Geschichte immer durch einen ganz persönlichen Deutungsrahmen betrachtet wird - und daß dieser die Interpretation der Quellen bestimmt. Je nachdem, wie diese "Brille" beschaffen ist, bevorzugt man diese oder jene Lesart, diese oder jene Gewichtung der Quellen. Das Primäre der Geschichtsforschung ist also das eigene Weltbild des Forschers. Neutralität gibt es nicht.

Insofern läßt sich trefflichst streiten - und Mitleser lernen immer was dazu. Bitte weiter so.

MfG

Thanatos

--

Unmögliches erledigen wir sofort.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

21.10.2012 22:35
#91 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat von Gansguoter im Beitrag #89
Es reicht nicht, die Quellen zu nennen und/oder daraus zu zitieren. Es braucht auch eine Quellenanalyse, eine Quellenbewertung. Wer ist warum verlässlich, wer nicht? Wer ist von wem abhängig, wer bietet eine Information selbständig? Welchen Interessen folgt dieser oder jener Chronist? Für wen nimmt er Partei?
Stellt der Artikel von Eugen Sorg, den Sie oben angeführt haben, ein Beispiel für eine derartige Quellenanalyse und -bewertung dar?

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

21.10.2012 22:39
#92 RE: Bitte kürzen! Antworten

Zitat von Gansguoter im Beitrag #89

Zitat
Er nennt in seinen Büchern Hunderte Quellen von zeitgenössischen Chronisten.


Es reicht nicht, die Quellen zu nennen und/oder daraus zu zitieren. Es braucht auch eine Quellenanalyse, eine Quellenbewertung. Wer ist warum verlässlich, wer nicht? Wer ist von wem abhängig, wer bietet eine Information selbständig? Welchen Interessen folgt dieser oder jener Chronist? Für wen nimmt er Partei? - Im Falle der Kreuzzüge wird die Sache nicht einfacher dadurch, dass viele westliche Chronisten nicht vor Ort waren - anders Wilhelm von Tyrus -, und dass man es mit Quellen zu tun hat in lateinscher, griechischer, arabischer Sprache (und wer kann alle diese Sprachen gleichermaßen?) usw.



Glauben Sie mir, Durant übernimmt nicht einfach jede Aussage eines Chronisten. Er benennt sogar oft übetriebene Zahlen zeitgenössischer Chronisten und stellt ihnen wahrscheinlichere entgegen, sofern modernere Historiker das beurteilen können. Außerdem habe ich nicht nur Durant zitiert.

Es kann aber natürlich sein, dass durch neue Forschungen einige seiner Texte überholt sind.

arprin.wordpress.com

Thefoolonthehill ( gelöscht )
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21.10.2012 22:42
#93 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #60
Ja, stimmt. Sie haben absolut recht, das Christentum hat sich bis 1492 friedlich ausgebreitet. Aber das ändert ja nichts an den Massakern, die von den Kreuzrittern begangen wurden.
Ich will hier wirklich nichts zu tode relativieren. Aber ein wenig einordnen sollte man schon, weil man ansonsten zu völlig absurden Ergebnissen kommt.
Die Kreuzzüge (AldiON hat es schon geschrieben) waren ein zeitlich und lokal begrenztes Ereignis, welches von den Zeitgenossen im Nahen Osten als solches gar nicht wahrgenommen worden ist. Krieg war sowieso immer (gerade die Lichtgestalt Saladin hat sein ganzes Leben nichts anderes getan) und auf eine Räuberbande mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an. Was glauben Sie, warum sich die paar Kreuzfahrer (die meisten sind ja regelmäßig auf dem Weg ins heilge Land krepiert) sich überhaupt halten konnten? Im Übrigen sind die Kreuzfahrer (abgesehen von der Plünderung Konstantinopels) selten über das Kriegsziel hinausgeschossen. Besetzt wurde tatsächlich das heilige Land, der Küstenstreifen am östlichen Ende des Mittelmeers. Nie gab es Vorstöße ins muslimische Kernland Arabien.
Aus den Augen aus dem Sinn. Mit dem Abzug der letzten Franken sind die dort aus dem Gedächtnis verschwunden. Das erste Buch in arabischer Sprache zu diesem Thema (1865) war eine Übersetzung aus dem Französischen (WELT 18.09.2004, Siegfried Kohlhammer, Wir liebten Euch doch alle). Daran erkennt man, wie gering das Interesse war, wie unwichtig diese Feldzüge den Zeitgenosssen erschienen. Das angebliche kollektive Kreuzzugs-Trauma ist ein Fake.
Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #60
- Gab es kein Massaker bei der Eroberung Jeruslames?
- Gab es keinen "Kinderkreuzzug"?
- Gab es keine vollständige Vertreibung von Juden und Mauren im katholischen Spanien?
Zum Kinderkreuzzug haben die Sachkundigen hier schon alles gesagt.

