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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 99 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Kaa Offline




Beiträge: 658

02.02.2013 11:36
#76 RE: "Blockparteien" Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #71
-

Die Wahrheitsfindung hat im Zivilrecht wohl doch nicht oberste Priorität:Die Wahrheit hat mich grundsätzlich nicht zu interessieren Zitat aus diesem Artikel: " Deshalb darf der Richter zum Beispiel auch ihm bekannte Tatsachen, sein privates Wissen, nicht verwerten, wenn dies im Parteivorbringen keine Stütze findet."


Politisch korrekt zu sein, ..., wäre, so zu tun, als könne man Hundekacke an der sauberen Seite anfassen Michael Robotham (Krimiautor)

Kaa Offline




Beiträge: 658

02.02.2013 11:38
#77 RE: "Blockparteien" Antworten

Zitat von HR im Beitrag #73
Ab vom Thema: Was bedeutet "Wamba"? Steht die Löschung Skippers mit diesem geheimnisvollen Begriff in einem Zusammenhang?

Wamba ist die Forumsverwaltung von Zettel. In Wirklichkeit sind es die selbe Person. Aber so ist Diskutant Zettel und Ordnungsmacht formal getrennt. Wamba ist ja auch rot.


Politisch korrekt zu sein, ..., wäre, so zu tun, als könne man Hundekacke an der sauberen Seite anfassen Michael Robotham (Krimiautor)

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

02.02.2013 12:10
#78 RE: "Blockparteien" Antworten

Zitat von Kaa im Beitrag #76
Die Wahrheitsfindung hat im Zivilrecht wohl doch nicht oberste Priorität


Im Zivilprozess muss man zwei Formen von Wahrheit unterscheiden: die formelle und die materielle. Das Prinzip der formellen Wahrheit gilt für Außerstreitstellungen der Parteien, d.h. für Punkte, die zwischen den Parteien unstrittig sind. Bsp.: A nimmt B wegen eines Mangels der Kaufsache in Anspruch. B hält dagegen, dass ein Mangel nicht vorliege. Das wirksame Zustandekommen des Kaufvertrages zwischen A und B steht außer Streit. Der Richter nimmt diesbezüglich keine Beweise auf. Das wirksame Zustandekommen des Kaufvertrages wird mithin unterstellt.

Was die strittigen Punkte betrifft (im Bsp. die Frage des Vorliegens eines Mangels), muss die materielle Wahrheit erforscht werden, d.h. die "wirkliche" Wahrheit. Zu diesem Zweck nimmt der Richter Beweise auf, z.B. ein Sachverständigengutachten. Diese Wahrheit muss den Richter also interessieren, sodass er einen Beweisantrag eines der Parteienvertreter nicht damit kontern kann, die Wahrheit interessiere ihn nicht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2013 12:14
#79 RE: "Blockparteien" Antworten

Zitat von Kaa im Beitrag #77
Wamba ist die Forumsverwaltung von Zettel. In Wirklichkeit sind es die selbe Person. Aber so ist Diskutant Zettel und Ordnungsmacht formal getrennt. Wamba ist ja auch rot.

So wie Kallias, der gleichberechtigt Admin ist und in dieser Funktion nicht Kallias, sondern Straub heißt.

Skorpion ( gelöscht )
Beiträge:

02.02.2013 14:17
#80 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #70
Meinen Sie, lieber SF-Leser wirklich, aus einem solchen Vorfall könnte man ein Mißtrauen in unseren Rechtsstaat ableiten?
Nicht aus diesem Fall für sich isoliert, sondern weil er symptomatisch ist.
Zitat von Zettel im Beitrag #70
Ich denke, wenn eine solche Lappalie schon Anlaß zu Mißtrauen gibt, dann zeigt das, wie gut dieser Rechtsstaat funktioniert.
Es geht nicht um einen freilaufenden Richter (dann wäre die Geschichte nicht berichtenswert). Auffällig wurde die Sache, als LG und OLG erst mal pflichtgemäß die krähenregelkonforme Entscheidung getroffen haben.

Natürlich ist dieser Vorgang eine Lappalie. Aber in anderen Prozessen geht es um ganz andere Beträge . Und auch dort gilt: „Die Wahrheit interessiert mich nicht“. Mit existenzvernichtenden Folgen für die Justizopfer.

Zitat von ZEIT 04.04.2008, Unrecht im Namen des Volkes
Sogar einen "Augenschein" setzt er durch: Das Gericht und die Beteiligten begeben sich am Nachmittag des 31. August geschlossen in den Gefängnishof und nehmen dort an jenem Kleinwagen der Marke Toyota eine Musterung vor, in dem der 1,92 Meter große und 111 Kilogramm schwere M. seine 90 Kilo wiegende Nichte auf dem Beifahrersitz vergewaltigt haben soll, ohne die Sitze in die Liegeposition zu bringen. M. wird allein in den Wagen gestopft, Amelie ist nervlich nicht in der Lage, der Prozedur beizuwohnen. "Es war auch so offenkundig, dass das so nicht stattgefunden haben konnte", erinnert sich Gerken heute, Staatsanwalt und Richter hätten sich bedeckt gehalten.

Bedeckt gehalten haben die sich aber nicht die ganze Zeit. Staatsanwalt Dr. Michael Schmitz hat dennoch auf schuldig plädiert. Und Richter Erich Klein hat, zwar entgegen der Sachlage, jedoch objektiv, den nachweislich Unschuldigen verurteilt. Nur eine von mehreren Verrücktheiten.

Zitat von ZEIT 04.04.2008, Unrecht im Namen des Volkes
Auch die Tatsache, dass das Opfer nach wie vor Jungfrau ist, wird in die Argumentation zwangsintegriert. Zwar kommt es in seltenen Fällen vor, dass Hymen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unbeschadet überstehen, aber dass ein Jungfernhäutchen nach den Strapazen einer 10fachen Vergewaltigung durch zwei Männer und einem Kleiderbügelangriff noch heil ist, wäre ein medizinisches Wunder (noch dazu, wenn man bedenkt, dass Amelie bei der ersten Vergewaltigung ein 12-jähriges Kind gewesen sein will). Und doch wird dieses Wunder zur juristisch abgesicherten Gewissheit, auf die man eine Verurteilung stützt.

