Zitat von Noricus im Beitrag #49Aber die Verbissenheit der sog. Israelkritik hängt ganz sicher damit zusammen, dass es sich dabei um den Judenstaat handelt. Deutsche Intellektuelle pflegen sich ja als moralische Autoritäten zu wähnen und empfinden die Last der deutschen Geschichte als Beeinträchtigung dieser Position. Evident ist das bei älteren Exponenten wie Walser und Grass. Die Jüngeren haben diesen Minderwertigkeitskomplex, auch wenn sie ihn nicht so deutlich erkennen lassen, vollinhaltlich übernommen.
Ich stimme Ihnen generell zu, lieber Noricus. Aber nicht, was Martin Walser angeht.
Es dürfte wenige deutsche Schriftsteller geben, die sich wie er ein Leben lang mit der deutschen Schuld herumgeschlagen haben. Kaum jemand hat so gründlich wie er den Auschwitz-Prozeß verfolgt und darüber berichtet.
Lieber Zettel, ich sehe da eigentlich keinen Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe. Ich bin überzeugt davon, dass sich Walser ein Leben lang mit der deutschen Schuld herumgeschlagen hat. Das würde ja gerade für die starke - wie soll ich sagen - Inkorporation dieser Schuld in die eigene Psyche sprechen. Doch dies führt gerade zu dem Konflikt mit dem Anspruch, eine moralische Autorität zu sein. Von den drei Lösungsmöglichkeiten - Aufgeben der Hybris, eine moralische Autorität zu sein; realistische Einschätzung der eigenen Schuld (die bei dem zu Kriegsende 18-jährigen Walser wohl nur gering gewesen sein kann); Beschuldigung der Nachkommen der Opfer zwecks Relativierung der sich zu Eigen gemachten Schuld - wählen deutsche Intellektuelle leider mehrheitlich die letzte. Ob dies auch bei Walser der Fall ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber er ist meines Erachtens jedenfalls ein Musterbeispiel für den deutschen Intellektuellen, der in diversen (nicht unbedingt (nur) Israel betreffenden) Fragen gern öfter den Zeigefinger erhoben hätte, der sich aufgrund der deutschen Geschichte dazu aber nicht legitimiert fühlte. So habe ich seine Paulskirchenrede zwischen den Zeilen verstanden.
Meine Ausführungen sollen ja kein Vorwurf sein. Viele der beschriebenen psychischen Prozesse laufen un- oder nur halbbewusst ab. Es mag auch durchaus sein (auch das kann ich nicht beurteilen), dass Walsers Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld von redlichen Motiven geleitet war. Bei Grass hingegen glaube ich das nicht.
Zitat von AldiOn im Beitrag #47Die linken Israelkritiker sehen das mit dem Antisemitismus aus ehrlichem Herzen deswegen nicht ein, weil sie die derzeitige Konstruktion Israels für einen Apartheidstaat wie Südafrika sehen - nur eben noch weiter fortgeschritten, weil die Ureinwohner ja schon vertrieben sind. Bei der Entkolonialisierung Afrikas (und Vietnams) stand die Linke ja auch stets auf der Seite derer, die mit Waffengewalt ihre völkische Integrität und Einheit (Vietnam!) verteidigten. Und da viele heutige Linke ihr Damaskuserlebnis in Vietnam hatten und von daher gewaltige Vorbehalte gegen die USA stets im Gepäck haben, ist Israel gleich mit zwei linken Vorbehalten (Kolonialmacht UND USA-Partner) belastet. … Die linken Israelkritiker wollen nicht Israel vernichten um Juden zu töten sondern um den Palästinensern beizuspringen.
Nö. Die Antisemiten wollen die Juden vernichten. Das klingt jetzt unverschämt einfach angesichts der unfassbar großen linken Theoriegebäude. Aber es ist so einfach. Wenn es den „Israelkritikern“ darum geht den Palästinensern zu helfen, steht nämlich die Frage, warum ausgerechnet die Palästinenser? Was ist der Grund? Haben die uns Gutes getan und wir stehen in deren Schuld? Haben wir eine andere Schuld abzutragen?
