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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 68 Antworten
und wurde 10.533 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Fritz ( gelöscht )
Beiträge:

30.01.2013 21:31
#26 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von DavidHarnasch im Beitrag #22
So teuer, dass es finanziell möglich ist, dagegen mit einem Qualitätsformat zu konkurrieren. Gegen Scripted Reality hingegen kann man nicht konkurrieren, weil es technisch nicht möglich ist, billiger zu produzieren. Das ist die die Dynamik, die mir missfällt.


Jetzt habe ich verstanden, worauf Sie hinaus wollten. Danke für die Erläuterung.

Gruß
Fritz

Llarian Offline



Beiträge: 7.126

30.01.2013 21:34
#27 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #25
Lieber Llarian, meine Frau schaut begeistert Dschungelcamp, ich nicht. Wir leben dabei aber eine äußerst friedliche Koexistenz ;) Ich habe sie eben mal gefragt, was für sie der "Kick" beim Dschungelcamp ist, auf den Punkt gebracht. Antwort: "na das Fremdschämen, was sonst!?"

Das mag der Kick ihrer Frau sein, lieber Döding, meiner ist es deutlich weniger. Scham ist ohnehin eine sehr individuelle Sache und ich kann wenig Scham dabei entdecken dass sich jemand, dessen geistiges Niveau etwa dem der 7. oder 8. Klasse entspricht, zum Affen macht. Ich finde es lustig, geschenkt, aber Scham ? Schämen möchte ich mich eher, wenn die Kirche, der ich immernoch angehöre, "Friedensmärsche" gegen Atomkraftwerke veranstaltet, wenn die Partei in der ich einmal war, noch ihre letzten Prinzipien opfert um nicht die Koaltion zu riskieren, wenn der frühere Bundeskanzler unseres Landes im Ausland was von einer Ein-China-Politik zusammenblubbert, dann empfinde ich Grund zur Scham. Weil für diese Gruppen nicht der Schutz gilt, dass sie sich der Dummheit ihrer Taten und Aussagen nicht bewusst sind. Um Scham zu empfinden muss man etwas tun, dessen Unangebrachtheit man auch versteht. Ein Kind versteht nicht warum das, was es gerade tut, für einen Erwachsenen Grund wäre sich zu schämen. Es gibt aber keinen Grund dafür das das Kind sich schämt noch einen dass sich ein Erwachsener dafür fremdschämt.

Ich glaube viele Leute wollen sich aber gerne fremdschämen, was ja auch was damit zu tun hat, dass man sich selber davon absetzt ("ich würde das nie tun", "ich würde so etwas Dummes nie sagen"). Ich kann dazu nur sagen, wir alle tun ab und an ziemlich dumme Dinge und sagen auch ziemlich blöde Sachen. Das kann lustig sein, aber Scham ? Das hebe ich mir lieber für die Knaller auf. Wenn "Joey" aus dem Dschungelcamp sich Sorgen macht am nächsten morgen aufzuwachen und festzustellen dass er tot ist, dann finde ich das lustig. Aber Scham hebe ich mir für den Fall auf, dass Frau Merkel uns wieder erklärt wie alternativlos es ist unsere Strom auf die dümmste aller möglichen Arten zu erzeugen. Joey wird vielleicht in ein paar Jahren wissen wie dumm die Aussage war (Zlatko weiss inzwischen wohl auch das Shakespeare keine Filme gedreht hat), aber Frau Merkel weiss schon heute dass sie Unsinn redet.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

30.01.2013 21:51
#28 RE: Absolut verdient Antworten

Lieber Llarian,

Zitat
Scham ist ohnehin eine sehr individuelle Sache und ich kann wenig Scham dabei entdecken dass sich jemand, dessen geistiges Niveau etwa dem der 7. oder 8. Klasse entspricht, zum Affen macht.



Naja, Scham meint im Kern ja erstmal, dass jemand sich "erwischt" fühlt bei einem gesellschaftlich inakzeptablen Verhalten, lieber Llarian. "Man sieht mich dabei, wie peinlich". Natürlich ist das auch individuell. "Fremdschämen" ist dabei aber ein durchaus interessanter Neologismus, der ein erhebliches Maß an Empathie seitens des Fremdschämenden voraussetzt. Das braucht ein höheres Niveau als das der 7. oder 8. Klasse. Umgekehrt würde ich keinen Siebt- oder Achtklässler dort hinschicken wollen. Auch niemanden, dessen biologisches Alter höher sein mag.

All die Beispiele, die Sie nennen, sich noch mehr fremdzuschämen (und denen ich teilweise zustimme) relativieren das Vorgenannte aus meiner Sicht nicht.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

DavidHarnasch Offline



Beiträge: 24

30.01.2013 21:54
#29 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

"Sie, lieber David Harnasch, mögen es sich vielleicht mit gewissermaßen professionellem Zungenschnalzen ansehen; weil Sie das Formale beurteilen können und die insider jokes genießen. Aber die meisten Zuschauer dürfte nicht das vor den TV-Kasten ziehen. Was also?"