Zu den Massakern eigentlich auch. Trotzdem möchte ich noch mal vertiefen, dass die Moslems bei ihren Eroberungszügen nur an ihrem gnädigen Tag sich damit zufrieden gaben, nur 80% der Einwohner der eroberten Städte abzuschlachten. Und gnädig waren sie fast nie. Insoweit ist das Verhalten der Kreuzfahrer nach der Eroberung von Jerusalem, zynisch gesagt, eine perfekte Anpassung an die lokalen Sitten und Gebräuche.

Das erste große Pogrom gegen Juden auf europäischem Boden fand 1066 im muslimischen Granada statt; dabei kamen 1500 jüdische Familien um. 1135 wurde das Judenviertel Córdobas niedergebrannt, die Zahl der Massakrierten nicht zu wissen mag heilsam sein.
1159 standen sämtliche Christen von Tunis vor der Wahl, zu konvertieren oder zu sterben. Um diese Zeit wurde das ehemals so vitale Christentum Nordafrikas vollends vernichtet. Die Pogrome im christlichen Herrschaftsgebiet sind kein Ruhmesblatt der europäischen Kultur; aber ihre Ausmaße bleiben zurück hinter jenen der islamischen Welt. Wir brauchen dringend eine vergleichende Geschichte religiöser Unterjochung.“

(FAZ 15.09.2006, Egon Flaig, Der Islam will die Welteroberung)

Und ja, es gab eine vollständige Vertreibung von Juden und Mauren im katholischen Spanien. Das ist wahr. Nur ist die Brutalität damals als solche gar nicht aufgefallen. Nach der Barbarisierung im Zuge der muslimischen Eroberungen war das ein ganz normaler Vorgang. Leider.

Zum Schluss möchte ich noch zu dieser Sache was sagen
Zitat von Jorge Arprin im Beitrag #54
Es folgte das Ende der Kleinstaaterei und die Zentralisierung der iberischen Halbinsel (nur Portugal konnte sich retten) unter den katholischen Königen. Aus vergleichsweise toleranten, wirtschaftlich erfolgreichen und kulturell reichen Staaten wurde eine katholische Tyrannei, die sich den Kampf gegen die Juden (die 1492 nach jahrhundertelanger Anwesenheit vollständig vertrieben wurden), Mauren (die ebenfalls mehrere Male vertrieben wurden, was für Spanien ein wirtschaftliches Desaster war, im Jahr 1609 wurden 300.000 Mauren vertrieben, damals 4% der spanischen Bevölkerung, außerdem wurden arabische Sprache, Tänze, Bäder und Schriften verboten) und Protestanten zum Ziel setzte, die Inquisition einführte und es schaffte, trotz der massiven Gold- und Silberimporten aus den Hochkulturen Mittel- und Südamerikas, die man ebenfalls zerstörte, alleine im 16.Jahrhundert dreimal bankrott zu gehen. Der König Philipp II., der zeitweise über Spanien, Portugal, den Niederlanden, Süditalien und große Teile Amerikas herrschte und bei den Genoziden gegen die Hugenotten in Frankreich mithalf, wollte auch noch England erobern, scheiterte jedoch kläglich. Ab dem 17.Jahrhundert war Spanien dann schließlich politisch, wirtschaftlich, militärisch und kulturell bedeutungslos für Europa.
Der Weltgeist hat sich im ausgehenden Mittelalter von Süd- nach Nordeuropa verzogen. Die Weltmacht Venedig zur Lachnummer verkommen, von Genua hat man nicht mehr gehört. Was haben Borgias, Medici und andere Mafia-Clans mit ihren seltsamen stiletto-and-arsenic games bewegt?
Spanien gehörte in diesem Sinne zum Loser-Team.