Nichts dergleichen. Die Linken kennen persönlich keine Palästinenser. Und es gibt auch kein palästinensisches Leid. Die Palästinenser leben im Vergleich zu anderen Weltgegenden nahezu im Luxus. Die Lebenserwartung ist höher als in Ägypten, Jordanien, Syrien, Algerien, Türkei, Pakistan ... Warum also die Palästinenser?
Das immer wieder mal eingebrachte Völkermord-„Argument“ ist so absurd, dass man sich fragt, warum das überhaupt durchgeht. In China, Indonesien, Rwanda, Kongo (um mal die bekanntesten zu nennen) wurden seit der israelischen Staatsgründung Millionen massakriert. Man hört davon. Man findet es nicht schön. Vielleicht spendet man einen Euro. Das war es dann aber auch. Warum also die Palästinenser?
Recht auf einen eigenen Staat? Aber klar hat das kurdische Volk ein legitimes Recht auf einen eigenen Staat. Ebenso wie das abchasische. Und die Uiguren selbstverständlich auch. Nicht zu vergessen die Osseten und Tschetschenen. Nur seltsamerweise ist die Solidarität mit diesen Völkern und deren legitimen Interessen sehr schwach ausgeprägt, jedenfalls im Vergleich zu der mit den Palästinensern. Warum aber die Palästinenser?
Eben. Es geht gar nicht um die Palästinenser. Es geht gegen die Juden.
Zitat von Noricus im Beitrag #51Lieber Zettel, ich sehe da eigentlich keinen Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe. Ich bin überzeugt davon, dass sich Walser ein Leben lang mit der deutschen Schuld herumgeschlagen hat. Das würde ja gerade für die starke - wie soll ich sagen - Inkorporation dieser Schuld in die eigene Psyche sprechen. Doch dies führt gerade zu dem Konflikt mit dem Anspruch, eine moralische Autorität zu sein.
Kennen Sie, lieber Noricus, einen deutschen Schriftsteller dieses Rangs, der weniger beansprucht, eine "moralische Autorität" zu sein, als Martin Walser?
Dessen Lebensthema ist der Selbstzweifel, die Unsicherheit, das Sich-in-Frage-Stellen. Er hat mit Grass wirklich nichts gemeinsam. Für den das exakt zutrifft, was Sie schreiben.
Seit er mir damals, 1965, aufgefallen ist, habe ich so ziemlich alles von Walser gelesen (gerate aber angesichts von dessen stupender Produktivität allmählich in Rückstand).
Ich halte ihn für den größten deutschen lebenden Autor. Vielleicht mögen Sie dies lesen:
Zitat von Noricus im Beitrag #51Lieber Zettel, ich sehe da eigentlich keinen Widerspruch zu dem, was ich geschrieben habe. Ich bin überzeugt davon, dass sich Walser ein Leben lang mit der deutschen Schuld herumgeschlagen hat. Das würde ja gerade für die starke - wie soll ich sagen - Inkorporation dieser Schuld in die eigene Psyche sprechen. Doch dies führt gerade zu dem Konflikt mit dem Anspruch, eine moralische Autorität zu sein.
Kennen Sie, lieber Noricus, einen deutschen Schriftsteller dieses Rangs, der weniger beansprucht, eine "moralische Autorität" zu sein, als Martin Walser?
Lieber Zettel, ich danke für die angegebenen Links, denen ich bei Gelegenheiten folgen werde. Ansonsten würde ich einstweilen agree to disagree vorschlagen, weil mir langsam schwant, dass Walser für Sie sozusagen die Merkel unter den deutschen Schriftstellern ist Herzlich und nichts für ungut Noricus
Zitat von AldiOn im Beitrag #47Jakob Augstein [...] wäre auch auf Seiten der PalAraber wenn dort seit 60 Jahren Bayern, Preussen, Chinesen oder Griechen einen Staat hätten.
Mag sein. Aber die Verbissenheit der sog. Israelkritik hängt ganz sicher damit zusammen, dass es sich dabei um den Judenstaat handelt.
