Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden  

ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 79 Antworten
und wurde 11.904 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3 | 4
Kallias Offline




Beiträge: 2.297

06.06.2014 16:00
Ursachensucher Mensch Antworten

In seinem Gastbeitrag betrachtet Ludwig Weimer, von Lichtenberg ausgehend, die Frage nach dem Verhältnis von Aufklärung und christlichem Glauben.

Simon Offline



Beiträge: 334

06.06.2014 23:04
#2 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Hocherfreut danke ich n._sch._n., dass er durch seinen Artikel und sein Nachfragen Herrn Weimer dieses reiche Opus entlockt hat: Es vermag zu erklären, warum es in der Neuzeit bis hinein in unsere Zeit zu der Krise zwischen wissenschaftlichem und theologischem Denken und Sprechen kommen konnte: Eine hausgemachte Krise einer Kirche, die nicht mehr die Kraft aufbrachte, auf der Höhe der Zeit zu leben und die Welt- und Lebenszusammenhänge überzeugend öffentlich zu artikulieren. Hilfreich finde ich den Hinweis auf den Naturwissenschaftler und Philosophen Albert den Großen und den Theologen Thomas von Aquin. Beide verstanden sich noch in ihrem Denken und Sprechen aufgrund gemeinsamer Erfahrung. Umso tiefer der Fall zu Beginn der Neuzeit seit der "Reformation" und dem Auseinanderbrechen der einen Kirche in Europa. Durch solchen Hinweis, zusammen mit dem Rückgriff auf die Zeit, in der sich die an den Gottessohn glaubenden Kirchenväter noch mit den agnostischen griechischen Philosophen verbinden konnten, erahnt man, auf welchen Dienst an der Welt Juden und Christen wieder - möglichst gemeinsam - hinsteuern müssten. Mutig und innovativ. Nicht in Scheinlösungen. - Und - und - und. - Es ist so Vieles angesprochen. Es gibt so Vieles zu entdecken. - Herzlichen Dank!
Simon

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

07.06.2014 13:15
#3 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Ein paar unerhebliche Gedankensplitter zu diesem sehr schönen Artikel, respektive zu Nowak:

Zitat
Nowak sieht in der „Kooperativen Intelligenz“ das Erfolgsgeheimnis der
Evolution




Die Evolution hat also ein "Geheimnis", also einen Plan, den sie zwar zunächst für sich behält, der aber von uns Schlauen aus dem Ergebnis - obwohl selbiges bis dato ja nur ein vorläufiges sein kann - rekonstruierbar ist. Des Weiteren wird ein "Erfolg" angestrebt, der offenbar darin besteht, dass unsereiner einigermaßen kommod und nicht gänzlich unzufrieden auf Erden herumläuft, der also zufälligerweise übereinstimmt mit dem, was UNSER Dasein ermöglicht und sogar relativ relativ gemütlich macht. Die Evolution hat also alles richtig gemacht ("Erfolg"). Der Begriff setzt zwingend sein Gegenteil als Möglichkeit voraus, sonst wüssten wir nicht, was ein "Erfolg" überhaupt ist. Für den Misserfolg indessen hat sich die Göttin Evolution dankenswerterweise nicht entschieden. Mit so was Unangenehmen wie die Theodizee muss man sich im Evolutionistencamp also nicht rumärgern. Alles, was ist, beweist den "Erfolg".

Es verwundert doch nicht wenig, dass Evolutionsnarrative vor Teleologie nur so triefen, also insinuieren, dass ein wie auch immer gearteter Geist dahinter steht. Warum kommen die Evolutionschampions auf diesen eigentlich nicht mal gelegentlich offen zu sprechen? Ihre Lösung: Wir sagen zum Weltgeist: Du heißt für uns "Zufall" .

Er mag ja so heißen wie er will, das räumt ihn ja nicht weg.


Zitat
Die Menschen, so sagte er jüngst,
beherrschten als einzige Wesen der Erde die fünf grundlegenden
Mechanismen der Kooperation, zu denen das Prinzip „Wie Du mir, so ich Dir“
genauso zählen wie die Nachbarschaftshilfe und mehr




Einzig, einzig, ja, ja….die Krone der Schöpfung (obschon "Nachbarschaftshilfe" doch 'n bissle arg niedlich klingt). Das kennt man doch irgendwoher. Nowaks friedliche Koexistenz aus Evolutionslehre einerseits und Schöpfungsglauben andererseits ist wohl doch eher 'ne veritable Heirat. In der Tat muss der Schöpfungsglaube vor den Evolutionisten nicht einknicken. Es handelt sich eigentlich nur um einen dünnen Aufguss desselben.


à propos Narrativ:


Zitat
Diese Ohnmacht bleibt, wenn kluge Leute eine Hilfe vorschlagen, aber dabei
ziemlich um den heißen Brei herum reden: Unsere Gesellschaft (z. B. ein
einiges Europa) müsste wieder einen „großen Narrativ“ finden, eine
Erzählung, die begeistert und eint. Nicht nur ganz früher hätten Mythen dies
vermocht.






Nun ja, lieber Herr Weimer, Narrative leben m.E. nicht nur von der Begeisterung - wahrscheinlich sogar eher weniger davon; vielmehr von überwundenen ehemaligen, durch abschreckende Merkmale gekennzeichnete Zustände, haben also einen negativen Einschlag.

Die Klassiker: Ehedem das Chaos, sodann das Harmonische, also der Kosmos. Ehedem das Tohuwabohu, daraufhin sprach Gott: Es werde Licht etc. etc.

Was das schnöde Europa-Ding betrifft, gibt es Tohubabohu / Chaos reichlich, um ein durchaus stattliches Narrativ zu nähren. Namentlich die Besichtigung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt den Eurokosmos hinreichend als nicht selbstverständlich erscheinen. Im Gegensatz zum Chaos-Konzept der Griechen ist praktischerweise sogar mythisches Denken entbehrlich.

Dieser Tage wurde in der Normandie wieder mal am einschlägigen Narrativ gearbeitet. Gut so. Was will man mehr.



Was den Glauben überhaupt angeht, heißt es ja nicht "puto", sondern "credo". Steht also nicht für Mutmaßungen von der Art "wie war's denn tatsächlich", welcher Wahrscheinlichkeitswert spricht historisch für dieses oder für jenes, was so behauptet wird (putare), wie wahrscheinlich sind angebliche Wunder - vielmehr geht es darum, das Herz zu verschenken (cor dare/credere) - einfach so, jemanden etwas anzuvertrauen - ohne Berechnung, ohne alles. Dazu sind wir immer noch genötigt. Trotz Aufklärung ist eigentlich so gut wie nichts aufgeklärt. Auf die Mickrigkeit unserer "Erkenntnisse" hat u.a. Heisenberg immer wieder hingewiesen, der ja nicht unbedingt zu den Doofen gehörte.


Herzlichts
Dennis

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

07.06.2014 14:38
#4 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat
Die Evolution hat also ein "Geheimnis", also einen Plan, den sie zwar zunächst für sich behält, der aber von uns Schlauen aus dem Ergebnis - obwohl selbiges bis dato ja nur ein vorläufiges sein kann - rekonstruierbar ist. Des Weiteren wird ein "Erfolg" angestrebt, der offenbar darin besteht, dass unsereiner einigermaßen kommod und nicht gänzlich unzufrieden auf Erden herumläuft, der also zufälligerweise übereinstimmt mit dem, was UNSER Dasein ermöglicht und sogar relativ relativ gemütlich macht. Die Evolution hat also alles richtig gemacht ("Erfolg"). Der Begriff setzt zwingend sein Gegenteil als Möglichkeit voraus, sonst wüssten wir nicht, was ein "Erfolg" überhaupt ist. Für den Misserfolg indessen hat sich die Göttin Evolution dankenswerterweise nicht entschieden. Mit so was Unangenehmen wie die Theodizee muss man sich im Evolutionistencamp also nicht rumärgern. Alles, was ist, beweist den "Erfolg".

Es verwundert doch nicht wenig, dass Evolutionsnarrative vor Teleologie nur so triefen, also insinuieren, dass ein wie auch immer gearteter Geist dahinter steht. Warum kommen die Evolutionschampions auf diesen eigentlich nicht mal gelegentlich offen zu sprechen? Ihre Lösung: Wir sagen zum Weltgeist: Du heißt für uns "Zufall" .



