Zitat Kann sich jeder selbst aussuchen, welchen Teil des Rechts er einhalten will?
Ja. Das macht ja auch jeder. Mal fährt man ein bisschen schneller als erlaubt; mal nimmt man eine Abkürzung über den Rasen oder fällt einen Baum, ohne das Garten-, Friedhofs- und Grünflächenamt zu fragen. Dabei wägt man immer ab, ob die zu erwartende Strafe und das Nagen des Gewissens schwerer wiegen, als der Ärger den es bereitet, Gesetz und Grünflächenbenutzungsverordnung einzuhalten. Wer sich erwischen lässt, wird bestraft, denn so funktioniert fast jedes Staatswesen. Rechtlich ist das eine ganz einfache Erwägung.
Die moralische Bewertung ist dagegen viel schwieriger. Vermutlich ist es moralisch notwendig, Gesetze zu erlassen, weil sie das friedliche Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen. Daher ist es moralisch falsch, irgend ein Gesetz zu übertreten, sei es auch idiotisch. Indem man das Gesetz bricht, hintergeht man die Mitmenschen, die stillschweigend erwarten, dass man sich an bestimmte Regeln hält, und sich auch deshalb wohlwollend und friedlich verhalten.
Gilt das aber in jedem Fall, für jedes Gesetz? Anders gefragt: wird irgend ein Verhalten schon dadurch moralisch, dass man es zum Gesetz erhebt? Das kann man klar verneinen. Menschen zu töten, nur weil sie Juden sind, oder zu versklaven, weil ihre Eltern Sklaven waren ist Unrecht, und man darf es getrost für irrelevant halten, was irgend ein Gesetz dazu sagt. Erkennt man dies an, sieht man auch ein, dass wir uns nicht nur aussuchen können, inwiefern wir uns an Gesetze halten, sondern dass wir es sogar müssen, dass wir geradezu dazu verdammt sind.
Wo ist nun die Grenze zu ziehen? Muss ich meinen Nachbarn an dem Henker ausliefern, weil er BBC gehört hat? Soll ich zulassen, dass man Ehebrecherinnen steinigt, Homosexuelle und vermeintlich Kranke kastriert? Soll man ein Grenze achten, weil das ZK der SED es so will? Eine Zwangsanleihe zur Finanzierung eines Kriegs zeichnen? Ich fürchte, dass es darauf gar keine eindeutige Antwort gibt. Vielleicht kann man einige Kriterien entwickeln (wie ist das Gesetz zustande gekommen, behandelt es alle gleich, etc.). Da diese aber nicht objektiv und vollständig sein können, muss man wohl in moralischer Ungewissheit leben. Wer von sich behauptet, im Leben nichts falsch gemacht zu haben, hat kein Gewissen oder ist ein Idiot.
Ein anderer Aspekt: Was ist denn eigentlich mit Steinbrück, nicht dem Kavalleristen, sondern dem ehemaligen Finanzminister?
Heise-Telepolis schreibt: "Foulspiel Hoeneß, Elfmeter für die SPD und Grüne? Ganz eindeutig ist die Situation nicht. Eine Meldung der Leipziger Volkszeitung aus dem politischen Berater-Hintergrund rückt auch den SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück in Strafraumnähe.
Demnach traf sich Steinbrück in seiner Amtszeit als Finanzminister (2005 bis 2009) mit einer "kleinen Prominenten-Beraterrunde" ab Dezember 2006 "mindestens zwei Mal jährlich". Zur Runde gehörte auch Uli Hoeneß. Als weiteres Mitglied der Runde wird Margot Käßmann namentlich genannt. Die Pointe der Geschichte, die den Vorsitzenden der Linken, Bernd Riexinger, zu unbequemen Fragen veranlasste: Die Beraterrunde tagte in einem Zeitraum, als gesetzliche Maßnahmen zur Steuerhinterziehungsbekämpfung unter dem Finanzminister Steinbrück erwogen wurden, die dann in der Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung vom 18. September 2009 mündeten."
ich möchte noch einen Aspekt in die Diskussion werfen, abseits von dem offensichtlichen Anspruch in der veröffentlichten Meinung, dass alles Geld eigentlich dem Volk gehört und dass Steuerhinterziehung unverhältnismäßig auch dann verfolgt wird, wenn die Folgen durch Wiedergutmachung aufgehoben sind:
Wie kann es denn geschehen, dass die Angelegenheit einer Selbstanzeige, die dem Steuergeheimnis unterliegt, an die Presse gelangt. Und wie kann es geschehen, dass die Presse über diesen Fall so intensiv berichtet, dass eine öffentliche - Verzeihung: veröffentlichte - Vorverurteilung geradezu unausweichlich ist? (…)
Ich habe mir über diese Vorverurteilung und auch zu den Konsequenzen einige Gedanken gemacht. Nicht nur die Vorverurteilung finde ich falsch, sondern auch die Strafandrohung: http://stefanolix.wordpress.com/2013/04/...-von-geruchten/
xanopos
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Beiträge:
23.04.2013 19:06
#29 RE: Zitat des Tages: Die Deutschen und die Steuern
Zitat Kann sich jeder selbst aussuchen, welchen Teil des Rechts er einhalten will?
Ja. Das macht ja auch jeder. ... oder fällt einen Baum, ohne das Garten-, Friedhofs- und Grünflächenamt zu fragen.
Ehrlich, das müssen Sie? Das ist ja noch schlimmer wie in Wien.
Zitat Wer von sich behauptet, im Leben nichts falsch gemacht zu haben, hat kein Gewissen oder ist ein Idiot.
Oder ein Heiliger.
Zitat Die moralische Bewertung ist dagegen viel schwieriger.
Daumen mal pi, hätte ich gesagt Starftaten sind schlimmer zu bewerten als Verwaltunsdelikte. ABER: Wer zu schnell fährt begeht keine Straftat. Wer eine Waffe ohne entsprechende Genehmigung kauft schon, unabhängig ob damit Unfug gemacht wird. Der Schnellfahrer gefährdet unmittelbar sehr wohl seine Umgebung, und wenn es zum Unfall kommt kann es ja durchaus strafrechtliche Konsequenzen geben.