Nachdem Rückert den Fall in die Öffentlichkeit brachte, war der Niedersächsische Richterbund außer sich vor Wut.

Zitat von Richterbund Niedersachsen zu dem Machenschaften von Richter Erich Klein
Der Vorwurf der Rechtsbeugung jedoch ist nicht nur abwegig, sondern lässt auch den gehörigen Respekt vor der Unabhängigkeit der dritten Gewalt vermissen. Der Straftatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 des Strafgesetzbuchs) setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH NJW 1997, 1455 m. w. N.) einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege voraus. Rechtsbeugung begeht daher nur ein Richter, der sich bewusst in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Der Vorwurf der Rechtsbeugung ist hier deshalb völlig haltlos.

Da haben wir wieder was dazugelernt. Dass das Gericht einen Unschuldigen trotz nachgewiesener Unschuld einknastet ist nicht schön, aber weiter kein Ding. Aber dieses Skandalurteil als Rechtsbeugung zu werten, das regt sie auf, die hohe Richterschaft.



Regelmäßig arbeitet die Justiz mit vorgefertigten Protokollen. Und manchmal kommt ein vorgefertigtes Urteil zum Vorschein.



Mit welchem Recht die Justiz bis heute die Anklageerhebung gegen die (namentlich von Anfang an bekannten) Auftraggeber des Klockzin-Mordanschlags verweigert wäre doch mal ganz interessant herauszufinden. Die Tatausführenden wurden wegen versuchten Mordes verurteilt. Wie kann das angehen, dass das Verfahren gegen die Auftraggeber gegen Geldspende von 2500 Euro an den Weißen Ring eingestellt wird?



So langsam wüsste ich gern, warum die Justiz bis heute nicht mal ein Ermittlungsverfahren gegen die Kinderficker des leipziger Bordell Jasmin eingeleitet hat. Ist das Legalitätsprinzip außer Kraft gesetzt, und ich hab´s bloß noch nicht bemerkt?
Etwas Gutes gibt es aber doch im Jasmin-Fall. Wenn auch die Kinderficker ungestraft davonkommen, so werden immerhin die Opfer durch die Mühlen der Justiz gedreht. Ist ja auch ne gute Nachricht.



Manchmal gehen Akten verloren. Auffällig häufig (sicherlich rein zufällig) passiert das mit Akten, anderen Verschwinden die Justiz bzw. die Politik selbst das größte Interesse hat.

Zitat von Leipziger Volkszeitung 27./28. November 1999
Dieser Bauordner mit der Nummer 8 wurde nach unserer Zeitung vorliegend Durchgangsprotokoll vom Landeskriminalamt im Juni bei Hermanni beschlagnahmt und ist inzwischen anscheinend unauffindlich.
...
Dass beschlagnahmte Akten nicht mehr auffindbar sind, ist offenbar kein Einzelfall. Der Kölner Anwalt Reiner Wollny, der im Zusammenhang mit Flughafen-Grundstücken mit dem Freistaat Sachsen juristisch über Kreuz liegt, beklagt gestern gegenüber unserer Zeitung, dass auch in den von ihm vertretenen Fällen Akten "offenbar bei Ermittlungsbehörden weggekommen" seien.


Jedoch nicht immer sind Akten nicht auffindbar. Manchmal gerät eine in Verstoß.



Manchmal sind die Gerichte nicht der Meinung, sondern sie bestehen darauf, dass die „Realität“ Vorrang vor den verfassungsrechtlichen Grundsätzen haben muss. Das aber, und das ist die gute Nachricht, objektiv.



So richtig schön ist der „Mord“fall Rudi Rupp. Was hat das hohe Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht gem. § 244 StPO nicht alles ermittelt

Zitat von FAZ 22. Juni 2009, Der Rudi ist wieder da
Der betrunkene Maurer … „schlug das spitze Ende des Hammerkopfes insgesamt viermal in die linke Schläfe des Rudolf R. Die Spitze, die eine Länge von ca. 8 Zentimeter hatte, drang tief und so fest in den Schädel des Rudolf R. ein, dass E. den Hammer nach den ersten zwei Schlägeln durch sog. ,Naggeln' herausarbeiten musste.“ Dann habe eine der Töchter den Hammer genommen und auf den toten Familientyrann eingeprügelt, in einem „Moment höchster Erregung“. Der Gerichtsarzt sagte später, dies könne ein Abreagieren und eine Art Befreiungsschlag gewesen sein. Im Keller habe E. die Leiche mit einem langen Fleischermesser, einer Eisensäge und einem Beil bearbeitet. Die Töchter „schauten nur für einen kurzen Moment beim Zerteilen zu und verließen dann schnell den Keller“. Dem Gerichtsarzt sagte der konsternierte Matthias E. später, am schlimmsten sei die Erinnerung an das Abtrennen des Kopfes.

Hu, da gruselts einen. So schön wie die Gschicht daherkommt, hat sie doch einen Schönheitsfehler: Sie stimmt hinten und vorne nicht. Und man fragt sich besorgt, wie so was zustande kommt.
Es passiert immer wieder mal, dass Menschen in einer psychologischen Ausnahmesituation Straftaten „zugeben“, die sie nicht begangen haben. Das war zum Beispiel so bei Günther Kaufmann.
Aber im Rudi-Fall? Da sind also mehrere Bewohner des intellektuellen Souterrain, die denken sich eine vollkommen hirnrissige Geschichte aus, lernen die auswendig. Dann trägt jeder einzelne diese absurde Geschichte gegenüber den Behörden vor. Das haben die so gemacht, weil … warum eigentlich?
Tut mir leid, ich kann mir das nicht anders vorstellen, als das diese „Geständnisse“ durch Anwendung spezieller Vernehmungsmethoden zustande gekommen sind. Haben Sie eine andere Idee?