Lieber Zettel, ganz gewiss lagen Sie nicht falsch mit Ihrer Vermutung, hier würden die "die polymorph-perversen infantilen Wünsche der Zuschauer" angesprochen. Übrigens durchaus auch meine! Nur spricht mich die Sendung eben auch auf den anderen Ebenen an. Das ist das Erfolgsrezept, mit dem das Dschungelcamp Grimme-Nominierung, Sender-Alleinstellung und gigantische Quote unter einen Hut bringt: Es unterhält eine riesige Menge Menschen, die ansonsten keinerlei Überschneidungen haben. Und im Gegensatz beispielsweise zum Fussball, zu dem der Universtitätsprofessor keinen anderen Zugang hat als der Schreinerlehrling, gelingt das dem Dschungelcamp, indem es parallel verschiedene Wahrnehmungsebenen bedient - von denen einige einem Großteil der Zuschauer verborgen bleiben - aber eben nicht der Grimme-Jury.

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

30.01.2013 22:18
#30 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Lieber David Harnasch,

Ihre Beurteilung des Dschungelcamps als "transparentes, ehrliches Format" bzw. "die verschiedenen Wahrnehmungsebenen" teile ich überhaupt nicht. Und die Moderation gerade von Dirk Bach selig und Sonja Zietlow zusammen fand ich immer nur bestrebt, die Teilnehmer möglichst stark ins Lächerliche zu ziehen.

Was die Wahrnehmungsebenen angeht: Natürlich kann man da eine Menge reinintellektualisieren; ich bin sicher, das geht auch beim Musikantenstadl, wenn man nur genug Hirnschmalz aufwendet. Aber warum sollte man es tun? Und was die Ehrlichkeit angeht; was ist daran ehrlich, wenn ein Format so dermaßen konstruiert ist, dass man die Dialoge gar nicht mehr zu schreiben braucht?

Natürlich ist das anders als z. B. bei Frauentausch, das wirklich bis ins letzte scripted ist (da merkt man oft, wie die Texte aufgesagt werden). Das alles ist Unterhaltung, und es erfüllt mehr oder weniger seinen Zweck. Aber jedem, der darüber hinaus irgendwelche Metaebenen reinkonstruiert, unterstelle ich erst mal eine gewisse Freudsche Sublimierung. Man macht sich nicht gern mit dem Pöbel gemein, der es aus Voyeurismus anschaut, also muss es satisfaktionsfähige Gründe dazu geben.

Genauso wie ich den wenigsten Leuten glaube, dass sie eine Bildzeitung "in der Straßenbahn gefunden haben"

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Fritz ( gelöscht )
Beiträge:

30.01.2013 22:20
#31 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Ich habe mir die Sendung vor einiger Zeit auch einmal angeschaut, als der "unvergessene" Dirk Bach noch lebte. Die Dschungelprüfung war nicht überraschend, das war ja aus der Zeitung bekannt.

Überrascht war ich durch die gequält-witzige Moderation, das langweilige und langatmige Gequatsche der Kandidaten.
Ich hatte das Gefühl, daß auf "Deubel kommt raus" Zeit geschunden werden mußte, um möglichst viel Werbung zu verkaufen. Wenn ich die Sendung nicht aus moralischen Gründen ablehnen würde, würde ich sie mangels Unterhaltungswert meiden.

Vor ein paar Tage habe ich im Netz wegen des von mir hochverehrten Eberhard Fechner gegugelt. Der hat, wie ich Wiki entnehmen konnte, ja auch einige Male den Grimmepreis bekommen. Damals war das noch eine Auszeichnung. Was würde ein Fechner wohl zu dieser Nominierung sagen?
Der Fechner ist gerade einmal 20 Jahre tot. Beim Fernsehen, und zwar auch bei den öffentlich-rechtlichen, hätte er vermutlich keine Chance mehr.
Mit welcher Geschwindigkeit dieses Land abstürzt, ist schon beängstigend.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

30.01.2013 22:31
#32 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #30
Genauso wie ich den wenigsten Leuten glaube, dass sie eine Bildzeitung "in der Straßenbahn gefunden haben"

Aber immerhin geben sie zu, sie dann zu lesen. Und beim Dschungelcamp gibt es, scheint mir, kaum Hemmungen, sich zu seiner Lust an Ekel und Erniedrigung zu bekennen.

Übrigens im Unterschied zur Pornografie; ein interessanter Unterschied, scheint mir. Pornos konsumieren die meisten Männer und viele Frauen, aber kaum jemand bekennt sich seltsamerweise dazu.

Nun gut, die findet man selten beim Friseur oder in der Straßenbahn.

Herzlich, Zettel

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

30.01.2013 22:42
#33 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Zitat von Zettel
Übrigens im Unterschied zur Pornografie; ein interessanter Unterschied, scheint mir. Pornos konsumieren die meisten Männer und viele Frauen, aber kaum jemand bekennt sich seltsamerweise dazu.



Um das zu vergleichen, müßte man wohl ein paar Hardcores, flankiert von den Massenmedien, zur Primetime zeigen. Ich vermute, die Quoten wären hinreichendes Bekenntnis beiderlei Geschlechter. Und sozusagen zur entschuldigungslosen Ehrenrettung Brüderles geeignet
Viele Grüße,
Andreas Döding

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

30.01.2013 23:15
#34 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #32
Übrigens im Unterschied zur Pornografie; ein interessanter Unterschied, scheint mir. Pornos konsumieren die meisten Männer und viele Frauen, aber kaum jemand bekennt sich seltsamerweise dazu.