Da muss ich xanopos jetzt mal unterstützen. Ich bin mir sicher, dass seine Anmerkung so zu verstehen ist, dass das "zu schnelle Fahren" allein keine Straftat darstellt. Es müssen ja noch ein paar zusätzliche Bedingungen gegeben sein: Man muss nach dem von Ihnen zitierten Paragraphen im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fahren. Damit wird es z.B. auf deutschen Autobahnen schon sehr schwer, nur durch zu schnelles Fahren eine Straftat zu begehen. Da bleiben doch wohl nur die unübersichtlichen Stellen übrig. Aber zu schnelles Fahren allein stellt zumindest nach dem von Ihnen zitierten Paragraphen keine Straftat dar.
A common mistake that people make when trying to design something completely foolproof is to underestimate the ingenuity of complete fools. Douglas Adams
Auch wenn es bei Staatsgläubigen empörende Reaktionen auslöst, so sehe ich die Anwendung des Strafgesetzbuches für Steuerhinterziehung in erster Linie Ausdruck des tiefen Grabens zwischen Volk und Regierung. Geld ist Macht und Handlungsspielraum, und dieser hat möglichst nicht dem Bürger, sondern dem Staatsapparat zuzustehen. Na ja, multinationale Konzerne sind nicht so leicht zu fassen, damit muss der Staat zähneknirschend leben, aber denjenigen, die weniger mobil sind, muss der Staat mit harten Bandagen drohen, damit sie nicht auf falsche Gedanken kommen. Bei Finanzen gibt es keinen Spaß. In einer volksnahen Demokratie wie der Schweiz gibt es diese Strafandrohung traditionell nachvollziehbar nicht, und das Volk hat sich auch mit Neidargumenten bis heute nicht auseinanderdividieren lassen.
Das Gros der deutschen Bürger kommt schon gar nicht in Versuchung, der Staat hat dafür gesorgt, dass der Arbeitgeber das Abführen der Steuer erledigt. Man müsse sich das mal so vorstellen, dass jeder Bürger sein Bruttogehalt bezöge, und am Ende des Jahres sein gesamtes Einkommen erklären und Steuer entrichten müsste - ein Verfahren, dem eigentlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen sollten. Welche Schmerzen, nachdem ein Teil des Geldes schon ausgegeben ist, dem Staat dann die vielen Tausende zu überweisen. Der Staat will gar nicht, dass dem Bürger sein Verhältnis zu ihm allzu sehr unter die Haut geht, er kassiert etwas unauffälliger über den AG ein. Erst wer mal ein bisschen selbständig gearbeitet hat, kennt das Gefühl der Steuervorauszahlung, basierend auf den Einkünften des vergangenen Jahres, auch wenn es dieses Jahr noch gar keine Einkünfte gab. Da spürt man den heißen Atem der Finanzbehörde schon etwas mehr. Nein, spätestens hier erkennt man, dass der Staat kein Freund ist. Deshalb die strafrechtlichen Geschütze, die der gemeine Bürger eher in Fällen sähe, wo es um Leib und Leben geht.
Der FC Bayern München ist auch Dank Höneß eine Gelddruckmaschine für den Staat, dessen Vertreter jetzt dem Herrn Höneß ihre Enttäuschung zeigen, die sich aber noch nie bei ihm für den cashflow bedankt haben. Wie wäre es mal mit einer öffentlichen Bilanz dassen, was in den vergangenen Jahrzehnten an den Staat geflossen ist?
Ich weiß nicht, wie Höneß zu seinen schweizer Konten gekommen ist, ich weiß nur von der Generation vor mir - mit den Erfahrungen aus zwei Weltkriegen und Währungsreformen - , dass die Attraktivität eines schweizer Kontos erst mal darin bestand, dass es dem unmittelbaren Zugriff des deutschen Staates entzogen war. Dahinter stand ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Staat, das dieser sich gerade wieder verdient. Es spricht viel für ein schweizer Konto, es muss gar nicht anonym sein. Nur gesteht der deutsche Staat dem Bürger nicht zu, dass dieser sich einen Notausgang offen halten möchte. Wer versucht, in der Schweiz ein Konto zu eröffnen, der bekommt seine Post in sichtbar vom deutschen Zoll geöffneten Zustand geliefert(ein Bekannter hat danach wieder davon Abstand genommen).
Wer sich jeden Stress mit den Finanzbehörden sparen will, der sollte bescheiden leben und möglichst nicht unternehmerisch tätig werden. Ich selbst werde mich frühest möglich aus dem Berufsleben zurückziehen und Wissen und Erfahrung aus einer internationalen Tätigkeit für mich behalten. Ich habe die Option, mich den Finanzbehörden wenigstens weitgehend zu verweigern.
Zitat von Tiefseetaucher im Beitrag #31 Man muss nach dem von Ihnen zitierten Paragraphen im Straßenverkehr grob verkehrswidrig und rücksichtslos an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fahren. Damit wird es z.B. auf deutschen Autobahnen schon sehr schwer, nur durch zu schnelles Fahren eine Straftat zu begehen.
Nun ist Deutschland trotz allem weniger von Autobahnen dominiert als von Stadtverkehr und Landstrassen. Und selbst Autobahnen haben Einmündungen und was unübersichtliche Stellen angeht, so wird man auch da eine ganze Menge finden. Insofern ist die "freie" Autobahn selbst wohl eher der Spezialfall. Und insofern halte ich die Aussage "zu schnelles Fahren" sei keine Straftat für ziemlich mutig. Das wird in aller Wahrscheinlichkeit öfter falsch als richtig sein, da die Bedingungen, die im Gesetz aufgezählt sind, öfter erfüllt sein dürften als nicht erfüllt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen wie jemand beispielsweise mit 120 Stundenkilometern durch eine Stadt fährt, die Bedingungen nicht erfüllen wird.
Zitat von Calimero im Beitrag #15Ich bin aber froh darüber, dass es Leute gibt die solche Dinger ernsthaft ins Auge fassen könnten. Und dafür sollen Sie doch ihre privaten Mittel einsetzen, denn das ist allemal erfolgversprechender, als wenn der Zaster in die Mühlen der Staatsbürokratie geschüttet wird. Da kommt dann nämlich gar nichts bei raus. Allenfalls irgendwelche unnützen Gutmenschenaktionen, für die wieder neue Bürokraten angestellt werden müssen.