Ich hatte auch lange Zeit geglaubt, dass die Vertreibung der Moslems negative Folgen für Spanien gehabt hätte. So richtig überzeugt bin ich davon allerdings nicht mehr. Heutzutage ist es auf jeden Fall so, dass der Zuzug der Moslems keine positiven, sondern in jeder Hinsicht (überall die gleich katastrophalen Kriminalitäts- und Arbeitslosenraten) negative Ergebnisse für die (noch) Gastgeber-(bald eroberten)Länder bringt.
Und man sollte nicht vergessen, dass Spanien bis 1936 vom Bürgerkrieg verschont blieb. Ist ja auch nicht schlecht.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

21.10.2012 22:49
#94 RE: Geschichtsschreibung Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #88

Dann ist da der (in der Ambivalenz dieses Worts) unvergleichliche Egon Friedell - ungemein belesen, ein glänzender Stilist. Ich habe seine "Kulturgeschichte der Neuzeit" mit großem Vergnügen gelesen - aber was davon mag der Kritik der Fachhistoriker standhalten?

Na das freut mich ja außerordentlich, dieses Buch lese ich gerade (bin noch am Anfang).

Zitat von Egon Friedell, "Kulturgeschichte der Neuzeit"
Tatsächlich gibt es auch bis zum heutigen Tage kein einziges Geschichtswerk, das in dem geforderten Sinne objektiv wäre. Sollte aber einmal ein Sterblicher die Kraft finden, etwas so Unparteiisches zu schreiben, so würde die Konstatierung dieser Tatsache immer noch große Schwierigkeiten machen: denn dazu gehörte ein zweiter Sterblicher, der die Kraft fände, etwas so Langweiliges zu lesen.


Und er zitiert Goethe:
"Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat."

Viele Grüße, Erling Plaethe

augustin Offline



Beiträge: 128

21.10.2012 23:56
#95 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat von Thefoolonthehill im Beitrag #93
Die Kreuzzüge (AldiON hat es schon geschrieben) waren ein zeitlich und lokal begrenztes Ereignis, welches von den Zeitgenossen im Nahen Osten als solches gar nicht wahrgenommen worden ist.


Die Zeitgenossen hatten nicht wahrgenommen, dass eine Armee von ca. 35.000 außerordentlich kampfstarken Berufssoldaten in ihre Ländereien einmarschierte und eine ihrer heiligen Stätten eroberte?

Das erscheint mir wenig plausibel. Zumal nach meiner Erinnerung auch Berichte muslimischer Chronisten erhalten sind, die mit einiger Bestürzung über den 1. Kreuzzug berichteten, insbesondere weil die Rückeroberung Jerusalems eine beachtliche militärische Leistung darstellte und man solches von Christen nicht gewohnt war.

Zitat
Das erste Buch in arabischer Sprache zu diesem Thema (1865) war eine Übersetzung aus dem Französischen[/url] (WELT 18.09.2004, Siegfried Kohlhammer, Wir liebten Euch doch alle). Daran erkennt man, wie gering das Interesse war, wie unwichtig diese Feldzüge den Zeitgenosssen erschienen.



Wieviele monothematische Geschichtsbücher in arabischer Sprache gab es denn überhaupt bis zum 20. Jahrhundert?

Wurde das Thema in multithematischen Chroniken ebenfalls nicht erwähnt?

Und wie sieht's eigentlich mit Büchern auf osmanisch aus?

Zitat
Zu den Massakern eigentlich auch. Trotzdem möchte ich noch mal vertiefen, dass die Moslems bei ihren Eroberungszügen nur an ihrem gnädigen Tag sich damit zufrieden gaben, nur 80% der Einwohner der eroberten Städte abzuschlachten. Und gnädig waren sie fast nie.



Kaum, denn die Bewohner waren Beute und brachten im Verkauf eine Menge Geld. Sinnlose Metzeleien waren daher eher wenig verbreitet.