Das ist wirklich interessant; ob es sich um ein Tabu handelt? So wie viele Menschen ihren Müll nicht trennen, aber kaum jemand es zugibt? Aber die wenigsten verheimlichen würden, gelegentlisch zu schnell zu fahren?

Ich denke, Pornos sind gesellschaftlich noch ausreichend negativ sanktioniert - zum Einen wegen der "Stück-Fleisch"-Thematik, also Objektdegradierung; zum Anderen wegen der Nähe zur Prostitution (die Darsteller beziehen Geld für Sex, der nicht aus Liebe geschieht).

Ich fand die Lanz-Diskussion (trotz der einschläfernden Modertion von Weichspüler Lanz) deswegen so interessant, weil sie die Verbindung zwischen Brüderle und Dschungel hergestellt hat. Und die Frage ist ja legitim: warum ist es kein Tabu, wenn man das Verhalten, die Persönlichkeit, die Seele einer Person zum Objekt macht, sobald aber ein weiblicher Körper im Spiel ist, geht der #aufschrei los?

Gruß Petz

"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln

Llarian Offline



Beiträge: 7.126

30.01.2013 23:26
#35 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #28
Naja, Scham meint im Kern ja erstmal, dass jemand sich "erwischt" fühlt bei einem gesellschaftlich inakzeptablen Verhalten, lieber Llarian. "Man sieht mich dabei, wie peinlich".

Richtig. Aber was inakzeptabel ist, ist ja genau die Frage.

Zitat
Natürlich ist das auch individuell. "Fremdschämen" ist dabei aber ein durchaus interessanter Neologismus, der ein erhebliches Maß an Empathie seitens des Fremdschämenden voraussetzt. Das braucht ein höheres Niveau als das der 7. oder 8. Klasse.


Zum einen, so war es nicht gemeint. Gemeint war dass derjenige für den sich hier (im Dschungelcamp) fremdgeschämt wird, noch recht naiv oder kindlich ist. Zum anderen bin ich ÜBERHAUPT NICHT der Meinung dass es Empathie fürs Fremdschämen braucht. Ganz im Gegenteil: Scham ist ein absolut persönliches Gefühl. Und Fremdschämen hat etwas mit Abhebung vom anderen zu tun. "Ich würde sowas nie tun". "Ich bin nicht so dumm". "Ich würde es unheimlich peinlich finden, wenn man mich so sähe". Ich, ich, ich. Man hält selbst ein bestimmtes Verhalten für inakzeptabel und oktroyiert die eigenen (!) Maßstäbe dem anderen auf. Es ist somit das Gegenteil richtig, es verlangt gerade die Abwesenheit von Empathie. Was man zum Beispiel auch sehr schön daran sehen kann, dass sich Kinder (die durchaus jünger sind als besagte 7. Klasse) durchaus auch für ihre Eltern "fremdschämen" wenn diese ein Verhalten an den Tag legen das aus Sicht des Kindes inakzeptabel ist. Für den einen mag es unheimlich beschämend sein, wenn man sein nacktes Hinterteil im Fernsehen sieht. Andere mag das überhaupt nicht jucken. Wieso es eine Auszeichnung vom Empathie sein soll wenn man seine eigenen Moralvorstellungen dem anderen aufdrückt will sich mir nicht erschliessen, lieber Döding.

Zitat
Umgekehrt würde ich keinen Siebt- oder Achtklässler dort hinschicken wollen. Auch niemanden, dessen biologisches Alter höher sein mag.


Dann wäre es aber eben auch nur halb so unterhaltsam. Das Dschungelcamp lebt, übrigens genauso wie der so oft ausgezeichnete Stefan Raab mit seinen diversen Beiträgen zum Thema Dummheit, durchaus auch davon, dass dumme Dinge gesagt werden.

IsaWolke Offline



Beiträge: 24

30.01.2013 23:27
#36 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #34
sobald aber ein weiblicher Körper im Spiel ist, geht der #aufschrei los?



Im Fall Himmelreich müsste es aber heißen: sobald die FDP im Spiel ist, geht der #aufschrei los

Llarian Offline



Beiträge: 7.126

30.01.2013 23:30
#37 RE: Professionelle und andere Perspektiven Antworten

Zitat von Zettel im Beitrag #32
Pornos konsumieren die meisten Männer und viele Frauen, aber kaum jemand bekennt sich seltsamerweise dazu.

In unserer feminisierten Gesellschaft mögen die wenigsten Männer offen darüber reden, wenn eine Frau zuhören könnte. Aber untereinander stellt das zumindest meiner Erfahrung nach kein Problem dar. Ich weiss jedenfalls von mehr Männer das sie welche konsumieren als von welchen, die das nicht tun.