Dann könnten wir noch über Wörz reden. Oder über Witte. Oder über …

Aber warum. Das sind alles, alles, alles, Einzelfälle, die nichts mit der Justiz zu tun haben. Deshalb wollen wir es ausklingen lassen mit

Zitat von SPIEGEL Nr. 29/16.7.12, Gisela Friedrichsen, Ohne moralische Skrupel, S. 46/47
Was passiert eigentlich Staatsanwälten, die ihren Job schlecht machen? Wäre anständig ermittelt worden, hätte es 2002 in Darmstadt gar nicht zum Prozess kommen dürfen. Es passiert Ihnen nichts.
Was passiert sogenannten Sachverständigen wie Herrn Staud, die katastrophal schlechte und falsche Gutachten abliefern? Nichts passiert ihnen.
Was passiert Richtern, die sich aus solche Staatsanwälte und Gutachter verlassen und Fehlurteile fällen? Ihnen passiert schon gar nichts.
Und endlich: Was passiert Frauen, die Männer mit falschen Beschuldigungen ins Gefängnis bringen und an Leib und Leben ruinieren? Ihnen passiert üblicherweise auch nichts, …

und Broder

Zitat von SPON 28.05.2008, Rechts-Extreme und ihre Opfer
Wer schützt uns vor der Justiz?"
Eine Frage, die viel zu selten gestellt wird. Denn die Justiz ist die einzige Institution in einer demokratischen Gesellschaft, die keiner gesellschaftlichen Kontrolle unterliegt, wenn man von einer Handvoll von Prozessberichterstattern … absieht, die regelmäßig Prozesse besuchen und "Justizkritik" betreiben.

Freilich: Während ein Arzt jeden Tag riskiert, wegen eines Kunstfehlers zur Verantwortung gezogen zu werden und jeder Architekt für Mängel am Bau haften muss, kann einem Richter, der sich vertan hat, praktisch nichts passieren. Anklagen wegen Rechtsbeugung sind so selten wie eine erfolgreiche Mondlandung. Man müsste dem Richter "Vorsatz" nachweisen, das war nicht einmal bei den NS-Richtern möglich, von denen kein einziger nach 1945 bestraft wurde.

Und wenn zwei Menschen, ein "Räuber" und eine "Mörderin", die unschuldig verurteilt wurden, zufällig rehabilitiert werden, drängt sich natürlich die Frage auf: Wie viele andere sitzen unschuldig hinter Gittern, ohne dass ihnen der Genosse Zufall zu Hilfe kommt?





EDITIERT am 09.03.2013: stilistische Änderungen

SF-Leser Offline



Beiträge: 175

02.02.2013 14:37
#81 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #70
Zitat von SF-Leser im Beitrag #69
Zitat von Zettel im Beitrag #29
Es besteht also nicht der Hauch einer Wahrscheinlichkeit dafür, daß in Deutschland der demokratische Rechtsstaat in Gefahr sein könnte.



Werter Zettel,

sind Sie sich da so ohne den allergeringsten Zweifel so absolut sicher?

http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/TO...ikel8227493.php

Wäre dies nur der flapsige Spruch eines Richters mit den dann notwendigen Konsequenzen, wäre kein Wort darüber zu verlieren.
Nur das Landgericht Chemnitz und auch das Oberlandesgericht Dresden scheinen dies ebenso locker zu sehen.

Ich weiß nicht, ob man da nicht doch das Vertrauen in den Rechtsstaat ein wenig verlieren könnte. Ich zumindest fühle mich dabei schon etwas unwohl.

Aber lieber SF-Leser, wieviele Richter gibt es in Deutschland? Von dieser großen Schar hat einer eine verfehlte Bemerkung gemacht, in einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Anwalt ("Die Wahrheit interessiert mich nicht"). Das ist alles. Rechtsbeugung wird ihm nicht vorgeworfen, aber zu Recht Befangenheit.

Was das Landgericht Chemnitz angeht, aus dem verlinkten Artikel:

Zitat
Das Landgericht Chemnitz konnte und wollte sich am Donnerstag nicht zu dem Fall äußern. "Wir brauchen dazu erst einmal die Akte zurück. Die ist noch auf dem Weg zu uns", sagte ein Gerichtssprecher. Richter Holger K. selbst wollte sich ebenfalls nicht äußern, es sei schließlich ein noch laufendes Verfahren.

Die Sprecherin des sächsischen Justizministeriums, Birgit Eßer-Schneider, sagte zum Entscheid der Verfassungsrichter: "Unser Haus ist wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit nicht befugt, gerichtliche Entscheidungen zu bewerten."

Soweit ich es dem Artikel entnehme, ging es darum, daß der Anwalt die Anhörung eines bestimmten Zeugen durchsetzen wollte, die der Richter aber für nicht erforderlich hielt. Der Anwalt führte die Pflicht zur Wahrheitsfindung ins Feld. Und in dieser Diskussion unterlief dem Richter der jetzt zu Recht beanstandete Satz.

Meinen Sie, lieber SF-Leser wirklich, aus einem solchen Vorfall könnte man ein Mißtrauen in unseren Rechtsstaat ableiten?

Ich denke, wenn eine solche Lappalie schon Anlaß zu Mißtrauen gibt, dann zeigt das, wie gut dieser Rechtsstaat funktioniert.

Haben Sie schon gelesen, was Diarra über die Justiz in Mali schreibt? Da können Sie sehen, was es bedeutet, wenn der Rechtsstaat nicht funktioniert.

Herzlich, Zettel



Werter Zettel,

von Mißtrauen habe ich doch wohl nichts geschrieben, oder? sondern von Unwohlsein, Besorgnis oder wie man das ansonsten bezeichnen möchte.

Ich habe dies ja auch nicht geschrieben, weil ich von so etwas nun das zu meiner Überraschung das allererste mal höre, sondern weil dieser Vorgang einer von mehreren ist, die mir in letzter Zeit aufgefallen sind. Einer, der aber im Gegensatz zu "vielen" anderen, mal gut dokumentiert und für alle verfügbar ist. (Viele soll heißen, deutlich mehr als nur dieser eine, aber zum Glück doch weniger als Tausende...)
Und daß der eigentliche Spruch kaum der Rede wert ist, hatte ich auch schon bemerkt. Nur wie man damit im Bundesland Sachsen umgeht, fand und finde ich schon ein bißchen merkwürdig.