Zitat
Insoweit ist das Verhalten der Kreuzfahrer nach der Eroberung von Jerusalem, zynisch gesagt, eine perfekte Anpassung an die lokalen Sitten und Gebräuche.



Das ist Geschichtsklitterung. Die Europäer/Christen mussten sich in der Frage nicht anpassen, derlei war in Europa bis Ende des 17. Jahrhundert Gang und Gäbe. Erst der 30-jährige Krieg brachte in diesen Dingen ein Umdenken und eine Zivilisierung der Kriegführung.

Zitat
Und ja, es gab eine vollständige Vertreibung von Juden und Mauren im katholischen Spanien. Das ist wahr. Nur ist die Brutalität damals als solche gar nicht aufgefallen.



Auch das stimmt nicht. Insbesondere die krasse Verfolgung von Konvertiten war bis dahin unüblich und das Prinzip der "Limpieza de sangre" ("Reinheit des Blutes") rief bei vielen (auch erzkatholischen) Zeitgenossen Unverständnis und Empörung hervor.

Zitat
Nach der Barbarisierung im Zuge der muslimischen Eroberungen war das ein ganz normaler Vorgang. Leider.



Demnach war die Kriegführung im europäischen Frühmittelalter vor der islamischen Expansion nach heutigen Maßstäben zivilisiert?

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

22.10.2012 07:27
#96 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat
Stellt der Artikel von Eugen Sorg, den Sie oben angeführt haben, ein Beispiel für eine derartige Quellenanalyse und -bewertung dar?



Ich denke, Stil und Erscheinungsort lassen erkennen, dass es sich bei dem Artikel um keine geschichtswissenschaftliche Sekundärliteratur handelt, sondern um einen an ein breiteres Publikum gerichteten Essay, in dem ein historisches Thema mit Gegenwartsbezügen dargestellt wird. Aber Sorg bezieht sich ja nun auch erkennbar auf den geschichtswissenschaftlichen Kenntnisstand. Wenn Sie etwas Besseres zur Hand haben, das online verfügbar ist, wäre das natürlich praktisch.

Ebenso essayistisch, aber von einem Althistoriker: http://www.faz.net/frankfurter-allgemein...ng-1354009.html

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

22.10.2012 07:33
#97 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat
Im Übrigen bin ich der Überzeugung, daß Geschichte immer durch einen ganz persönlichen Deutungsrahmen betrachtet wird - und daß dieser die Interpretation der Quellen bestimmt. Je nachdem, wie diese "Brille" beschaffen ist, bevorzugt man diese oder jene Lesart, diese oder jene Gewichtung der Quellen.



Das ist das Wesen der Geschichte. Wir können Geschichte prinzipiell nur durch den Filter der uns zugänglichen Quellen wahrnehmen. "Wie es wirklich gewesen", möchte man gerne wissen, aber kann sich dem nur annähern; man kann nie die historische Wirklichkeit in ihrer Gänze erfahren, sondern immer nur Ausschnitte dieser Wirklichlich.

Zitat
Das Primäre der Geschichtsforschung ist also das eigene Weltbild des Forschers. Neutralität gibt es nicht.



So scharf würde ich es nicht formulieren. Der Forscher, der sein eigenes Weltbild bestätigt finden will, der wäre ein schlechter Historiker, und er könnte sich auch das mühsame Geschäft des Forschens sparen. Aber die Sicht auf Geschichte ist immer davon bestimmt, welche Fragen wir an die Quellen stellen und welche Antwortmöglichkeiten das Material überhaupt bietet. Das Schwierige dabei sind ansonsten oft nicht unbedingt die Einzelereignisse in ihrer Reihenfolge; es gibt keinen Streit darüber, welche Schlachten in welcher Reihenfolge im 30-jährigen Krieg stattgefunden haben. Das Schwierige ist es, die kausale Verknüpfung zu verstehen, die Mentalitäten, die Entscheidungsgründe, die Intentionen der Beteiligten etc.