Und wenn Sie jemanden suchen, der sich "outet", ich habe nicht nur kein Problem mit Pornographie, ich sehe es mir auch ganz gerne an. Und dafür schäme ich mich auch nicht. Nichtmal ein bischen. :)

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

30.01.2013 23:51
#38 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Llarian
ein absolut persönliches Gefühl. Und Fremdschämen hat etwas mit Abhebung vom anderen zu tun. "Ich würde sowas nie tun". "Ich bin nicht so dumm". "Ich würde es unheimlich peinlich finden, wenn man mich so sähe"



Das letzte Beispiel passt, die ersten beiden nicht. "Wenn ich mich in den anderen hineinfühle, an seiner Stelle wäre, dann schämte ich mich", das ist mMn das Wesen von Fremdschämen (Ihr drittes Beispiel in meinem obigen Zitat). Die ersten beiden Beispiele sind eher sowas wie Abwertung oder Selbstüberhöhung.
Dabei oktroyiert man aber gar nichts, meine ich. Ich fordere ja nicht, daß der andere sich schämen solle, sondern ich konstatiere lediglich, daß ich mich an seiner Stelle schämte (um jedes "schämen würde" nach Zettels heutigem sprachbezogenem Beitrag geflissentlich zu vermeiden ;). Also schon doch Empathie, meine ich. Und eben kein "Aufdrücken eigener Moralvorstellungen", worin soll die bestehen, lieber Llarian?
Mit der Altersgrenze gebe ich Ihnen allerdings recht: das fängt bereits deutlich vor der 7./8. Klasse an. Hatte heute noch das Vergnügen
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

31.01.2013 00:28
#39 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #35
Zitat von Doeding im Beitrag #28
Naja, Scham meint im Kern ja erstmal, dass jemand sich "erwischt" fühlt bei einem gesellschaftlich inakzeptablen Verhalten, lieber Llarian. "Man sieht mich dabei, wie peinlich".

Richtig. Aber was inakzeptabel ist, ist ja genau die Frage.

Zitat
Natürlich ist das auch individuell. "Fremdschämen" ist dabei aber ein durchaus interessanter Neologismus, der ein erhebliches Maß an Empathie seitens des Fremdschämenden voraussetzt. Das braucht ein höheres Niveau als das der 7. oder 8. Klasse.

Zum einen, so war es nicht gemeint. Gemeint war dass derjenige für den sich hier (im Dschungelcamp) fremdgeschämt wird, noch recht naiv oder kindlich ist. Zum anderen bin ich ÜBERHAUPT NICHT der Meinung dass es Empathie fürs Fremdschämen braucht. Ganz im Gegenteil: Scham ist ein absolut persönliches Gefühl. Und Fremdschämen hat etwas mit Abhebung vom anderen zu tun. "Ich würde sowas nie tun". "Ich bin nicht so dumm". "Ich würde es unheimlich peinlich finden, wenn man mich so sähe". Ich, ich, ich. Man hält selbst ein bestimmtes Verhalten für inakzeptabel und oktroyiert die eigenen (!) Maßstäbe dem anderen auf. Es ist somit das Gegenteil richtig, es verlangt gerade die Abwesenheit von Empathie.



Sicher nicht gleich, aber beide Bereiche dürften nahe nebeneinander liegen. Adam Smith entwickelt ja seine Moraltheorie in seinem ersten Hauptwerk, der Theory of Moral Sentiment, 1759 & dann 4x erweitert, aus dieser Überlegung (sein bekanntestes Beispiel macht das am Anblick von Folter- oder chirurgischen Instrumenten fest, die Beklemmung auslösen, auch wenn der Betrachter weit jenseits aller Gefahr steht - das wird dann peu à peu auf den gesamten Bereich der möglichen Mit=Leidens ausgeweitet). Smiths Zielrichtung war die Entwicklung einer Morallehre ohne jeden theologischen Rekurs.
Die heutige, jedenfalls die neuere, Neurophysiologie bringt da die Spiegelneuronen ins Spiel, mit der gleichen Wirkung.

Zitat Wikipedia
____
Es wird vermutet, dass der Mechanismus der Emotionserkennung durch Spiegelneuronen eine Art „Als-ob-Schleife“ darstellt. Das Beobachten der Gesichter der Anderen, welche eine Emotion ausdrücken, soll eine Aktivierung der Spiegelneuronen in der prämotorischen Rinde zur Folge haben. Die Spiegelneuronen in der prämotorischen Rinde sollen dann zu den somatosensorischen Arealen und zur Insel eine Kopie ihrer Aktivierungsmuster (efferente Kopie) schicken, die dem Muster ähnelt, welches sie generieren, wenn der Beobachter selbst diese Emotion erlebt (Tsoory-Shamay 2009). Die Schleife ist damit geschlossen und die Aktivierung der sensorischen Areale gleicht der Aktivierung, würde man die Emotion selber erleben, was einer Art Simulation entspricht. Diese Annahme wiederum wird von mehreren Befunden unterstützt (Tsoory-Shamay 2009).

In der Insel geschieht Entscheidendes: dort wird ein spezifischer Spiegelmechanismus aktiviert, der die eingehenden Informationen emotional einfärbt. Die Insel als Zentrum der Repräsentation der inneren Körperzustände ist ein viszeromotorisches Integrationszentrum, welches die eingehenden Informationen mit viszeralen Reaktionen zu verbinden vermag (Rizzolatti 2008).