Damit kommen wir nun auch noch zu Ihrer Bemerkung über das Rechtswesen in Mali.
Sie hatten bzw. Diarra hatte darüber berichtet, daß dort vieles entlang von Clanen oder Stämmen (gibt es da eine Unterschied?) entschieden wird. Ersetzt man Clan nun mit Seilschaft (im aktuellen Fall also mit Richterseilschaft in Sachsen) ergibt sich für die Klägerin doch genau das gleiche Ergebnis. Erst das Wirken einer übergeordneten Entscheidungsgewalt hat wieder zu einem akzeptablen Rechtszustand* gesorgt.
(*= Ich bin kein Jurist, ich weiß also nicht, ob die von mir gewählten Bezeichnungen genau so richtig sind.)

Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie und andere bemerken, was ich denn will, denn schlußendlich hat doch das Bundesverfassungsgericht wieder alles ins Lot gebracht, aber ich kann es nicht als normal ansehen, daß immer öfter (so mein Eindruck) erst das Bundesverfassungsgericht einen akzeptablen Rechtszustand herstellt.

Nun klar, was mich umtreibt?

Grüße

SF- Leser

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

02.02.2013 14:56
#82 Der demokratische Rechtsstaat und die SED-Diktatur Antworten

Zitat von SF-Leser im Beitrag #81
Nun klar, was mich umtreibt?

Ja, lieber SF-Leser.

Und mir wird immer mehr bewußt, wie sehr ich mich darin von denen unterscheide, die die SED-Diktatur erlebt haben.

Ich habe lange gebraucht, das zu verstehen: Wie sehr jemand, der einen skrupellosen, sich niemals um das Recht kümmernden Staat erlebt hat, skeptisch sein muß.

Ich habe, seit ich 1950 angefangen habe, den "Spiegel" zu lesen, der im "Lesezirkel" war, nur die Erfahrung eines demokratischen Rechtsstaats gemacht. Diese Rechtsstaatlichkeit schien mir und scheint mir bei uns verwurzelt zu sein. Ich kann es mir überhaupt nicht anders vorstellen. Bezweifelt haben es immer nur diejenigen, die diesen Staat vernichten wollten - die RAF, die Kommunisten, die Neonazis.

Allmählich verstehe ich: Das Erbe von Verbrechern, die vierzig Jahre regiert haben, also über fast zwei Generationen, kann man nicht abschütteln. Gut möglich, daß ich diejenigen in diesem kleinen Zimmer, die in der DDR aufgewachsen sind, dehalb ungerecht beurteile.

Herzlich, Zettel

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

02.02.2013 15:16
#83 RE: "Blockparteien" Antworten

Zitat von Zettel
Diese Rechtsstaatlichkeit schien mir und scheint mir bei uns verwurzelt zu sein. Ich kann es mir überhaupt nicht anders vorstellen.



Zumindest einmal scheinen aber auch Sie gezweifelt zu haben, lieber Zettel:

Aus ZR vom 29.3.2011:
"Diese Leute wollen die Machtergreifung der Linken. Es könnte ihnen gelingen. Es könnte sein, daß es mit unserem freiheitlichen Rechtsstaat bald vorbei ist.
Ich habe so etwas noch nie geschrieben. Ich schreibe es jetzt nach sehr gründlicher Überlegung."

http://zettelsraum.blogspot.de/2011/03/d...zeilen.html?m=1

Das pol. Klima in jenen Tagen war natürlich "speziell". Fukushimahype auf dem Höhepunkt, Wahl in BaWü. Dennoch: aufgrund welcher Überlegungen oder politischer Entwicklungen seit März 2011 haben Sie zu Ihrem festen Vertrauen in die Dauerhaftigkeit und Unbedrohtheit des demokratischen Rechtsstaates zurückgefunden? Manchmal geht es mir heute nämlich so wie Ihnen offenbar damals.

Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Hausmann Offline



Beiträge: 710

02.02.2013 15:37
#84 RE: "Blockparteien" Antworten

Als Laien entgehen mir sicher wesentliche Nuancen: Was ist eigentlich der Spielraum rechtsstaatlich - demokratischer politischer Entwicklungen und was macht uns so sicher, daß dabei die fundamentalen bürgerlichen Grundfreiheiten unangetastet bleiben?

mfG

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.082

02.02.2013 15:38
#85 RE: Der demokratische Rechtsstaat und die SED-Diktatur Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #82
Diese Rechtsstaatlichkeit schien mir und scheint mir bei uns verwurzelt zu sein. Ich kann es mir überhaupt nicht anders vorstellen.


Anderenorts schrieben Sie unlängst zum Untergang der Rechtsstaatlichkeit Mitte des 20. Jahrhunderts:

Zitat von Zettel
Wie dünn dieser Firnis noch im zwanzigsten Jahrhundert war, kann man daran erkennen, daß noch Hitler und Stalin nichts dabei fanden, ihre unterlegenen Gegner abzumurksen; ja wieso denn nicht? Sie befanden sich in einer jahrtausendealten Tradition.


Warum sollten Sie siebzig Jahre nach der deutschen und vielleicht dreissig Jahre nach der russischen Barbarei, die beide katastrophale Rückschritte hinter nicht perfekte, aber doch deutlich bessere und humanere Systeme darstellten, davon ausgehen, dass die Rechtsstaatlichkeit bei uns verwurzelt sei?

--
Defender la civilización consiste, ante todo, en protegerla del entusiasmo del hombre. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

02.02.2013 17:16
#86 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Lieber Skorpion,
Hier mal ein erfreuliches Beispiel:

http://www.n-tv.de/politik/NSU-Verfahren...le10058336.html
Zitat" "Wir führen ein rechtsstaatliches Verfahren und keinen Schauprozess für die Öffentlichkeit", sagte OLG-Präsident Karl Huber dem Blatt. "Wir machen das nicht in einem Fußballstadion, wie das totalitäre Staaten tun", fügte er hinzu.