Zur Verbissenheit und der selbstvergebenen moralische Autorität deutscher Linksintelektueller gibt es keinen Dissens. Zu der Frage ob "sicher" sich die Israelkritik aus Judenhaß speist, muß man doch die Frage stellen ob es noch irgendwo in der Welt ein kolonialistisches Regime wie Algerien, Angola, Rhodesien oder Südafrika gibt. Gemein ist (besser: war) diesen Ländern die Existenz (von Linken so wargenommener) landfremder Siedler, die die einheimische Bevölkerung dominiert oder unterdrückt. Das ist für uns Nichtlinke ein komischer Gedankengang, weil wir es ungewöhnlich finden, daß Linke in völkischen und nationalistischen Gedankengängen argumentieren. Wir sollten uns aber daran erinnern, daß der Kolonialismus von der Linken nicht nur fundamental abgelehnt wird/wurde sondern bis heute von Linken die Wirtschaftsbeziehungen zur 3. Welt als kolonialistisch betrachtet werden (heute heißt das Globalisierungskritik).
Länder vom oben genannten Typ gibt es nicht mehr - bis auf die Ausnahme Israel. Deshalb dieser unlimitierte Haß auf dieses Land.
Das ist auch der Grund warum der Antisemitismusvorwurf in Leere führt. Es handelt sich tatsächlich um Antikolonialismus/Antiimperialismus. Und natürlich um reflexhaften Haß auf die USA.
HansDampf Die von Ihnen aufgeführten Fakten stimmen ja. Nur: All diese Massenmorde sind eben nicht von Weissen oder Westlern durchgeführt worden. Und damit sind sie gar keine "richtigen" Verbrechen (auch Linke sind eben Rassisten, die Nichtweißen eben kein moralisches Handeln zubilligen (können)). Die Juden in Israel werden von Linken allerdings als Weiße und Westler (und Kolonialisten) angesehen, deren Wehrhaftigkeit eben illegitim ist.
Zitat von Noricus im Beitrag #54Lieber Zettel, ich danke für die angegebenen Links, denen ich bei Gelegenheiten folgen werde. Ansonsten würde ich einstweilen agree to disagree vorschlagen, weil mir langsam schwant, dass Walser für Sie sozusagen die Merkel unter den deutschen Schriftstellern ist Herzlich und nichts für ungut Noricus
Ich würde, lieber Noricus, Ihnen vorschlagen, Walser zu lesen.
Wenn Sie Sprachgefühl haben, wenn Sie Sinn für die Intelligenz eines Autors haben (was ich für fast sicher halte ), dann werden Sie mir zustimmen, was Walsers literarischen Rang angeht.
Lieber Noricus, Ihre Analyse hat mir sehr gefallen.
Zitat von Noricus im Beitrag #51Viele der beschriebenen psychischen Prozesse laufen un- oder nur halbbewusst ab. Es mag auch durchaus sein (auch das kann ich nicht beurteilen), dass Walsers Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld von redlichen Motiven geleitet war.
Hier die Schlusssätze von Martin Walsers "Unser Auschwitz", von 1965:
Zitat von http://www.workpage.de/mwa2.phpUnser Asoziales hat weiterhin seine groben und feinen Funktionäre; wie geheim es sich auch momentan gibt, es kann mobilisiert werden. Natürlich wird sich Auschwitz nie wiederholen. Der nächste Triumph des Asozialen wird sich anders ausstaffieren. Deshalb ist es ja so sinnlos und befriedigend, Auschwitz nur in seinen einmaligen Fakten und sozusagen nur mit den Nerven wahrzunehmen. Aber bitte, wir haben momentan, als Gesellschaft, Erfolg. Und Erfolg macht unempfindlich. Das Bewußtsein hat kein Bedürfnis. Aber die Nerven brauchen starke Dosen. Möglich, es wird uns gegen Ende des Jahrhunderts wieder so langweilig, wie es den feineren Menschen schon am Jahrhundertanfang war. Am Ende kommen wir wieder auf Ideen*. Und das ist gern der Anfang des Schrecklichen.