Die Fähigkeit zur Empathie ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff des Mitleids oder des Mitgefühls. Ob wir gegenüber jemandem, der leidet, Mitleid empfinden, hängt von verschiedenen Bedingungen ab: ob er uns wohlgesinnt ist, ob wir ihm wohlgesinnt sind oder ob wir gar Sadisten sind (Rizzolatti 2008).
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Und zum Dschungelthema:
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Ekel und die Insula
... So haben verschiedene vorwiegend mittels PET durchgeführte Arbeiten ergeben, dass die Insula und die Amygdala aktiviert wurden, wenn die Probanden ekelerregenden Gerüchen und Geschmäckern ausgesetzt wurden (Wicker 2003). Unabhängig davon haben fMRI-Studien gezeigt, dass die Insel beim Betrachten ekelerregter Gesichter aktiviert wird (Wicker et al. 2003). Das Ziel der Studie war nun eine Aktivierung der Insula bei den Probanden nachzuweisen, wenn sie selber Ekel erfuhren und auch wenn sie ekelerregte Gesichter anderer beobachteten.
_____

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

31.01.2013 08:09
#40 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann
... So haben verschiedene vorwiegend mittels PET durchgeführte Arbeiten ergeben, dass die Insula und die Amygdala aktiviert wurden, wenn die Probanden ekelerregenden Gerüchen und Geschmäckern ausgesetzt wurden (Wicker 2003). Unabhängig davon haben fMRI-Studien gezeigt, dass die Insel beim Betrachten ekelerregter Gesichter aktiviert wird (Wicker et al. 2003). Das Ziel der Studie war nun eine Aktivierung der Insula bei den Probanden nachzuweisen, wenn sie selber Ekel erfuhren und auch wenn sie ekelerregte Gesichter anderer beobachteten.



Wobei, verkürzt gesagt, in der Inselregion wohl eher ein mögliches Übergeben/Erbrechen vorbereitet werden dürfte.
http://books.google.de/books?id=BE0xbLh1...0gehirn&f=false

Die emotionale Einfärbung dagegen dürfte weitestgehend limbischen Strukturen wie dem Hippocampus vorbehalten sein, aber im Falle von Dschungelcamp vielleicht noch entscheidender: Dopaminausschüttungen im Nucleus accumbens (sog. Belohnungszentrum).
Aus Wikipedia:
"Der Nucleus accumbens projiziert seinerseits von der Schalenregion aus über das mediale Vorderhirnbündel in das limbische System und den Hypothalamus. Ersteres ist an der kognitiv-psychischen Verarbeitung beteiligt, letzterer spielt eine Rolle bei der vegetativen Antwort auf das Glücksgefühl."

EDIT/ Ergänzung. Genau genommen heißt das wohl, daß sämtliche "Stellvertreteremotionen" Belohnungs/Verstärkerwert haben. Ist eigentlich auch trivial, soweit. Früher ging man ins Theater, um sich zu erfreuen oder zu erbauen, natürlich war auch Humor (Freude) ein Grund. Ebenso empathische Traurigkeit bei entsprechenden Schmonzetten. Alles nicht möglich ohne Empathie, neudeutsch Spiegelneuronen. Neu (zumindest seit dem alten Rom) ist aber wohl die Erweiterung auf alle anderen Emotionen, die man evozieren kann, wie Ekel, Abscheu, Schadenfreude usw. also eigentlich unangenehme/unerwünschte Emotionen. Es geht wohl um die Emotionalisierung an sich, die Belohnungswert hat.

Zitat von Ulrich Elkmann
Richtig. Aber was inakzeptabel ist, ist ja genau die Frage.


Man muß das gar nicht nicht bewerten, lieber Ulrich Elkmann, aber es ist natürlich auch nicht verboten, spiegelneuroninduzierte Freude oder Berührtsein als erstrebenswerter zu empfinden als die o. g. Stellvertreteremotionen. (EDIT Ende)

Viele Grüße,
Andreas Döding

Llarian Offline



Beiträge: 7.126

31.01.2013 21:02
#41 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #38
Die ersten beiden Beispiele sind eher sowas wie Abwertung oder Selbstüberhöhung.

So sehe ich das ja auch. Ich denke Fremdschämen hat immer etwas mit Abwertung zu tun. Und mit Selbsterhöhung, ob Überhöhung sei dahingestellt.

Zitat
Ich fordere ja nicht, daß der andere sich schämen solle, sondern ich konstatiere lediglich, daß ich mich an seiner Stelle schämte (um jedes "schämen würde" nach Zettels heutigem sprachbezogenem Beitrag geflissentlich zu vermeiden ;). Also schon doch Empathie, meine ich.


Empathie hat doch etwas mit den Gefühlen des anderen zu tun, nicht mit meinen. Wenn ich mich aber Frage, was ICH an SEINER Stelle tun würde, dann denke ich über meine Gefühle nach. Und wenn ich der Meinung bin, "der müsste sich doch schämen", in dem Moment oktroyiere ich auch meine Gefühle auf ihn. Wie man es aber auch dreht und wendet, es sind meine Gefühle. Aus empathischer Betrachtung müsste man sich fragen, ob der Betreffende sich schämt. Tut er vielleicht aber gar nicht. Wie kann ich mich dann fremdschämen, wenn der das nicht einmal selber tut ?