Huber betonte, es handele sich um ein deutsches Verfahren "nach deutschem Recht", auch wenn es international große Aufmerksamkeit auf sich ziehe und der Prozess um den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik in Oslo Maßstäbe an Transparenz gesetzt habe. So etwas könne die Münchner Justiz nicht leisten."
Zitat Ende

Ich schließe hieraus zweierlei.
1. Hier spricht und handelt eine selbstbewußte und v. a. unabhängige Justiz.

2. Die Tatsache, daß ein solches statement/Klarstellung durch Huber überhaupt notwendig war, scheint mir ein Hinweis zu sein, daß es Bestrebungen gegeben haben könnte, Einfluß zumindest auf den formalen Ablauf des Prozesses zu nehmen.

Ich denke die entscheidende Frage bei Ihren Negativbeispielen ist doch die: handelt es sich um ein systemisches Problem der Justiz oder sind es Verfehlungen einzelner Richter und Staatsanwälte, die natürlich mit den gleichen menschlichen Schwächen und Fehlern behaftet sind wie andere Menschen auch (was es für die ggf. Geschädigten im Einzelfall natürlich nicht besser macht, aber je nachdem zu unterschiedlichen Konsequenzen führen müßte)? Ein systemisches Problem kann ich (freilich als Laie) nicht erkennen.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Tiefseetaucher Offline




Beiträge: 353

02.02.2013 19:12
#87 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #86

Ich denke die entscheidende Frage bei Ihren Negativbeispielen ist doch die: handelt es sich um ein systemisches Problem der Justiz oder sind es Verfehlungen einzelner Richter und Staatsanwälte, die natürlich mit den gleichen menschlichen Schwächen und Fehlern behaftet sind wie andere Menschen auch (was es für die ggf. Geschädigten im Einzelfall natürlich nicht besser macht, aber je nachdem zu unterschiedlichen Konsequenzen führen müßte)? Ein systemisches Problem kann ich (freilich als Laie) nicht erkennen.


Ich halte es da mit Auric Goldfinger:
Once is happenstance. Twice is coincidence. Three times, it's enemy action.

A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools.
Douglas Adams

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

02.02.2013 19:35
#88 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Tiefseetaucher
Once is happenstance. Twice is coincidence. Three times, it's enemy action.



Jo, lieber Tiefseetaucher, aber um auch hier rechtsstaatliche Prinzipien nicht ganz zu vergessen: es sollte, wenn man das so sehen will, drei Vorfälle beim gleichen Beamten geben, meinen Sie nicht? Für alle anderen Beamten der Justiz, und wohl auch für das Justizsystem selbst, sollte erstmal die Unschuldsvermutung - bis zum Beweis des Gegenteils - gelten.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Skorpion ( gelöscht )
Beiträge:

03.02.2013 11:38
#89 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #88

Zitat von Tiefseetaucher
Once is happenstance. Twice is coincidence. Three times, it's enemy action.


Jo, lieber Tiefseetaucher, aber um auch hier rechtsstaatliche Prinzipien nicht ganz zu vergessen: es sollte, wenn man das so sehen will, drei Vorfälle beim gleichen Beamten geben, meinen Sie nicht?

Ich habe mir bei der Auswahl schon was gedacht. Den Kaufmann-Fall habe ich eingeführt, um den Unterschied zwischen Grenzfall (Kaufmann) und krimineller Energie (Michelsen) zu illustrieren.
Und ich habe absichtlich keine Fälle gebracht, wo ein wahnsinniger Beamter allein gehandelt hätte.
Hätte das Landgericht den "Die Wahrheit interessiert mich nicht"-Richter zur Räson gebracht, wäre das ein Null-Ereignis. Aber dem war ja nicht so.
Hätte im Osnabrücker Schauprozess nur der Staatsanwalt verrückt gespielt, wäre das ein Null-Ereignis. Aber dem war ja nicht so.
Hätte nur ein wahnsinniger Staatsanwalt Horst Arnold vernichten wollen, wäre das ein Null-Ereignis. Aber dem war ja nicht so.
Hätte ...
Die Strafvereitelungen der Kinderficker des Bordell Jasmin und die Strafvereitelung der Auftraggeber des Klockzin-Mordanschlags sind schon per Definition keine Einzeltaten. Bei diesen Offizial-Fällen sind nämlich (Legalitätsprinzip) alle zur Strafverfolgung berechtigten Beamten zur Strafverfolgung verpflichtet.

Es waren in jedem Fall mehrere beteiligt. Allein das sollte zu denken geben. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass ganz offensichtlich gesetzwidriges Tun keinerlei Konsequenzen für die Täter hat. Es sei denn, man wertet die Beförderung dem Landgerichtspräsidenten (Röger) als "Konsequenz". Das ist ungefähr so, als würde der Bankräuber zum Filialleiter ernannt.

Ein Berufskraftfahrerer hat ein richtiges Problem, wenn er bei rot über die Kreuzung brettert. Obwohl er für sich in Anspruch nehmen kann, dass es nur ein Augenblicksversagen war.
Wenn Richter Erich Klein einen Menschen trotz nachgewiesener Unschuld in den Knast schickt, passiert dem gar nichts. Im Gegenteil, die Standesorganisation stellt sich nicht auf die Seite des Justizopfers, sondern auf die Seite des Täters. Die werden schon wissen, warum der Teppich unten bleiben soll.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

03.02.2013 11:42
#90 RE: Der demokratische Rechtsstaat und die SED-Diktatur Antworten

Zitat von Gorgasal im Beitrag #85
Zitat von Zettel im Beitrag #82
Diese Rechtsstaatlichkeit schien mir und scheint mir bei uns verwurzelt zu sein. Ich kann es mir überhaupt nicht anders vorstellen.