Nein, Sie irren lieber Dennis.

Das, was Sie "Evolutionsnarrativ" nennen, ist absolut nicht religiös. Menschen neigen allerdings zu einem vermenschlichendem Sprachgebrauch. Richard Dawkins ist darauf häufiger mal (von sich aus!) eingegangen. Jeder, auch er selber, neigt zu einem vermenschlichendem Sprachgebrauch, der so etwas wie einen "Willen" - ja sogar einem dem menschlichen Willen vergleichbaren Willen - eines simplen, geistlosen Naturgesetz impliziert. Obwohl dies nicht der Fall ist. Das ist nur eine sprachliche Neigung. Die Evolution hat keinen Willen und Zufall spielt nur bei der Mutation eine Rolle. Welche Mutationen bestehen hängt davon ab, wie gut sie auf die Umgebung angepasst sind. Da steckt kein Wille hinter und nur wegen umgangssprachlichen Formulierungen kann man auch nicht darauf schliesen, Evolutionsbiologen würden einen solchen hineininterpretieren. Ein Evolutionswille kommt in der Evolutionstheorie nicht vor.

Das selbe gilt übrigens auch für den Begriff "egoistisches Gen". Es ist nur eine Veranschaulichung. Ein Gen hat keinen Willen. Die Naturgesetze führen nur dazu, dass es sich verhält als wäre es "egoistisch". Daher eignet sich der Begriff zur Veranschaulichung. Das ist alles. Ein Gen hat kein Ego, keinen Willen, kein Bewusstsein. Dawkins stellt dies auch in seinen Büchern klar.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Simon Offline



Beiträge: 334

08.06.2014 23:54
#5 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Verehrte: Dennis und Techniknörgler,
Zu Ihrer Diskussion ein Beispiel eines „Evolutions-Narrativs“ aus dem Bereich der Anthropologie, das mir am heutigen Pfingstsonntag in Form einer spannenden Einleitung zu einer Pfingstpredigt eines offenbar gründlich vorbereiteten katholischen Pfarrers zu Ohren kam: Der Pfarrer erwähnte, dass Peter Handke in seinem Theaterstück: „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ (vgl. Suhrkamp 1992) - ganz ohne Worte - Figuren und Handlungen vorführe, die den Menschen an das breite Spektrum seiner Existenz erinnern. Es treten unvermittelt auf: Tarzan, Charly Chaplin, neben Abraham und Mose; der Jäger, der ´das Herz Schneewittchens in einer Glaskapsel vor sich her trägt, Papageno im Federkleid mit seinem Vogelkäfig vorbeihuschend, die Heiligen drei Könige, Darsteller und Publikum vor der Heimfahrt zur freudigen Nachfolge einladend; geschäftige Arbeiter, in sich verliebte Schönheiten, Staunende, Vergessliche, Verliebte, Verzweifelte, sich Begegnende – und immer wieder Auseinander- und Abgehende. - Der Prediger sah im Stück mit seinem bezeichnenden Titel das - zu verantwortende - Nicht-Glücken, (den "Misserfolg") der Hominisation – dargestellt in mannigfachen geschichtlichen Verhaltensweisen und Anstrengungen (die Erfahrungen in Mythen, Legenden, Märchen und biblischer Erzählkunst einbeziehend) und stellte dies dem erzählten Pfingstereignis in Jerusalem, in der „Apostelgeschichte“ des Evangelisten Lukas, gegenüber. - Sinnigerweise hat sich der Prediger diese Gegenüberstellung nicht selber ausgedacht, sondern er fand sie bei Handke (dem in seiner Jugend theologisch Gebildeten, der zuweilen auch heute noch die Paulusbriefe in der altgriechischen Ursprache liest) mitten im Stück vor. Allerdings in der Form, dass das sich anbahnende Ereignis, der erwartete und offenbar mögliche „Erfolg“, durch allerlei Umstände, menschliche Schwächen und Bosheiten nicht einstellt.- Noch nicht? Immer noch nicht? - Handkes Stück ist eine Tragikomödie, ein Spiel, das uns nicht zu bestimmten Einsichten zwingen will. - Von Albert Einstein las ich, dass er seine Wissenschaft stets als Spiel, aber ernsthaft und voller Leidenschaft, ähnlich wie sein Geigenspiel, betrieben habe – und selbstverständlich voller Achtung vor seinem jüdischen Schöpfergott.
Frohe Pfingstgrüße!
Simon

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

10.06.2014 11:45
#6 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

"Es verwundert doch nicht wenig, dass Evolutionsnarrative vor Teleologie nur so triefen" (Dennis the Menace).

Vermutlich sind die meisten "Evolutionsnarrative" nicht religiös. Ein post-religiöser ist vor allem auch der von Edward O. Wilson, dem die F.A.Z. gerade (am 10. 6. 14) zu seinem 85. Geburtstag eine Spalte gewidmet hat. Wilson gilt als der Doyen der Erforschung sozialer Insekten, besonders die Ameisen hat er untersucht. Er ist unter den Baptisten in Alabama aufgewachsen, habe aber die religiöse Erweckungserfahrung fahren lassen und sie durch den Narrativ des unerschöpflichen Naturreichs ersetzt. Vor zwei Jahren erschien seine Alterssumma "Die soziale Eroberung der Erde".

Von dem Studium der sozialen Ameisen her will Wilson der menschlichen Gesellschaft helfen, zu erkennen, was wir sind und was uns hülfe.
Denn sie haben den durchbruch zum sozialen Leben gefunden und die ganze Erde erobert. Die wechselseitige Erhellung von Ameisen- und Menschengesellschaften ist natürlich problematisch. Jeder hat mal gehört, vielleicht seien die Ameisen wie die Blutkörperchen in einem Menschenkörper, also gar keine selbständigen Tiere, sondern ein einziges Großtier aus tausenden frei wandernden Teilchen.

Ich möchte die Ergebnisse aus der Verhaltensforschung besonders erfinderischer kooperativer Ameisen kurz referieren, wie ich sie mir zusammengelesen habe:

Um zuverlässig Wasser aus dem Erdboden für die Brut herbeizutragen, darf der Weg für die Arbeiterameisen nicht zu lang sein, notfalls müssen Umwege durch Risse im Boden durch eine Brücke aus Ameisenleibern vermieden werden. Die Ameisenart Eciton burchelli in Amazonien kann Brücken und Flöße bauen, um bei der Wanderung z.B. Flüsse zu überqueren. Es wurde beobachtet, dass einzelne Tiere Löcher auf den Wanderwegen, mit ihrem eigenen Körper „stopfen“. Wenn sich zwischen Beute und Nest Unebenheiten befinden, welche die Transportgeschwindigkeit der Ameisenstraße herabsetzen, setzen sich einzelne Ameisen, die die Größe der Löcher vorher prüfen, in diese Löcher hinein und bilden lebende Brücken für die transportierenden Ameisen. Größere Löcher werden brückenartig von mehreren aneinandergehefteten Individuen „gestopft“. Viele Tausend Ameisen können sich so ineinander verhaken, dass sie eine Brücke bilden für die Zigtausend anderen. Auch die Weberameisen des Regenwaldes bilden lange Ketten aus ihren Körpern, um Blätter zu Nestern falten zu können. Auf diese Weise reichen sie von einem Blatt zum anderen und können es mit vereinter Kraft zusammenziehen. Auch die Roten Feuerameisen Solenopsis invicta können ein Rettungsboot aus ihren eigenen Körpern bauen. So überstehen sie Überflutungen in ihrem Lebensraum im brasilianischen Regenwald. Mit ihren Kiefern und Klauen haken sie sich ineinander ein. Die Forscher setzten Gruppen aus 500 bis 8000 Ameisen auf Wasser aus. Sofort bildeten die Tiere einen Klumpen. Etwa die Hälfte der Kolonie tauchte in dem Experiment unter und bildete eine Plattform, die den Rest der Gruppe trug. So könnten Tausende bis Millionen von Ameisen übers Wasser transportiert werden, ohne dass eine ertrinkt. Beim Ineinanderweben schlossen die Ameisen Luftbläschen ein. Das rettet die untergetauchten Tiere vor dem Ertrinken und gibt dem Floß zusätzlichen Auftrieb.