Zitat
Und eben kein "Aufdrücken eigener Moralvorstellungen", worin soll die bestehen, lieber Llarian?


Gebe ich Ihnen gerne ein Beispiel zu, lieber Döding: In der letzten Staffel des Dschungelcamps gab es eine Kandidatin, die sich permanent ausgezogen hat. Nicht wenige Berichteerstattungen nannten das "schamlos". Also ein schönes Beispiel für Fremdschämen, denn es unterstellt ja, dass man sich eigentlich schämen müsste. Die tat das aber nicht. Weil sie offensichtlich andere Moralvorstellungen hat, bzw. hatte. Dier Berichterstatter drückten aber lieber ihre Moralvorstellungen dieser Dame auf.
Vorstellungen von Scham sind sehr, sehr unterschiedlich. In der Stadt in der ich aufgewachsen bin, galt es schon als schamlos sich scheiden zu lassen. Etwas das andere als völlig undramatisch empfinden. Trotzdem haben die einen permanent versucht ihre Moralvorstellungen den anderen aufzudrücken.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

31.01.2013 21:47
#42 RE: Absolut verdient Antworten

Zitat von Llarian
Empathie hat doch etwas mit den Gefühlen des anderen zu tun, nicht mit meinen. Wenn ich mich aber Frage, was ICH an SEINER Stelle tun würde, dann denke ich über meine Gefühle nach


Nicht ganz. Empathie meint das "einfühlende Verstehen" eines anderen Menschen, das ist letztlich immer notwendigerweise gekoppelt an die eigene Vorstellung, wie man sich an Stelle des anderen fühlen würde. Ansonsten müßte man einfach fragen: "wie fühlen Sie sich?". Empathie verläßt letztlich nie die subjektive Ebene des "sich einfühlenden", was die Sache zu einem schwierigen Geschäft macht, v. a. wenn man beruflich darauf angewiesen ist ;)

Zitat
Und wenn ich der Meinung bin, "der müsste sich doch schämen", in dem Moment oktroyiere ich auch meine Gefühle auf ihn.



Sehe ich anders. Erstens meint Fremdschämen nicht, daß man fordere, der andere "müsse" sich schämen (sondern nur daß man selbst sich an seiner Stelle schämte und dies auch spiegelneuronenmäßig so erlebt), und zweitens: selbst wenn man das meinte, es wäre nur eine Meinungsäußerung ohne jedes Durchgriffsrecht, wie es erfolgreiches Oktroyieren zur Voraussetzung hätte.
Das gleiche gilt, meiner Meinung nach, für Ihr Dschungelcamp-Beispiel.
Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

31.01.2013 23:44
#43 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Lieber Doeding,
worin besteht dann der Lustgewinn beim Fremdschämen?

Viele Grüße, Erling Plaethe

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

01.02.2013 12:12
#44 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Erling Plaethe
worin besteht dann der Lustgewinn beim Fremdschämen?



Ich will mal zwei Antworten versuchen, lieber Erling Plaethe.

1. Keine Ahnung, ich erlebe dabei keinen Lustgewinn.

2. Ich schrieb oben, daß es wohl die Emotionalisierung an sich ist, die Lustgewinn bereitet. So meine Vermutung, die ich versuchen möchte zu begründen. Ich beobachte eine Tendenz bei Menschen, emotionalisiert werden zu wollen. "Hauptsache, ich spüre mich", im Sinne von merken, daß man noch am Leben ist. Die Suche nach dem emotionalen "Kick". Psychogedöns, Sekten, Risikosportarten, Abfeiern unter Drogen usw. Dahinter steckt dann übrigens oft Angst vor Langeweile und vor innerer Leere, da die Menschen sich, meiner Beobachtung nach, auch immer schlechter mit sich selbst beschäftigen können, was wiederum vielfältige Ursachen haben dürfte.

Wenn Sie einen Menschen mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ fragen, warum er sich selbst verletzt, antwortet er ebenfalls das: ich will mich spüren, Leeregefühle überdecken usw. Das ist ein extremes, ein pathologisches Beispiel, freilich. Aber das Erkrankungsbild war vor wenigen Jahrzehnten noch unbekannt.

Nun leben wir tatsächlich unter Bedingungen, in denen Emotionen ihre ursprüngliche Funktion (Handlungsvorbereitung mit dem Ziel der Bewältigung einer veränderten Situation) immer seltener erfüllen müssen. Wir leben sicher und gut versorgt. Mehr noch, es gibt eine Tendenz vieler Menschen zu fordern, man solle die Welt so einrichten, daß sie überhaupt nicht mehr mit störenden Emotionen konfrontiert werden. Die Brüderle-Debatte ist teilweise genau das: "ich will gesellschaftlich geschützt werden vor Unannehmlichkeiten und unangenehmen Gefühlen wie dem des Belästigtseins". Eigentlich also die Forderung nach einer sterilen, emotionsbereinigten Welt, wie Cora Stephan ganz richtig geschrieben hat: Langweilig!