Diese "Reichen" stecken ja ihr Geld nicht unter die Matratze, sondern sie gebe es aus, für Häuser, Wohnungen, Güter und Luxusgüter, oder sie investieren es in Unternehmen, oder sie ermöglichen es der Bank, in Unternehmen zu investieren. Es wird konsumiert und damit werden Arbeitsplätze geschaffen und erhalten. Wenn der Staat aber einen Teil des Geldes abschöpft, wird es eben grösstenteils nicht in Güter oder Unternehmen investiert, jedenfalls nicht dort, wo es zum Wirtschaftswachstum beiträgt. Das Geld, das der Staat als Gläubiger an andere Staaten verleiht, ist nicht produktiv. Ich will damit nicht Steuerhinterziehung rechtfertigen, sondern für eine massvolle Steuerpolitik plädieren.
Zitat von Martin im Beitrag #32[…] Man müsse sich das mal so vorstellen, dass jeder Bürger sein Bruttogehalt bezöge, und am Ende des Jahres sein gesamtes Einkommen erklären und Steuer entrichten müsste […]
Soweit ich weiß, wird es in der Schweiz auch so gemacht. Ich habe vor einigen Jahren zumindest die Stimme einer Schweizerin vernommen, die sich sehr lobend über dieses Verfahren äußerte. Vor allem freute sie sich darüber, wie ein erwachsener Mensch behandelt zu werden, dem die Staatsmacht auch zutraut, soviel Geld zu sparen, dass es am Stichtag für die Steuerzahlung reicht. (ich glaube das war in einer Hörer-Debatte im Deutschlandfunk oder Deutschlandradio). Hierzulande kann man nicht einmal ein Auto anmelden ohne dem Finanzamt eine Einzugsermächtigung für die jährlich fälligen 100€ zu erteilen.
Zitat Welche Schmerzen, nachdem ein Teil des Geldes schon ausgegeben ist, dem Staat dann die vielen Tausende zu überweisen. Der Staat will gar nicht, dass dem Bürger sein Verhältnis zu ihm allzu sehr unter die Haut geht, er kassiert etwas unauffälliger über den AG ein.
Genau so ist es. Der Staat tritt hier möglichst leise auf, um nur ja keine schlafenden Hunde zu wecken. Ein Verhalten, das man sonst eher von Kriminellen kennt. Aus dem selben Grund gibt es wohl auch den »Arbeitgeberanteil« bei Renten- und Krankenversicherung – so verbirgt man dem Angestellten, wieviel von seinem Einkommen er abgeben muss. Der »Arbeitgeberanteil« so lügt man ihm vor, gehöre gar nicht zum Einkommen. Als würde der Arbeitgeber ihn nicht aus demselben Topf begleichen; als müsste ihn der Angestellte nicht genauso hart erarbeiten. Es wundert mich, dass so viele tatsächlich darauf hereinfallen.
Zitat Erst wer mal ein bisschen selbständig gearbeitet hat, kennt das Gefühl der Steuervorauszahlung, […] Da spürt man den heißen Atem der Finanzbehörde […] erkennt man, dass der Staat kein Freund ist.
Das kann ich aus meinem Bekanntenkreis bestätigen. Sympathien zur SPD-Politik und zur Der-arme-Opa-Staat-Propaganda finde ich bei Staatsbediensteten, Leuten aus Sozialberufen (Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer, Erzieher), Arbeitslosen und ewigen Studenten. Zuweilen auch bei Leuten, die zu viel Zeit in der evangelischen Kirche verbringen. Bei kleinen Selbstständigen und Freiberuflern, und sei ihr Verdienst noch so bescheiden, erntet man nur Ärger, manchmal fast grimmigen Hass, wenn man das Wort »Finanzamt« ausspricht – oder den Namen irgend einer anderen Behörde.
Vor einigen Jahren hatte ich das Vergnügen, kurz hintereinander; mit zwei Beamten aus der selben Behörde zu sprechen. Mit beiden habe ich nett geplaudert und sie dann ein bisschen mit meinen politischen Ansichten gepiekst. Beiden sagte ich, dass es mir kaum erstrebenswert scheine, mich beruflich zu verausgaben, wenn ich dafür nur mit höheren Steuern und unverhohlenem Neid bestraft würde (»die starken Schultern müssen endlich mehr tragen«). Der erste antwortete, wie erwartet, mit eisigem Schweigen :). Von der zweiten erfuhr ich unerwartete Zustimmung – ihr Mann arbeitete in einer kleinen Maschinenbaufirma; sie hatte das echte Leben gesehen.
Zitat Wer sich jeden Stress mit den Finanzbehörden sparen will, der sollte bescheiden leben und möglichst nicht unternehmerisch tätig werden. […]
Ich war überzeugt, dass viele diesen Weg beschreiten würden (s.o.), denn es ist nur konsequent. Dann würde sich die Politik aber nicht damit abfinden, das der Wohlstand abnimmt. Sie wird dann noch unnachgiebiger nach jedem Pfennig greifen, den sie erbeuten kann … Akademiker vielleicht an der Ausreise hindern, wie es Ungarn gerade versucht und die DDR praktizierte …
Eines lässt mich noch daran zweifeln: In der DDR haben sich viele aus meiner Sicht (ich war nicht dabei) sehr ins Zeug gelegt für Beruf und Karriere. Dafür, dass es fast nichts zu gewinnen gab; dafür, dass ein Heizer und Handwerker mehr verdienen konnten als viele Akademiker, scheint mir deren Ehrgeiz übertrieben. Kann mir das jemand erklären?
Zitat von vivendi im Beitrag #34[…]Ich will damit nicht Steuerhinterziehung rechtfertigen, sondern für eine massvolle Steuerpolitik plädieren.