Gansguoter Offline



Beiträge: 988

22.10.2012 07:50
#98 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat
Die Zeitgenossen hatten nicht wahrgenommen, dass eine Armee von ca. 35.000 außerordentlich kampfstarken Berufssoldaten in ihre Ländereien einmarschierte und eine ihrer heiligen Stätten eroberte?

Das erscheint mir wenig plausibel. Zumal nach meiner Erinnerung auch Berichte muslimischer Chronisten erhalten sind, die mit einiger Bestürzung über den 1. Kreuzzug berichteten, insbesondere weil die Rückeroberung Jerusalems eine beachtliche militärische Leistung darstellte und man solches von Christen nicht gewohnt war.



Das war nicht gemeint. Natürlich haben die Zeitgenossen wahrgenommen, dass eine Armee von 15.000 europäischen Rittern nach Jerusalem marschiert ist und im Heiligen Land einige Kleinfürstentümer errichtet hat. Aber nach dem Ende der Kreuzzugszeit hat die Erinnerung an ebendiese Kreuzzugszeit das politisch-historische Bewusstsein der Araber nicht weiter beschäftigt. Die Zeit war abgehakt, die Fremden waren vertrieben, und damit gut. Erst im späten 19. oder gar im 20. Jh. werden die Kreuzzüge im arabisch-muslimischen "Narrativ" wieder aufgegriffen, und zwar in dem Moment, als man sich der imperialistischen Überlegenheit der europäischen Großmächte bewusst wird. In dieser Situation erscheinen die Kreuzzüge plötzlich als eine frühe Parallele nach dem Motto: "Die Europäer waren schon immer so."

Zitat
Die Europäer/Christen mussten sich in der Frage nicht anpassen, derlei war in Europa bis Ende des 17. Jahrhundert Gang und Gäbe. Erst der 30-jährige Krieg brachte in diesen Dingen ein Umdenken und eine Zivilisierung der Kriegführung.



Magdeburg ist die große Ausnahme, die auch deswegen die Zeitgenossen so erschüttert hat. Nennen Sie bitte für Europa Massaker wie die von Aleppo oder Edessa.

Ich zitiere Egon Flaig:

"Wir pflegen uns darüber zu empören, was die Kreuzfahrer 1099 in Jerusalem anrichteten. Indes, die Kreuzfahrer handelten nach gängigem Kriegsrecht; muslimische Eroberer taten derlei unentwegt und überall: 698 traf es Karthago, 838 Syrakus; der berüchtigte Wesir des Kalifats von Córdoba, Al Mansur, führte in siebenundzwanzig Jahren fünfundzwanzig Feldzüge gegen die christlichen Reiche Nordspaniens, versklavend, vernichtend und verwüstend; es traf Zamora (981), Coimbra (987), León, zweimal Barcelona (985 und 1008), dann Santiago de Compostela (997).
Am furchtbarsten verwüsteten die Dschihads das damals noch so städtereiche byzantinische Anatolien; das Massaker von Amorium (838) ist lange ein Fanal geblieben; die städtische Kultur Anatoliens hat sich davon nie wieder erholt."

Ich meine, über die Territorialgeschichte hier im Westen des Alten Reiches ganz gut orientiert zu sein. Natürlich wurden bei Fehden Burgen oder auch Städte belagert, aber etwas nach Zahl der Opfer Vergleichbares fällt mir beim besten Willen nicht ein. Vielleicht 1535 bei der Eroberung des Täuferreiches, wo 600-700 Männer den Tod fanden, ebenfalls in einer religiös augeheizten Situation, auch da die Täufer bereit waren zu sterben.

Zu den Judenpogromen 1096 habe ich schon erwähnt, dass die Bischöfe von Speyer, Worms, Mainz und Köln versucht haben, den Juden Schutz zu geben, teils mit, teils ohne Erfolg. Ich denke schon, dass es wichtig ist, dass im Rheinland die religiösen Autoritäten die Juden unter ihren Schutz gestellt haben. Der Mainzer Erzbischof bringt die Juden in seinen Palast, der von WOrms in die Kathedrate, der von Köln in eine seiner Burgen. Das war wohl die beste Lösung.