Vor diesem Hintergrund erkläre ich mir, weshalb inzwischen offenbar jedes Gefühl, unabhängig von dessen Richtung/Qualität, Verstärkungswert hat und Lustgewinn zu bereiten scheint. Und das bildet für mich einen Teil der Erklärung für den Erfolg des Dschungelcamps. Es sind, meiner Beobachtung nach, zwei gegenläufige Trends: keine Emotionen haben wollen, und sie zugleich doch zu ersehnen und zu suchen.

Abschließend möchte ich noch einem Mißverständnis vorbeugen. Ich meine das oben geschriebene als allgemeinen Trend, den ich zu beobachen glaube. Es ist nicht, der Versuch, den einzelnen Konsumenten von Dschungelcamp usw. zu diskreditieren oder gar zu pathologisieren. Man kann diese Sendung aus vielen anderen Gründen als den von mir genannten schauen und auch toll finden, z. B. aus medientheoretischer Perspektive oder einfach weil man sich nett unterhalten fühlt. Und selbst wenn man sie aus den genannten Gründen schaut ist das nicht a priori "schlecht", es dokumentiert aber einen Trend, der auch ungute Wirkungen zeitigt, meine ich.

Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

01.02.2013 12:24
#45 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #44

Zitat von Erling Plaethe
worin besteht dann der Lustgewinn beim Fremdschämen?


Ich will mal zwei Antworten versuchen, …


Vielen Dank lieber Andreas Döding. Sehr aufschlussreich!

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.560

01.02.2013 12:35
#46 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #44
Wenn Sie einen Menschen mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ fragen, warum er sich selbst verletzt, antwortet er ebenfalls das: ich will mich spüren, Leeregefühle überdecken usw. Das ist ein extremes, ein pathologisches Beispiel, freilich. Aber das Erkrankungsbild war vor wenigen Jahrzehnten noch unbekannt.



War das wirklich unbekannt? Als medizinische Diagnose sicherlich, auch in dieser Form. Aber die christliche Askese, die mittelalterlichen Bußformen, die Aufopferung - und in Fällen wie bei Simone Weil kann man durchaus als pathologisch charakterisieren: das dürfte doch auf das gleiche Phänomen hinweisen. Mit dem Unterschied freilich, daß früher die Zielrichtung ins Transzendente gegeben war: die imitatio Christi, während heute das Ich allein auf sich selbst zurückfällt.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

01.02.2013 13:05
#47 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann
War das wirklich unbekannt? Als medizinische Diagnose sicherlich, auch in dieser Form. Aber die christliche Askese, die mittelalterlichen Bußformen, die Aufopferung - und in Fällen wie bei Simone Weil kann man durchaus als pathologisch charakterisieren: das dürfte doch auf das gleiche Phänomen hinweisen. Mit dem Unterschied freilich, daß früher die Zielrichtung ins Transzendente gegeben war: die imitatio Christi, während heute das Ich allein auf sich selbst zurückfällt.



Ein interessanter Hinweis, für den ich mich bedanke.
Ich wäre dennoch vorsichtig, mich Ihnen anzuschließen. Von einem einzelnen Krankheitszeichen (Symptom) kann man natürlich weder auf die Syndromebene (mehrere "zusammengehörige" Symptome) und schon gar nicht auf die Krankheit selbst (= Syndrom plus Zeit- und Verlaufsmerkmale im Längsschnitt) schließen. Selbstverletzung ist ein Symptom, das man erst einordnen kann, wenn der Kontext bekannt ist, in dem es auftritt und die tiefere Motivstruktur, die dem Verhalten individuell unterlegt ist, bekannt ist. Deshalb bin ich vorsichtig, das als "gleiche Phänomene" zu sehen.

Was aber für Ihren Vergleich spricht, lieber Ulrich Elkmann, ist die Beobachtung, daß "Borderliner" oft auch ausgeprägt Sinnsuchende sind und spirituell sehr in Bewegung.

Herzlichen Gruß,
Andreas Döding

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

01.02.2013 13:49
#48 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #44
Ich schrieb oben, daß es wohl die Emotionalisierung an sich ist, die Lustgewinn bereitet. So meine Vermutung, die ich versuchen möchte zu begründen. Ich beobachte eine Tendenz bei Menschen, emotionalisiert werden zu wollen. "Hauptsache, ich spüre mich", im Sinne von merken, daß man noch am Leben ist. Die Suche nach dem emotionalen "Kick". Psychogedöns, Sekten, Risikosportarten, Abfeiern unter Drogen usw. Dahinter steckt dann übrigens oft Angst vor Langeweile und vor innerer Leere, da die Menschen sich, meiner Beobachtung nach, auch immer schlechter mit sich selbst beschäftigen können, was wiederum vielfältige Ursachen haben dürfte.

Diese psychologische Beschreibung läßt sich physiologisch ergänzen: Erregung (arousal), wie sie mit allen diesen Emotionen einhergeht, ist auch mit einem erhöhten Dopaminspiegel verbunden, subjektiv als Lust erlebt.

Es gibt den "wohligen Schauer"; es gibt es, daß man sich "schön gruselt". Sogar körperlicher Schmerz kann eine Lustkomponente haben; Grundlage des Sadomasochismus. Entbehrungen und Askese können aus diesem phyiologischen Grund lustvoll sein.