Vollkommen richtig! Man sollte m.E. alle Gesetze so maßvoll und schlank halten wie möglich halten. So würden sie wieder zu einer leichten aber scharfen, letztendlich wirkungsvolleren Waffe, als sie es heute sind. Ein Gesetz, dass man 1. kennt 2. versteht 3. nachvollziehen und gutheißen kann wird man nicht aus bloßer Angst vor der Strafe befolgen. Man empfindet es als moralische Verpflichtung, sich daran zu halten.
oft ist es gerade umgekehrt: 1. Es gibt viel zu viele Gesetze, als das man alle kennen könnte 2. Der juristische Kauderwelsch mancher Paragraphen ist für Laien undurchdringlich. ganz abgesehen von unklaren, schwammigen und widersprüchlichen Formulierungen 3. Viele Gesetze gehen entstehen aus Kungeleien zwischen Interessengruppen, als Kompensationsgeschäfte, oder sind nur symbolisch gemeint (siehe Frauenquote). Das färbt ab auf die Gesetze. Man sieht ihnen an, wes hässlichen Geistes Kinder sie sind.
Wie ich vorhin schon feststellte, ist es so gut wie unmöglich, zwei Wochen in Deutschland zu verbringen, ohne gegen irgendein Gesetz zu verstoßen. Das ist fatal für das Rechtsempfinden. Für den Bürger wird Übertreten des Gesetzes, das eine absolute Ausnahme sein sollte, zur unvermeidlichen Normalität, zur täglich praktizierten Regel.
Justiz, Polizei und Behörden wiederum werden mit tausenden Bagatellfällen überhäuft. Gerichtsverfahren ziehen sich über Jahre. Für die Bekämpfung drängender Probleme fehlen Zeit, Geld und Personal. Statt Körperverletzung und Diebstähle zu verhindern müssen ja Umweltplaketten und der Verkauf von Glühbirnen kontrolliert werden.
Für das Steuerrecht hat es der gute Herr Kirchhof unübertroffen formuliert: Der Steuerzahler empfinde die Höhe seiner Steuerschuld nicht als gerechte Notwendigkeit sondern habe stets das Gefühl, er müsse auf der Klaviatur des Steuerrechts nur geschickt genug zu spielen verstehen, »um ihr die heiteren Töne individueller Ersparnis zu entlocken«
"Hoeneß wird so zitiert, dass er das Abkommen abwarten wollte um dann die Angelegenheit elegant und still lösen zu können. Das zeigt aber doch gerade, dass das Abkommen zu Mehreinnahmen führen würde."
Wieso sollte das der Fall sein?
"Hoeneß zahlt die Steuern ja jetzt nicht nach, WEIL das Abkommen geplatzt ist. Sondern OBWOHL das Abkommen geplatzt ist."
Woher wollen Sie das wissen? Hat Ihnen das Hoeness so selber erklaert?
"Denn jetzt ist er ja ein deutlich größeres Risiko eingegangen, bloßgestellt zu werden."
Soweit richtig. Und ich nehme an dass Hoeness dieses Risiko gegen das dass sein Konto von der Steuerfahndung nun entdeckt wuerde abgewogen hat. Warum sollte er sich sonst auf einmal nach Jahren selbst anzeigen?
"Ein mit bekannter Treuhänder fliegt zum Beispiel mehrmals im Jahr nach Gibraltar"
Dazu muss man keinen Treuhaender kennen, es reicht schon Stieg Larsson's Trilogie zu lesen.
"Die von der Bundesregierung präferierte Situation hätte hingegen die Alternative: dezente Nachzahlung hinter den Kulissen oder beständiges (kleines) Risiko, entdeckt zu werden."
Und natuerlich die Moeglichkeit abzuwarten und falls man doch entdeckt wird das Ganze still und leise zu regeln. Also ein Anreiz nicht zu zahlen denn selbst wenn man entdeckt wuerde laesst es sich ja ohne Aufhebens nachtraeglich beseitigen.
"Vorab eine sprachliche Klarstellung: Es handelt sich eigentlich nicht um eine "Selbstanzeige". Sondern um eine "Korrektur der Steuererklärung"."
Die von der Justiz mit einem Haftbefehl beantwortet wurde.
"Zum einen natürlich, weil man bewusst Steuern hinterzogen hat und dies nun korrigieren möchte. In diesem Fall ist es für den Staat ganz eindeutig steuermaximierend, wenn man dem Steuersünder da golende Brücken baut."
Klar. Es waere fuer den Staat auch "steuermaximierend" wenn man Untreue, Unterschlagung und Betrug mit Steuernachzahlungen statt Gerichtsverfahren und Haft ahnden wuerde...
"Es gibt aber natürlich auch den Fall einer versehentlich hinterzogenen Steuer."
Bester Florian - glauben Sie wirklich dass Hoeness aus Versehen Steuern hinterzogen hat?
"Doch, Hoeneß ist für mich weiterin ein Vorbild."
Jeder sucht sich eben seine eigenen Vorbilder aus...
"Denn egal wieviel Hoeneß hinterzogen hat oder auch nicht: Fakt bleibt, dass er in seinem Leben sicher viele Millionen Steuern gezahlt hat"
Vermutlich. Nur leider kennt das deutsche (und auch bspw das amerikanische) Steuerrecht keine lifetime-Obergrenze fuer Steuerschuld.
"Ein Typ wie Florian Pronold ist für mich kein Vorbild."
Fuer mich auch nicht wirklich. Allerdings immer noch ein bisschen mehr als die CSU-Abgeordneten die ihre Frauen und 13-jaehrigen Kinder bei sich anstellen und mit Staatsgeldern (Steuern) grosszuegig entlohnen.
Auch wenn es bei Staatsgläubigen empörende Reaktionen auslöst, so sehe ich die Anwendung des Strafgesetzbuches für Steuerhinterziehung in erster Linie Ausdruck des tiefen Grabens zwischen Volk und Regierung. Geld ist Macht und Handlungsspielraum, und dieser hat möglichst nicht dem Bürger, sondern dem Staatsapparat zuzustehen. Na ja, multinationale Konzerne sind nicht so leicht zu fassen, damit muss der Staat zähneknirschend leben, aber denjenigen, die weniger mobil sind, muss der Staat mit harten Bandagen drohen, damit sie nicht auf falsche Gedanken kommen. Bei Finanzen gibt es keinen Spaß. In einer volksnahen Demokratie wie der Schweiz gibt es diese Strafandrohung traditionell nachvollziehbar nicht, und das Volk hat sich auch mit Neidargumenten bis heute nicht auseinanderdividieren lassen.