Mit diesem Bild der Ameisenbrücke kann man die technischen und sozialen Erfindungen der Menschheit vergleichen.
Ich will mit meinem Beitrag gerade nicht sagen, dass dieser Narrativ eine 'religiöse' Deutung erfahren muss, sondern sehe ihn zunächst ganz innerweltlich als Zeichen für die Stärke des Lebens auf diesem Planeten. Das impliziert: Wir Menschen könnten uns durch Kooperation retten. Aber wollen genügend das? Ich sage vorsichtig: Nein, im Blick auf die vergangene Geschichte. Denn wir haben etwas, das den Amseisen offenbar abgeht: Die Freiheit und die Lust auch zum Bösen. Wir sind ein größeres Abenteuer und damit eine größere Gefahr für den Planeten. Allerdings ahben wir auch die Fähigkeit, viel mehr zu erreichen als die Amseisen: nicht nur den Mond, vielleicht noch fernere Welten, sondern Kultur und Religion und und ...

Meine Antwort ist: Nicht alle, aber Minderheitsgruppen können gerade auch die Mehrheit der Menschheit mittragen, denn wir haben die Aufmerksamkeit, die Ameisen nicht haben: die Schaulust, die alles Schöne und Auffällige bemerkt und sich heimlich daran orientiert (ich nenne es vor den Theologie-Studenten den "Kilimandjaro-Effekt").

Mit dem Wort "Religion" bin ich bei meiner Hauptabsicht des Beitrags: Ich unterscheide "Religion" von "Biblischer Aufklärung", die das Religiöse überholt, überwindet und etwas Neues ist, das sie daher auch fähig macht zur Kooperation mit aufgeklärten Agnostikern. Um diesen Gedanken geht es.
Wer möchte hier mitdiskutieren?

Einladende Grüße!
Ludwig W.

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

10.06.2014 12:58
#7 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #6
Von dem Studium der sozialen Ameisen her will Wilson der menschlichen Gesellschaft helfen, zu erkennen, was wir sind und was uns hülfe.
Denn sie haben den durchbruch zum sozialen Leben gefunden und die ganze Erde erobert. Die wechselseitige Erhellung von Ameisen- und Menschengesellschaften ist natürlich problematisch. Jeder hat mal gehört, vielleicht seien die Ameisen wie die Blutkörperchen in einem Menschenkörper, also gar keine selbständigen Tiere, sondern ein einziges Großtier aus tausenden frei wandernden Teilchen.
Vor einigen Jahren hab ich mal ein Interview mit Bert Hölldobler, der gemeinsam mit Wilson die Ameisenbücher schreibt, im Spektrum der Wissenschaft gelesen. Ich war so fasziniert vom dem Menschen, das ich mir sogleich den "Superorganismus" gekauft habe. In keiner der Schriften von Hölldobler/Wilson habe ich eine Analogie zwischen Ameisenstaat und menschlicher Gesellschaft gefunden.

Daska Offline




Beiträge: 245

10.06.2014 14:08
#8 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #6
Von dem Studium der sozialen Ameisen her will Wilson der menschlichen Gesellschaft helfen, zu erkennen, was wir sind und was uns hülfe.


Bei einer Führung über einen Stamm Blattschneide-Ameisen waren wir beeindruckt über die "Arbeitsteilung", die es dort gibt. An die 40 bis 50 "Berufe" unterschied der Ausstellungs-Leiter, der uns führte. Er wollte uns eben dies demonstrieren: Die Menschen sollten doch maßnehmen am Miteinander der Blattschneide-Ameisen. Ein Detail machte uns nachdenklich: Die Blattschneide-Ameisen erkennen einander am Geruch. Entfernt sich ein Tier, aus welchen Gründen auch immer, zu weit von der Gruppe, verliert es deren spezifischen Geruch und nimmt einen anderen an. Die Folge: Findet die Ameise zurück, wird sie durch den fremden Geruch als nicht zur Gruppe gehörig identifiziert und getötet. Und aus war es mit unserer Begeisterung für den Ameisenstaat.

Simon Offline



Beiträge: 334

10.06.2014 14:13
#9 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Danke, Frau Daska. Beeindruckend!

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

10.06.2014 14:44
#10 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Eben, Kommentator(in) Daska,
das ist ein Beispiel für den Unterschied der Gattungen Ameise und homo sapiens sapiens biblicus. Der Aufgeklärt-glaubende liebt auch den Feind und führt keine (Angriffs-)Kriege. Er kooperiert w i e die Blattschneideameise, aber mit einem Ziel, das nicht nur ihm (persönlich; die Ameise ist keine Person) dient. Er handelt nicht a l s wäre er Ameise. Als Christ soll ich den andern mögen, selbst wenn ich "ihn nicht riechen kann".
Die Glaubensfreiheit bildet einen weiteren Unterschied; niemand muss zu diesem Ameisenhaufen Kirche gehören und erst recht nicht zu einem bestimmten konfessionellen und auch nicht zu einer Untergruppe. Das Christentum hat nicht nur den Personbegriff erfunden, sondern auch die individuelle Freiheit zu einem (oder zu keinem) Glauben. Das nennt die spirituelle Tradition die unterschiedliche "Berufung", weil es keine menschlich-organisierbare Verwaltungskategorie ist, sondern ein persönliches Geheimnis, eine je einmalige lebensgeschichtliche unverfügbare Entscheidung und Größe; eher ein Charisma und keinesfalls eine gesetzliche Verpflichtung.
Niemand mehr kann z. B. einer der zwölf Apostel sein, nicht einmal einer der paar tausend römisch-katholischen Bischöfe. Kein Heiliger gleicht einem anderen ganz. Originale sind gefragt.
Die Ameisen leben ihre Art und töten den fremden Eindringling. Die Christen müssen sogar den großen Ausreißer ohne Schuldvorwürfe wieder empfangen, siehe die berühmte Geschichte Jesu vom Verlorenen Sohn.

Danke auch!
Ludwig W.

Simon Offline



Beiträge: 334

10.06.2014 16:12
#11 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Ja, Herr Weimer,
aber ich fasste mich eben zu kurz:
Was mag sich alles auf der Evolutionsebene der Hominiden und ebenso noch auf der des homo sapiens sapiens an Groß- und Kleinkrieg abgespielt haben, bis man sich (auch schon vor-biblisch)- im außergewöhnlichen Fall - oder wie immer - "riechen" konnte oder riechen mochte - unter welchen Schutzvorkehrungen etc. -
Ein weites Betrachtungsfeld könnte sich auftun - bis hinein in das Experimentalfeld in der Gegenwart.

Viele Grüße
Simon

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

11.06.2014 12:14
#12 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #6

Vermutlich sind die meisten "Evolutionsnarrative" nicht religiös.


Nu ja, religiös sicherlich nicht, lieber Herr Weimer, aber sie haben eine Art hidden agenda, sprich: Einen finalistischen Humus, auf dem die Argumentationen wachsen. Über den Humus soll aber lieber nicht gesprochen werden. Es soll ja alles schön positivistisch und streng empirisch daherkommen.

Beispiel: Die Selektion (Der Schlüsselbegriff bei Darwin), also die Auswahl aus mindestens zwei Möglichkeiten, wobei die eine zu Lasten der anderen, die verworfen wird, obsiegt. Das kann nur stattfinden, wenn ein Zweck da ist, um dessentwillen die Veranstaltung, also die Auswahl, so und nicht anders sich abspielt.

Wenn der Wortsinn nicht gelten sollte, gäbe es keinen vernünftigen Grund, den Terminus zu verwenden. Ich sehe es durchaus nicht so, wie Techniknörgler in diesem Thread unter Hinweis auf Dawkins, dass uns keine andere Sprache zur Verfügung stünde, weil schlechte Gewohnheiten das nicht zulassen. Vielmehr kommt zum Tragen, dass wir den Zweckbegriff als quasi metaphysische Voraussetzung nicht aus unserem Denken entfernen KÖNNEN; bzw. wie Kant das so schön formuliert (Kritik der Urteilskraft):

Zitat
Die Urteilskraft beurteilt Naturobjekte so, als ob sie aus einer zwecksetzenden Idee abgeleitet wären, als ob die Zweckmäßigkeit in der Natur absichtlich wäre, ohne dass wir wirklich eine nach Zwecken wirkende Ursache in ihr als existierend behaupten können



Es liegt also nicht an der Sprache sondern an der Art, wie es mit unserer Urteilskraft bestellt ist, die ihrerseits wiederum die Sprache verursacht. Dass unsere Sprache ggf. "versagt" hat also Gründe, die zu untersuchen Dawkins möglicherweise nicht einfällt.