Aber eben nur als eine Komponente der Gesamtreaktion, die in sich widersprüchlich ist. Man kann sich vor etwas ekeln und zugleich davon fasziniert sein. Jemand kann Gewalt verabscheuen und doch Horrorvideos schätzen; er kann seine eigene Lust kognitiv verurteilen.

Freud hat diese Widersprüchlichkeit ja mit seinem Instanzenmodell zu verstehen versucht: Die Reaktion des Unbewußten (später Es genannt) ist lustvoll, aber das Ich, kontrolliert vom Überich, verurteilt diese Lust. Die Libido wird in Angst "umgewandelt", so stellte sich das Freud wie ein Alchimist vor.

Heute würde man die Widesprüchlichkeit der Reaktion eher darauf zurückführen, daß hohes arousal nicht nur die Ausschüttung von Dopamin beeinflußt, sondern auch die anderer Transmitter (zB Serotonin) auch mit negativen kognitiven Inhalten einhergehen kann, wie eben zum Beispiel Ekel.

Vielleicht ist das ja der Schlüssel dafür, daß zB das Dschungelcamp auch hier im Forum so unterschiedlich bewertet wird - bei den einen überwiegt die eine, bei anderen eine andere Komponente dieser komplexen Reaktion aus emotionalen und kognitiven Komponenten.

Herzlich, Zettel

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

01.02.2013 14:27
#49 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #44
"Hauptsache, ich spüre mich", im Sinne von merken, daß man noch am Leben ist. Die Suche nach dem emotionalen "Kick". Psychogedöns, Sekten, Risikosportarten, Abfeiern unter Drogen usw. Dahinter steckt dann übrigens oft Angst vor Langeweile und vor innerer Leere, da die Menschen sich, meiner Beobachtung nach, auch immer schlechter mit sich selbst beschäftigen können, was wiederum vielfältige Ursachen haben dürfte.


Interessant. Ich habe mit Behauptungen wie "Ich spüre mich nicht (mehr)" noch nie etwas anfangen können. Oder anders formuliert: Es ist doch eigentlich ein erstrebenswerter Zustand, sich nicht zu spüren, weil das dann doch wohl Ausdruck der Abwesenheit von Schmerz und innerem Konflikt ist, oder missverstehe ich da etwas? Oder handelt es sich hier um zwei unterschiedliche Lebenseinstellungen? Von Faulkner stammt ja bekanntlich das Zitat: "Between grief and nothing I will take grief" - eine Geisteshaltung, die mir völlig unbegreiflich ist.

Aber vielleicht muss man gar nicht in solche psychologischen Tiefen vordringen, um das Phänomen der Beliebtheit des Dschungelcamps erklären zu können. Wäre nicht Schadenfreude eine viel näher liegende Erklärung? Es wird wohl beim einen oder anderen Zuschauer ein Das-geschieht-dem-recht-Gefühl ausgelöst haben, einen von vielen als hoffärtig und selbstverliebt wahrgenommenen Mann wie Helmut Berger Kakerlaken essen zu sehen. Da stimmt die Fallhöhe. Möglicherweise reicht vielen auch schon das Wissen, dass sich ein einstiger Weltstar nunmehr für - zugegeben - etliche Hände voll Euro zum Gespött der halben Nation macht.

Was die aus der Privatsender-Adabei-Reservearmee rekrutierten Teilnehmer betrifft, so sind deren 15 Minuten im Rampenlicht ja gerade dem Umstand geschuldet, dass sie sich vor einem Millionenpublikum erniedrigen. Denn der Mehrzahl unter ihnen bleibt es in Ermangelung wirklicher Talente verwehrt, auf andere Weise zu Bildschirmpräsenz bzw. zu derartigen Gagen zu gelangen. Wollte man nun sagen, die Dschungelcamper seien die Gladiatoren der Gegenwart, so spricht das doch sehr für unsere Zeit. Denn es ist zweifellos humaner, den Gladiator ekliges, aber nicht gesundheitsschädliches Grobzeug essen zu lassen, als ihn den appétits gloutons eines Löwen auszuliefern.

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

01.02.2013 15:54
#50 RE: KKK: Grimme-Preis für "Dschungelcamp"? Antworten

Zitat von Noricus
Interessant. Ich habe mit Behauptungen wie "Ich spüre mich nicht (mehr)" noch nie etwas anfangen können.



Ich auch nicht. Die ganze "Psycho-Sprache" vom Typ, "was macht das mit dir? - ein Stückweit betroffen" war für mich immer ein Gruselkabinett.

Zitat
Oder anders formuliert: Es ist doch eigentlich ein erstrebenswerter Zustand, sich nicht zu spüren, weil das dann doch wohl Ausdruck der Abwesenheit von Schmerz und innerem Konflikt ist, oder missverstehe ich da etwas?



Das scheint mir aber nur die eine Seite der Medaille zu sein. Die andere lautet für viele, wie gesagt, Langeweile. Scheint für Sie nicht zu gelten, lieber Noricus.

Zitat
Wäre nicht Schadenfreude eine viel näher liegende Erklärung?



Doch, auf jeden Fall auch. Aber warum sollte es ausschließlich das sein? Hauptsache dopaminergen Spass inne Buxe, halt.

Herzlichen Gruß
Andreas Döding

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