Anderenorts schrieben Sie unlängst zum Untergang der Rechtsstaatlichkeit Mitte des 20. Jahrhunderts:

Zitat von Zettel
Wie dünn dieser Firnis noch im zwanzigsten Jahrhundert war, kann man daran erkennen, daß noch Hitler und Stalin nichts dabei fanden, ihre unterlegenen Gegner abzumurksen; ja wieso denn nicht? Sie befanden sich in einer jahrtausendealten Tradition.

Warum sollten Sie siebzig Jahre nach der deutschen und vielleicht dreissig Jahre nach der russischen Barbarei, die beide katastrophale Rückschritte hinter nicht perfekte, aber doch deutlich bessere und humanere Systeme darstellten, davon ausgehen, dass die Rechtsstaatlichkeit bei uns verwurzelt sei?


Warum ich davon ausgehe, hat weniger mit der Verankerung des Begriffs der Rechtsstaatlichkeit selbst zu tun (welche gar nicht für den Bund existiert), als vielmehr mit seiner Bedeutung im GG, die sich durch die einer jeden möglichen Verfassungsänderung entzogenen folgenden Verfassungsprinzipien abseits des positiven Rechts als naturrechtliche Grundsätze ergibt:

Zitat von http://de.wikipedia.org/wiki/Ewigkeitsklausel#Umfang
Von einer Änderung sind insbesondere ausgeschlossen:
der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG),
die Anerkennung der Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft (Art. 1 Abs. 2 GG),
die Bindung der staatlichen Gewalt an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG),
das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG),
die Staatsform der Republik (republikanisches Prinzip) (Art. 20 Abs. 1 GG),
das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG),
das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG),
das Prinzip der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG),
die Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG),
die Bindung der drei staatlichen Gewalten an die Verfassung (Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG),
die Bindung der Exekutive (ausführende Gewalt) und Judikative (Rechtsprechung) an die Verfassung und das sonstige Recht (Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG).

Viele Grüße, Erling Plaethe

Tiefseetaucher Offline




Beiträge: 353

03.02.2013 11:54
#91 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #88

Zitat von Tiefseetaucher
Once is happenstance. Twice is coincidence. Three times, it's enemy action.


Jo, lieber Tiefseetaucher, aber um auch hier rechtsstaatliche Prinzipien nicht ganz zu vergessen: es sollte, wenn man das so sehen will, drei Vorfälle beim gleichen Beamten geben, meinen Sie nicht? Für alle anderen Beamten der Justiz, und wohl auch für das Justizsystem selbst, sollte erstmal die Unschuldsvermutung - bis zum Beweis des Gegenteils - gelten.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding



Die drei Vorfälle, die Sie jedem Beamten zugestehen wollen, sind dann angemessen, wenn es darum geht, ob man aus dem Fehlverhalten eines einzelnen pauschal auf einen allgemeinen Fehler im System schließt. Meiner Meinung nach ist es aber sehr wohl zulässig, wenn man aus mehreren Vorfällen in einem System, auch wenn sie von verschiedenen Personen begangen wurden, auf Missstände im gesamten System schließt. Missstände heißt ja nicht, dass alles und jedes schlecht ist. Wieviel Fehlverhalten ist denn Ihrer Meinung nach tolerierbar? Darf sich jeder Richter zwei offensichtliche Fehlurteile erlauben? Auch dann, wenn sie nicht durch eine höhere Instanz einkassiert werden, wenn der Verurteilte damit leben muss?

Meine Meinung entspringt natürlich auch den persönlichen Erfahrungen, die ich mit der Justiz gemacht habe, glücklicherwiese nicht als Beschuldigter. Die drei Vorfälle hat es bei der gleichen Beamtin gegeben, es war sogar noch schlimmer. Sie wurde beim ersten Auftreten des Fehlers (falsches Geburtsdatum des Beschuldigten) auf den Fehler hingewiesen, sie hat ihn nicht korrigiert. Sie wurde beim zweiten Auftreten auf den Fehler hingewiesen und sie hat ihn nicht korrigiert, sondern ihn auch beim dritten Mal stehengelassen, so dass dieser Fehler sogar in der Verhandlung auftrat. Vielleicht war das kein entscheidender Fehler, aber es zeugt von schlampiger Arbeit und dem Nichterstnehmen der Anliegen eines Betroffenen. Denn wie sich zeigte, wurden auch alle anderen Einwände, wie z.B. entlastende Zeugenaussagen und offensichtliche Widersprüche in den Aussagen des Belastungszeugen, ignoriert. Stattdessen wurden Aussagen von Verwandten des Klägers akzeptiert, ohne sie zu hinterfragen oder überhaupt zu prüfen, obwohl sie objektiv falsch, d.h. physikalisch bzw. logisch unmöglich waren.

Auf meine Frage an den Anwalt, ob das normal sei, sagte er mir, es gäbe an diesem Gericht einige Mitarbeiter (auch Staatsanwälte), die dafür bekannt seien, dass sie auch nach entsprechenden Hinweisen durch den Anwalt die Aktenlage offensichtlich nicht prüften und bei einer einmal vorgefassten Meinung blieben, auch wenn die Tatsachen dem entgegenstünden, mit der Folge, dass ein Verfahren auf jeden Fall durchgezogen würde, auch wenn von vornherein klar sei, dass es keine Verurteilung geben werde. Gerade im Jugendstrafrecht würde dann gerne mal ein Fall vor Gericht verhandelt, quasi um den Heranwachsenden Angst zu machen.

Da sie für dieses Fehlverhalten anscheinend keine Konsequenzen durch die dienstaufsichtführenden Stellen zu fürchten haben, kann man meiner Meinung nach schon von einem systemimmanenten Problem sprechen. Dabei verhehle ich nicht, dass sicherlich (hoffentlich) die überwiegende Mehrheit der Beamten im deutschen Justizsystem ihre Arbeit sorgfältig und gewissenhaft erledigt. Allein, für den Betroffenen reicht schon der eine Fall offensichtlichen Fehlverhaltens, um das Vertrauen in die Justiz zu verlieren. Zumal man nicht vergessen sollte, dass der Beschuldigte, wenn er bzw. dessen Anwalt offensichtliche Fehler in den Ermittlungen nicht bemerkt und sich nicht dagegen wehrt, zu Unrecht verurteilt wird.