Das Gros der deutschen Bürger kommt schon gar nicht in Versuchung, der Staat hat dafür gesorgt, dass der Arbeitgeber das Abführen der Steuer erledigt. Man müsse sich das mal so vorstellen, dass jeder Bürger sein Bruttogehalt bezöge, und am Ende des Jahres sein gesamtes Einkommen erklären und Steuer entrichten müsste - ein Verfahren, dem eigentlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen sollten. Welche Schmerzen, nachdem ein Teil des Geldes schon ausgegeben ist, dem Staat dann die vielen Tausende zu überweisen. Der Staat will gar nicht, dass dem Bürger sein Verhältnis zu ihm allzu sehr unter die Haut geht, er kassiert etwas unauffälliger über den AG ein. Erst wer mal ein bisschen selbständig gearbeitet hat, kennt das Gefühl der Steuervorauszahlung, basierend auf den Einkünften des vergangenen Jahres, auch wenn es dieses Jahr noch gar keine Einkünfte gab. Da spürt man den heißen Atem der Finanzbehörde schon etwas mehr. Nein, spätestens hier erkennt man, dass der Staat kein Freund ist. Deshalb die strafrechtlichen Geschütze, die der gemeine Bürger eher in Fällen sähe, wo es um Leib und Leben geht. (…)
Ich bin gestern zu der Vermutung gekommen, dass diese drastischen Strafandrohungen mit der Zeit des Absolutismus und (oder) mit der Finanzierung der Armeen für diverse Eroberungsfeldzüge zu tun haben könnten. Damals waren drakonische Strafen vielleicht notwendig. Im Thread kam ja hier der Hinweis auf die Schweiz, wo es in dieser Hinsicht schon immer etwas anders zugegangen ist. Das Schweizer Staatswesen war ein anderes. Soweit ich weiß, haben die Schweizer eine Armee immer nur zur Selbstverteidigung gehabt (und Soldaten an andere Staaten vermietet).
Ja, ich kenne das Verfahren mit den Vorauszahlungen aus eigener Erfahrung. Man kann aber zumindest gegensteuern, indem man der (professionell arbeitenden) Steuerberatung immer sehr aktuelle Zahlen über Einnahmen und Ausgaben liefert. Die Steuerberatung kann dann die Erklärungen so einreichen, dass sich der Schaden durch Vorauszahlungen in Grenzen hält.
Sie hatten vermutet: Wenn jeder Bürger am Ende des Steuerjahres seine Einkommenssteuererklärung abgeben müsste, wäre das Bewusstsein ein anderes. Ich denke, dass die meisten Menschen ihre Zahlen schon ziemlich gut kennen. Die Freiberufler und Unternehmer kennen ihre Steuern sowieso. Die Angestellten und Arbeiter bekommen kumulierte Summen und somit auch Jahressummen auf dem Lohn- und Gehaltsnachweis. Ich kann nachvollziehen, dass jetzt einige abhängig Beschäftigte wütend auf Uli Hoeneß sind, weil sie eben nicht viel »gestalten« können.
Zitat von john j im Beitrag #37 "Denn jetzt ist er ja ein deutlich größeres Risiko eingegangen, bloßgestellt zu werden."
Soweit richtig. Und ich nehme an dass Hoeness dieses Risiko gegen das dass sein Konto von der Steuerfahndung nun entdeckt wuerde abgewogen hat. Warum sollte er sich sonst auf einmal nach Jahren selbst anzeigen?
"Ein mit bekannter Treuhänder fliegt zum Beispiel mehrmals im Jahr nach Gibraltar"
Dazu muss man keinen Treuhaender kennen, es reicht schon Stieg Larsson's Trilogie zu lesen. (…)
Ich habe die Trilogie auch gelesen. Allerdings darf man bitte nicht vergessen: Das ist Fiktion. Genauso wie die Bücher von John Grisham und anderen Autoren, die sich mit solchen Themen befasst haben. Die staatlichen Möglichkeiten zur Überwachung des Geldflusses wachsen ständig. Wir bekommen am Ende aus Sicht der wertschaffenden Menschen das Schlechteste aus allen Optionen: - steigende Steuern - stärkere Überwachung - sinkende Motivation - wirtschaftlicher Abschwung Währenddessen kann beispielsweise die Schweiz wenigstens im Inneren eine andere Politik umsetzen. Ganz offensichtlich ist dort bei relativ hoher Abgabenlast die Motivation ungebrochen und die Wirtschaftsleistung ziemlich hoch: Weil die Bürger mehr mitbestimmen können und weil der Staat weniger restriktiv gegen die eigene Bevölkerung vorgeht.
Zitat von stefanolix im Beitrag #38Ich denke, dass die meisten Menschen ihre Zahlen schon ziemlich gut kennen. Die Freiberufler und Unternehmer kennen ihre Steuern sowieso. Die Angestellten und Arbeiter bekommen kumulierte Summen und somit auch Jahressummen auf dem Lohn- und Gehaltsnachweis.
Da bin ich leicht anderer Ansicht. Die meisten Angestellten und Arbeiter kennen die genaue Höhe ihrer Abgaben nicht. Als Stichwort hierzu nur einmal: Arbeitgeberbeiträge. Diese erscheinen nämlich erst gar nicht auf dem Lohnzettel und verfälschen das Bild erheblich. Das "Bruttogehalt" das man dort findet kann man eigentlich nur in Anführungszeichen setzen, denn mit dem wahren Bruttogehalt hat das nicht viel zu tun. gruss, Elmar
Zitat von stefanolix im Beitrag #38Ich denke, dass die meisten Menschen ihre Zahlen schon ziemlich gut kennen. Die Freiberufler und Unternehmer kennen ihre Steuern sowieso. Die Angestellten und Arbeiter bekommen kumulierte Summen und somit auch Jahressummen auf dem Lohn- und Gehaltsnachweis.
Da bin ich leicht anderer Ansicht. Die meisten Angestellten und Arbeiter kennen die genaue Höhe ihrer Abgaben nicht. Als Stichwort hierzu nur einmal: Arbeitgeberbeiträge. Diese erscheinen nämlich erst gar nicht auf dem Lohnzettel und verfälschen das Bild erheblich. Das "Bruttogehalt" das man dort findet kann man eigentlich nur in Anführungszeichen setzen, denn mit dem wahren Bruttogehalt hat das nicht viel zu tun. gruss, Elmar
Streng genommen haben Sie völlig recht: Der Arbeitnehmer muss natürlich auch die sogenannten Arbeitgeberanteile erarbeiten. Wenn man genau hinschaut, kann man aber aus der Lohn- und Gehaltsabrechnung auch diese Beiträge herauslesen (zumindest die Größenordnung). Aber es ist nun einmal eine Definition des Bruttogehalts festgelegt und die Differenz zwischen Brutto und Netto kann wirklich jeder Angestellte ausrechnen.
Zitat von Christoph im Beitrag #35Aus dem selben Grund gibt es wohl auch den »Arbeitgeberanteil« bei Renten- und Krankenversicherung – so verbirgt man dem Angestellten, wieviel von seinem Einkommen er abgeben muss. Der »Arbeitgeberanteil« so lügt man ihm vor, gehöre gar nicht zum Einkommen. Als würde der Arbeitgeber ihn nicht aus demselben Topf begleichen; als müsste ihn der Angestellte nicht genauso hart erarbeiten. Es wundert mich, dass so viele tatsächlich darauf hereinfallen.
Sehr richtig beobachtet, hier lügt man sich etwas in die eigene Tasche. Das Konzept des Arbeitgeberanteils spiegelt das klassenkämpferisch-gewerkschaftliche Denken wider, das sich den Arbeitgeber=Kapitalisten als unerschöpflichen Dukatenesel vorstellt und sich weigert, einen Schritt weiter zu denken und einzusehen, daß Forderungen ihm gegenüber im Erfolgsfalle Auswirkungen auf die Kalkulation, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens haben. Diese geistige Abschottung war für das Proletariat zu Zeiten des Hochkapitalismus vielleicht notwendig oder angemessen, wirkt aber heute, da prinzipiell jeder Zugang zu mindestens rudimentären Kenntnissen über die Funktionsweise der Wirtschaft hätte, unzeitgemäß.
Zitat von stefanolix im Beitrag #41Streng genommen haben Sie völlig recht: Der Arbeitnehmer muss natürlich auch die sogenannten Arbeitgeberanteile erarbeiten. Wenn man genau hinschaut, kann man aber aus der Lohn- und Gehaltsabrechnung auch diese Beiträge herauslesen (zumindest die Größenordnung). Aber es ist nun einmal eine Definition des Bruttogehalts festgelegt und die Differenz zwischen Brutto und Netto kann wirklich jeder Angestellte ausrechnen.
Ja wenn man ganz genau hinschaut, kann man dei den Lohnnebenkosten in etwa die Größenordnung erkennen. So genau will man es in der Regel ja eh nicht wissen, wohin das sauer verdiente Geld entschwindet. Aber wie sieht das Ganze dann beim "Leben" aus? Wie hoch ist der Steueranteil bei Karotten, Brot, Bier, Schnaps, Tabak, Benzin, Autos, Zugreisen, Hotelübernachtungen, Bausparverträgen usw. usf.? Ich bin der Überzeugung, daß die meisten Menschen nicht einmal annähernd eine Vorstellung von der tatsächlichen Größenordnung der Steuer- und Abgabenlast haben.
Zitat von Martin im Beitrag #32[…] Man müsse sich das mal so vorstellen, dass jeder Bürger sein Bruttogehalt bezöge, und am Ende des Jahres sein gesamtes Einkommen erklären und Steuer entrichten müsste […]
Soweit ich weiß, wird es in der Schweiz auch so gemacht. Ich habe vor einigen Jahren zumindest die Stimme einer Schweizerin vernommen, die sich sehr lobend über dieses Verfahren äußerte. Vor allem freute sie sich darüber, wie ein erwachsener Mensch behandelt zu werden, dem die Staatsmacht auch zutraut, soviel Geld zu sparen, dass es am Stichtag für die Steuerzahlung reicht.
Da ich gerade vor meiner Schweizer Steuererklärung sitze ... In der Schweiz (eigentlich in den Schweizer Kantonen, denn es sind die Kantone, die die Steuern festlegen, ausser für den Bund und die Gemeinden, für diese aber das Inkasso machen) werden Steuern nicht vom Arbeitgeber einbehalten und abgeführt, sondern müssen vom Bürger deklariert werden. Als Grundlagen dazu dienen der Lohnausweis und eventuelle Nachweise anderer Einkommen (Rente). Für das Vermögen wird ein Nachweis der Bank mit Kontostand und Zinsertrag am Ende der Fiskalperiode verlangt. Das Vermögen wird vergleichsweise gering aber progressiv besteuert.
Da das Finanzamt nicht weiss, wer welche Bankkonten bei welcher Bank unterhält (Bankgeheimnis: was unter meiner "Matratze" liegt, geht das Finanzamt nichts an), ist es sehr leicht, ein Bankkonto zu "vergessen". Das ist dann Steuerhinterziehung, die in der Schweiz aber nur mit einer Busse belegt ist und keine strafrechtlichen Folgen hat. Da aber die Banken verpflichtet sind, vom Zinsertrag 30% als Vorsteuerabzug an das Finanzamt zu überweisen, ist zumindest die Ertragssteuer für den Staat sichergestellt. Die reguläre Steuer für den Ertrag liegt in der Regel weit unter den 30%. Der Steuerzahler kann die Differenz zurückfordern, in dem er den Ertrag deklariert (damit wird allerdings auch das Kapital deklariert, weil der Banknachweis Kapital und Ertrag nennt).
Steuern wurden bis vor wenigen Jahren am Ende des Fiskaljahres nach der endgültigen Deklaration fällig. Jetzt ist es üblich, dem Steuerzahler die Möglichkeit zu geben, aufgrund einer vorläufigen fiktiven Steuererklärung (meist auf den Steuern des vergangenen Jahres basierend) in zehn monatlichen Abschlagszahlungen zu bezahlen. Die endgültige Steuer wird dann nach der definitiven Deklaration damit verrechnet.
Für Grenzgänger (Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich) wird in der Regel eine Quellensteuer vom Arbeitgeber einbehalten.
Nachtrag: Ja, man bekommt zumindest den Eindruck, "wie ein erwachsener Mensch" und nicht wie ein potenzieller Steuerbetrüger behandelt zu werden.
Zitat von stefanolix im Beitrag #38 Ich bin gestern zu der Vermutung gekommen, dass diese drastischen Strafandrohungen mit der Zeit des Absolutismus und (oder) mit der Finanzierung der Armeen für diverse Eroberungsfeldzüge zu tun haben könnten. Damals waren drakonische Strafen vielleicht notwendig. Im Thread kam ja hier der Hinweis auf die Schweiz, wo es in dieser Hinsicht schon immer etwas anders zugegangen ist. Das Schweizer Staatswesen war ein anderes. Soweit ich weiß, haben die Schweizer eine Armee immer nur zur Selbstverteidigung gehabt (und Soldaten an andere Staaten vermietet).
Meiner Meinung nach liegt der Ursprung für die Einstellung unserer heutigen Steuerbehörden zu den Steuerpflichtigen noch früher: im Hochmittelalter bzw. im Feudalismus. Damals war das Hinterziehen des Kirchenzehnten zum Beispiel ein Verbrechen gegen die Kirche und damit gegen Gott. Wer um die Gottesfurcht der damaligen Zeit weiß, wie sehr die Drohung mit der Hölle die Menschen eingeschüchtert haben muss. Gleichzeitig mag dies auch die Einstellung der Schweizer oder der US-Amerikaner zu ihren Steuerbehörden erklären: Beide haben sich zu Zeiten des Feudalismus von diesem befreit: die Schweizer unter W. Tell, und die Amerikaner unter den Pilgervätern auf der Mayflower, später dann endgültig unter G. Washington. Ich verfüge über keine Kenntnis, wie es sich in England bzw. ganz Großbritannien verhält: schließlich wurden seit John Ohneland bzw. der Magna Charta Steuern insbesondere von den Commons bewilligt. Versuche der Krone, das System zurück in den Feuddalismus bzw. Absolutismus zu drücken, endeten bekanntlich mit der Hinrichtung von Charles I. bzw. der Absetzung von James II. und der Berufung von Wihelm von Oranien. Dabei bewilligten die Commons (i.W. Ritter- und Kaufmannschaft) natürlich kaum solche Steuern, von denen sie selber hart betroffen gewesen wären, schon gar nicht "sozial ausgeglichen", sondern eher solche, die hauptsächlich von der Gesamt- und der Einzelbelastung auf dem Bauern- und Arbeiterstand lasteten.
Sei es dort, wie es sei: hier in Deutschland kehrt anscheinend die Attitüde des Staates zu seinen Bürgern ("Untertanen"?) zurück, nachdem eine Steuerhinterziehung so etwas wie Hochverrat darstellt und all diejenigen, die über keine nennenswerte Steuerkreativität verfügen (können), richten ihren Zorn dann auf diejenigen, die es können. Und die Methode ist wie im Mittelalter der Pranger: hier durch die Medien exekutiert. Insofern haben wir (und Herr Hoeneß) Glück, dass die englicsche Methode des "hanged, drawn and quartered" nur noch virtuell durchgeführt wird.
Nebenbemerkung: natürlich ist all' das oben gesagte lediglich Spekulation, nicht in jedem Sinne ernst gemeint und leider auch nicht überall durch Quellen belegt. Bei der Beschreibung der englischen Feudalgesellschaft habe ich mich von den verschiedenen Büchern von R. Gablè inspirieren lassen: insbesondere "Das zweite Königreich" und "Das Lächeln der Fortuna".
Beste Grüße
Albert
"Bevor man eine Frage beantwortet, sollte man immer erst eine Pfeife anzünden." – Albert Einstein
Zitat von Christoph im Beitrag #26 Wo ist nun die Grenze zu ziehen? Muss ich meinen Nachbarn an dem Henker ausliefern, weil er BBC gehört hat? Soll ich zulassen, dass man Ehebrecherinnen steinigt, Homosexuelle und vermeintlich Kranke kastriert? Soll man ein Grenze achten, weil das ZK der SED es so will? Eine Zwangsanleihe zur Finanzierung eines Kriegs zeichnen? Ich fürchte, dass es darauf gar keine eindeutige Antwort gibt. Vielleicht kann man einige Kriterien entwickeln (wie ist das Gesetz zustande gekommen, behandelt es alle gleich, etc.). Da diese aber nicht objektiv und vollständig sein können, muss man wohl in moralischer Ungewissheit leben. Wer von sich behauptet, im Leben nichts falsch gemacht zu haben, hat kein Gewissen oder ist ein Idiot.
Nun, ein englischer Aphorismus (ich bekomme den leider nicht mehr zusammen) sagt in etwa folgendes: Ein Handeln ist nicht moralisch, weil es auf einem Gesetz beruht, sondern Gesetze gießen die Moral sozusagen in Worte.
Ein wenig verquer ausgedrückt, aber auf den Punkt gebracht: Die Henne, das ist die Moral, das, "was man eben so macht" bze. "was man nicht tut". Das Ei, das ist dann das Gesetz, das im Wesentlichen unmoralisches Handeln verbieten soll (leider herrscht in Deutschland und Kontinentaleuropa oft der Glaube, dass Gesetze Dinge erlauben - vulgo alles, was nicht erlaubt ist, eben verboten ist. Dabei ists genau andersherum).
Und natürlich gibt es auch den guten alten Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter. das gilt für die Bäume auf dem Grundstück oder das individuelle Fahrverhalten. Nachts, auf menschenleerer Landstraße, schneide ich auch mal die Kurve. Tagsüber, oder bei Nebel, eben nicht. Die Freiheit nehme ich mir. Und ich gestehe, ich parke auch gerne auf dem Familienparkplatz, auch wenn das Kind nicht im Auto ist. Auf Frauenparkplätzen sowieso. Da gehe ich das Risiko des "Erwischtwerdens" voll ein, das ist dann meine Rebellion gegen die Obrigkeit.
Zitat Da ich gerade vor meiner Schweizer Steuererklärung sitze ...