Über Pogrome im muslimischen BEreich schreibt Flaig:

"Das erste große Pogrom gegen Juden auf europäischem Boden fand 1066 im muslimischen Granada statt; dabei kamen 1500 jüdische Familien um. 1135 wurde das Judenviertel Córdobas niedergebrannt, die Zahl der Massakrierten nicht zu wissen mag heilsam sein. 1159 standen sämtliche Christen von Tunis vor der Wahl, zu konvertieren oder zu sterben. Um diese Zeit wurde das ehemals so vitale Christentum Nordafrikas vollends vernichtet. Die Pogrome im christlichen Herrschaftsgebiet sind kein Ruhmesblatt der europäischen Kultur; aber ihre Ausmaße bleiben zurück hinter jenen der islamischen Welt. Wir brauchen dringend eine vergleichende Geschichte religiöser Unterjochung."

Man lese bitte auch den Vertrag Umars mit den Regeln für die Christen und Juden unter muslimischer Herrschaft. Und man nehme bitte auch Quellen zur Kenntnis wie das Privileg Heinrichs IV. für die Juden von Speyer und vergleichbare Quellen. Mit einer eklektizistischen Auswahl von Einzelpunkten kommen wir hier nicht weiter.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

22.10.2012 09:37
#99 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat von Gansguoter im Beitrag #96
Ich denke, Stil und Erscheinungsort lassen erkennen, dass es sich bei dem Artikel um keine geschichtswissenschaftliche Sekundärliteratur handelt, sondern um einen an ein breiteres Publikum gerichteten Essay, in dem ein historisches Thema mit Gegenwartsbezügen dargestellt wird.
Lieber Gansguoter, wenn Ihnen ein Sorg gut genug ist, den Mythus vom Goldenen Zeitalter Andalusiens zu entlarven, dann reicht ein Durant allemal, ihn zu vindizieren.

Man muss in einem Essay für ein breiteres Publikum keine Quelle zitieren, aber wenn man es tut, dann sollte man schon plausibel machen, was die Quelle eigentlich belegen soll.

Zum Beispiel zitiert Sorg den Rechtsgelehrten Ibn Abdun: «Ein Muslim darf einen Juden nicht massieren, auch nicht einen Christen. Er darf nicht ihren Abfall beseitigen und nicht ihre Latrine reinigen; es ist angemessener, dass Juden und Christen dieses Gewerbe ausüben, denn es ist das Gewerbe der am meisten Verachteten». Wieso ist das ein Beleg für "religiöse Apartheid", wie Sorg meint, und nicht eine Kritik an gängiger Praxis? Dazu hätte er sich mal lieber äußern sollen, statt noch weitere derartige Abdun-Zitate anzuführen.

Wenn man alles beiseite läßt, was Polemik ist oder nicht zum Thema gehört, bleibt von dem Artikel nicht viel mehr übrig, als dass al-Andalus ein Land war, in dem Juden höchste Staatsämter erreichten, während Muslime bei Christen die Latrine reinigten...

Herzliche Grüße,
Kallias

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

22.10.2012 10:05
#100 RE: Wollen die Mehrheiten in den arabischen Staaten den Islamismus? Antworten

Zitat von john j im Beitrag #82
Jerusalem war als der 1. Kreuzzug dort 1099 ankam eine gut befestigte und verteidigte Stadt. Es ist unwahrscheinlich dass dies moeglich gewesen waere wenn es sich um ein Kaff gehandelt haette.


Sehr gut kann Jerusalem nicht befestigt gewesen sein, sonst hätte es das zahlenmäßig stark reduzierte Kreuzritterheer es nicht so schnell erobern können.

Zitat
Bekannt ist auch dass die Fuersten des 1. Kreuzzuges nicht im geringsten die Absicht hatten dem ostroemischen Reich zu helfen oder ihren auf Alexios I Komnenos abgelegten Eid zu halten sondern auf ihren Vorteil aus waren - auch und gern zum Schaden der kirchlich abtruennigen Ostroemer. Bohemond of Taranto und Balduin of Edessa sind die besten Beispiele hierfuer.

Alexios I Komnenos soll mehr als froh gewesen sein als, das Kreuzritterherr abgezogen ist ohne Konstantinopel zu plündern.

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