Mich wundert ja, dass eine zu schöne Parallele noch keinem aufgefallen ist, nämlich die Bubis-Walser-Debatte.
Da ging es wochenlang darum - ist Walser Antisemit, bedient er nur antisemitische Klischees, und am Ende kam der Schluss (ähnlich wie bei der Mehrheit der Kommentatoren zu Augstein): nein, er ist keiner, aber er könnte so verstanden werden.
So liegt der Apfel so nah am Stamm, dass man fast die Frage nach genetischen Ursachen aufwerfen könnte
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat von Meister Petz im Beitrag #58Mich wundert ja, dass eine zu schöne Parallele noch keinem aufgefallen ist, nämlich die Bubis-Walser-Debatte.
Da ging es wochenlang darum - ist Walser Antisemit, bedient er nur antisemitische Klischees, und am Ende kam der Schluss (ähnlich wie bei der Mehrheit der Kommentatoren zu Augstein): nein, er ist keiner, aber er könnte so verstanden werden.
Interessant ist bei dieser Parallele auch, dass es sich bei der einen Debatte um den täglich zunehmenden Widerstand gegen Hitler handelte, und bei der aktuellen, die Jakobiner einem Land auf der Welt exklusiv Ideen für die Außen- und Sicherheitspolitik dermaßen penetrant angedeihen lassen, dass auch noch die Verantwortung für Auschwitz als Begründung für diese deutsche Bewegung herhalten muss. Womit sich der Kreis wieder schließt und Martin Walser 1965 recht weitsichtig war.
Nun, aber genau diese Antisemiten finden Sie bei Linken eben nicht. Jeder Jude ist willkommen, sofern er sich ein wenig links gibt, säkular ist und Israel nicht zu sehr verteidigt, wobei auch das sicher fast immer akzeptiert werden würde. Einen Vernichtungsantisemitismus zu unterstellen ist inhaltlich absurder Quatsch, der mit der Realität nichts zu tun hat. Daher kommt doch auch der Widerspruch in der Linken, dass die eben noch ein Klezmer-Konzert veranstaltet haben, um danach gegen Apartheit-Israel zu demonstrieren. Es fehlt den Linken an Einsicht und Empathie, dass Israel so agieren muss, um zu überleben.
Der Antisemitismus kommt hier durch die meist unbewusste selektive Fokusierung auf Fehler Israels, die mangelnde Einsicht in islamisch-palästinensische Gesellschaft und deren Ansichten, der Selbsthass auf den imperialistisch-faschistischen Westen, zu dem auch das jüdisch-säkulare Israel gehört, der vertreten v.a. durch die USA und Deutschland Urgrund allen Übels auf der Welt ist.Das sind nicht Theoriekonstrukte zur geplanten Judenvernichtung, sondern Ansichten, die aus Ignoranz über die Welt und sehr viel falsche Berichterstattung entstanden sind. Auch ich musste erst verstehen, dass es nicht Leute mit meinen Ansichten sind, die da gepeinigt werden und daher halt verständlich etwas Groll gegen Israel regen, sondern dass die grundsätzlich anders drauf sind, dass die Kultur anders ist, im Verstehen von Gesten, im Verhalten wie in den Zielen. Erst dadurch wird klar, dass Israel eben nicht die von Deutschland geforderte "Wir haben uns alle lieb"-Politik betreiben kann. Mit Leuten wie mir und vielen hier würde sie nämlich funktionieren.
Zitat Einen Vernichtungsantisemitismus zu unterstellen ist inhaltlich absurder Quatsch, der mit der Realität nichts zu tun hat.
Das würde ich Augstein unmittelbar und auf den ersten Blick ebenfalls nicht unterstellen, lieber Blub. Gleichwohl verteidigt er einen ehemaligen Waffen-SS-Mann, der seinerseits einen Staat verteidigt, dessen Führer den Vernichtungsantisemitismus zur Staatsräson erklärt hat. Um zu Augsteins Gunsten hier keinen Vernichtungsantisemitismus unterstellen zu müssen (was ich nicht tue), muß man allerdings etwas anderes unterstellen, nämlich grenzenlose Naivität und Bräsigkeit. Und das will mir nun noch weniger gelingen als, zumindest auf den zweiten Blick, eine gewisse Sympathie Augsteins für Menschen zu entdecken, die besagten Vernichtungswillen ganz offen ausdrücken.