Indessen ist bei Kant das "Als-ob" (kommt ja bei ihm in vielen Zusammenhängen vor) nicht als Mängelrüge gedacht, sondern durchaus eher als eine moralisch produktive Angelegenheit, die wir nicht zu scheuen brauchen, ja gar nicht scheuen können, über deren Existenz, sozusagen als Hintergrundrauschen, aber Rechenschaft abgelegt werden muss. Daran mangelt es bei positivistischen Sichtweisen.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #6

Ich will mit meinem Beitrag gerade nicht sagen, dass dieser Narrativ eine 'religiöse' Deutung erfahren muss, sondern sehe ihn zunächst ganz innerweltlich als Zeichen für die Stärke des Lebens auf diesem Planeten. Das impliziert: Wir Menschen könnten uns durch Kooperation retten.


Auch das korrespondiert in gewisser Weise mit dem Kant'schen als-ob Ding. Die Natur sage uns irgendwie, was eine gute und was eine schlechte Idee ist. Sie weiß das irgendwie und scheidet deswegen die schlechten Ideen aus (natural selection) - das ist das Paradigma der Evolutionisten - unausgesprochen allerdings.

Leben ist irgendwie besser als Nichtleben, deswegen muss es "stark" sein. Wie schön, dass das damit korrespondiert, dass aus unserer Sicht das Leben in der Regel als angenehmer empfunden wird ist als tot sein (zwar nur prospektiv bekannt, aber gleichwohl vermutlich hässlich). Es wird also an uns gedacht. Das wiederum ist genau das, was die Christen bei Gott vermuten; wiederum so 'n komischer Zufall. Okay, es geht im Bedarfsfall auch andersrum: Die Natur handelt euthanasistisch, indem das, was weg muss, aus tatsächlich verschwindet. Wenn's passt, kann man auch das heranziehen. "Anpassung" ist jedenfalls das Vedemecum. Die Crux: diese wird keineswegs - wie behauptet - aus der Natur herausgelesen, sondern vielmehr in sie hineingelesesen BEVOR die Fossilien oder irgendwelche komischen Tiere auf den Galapagos Inseln inspiziert werden. Sozusagen ein Überprüfungsvorgang aus metaphysischer Genese, der aber unterschlagen wird und im Übrigen die Eigenschaft eines bestellten Gutachtens hat: Die Befunde sollen möglichst gut passen. Das ist die eigentliche "Anpassung" .

Die Ameisen Wilsons jedenfalls scheinen alles richtig zu machen - na ja, zum Mindesten das meiste, wenn man mal den Zwischenfall, von dem Daska im Thread berichtet , großzügig ausblendet.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #6


Von dem Studium der sozialen Ameisen her will Wilson der menschlichen Gesellschaft helfen, zu erkennen, was wir sind und was uns hülfe.



ja, aber was heißt das? Es geht jedenfalls in diese Richtung: Guckt euch die Ameisen an, wie die 's machen. So machen wir 's jetzt auch oder jedenfalls ähnlich und alles wird gut. Da muss man sich allerdings entscheiden:

1) Ameise ist Ameise und Mensch ist Mensch, die Differenzen sind konstitutiv, also geht abgucken gar nicht. Die Natur regelt das.

Insofern man dieser jedoch wirksam ins Handwerk pfuschen könnte muss

2) gelten. Der kategorische Imperativ. Hinter dem Sollen steht metaphysische Freiheit. Es kommt durchaus nicht immer so, wie es kommen muss, also geht es schon, dass wir moralisch 'n bissle ameisig werden, man muss es nur anstreben, was wir auch können, wir sind ja moralisch frei. Wohlan. Sapere aude.

Allerdings: Für 2) braucht's die Ameisen überhaupt nicht. Der kategorische Imperativ kommt ohne Ameisen aus. Es recht das nackte Sollen, also das, was übrig bleibt, nachdem man ausgeschieden hat: a) das, was ganz hübsch wäre, aber nicht geht, weil konstitutiv unmöglich und b) das, was du eh machst, weil durch Klugheitsregeln oder triebhaft animiert ( b) bei Kant: Hypothetischer Imperativ, also bedingt und insofern nicht frei).

Das Problem bei den Evolutionisten, respektive Wilson zum Beispiel, scheint mir im Wesentlichen zu sein:

1) Das ständige Verrühren von deskriptiv und präskriptiv ohne dass diese Dinger sauber auseinander gehalten werden.

2) Die positivistische Behauptung, es gäbe keine metaphysische Freiheit, obwohl man diese der Argumentation ständig kryptisch unterjubelt.

3) Befunde der Naturforschung als eine Art Empfehlung zu präsentieren, obwohl doch alles so käme, wie es kommen muss.



Ähm.... jetzt MUSS es aber so kommen, dass ich mit meinem Geschwafel nicht weiter belästige.


Herzlichst
Dennis the Menace

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 13.527

11.06.2014 12:59
#13 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #12
Beispiel: Die Selektion (Der Schlüsselbegriff bei Darwin), also die Auswahl aus mindestens zwei Möglichkeiten, wobei die eine zu Lasten der anderen, die verworfen wird, obsiegt. Das kann nur stattfinden, wenn ein Zweck da ist, um dessentwillen die Veranstaltung, also die Auswahl, so und nicht anders sich abspielt.


Nein.

Genau hier liegt ein kardinales Mißverständnis der Darwin'schen Einsicht: die Evolutionstheorie braucht eben keine teleologische Sicht. Es reicht vollkommen, wenn die drei Mechanismen: die Reproduktion, die Variation und die Selektion, wirken, um die ganze Entfaltung, die Ausdifferenzierung des Lebens zu bewirken. Zudem ist der Begriff "Selektion" höchst irreführend, weil er binär wirkt & natürlich historisch einen totalitären Beiklang hat. Es ist aber nichts als die völlig triviale Tatsache gemeint, daß manche Mitglieder einer Population mehr Gene an die nachfolgende Generation weitergeben als andere. Und schon winzige Unterschiede in diesem Verhältnis können sich, im Lauf recht weniger Generationen, signifikant auswirken. Variationsbreiten - genetisch wie phänotypisch (nota bene: Evolutionsdruck läuft nur über den Phänotyp) sind für das längerfristige Überleben einer Population unerläßlich: eine Monokultur aus Klonen hat unter den Bedingungen der Natur keine Überlebenschance. (Obstbauern & Winzer merken das im Takt von 15-20 Jahren recht herb, weil ihre Bestände durchs Klonieren eben solche Monokulturen darstellen. Die südddeutsche Weinfäule Ende der 90er ist ein Beispiel; die irische Hungerkatastrophe 1844-46 ein anderes, in diesem Fall ein tödliches.)

Bitte merken: Da "wird nichts verworfen" oder "obsiegt": wer so formuliert, dürfte den eigentlichen Kern (& das wahre Sprengpotential des Evolutionsgedankens) noch nicht erfaßt haben: daß dergleichen Konzepte im Bereich der Biologie - wie Ziel, Zweck, Sinn, Bestimmung - nicht nur falsch (im Sinn einer nicht zutreffenden Hypothese), sondern schlicht sinnlos sind.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

12.06.2014 09:36
#14 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat
Ich sehe es durchaus nicht so, wie Techniknörgler in diesem Thread unter Hinweis auf Dawkins, dass uns keine andere Sprache zur Verfügung stünde, weil schlechte Gewohnheiten das nicht zulassen. Vielmehr kommt zum Tragen, dass wir den Zweckbegriff als quasi metaphysische Voraussetzung nicht aus unserem Denken entfernen KÖNNEN; bzw. wie Kant das so schön formuliert (Kritik der Urteilskraft)



Mehrere Missverständnisse tauchen hier auf:

1. Es steht uns eine andere Sprache zur Verfüfung. Aber Umgangssprache ist so schön verführerisch. Und zwar insbesondere im Umgang mit Laien. Aber auch mit anderen Fachleuten ist die Neigung zu einem vermenschlichenden Sprachgebrauch da. In letzterem Fall ist es ja auch nicht schlimm, wir wissen ja das der Gegenüber versteht, was wir meinen und es nicht falsch interpretiert. Im Umgang mit Laien wird es problematisch, insbesondere, wenn einige Leute scheinbar aus ideologischen Gründen Missverstehen wollen.