Ähnliches habe ich auch bei polizeilichen Ermittlungen festgestellt, die nicht ergebnisoffen durchgeführt wurden, sondern bei denen bereits vorher das Ergebnis feststand. Offensichtlich unwahre Aussagen von Zeugen (z.B. die angebliche Beobachtung einer Person an einem Ort, der aber von der angeblichen Beobachtungsposition aus gar nicht eingesehen werden konnte), wurden auch nach dem Einwand des Beschuldigten nicht überprüft mit dem Hinweis, dafür habe man keine Zeit.

Dieses Verhalten von Justiz und Polizei führt natürlich dann bei zu Unrecht beschuldigten Jugendlichen dazu, dass sie kein Vertrauen mehr in die staatlichen Stellen haben, warum sollten sie auch. Und jetzt kommen Sie mir bitte nicht damit, das seien Einzelfälle. Das kann man nur als Außenstehender leicht sagen. Als Betroffener ist jeder Einzelfall ein Fall zu viel, zumal dieser Einzelfall weichenstellende Bedeutung für das spätere Leben haben kann. Ich denke da z.B. an eine spätere Anstellung im Staatsdienst, die durch eine falsche Verurteilung zunichte gemacht wird.

Btw., die "Three times" in dem Film beziehen sich nicht auf den Verursacher, sondern auf das Opfer (hier Mr Goldfinger).

A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools.
Douglas Adams

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

03.02.2013 13:47
#92 RE: Der demokratische Rechtsstaat und die SED-Diktatur Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #90
Warum ich davon ausgehe, hat weniger mit der Verankerung des Begriffs der Rechtsstaatlichkeit selbst zu tun (welche gar nicht für den Bund existiert)


Im GG steht zwar nicht explizit, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Rechtsstaat ist, aber zB (die von Ihnen u.a. zitierten) Art. 1 und 20, jeweils Abs. 3, konstituieren sie als solchen.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

03.02.2013 14:01
#93 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Tiefseetaucher
Die drei Vorfälle, die Sie jedem Beamten zugestehen wollen,



Diese Aussage war auf Ihr "Once is happenstance. Twice is coincidence. Three times, it's enemy action" bezogen, was ich mir damit aber keineswegs zu eigen machen wollte. Insofern nein, ich will niemandem etwas zugestehen. Gleichwohl: die Richterin, von der Sie schreiben, scheint sich ja wirklich ausgesprochen borniert verhalten zu haben.

Sowohl Ihre als auch die Kritik von Skorpion hebt ja z. T. auf das Thema "eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus" ab. Hierzu möchte ich noch kurz was schreiben. Sie haben damit recht. Und wir sind selber schuld daran und haben es auch nicht besser verdient.

Warum?

Es gibt in Deutschland, und nicht nur hier, einen eklatanten kulturellen Mangel im Umgang mit Fehlern. Sozusagen einen Meta-Systemfehler-Fehler.
Nehmen wir die leidige Debatte um "Ärztepfusch". Wenn Ärzte Fehler machen (hier arbeitsdefinitorisch als Handlung mir nichtbeabsichtigten schädlichen Folgen gemeint), dann verhalten sie sich absolut rational und klug, wenn sie diesen vertuschen. Und daß die Kollegen dabei mitmachen, ist reziprok-altruistisch ("ich könnte schließlich auch mal Bockmist bauen") und somit wiederum rational und klug. Warum sollte man an der Aufklärung und Analyse eines individuellen oder gar systematischen Fehlers mithelfen, diesen auch nur zugeben, wenn die Konsequenzen erwartbar existenzvernichtend (Verlust der Zulassung, Verlust jeglicher Reputation, Stigmatisierung, Entzug der wirtschaftlichen Grundlage) wären?

Der Umgang mit Fehlern ist hierzulande durch philosophisch und logisch absurde Forderungen und Bestrafungswünsche gekennzeichnet: "xy hätte wissen müssen, Fehler yz hätte nicht passieren dürfen usw, was einer Forderung nach hellseherischen Fähigkeiten auf seiten des Fehlermachenden impliziert. Oder wahlweise auch das Vorhandensein einer Zeitmaschine, nämlich wenn man fordert, daß der Fehlermachende vor dem Fehler bereits nach Einsichten hätte handeln sollen, die er logischerweise erst nach dem Fehler gewonnen hat. Sonst hätte er den Fehler ja eben nicht gemacht. Wie auch immer, man erreicht damit nicht das Wünschenswerte, nämlich daß aus Fehlern gelernt wird und sie so tendenziell unwahrscheinlicher werden können, sondern das Gegenteil: mehr Intransparenz, Vertuschung und Tradierung von Fehlern sowie Zementierung ihrer schädlichen Folgen.

Eine Lösung läge, so kontraintuitiv das auf den ersten Blick erscheint, in einer größeren Fehlertoleranz, die wiederum Voraussetzung ist für mehr Fehlertransparenz. Persönliche Konsequenzen, die ich eingeschränkt befürworte, dürften zwar unangenehm aber keinesfalls existenzbedrohend sein, müßten dafür aber schnell, kurze Zeit nach dem Fehler, wirksam werden (und nicht, wie in der heutigen Vertuschungskultur, oft erst nach Jahren). Dann hätte man verbesserte Möglichkeiten, Fehler und ihre ggf. auch systematischen Quellen zu erfassen, um daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

Qualitätsmanagementsysteme (ich habe einige Jahre lang in einem Qualitätszirkel zur Implementierung von DIN ISO 9001 mitgearbeitet) versuchen das ansatzweise. Die enormen organisationalen und individuellen Widerstände, die ich damals erlebt habe, hatten mMn u. a. damit zu tun, daß die Menschen sich enorm schwer tun, solche Weltbilder zu hinterfragen.