Vielen Dank für die Erklärungen, vivendi, lassen Sie sich nur nicht ablenken ;)
Zitat […] denn es sind die Kantone, die die Steuern festlegen […]
Ich vermute, dass schon dieses Prinzip die Zahlungsmoral hebt, weil man so besser nachvollziehen und mitbestimmen kann, »wo das Geld bleibt«. Auch Hinterziehung und Betrug dürften nicht so leicht fallen, als wenn das Geld einer weit entfernten Instanz (»die da oben«, Berlin, Brüssel) zufließt, die es dann weiträumig umverteilt.
Zitat Steuerumgehung: Die Vermeidung der Entstehung steuerbarer Tatbestände zwecks Steuereinsparung ist ausdrücklich zugelassen
Die deutsche Haltung zur Steuerumgehung scheint mir fast schizophren. So werden Steuern oft auch mit dem Wunsch begründet, das Verhalten der Bürger in erwünschte Bahnen zu lenken (»Steuern steuern«). Tritt dies jedoch ein, bezeichnet man es als Steuerumgehung, -vermeidung, -gestaltung und sieht darin einen Beweis für die unendliche »Gier« und moralische Verkommenheit »der Reichen«. In dieser Sichtweise sind schlichtweg steuerfreie (oder steuerlich privilegierte) Tatbestände »Steuerschlupflöcher«, die »gestopft« gehören – meist mit derselben Berechtigung, mit der man einem Teetrinker vorwerfen könnte, die Kaffeesteuern zu hinterziehen.
Zitat von Albert im Beitrag #45Meiner Meinung nach liegt der Ursprung für die Einstellung unserer heutigen Steuerbehörden zu den Steuerpflichtigen noch früher: im Hochmittelalter bzw. im Feudalismus. Damals war das Hinterziehen des Kirchenzehnten zum Beispiel ein Verbrechen gegen die Kirche und damit gegen Gott. Wer um die Gottesfurcht der damaligen Zeit weiß, wie sehr die Drohung mit der Hölle die Menschen eingeschüchtert haben muss.
Schöne These, wollen wir sie ein wenig ausarbeiten?
Eingeschüchtert waren die Bauern im 16. Jahrhundert keineswegs, als sie gegen die Zweckentfremdung des Zehntwesens durch Adel und hohen Klerus rebellierten. Dann hat sich Luther "wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" auf die Seite der Fürsten geschlagen, obwohl ihm ihr Anliegen eigentlich nicht zuwider war. Ich denke, dass die deutsche Staatsgläubigkeit viel mit dem Luthertum zusammenhängt, während die als ultramontan geltenden Katholiken hier nicht hineinpassen (und später im Kulturkampf dafür Repressalien unterworfen waren).
Gruß Petz
"The problem with quotes from the Internet is that it is difficult to determine whether or not they are genuine" - Abraham Lincoln
Zitat von Meister Petz im Beitrag #48Schöne These, wollen wir sie ein wenig ausarbeiten?
ich fürchte, wenn lang genug daran aufgemauert wird, sieht das fertige Gebäude am Ende Max Webers "protestanischer Ethik" recht ähnlich sehen. Um aus der Linie auf ein 2-dimensionaes Koordinatensystem auszuweiten: es dürfte nicht ganz unwichtig sein, ob die (mitelalterlichen bzw. frühneuzeitlihen) Steueraufkommen in Städten geleistet wurden. Die Widerborsitgkeit des Bauernstands erklärt sich ja daraus, daß ihnen daraus kein Nutzen erwuchs, sondern nur obrigkeitsherrrlich geschröpft & aberweitig verbraten wurde. In den Städten kamen die Ausgaben für Verteidigung (Mauern & Arsenale) & städtische Gebäude mit einem unmittelbar erfahrbaren Nutzwert einher. (Von daher auch kein Wunder, daß in den Handelsnationen die frühen Kolonialunternehmungen Sache der Handelskompanien waren: der Hudson Bay Company & East India Company in England, der VOC, Vereenigde Oostindische Compagnie, in Amsterdam: im Gegensatz zu den staatlich organisierten Unternehmungen in den katholischen Ländern wie Spanien oder Portugal)
Zitat von Christoph im Beitrag #47 Die deutsche Haltung zur Steuerumgehung scheint mir fast schizophren.
Vielleicht eine kleine begriffliche Klarstellung:
Es gibt "Steuerhinterziehung", "Steuerumgehung" und "Steuervermeidung". (Und in der Schweiz als zusätzliche Kategorie "Steuerbetrug").
Steuerhinterziehung ist in Deutschland eine Straftat. In der Schweiz nur eine Ordnungswidrigkeit. Allerdings ist auch in der Schweiz "Steuerbetrug" eine Straftat. (Soweit ich den Unterschied richtig verstehe: Nach Schweizer Verständnis ist das (passive) Verschweigen von Einkommen nur Steuerhinterziehung. Die bewusste (aktive) Falschaussage hingegen Betrug. )
"Steuerumgehung" ist die Schaffung von Geschäftsvorfällen mit dem alleinigen Zweck, dass man weniger Steuern zahlen muss. In Deutschland ist das keine Straftat (zumindest solange es sich eben nicht um Steuerhinterziehung handelt. Die Grenze dürfte überschritten sein, wenn man gegenüber dem Finanzamt die tatsächliche Sachlage bewusst falsch darstellt). Wenn das Finanzamt Steuerumgehung sieht, wird es nur ggf. den steuermindernden Effekt nicht anerkennen. Typisches Erkennungsmerkmal für "Steuerumgehung" ist z.B. der fehlende Fremdvergleich. (Beispiel: Würde ich einem völlig fremden 10.000 Euro für eine Stunde "Beratungsleistung" zahlen? Nein? Dann könnte ein entsprechender Vertrag mit meiner Tochter vermutlich ein Versuch sein, Schenkungssteuer zu vermeiden.)
Davon zu unterscheiden ist "Steuervermeidung". Das ist die Gestaltung von Geschäftsvorfällen, bei denen eine günstige Steuerwirkung lediglich mit berücksichtigt wird. Also zum Beispiel das Halten von Aktien bis 1 Tag nach Ablauf der Spekulationsfrist. Klar hat der Steuerzahler das gemacht, weil er die Steuer vermeiden wollte. Aber der Aktiendeal als solcher ist auch ohne Beachtung des Steuereffekts als sinnvolle Maßnahme vorstellbar.
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