Die Neigung zum Vermenschlichen ist Teil des Menschen, so wie das übertriebene Mustererkennungssystem, das wir bemerken, wenn wir Gesichter in Wolken sehen. Aber dieser Neigung zu folgen ist nicht alternativlos - wenn man bewusst darüber nachdenkt. Und mit ein wenig nachdenken ist uns auch klar, das uns unsere Neigung Gesichter in Wolken zu sehen in die Irre leitet - und wir wissen es besser! Wir können auch so formulieren:

"Schau mal, diese Wolkenform, die mein Mustererkennungssystem fälschlicherweiße als Gesicht identifiziert, obwohl es nur eine ganz normale Wolke ist. Geht es dir genau so?" kann man sagen. Vermutlich sagt man aber eher:

"Schau mal das Gesicht in der Wolke dort! Erkennst du es auch?"

Jeder Weiß: Da ist kein Gesicht! Letztere Formulierung hat aber neben unserer Neigung zu vermenschlichendem Sprachgebrauch noch einen Vorteil, warum wir dazu neigen sie zu verwenden: Sie ist kürzer.

2. Der Zweckbegriff liegt uns zwar als Neigung ebenfalls nahe. Unser denken ist jedoch nicht so beschränkt. Wir müssen nicht so denken. Sie auch nicht. Es gibt keinen Grund, sich das einzureden. Und selbst wenn es so wäre: Daraus würde noch kein Zweck der Evolution folgen und der Mensch könnte seine instiktive Fehleinschätzung kritisch hinterfragen. Womit es unter dem Strich auch wieder nicht mehr so denken muss.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

12.06.2014 12:12
#15 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

An dieser Stelle könnte man die derzeitige philosophische Debatte zum 'Neuen Realismus' heranziehen, die von Markus Gabriels Arbeiten beflügelt (Ha, schon wieder eine sinngebende Metapher, Entschuldigung) wird: "Warum es die Welt nicht gibt", "Der neue Realismus", "Wir Verblendeten", Artikel in DIE ZEIT 5. Juni 14, in einem halben Jahr wird erscheinen "Der Sinn der Existenz. Eine realistiscche Ontologie".

Dieser Bonner Philosoph schreibt in dem jüngsten ZEIT-Artikel über die Meinung, dass es in der Natur keine Zwecke gebe, im Zusammenhang mit der größeren Frage, ob wir überhaupt einen Zugang zur Wirklichkeit haben oder nur eine verzerrte Vorstellung von ihr gewinnen können. Er benutzt die Einsicht in die Beschränktheit unserer Erfahrung geradezu und dreht diesen Spieß um zu dem Argument: Es ist nicht zu bestreiten, dass wir P e r s p e k t i v e n und kulturelle Beobachtungsmuster haben, weil es kein Blick vom Nirgendwo her gibt, - aber daraus folge nicht, dass uns alle Wirklichkeit verborgen bleibt. "Vielmehr folgt daraus, dass wir die Dinge und Tatsachen, wie sie an sich sind, je perspektivisch auffassen."

Sein 'Neuer Realismus' will, scheint mir, die Zeitgenossen von der Verhexung durch eine übertriebene Erkenntniskritik befreien, die auch einen fundamentalistischen Sinn ihrer Methode an den Tag legen kann: Wir wüssten gar nichts Richtiges, oder alles sei nur Kopfgebilde, Spiel eines Gehirnareals, Illusion. Er selber sagt, er wolle heraushelfen aus der Ausrede für unsere Verantwortung. Und er nennt die neue postchristliche Orientierung des Schicksals an den Größen Natur, Universum, Gehirn, Gen und Evolution eine "Ideologie unserer Zeit", eine Täuschung.

Einem Realismus können wir in gewisser Weise vertrauen, wir brauchen nicht zu überdrehen: alles ist Täuschung. Das wäre wie: alles ist nur Traum. - Dann kann man nicht weiterreden.
Das heißt: Die Wiese, die ich sehe, existiert wirklich, auch wenn sie nur meinem Auge grün erscheint. Die grüne Wiese gibt es nur in meinem Kortex, aber die Wiese gibt es in der Realität.
Die Sinngebung für die Wiese oder das, was die Wiese sagt, ist perspektivisch: Dem Bauer sagt sie: Futter, dem Wanderer: Erholung fürs Auge, dem Verliebten: Schönheit. Einem Philosophen sollte sie alles zusammen sagen.

Der Zweck liegt nicht so oder so in der Natur, sondern in der Zeit der Begegnung und im Interesse des Begegnenden.
Wenn ein Astronaut von einem anderen Planeten auch nur einen Grashalm mitbrächte, wie würde der die Welt erregen. Nochmals einen Sinn offenbaren: Es gibt vielleicht sehr viel Leben im Kosmos. Wir würden optimistischer werden.
Kein anderes Lebewesen sucht das herauszufinden, nur der Mensch will es erkunden. Bevor er auch nur die geringste technische Fertigkeit hat, innerhalb einer möglichen Flugzeit eine zweite Erde zu finden, sucht er sie und setzt viel Geld dafür ein, weil er weiß, dass das Leben auf diesem Planeten endlich ist. Vielleicht kann er es woanders fortsetzen. Ein solcher "Zweck" spricht aus dem Wissen um das Schicksal der Erde.

Den meisten ist das egal, und vielleicht ist auch der Hauptbeteiligte am Raumflug die nötige Werbung zur Finanzierung der Wissenschaft. Aber ich vermute, der denkende Mensch will keine sinnlose Raumzeit. Von daher wagte ja wohl Kant seine berühmten Postulate und nicht, damit er wegen des Weltbild-Umsturzes nicht ins Gefängnis komme.

Ludwig W.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.827

12.06.2014 12:22
#16 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat von xanopos im Beitrag #7
Vor einigen Jahren hab ich mal ein Interview mit Bert Hölldobler, der gemeinsam mit Wilson die Ameisenbücher schreibt, im Spektrum der Wissenschaft gelesen. Ich war so fasziniert vom dem Menschen, das ich mir sogleich den "Superorganismus" gekauft habe. In keiner der Schriften von Hölldobler/Wilson habe ich eine Analogie zwischen Ameisenstaat und menschlicher Gesellschaft gefunden.
Ich habe das Interview auch gelesen. Hölldobler wurde etwas gefragt wie ob die menschliche Gesellschaft von den Ameisen lernen könne. Er meinte ungefähr, daß er nicht in einem Ameisenstaat leben wolle. ;)

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

12.06.2014 12:44
#17 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #16
Zitat von xanopos im Beitrag #7
Vor einigen Jahren hab ich mal ein Interview mit Bert Hölldobler, der gemeinsam mit Wilson die Ameisenbücher schreibt, im Spektrum der Wissenschaft gelesen. Ich war so fasziniert vom dem Menschen, das ich mir sogleich den "Superorganismus" gekauft habe. In keiner der Schriften von Hölldobler/Wilson habe ich eine Analogie zwischen Ameisenstaat und menschlicher Gesellschaft gefunden.
Ich habe das Interview auch gelesen. Hölldobler wurde etwas gefragt wie ob die menschliche Gesellschaft von den Ameisen lernen könne. Er meinte ungefähr, daß er nicht in einem Ameisenstaat leben wolle. ;)
Eine männliche Ameise ist lebender Samenspender, die zwar aufgepepplet wird und keinerlei Verplichtungen hat, außer am großen Tag das Nest zu verlassen sich zu paaren und dann zu sterben. Als Frau ist frau hingegen Vollzeit-ArbeiterIn-SoldatIn, oder eine Gebärmaschine (bis zu 300 Millionen Eier im Laufe des Lebens).