Dies alles gilt natürlich nur für Fehler, nicht für Vorsatz. Wie bei allen Grauzonen, so ist es auch bei der Grauzone "Fahrlässigkeit" schwer zu bewerten. Ist es "noch" ein Fehler oder "schon" Vorsatz, wenn der alkoholabhängige Chirurg betrunken zur OP erscheint und statt des Fußes den Kopf amputiert?

Behörden, einschließlich der Justiz, bilden hier aus meiner Sicht weder eine Ausnahme noch eine Besonderheit.

Herzliche Grüße,
Andreas Döding

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

03.02.2013 16:17
#94 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Lieber Andreas Döding,

vielen Dank für Ihre schönen Ausführungen über die deutsche Fehler-(Un-)Kultur. Auch ich habe ähnliche Beobachtungen gemacht und auch an mehreren ISO-9001-Einführungen teilgenommen. Ich habe sowohl deren Segen bei gelungener Einführung und adäquater Anwendung als auch ihren Fluch erleben können. Natürlich nimmt die Bereitschaft, Fehler überhaupt wahrzunehmen, mit der Anhebung der materiellen Konsequenzen ab. Eine "Fehlerkultur" durch Verschärfung von Konsequenzen zu fördern ist daher ein kapitaler Irrtum. Leider kümmern sich weder Gesetzgeber noch Gerichte um derartige Überlegungen, was in den USA zum Aussterben ganzer Industriezweige geführt hat.

Aber nun mein Hauptgedanke: Wie sind Systeme zu beurteilen, deren Akteure sich explizit von den Sanktionen, die sie regelmäßig gegen andere anwenden, ausnehmen? Ich meine ja nicht, daß ein Richter, der eine existenzvernichtende Fehlentscheidung getroffen hat, ebenfalls riskieren muß, eine existenzvernichtende Sanktion zu erleiden. Dann würde man schwerlich noch Richter finden. Aber wenn eine Konsequenz komplett ausbleiben würde? Was würde man dann wohl für ein System bekommen?

Herzlich, Thomas

Kaa Offline




Beiträge: 658

03.02.2013 16:56
#95 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Thomas Pauli im Beitrag #94
was in den USA zum Aussterben ganzer Industriezweige geführt hat.


Welcher Industriezweige? Und wie?

Das ist spannend, läuft wohl in die gleiche Richtung wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag - ab nun kann ein Diktator nicht mehr klein beigeben.


Politisch korrekt zu sein, ..., wäre, so zu tun, als könne man Hundekacke an der sauberen Seite anfassen Michael Robotham (Krimiautor)

Skorpion ( gelöscht )
Beiträge:

03.02.2013 17:02
#96 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Kaa im Beitrag #95
Zitat von Thomas Pauli im Beitrag #94
was in den USA zum Aussterben ganzer Industriezweige geführt hat.


Welcher Industriezweige? Und wie?
Es hat was zu tun mit den überspannten Schadensersatzansprüchen. Ich weiß nicht wie jetzt der Stand ist, aber eine zeitlang hat sich dort keiner mehr getraut Leitern zu bauen. Und die Kliniken haben bei riskanten Konstellationen einfach die Entbindung verweigert.
Wie immer ist es das Maß. Vollkommene Folgenlosigkeit auch von extremen Fehlverhalten führt zu Zuständen wie in der deutschen Justiz, wo Staatsanwälte und Richter de facto unfehlbar, also schuldbildungsunfähig sind.
Milliardenstrafen für einfache Schlampereien führt zu Ausweichbewegungen nach der anderen Seite.

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

03.02.2013 17:38
#97 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat
Welcher Industriezweige? Und wie?


Liebe Kaa,

hier ein kleines solches Beispiel, in dem auch das Schicksal der Asbestproduktion erwähnt wird. Man denke aber auch an den Skandal um Brustimplantate, das DuPont and den Rand des Ruins brachte.

Herzlich, Thomas

Kaa Offline




Beiträge: 658

03.02.2013 18:07
#98 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Danke, das ist ein gutes Beispiel. (Bei Brustimplantaten hingegen hatte ich noch nie von Bedienungsfehlern gehört)


Politisch korrekt zu sein, ..., wäre, so zu tun, als könne man Hundekacke an der sauberen Seite anfassen Michael Robotham (Krimiautor)

Hausmann Offline



Beiträge: 710

03.02.2013 18:17
#99 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Skorpion im Beitrag #96
Vollkommene Folgenlosigkeit auch von extremen Fehlverhalten führt zu Zuständen wie in der deutschen Justiz, wo Staatsanwälte und Richter de facto unfehlbar, also schuldbildungsunfähig sind.

Gestatten Sie, daß ich dazu nichts sage und mir nur den hübschen Begriff "Staatsanwalt" auf der Zunge zergehen lasse? mfG

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

04.02.2013 08:03
#100 RE: Der demokratische Rechtsstaat Antworten

Zitat von Thomas Pauli
Wie sind Systeme zu beurteilen, deren Akteure sich explizit von den Sanktionen, die sie regelmäßig gegen andere anwenden, ausnehmen? Ich meine ja nicht, daß ein Richter, der eine existenzvernichtende Fehlentscheidung getroffen hat, ebenfalls riskieren muß, eine existenzvernichtende Sanktion zu erleiden. Dann würde man schwerlich noch Richter finden. Aber wenn eine Konsequenz komplett ausbleiben würde? Was würde man dann wohl für ein System bekommen?



Lieber Thomas Pauli,
Sie haben da mMn völlig recht, aber ich fürchte, das ist in einem Rechtsstaat nicht wirklich lösbar. Richterliche Unabhängigkeit birgt die Gefahr richterlicher Willkür, wenn ich es richtig durchblicke. Will man der Gefahr der Willkür durch, wie auch immer geartete, Konsequenzsysteme begegnen, so hat das vermutlich immer auch (einschränkende) Auswirkungen auf die Unabhängigkeit. Aber zumindest die Gesetze gelten ja auch für Richter. Irgendwo in diesem Spannungsfeld findet wohl Rechtsstaatlichkeit statt, nicht perfekt und schon gar nicht fehlerfrei, denke ich.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

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