Leider werden wahrscheinlich die wenigsten Menschen einen Zugang zu der Frage finden und wie die Verweise auf das Buch von Frau Herzog andeuten ist, selbst bei vielen die Zugang zu der Frage finden, der Freiheitsbegriff durch "die Grammatik der eigenen gesellschaftlichen Sprache" entstellt.
Wenn ich eine Analogie aus der Naturwissenschaft ziehen darf, drückt sich Ästhetik oft in Einfachheit aus und ist oft auch Maß für die „Fundamentalität der zugrunde liegenden Wahrheit“. Man denke die Schlichtheit von E=mc2 und die „Unfassbarkeit“ der Aussage.
In gesellschaftlichen Dingen, wie Religion und Politik beobachte ich dagegen eine Neigung einfache, grundlegende Wahrheiten so zu verkomplizieren bis sie einem eigenen Menschen- und Wertebild entsprechen und damit bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen. Man erkennt nicht Ästhetik noch Gewinn in der Schlichtheit einer Aussage, sondern nur Kälte und moralische Verderbtheit und verkennt damit, dass ohne die Klarheit der Schlichtheit, keine Wahrheit gefunden werden kann. Vielleicht muß man für diese Einsicht eine besondere Affinität zu den Naturwissenschaften haben, um von „menschelnden Menschenbildern“ abstrahieren zu können.
Die Freiheit des Menschen kann nur eine persönliche sein. Ist sie es nicht, kann nur Zwang im Spiel sein. Diese Begriffsdefiniton ist so schlicht wie fundamental, samt ihrer daraus abgeleiteten Wahrheiten. Wer die Freiheit anders als die persönliche Freiheit definiert, definiert nur eingeschränkte Formen der Freiheit, die er persönlich noch für Freiheit hält. Das ist nichts anderes als Begriffsumdeutung. In diesem Zusammenhang sind mir auch diese subtilen Angriffe auf die Freiheit, wie Frau Herzog sie führt, unbegreiflich. Wie kann man noch glauben von Freiheit zu sprechen, wenn man ein Gesellschaftsbild propagiert in dem das Kollektiv dem Einzelnen vorschreibt? -- um letztendlich nur das zu erreichen, was man selbst für Freiheit hält?
Ob die Freiheit nun grün ist, oder wie Frau Herzog schreibt „nicht nur der Reichen gehört“. Es ist eine Begriffsumdeutung des Wortes Freiheit, damit es in der Tat wieder in den Zeitgeist passt. Ein Zeitgeist der kollektiv denkt und nur das Ergebnis wahr nimmt und sich sicherlich auch mit Marx über die Bedeutung des Wortes Freiheit einigen könnte. Wer eine solche Umdeutung des Freiheitsbegriffes grundsätzlich für möglich hält, wird sich ebenfalls nicht dagegen wehren können einem auch noch so despotischen System seine eigene Freiheit zuzugestehen. Dass dies niemand zu beunruhigen scheint, ist mir ein Rätsel.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
\"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit.\" - Montesquieu
Das Freiheitsbild kapitalismuskritischer Autoren war nicht immer so verschroben wie der Geist der heutigen Zeit vermuten lässt. Vor dem Ende des Kommunismus in Europa und dem Marsch ehemaliger K-Gruppenaktivisten, galt der Ausstieg aus der Konsumgesellschaft und die Beendigung eines Daseins als Konsumsklave, als Weg in die Freiheit. Einkommen und Wohlstand standen der Freiheit damals im Weg. Ziel war die autarke Lebensweise als Selbstversorger. Es wurden Strategien entworfen, ohne Geld leben zu können. Auszusteigen bedeutete, sich sich zu befreien von staatlicher Bevormundung. Als Renegat vergesse ich so etwas nicht. Der Freiheitsbegriff war also auch unter Linken losgelöst von materiellen Bedingungen. Wenn eine Verbindung hergestellt wurde, dann die, dass Reiche gar keine Chance haben frei zu sein. Der Mammon beherrschte und knechtete sie.
Nun sind diese Linken von damals der Staat, ihr Marsch hat sein Ziel erreicht und plötzlich wird die Freiheit zu etwas, was einem gehören kann. So wie eine Yacht, ein Haus oder ein Arbeitsplatz. Frei ist, wer besitzt. Wie gut, dass die Marschierer durch die Institutionen heute tun können was ihnen damals, als sie vom Ausstieg träumten, nicht möglich war: Geld eintreiben und verteilen. Das ändert einfach alles. Auch was sie unter Freiheit verstehen.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #2Vielleicht muß man für diese Einsicht eine besondere Affinität zu den Naturwissenschaften haben, um von „menschelnden Menschenbildern“ abstrahieren zu können.
Wohl nicht unbedingt, lieber nachdenken_schmerzt_nicht. Die "menschelnden Menschenbilder" vertragen sich ja auch nicht mit dem aus der humanistisch-aufklärerischen, also einer geisteswissenschaftlich geprägten Tradition hervorgegangenen Menschenbild. So polemisch das klingen mag: Die "menschelnden Menschenbilder" sind eigentlich "unmenschelnd", denn ihnen ist der große Respekt vor der Würde des Menschen, seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit (und deren Konsequenzen) fremd.
Zitat Diese Begriffsdefiniton ist so schlicht wie fundamental, samt ihrer daraus abgeleiteten Wahrheiten. Wer die Freiheit anders als die persönliche Freiheit definiert, definiert nur eingeschränkte Formen der Freiheit, die er persönlich noch für Freiheit hält. Das ist nichts anderes als Begriffsumdeutung.
Natürlich kann jeder Definitionen frei wählen, vom Gesetzgeber oder in wissenschaftlichen Arbeiten wird das ja auch oft genug abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch getan. In einer Feuilletondebatte halte ich es hingegen für vermeidenswert, einem eingeführten Terminus plötzlich einen anderen Inhalt geben zu wollen, da in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit die klassische Bedeutung eines Wortes immer nachhallt. (Es ist auch zu kritisieren, wenn der Gesetzgeber oder ein Wissenschaftler einen Terminus ohne Not gegen den allgemeinen Sprachgebrauch definiert. Dass es sich nicht immer vermeiden lässt, einen Begriff enger oder weiter zu fassen als in der Gemeinsprache, versteht sich von selbst.) Wer von "Freiheit" und "Liberalismus" redet, weckt damit Assoziationen und die Erwartung, dass er eine Tradition fortsetzen wolle, die er in Wirklichkeit vielleicht sogar zerstören möchte.
Deshalb gilt auch:
Zitat Die Freiheit des Menschen kann nur eine persönliche sein.
Richtig. Natürlich kann man als "third-generation human rights" mehr oder minder obskure Gruppenrechte definieren, aber ich halte das nicht für sinnvoll. Im klassischen Verständnis ist für ein Grundrecht wesenhaft, dass es den Einzelnen gegen den Staat zu schützen beabsichtigt. Die Vorstellung von Gruppengrundrechten ist ohnehin bizarr und sogar gefährlich, weil das Individuum hier vom Kollektiv, dem es angehört, mediatisiert und über dieses definiert wird. Dass so etwas zutiefst inhuman ist, sollte m.E. evident sein.
Zitat Wer eine solche Umdeutung des Freiheitsbegriffes grundsätzlich für möglich hält, wird sich ebenfalls nicht dagegen wehren können einem auch noch so despotischen System seine eigene Freiheit zuzugestehen.
Genau darin liegt die Gefahr, nämlich wenn das Wort "Freiheit" zur strahlenden Fassade eines Potemkinschen Dorfes wird.
Zitat Dass dies niemand zu beunruhigen scheint, ist mir ein Rätsel.
In diesem Kleinen Zimmer, lieber nachdenken_schmerzt_nicht, beunruhigt das sicher den einen oder anderen.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3Nun sind diese Linken von damals der Staat, ihr Marsch hat sein Ziel erreicht und plötzlich wird die Freiheit zu etwas, was einem gehören kann. So wie eine Yacht, ein Haus oder ein Arbeitsplatz. Frei ist, wer besitzt. Wie gut, dass die Marschierer durch die Institutionen heute tun können was ihnen damals, als sie vom Ausstieg träumten, nicht möglich war: Geld eintreiben und verteilen. Das ändert einfach alles. Auch was sie unter Freiheit verstehen.
Sie sind halt perfekte Marxisten: Bei ihnen bestimmt das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein.
Zitat Die "menschelnden Menschenbilder" vertragen sich ja auch nicht mit dem aus der humanistisch-aufklärerischen, also einer geisteswissenschaftlich geprägten Tradition hervorgegangenen Menschenbild.
Sie haben natürlich Recht. Solche Aussagen sind meinem beschränkten (Lern)Horizont, aus dem heraus ich urteile, geschuldet. Leider (und das meine ich wortwörtlich) bin ich sehr unbelesen was Geisteswissenschaften betrifft und daher sowohl mit ihren Methoden, wie auch ihren Leistungen nicht wirklich vertraut.
Zitat So polemisch das klingen mag: Die "menschelnden Menschenbilder" sind eigentlich "unmenschelnd", denn ihnen ist der große Respekt vor der Würde des Menschen, seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit (und deren Konsequenzen) fremd.
Weder ist das, noch klingt es polemisch. Es ist die einfache Konsequenz, wenn man den Freiheitsbegriff als einen persönlichen akzeptiert.
Zitat In einer Feuilletondebatte halte ich es hingegen für vermeidenswert, einem eingeführten Terminus plötzlich einen anderen Inhalt geben zu wollen
Auch hier meine explizite Zustimmung. Die Begriffe müssen exakt definiert sein, will man Erkenntnis gewinnen. Ansonsten ist zu viel Begriffliche Unschärfe im Spiel, um einen Sachverhalt exakt beschreiben zu können. So etwas wie eine „Heisenbergsche Unschärferelation der Geisteswissenschaft“: Der beschriebene Zustand kann nicht exakter sein als die verwandten Begriffe. In diesem Sinne entspricht die Erweiterung des Freiheitsbegriffs zur Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes bildlich gesprochen einem Herzchirurgen, der das Skalpell durch eine Holzfälleraxt ersetzt in der Hoffnung damit ein besseres Ergebnis zu erzielen. Ich glaube letztendlich liegt hier der Grund für das ganze „aneinander vorbei reden“ (von Anne Will bis hin zu Feuilletondebatten). Es entsteht nur dadurch, dass jeder die Begriffe des Gegenüber in seiner eigenen, zu weit gefassten Definition versteht. Es entsteht eine Unschärfe innerhalb derer jeder verstehen kann was er möchte. Das Ausbleiben von Erkenntnisgewinn ist garantiert.
Zitat Wer von "Freiheit" und "Liberalismus" redet, weckt damit Assoziationen und die Erwartung, dass er eine Tradition fortsetzen wolle, die er in Wirklichkeit vielleicht sogar zerstören möchte.
Wenn ich an mich selbst denke war Freiheit lange Zeit im Wesentlichen ein Zustand, definiert durch die Abwesenheit eines totalitären Staates. Ich glaube dabei zumindest für mich sagen zu können, dass ich diese simple Sicht aus der deutschen Geschichte bezog. Ich weiß nicht wie weit ich mich aus dem Fenster lehne wenn ich sage, dass diese Definition von vielen Menschen in Deutschland so (oder ähnlich) geteilt wird. Nun kann man sich viele Zustände ausmalen, die durch die Abwesenheit eines totalitären Staates charakterisiert und daher in diesem Sinne „frei“ sind und damit wird dann „Freiheit“ zu einem begrifflich sehr weit gefassten Zustandsbegriff. Sie ist aber etwas völlig anderes. Die (persönliche) Freiheit ist „ein Ding an und für sich“ welches, so man es schützt und erhält, den totalitären Staat unbedingt verhindert. Als Zustandsbegriff hat die Freiheit keinen Wert, sie beschreibt lediglich einen Wert. Als das „Ding an und für sich“ hat sie einen nicht verhandelbaren Wert, will man den Zugriff des Kollektivs auf das Individuum (und damit Totalitarismus) grundsätzlich verhindern. Die Vermischung dieser beiden Freiheitsbegriffe führt möglicherweise zur Verwirrung. Und gefährlich wird es da wo diejenigen, die die Freiheit als Zustandsbegriff verwenden, ihr Verständnis dieses Begriffs gleichzeitig als den „Wert an sich“ verstehen, den die Väter unseres Grundgesetzes ganz sicher noch als Schutz vor einem totalitären Staat verstanden.
Zitat In diesem Kleinen Zimmer, lieber nachdenken_schmerzt_nicht, beunruhigt das sicher den einen oder anderen.
Das ist mein Trost und meine Frustration zugleich. Das kleine Biotop hier, welches meine Gedanken nicht verurteilt sondern widerlegt wo sie falsch und ergänzt wo sie unvollständig sind. Aber da draußen…. Da haben wir eine linke Regierung, eine noch linkere parlamentarische Opposition und eine „liberale“ APO, die Mindestlohn, europäische Gleichmacherei und energiewirtschaftliche Planwirtschaft für gute politische Konzepte hält, ebenfalls Begriffe wie Raubtierkapitalismus oder Turbokapitalismus kennt und soziale Zustandsgerechtigkeit als eines ihrer zentralen Themen sieht. Dieses Land ist meine Heimat und deswegen gehört dieses Land, wie auch meine Liebe zu ihm zu mir. Doch mit meinen Gedanken fühle mich in diesem Land oft schmerzhaft heimatlos. Das wollte ich wohl (ungeschickt) zum Ausdruck bringen.
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #2Zitat:Die Freiheit des Menschen kann nur eine persönliche sein.
Richtig. [...] Im klassischen Verständnis ist für ein Grundrecht wesenhaft, dass es den Einzelnen gegen den Staat zu schützen beabsichtigt.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt, den man leicht aus den Augen verliert. Heute werden ja leicht und gern neue Grundrechte postuliert, die sich hauptsächlich als Hebel für die Erweiterung der Kompetenzen des Staates über die Individuen gebrauchen lassen.
Nur eine kleine Anmerkung zu dieser Betrachtung, der ich im übrigen zustimme: die Energiewende in ihrer derzeitigen Form ist ja noch keine Planwirtschaft, sondern eher eine hypersubventionierte Planloswirtschaft; der Effekt ihres Scheiterns dürfte sein, die künftige energiewirtschaftliche Planwirtschaft (in Form von Nachfragesteuerung ("smart grid"), Staatskraftwerken u.dgl.) als Verbesserung des chaotischen Status quo schmackhaft zu machen.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3Nun sind diese Linken von damals der Staat, ihr Marsch hat sein Ziel erreicht und plötzlich wird die Freiheit zu etwas, was einem gehören kann. So wie eine Yacht, ein Haus oder ein Arbeitsplatz. Frei ist, wer besitzt. Wie gut, dass die Marschierer durch die Institutionen heute tun können was ihnen damals, als sie vom Ausstieg träumten, nicht möglich war: Geld eintreiben und verteilen. Das ändert einfach alles. Auch was sie unter Freiheit verstehen.
Sie sind halt perfekte Marxisten: Bei ihnen bestimmt das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein.
Zitat Die "menschelnden Menschenbilder" vertragen sich ja auch nicht mit dem aus der humanistisch-aufklärerischen, also einer geisteswissenschaftlich geprägten Tradition hervorgegangenen Menschenbild.
Sie haben natürlich Recht. Solche Aussagen sind meinem beschränkten (Lern)Horizont, aus dem heraus ich urteile, geschuldet. Leider (und das meine ich wortwörtlich) bin ich sehr unbelesen was Geisteswissenschaften betrifft und daher sowohl mit ihren Methoden, wie auch ihren Leistungen nicht wirklich vertraut.
Wobei die großen Philosophen des Humanismus und der Aufklärung ja häufig naturwissenschaftlich, jedenfalls mathematisch interessiert waren. Ich halte die Mathe-Verachtung für einen riesigen Fehler, denn ich kann die Mathematik (d.h. das bisschen, das ich davon überschaue) für naturwissenschaftsferne Probleme nutzbar machen. Zettel ist übrigens einmal der Frage nachgegangen, warum die Mathematik als "grau und langweilig" gilt.
Der schlechte Ruf der Geisteswissenschaften stammt zweifellos von ihrer Unterwanderung durch Linke, die ihre Propaganda auf diese Weise wissenschaftlich verbrämen wollen. Es ist sehr schade, dass eine an und für sich so spannende Disziplin wie die Soziologie deswegen einen so üblen Leumund hat.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #6Ich glaube letztendlich liegt hier der Grund für das ganze „aneinander vorbei reden“ (von Anne Will bis hin zu Feuilletondebatten). Es entsteht nur dadurch, dass jeder die Begriffe des Gegenüber in seiner eigenen, zu weit gefassten Definition versteht. Es entsteht eine Unschärfe innerhalb derer jeder verstehen kann was er möchte.
Das ist sicher richtig. Und niemand möchte sich der positiv besetzten Begrifflichkeiten begeben: "Freiheit", "liberal" (jedenfalls, wenn es nicht "neo-" oder "wirtschafts-" ist) sind solche positiven Marken, die jeder für sich reklamiert. Deshalb kann ein Anton Hofreiter, den Andreas Döding im soeben verlinkten ZR-Beitrag auszugsweise zitiert, in der ZEIT Folgendes schreiben:
Zitat von Hofreiter in der ZEITUnd ich sehe die Grünen seit jeher als starke Kraft der Freiheit in Deutschland. Neben den Wahlkampfmotiven steckt hinter der Polemik gegen die Grünen vor allem der Versuch, einen verkürzten, einseitigen Freiheitsbegriff durchzusetzen. Ein Freiheitsbegriff, der sich vor allem gegen den Staat richtet, gegen öffentliche Institutionen. Ein Freiheitsbegriff, der egoistisch ist. Denn er sieht vor allem die "eigene" Freiheit, ohne sich groß um die Freiheit der "Anderen" zu kümmern.
Nur Anhänger eines solchen verkürzten Freiheitsbegriffs können Vorschläge wie ein Tempolimit oder eine moderate Steuererhöhung ernsthaft als Anschlag auf das freie Leben der Bürgerinnen und Bürger verstehen.
Aufgabe von Politik aus grüner Sicht ist es, die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammenzubringen, für jede und jeden die größten Entfaltungschancen zu ermöglichen.
[...]
Freiheit kann es in einem Staat nur in dem Maße geben, in dem der Staat allen Einzelnen die gleichen Möglichkeiten gibt.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #6Wenn ich an mich selbst denke war Freiheit lange Zeit im Wesentlichen ein Zustand, definiert durch die Abwesenheit eines totalitären Staates. Ich glaube dabei zumindest für mich sagen zu können, dass ich diese simple Sicht aus der deutschen Geschichte bezog. Ich weiß nicht wie weit ich mich aus dem Fenster lehne wenn ich sage, dass diese Definition von vielen Menschen in Deutschland so (oder ähnlich) geteilt wird.
Das ist ein interessanter Punkt, der auch erklärt, warum ich die Rede von der "DDR 2.0" oder der "EUdSSR" nicht befürworten kann. Denn auch in einem Staat, der nicht totalitär ist und nicht im Begriff ist, zum Neuaufguss einer vergangenen Diktatur zu werden, kann es zu Beeinträchtigungen der Freiheit kommen, die man als Liberaler oder zumindest Sympathisant des Liberalismus nicht hinnehmen kann. Wir in der Bundesrepublik sind weit von einer DDR 2.0 entfernt. Aber dass Freiheitseinschränkungen im vorgeblichen Namen der Freiheit von der Politik immer lockerer gesehen werden (siehe Hofreiter), ist eine Entwicklung, die man kritisieren muss. Gerne auch scharf und polemisch, aber meinem Geschmack nach nicht immer gleich mit der apokalyptischen Horrorvision. Broder hat einen hierzu passenden Artikel geschrieben, dessen Lektüre ich nur empfehlen kann.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #6Und gefährlich wird es da wo diejenigen, die die Freiheit als Zustandsbegriff verwenden, ihr Verständnis dieses Begriffs gleichzeitig als den „Wert an sich“ verstehen, den die Väter unseres Grundgesetzes ganz sicher noch als Schutz vor einem totalitären Staat verstanden.
Volle Zustimmung.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #6Das kleine Biotop hier, welches meine Gedanken nicht verurteilt sondern widerlegt wo sie falsch und ergänzt wo sie unvollständig sind. Aber da draußen…. Da haben wir eine linke Regierung, eine noch linkere parlamentarische Opposition und eine „liberale“ APO, die Mindestlohn, europäische Gleichmacherei und energiewirtschaftliche Planwirtschaft für gute politische Konzepte hält, ebenfalls Begriffe wie Raubtierkapitalismus oder Turbokapitalismus kennt und soziale Zustandsgerechtigkeit als eines ihrer zentralen Themen sieht. Dieses Land ist meine Heimat und deswegen gehört dieses Land, wie auch meine Liebe zu ihm zu mir. Doch mit meinen Gedanken fühle mich in diesem Land oft schmerzhaft heimatlos.
An Zettel habe ich immer den Zukunftsoptimismus bewundert, den er trotz einiger Momente der Verzweiflung hatte. Seine Argumentation war folgende: So wie die konservative Meinungsdominanz der Adenauer-Zeit zu Ende gegangen ist, wird auch die ökolinke Meinungsdominanz nicht ewig anhalten. In der Zwischenzeit bedarf es aber einer liberal-konservativen Gegenöffentlichkeit, zu der er - Zettel - eben das Seine beitrug.
Ich bemühe mich, mir diese Sichtweise zu Eigen zu machen.
Zitat von Nsn In gesellschaftlichen Dingen, wie Religion und Politik beobachte ich dagegen eine Neigung einfache, grundlegende Wahrheiten so zu verkomplizieren bis sie einem eigenen Menschen- und Wertebild entsprechen und damit bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen.
In anderen Worten. Manche verwenden ihre Engergie um Realität zu erkunden und manchen um sie zu faken.
Ein Beispiel meienr Schulzeit (ich muss so weit zurückgehen, weil ich nachher diesem Quatsch entfliehen konnte). Als Globalisierung durchgenommen wurde, benutzte ich meine Definition von Globalisierung (=zunehmender weltweiter Handel und zunehmende weltweite Kommunikation) und fragte was daran schlecht sein könne. Aber das galt natuerlich nicht. Denn die Lehrbuchdefinition war ungefähr so: "Globalisierung bezeichnet die Gesamtheit der komplexen Prozesse weltumspannender Aktivität und die daraus resultierenden Ungleichgewichte etwa wzischen Arbietern und Unternehmen, Staaten und Unternehmen.... ". So gesehen ist Globalisierung natürlich ein Übel. Aber bei der Definition hätte ich auch ganz gerne vorher einen Existenzbeweis
Zitat von Nsn In gesellschaftlichen Dingen, wie Religion und Politik beobachte ich dagegen eine Neigung einfache, grundlegende Wahrheiten so zu verkomplizieren bis sie einem eigenen Menschen- und Wertebild entsprechen und damit bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen.
In anderen Worten. Manche verwenden ihre Engergie um Realität zu erkunden und manchen um sie zu faken.
Ein Beispiel meienr Schulzeit (ich muss so weit zurückgehen, weil ich nachher diesem Quatsch entfliehen konnte). Als Globalisierung durchgenommen wurde, benutzte ich meine Definition von Globalisierung (=zunehmender weltweiter Handel und zunehmende weltweite Kommunikation) und fragte was daran schlecht sein könne. Aber das galt natuerlich nicht. Denn die Lehrbuchdefinition war ungefähr so: "Globalisierung bezeichnet die Gesamtheit der komplexen Prozesse weltumspannender Aktivität und die daraus resultierenden Ungleichgewichte etwa wzischen Arbietern und Unternehmen, Staaten und Unternehmen.... ". So gesehen ist Globalisierung natürlich ein Übel. Aber bei der Definition hätte ich auch ganz gerne vorher einen Existenzbeweis
Dazu passend ein, wie ich finde, äußerst lesenswertes Interview mit dem Unternehmer Peter Jungen aktuell auf Welt online:
Zitat von http://www.welt.de/wirtschaft/article126...O-der-Welt.htmlJungen: Wenn die UN nun verkündet, ihr "Millenium Goal" der Reduktion von weltweiter Armut von 1,8 Milliarden in 1990 um 50 Prozent im Jahre 2015 werde erfüllt, dann liegt das nicht an westlicher Entwicklungshilfe, sondern vor allem an marktwirtschaftlichen Systemen, die inzwischen vom überwiegenden Teil der Menschheit angenommen worden sind.
Die Welt: Aber richtig gefeiert wird das wahrscheinlich nicht! Warum gibt es so viele Skeptiker und Zweifler am weltweiten Fortschritt? Ist Optimismus, auch im Sinne Adam Smiths und seiner bewegenden Moralphilosophie, heute moralisch besehen, eine Sünde?
Jungen: Wenn Mutter Theresa und die westliche Entwicklungshilfe das geschafft hätten, dann würden Freudenfeuer angezündet. Dem Kapitalismus wird sogar das zum Vorwurf gemacht, dass er auch noch erfolgreich ist und die Armut beseitigt.
Zitat von Noricus im Beitrag #12Lisa Herzogs Replik auf die Rezension von Karen Horn ist nun erschienen.
Ich habe ziemlich lange über Frau Herzogs Text nachgedacht. Im Wesentlichen kann ich für mich an zwei Dingen, bzw. Formulierungen festmachen, warum mir ihre Sicht nicht behagt. Fange ich mit ihrem letzten Satz an.
Zitat Für diese Debatte wollte ich in meinem Buch Denkanstöße geben, ohne konkrete Politikvorschläge zu machen [……], weil es in einer liberalen Gesellschaft nicht die Aufgabe von Philosophen (oder Ökonomen!), sondern die aller Individuen ist, diese Fragen zu stellen und konkrete Lösungen zu finden.
Für mich klingt dies wie eine Flucht vor den Konsequenzen ihrer eigenen Gedanken. Eine versuchte Flucht aus dem Kollektiv heraus zurück in den Liberalismus, in dem sie jedem einzelnen die Freiheit der Entscheidung (zurück) übereignet: Und damit landet sie wieder in den Armen des Kollektivs und bemerkt es nicht. Was meine ich damit? Ich finde „verräterisch“, dass sie sich selbst einen Vorschlag verwehrt, mit der Begründung es sei die Aufgabe aller. Wie sollen alle aber dieser Aufgabe gerecht werden, wenn nicht jeder einzelne, also auch sie, seine Vorschläge zur Diskussion stellt? Es scheint fast so, als sähe sie die Gefahr der Beschränkung von persönlicher Freiheit in einzelnen Menschen (mit irgendeiner Art von Macht versehen), die fehl geleitet sein könnten. Sie versucht daher diese Gefahr zu eliminieren, in dem sie die Beschränkungen der Freiheit allen Individuen überlässt (die versuchte Flucht zum Liberalismus), findet sich aber damit in den Armen des Kollektivs wieder, welches anscheinend zur Beschränkung der Freiheit in gewissem Sinne taugt.* Ich glaube, dies ist der Zirkelschluß unseres Zeitgeistes, dem sich die Wenigsten entziehen können: Der unbedingte Glaube ans Kollektiv. Das nicht verstehen davon, was „Schutz von Minderheiten“ wirklich heißt und seine zentrale Bedeutung für eine freiheitliche Gesellschaft.
Der zweite Gedanke dem ich nicht zustimmen kann entsteht an der Stelle wo sie von der Moral spricht, die der Liberale angeblich dem Markt zuschreibt. Aus meiner Sicht hat der Markt keine Moral. Er kann keine haben. Moral ist kein Wesenszug an und für sich, den Dinge besitzen oder nicht. Moral kann erst durch Bewußtsein entstehen. Der Markt als Zustandsbeschreibung eines Ergebnissens, welches durch das Wirken von „freien Kräften“ zustande kommt, kann keine Moral besitzen. Er kann nur unter den Maßstäben einer durch Menschen empfundenen Moral betrachtet werden. Was Moral dabei ist, beschreibt Frau Horn in meinen Augen selbst aufs trefflichste:
Zitat Reale Menschen dagegen leben in sozialen Gemeinschaft. Sie werden in bestimmte Kulturen hineinsozialisiert, und internalisieren die in ihnen vorherrschenden Normen. [……] Aber das heißt nicht, dass ein selbstbestimmtes Leben nicht weiterhin ein Wert, vielleicht sogar der höchste Wert einer modernen Gesellschaft sein könnte. Nur ist es ein Wert, den wir uns sozusagen erarbeiten müssen, der der “natürlichen” – im Sinne von historisch dominanten – Form menschlichen Zusammenlebens geradezu abgerungen werden muss.
Eine Hervorragende Analyse in meinen Augen, die mir selbst etwas klar machte: „Moral ist die für einen Menschen, durch seine kulturelle Prägung entstandene, zulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit.“ Um es auf die Spitze zu treiben: Moral und persönliche Freiheit sind Antipoden. Sie vertragen sich nicht, weil sich persönliche Freiheit und „begrenzende Regeln“ nun einmal nicht vertragen können.
Das Besondere am Liberalismus erscheint mir unter diesem Aspekt die Tatsache, dass er sich mit einer in der persönlichen Freiheit inhärenten Beschränkung zufrieden gibt, nämlich eben jenen „begrenzenden Regeln“, welche die persönliche Freiheit des Individuums gegen die der anderen Individuen des Kollektivs schützen. Somit ist der Liberalismus der „kleinste gemeinsame Nenner“ von kultureller Prägung und persönlicher Freiheit.
Natürlich funktionieren Gesellschaften mit mehr kulturellen Beschränkungen der persönlichen Freiheit als im Liberalismus. Zum einen ist das aber dann nicht mehr „liberal“ zu nennen (im Sinne des „kleinsten gemeinsamen Nenners“), zum anderen wird es überaus schwer den Freiheitsbegriff gegen denjenigen von „despotische Gesellschaftssystemen“ abzugrenzen. Wo genau enden "zulässige Eingriffe des Kollektivs gegen das Individuum"? Mir zumindest ist keine einleuchtende Abgrenzung bekannt und damit ist ein anderer Freiheitsbegriff als der persönliche (liberale) immer eine Gratwanderung.
Zitat Frei zu sein, bedeutet, sich dieser Einflüsse bewusst zu werden, und eine gewisse Distanz zu erreichen – und sich gegenseitig als freie Menschen ernst zu nehmen, als Individuen, die moralische Verantwortung übernehmen können, trotz all unserer menschlicher Schwächen, die wir durchaus aneinander und an uns selbst wahrnehmen können.
Nein Frau Herzog!** – möchte ich ihr entgegen rufen. Gerade das bedeutet es nicht „frei“ zu sein. Was sie beschreiben bedeutet die kulturelle Prägung und die daraus entstehende Moral einer Gesellschaft zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Das ist keine Freiheit, sondern die Unterwerfung der persönlichen Freiheit durch das Kollektiv. Das ist der gefährliche Zirkelschluß welcher entsteht, wenn man die Moral (und damit die kulturelle Prägung!) einfach nicht aufgeben möchte als das Maß aller Dinge.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
*Nachtrag: In diesem Zusammenhang finde ich bemerkenswert, dass so oft gedacht wird die Bedrohung der Freiheit ginge von Einzelnen (von Despoten) aus und das Kollektiv könnte sie schützen. Es ist zwar richtig, dass historisch betrachtet brutale Unterdrückung der Freiheit oft in despotischen Systemen auftrat, daraus aber abzuleiten die große Gefahr für die Freiheit ginge von Einzelnen aus, ist ein fataler Fehlschluß. Grundlegende Angriffe auf das Wesen der (persönlichen) Freiheit erfolg(t)en (fast) immer durch das Kollektiv. Und genau deswegen ist u. a. Minderheitenschutz auch so eminent wichtig für eine freiheitliche Gesellschaft.
**Edit: Korrektur Verwechslung der Namen Herzog und Horn.
\"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit.\" - Montesquieu
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #13Das Besondere am Liberalismus erscheint mir unter diesem Aspekt die Tatsache, dass er sich mit einer in der persönlichen Freiheit inhärenten Beschränkung zufrieden gibt, nämlich eben jenen „begrenzenden Regeln“, welche die persönliche Freiheit des Individuums gegen die der anderen Individuen des Kollektivs schützen. Somit ist der Liberalismus der „kleinste gemeinsame Nenner“ von kultureller Prägung und persönlicher Freiheit.
"The right to swing my fist ends where the other's nose begins"
Wie treffend. Und wie unverständlich für Kollektivisten.
Als kleine Anmerkung ein Gedanke, welcher mir bei dem von Noricus verlinkten Artikel Zettels über die Schönheit der Mathematik in diesem Zusammenhang kam (Vielen Dank Noricus an dieser Stelle für den Link auf diesen wunderbaren Artikel, samt zugehöriger Diskussion.):
So sehr die Einfachheit ein grundlegendes Element der Ästhetik in der Mathematik und damit der „Manifestation ihrer Wahrheiten“ ist, ist die Symmetrie ein fundamentales Prinzip der Physik. Aus reinen Symmetrieüberlegungen heraus ergaben sich oft neue, fundamentale Einsichten (leistungsstarke Theorien, wie z. B. die spezielle Relativitätstheorie, das Quark Modell oder auch die Erhaltungssätze der Physik).
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #13Das Besondere am Liberalismus erscheint mir unter diesem Aspekt die Tatsache, dass er sich mit einer in der persönlichen Freiheit inhärenten Beschränkung zufrieden gibt, nämlich eben jenen „begrenzenden Regeln“, welche die persönliche Freiheit des Individuums gegen die der anderen Individuen des Kollektivs schützen. Somit ist der Liberalismus der „kleinste gemeinsame Nenner“ von kultureller Prägung und persönlicher Freiheit.
"The right to swing my fist ends where the other's nose begins"
Es ist sowohl die Einfachheit, wie auch die innere Symmetrie dieser Definition der Beziehung zwischen persönlicher Freiheit und Moral, die mich absolut davon überzeugt, dass es sich hier um eine tiefere, vielleicht fundamentale Wahrheit handelt. Diejenige „Gleichung“ welche allen anderen bei dem Versuch weit überlegen ist, Freiheit und Moral in eine Relation zu setzen. Deswegen glaube ich an den Liberalismus und möchte sein Fürsprecher sein und das, obwohl ich es nicht schaffe mit meinem Herzen ein restlos überzeugter Liberaler zu sein. Meine kulturelle Prägung verhindert dies leider.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat "The right to swing my fist ends where the other's nose begins"
Klar, wenn alle Argumente durchdekliniert sind, landet man irgendwann bei dieser "goldenen Regel" (es gibt ja diverse aussagegleiche Versionen), die einem seit dem Kindergartenalter geläufig ist (oder jedenfalls sein sollte) - das sind dann die kindgerechten Versionen ohne Faust, aber das spielt ja keine Rolle - jedenfalls ist das m.E. des Pudels Kern, lieber adder, denn alles, was profund und wichtig ist, ist sehr, sehr einfach, das wurde von nachdenken_schmerzt_nicht bereits unter Bezugnahme auf Naturwissenschaft und Mathe ausgeführt.
Das ist auch der Grund, warum ich statt von "Liberalismus" meist lieber von "Liberalität" spreche. Das klingt weniger nach Studierstube, denn die kann unter Umständen zu einem gefährlichen Ort werden, in welchem man sich mit der Freiheit auf Kriegsfuss stellt - qua kompliziert ausgedachter Konstrukte, schon wegen der Komplexität, insbesondere aber wegen allerlei Veredelungsabsichten im Hinblick auf die – natürlich als unzulänglich Empfundenen - da "draussen im Lande".
"You have to catch up with it yourself" pflegte Banjamin Franklin zu sagen auf die Frage, was mit dem mittlerweile berühmt gewordenen "persuit of happiness" eigentlich so gemeint ist. Wenn einem diese Erklärung "zu wenig" beinhaltet und man der Auffassung zuneigt, bei "happiness" müsse "politisch" irgendwie noch Butter bei die Fische - denn ist die Freiheit halt schon arg ramponiert, bevor sie überhaupt angefangen hat.
Soweit mein kleiner Gedankensplitter aus der Studierstube
Zitat von Noricus im Beitrag #12Lisa Herzogs Replik auf die Rezension von Karen Horn ist nun erschienen.
Und irgendwie fehlt es mir da an einer sinnvollen Aussage. Inhaltsleeres Geschwurbel trifft auf Strohmann. Das ist in der Tat "modern". Insofern passt es.
Es ist im Grunde das alte Lied. Zunächst baut der Liberalismus-Kritiker (oder "mitfühlende Liberale" oder "Sozialliberale" oder wasweißich) den Strohmann vom "perfekten", "völlig freien" und "natürlichen" Markt auf, an den vielleicht eine Handvoll Träumer im Internet glauben, die meisten Liberalen allerdings nicht. Gerade in der "liberalsten" ökonomischen Theorie, der Österreichischen Schule, geht man eben nicht von "perfekten Märkten" aus, die auf magische Weise ("unsichtbare Hand" - auch gerne zum Strohmannbau verwendet) zu dauerhaften Gleichgewichtszuständen führen. Und selbst wenn man sich der Marktkritik von links her nähert, spricht nichts dafür, dass damit automatisch der Umkehrschluss zulässig wäre, nämlich dass staatliche Lösungen in der Lage wären, angebliches oder reales Marktversagen zu heilen. Spätestens seit Aufkommen der "Public Choice"-Theorie spricht sogar mehr dagegen. Deshalb ist z.B. der aus meiner Sicht sinnvollste Ansatz der der "Masonomics": "Markets fail. Use markets." Der beste Weg, Marktversagen zu heilen, besteht in der Verwendung von Märkten. Informationsasymmetrie z.B. ließe sich durch Märkte heilen, in denen mit Informationen gehandelt wird.
Dass Märkte institutionelle Voraussetzungen brauchen und eben anscheinend nicht einfach so funktionieren (jedenfalls nicht bei allen Gütern), wie man z.B. nach dem Ende der Sowjetunion erleben konnte, wird ebenfalls von Liberalen meist nicht bezweifelt. Die erste Frage danach wäre aber die hayeksche: Sind diese Institutionen Ergebnis menschlicher Absicht oder menschlichen Handelns? Sie jedenfalls alle in einen Topf mit der Aufschrift "kollektiv" zu werfen, wie Lisa Herzog das tut, führt dann zu weiteren Fehlschlüssen, wonach durch demokratisch und rechtsstaatlich kontrollierte staatliche Insitutionen Märkte praktisch beliebig "gestaltet" werden könnten. Das aber ist eben aus gleich mehreren Gründen, die ich hier wohl nicht gesondert zu erwähnen brauche, nicht zu erwarten.
Nun mag es so sein, dass im Buch vernünftiger argumentiert wird als in der Antwort auf Karen Horns Rezension. Allein - eben wegen dieser Antwort halte ich das für so unwahrscheinlich, dass der aus der Beseitigung dieses Informationsdefizit resultierende Erwartungswert des Nutzens mir geringer erscheint als die dafür aufzuwendenden Kosten. Oder wie der Laie sagen würde: Kein Grund, das Buch zu kaufen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Danke, nachdenken_schmerzt_nicht und Rayson, für die hier niedergelegten Gedanken zu der Replik von Lisa Herzog. Mich hat der Text ratlos zurückgelassen: Was will mir die Dichterin sagen?
Nachdenken_schmerzt_nicht hat völlig Recht, wenn er feststellt (Kommentar 13), wie eigenartig es ist, dass Frau Herzog keine praktischen Schlussfolgerungen aus ihrem Gedankenansatz zieht. Mir scheint diese Haltung allerdings zeittypisch zu sein: Man ist gegen das Bestehende, weiß aber nicht, wie es besser laufen sollte.
1989/90 in der sog. "Wendezeit" kam ein Professor aus der Bundesrepublik und machte uns unter dem Dach der Katholischen Kirche mit der Sozialen Marktwirtschaft vertraut. Eine Kernthese ist mir im Gedächtnis geblieben: "Der Eigennutz ist die stärkste Triebkraft des Menschen. Dieser Eigennutz muss so kanalisiert werden, dass er untrennbar mit dem Gemeinnutz verbunden wird." Aufgabe des Staates ist es, diese Bedingung herzustellen. Der Mechanismus dabei ist eine Verknüpfung in der Weise: Je mehr Eigennutz entsteht, desto größer muss auch der Gemeinnutz werden. Beispiel: Je größer der ökonomischen Nutzen (Eigennutz), desto höher die Steuern (Gemeinnutz). Dabei darf die Steuer nicht negativ auf den Gewinnanreiz wirken. Das Gleiche gilt natürlich auch für das Verhältnis von Unternehmergewinn und Entlohnung der Arbeitnehmer. Auch für Kapitalertrag und Steuern sollte das gelten.