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 13.527

12.06.2014 12:59
#18 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Wer dem Ameisenstaat als Metapher für menschliche Gesellschaften ein wenig tiefer nachgraben möchte:

Voriges Jahr bei S. Fischer erschienen: Niels Werber: Ameisengesellschaften: Eine Faszinationsgeschichte
http://www.amazon.de/Ameisengesellschaft...02569773&sr=1-1


"Seit der Antike dienen Ameisen und ihre Formen des Zusammenlebens als Modell und Vergleich für den Menschen und seine soziale Organisation. Dabei ist das Bild der Ameisengesellschaft, in denen wir unsere Ordnungen spiegeln, äußerst flexibel und kann als Vorlage sowohl für republikanische wie monarchistische, libertäre oder totalitäre Vorstellungen einer Gemeinschaft verwendet werden. In seiner wissenshistorischen Studie verfolgt Niels Werber die wechselhafte Faszinationsgeschichte dieses Vergleichs und untersucht die Evidenzen und blinden Flecken, die er produziert."

Helmut Meyers Rezension id FAZ gibt's hier. Das geht durchaus in die "Tiefenstruktur" der Metaphorik & beschränkt sich nicht auf die plane Allegorisierung:

"Es verwundert dann gar nicht mehr so sehr, dass die Ameisen tatsächlich auch auf das soziologische Feld krabbeln konnten. Max Weber hatte die sozialen Insekten noch als Kontrastphänomen genutzt, von denen die Soziologie gerade nicht handelt, weil sie es mit Individuen als intentionalen Agenten sinnhaft orientierten Handelns zu tun habe. ... William Morton Wheelers entomologische Beschreibung des Nests als Superorganismus nimmt Elemente der Gesellschaftsmodelle von Vilfredo Pareto und Gabriel de Tarde (“Gesetze der Nachahmung“) auf und wird dann ihrerseits von Talcott Parsons ins Feld geführt, der wiederum Pate steht für Niklas Luhmanns Systemtheorie. Deren Umstellung der Grundbegriffe von Individuum und Intention auf Funktion, Kommunikation und soziale Medien kommentiert schließlich ein früher Mentor Luhmanns mit dem Hinweis, der Systemtheoretiker blicke hinein in eine Organisation wie in einen Ameisenhaufen und lasse dabei eben nicht einfach gelten, was die Ameisen über sich selbst zu sagen haben."

Ulrich Elkmann Online




Beiträge: 13.527

12.06.2014 14:13
#19 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

"was die Ameisen über sich selbst zu sagen haben..."

..läßt sich u.a. bei Ursula K Le Guin nachlesen:

"The Author of the Acacia Seeds and Other Extracts from the Journal of the Association of Therolinguistics" (1974)

("No known dialect of Ant employs any verbal person except the third person singular and plural and the first person plural. In this text, only the root forms of the verbs are used; so there is no way to decide whether the passage was intended to be an autobiography or a manifesto.")

Insektoide Intelligenzbestien eignen sich natürlich trefflich als Droh- & Spannungskulisse: Die "Bugs" in Robert Heinleins (& Paul Verhoevens) "Starship Troopers"; für "Alien" haben die leicht-unappetitlichen Reproduktionsstrategien von Schlupfwespen Pate gestanden. Mögliche menschliche Gemeinschaften, die sich am post-Wilsonschen Erkenntnisstand zur Eusozialität orientieren, sind naturgemäß rarer; eigentlich gibt es nur 2: Frank Herberts Hellstrom's Hive (1973) & die 4 Bände von Stephen Baxters Destiny's Children (2003-2006) - beide Fälle sind "wainscot societies", die bedrohlich-verborgen im Hintergrund leben; bei Herbert spielt die somatische Konditionierung à la "Schöne neue Welt" eine zentrale Rolle; Baxter hat sich an den Nacktmullen orientiert (allerdings ist sein rein-weibliches Kollektiv auf männliche Partner von außerhalb angewiesen & muss deshalb den ästhetischen Maßstäben der H.-sapiens-Männchen entsprechen ).

Die interessanteste Michampel ist übrigens ein Bewohner des virtuellen Raums: die Langton'sche Ameise - der schlichteste aller zellulären Automaten, was Gestalt (1 angeschaltetes Feld in einem Rechteckraster) & Regeln betrifft: (1) gehe nach links; außer wenn du auf 1 aktiviertes Feld triffst; (2) ändere den Status des verlassenen Feldes. Die Emse krabbelt zunächst im chaotisch anmutenden, sich ausweiteten Kreis; nach 1111 Schritten beginnt sie ein selbstreplizierendes Muster aus 111 Schritten zu bilden, das sich ohne Varianz wiederholt, jeweils und 1 diagonales Feld versetzt & den Krabbler unter Hinterlassung eines Stufenmusters pfeilgrad vom Spielfeld trägt (Animation). Egal welche Hindernisse aktiviert werden oder wie viele Ameisen durcheinander kriechen: dieses Muster stellt sich über kurz oder lang in jedem Fall ein - ohne daß dies in den Regeln festgelegt ist oder auch nur ansatzweise mathematisch beschreibbar ist (Obwohl die Einlösung dieses Desideratums mgw. doch nicht mit einer Fields-Medaille belohnt würde. Seit Stephen Wolframs anschlußlos verpuffter ToE A New Kind of Science scheinen zelluläre Automaten an intellektuellem Sexappeal verloren zu haben.) Ein schönes Beispiel für die Emergenz komplexer Strukturen & für die Kurzsichtigkeit eines Reduktionismus Laplace'scher Spielart.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

12.06.2014 21:35
#20 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

„Was die Ameisen über sich selbst zu sagen haben …“ (Niels Werber)

Beim Überblick über die interessanten Detail-Informationen, für die zu danken ist, spricht mich natürlich besonders die Warnung an: „Die vermeintliche Vorbildfunktion oder gar Autorität der Natur ist eben immer eine entliehene“; diese Einsicht werde immer wieder gern überspielt (So sagt es Helmut Mayer in seiner Rezension von: Niels Werber, Ameisengesellschaften; in der FAZ vom 21.7.13).
Es ist ein Unterschied, ob jemand das Ganze, hier das Ameisennest als vorbildlichen Ameisenstaat metaphorisiert, allegorisiert, oder ob ich eine Teil, nämlich die brücken- und floßbildenden Ameisen und auch nur einen bestimmten Zug daran wähle und eben nur aus dieser speziellen Eigenschaft zur Kooperation „Ameisenkette“ ein Gleichnis bilde für eine ebenfalls sehr spezielle menschliche Gesellschaft, nämlich die christliche Gemeinde. Diese zwei Rahmenbedingungen, die mein gewünschter Skopus benötigt, bedeuten: Ich lasse die brasilianischen Ameisen zu Christen sprechen; ich hätte auch die brasilianische Fußballmannschaft wählen können.
Gleichnisse aus der Natur gibt es in den Evangelien als Erfindungen Jesu ebenso viele wie Gleichnisse aus der Wirtschaftswelt.

Was mich aber eigentlich an den Kommentaren bewegt, ist die auffällige Tatsache: Soviel Wissen und Klugheit der Naturwissenschaftler und biologisch, technisch Interessierten! Vergleichsweise dazu ist das Wissen oder die Lust zum Kern des diskutierten Themas (Aufklärung und Sinn aus der Natur im Dialog zwischen Agnostikern und Christen) viel geringer.

Ich möchte nicht vom Ansatz ausgehen, dass die Dinge romantische Gedichte oder moralische Weisungen flüstern, wenn wir nur das Zauberwort treffen würden, sondern vom Zeitgefühl heute ausgehen, vom Schweigen der Räume und Dinge.
Aber woher sollen die Menschen ihre ethischen Maßstäbe dann nehmen? Nennen uns die Dinge keine Identität, so dass wir etwas für uns daraus lernen könnten, waren die alten Zeiten zu naiv, wenn sie Spuren zu Gesetzen aus der Welt lasen? Wenn die Natur keine Ordnung zeigt, sondern Chaos und Krieg, gibt es noch ein Naturrecht mit Sinn?
Viele bekennen sich zu einem ökologischen Gewissen, bis hin zu einer Öko-Religion und bis zu unsinniger Anbetung einer Natur, die es gar nicht gibt, weil sie sich ständig bewegt. Die Welt ist kein Museum, sondern ein Prozess.