Zitat Der Antisemitismus kommt hier durch die meist unbewusste selektive Fokusierung auf Fehler Israels
Wieso eigentlich: unbewußt? Ich unterstelle bei Menschen wie Augstein im Gegenteil einen ausgesprochen hohen Grad an Bewußtheit. Ich unterstelle weiter, daß Augstein, befänden wir uns im Jahr 1977, zu den ganz offenen Verteidigern der Mordtaten der RAF gehören würde. Natürlich nicht ganz offen, sondern nach dem Strickmuster "Natürlich sind diese Morde falsch, aber..." um dann weitschweifig zu begründen, warum die Morde eben doch ganz richtig und im Interesse einer gerechteren Welt sind. Unbewusstheit und Irreleitung durch Fehlinformationen mag man manch frühpensioniertem Lehrer, der auf der S21 Baustelle abhängt und abends Grassgedichte liest, unterstellen, aber nicht den Meinungsmachern, die für dessen Desinformation verantwortlich sind. Herzlichen Gruß, Andreas Döding
"Nicht die Dinge an sich beunruhigen uns, sondern unsere dogmatischen Vorstellungen von den Dingen" (Epiktet)
Im Mehrgenerationenansatz des Heidelberger Psychoanalytikers Stierlin (sog. Heidelberger Schule) spielt das Konzept der "unbewußten Delegation" eine tragende Rolle, das ich hier kurz vorstellen möchte.
Hiernach werden Kinder von ihren Eltern unbewußt so beeinflußt, daß sie zu "Delegierten" werden. Die Kinder drücken dann in ihrem Verhalten die tieferen Erwartungen und Wünsche der Eltern aus, aber auch die Konflikte, die sich zwischen unbewußten Wünschen, bewußtem Wollen und dem Können ergeben. Über das Zusammenleben in der Familie hinaus währt der Auftrag, den ein Familien-Delegierter zu erfüllen hat, etwa indem er etwas erreichen soll, was die Eltern nicht erreichen konnten. In manchen Fällen soll der Delegierte einen Elternteil gleichsam rächen, unter Umständen dessen Recht gegen das jeweils andere Geschlecht nachträglich durchsetzen.
Nun bezieht sich dieser Ansatz auf Familie i. e. S. Packt man jetzt einmal C.G. Jungs Konzept des "Kollektiven Unbewußten" dazu, ergibt sich sogleich eine interessante Erweiterung der Perspektive, und der unmittelbare, wenngleich unbewußte, Vernichtungswille rückt, auch für Herrn Augstein und für die ganze Generation von "Salonantisemiten", die er idealtypisch repräsentiert, in greifbare Nähe.
Allerdings sehe ich das ganze psychoanalytische Lehrgebäude sehr kritisch, und bitte, das oben beschriebene auch (aber nicht nur) als von mir mit einem Augenzwinkern versehen zu lesen. Herzlichen Gruß, Andreas Döding
"Nicht die Dinge an sich beunruhigen uns, sondern unsere dogmatischen Vorstellungen von den Dingen" (Epiktet)
Zitat von Zettel im Beitrag #56Wenn Sie Sprachgefühl haben, wenn Sie Sinn für die Intelligenz eines Autors haben (was ich für fast sicher halte ), dann werden Sie mir zustimmen, was Walsers literarischen Rang angeht.
Lieber Zettel, den literarischen Rang möchte ich Walser ja gar nicht absprechen, aber ein solcher ist leider nicht gleichbedeutend mit politischem Durchblick und mit Selbsterkenntnis. Am schmerzlichsten wird einem das vielleicht am Beispiel Knut Hamsuns bewusst.
Zitat von Blub im Beitrag #60Einen Vernichtungsantisemitismus zu unterstellen ist inhaltlich absurder Quatsch, der mit der Realität nichts zu tun hat.
Hat jemand etwas anderes behauptet? Die Israelfixierung der Linken beruht m.E. auf dem oben erörterten und in den meisten Fällen (jedenfalls bei den nach dem Krieg Geborenen) komplett unbewussten Versuch der Schuldaufrechnung. Die apologetische Haltung gegenüber Hamas und Fatah ist wohl in vielen Fällen durch die klassifikatorische Einbeziehung dieser Gruppen in die internationale Linke bedingt. Für bürgerliche, westliche Linke vom Schlage Augsteins ist es wohl unvorstellbar oder zumindest emotional nicht akzeptabel, dass es irgendwo auf der Welt Linke gibt, die nicht dialogbereit sind, keinen gerechten Kampf führen und nicht nur auf die ihnen angetane Gewalt reagieren. Es ist dieselbe Naivität bzw. Erkenntnisverweigerung, wie sie lange Jahr(zehnt)e gegenüber der Sowjetunion und der RAF herrschte.
Westliche Linke sind in ihrer Mehrzahl selbst keine Vernichtungsantisemiten, aber sie sind verstockt und töricht genug, Vernichtungsantisemiten trotz einer beständigen demonstratio ad oculos nicht als solche zu erkennen.
Zitat von Noricus im Beitrag #63Lieber Zettel, den literarischen Rang möchte ich Walser ja gar nicht absprechen, aber ein solcher ist leider nicht gleichbedeutend mit politischem Durchblick und mit Selbsterkenntnis. Am schmerzlichsten wird einem das vielleicht am Beispiel Knut Hamsuns bewusst.
Ja, das ist so. Man könnte viele andere nennen - Gabriele d'Annunzi, Ezra Pound, Gottfried Benn in gewisser Weise auch; und auf der anderen Seite des politischen Spektrums ganze Legionen, von Louis Aragon bis Bertolt Brecht und Hermann Kant.
Aber bei Walser sehe ich eben diese Parteinahme nicht; nur den Zweifel, das Fragen. Was ja vielleicht die Rolle des Intellektuellen in der Politik eher sein sollte als das Verkünden à la Brecht oder auch Grass.
Zitat von AldiOn im Beitrag #55Zu der Frage ob "sicher" sich die Israelkritik aus Judenhaß speist, muß man doch die Frage stellen ob es noch irgendwo in der Welt ein kolonialistisches Regime wie Algerien, Angola, Rhodesien oder Südafrika gibt.
Ja, gibt es. Russland. Große Teile des Putin-Herrschaftsgebiets ist gekennzeichnet durch ...
Zitat von AldiOn im Beitrag #55... die Existenz … die die einheimische Bevölkerung dominiert oder unterdrückt.
Denken Sie an die Tataren, Tschuktschen, Ewenken, Osseten, Tschetschenen …
Zitat von AldiOn im Beitrag #55Wir sollten uns aber daran erinnern, daß der Kolonialismus von der Linken nicht nur fundamental abgelehnt wird/wurde
Wird er das? Ich würde auf die Schnelle sagen, dass die Sowjetunion bzw. das Verhältnis der Linken dazu, diese Aussage falsifiziert.
Zitat von AldiOn im Beitrag #55Länder vom oben genannten Typ gibt es nicht mehr - bis auf die Ausnahme Israel.
Eben doch. Russland. Es gibt bei der Linken keinerlei Haß oder andere negative Empfindungen auf dieses Land. Im Gegenteil. Lassen Sie einfach die Reaktion der Linken auf die militärischen Auseinandersetzungen 2009 in Georgien vor Ihrem geistigen Auge Revue passieren. Oder denken Sie an den Tschetschenien-Krieg. Dort sind durch russisches Militär mehr Tschetschenen (allesamt Moslems übrigens) getötet worden als seit 1948 Araber durch die IDF. Und nun vergleichen Sie die Stellungnahmen der Linken dazu. Haben Sie aus dieser Ecke eine Verurteilung des Kriegstreibers Russland vernommen? Oder eine Aufforderung zum „Kaufverzicht“ für russische Waren?
Guter Einwand aber Rußland ist bestenfalls die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Dies aber noch nicht mal, weil eben Rußland von den Linken nicht zur weissen/westlichen Hemisphäre gerechnet wird. Linke sehen eben Russen als moralferne Untermenschen an wie eben Schwarze und/oder es wirkt noch die Zugewandtheit zur Sowjetunion nach (die ja auch ein Feind Israels war).
Im übrigen stand Georgien auf der Seite der USA und konnte schon deshalb nicht auf linke Unterstützung rechnen. Das noch nicht mal das muslimische Tschetschenien linke Unterstützung bekommen hat, ist natürlich bemerkenswert. Es verstärkt natürlich mein obiges Argument indem Linke sich nur dann auf die Seite des Islam schlagen, wenn es dem Westen "irgendwie" schadet.
Natürlich ist ihre Sicht auf Rußland als Kolonialreich völlig richtig. Es trifft ja auch auf China (Tibet!) zu. Das sich linker Antikolonialismus nur gegen westlichen Kolonialismus richtet ist ja nicht ein Fehler meiner Argumentation sondern hat ja eher was mit linker Doppelzüngigkeit oder meinetwegen auch Selbsthaß zu tun.
Natürlich - um diesen Einwand vorwegzunehmen - ist ja auch schon die linke Sicht, daß es sich bei Israel um einen westlichen (kolonialistischen) Staat handelt, falsch. Ein Großteil der jüdischen Israelis sind Flüchtlinge oder Abkömmlinge von Flüchtlingen aus arabischen Ländern, kommen aus Afrika (Äthiopien) oder eben zu einem ganz erheblichem Teil aus Rußland. Trotzdem sehen Linke eben Israel als westliches Land.
Linker Israelhaß speist sich nicht in erster Linie aus dem bei Linken ja durchaus vorhandenem Antisemitismus sondern aus dem Haß gegen alles Westliche im allgemeinem und dem westlichen Antikolonialismus im besonderen.
Zitat Das Zentrum rechtfertigte Augsteins Platzierung vor allem mit dessen Beiträgen auf SPIEGEL ONLINE, in denen er die israelische Regierung teilweise kritisiert.
Jakob Augstein kritisiert nicht teilweise die israelische Regierung, er überträgt antisemitische Äußerungen auf Israel.
Dass ein früher einmal gerechtfertigterweise "Sturmgeschütz der Demokratie" genanntes Magazin heute eine Replik Henryk M. Broders (http://www.welt.de/kultur/article1127086...ldige-mich.html) nutzt, um den antisemitischen Unsinn des unehelichen Sohn Martin Walsers zu verharmlosen, finde ich unerträglich.
Zitat Ich habe über Jakob Augstein auch geschrieben, er sei "der kleine Streicher von nebenan..., der nur Dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen..." Das war vollends daneben. "Nicht hilfreich", würde die Kanzlerin sagen. Jakob Augstein ist weder ein kleiner noch ein großer Streicher, er verlegt nicht den "Stürmer", sondern den "Freitag", er ist verantwortlich für das, was er heute macht, und nicht für das, was er in einem anderen Leben möglicherweise gemacht oder nicht gemacht hätte. Ein Hühnerstall ist kein KZ, die Moslems sind nicht die Juden von heute. Ich habe solche Dramatisierungen bei anderen immer kritisiert. Und nun bin ich in dieselbe Falle getappt. Dafür entschuldige ich mich. Und nur dafür.
Gerechtfertigterweise entschuldigt sich Broder nicht dafür, den Antisemiten als Antisemiten entlarvt zu haben, sondern nur dafür, einen nicht hilfreichen (und auch eher nicht korrekten) Vergleich mit Streicher und dem Stürmer gemacht zu haben.
Auch ist es ja auch nicht notwendig, sich für die Lüge der Gegenseite, Broder hätte Augstein denunziert, zu entschuldigen.
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