Diese These halte ich auch heute noch für plausibel. Erkennen musste ich, dass dies ein Idealzustand ist, von dem wir noch weit entfernt sind. Ein Bild soll vermitteln was ich meine: Eine gleichschenklige Dreieckpyramide hat drei gleich große Seitenflächen. Das sind Arbeitnehmer, Arbeitgeber und als Vertreter der Gemeinschaft, der Staat. Die drei Flächen sind gleich groß ( das ist ein Bild und steht für die Ausgeglichenheit der Verhältnisse). Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass das Streben nach Eigennutz auf allen Seiten überwiegt. Das bedeutet, jeder versucht seine Fläche zu vergrößern. Das geht aber immer nur zu Lasten des Anderen. Nur wenn die Pyramide größer wird (die Wirtschaft wächst) vergrößern sich die Flächen. Dabei darf die Ausgewogenheit nicht gestört werden. Der Zustand der Ausgewogenheit ist sicherlich ein Idealzustand, von dem wir weit entfernt sind. Trotzdem sollte er immer das Ziel allen Handelns sein.
Zitat von Noricus im Beitrag #18Mich hat der Text ratlos zurückgelassen: Was will mir die Dichterin sagen?
Lieber Noricus,
mir ging es in der Tat genauso. Mein erster Gedanke beim Lesen war in etwa: Ein eloquentes Darstellen der eigenen Bildung, um sich selbst und dem heilige Kalb um welches man kreist, einen seriösen Anstrich zu geben. Gleichzeitig hat mich dieser Text aber auch irritiert und ich habe versucht zu verstehen warum. An den beiden, von mir beschriebenen Punkten konnte ich es dann einigermaßen fest machen.
Im Endeffekt konnte ich dadurch sogar für mich neue Einsichten gewinnen: Das gegensätzliche Paar von persönlicher Freiheit und Moral (kultureller Prägung) und die überzeugende Relation der beiden im Liberalismus sind Bilder, welche mich in meinem Verständnis des Begriffes der Freiheit in einer Gesellschaft sehr viel weiter gebracht haben. Desweiteren ist mir klar geworden, wo der argumentative Schwachpunkt derer zu liegen scheint, welche die persönliche Freiheit als grundsätzlichen Wert nicht akzeptieren können: Sie verstehen nicht den Unterschied zwischen einem Axiom (die persönliche Freiheit) und einer These (die Moral) in welcher es eingebettet ist, bzw sie verdrehen der beiden Bedeutung. Dies ist umso erstaunlicher, als dass Frau Herzog den Sachverhalt eigentlich präzise seziert. Sie beschreibt die kulturelle Prägung als Moral und den Versuch der Gesellschaft darüber eine zulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit zu finden. Trotzdem erkennt Frau Herzog nicht, dass sie damit lediglich versucht zulässige Angriffe auf die Freiheit zu rechtfertigen und nicht etwa den Begriff der Freiheit (neu) zu definieren. Das ist die Crux der "deutschen Intellektuellen", der bedingungslose Glaube an die Moral (bzw. das was sie für "das Gute" halten) als einen (den) Grundwert. Trotz der "Beliebigkeit" der Moral wollen sie daher mit ihr als Axiom die Freiheit herleiten. Sie sind diesem Gedanken so verhaftet, dass sie ihn umgekehrt nicht denken können, konstruieren lieber innere Widersprüche und formulieren vage, anstatt ausgetretene Denkpfade zu verlassen. Ein bekanntes Phänomen, welches wissenschaftlichem Fortschritt oft im Wege steht: Die Angst, den eigenen Standpunkt in Frage zu stellen.
Zitat von Noricus im Beitrag #9Wobei die großen Philosophen des Humanismus und der Aufklärung ja häufig naturwissenschaftlich, jedenfalls mathematisch interessiert waren. [...] Der schlechte Ruf der Geisteswissenschaften stammt....
Hier erweist sich vor allem die Diskussion zu dem Artikel Zettels als Fundgrube. Lassen Sie mich bitte aus einem Beitrag des Mitgliedes Dagny zitieren:
Zitat von Dagny im Beitrag RE: Zettels OsterfragerEi (2): Warum gilt die Mathematik als grau?Vielleicht liegt dies daran, dass die Mathematik exakt ist. Dass sie objektiv ist, einen Sachverhalt immer entscheiden kann (sieht man von Gödel ab). Es gibt keine Dialektik, kein 'sowohl-als-auch, sondern Beweise, Strukturen, Muster.
Mathematik steht damit in einem Gegensatz zum romantisch-mystischem, zur Dialektik. Axiomatisches Denken lässt sich nicht verklären, wie vielleicht die Antike im humanistischen Bildungsideal verklärt ist.
Ein Blick zur Politik zeigt, warum Mathematik nicht kompatibel ist: Versuchen Sie doch mal, das Verhalten von Kurt Beck mathematisch zu beschreiben: Im Gegensatz zur Politik duldet die Mathematik keine (inneren) Widersprüche.
Diese Einsicht macht zweierlei deutlich:
1) Warum die großen Philosophen einen Hang zu Mathematik hatten und haben: Sie ist eine exakte Sprache für widerspruchsfreie Argumentation. Ein Segen, gerade auch für einen Philosophen.
2) Warum Mathematik heute ungeliebt ist: Sie ist das grelle Neonlicht mit dem auch die "dunklen Ecken" ausgeleuchtet werden. Sie ist kalt und herzlos und raubt der Moral die Schatten, in denen sie ihre Widersprüche verstecken kann. Man kann, akzeptiert man die Regeln Mathematik, eben nicht mehr so schreiben wie Frau Herzog. Und so schreiben wollen heute viele und machen es ja auch.
Wenn mir diese etwas bösartige Bemerkung erlaubt ist: Die Tatsache, dass Hochschulen heute stärker bevölkert sind als früher, ist kein Hinweis darauf, dass die Denkkraft der Menschen in der Breite zugenommen hat. Die Bildung hat zugenommen, was aber für das Lösen von Problemstellungen nicht der entscheidende Faktor ist. Manchmal sogar ein hinderlicher.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von Paul im Beitrag #191989/90 in der sog. "Wendezeit" kam ein Professor aus der Bundesrepublik und machte uns unter dem Dach der Katholischen Kirche mit der Sozialen Marktwirtschaft vertraut. Eine Kernthese ist mir im Gedächtnis geblieben: "Der Eigennutz ist die stärkste Triebkraft des Menschen. Dieser Eigennutz muss so kanalisiert werden, dass er untrennbar mit dem Gemeinnutz verbunden wird." Aufgabe des Staates ist es, diese Bedingung herzustellen.
Wenn der Eigennutz nun aber natürlicherweise mit dem Gemeinnutz verbunden wäre, gäbe es eine Aufgabe weniger für den Staat und die soziale Marktwirtschaft wäre nur dafür da, dem eine Staat Aufgabe zu verschaffen die durch seine Tätigkeit erst notwendig erscheint. Das Problem aber ist die Definition, ganz besonders die vom Gemeinnutz. Eine Gemeinnützigkeit wird steuerrechtlich festgestellt, wenn die Tätigkeit selbstlos ist. Das heißt, „wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke - zum Beispiel gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke - verfolgt werden“.
Nun, lieber Paul, versuchen ich mal eine Tätigkeit welche dem Erwerbszweck dient, so zu kanalisieren, dass sie untrennbar mit einer die nicht dem Erwerbszweck dient, verbunden wird. So ungefähr: Die Allgemeinheit, in diesem Fall stark kanalisiert durch den Staat, gaukelt dem Individuum vor, der Einsatz seines Eigennutzes würde ihm einen Erwerb bringen aber letztlich nimmt sie ihm seinen Gewinn, gibt ihn dem Staat der ihn dann in seiner unendlichen Weisheit klug verteilt.
Eigentlich nichts Anderes als das, was die DDR gemacht hat. Mit dem Unterschied, darauf zu achten, die Kuh nicht nur so lange zu melken wie sie Milch gibt, sondern auch darauf, dass sie dies so lang wie möglich tut. Vom Eigennutz bleibt dann nicht mehr als die Möhre an der Angel. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der Esel stehen bleibt.
Zitat von Paul im Beitrag #19Der Mechanismus dabei ist eine Verknüpfung in der Weise: Je mehr Eigennutz entsteht, desto größer muss auch der Gemeinnutz werden.
Dieser Mechanismus funktioniert aber nur, wenn der Eigennutz eben nicht kanalisiert und dem Gemeinnutz unterworfen wird. Sondern sich frei entwickeln kann. In einer freien Marktwirtschaft. In der oben beschriebenen sozialen Marktwirtschaft entsteht immer mehr Gemeinnutz und der ist der Entstehung von Eigennutz sehr abträglich.
In einem allerdings hat der Professor recht. Der deutsche Staat ist seit Jahrzehnten sehr erfolgreich darin, die Kuh ordentlich zu melken und ihr trotzdem ein langes Leben zu erhalten. Aber das liegt eher an dem gebrochenen Verhältnis vieler Menschen zu ihrer angeblich stärksten Triebkraft. Das schlechte Gewissen ist nämlich viel stärker.
Zitat von Noricus im Beitrag #18 Im Endeffekt konnte ich dadurch sogar für mich neue Einsichten gewinnen: Das gegensätzliche Paar von persönlicher Freiheit und Moral (kultureller Prägung) und die überzeugende Relation der beiden im Liberalismus sind Bilder, welche mich in meinem Verständnis des Begriffes der Freiheit in einer Gesellschaft sehr viel weiter gebracht haben. Desweiteren ist mir klar geworden, wo der argumentative Schwachpunkt derer zu liegen scheint, welche die persönliche Freiheit als grundsätzlichen Wert nicht akzeptieren können: Sie verstehen nicht den Unterschied zwischen einem Axiom (die persönliche Freiheit) und einer These (die Moral) in welcher es eingebettet ist, bzw sie verdrehen der beiden Bedeutung.
Lieber nachdenken_schmerzt_nicht,
das ist m.E. eine wunderbare Zusammenfassung Ihrer Gedanken.
Zitat Warum die großen Philosophen einen Hang zu Mathematik hatten und haben: Sie ist eine exakte Sprache für widerspruchsfreie Argumentation. Ein Segen, gerade auch für einen Philosophen.
Genau. In der Aussagenlogik steckt im Grunde genommen ja auch eine mathematische Betrachtungsweise.
Zitat:Warum Mathematik heute ungeliebt ist: Sie ist das grelle Neonlicht mit dem auch die "dunklen Ecken" ausgeleuchtet werden. Sie ist kalt und herzlos und raubt der Moral die Schatten, in denen sie ihre Widersprüche verstecken kann.
Und die Mathematik hat - zumindest aus der Perspektive des Laien - zur Entzauberung der Welt beigetragen. Ich kann diese These jetzt aus Zeitmangel nicht weiter ausführen, will sie aber einfach einmal in den Raum werfen: Meines Erachtens sind die Gründe, weshalb die Mathematik so unbeliebt ist, mit jenen, welche das schlechte Standing des Liberalismus erklären können, weitgehend deckungsgleich.
(*)
Zitat Wenn mir diese etwas bösartige Bemerkung erlaubt ist: Die Tatsache, dass Hochschulen heute stärker bevölkert sind als früher, ist kein Hinweis darauf, dass die Denkkraft der Menschen in der Breite zugenommen hat. Die Bildung hat zugenommen, was aber für das Lösen von Problemstellungen nicht der entscheidende Faktor ist. Manchmal sogar ein hinderlicher.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
Ich habe irgendwo einmal gelesen (ich glaube, die Aussage stammte von einem Jura-Professor, ich zitiere aus dem Gedächtnis): "Nichts scheint unter einer juristischen Ausbildung so sehr zu leiden wie das einfache Textverständnis".
(*)EDIT: Das folgende Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht als solches gekennzeichnet und beantwortet.
Zitat von Noricus im Beitrag #22Meines Erachtens sind die Gründe, weshalb die Mathematik so unbeliebt ist, mit jenen, welche das schlechte Standing des Liberalismus erklären können, weitgehend deckungsgleich.
Absolut. Das liegt auf der Hand. Das was die Menschen an beiden abstößt ist, dass in beiden Fällen die Ratio zum Ergebnis führt, nicht der gute Wille. Wenn ich auf Analogien zwischen Naturwissenschaften und sozialen Gefügen hinweise, bzw. auf die empirischen Hinweise, dass die Wirkmechanismen der Naturwissenschaft auch für Gesellschaften gelten, kommt eigentlich immer der Hinweis „ich solle da sehr aufpassen“. Aufpassen auf was? Den Mensch zu entmenschlichen!? Es ist entlarvend, dass die Frage nach dem Ergebnis keine Rolle spielt, dass es nur das zugrundeliegende Menschenbild ist, welches über die Qualität des Handelns entscheidet.
Insofern besteht für mich hier eine Analogie zu unserem ursprünglichen, christlichen Menschenbild, welches sich selbst in die atheistischen Teile unsere Gesellschaft hinübergerettet hat: „Der Mensch als Krone der Schöpfung.“ Die Selbstüberschätzung der eigenen Art, von der sich selbst Atheisten nicht trennen können.
Den Menschen als eine Variable wie jede andere zu sehen, in einem Ansatz zur Lösung von Problemen, widerstrebt uns. Es ist sozusagen „unter der Würde des Menschen“, dass Ansätze zur Lösung führen, die „seiner Besonderheit und seinen Bedürfnissen“ keine Rechnung tragen. Genau ein solcher Ansatz ist aber der Liberalismus. Er fragt nicht nach den Bedürfnissen und schert sich nicht darum, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sein könnte. Er vertraut letztendlich auf die Wirkkraft naturwissenschaftlicher Gesetze, die sich auch im gesellschaftlichen Zusammenleben wieder finden. Die Mathematik als eine Wissenschaft, welche grundsätzlich zeigt dass dies funktioniert, kann damit nicht geliebt werden.
Darüber hinaus mögen noch zwei andere Punkte eine Rolle spielen:
1) Die Statistik. Komplexe Systeme funktionieren nie diskret, sondern folgen einer statistischen Beschreibung. Das ist die Natur, ob es uns gefällt oder nicht. Fragen Sie mal die Physiker, wie sehr ihnen die Quantenmechanik anfangs gefiel. Ich muß noch heute an einen Ausspruch meines Professors damals in meiner ersten Vorlesung in Quantenmechanik denken: „Sie werden im Laufe dieser Vorlesung öfters den Gedanken haben, dass man das doch gar nicht verstehen kann. Seien Sie unbesorgt. Ich betreibe diese Disziplin intensiv seit 40 Jahren und habe sie bis heute nicht verstanden." Alleine der Welle Teilchen Dualismus sollte einem eigentlich verzweifeln lassen.
Der Punkt ist nun, dass Statistik einer Verteilung folgt und Verteilungen haben immer sogenannte „outlier“. Die gehören zum Wesen unserer Welt und lassen sich nicht beseitigen und genau das scheint mir den Menschenfreunden ein Dorn im Auge zu sein. Das beste (notwendigerweise sehr komplexe) gesellschaftliche System kann in meinen Augen keinen idealen Zustand für alle herbeiführen. Es wird im statistischen Erwartungswert den bestmöglichen Zustand herbeiführen, mit einigen Individuen welche zum „outlier“ werden – nach oben wie nach unten. Dies ist unvereinbar mit dem Menschbild als „Krone der Schöpfung“ und schon gar nicht mit deutscher „Endzustandsgerechtigkeit. Wer den Mensch über alles stellt, kann solche Ausnahmen (nach unten zumindest) nicht zulassen. Er kann sie aber auch und das liegt in der Natur der Sache, nicht verhindern. So versucht er sich dann lieber erfolglos an der Quadratur des Kreises mit entmutigenden Ergebnissen, anstatt sich ins unabänderliche zu fügen und damit den bestmöglichen Zustand herbeizuführen. Man denke zum Beispiel an den Bundestagswahlkampf 2005, in dem Gerhard Schröder mit dem „outlier“ der Krankenschwester, die „Problemlösung“ des Paul Kirchhof verhinderte, über deren Qualität ich hier wahrscheinlich niemand aufklären muß.
2) Die Denkkraft. Axiomatisches Denken ist in der Mathematik wie in der Philosophie ein äußerst anstrengendes Unterfangen und man muß sich streng an Regeln halten, die man vorher mit viel Fleiß lernen muß. Es sei mir etwas Polemik erlaubt. Um zu „schwurbeln“ (was der Zeitgeist gerne tut), reicht ein bisschen Bildung. Das kann heute jeder. Um axiomatisch stringent ein komplexes System zu beschreiben ist jahrelange Übung, Erfahrung und Fleiß von Nöten. Deswegen ist ersteres in Mode (es kann ja jeder) und letzteres nicht.
Zitat von Noricus im Beitrag #22"Nichts scheint unter einer juristischen Ausbildung so sehr zu leiden wie das einfache Textverständnis"
Vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen, ist ein Aspekt. Ich meinte mit der „Hinderlichkeit der Bildung“ aber ein anderes Phänomen. Wissenschaft ist ja ein evolutionärer Prozess, in dem Menschen auf der Vorarbeit anderer aufbauen. Sie weiter entwickeln. Wenn die Vorarbeit aber in eine Sackkasse führte, kommt die Wissenschaft nicht weiter. Denken Sie an Einsteins Relativitätstheorie. Er hätte sie niemals entwickeln können, hätte er nicht alles was in der Physik in dieser Zeit selbstverständlich war über Bord geworfen. Seine Leistung bestand in meinen Augen mitnichten in einer außergewöhnlichen mathematischen Begabung, sondern in Phantasie und Mut. Phantasie, um sich eine Welt vorzustellen, die man nicht kennt. Mut, die ausgetretene Pfade zu verlassen auf denen alle unterwegs sind. Mut sich lächerlich zu machen, Mut „gesellschaftlich geächtet“ zu werden.
Wir wissen nicht, welchen falschen Wahrheiten wir heute aufsitzen. Wir wissen nicht welche Wege wir verlassen müssen um entscheidend weiter zu kommen. Das gilt für die Naturwissenschaft, wie auch die Philosophie, Gesellschaftswissenschaften oder Politik. Sogar für die Mathematik, die mit „Gödels Unentscheidbarkeit“ ja auch noch ein bisschen was zu verdauen hat. Man kann aber feststellen (gerade auch in der Wissenschaft), dass trotz „Ereignissen wie Einstein“ die Bereitschaft zum Verlassen ausgetretener Pfade gering geblieben ist. Zu sehr ist wohl der Erfolg des evolutionären Teils der Wissenschaft prägend und je mehr sich Bildung in einer Gesellschaft "ausbreitet", umso mehr breitet sich eben auch die Grundlage des evolutionären, wissenschaftlichen Prozesses aus und zementiert die ausgetretenen Pfade immer fester in die wahrgenommen Wirklichkeit.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
für diese zumindest mich sehr anregenden Gedanken. Ich konnte da überwiegend nur nicken - das meiste, was dazu mir im Kopf herumschwirrt, hast du selbst klar zum Ausdruck gebracht.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #23Das was die Menschen an beiden abstößt ist, dass in beiden Fällen die Ratio zum Ergebnis führt, nicht der gute Wille.
Das ist wirklich ein sehr guter Punkt. Der Zeitgeist bevorzugt das Wollen. Er verabscheut das Nachdenken, wohin das Wollen denn letztlich führen möge. Der Grund dafür ist einfach. Um Wollen zu beurteilen, braucht man nicht mehr als einen moralischen Kompass. Aber um die Wirkung des Wollens zu beurteilen, braucht man entweder Fachwissen oder Vertrauen in Menschen, die solches haben. Was natürlich die entsprechende Einsicht voraussetzen würde, die man aber leider auch nicht als gegeben ansehen kann. Das heißt: Für den Mainstream fällt ein Ergebnis um so wünschenswerter aus, desto heftiger es offensichtlich mit irgendeiner Maßnahme beabsichtigt wird. Nachdenken gilt in einer solchen Umgebung als Störfaktor und ist daher zu diskreditieren. So erklärt sich auch, dass es für eine erkleckliche Zahl von Menschen als Vorwurf gilt, wenn jemand sich einem Problem rational und nüchtern nähert. Statt mit "heißem Herzen" unbedingt das Gute schon im Ansatz zeigen zu wollen. Das ist übrigens ein Ansatz, der auch 1933 vertraut geklungen hätte.
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #23Um zu „schwurbeln“ (was der Zeitgeist gerne tut), reicht ein bisschen Bildung. Das kann heute jeder. Um axiomatisch stringent ein komplexes System zu beschreiben ist jahrelange Übung, Erfahrung und Fleiß von Nöten. Deswegen ist ersteres in Mode (es kann ja jeder) und letzteres nicht.
Siehe oben. Sprache ist geduldig. Man kann so lange mit Axiomen, reinen Behauptungen und einseitig betonten Möglichkeiten spielen, wie man will, um damit bei einem nicht vorbelasteten Zuhörer Eindruck zu schinden. Aber sich einer gut hergeleiteten Logik zu unterwerfen, traut sich auch nur der, der wirklich nach Erkenntnis strebt und sich selbst bemüht hat, diesen Erfordernissen gerecht zu werden. Ganz abgesehen von den Fähigkeiten, die dazu notwendig sind
Dennoch, in einem Punkt muss ich widersprechen:
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #23Er vertraut letztendlich auf die Wirkkraft naturwissenschaftlicher Gesetze, die sich auch im gesellschaftlichen Zusammenleben wieder finden.
Ich bezweifle sehr arg, dass naturwissenschaftliche Gesetze im Bezug auf "gesellschaftliches Zusammenleben" anwendbar sind. Schon aus rein methodischen Gründen, aber auch, weil ich der Überzeugung bin, dass die angeblichen "Gesetzmäßigkeiten" menschlichen Handelns von diversen Dingen abhängig sind. Vor allem von der jeweiligen Kultur (was natürlich seinerseits ein sehr erklärungsbedürftiger Begriff ist). Ich bin ein Fan von "Wenn-Dann"-Aussagen. Kulturelle Voraussetzungen sollten wir immer in die "Wenns" einbeziehen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
Zitat von Rayson im Beitrag #24Ich bezweifle sehr arg, dass naturwissenschaftliche Gesetze im Bezug auf "gesellschaftliches Zusammenleben" anwendbar sind. Schon aus rein methodischen Gründen, aber auch, weil ich der Überzeugung bin, dass die angeblichen "Gesetzmäßigkeiten" menschlichen Handelns von diversen Dingen abhängig sind. Vor allem von der jeweiligen Kultur (was natürlich seinerseits ein sehr erklärungsbedürftiger Begriff ist).
Ich meinte das nicht in dem Sinne, dass man die Naturgesetze oder ähnliche Regeln auf beliebige Gesellschaften anwenden kann und zu bestimmten Ergebnissen kommt, dass man also ein positives Regelwerk definieren kann, nach dem sich Gesellchaften verhalten. Wenn du dem nicht zustimmst, hast du natürlich Recht. Ich meinte es vielmehr als limitierenden Faktor. Es gibt physikalische Gesetzmäsigkeiten, die man auch in sozialen Gefügen nicht ausser Kraft setzen kann, gleichgültig in welcher Kultur man sich befindet.
Beispiel: Damit Arbeit verrichtet werden kann, braucht es in der Physik Potentialdifferenzen. Ein System wo überall der energetisch gleiche Zustand herrscht ist im wahrsten Sinne des Wortes tot. Er bedindet sich in völligen Stillstand. Die Entsprechung in einer Gesellschaft wäre ein Zustand in dem alles gleich verteilt ist, also der Traumzustand eines jeden Sozialisten. Eine solche Gesellschaft wäre nicht mehr produktiv, könnte es nicht sein. Sie befände sich ebenfalls in einem völlig unproduktiven Stillstand. Wäre tot.
De facto gibt es ja auch keine Ergebnisgleichheit in einer Gesellschaft, wenn man sich die Dinge frei entwickeln lässt (auch und gerade, wenn man für gleiche Startbedingungen sorgt). Die Natur scheint also schon vorgesorgt zu haben, dass Gesellschaften produktiv sein und damit funktionieren können. Man hat im real existierenden Sozialismus desweiteren gesehen, wie man Unproduktivität und Stillstand über erzwungene Gleichverteilung erreicht.
Dass eine Gesellschaft die anstrebt einen Zustand zu erreichen in dem alles gleich verteilt ist niemals funktionieren kann, leitet sich in meinen Augen demnach aus dem physikalischen Sachverhalt ab, dass ohne Potentialdifferenzen keine Kräfte wirken und damit keine Arbeit verrichtet werden kann. Das gesellschaftliche Ideal in Deutschland alles gleich verteilen zu wollen, kann (und sollte) man also rein mit dem Blick auf ein Naturgesetz als das erkennen was es ist: Gefährliche Traumtänzerei, wider der Wirklichkeit.
Herzlich
nachdenken_schmerzt_nicht
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