Auch für mich ist der alte Gott tot. Nur liegt bei mir der Akzent auf dem Wort alt. Mich interessiert der weltliebende echte Gott. Ich glaube, dass man ihn suchen kann, - nicht in einem weltlosen Glaubens-Sprung aus Zeit und Raum in das Ewige, sondern in der Beschäftigung mit der Menschheitsgeschichte. Da gibt es die Juden, das einzige antike überlebende Volk, mit ihren Werten. Jesus war einer aus diesem Volk.
Mir hat Kierkegaard viel geholfen, nämlich mit seiner These, dass in der modernen Christenheit das Christentum des Neuen Testaments gar nicht da sei. Da hatte ich gleichsam die erlösende Formel für meine studentische totale Kirchenkritik, aber auch die Aufgabenstellung, das authentische zu erproben. Daraufhin ging ich die verlorene Unterscheidung zwischen Religion und biblischer Aufklärung suchen.
Es ist nicht ganz leicht, mit Zeitgenossen zu reden, auch mit ganz klugen, da sie das Christentum unter die ‚Religionen‘ rechnen müssen – weil es weithin nur so gepredigt und gelebt wird – und es von da aus scharf kritisieren können, ja dürfen. Die Begegnungslinie ist aber ganz woanders als auf der Frontlinie Religion contra Aufklärung, sie lautet für mich: Biblische Aufklärung contra Religion. Wie lautet sie für Agnostiker?
Nietzsche und Camus haben wir schon mal beide zu Freunden.

Mit Grüßen
Ludwig W.

Daska Offline




Beiträge: 245

14.06.2014 07:53
#21 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat
Ich möchte nicht vom Ansatz ausgehen, dass die Dinge romantische Gedichte oder moralische Weisungen flüstern, wenn wir nur das Zauberwort treffen würden, sondern vom Zeitgefühl heute ausgehen, vom Schweigen der Räume und Dinge.


Ich kann hier keine große intellektuelle Analyse anbieten, lediglich eine Beobachtung. Das Zeitgefühl in meinem Umfeld ist sehr stark geprägt von der Esoterik. Ich kenne drei bekennende Schamanen, davon zwei praktizierend, davon einer sein Geld damit verdienend, und das nicht schlecht. Ich kenne weitere Personen, die sich als "spürig", "hellsichtig" etc. betrachten, die für alles offen sind, was sich außerhalb der Grenzen unseres aufgeklärten Weltbildes bewegt. "Offen", das ist für jene Menschen das Zauberwort. Und eben diese Offenheit fehle den Christen. Interessanterweise beschäftigen sich viele meiner Bekannten mit Quantenphysik, zumindest mit populär-wissenschaftlichen Betrachtungen desselben, weil dort nach ihrem Verständnis die Gesetze des landläufigen Weltbildes so nicht mehr gelten würden. Die Grenzen von Raum und Zeit seien dort dort genau so aufgehoben wie bei Seelenwanderung, Reinkarnation, bei telepathischen Prozessen, bei Fernheilung etc. Mit Philosophie im engeren Sinne, mit der intellektuell verantworteten Reflexion über den Menschen, seine Grenzen, seine Welt, beschäftigen sie sich weniger. Eher damit, wie diese Grenzen erweitert werden können, beispielsweise durch neuartige, als alt apostrophierte Rituale. Mir fallen noch mehr Punkte ein, aber das sollte als erstes Mal genügen, um das Zeitgefühl zu umreißen, das mir an allen Ecken und Enden entgegen schlägt. Für mich verläuft hier die Frontlinie, von der Sie sprechen. Kennzeichen dieses Weltbildes ist die radikale Beschränkung auf das Ich des einzelnen. Wenn sie sich mit ihm beschäftigen würden, kämen die Leute, an die ich da denke, ganz gut mit Kant zurecht. Ein Wir existiert bei ihnen nur als ein Ich und noch ein Ich und noch ein Ich. ist aber nicht wirklich relevant, weil es doch jedem Ich gegeben (und damit aufgegeben ist), mit Gott, dem Universum, der Sphäre des Lichts in Kontakt zu treten. Katholisch, aber mit protestantischer Sozialisierung, konnte ich lange Zeit weder mit den Heiligen noch mit ihren Reliquien etwas anfangen. Inzwischen wird mir mehr und mehr klar, wie wichtig beides ist, für einen aufgeklärten Glauben, weil sich dadurch das Christentum in der Sphäre der Geschichte verortet, und nicht abdriftet in eine rein außerweltliche Sphäre des Lichts. Denn solange es keine Reliquien von den Bewohnern von Lemurien respektive Atlantis gibt, halte ich die Berichte über jene Inseln der Seligen für Fabeleien und esoterische Propaganda, die nicht nachprüfbar ist, weil die Orte des Geschehens eben im Meer versunken sind und sich somit alle Berichte von dort der Nachprüfbarkeit entziehen. Für das Zeitgefühl meiner Bekannten gibt es keinen Unterschied zwischen Maria, einer noridamerikanischen Muttergottheit oder der germanischen Gaia. Ein Wallfahrtsort wie Maria Eck begeistert sie genauso, aufgrund seiner Atmosphäre, wie ein neuheidnisches Feuer-Ritual mit pyramidenförmiger Feuerstelle und ausgesuchten, rein natürlichen Brennmaterialien, zu genau festgesetzten Zeiten und mit vedischen Danksprüchen, die das Ende der Zeremonie mit einem Dankspruch an Mutter Erde markieren. Da hilft wirklich nur noch der Schulterschluss mit den Agnostikern. Im übrigen sagen die Schamanen, die ich kenne, Schamanismus sei keine Religion, sondern eine Lebensweise, die jeder, unabhängig von seiner religiösen Orientierung ergreifen könne.
Vielleicht ist das nicht eine Antwort, wie Sie es sich erhofft haben, aber ein anderes Zeitgefühl, als das eben beschriebene, begegnet mir halt nicht in meinem Alltag.
Beste Grüße
Daska

xanopos ( gelöscht )
Beiträge:

14.06.2014 08:52
#22 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat
Interessanterweise beschäftigen sich viele meiner Bekannten mit Quantenphysik, zumindest mit populär-wissenschaftlichen Betrachtungen desselben, weil dort nach ihrem Verständnis die Gesetze des landläufigen Weltbildes so nicht mehr gelten würden.

Quantenphysik gehört schon seit über 100 Jahren zu unserem Weltbild. Ohne Quantenphysik keine Halbleiterbausteine, somit kein Computer, nicht einmal eine schnöde LED-Leuchte.
Und bevor der Einwand kommt, das ist alles so abstrakt und mathematisch, na dann empfehle ich mal den Damen und Herrschaften einmal in ein Lehrbuch der klassischen Mechanik oder der Elektrodynamik zu schauen.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

14.06.2014 11:51
#23 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

"Für mich verläuft hier die Frontlinie, von der Sie sprechen... Inzwischen wird mir mehr und mehr klar, wie wichtig beides ist, für einen aufgeklärten Glauben, weil sich dadurch das Christentum in der Sphäre der Geschichte verortet, und nicht abdriftet in eine rein außerweltliche Sphäre des Lichts... Da hilft wirklich nur noch der Schulterschluss mit den Agnostikern." (Daska)


Liebe(r) Daska,
gut dass Sie auf die Bedeutung der Geschichte in den jüdisch-christlichen Texten, Sagen, Legenden usw. hinweisen, d.h. des im Substrat wirklichen Geschehenseins. Denn das gehört auf die Liste der Unterschiede zwischen Religionen und biblischem Glauben.
In der typischen Religion geht es um etwas allgemein, überall und immer Praktizierbares (Gefühl, Gebet, Opfer usf.), auch wo es nur durch Schamenen und sozusagen seltene Löcher zum Himmel oder durch Boten/Engel Zugang gibt; Mythen erzählen nur scheinbar eine Anfangsgeschichte, in Wahrheit beschreiben sie in der Form des Woher eine immer und auch heute hier gültige Lebenserfahrung oder -weisheit.
Im biblischen Glauben hingegen geht es neben der mit dem Religiösen gemeinsamen Schnittfläche um etwas Neues: eine einmalige Geschichte bestimmter Menschen mit Gott, die als Offenbarungsgeschichte Gottes mit Menschen verstanden und umerzählt wurde. Jeder wichtige Schritt, jede neue Entdeckung von Werten und Aufgaben hat einen Ort in der Zeit und im Raum, eben Israel und nicht Tibet, Jerusalem und nicht Felsen in Australien. Was an diesen Orten geschah, ist natürlich eine Botschaft und eine mögliche Hilfe für den ganzen Planeten (wenn die Qualität des Entdeckten stimmt) und insofern universal (ausbreitbar).

Grüße
Ludwig W.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

14.06.2014 12:55
#24 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Zitat
Interessanterweise beschäftigen sich viele meiner Bekannten mit Quantenphysik, zumindest mit populär-wissenschaftlichen Betrachtungen desselben, weil dort nach ihrem Verständnis die Gesetze des landläufigen Weltbildes so nicht mehr gelten würden. Die Grenzen von Raum und Zeit seien dort dort genau so aufgehoben wie bei Seelenwanderung, Reinkarnation, bei telepathischen Prozessen, bei Fernheilung etc.



Und glauben Sie mir, jedem Physiker/Physikstudenten gräuselt es sich bei dieser Quantenesoterik. Nichts gegen populär-wissenschaftlche Betrachtungen, solange sie wenigstens noch populär-wissenschaftlich sind. Ich will kein falsches Urteil über ihre Bekannten abgeben, vielleicht irre ich micht, aber es klingt so aus ihrer Wiedergabe, als handele es sich nicht mehr um eine wissenschaftliche Beschäftigung. Nicht weil die über Seelenwanderung reden, sondern vor allem auch worüber sie im Gegenzug nicht reden. Schrödingergleichung? Allgemein Axiome und mathematische Beschreibungen der Theorie, mit der man vorhersagen treffen kann? Fehlanzeige. Diese "Beschäftigung mit Quantenphysik", so klingt es aus ihrer Beschreibung, ist keine Beschäftigung mit Quantenphysik, das glauben die nur. Vielmehr beschäftigen sich ihre Bekannten da wohl mit Phrasen, die sie aufgeschnappt haben und in die sie eine Bedeutung reinlegen, die da nicht drinsteckt, da sie die verwendeten Wörter mit einer andere Definition füllen. Einer eher "gefühlten" Definition.

Sie können diese "Beschäftigung mti Quantenphysik" mit großer Wahrscheinlichkeit auch in den Bereich Esoterikhörigkeit des heutigen Zeitgeistes einordnen. Ein Esoterikhörigkeit, die sich übrigens heutzutage gerne einen wissenschaftlich wirkenden Anstrich oder einen wissenschaftlichen Segen verpassen möchte. Vom Erfolg und Ruf empirische Wissenschaft möchten heute selbst sogenannte Geistheiler etwas auf sich abscheinend haben - der Okkultismus, der Anfang des 20. Jahrunderts als so unglaublich rebellisch gegen die obrigkeitsstaatliche Kirche und ihre offizielle Lehre her kam, alleine zieht heute offenbar nicht mehr ausreichend. Mag wohl daran liegen, dass nicht der Okkultismus die moderne Welt mit ihren vielen Vorzügen für Wohlstand und Lebensqualität gebracht hat, sondern offensichtliche die Natur- und Strukturwissenschaften.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Daska Offline




Beiträge: 245

14.06.2014 14:27
#25 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

Danke, werter Techniknörgler für diese Ergänzung. Das klingt mir alles sehr plausibel.

Weil’s gerade zum Thema (Naturwissenschaft und Glaube) passt, anbei ein Statement eines Theologen zur Astrologie. Zwillingsforschung, aus dem Munde eines späteren Bischofs, zur Widerlegung von horoskopischen Vorhersagen:

„Die aber heutzutage Mathematiker [gemeint sind hier mit diesem Begriff die Astrologen] genannt werden, wollen unsere Handlungen Himmelskörpern unterstellen, uns an die Sterne verschachern, und den Preis, um den wir verkauft werden, von uns einstecken. Das einzige, was man der Wahrheit gemäß in Kürze gegen sie sagen kann, ist, daß sie nur das zur Antwort geben, was sie aus dem Stand der Gestirne entnehmen. In den Konstellationen haben sie eine Einteilung getroffen: jede Sternkreisbahn hat dreihundertsechzig Teile. Die Himmelsbewegung durchläuft stündlich fünfzehn Teile, das heißt, daß fünfzehn Zeitabschnitte zu zählen sind, von denen jeder eine Stunde dauert. Jeder dieser Teile hat, wie sie sagen, sechzig Minuten. Dabei berücksichtigen sie aber die Teilung der Minuten (in Sekunden) nicht bei den Konstellationen, von denen sie ihre Voraussagungen zu beziehen behaupten."

Der Autor beschreibt hier, wie Astronomen Sternenkonstellationen berechnen. Dann folgt der Kern seines Arguments:

"Ein Beispiel zum Beweis: Die Ärzte, deren Lehre weit sicherer und handgreiflicher ist, bezeugen, daß die Empfängnis von Zwillingen aus einer einzigen Begattung erfolgt und einen Zeitraum beansprucht, der kaum zwei Sekunden dauert. Woher also kommt bei Zwillingen die große Verschiedenheit ihrer Handlungen, ihrer Geschicke und ihrer Willensregungen, wenn sie doch notwendigerweise die gleiche Konstellation der Empfängnis haben und den Mathematikern somit eine gemeinsame Konstellation darbieten, so, als wäre es die eines einzigen Menschen? Wenn sich die Mathematiker aber an die Konstellation der Geburt halten wollen, werden sie erst recht durch die Zwillinge überführt, denn diese werden meistens so rasch nacheinander aus dem Mutterschoß heraus gestoßen, daß der zeitliche Unterschied ebenfalls nur auf Sekunden hinausläuft, was von den Mathematikern bei ihren Berechnungen weder zur Kenntnis genommen wird, noch berücksichtigt werden kann."

Ist das nicht ziemlich modern und geradezu wissenschaftlich gedacht? Die Lehre der Ärzte sei "weitaus sicherer und handgreiflicher" als das Beachten von Sternenkonstellationen. Dann werden psychologische Gründe wie beispielsweise selektive Wahrnehmung ins Feld geführt, weshalb astrologischen Vorhersagen Glauben geschenkt werde:

"Dennoch wird erklärt, daß sie viel Wahres vorausgesagt hätten; das kommt wohl daher, weil die Menschen ihre Lügen und Irrtümer nicht im Gedächtnis behalten. Einzig auf das aufmerksam gemacht, was ihren Antworten entgegenkommt, vergessen sie, was mit diesen nicht übereinstimmt, und merken nur das an, was sich durch irgendeinen geheimnisvollen Zufall ereignet, keinesfalls durch ihre Kunst, die keine ist."

Der Zufall, der auch positive Ergebnisse zeitigen kann: Wie war das gleich bei der Evolution mit dem Zufall? Oder schweife ich ab?

Gegen Ende wird es für die Zunft der Schriftausleger noch einmal spannend, bezeichnet doch der Autor selbst an vielen Stellen biblische Verse als "in prophetia" aufgeschrieben:

"Wollte man solche Vorhersage ihrer [der Astrologen] Erfahrung zuschreiben, müßte man anderseits bei leblosen Pergamenten göttliche Kraft anerkennen; denn aus ihren Schriftzeichen wird oft ganz willkürlich ein Schicksal herausgelesen. Wenn es möglich ist, daß aus einem Buch ein Vers hervorgeht, der etwas von der Zukunft voraussagt, ohne daß der Schreiber dies beabsichtigt oder gar gewußt hätte, was Wunder, wenn auch aus der Geistseele eines Redenden durch Zufall und nicht durch Wissen irgendeine Vorhersage der Zukunft vernommen wird?“

Die zum Schluss aufgeführten Gedanken des Autors leiten zu einem anderen Thema über und wären einen eigenen Gastbeitrag wert: Wie ist vernünftigerweise mit schriftlichen (Glaubens-) Zeugnissen umzugehen? Ich wollte lediglich der Redlichkeit halber an dieser Stelle den Autor ausreden lassen.

Die Quelle (Dreiundachtzig verschiedene Fragen. De diversis quaestionibus octoginta tribus. Zum erstenmal in deutscher Sprache von Carl Johann Perl, Paderborn 1972, S. 61 und 63) ist über die Website der Bayrischen Staatsbibliothek kostenlos online zu lesen und birgt die eine oder andere Überraschung. Leider ging der Link in den unendlichen Weiten meines Laptops verloren, ich bin noch dabei, ihn wiederzufinden. Vielleicht kann ich ihn noch nachliefern.

Beste Grüße

Daska

Seiten 1 | 2 | 3 | 4
«« Dosenpfand
 Sprung  



Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.



Xobor Xobor Forum Software
Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz