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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 79 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

26.06.2014 12:22
#51 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #47
Wir Geisteswissenschaftler haben in der Tat das inzwischen angesammelte Wissen der Naturwissenschaftler nicht ebenbürtig studiert, sondern kapituliert und dies gerechtfertigt: Man könne nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Wir haben deren Wissen relativiert und überlassen es der Zukunft, wo die Kenntnisse vielleicht genauer sein werden. Wir unterdrücken, dass jedes Wissen unvollendet sein wird, vielleicht zu jeder Zeit, auch in 300 Millionen Jahren noch.

Das eigene Leben ist zu kurz, um beschreiben zu können, was die "Wirklichkeit" ist. Wir müssen das Wissen vieler Generationen sammeln.

Lieber Ludwig Weimer,

"unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk." Im letzten Jahrundert wurde dieses Pauluswort unzweifelhaft. Aristoteles, die Aufklärung und deren Nachfolger sind alle noch von einer Art allumfassender Philosophie (mit Physik und Metaphysik) ausgegangen; Sie, so deute ich Ihren Beitrag, ebenfalls. In den 30er Jahren wurde dieses Konzept endgültig beerdigt. Man begann sich damit abzufinden, daß es keine voraussetzungslose Erkenntnis geben kann.
In der Mathematik verlegte man sich deswegen auf die Axiomatisierung, weil sich Hilberts Programm einer voraussetzungslosen mathematischen Fundierung zerschlagen hat (Grundlagenkrise). Zur wissenschaftlichen Methode gehört es seither, bei einer Erkenntnis stets die Annahmen, auf deren Grundlage sie errungen wurde, mehr oder weniger explizit anzugeben. Die Wissenschaft beschäftigt sich also nicht mit der Wirklichkeit, sondern mit Modellen. Man kann höchstens fragen, ob die gewählen Modelle eine praktische Nützlichkeit haben. Da gibt es nun in jeder Wissenschaft die "wählbaren" Modelle: Wie praktisch ist die Modellannahme vollkommener Märkte in der Ökonomie? Wie praktisch ist die Modellannahme stetiger Naturgesetze in der Physik/im Ingenieurwesen (Quantenmechanik!)?

Dann hat jede Wissenschaft zwingende Modellannahmen, die der Disziplin ihre jeweilige Eigenheit verleihen. Diese grenzen im Grunde ein, was nicht erkannt werden kann. So beschäftigt sich die Ökonomie nicht mit der Frage nach menschlichen Handlungsmotivationen, die nicht irgendwie als Wohlfahrtsverbesserung verstanden werden können. Für den Ökonomen gibt es keinen Kranken oder Besessenen, der sich ökonomisch unsinnig verhält, weil ihn seine Krankheit oder Besessenheit dazu verleitet.
So beschäftigt sich die Mathematik nicht damit, was denn ein Punkt sei. Man verwendet Punkte intuitiv als atomare Elemente einer Menge.
So beschäftigt sich die Medizin nicht damit, was denn der Mensch sei, ob er transzendente Sehnsüchte hätte, die sein Befinden mitbestimmen: Auch wenn psychische Leiden im Zusammenhang mit Schuldgefühlen stehen können, kann die Medizin nicht sagen, man solle vermeiden, schuldig zu werden. Das Konzept gibt es nicht in dieser Disziplin. Nichtsdestotrotz gibt es Schuld.
So beschäftigt sich die Physik nicht damit, ob der kulturelle Hintergrund eines Experimentators den Ausgang eines Experiments beeinflußt.

Mann kann diese Disziplinen nicht vereinigen. Es funktioniert nicht. Es würden alle nur aneinander vorbeireden. Es ist im Gegenteil essentiell, daß sich jeder Wissenschaftler des Stückwerkcharakters seiner Disziplin bewußt ist und keine Grenzüberschreitung wagt.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

26.06.2014 12:34
#52 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #48
Weitergedacht und als Frage an die Naturwissenschaft gerichtet: Gibt es einen naturwissenschaftlichen Ansatz, der davon ausgeht, dass der Mensch einen freien Willen habe? Dass ich mehr bin, als das Produkt meiner Anlagen und Gene, meiner Umwelt und Biografie, meiner Synapsen und eingeübten Verhaltensweisen?
Nein, kann es nicht geben. Das wäre keine objektive Naturwissenschaft mehr. Es ist experimentell nicht möglich, eine Handlung aus freiem Willen (also "einfach so") von einer Handlung zu unterscheiden, die durch versteckte objektive Faktoren bestimmt ist. Beide Bestimmungsfaktoren können nicht erhoben werden. Aber man kann nur einen schätzen. Dieser eine wäre "objektiver Faktor + freier Wille". Das hat keinen Erkenntnisgewinn. Deswegen sagt man, der freie Wille existiere nicht.

Beispiel: Ein Psychologe will untersuchen, ob ein häßliches Bild ein bestimmtes, verunsichertes Verhalten erzeugt. Er wird das Bild und ein harmloses Bild den Probanden zeigen und aufnehmen, ob sie sich in bestimmter Weise verhalten, z.B. mit den Augen länger fokussieren oder nicht. Sein ganzes Experiment wäre für die Katz, wenn er einbeziehen müßte, daß diejenigen, die länger fokussiert haben, einfach so länger fokussieren wollten, ohne daß das mit dem Bild etwas zu tun hätte, sondern nur mit der Person. Letzteres wäre freier Wille. Er könnte dann nicht mehr den Effekt des häßlichen Bildes von dem Effekt des Freien Willens unterscheiden. Da helfen keine Randomisierung und keine Stratifizierung.

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

26.06.2014 13:54
#53 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #47
Wer ist aber der Mensch, der sogar den näheren Weltraum erobern will, "wirklich"?


Der Mensch ist der Teil des Universums, der es diesem ermöglicht, sich selbst zu erkennen und über sich selbst nachzudenken.

Es ist möglich, daß die Menschen nicht die einzige "Hirnzelle" (oder, wenn man möchte, das einzige "Sinnesorgan") sind - die Diskussion um die "Vielfalt der bewohnten Welten" (und dabei ist implizit stets die Frage nach "außerirdischer Intelligenz" mitgemeint) verläuft, seit die kopernikanische Wende sie möglich gemacht hat (also die Erkenntnis, daß es sich bei den Sternen um Sonnen handelt & bei den Planeten um Welten wie die Erde) in Wellen von gut einem halben Jahrhundert Dauer: das 18. Jahrhundert war sehr optimistisch (die Begründung ist zeitgemäß rein theologisch & ideengeschchtlich ein Nebengleis der "Theologia naturalis", die aus der Einrichtung der Welt & der Natur die Glaubensgewißheit begründen möchte, die die schriftbezogene Theologie nach der Frühaufklärung nicht mehr leisten kann); im frühen 19. Jh. wird der Himmel nicht nur entgöttert, sondern auch von "mitfühlenden Mitgeschöpfen" entleert; im Zug von Darwin wird die Entstehung von Leben unter halbwegs geeigneten Bedingungen wieder zur Gewißheit, mit der Bereitschaft, überall Anzeichen dafür zu sehen (vor allem auf dem Mars, mit seinen "Kanälen"). Nach dem 1. Weltkrieg kehrt der Pessimismus zurück (James Jeans und Arthur Eddington bestehen in den 20er Jahren ziemlich ex cathedra darauf, daß das Sonnensystem das einzige Planetensystem in der Milchstraße sein müßte). In den 50er & 60er Jahren nimmt der Optimismus wieder zu; 1950 entwirft Frank Drake die nach ihm benannte Gleichung, die es ermöglichen soll, die Wahrscheinlichkeit fremder Zivilisationen wenigstens ansatzweise zu überschlagen: da aber keiner der Terme darin festzumachen ist (außer der Anzahl bekannter intelligenter Spezies: 1), ist sie nur ein philosophisches Glasperlenspiel geblieben, anhand dessen man sich über die zahlreichen Bedingungen & offenen Fragen zum Thema klarwerden kann. Seit den 70er Jahren ist das Pendel wieder zurückgeschlagen: das zeigt sich exemplarisch in der (anti-Drake) Hypothese von der einsamen Erde, die, mutatis mutandis, Eddington oder auch Jacques Monods Weltsicht wieder aufnimmt (& natürlich Pascals "le silence éternel de ces espaces infinis m'effraie"). In den "Vermischten"-Spalten der Medien wird zwar das Schibboleth "flüssiges Wasser - mögliches Leben - kommen jetzt die Klingonen?" als Gewürz verwendet, um die banalen Pressemeldungen "neuer Planet nachgewiesen" wenigstens ganz leicht genießbar zu machen; aber mit der Wissenschaft & ernsthafter Reflexion des Themas hat das nichts gemein. Da dürfte Konsens herrschen, daß Intelligenzen, wenn es sie überhaupt geben sollte & sie in der Lage & dazu gewillt wären, "in Kontakt zu treten", sich im günstisgten Fall auf Funksignale beschränken müßten, mit Jahrtausenden zwischen Frage & Antwort, auf den Nachweis elektromagnetischer Signaturen im Radiospektrum oder als Laserpulse, die nichts als das bloße Vorhandensein belegen, ohne Möglichkeit eines sinnvollen Austauschs. Langer Rede kurzer Sinn: in jeder praktischen Hinsicht sind wir allein im Universum.

Daß der Rekurs auf theologische Kategorien & Weltsichten hier keinerlei Erkenntnisgewinn ermöglicht, dazu braucht es nicht Kant. Das Nachdenken über solche Dimensionen, sowohl räumlich wie in der Zeit (das "Ende des Universums"; "warum gibt es etwas und nicht etwa nichts?"), schließt sich zwar gern mit Fragen der Transzendenz kurz: eine ehrliche Antwort aus Sicht der Wissenschaften kann aber nur lauten: darüber können wir schlicht nichts aussagen (die "agnostische" Variante) oder, dezidierter: so abgeleitete Antworten sind, a priori, falsch (die "atheistische" Spielart). Dieses Denken bleibt anthropozentrisch fixiert; ohne die Akzeptanz des deus absconditus versperrt sich die Theologie den Erkenntnisgewinn in diesen Bereichen; mit seiner Hinnahme erklärt sie ihre Irrelevanz.

Diese Weltsicht hat Konsequenzen: Zum einen läßt sich die vermeintliche "Eroberung des Weltalls" nicht mehr als Hybris - himmelsstürmend oder kolonialistisch - abtun; dann erscheint sie als Versuch, die "Basis zu erweitern": nicht nur der Menschheit, sondern dem Wissen, der Erkenntnis, der Intelligenz überhaupt eine mögliche Zuflucht für den schlimmsten aller Fälle (die ja nicht undenkbare Vernichtung des Lebens auf der Erde) zu ermöglichen. Das muß nicht zeitnah geschehen; In weiter, aber durchaus bezifferbarer Zeit stellt sich das Problem sowieso: mit dem Aufblähen der Sonne zum roten Riesenstern & ihrem anschließenden Verlöschen. Legitim ist es allerdings, darauf zu bestehen, daß es für uns wenig Sinn macht, sich über die Probleme zu echauffieren, die unsere Nachfahren (ob sie nun mittels Neuronen, Schaltkreisen oder verschränkten Quantenpaaren darüber nachdenken) in Milliarden Jahren angehen müssen.

Arthur C. Clarke, der ja einer der Pioniere des "Weltraumgedankens" war, hat 1960, ganz zu Anfang des "Weltraumzeitalters" & noch von den ersten bemannten Flügen, einen kleinen Aufsatz geschrieben: "We'll never conquer space", in dem er die Illusionen einer "Eroberung des Alls" bündig ad acta legt. Da wird nichts "in Besitz genommen" und "besiedelt" werden (Clarke dachte noch an ständig bemannte Stationen auf Mond oder Mars:aber auch das wären nur symbolische Aktionen): Was bleibt, sind Satelliten, Raumsonden, Teleskope, vielleicht noch Stippvisiten, um Proben zu sammeln (& da ist man ja völlig dazu übergegangen, das den Robotern zu überlassen). Die Raumfahrt, ob sie nun bemannt oder von Automaten betrieben wird, dient, wen sie über die Erdumlaufbahn hinausreicht, schlicht einem einzigen Ziel: dem Sammeln von Wissen. Sie ist der sinnfälligste Ausdruck der curiositas, ohne jeden Beiklang von "militärisch" oder "kommerziell" oder sonstigen Schattierungen, mit denen menschliches Handeln gerne diffamiert wird. (Jules Michelet schrieb 1853 in "La Mer", Leuchttürme seien die lobenswertesten Bauwerke der Welt, weil sie weder dem Krieg noch menschlicher Ruhmsucht oder den Religionen dienten, sondern nur Leben bewahrten und den Handel sicher machten: der heutige Zeitgeist findet nichts dabei, Handel & Globalissierung umstandslos den Micheletschen Übeln zuzuschlagen; beim Blick des Hubble-Teleskops auf die "Säulen der Schöpfung" dürfte das schwerer fallen.) Es ist ein kulturkritischer Gemeinplatz, daß die Kartographierung der Erde, die Tilgung des letzten "leeren Flecken" ein perfider Aspekt der Kolonisierung durch den *Weißen Mann* gewesen sei; mittlerwile zeigt sich, daß dieses Projekt nicht mit dem Aufpflanzen der Flaggen an Nord- & Südpol vor 100 Jahren zum Abschluß gekommen ist, sondern sich bruchlos in der Kartographierung des gesamten Sonnensystems fortsetzt: Google Sky oder Digital Telescope ermöglichen jedem, auch in Wuhan oder Bangalore, virtuelle Flüge über Mond und Mars. (Genau wie die Tropenmedizin der Kolonisatoren nicht nur ihnen zugute kam, sondern auch den Einheimischen gegen Malaria und Schlafkrankheit half.) Zudem geht der Blick der Sonden ja nicht nur hinaus, sondern auf die Erde, die in vieler Hinsicht erst so überhaupt sichtbar wird, en detail - und en gros: wenn es wirklich ein Argument für die bemannte Raumfahrt gibt, dann ist es der Blick "von außen" auf die Erde; auf die einzige Oase von Leben in einem toten All: schon in den ersten Reflexionen nach der Mondumkreisung scheint das als das eigentliche Ziel dieses Unterfangens auf; am sinnffälligsten in Archibald MacLeish's (der in den USA einem poeta laureatus am nächsten kam) "Riders on Earth Together" vom 25.12.1968: "To see the earth as it truly is, small and blue and beautiful in that eternal silence where it floats, is to see ourselves as riders on the earth together" - unangenehm pathetisch, aber nicht falsch. Um die Eingangsmetapher aufzugreifen: als Merkmal, nicht für Intelligenz, aber für Selbsterkenntnis gitl gemeinhin, ob sich ein Lebewesen im Spiegel selbst erkennen kann. Mit dem Blick vom Mond hat das Leben auf der Erde in diesen Spiegel geblickt.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

26.06.2014 21:47
#54 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Mann kann diese Disziplinen nicht vereinigen. Es funktioniert nicht. Es würden alle nur aneinander vorbeireden.

Zitat



Der Mensch ist der Teil des Universums, der es diesem ermöglicht, sich selbst zu erkennen und über sich selbst nachzudenken.

Zitat



Was man nicht messen kann, kann man nicht wissen? Was man nicht messen kann, können wir (vorausgesetzt unsere vereinte Kraft) vielleicht nur nicht sicher wissen.
Das Wissen ist begrenzt, aufgespalten in lauter subjektive Zugänge zum Objekt. Sind die spezialisierten Näherungen, die Wissenschaften ‚unvereinbar‘ oder vielleicht doch nur unverschmelzbar, unvermischbar? Treffen sie wie Pfeile auf eine Zielscheibe, wenn nicht daneben, doch irgendwo eine Stelle?

Wir sind an die Erde gebunden. Aber wir können vieles denken, ohne zu reisen, uns die Erde vom Mond aus im Bild ansehen, auf dem Bett liegend sie uns von einer fernen Galaxie aus vorstellen. Wir können Perspektiven einnehmen, die unsere Einstellung verändern.

Wir kennen ein Mittel, die Spirale des subjektiven und begrenzten Verstehens der Sache mehr zu nähern, ohne freilich den hermeneutischen Zirkel je ganz knacken zu können: die Annäherung durch Versuch und Irrtums-Korrektur, durch Falsifizierung falscher Vorverständnisse, indem wir die Tatsache der kulturellen Weitergabe durch viele Generationen von Erfindern, den Raum der Zeit also, nutzen.

Nicht alles kann man falsifizieren oder verifizieren, und zwar nicht nur metaphysische Objekte wie Gott. Ist Liebe ein Abenteuer oder nur ein chemischer Trick der Natur? Existiert Schönheit an etwas oder ist sie nur eine subjektive Verklärung? Ist Herzensfreude eine Kraft, ein Lebenssaft, oder ist sie Selbstbelügung, Selbstbefriedigung, Opium gegen die absurde Existenz?

Wir sind grundsätzlich beschränkt, so wie unsere Bodenschätze es sind und weil auch die Sonne nur noch einige Milliarden Jahre als Lebensspender funktioniert. Auch unser Denken ist beschränkt. Aber Not macht erfinderisch. Wir haben Schätze gesammelt: Naturgesetze-Kenntnis, sie umgesetzt in die Technik, sammelten politisches und soziales Wissen, philosophische Lebensweisheit, Religionen, die Bibel, die Aufklärung… Damit ließe sich prächtig leben, wenn Egoismus und Lust am Bösen aussterben würden. Tun sie aber nicht.

Entweder gibt es eine ewige Wiederkehr der Dinge (Nietzsches Erschrecken) oder nicht. Wir können es nie wissen.
Es gibt keinen Grund, die Hoffnung aufzugeben, die Menschheit ließe sich zu einem besseren Miteinanderleben bewegen. Die Menschheit steckt noch in den Kinderkrankheiten und Kinderschuhen. Der Mensch wird die Erde nicht zum Paradies machen, aber auch nicht zur Hölle. Für Millionen Jahre könnte er im Schlamassel stehen bleiben. Der Überlebenswille wird bleiben. Die Sehnsucht, die Lage zu verbessern, könnte immer wieder überwiegen. Wenn Propheten und Apokalyptiker drohten und warnten, so waren sie Lehrer, Pädagogen, die das Gegenteil des Angedrohten erreichen wollten.

Zur Selbsterkenntnis: Ja, wir sind allein im Universum im Sinn einer in sinnvoller Zeit möglichen Kommunikationsmöglichkeit mit möglichen ähnlichen Wesen irgendwo im All. Aber es kann sein, dass jemand Unähnlicher, nicht an Raum und Zeit Gebundener „für uns“ diese Welt wollte, zumal die meisten bisher lebenden Völkerschaften unabhängig voneinander in verschiedener Form auf diesen Gedanken kamen. Ich nehme an, kein Tier problematisiert diesen Gedanken.

Zur Selbsterkenntnis kann auch gehören: Ich bin nicht Gott und halte das sehr gut aus. Aber warum kam z.B. ich, nachdem ich im Studium den Gottesgedanken als frühmenschheitlich-kindlichen aufgegeben hatte, wieder auf den Gedanken, dass wer Größerer Gott ist und eine Frage an mich hat? Es war kein wissenschaftliches Modell, sondern bedeutete eine Störung der Lebenspläne, wählbar war eine Willensentscheidung, und ich staunte über die Woge von bewusster Freiheit der Wahl.

Wenn auch das Universum mit sich allein ist, wäre es nach meinem Denken zugleich selbst auch ‚Gott‘. Wenn sie aber Verschiedenes sind und doch zusammen, wie ich glaube, legt mir die Logik nahe, anzunehmen, dass das Universum eher ‚in‘ Gott ist als ‚neben‘ ihm, - und dies immer unter der Voraussetzung gesagt, dass alle Formulierungen mehr Unähnlichkeit aufweisen müssen als Ähnlichkeit, weil dieses Axiom (Laterankonzil 1215) zu den Grenzen menschlicher Rede von Gott gehört.

Ludwig Weimer

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

27.06.2014 12:38
#55 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Lieber Ludwig Weimer.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #54
Was man nicht messen kann, können wir (vorausgesetzt unsere vereinte Kraft) vielleicht nur nicht sicher wissen.
Nicht sicher zu wissen, heißt glauben.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #54
Das Wissen ist begrenzt, aufgespalten in lauter subjektive Zugänge zum Objekt. Sind die spezialisierten Näherungen, die Wissenschaften ‚unvereinbar‘ oder vielleicht doch nur unverschmelzbar, unvermischbar?
Ich glaube, es verhält sich wie in meinem bereits erwähnten Bild: Wissenschaftliche Erkenntnisse sind die Vokabeln. Geisteswissenschaften sind die Grammatik, welche es möglich macht mit den Vokabeln mehr Bedeutung zu erzeugen, als nur die einfache Summe ihrer Bedeutungen.
Daher halte ich persönlich „Grenzüberschreitungen“ für wichtig. Nicht um das Vokabular zu präzisieren, sondern das Verständnis davon, was man damit formulieren kann.

Einen ganz wesentlichen Hinweis zur Naturwissenschaft hat meines Ermessens dabei Emulgator gegeben: Erkenntnis ist in Abhängigkeit zu den zugrunde liegenden Annahmen zu sehen. Man kann die Einsicht, dass es keine von Annahmen unabhängige Erkenntnis gibt, in meinen Augen gar nicht überbewerten. Letztendlich erscheint mir diese Einsicht ein Hinweis darauf zu sein, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit prinzipiell nur relativ sein kann, niemals absolut.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #54
Wir sind grundsätzlich beschränkt,
Warum sollten wir das sein? Man begegnet dem Gedanken von Beschränkung in vielerlei Zusammenhängen so oft, dass ich das Gefühl habe, er wird viel zu einfach hingenommen. Wenn es ist, wie Ulrich Elkmann sagt und wir „Teil des Universums sind , der es diesem ermöglicht, sich selbst zu erkennen und über sich selbst nachzudenken“, warum sollten wir dann per se beschränkt sein?
In einer Welt in der es nicht „nichts“ sondern im Gegenteil „etwas“ gibt, erscheint es mir irgendwie unlogisch, dass dieses „etwas“ beschränkt sein soll.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #54
Wenn auch das Universum mit sich allein ist, wäre es nach meinem Denken zugleich selbst auch ‚Gott‘. Wenn sie aber Verschiedenes sind und doch zusammen, wie ich glaube, legt mir die Logik nahe, anzunehmen, dass das Universum eher ‚in‘ Gott ist als ‚neben‘ ihm,
Wären diese beiden „Varianten“ nicht lediglich eine unterschiedliche Formulierung des gleichen Sachverhalts, bzw. lediglich das Zuweisen verschiedener „Begriffsdefinitionen“ zu den Worten „Universum“ und „Gott“? Zwei verschiedene Teile, auch unterschiedlicher Majorität, können ja durchaus ein „Ganzes“ ergeben und ob man dann Teile des Ganzen oder das Ganze zusammengenommen Universum oder Gott nennt, erzeugt keinen Erkenntnisgewinn, sondern trägt lediglich religiöser Anschauung Rechnung. Wenn aber die Begriffe "Gott" und "Universum" nur in der Unschärfe ihrer Begriffsdefinition unterschiedlich sind, was könnte dann der Satz von Ulrich Elkmann, "Der Mensch ist der Teil des Universums, der es diesem ermöglicht, sich selbst zu erkennen und über sich selbst nachzudenken." bedeuten?

Mir wird ein bisschen schwindelig, wenn ich diesen Gedanken versuche zu Ende zu denken.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

28.06.2014 11:27
#56 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Wir sind grundsätzlich beschränkt.

Zitat

Warum sollten wir das sein? (nachdenken_schmerzt_nicht)

Ich meinte damit etwas Schlichtes: Die Größe unseres Universums und die Kürze unseres Lebens erlauben uns z.B. nicht einmal, wenigstens mit einem Teil unserer eigenen Milchstraße zu kommunizieren; wir könnnen also nur physikalische Daten von dem Entfernteren sammeln. Das ist eine beschränkte Erfahrung.
Sie fragen: "Was könnte dann der Satz von Ulrich Elkmann, 'Der Mensch ist der Teil des Universums, der es diesem ermöglicht, sich selbst zu erkennen und über sich selbst nachzudenken' bedeuten?" Vielleicht genau dieses: Über den Geist des Beobachters Mensch erkennt sich der Teil des Universums, den wir kennen.
Aber Ihre Frage hat ein anderes Ziel: Wie verhalten sich Universum und 'Gott' in meiner These.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #54
Wenn auch das Universum mit sich allein ist, wäre es nach meinem Denken zugleich selbst auch ‚Gott‘. Wenn sie aber Verschiedenes sind und doch zusammen, wie ich glaube, legt mir die Logik nahe, anzunehmen, dass das Universum eher ‚in‘ Gott ist als ‚neben‘ ihm,

Mir wird ein bisschen schwindelig, wenn ich diesen Gedanken versuche zu Ende zu denken.(nachdenken_schmerzt_nicht)

Ich habe z. B. Giordano Bruno so verstanden, dass er argumentierte: Das Universum ist sehr ausgedehnt, vielleicht unendlich; sein Schöpfer, der größer und erhabener ist, müsste größer sein, also ist auch Gott (räumlich) 'ausgedehnt'. Seine analog formulierende Sprache wurde von denen missdeutet, die ihn als Ketzer verbrannten.
Darüber komme ich auf meine 'Logik'. Die Rede von einem Nebeneinander von Schöpfer und Welt kann schon etwas aussagen, nämlich: Sie sind eigene Größen und diese haben eine Beziehung zueinander (wie Sitznachbarn). Aber das ist ein kindliches Bild und außer der Unterscheidung zwischen Welt und Gott hat es keine Funktion. Gott und Welt gehören nicht auf ein und dieselbe Ebene. Man hat Gott früher über den Wolken in der Höhe gemalt (Übrigens: Bis ins späte Mittelalter wurde Gott nicht gemalt, nur seine Hand, erst spät kam die Respektlosigkeit mit dem Opa und der Tiara. In der Wenzelsbibel, der ersten deutschen Prachthandschrift kurz vor 1400, für den König Wenzel IV. von Böhmen gemalt, sieht man Gottvater im Traum Jakobs die Leiter zum Himmel halten. Es ist der Übergang von dem bloßen Arm Gottes zur Ganzgestalt.Das Laien-Stundenbuch der Brüder von Limburg für den Herzog von Berry um 1415 zeigt Gott auf dem Erdboden, solange dieser das Paradies war, in Bildern zur Heilsgeschichte ist er am Himmel abgebildet).
Die pantheistischen Philosophen und Dichter der Neuzeit haben sich wohl das Göttliche als Fluidum in allen Dingen gedacht, gleichsam als Beseelung der Materie. Das war eigentlich d i e Versuchung der deutschen Kirchenenttäuschten.
Was ich vorschlage, hat schon Augustinus angedacht (Wir seien eher in Gottes Freude als dass Gott in uns ist) und wird in der lurianisch-kabbalistischen (jüdischen) Mystik am Beginn der Neuzeit zur zweiten großen Denkmetapher neben der einer Schöpfung aus dem Nichts durch Gottes Wort.
Es geht darum, dass Gott das Andere seiner selbst, eine materielle Welt, will, um ihr Anteil an seinem Leben zu geben. Sie verschmelzen nicht. Daher ist das Bild: Gott zieht sich ein (Zimzum, Kontraktion), um der Welt einen Freiraum zu geben, wo sie sich eigenständig entfalten kann. Die Beziehung ist eng wie bei Liebenden, aber lässt das Geschöpf absolut frei. Im verwickelten Kontext bei: Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Kap. 7: Isaak Luria und seine Schule (267-314).
Der Philosoph Hans Jonas und auch einige Künstler haben dieses faszinierende Verhältnisbild aufgenommen.
Vorstellen kann man sich dieses Bild ja nicht, weil wir das 'in' nur räumlich sehen können, aber es kann helfen, die wesentliche Unsichtbarkeit Gottes und das Universum zusammenzudenken. Sonst hat man ja immer das Bild der leeren und schweigenden Räume und die Frage, ja wo ist denn der beschäftigungslose Gott? Wenn Gott als geistige Person gedacht ist wie im Jüdisch-christlichen, geht es um ein Aufgenommensein in sein Denken, Wollen und Fühlen. Vielleicht könnte man sich vorstellen: Eine Mutter denkt an ihren Sohn, der gerade mit dem Motorrad losgezogen ist; wird er lebend zurückkommen? So wären wir in Gottes Sorge.

Grüße, Ludwig W.

Daska Offline




Beiträge: 245

03.07.2014 22:41
#57 Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Lieber Ludwig Weimer,

Zitat
Die Führung Gottes ist 'nur' eine Prägung des Herzens.


formulierten Sie im Beitrag 45, in dem Sie über Formgeschichte geschrieben haben.

Ist nicht auch Ihre Aussage "formgeschichtlich" zu untersuchen? Oder meinen Sie wirklich mit Herz diesen Muskel, der da wie eine Druckpumpe funktioniert? Inwiefern sind das Leben eines Menschen und Gott wirklich kompatibel?

Je mehr ich darüber nachdenke, um so weniger glaube ich, dass sich eine Glaubensaussage durch eine rein naturwissenschaftlich nachvollziehbare Aussage ausdrücken lässt. Die einzig sinnvolle Glaubensaussage ist in der Form eines Bekenntnisses zu treffen – oder gar nicht. Und die einzige adäquate Möglichkeit, auf eine Glaubensaussage zu antworten, ist, ihr Glauben zu schenken – oder eben nicht, in aller Freiheit, tertium non datur.

Sie haben ja weiter oben (ich meine in Ihrem Beitrag über den ursachensuchenden Menschen) über die Grenzen der Exegese und der Literaturwissenschaft geschrieben. Für diese gilt der letzte Satz wohl analog. Oder kann die Erkenntnis, die Bibel sei Gotteswort in Menschenwort (bekanntlich Rahner im Kielwasser von Augustinus) anders begegnen als im Modus des Bekenntnisses? Egal, wie viele Schichten ich beispielsweise aus der vormarkinischen Passionserzählung herausschäle, am Ende bleibt die Frage: Hatte da Gott seine Hand im Spiel oder nicht? Bis hin zu der Frage, ob den Jüngern beim Schiwa-Sitzen wirklich der Auferstandene begegnet war (was der Hl. Thomas, dessen Fest heute gefeiert wird, eine Woche später nicht glauben wollte).

Es gibt einen Aufsatz von Delitzsch: Der tiefe Graben zwischen alter und moderner Theologie. Delitzsch ist der Meinung: Der Graben bleibt. Glaube und wissenschaftliche Exegese können sich asymptotisch annähern, aber einander begegnen werden sie nie.

Zitat
„Man kann innerhalb des negativen Lagers die Negation bis hart an die Grenze der Position herabmildern und innerhalb des
positiven Lagers die Position nahezu bis zum Umschlag in die Negation entkräften; die individuelle Vertretung des einen oder
anderen Standpunkts lässt eine Menge von Abstufungen und Schattierungen zu. Aber auf die Grundfrage: gibt es einen übernatürlichen
Bereich der Gnade und innerhalb derselben ein wunderbares Eingreifen Gottes in die Naturwelt, welches in centralster und entscheidungsvollster Weise sich in der Auferweckung
des Erlösers von den Toten bestätigt hat - auf diese Grundfrage kann die Antwort, mag man sich winden wie man wolle,
nur entweder bejahend oder verneinend ausfallen.
Der tiefe Graben bleibt, er wird bleiben bis ans Ende der Tage, keine Denkarbeit kann ihn ausfüllen, es gibt keine These und Antithese überbrückende Synthese.“ (Delitzsch, Franz, Der tiefe Graben zwischen alter und moderner Theologie. Ein Bekenntnis, Leipzig 1896.



Hat Delitzsch vor über 100 Jahren da etwas Richtiges gesehen, oder sind wir heute doch etwas weiter? Kein Reden mehr von der Übernatur, lediglich noch naturwissenschaftlich anerkannte Rede, die biblischen Geschichten formgeschichtlich entschärft – und dann kommen wir doch "nur" bis zum "Herz", als "Prägeort"? Mögen sich andere darüber streiten, ob es sich hier um allegorische oder metaphorische oder bekenntnishafte Sprache handelt: Es ist nicht die Sprache, die ein Medizinstudent im Physicum verwenden sollte. Dann wären wir doch nicht über Delitzsch hinausgekommen, und der Graben bleibt?

Beste Grüße
Daska

Simon Offline



Beiträge: 334

03.07.2014 23:58
#58 RE: Ursachensucher Mensch Antworten

["Der Philosoph Hans Jonas und auch einige Künstler haben dieses faszinierende Verhältnisbild aufgenommen.
Vorstellen kann man sich dieses Bild ja nicht, weil wir das 'in' nur räumlich sehen können, aber es kann helfen, die wesentliche Unsichtbarkeit Gottes und das Universum zusammenzudenken. Sonst hat man ja immer das Bild der leeren und schweigenden Räume und die Frage, ja wo ist denn der beschäftigungslose Gott? Wenn Gott als geistige Person gedacht ist wie im Jüdisch-christlichen, geht es um ein Aufgenommensein in sein Denken, Wollen und Fühlen. Vielleicht könnte man sich vorstellen: Eine Mutter denkt an ihren Sohn, der gerade mit dem Motorrad losgezogen ist; wird er lebend zurückkommen? So wären wir in Gottes Sorge." ](Weimer)
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»Wenn mein Vater mit mir geht,
dann hat alles einen Namen.
Vogel, Falter. Baum und Blume.
Wenn mein Vater mit mir geht,
ist die Erde nicht mehr stumm.
Kommt die Nacht und kommt das Dunkel,
zeigt mein Vater mir die Sterne.
Er weiß, wie die Menschen leben,
weiß, was recht und unrecht ist,
sagt mir, wie ich werden soll. «
(Josef Guggemos)

Dieses schlichte Kindergedicht hütete ich über viele Jahre in einer Sammlung anderer ausgewählter Kindergedichte. - Ich meine: Es ist eine eindrucksvolle Analogie zum "Aufgenommensein" in "Gottes Sorge", "in sein Denken, Wollen und Fühlen".

Viele Grüße
Simon

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

04.07.2014 09:42
#59 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #57
Hat Delitzsch vor über 100 Jahren da etwas Richtiges gesehen, oder sind wir heute doch etwas weiter?

Liebe Daska,

wenn ich mir erlauben darf, meine Gedanken hierzu zu äußern:

Glauben heißt nicht zu wissen. Und wo man „nicht weiß“, bleibt nur zu glauben oder eben nicht.

Die Fragestellung auf die Delitzsch versucht eine Antwort zu geben, erscheint mir die zu sein, welche Lichtenberg formulierte, als er danach fragte ob der Mensch grundsätzlich dazu imstande ist die „Schöpfung“ zu verstehen.
Könnten wir es, müssten wir nicht mehr glauben – wir wüssten. Könnten wir es nicht, bliebe nur der Glaube oder seine Ablehnung. In diesem Fall hätte Delitzsch sicher grundsätzlich Recht: Glaube und Wissen können in einer Synthese nicht überbrückt werden. Sie sind entweder das eine oder das andere. Können sich aber auch nicht ausschließen.
Wir haben heute mehr Wissen denn je. Sagen, ob das Wissen dem Glauben irgendwann den „letzten Schatten zum Verstecken“ nimmt, können wir aber nicht.

Ich halte es sogar für unwahrscheinlich, dass dies irgendwann geschehen wird, weil ich mir nicht vorstellen kann wie der Mensch in eine Lage kommen sollte, in der er nicht mehr die Existenz von etwas postulieren kann, das er nicht versteht. Mir erscheint das ist immer möglich. Und so würde ich Delitzsch verstehen.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

04.07.2014 12:12
#60 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Beste Daska,

es geht bei dem Versuch zur Erkenntnis des Objektiven, ob dieses Es nun Seiendes wie der Kosmos ist oder ein Sein von etwas Metaphysischem wie Gott, immer nur um subjektive Erkennntis; diese Erkenntnisschranke bedeutet eine Revolution: Ich kann auch nie wissen, was Gott will oder ob und wie er vielleicht in der Raumzeit handelt, sondern ich kann mir immer nur eine Vorstellung bilden, wie i c h mir das vorstellen könnte, wie er eingreifen kann.

Ich muss es mir natürlich mit den Mitteln meines naturwissenschaftlichen und philosophischen Weltbilds vorstellen, daher kann ich als Zeitgenosse nicht mehr alte Bilder verwenden, die mir heute als kindlich erscheinen (wie: Gott gieße Gnade ein, Gott steuere das Schicksal - o weh, da käme er schlecht weg; wenn auf dem Friedhof die Veteranen rührselig sangen "Eine Kugel kam geflogen / gilt sie mir oder gilt sie dir? / Sie hat ihn weggerissen / er liegt zu meinen Füßen ...", habe ich den Sinn des Dankes für die eigene Rettung schon als Ministrant mitleidend-ironisch bezweifelt).

So bedeutet 'Er führt das Herz' ausgewalzt: Ich stelle mir vor, was Sein Wille sein könnte, ich prüfe es, da ich weiß, wie oft Menschen eigene Wünsche mit Gottes Willen verbrämten, ich vergegenwärtige mir die Leistungen in Sachen Unterscheidung-der-Geister bei großen selbstlosen Meistern, und dann gehe ich hin und tue es, führe es durch auf eigene Kosten, was ich für den Willen Gottes erkannte, weil dieser - gemäß meines Weltbilds - nicht anders eingreifen und helfen kann als durch Menschen. Das 'Herz' meint hier immer das Gewissen.

Ich könnte auch sagen: Religionskritisch und erkenntniskritisch ist das Bittgebet nichts anderes als die Arbeit an meinem egoistischen Herzen, mein Wollen mit dem guten, aber lästigen Willen Gottes zu einen. Auch ein Fürbittgebet kann ich sinnvoll nur sprechen, wenn ich bereit bin, das selber zu tun, was ich Gott vorschlage, er möge es für die Armen, Kranken usw. tun. Etwas weicher gesagt: Natürlich genügt es für den Hausgebrauch, wenn ich um diesen Grundrahmen weiß, dann kann ich auch die Fürbitten auch ganz einfach so sprechen und hören, dass eine Gemeinschaft sich vor Gottes Antlitz erinnert, wen Armen sie auf der Welt nicht vergessen darf. Deshalb sollte man aber lieber mehr in der Nähe bleiben, das Elend des Globus kann niemand schultern.

Die "Prägung des Herzens" durch Gott geschieht also auf die Weise, dass Gläubige sich einüben in die Beispiele von Rettergestalten und guten Taten, die sie z. B. aus der Bibel studieren. Es ist ein Empfangen und Hereinlassen ins Herz neben den eigenen Sorgen, mit Leistung hat es weniger zu tun als vielmehr mit dem Augenöffnen, mitleiden Können.

Das 'ist nur' in meiner Argumentation hat nicht den relativierenden Sinn von einem "ist nichts anderes als", sondern dient dem Mut zu theologischer Rede nach der von Kant ausgedeuteten Erkenntnisschranke und nach der Nach-Auschwitz-Mahnung von Adorno.
Die gesalbaderte "Ohnmacht Gottes" ist im Klartext hingegen wirklich im härtesten Sinn 'nichts anderes als' die klägliche Ausrede von Christen, und sie könnte nur entschuldigt werden durch das Eingeständnis "Wir waren theologisch nicht aufgeklärt und politisch unmündig, wir waren die Katastrophe".

Dass Wissen und Glauben sich ausschließen, wurde schon von Nachdenkenschmerztnicht erläutert. Glauben und Verstand gehören hingegen im Christentum zusammen, so wie Gnade und Geschichte, oder wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, als lebenschaffende Polarität.

Herzlich
Ludwig W.

Simon Offline



Beiträge: 334

05.07.2014 15:56
#61 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat:

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #60
Beste Daska,

es geht bei dem Versuch zur Erkenntnis des Objektiven, ob dieses Es nun Seiendes wie der Kosmos ist oder ein Sein von etwas Metaphysischem wie Gott, immer nur um subjektive Erkennntis; diese Erkenntnisschranke bedeutet eine Revolution: Ich kann auch nie wissen, was Gott will oder ob und wie er vielleicht in der Raumzeit handelt, sondern ich kann mir immer nur eine Vorstellung bilden, wie i c h mir das vorstellen könnte, wie er eingreifen kann.

Ich muss es mir natürlich mit den Mitteln meines naturwissenschaftlichen und philosophischen Weltbilds vorstellen, daher kann ich als Zeitgenosse nicht mehr alte Bilder verwenden, die mir heute als kindlich erscheinen (wie: Gott gieße Gnade ein, Gott steuere das Schicksal - o weh, da käme er schlecht weg; wenn auf dem Friedhof die Veteranen rührselig sangen "Eine Kugel kam geflogen / gilt sie mir oder gilt sie dir? / Sie hat ihn weggerissen / er liegt zu meinen Füßen ...", habe ich den Sinn des Dankes für die eigene Rettung schon als Ministrant mitleidend-ironisch bezweifelt).

So bedeutet 'Er führt das Herz' ausgewalzt: Ich stelle mir vor, was Sein Wille sein könnte, ich prüfe es, da ich weiß, wie oft Menschen eigene Wünsche mit Gottes Willen verbrämten, ich vergegenwärtige mir die Leistungen in Sachen Unterscheidung-der-Geister bei großen selbstlosen Meistern, und dann gehe ich hin und tue es, führe es durch auf eigene Kosten, was ich für den Willen Gottes erkannte, weil dieser - gemäß meines Weltbilds - nicht anders eingreifen und helfen kann als durch Menschen. Das 'Herz' meint hier immer das Gewissen.

Ich könnte auch sagen: Religionskritisch und erkenntniskritisch ist das Bittgebet nichts anderes als die Arbeit an meinem egoistischen Herzen, mein Wollen mit dem guten, aber lästigen Willen Gottes zu einen. Auch ein Fürbittgebet kann ich sinnvoll nur sprechen, wenn ich bereit bin, das selber zu tun, was ich Gott vorschlage, er möge es für die Armen, Kranken usw. tun. Etwas weicher gesagt: Natürlich genügt es für den Hausgebrauch, wenn ich um diesen Grundrahmen weiß, dann kann ich auch die Fürbitten auch ganz einfach so sprechen und hören, dass eine Gemeinschaft sich vor Gottes Antlitz erinnert, wen Armen sie auf der Welt nicht vergessen darf. Deshalb sollte man aber lieber mehr in der Nähe bleiben, das Elend des Globus kann niemand schultern.

Die "Prägung des Herzens" durch Gott geschieht also auf die Weise, dass Gläubige sich einüben in die Beispiele von Rettergestalten und guten Taten, die sie z. B. aus der Bibel studieren. Es ist ein Empfangen und Hereinlassen ins Herz neben den eigenen Sorgen, mit Leistung hat es weniger zu tun als vielmehr mit dem Augenöffnen, mitleiden Können.

Das 'ist nur' in meiner Argumentation hat nicht den relativierenden Sinn von einem "ist nichts anderes als", sondern dient dem Mut zu theologischer Rede nach der von Kant ausgedeuteten Erkenntnisschranke und nach der Nach-Auschwitz-Mahnung von Adorno.
Die gesalbaderte "Ohnmacht Gottes" ist im Klartext hingegen wirklich im härtesten Sinn 'nichts anderes als' die klägliche Ausrede von Christen, und sie könnte nur entschuldigt werden durch das Eingeständnis "Wir waren theologisch nicht aufgeklärt und politisch unmündig, wir waren die Katastrophe".

Dass Wissen und Glauben sich ausschließen, wurde schon von Nachdenkenschmerztnicht erläutert. Glauben und Verstand gehören hingegen im Christentum zusammen, so wie Gnade und Geschichte, oder wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, als lebenschaffende Polarität.

Herzlich
Ludwig W.


Dass Wissen und Glauben sich ausschließen, wurde schon von Nachdenkenschmerztnicht erläutert. Glauben und Verstand gehören hingegen im Christentum zusammen, so wie Gnade und Geschichte, oder wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, als lebenschaffende Polarität.

Lieber Herr Weimer,
1. diese Stellungnahme zum Gegensatz von "Wissen und Glauben" scheint mir ein wenig kurz geraten zu sein. Muss nicht doch bedacht sein, worauf Dennis in einem Beitrag gleich zu Anfang dieses Themas (schon einmal) hingewiesen hat: auf den Unterschied von "puto" und "credo" ?

Das puto (ich vermute, ich "glaube") würde dem skeptischen Satz im Bayrischen Dialekt entsprechen: "Nix g´wieß woaß ma net." Das credo (im Christentum) vielleicht dem persönlich zugewandten: "I mog di", wobei im Gegenüber schon ein gewisses Maß an bekanntem Wissen vorausgesetzt ist.

2. Wäre folgendes damit gemeint?

Zitat:
Die "Prägung des Herzens" durch Gott geschieht also auf die Weise, dass Gläubige sich einüben in die Beispiele von Rettergestalten und guten Taten, die sie z. B. aus der Bibel studieren. Es ist ein Empfangen und Hereinlassen ins Herz neben den eigenen Sorgen, mit Leistung hat es weniger zu tun als vielmehr mit dem Augenöffnen, mitleiden Können.
[quote="Ludwig Weimer"|p113422]

Die Frage noch einmal präzisiert am Beispiel vom Vater im Kindergedicht von Guggemos: Der Vater muss sich (also) in der genannten Weise schon eingeübt haben, damit er dem Kind - in diesem allegorisch umfangreichen Sinne - christlich-gläubig "nützlich" sein kann!?

Ich bin schon unsicher geworden, ob das Analogon im Vergleich zu Ihrem - von der sich sorgenden Mutter - überhaupt brauchbar genannt werden kann.

Beste Grüße
Simon

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

06.07.2014 22:32
#62 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #59
Zitat von Daska im Beitrag #57
Hat Delitzsch vor über 100 Jahren da etwas Richtiges gesehen, oder sind wir heute doch etwas weiter?

Liebe Daska,

wenn ich mir erlauben darf, meine Gedanken hierzu zu äußern:

Glauben heißt nicht zu wissen. Und wo man „nicht weiß“, bleibt nur zu glauben oder eben nicht.

Die Fragestellung auf die Delitzsch versucht eine Antwort zu geben, erscheint mir die zu sein, welche Lichtenberg formulierte, als er danach fragte ob der Mensch grundsätzlich dazu imstande ist die „Schöpfung“ zu verstehen.
Könnten wir es, müssten wir nicht mehr glauben – wir wüssten. Könnten wir es nicht, bliebe nur der Glaube oder seine Ablehnung. In diesem Fall hätte Delitzsch sicher grundsätzlich Recht: Glaube und Wissen können in einer Synthese nicht überbrückt werden. Sie sind entweder das eine oder das andere. Können sich aber auch nicht ausschließen.
Wir haben heute mehr Wissen denn je. Sagen, ob das Wissen dem Glauben irgendwann den „letzten Schatten zum Verstecken“ nimmt, können wir aber nicht.

Ich halte es sogar für unwahrscheinlich, dass dies irgendwann geschehen wird, weil ich mir nicht vorstellen kann wie der Mensch in eine Lage kommen sollte, in der er nicht mehr die Existenz von etwas postulieren kann, das er nicht versteht. Mir erscheint das ist immer möglich. Und so würde ich Delitzsch verstehen.

Wenn Sie, lieber nachdenken_schmerzt_nicht, Glaube nicht nur in seiner rein religiösen Variante mit dem Wissen vergleichen, sondern in seiner Eigenschaft als Wahrscheinlichkeitsvermutung, haben Sie sehr schnell eine Synthese vorzuliegen.
Mehr noch:
Sie werden vielleicht sogar feststellen, dass es ohne Glaube gar kein Wissen geben kann. Denn jede Hypothese benötigt den Glauben an ihre Gültigkeit wie auch den an ihre Widerlegbarkeit.
Verstünden wir also die Schöpfung, wäre auch dies nur eine Hypothese. Widerlegbar. Und beileibe nicht das Ende der Suche nach Erkenntnis.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

06.07.2014 23:20
#63 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #62
Denn jede Hypothese benötigt den Glauben an ihre Gültigkeit wie auch den an ihre Widerlegbarkeit.


In der Brainstorming-Phase nicht. Erst hinterher dient das als brauchbarer Test, um es sich lohnt, sie weiterzuverfolgen. Die Hypothesen von der Existenz außerirdischer Intelligenz oder auch der Idee, daß die von uns erfahrene Wirklichkeit eine Simulation sein könnte (à la Matrix), sind solche unfalsifizierbaren Postulate (von dem Gros aller theologischen Positionen mal ganz abgesehen). Das hat aber noch keinen Großen Geist gehindert, darauf Pirouetten zu drehen.

Die Wanderanekdote ist natürlich nicht belegt, zumeist wird sie entweder Niels Bohr oder Max Planck zugeschrieben, oft mit dem Zusatz: "Ich habe es selber letztens aufgehängt":

http://www.bibelstudium.de/index.php?art...nd+das+Hufeisen

Der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli besuchte einmal Niels Bohr, der ebenfalls Physiker und Nobelpreisträger war. Pauli sah, dass Bohr ein Hufeisen über der Tür hängen hatte. „Professor!", sagte er. „Sie? Ein Hufeisen? Glauben Sie denn daran?" Niels Bohr soll geantwortet haben: „Natürlich nicht. Aber wissen Sie, Herr Pauli, es soll einem auch helfen, wenn man nicht daran glaubt."


“The good thing about science is that it's true whether or not you believe in it.” ― Neil deGrasse Tyson

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.254

07.07.2014 03:01
#64 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #63
Die Wanderanekdote ist natürlich nicht belegt, zumeist wird sie entweder Niels Bohr oder Max Planck zugeschrieben, oft mit dem Zusatz: "Ich habe es selber letztens aufgehängt":

http://www.bibelstudium.de/index.php?art...nd+das+Hufeisen

Der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli besuchte einmal Niels Bohr, der ebenfalls Physiker und Nobelpreisträger war. Pauli sah, dass Bohr ein Hufeisen über der Tür hängen hatte. „Professor!", sagte er. „Sie? Ein Hufeisen? Glauben Sie denn daran?" Niels Bohr soll geantwortet haben: „Natürlich nicht. Aber wissen Sie, Herr Pauli, es soll einem auch helfen, wenn man nicht daran glaubt."


Die Anekdote passt bestens zu Niels Bohr, der 1937 China besucht hat, um dann zehn Jahre später seinen Elefantenorden mit dem Spruch: „contraria sunt complementa“ zu ziehren.

--
Political language – and with variations this is true of all political parties, from Conservatives to Anarchists – is designed to make lies sound truthful and murder respectable, and to give an appearance of solidity to pure wind – Eric A. Blair

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.07.2014 06:35
#65 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #63
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #62
Denn jede Hypothese benötigt den Glauben an ihre Gültigkeit wie auch den an ihre Widerlegbarkeit.


In der Brainstorming-Phase nicht.

Das trifft vielleicht nicht auf jede wissenschaftliche Arbeit zu, aber eben auch auf diese Phase:

Zitat von http://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_...smus#Metaphysik
Popper war außerdem der Auffassung, dass auch rein metaphysische Sätze Sinn haben. Sie sind Mythen und Träume, die der Wissenschaft durch ihre schöpferische Kraft helfen, neue Probleme zu entdecken, neue, falsifizierbare Theorien zu konstruieren und sich somit selbst Zwecke und Ziele zu geben. Er nannte sie metaphysische Forschungsprogramme, und führte die aus seiner Sicht zehn wichtigsten an:[37]

Die Vorstellung des Universums als gleichförmige, unabänderliche Sphäre (Parmenides)
Die Atomvorstellung
Das Geometrisierungsprogramm (Platon und andere)
Die Konzepte der Wesenseigenschaften und Potenzen (Aristoteles)
Die Physik zur Zeit der Renaissance (Kepler, Galileo und andere)
Die Uhrwerktheorie des Universums (Descartes und andere)
Die Theorie, dass das Universum aus Kräften besteht (Newton, Leibniz, Kant und Boscovich)
Die Feldtheorie (Faraday und Maxwell)
Die Idee eines einheitlichen Felds (Einstein und andere)
Die indeterministische Partikeltheorie (so wie in Borns Interpretation der Quantentheorie)


Ich will es mal so ausdrücken:
Ich teile Karl Poppers Ansicht.

Viele Grüße, Erling Plaethe

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




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07.07.2014 12:13
#66 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #62
Sie werden vielleicht sogar feststellen, dass es ohne Glaube gar kein Wissen geben kann. Denn jede Hypothese benötigt den Glauben an ihre Gültigkeit wie auch den an ihre Widerlegbarkeit.
Muß man dazu glauben im eigentlichen Sinne? Eigentlich aktzeptiert man doch viel mehr, wie Wissenschaft (empirisch gesehen) funktioniert.

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #62
Verstünden wir also die Schöpfung, wäre auch dies nur eine Hypothese. Widerlegbar. Und beileibe nicht das Ende der Suche nach Erkenntnis.
Ich fühlte mich mit meinen eigenen Gedanken nicht wirklich wohl (weil ich mir einen "Zustand ohne offene Fragen, trotz aller Phantasie nicht vorzustellen in der Lage bin) und Sie bringen das für mich nochmal wunderschön auf den Punkt.
Implizit bin ich bisher davon ausgegangen, dass das "Verstehen der Schöpfung" etwas wäre, was vom heutigen Wissenschaftsbild abweicht, also keine Hypothese, sondern absolute Erkenntnis, frei von Zweifeln. Das war mir persönlich in meinem Gedanken gar nicht klar. Und wahrscheinlich ist das genau der Punkt: Macht eine solche Sicht überhaupt Sinn? Kann es ein solches Verständnis, eine Erkenntnis abseits von Hypothese und Verifizierung/Falszifizierung, eine "absolute Erkenntnis" überhaupt geben? Es ist im Prinzip die Vorstellung von etwas, dass es nicht gibt. "Nicht geben" in dem Sinne, dass es noch niemals beobachtet wurde.

Es ist, als wollte man darüber befinden, ob es Gespenster gibt. Solange man keines gesehen hat, bleibt zu glauben. Wenn man eines gesehen hat, bleibt zu glauben, ob man wirklich eines sah. Die Erkenntnis kann nicht sicher sein, weil ich immer die Quelle der Erkenntnis hinterfragen kann. So verstehe ich Sie zumindest und Sie haben damit wohl Recht.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ulrich Elkmann Offline




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07.07.2014 12:45
#67 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #66
Es ist, als wollte man darüber befinden, ob es Gespenster gibt. Solange man keines gesehen hat, bleibt zu glauben. Wenn man eines gesehen hat, bleibt zu glauben, ob man wirklich eines sah.


Eine Dissertation zum Komplex, schon etwas älter:


De non rescindendo contractu conductionis ob metum spectrorum. Dissertatio inauguralis iuridica die 10. Aprilis M DCC XI submittit Jacob Immanuel Hamilton aus Pommern. Halle, Typis Joh. Christiani Hendelii, Acad. Typogr., 1732.
8vo. Titelblatt, 46 S. Die Untersuchung behandelt die Frage, ob einer einem andern wegen Furcht vor Gespenstern die Hausmiete wirde aufsagen könne?


Hier zum Nachlesen: http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/54346/1/
S.1: "Ante omnia videndum de quæstione præjudiciali, an sint spectra? Ubi prima cautio, nequis præcipitanter eos, qui de existentia spectrorum dubitant aut eam negant, atheismi & impietatis arguat, cum etiam viri pii & probi omnibus temporibus, maxime autem post exortam lucem Evangelii fuerint, qui non absque rationibus in hanc sententiam inclinaverunt."

(Wohlgemerckt: es geht nicht um die Existenz von Gespenstern, sondern um die Furcht vor ihnen. Da die Arbeit im Umfeld der Thomasius'schen Frühaufklärung in Halle gebaut worden ist, dürfte das Fazit ein krachendes "Nein" sein: non rescindendo.)

Erling Plaethe Offline




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07.07.2014 20:06
#68 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #66
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #62
Sie werden vielleicht sogar feststellen, dass es ohne Glaube gar kein Wissen geben kann. Denn jede Hypothese benötigt den Glauben an ihre Gültigkeit wie auch den an ihre Widerlegbarkeit.
Muß man dazu glauben im eigentlichen Sinne? Eigentlich aktzeptiert man doch viel mehr, wie Wissenschaft (empirisch gesehen) funktioniert.

Wenn Mythen und Träume, wenn das spekulative Denken, Intuition, Zufälle und Geistesblitze den kreativen Prozess beeinflussen und Theorien zu einem wesentlichen Teil frei erfunden sind, was, wenn nicht der Glaube, läßt einen daran festhalten, damit es überhaupt falsifiziert werden kann? Dass es als "würdig" erachtet wird, falsifiziert zu werden?

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #66
Die Erkenntnis kann nicht sicher sein, weil ich immer die Quelle der Erkenntnis hinterfragen kann. So verstehe ich Sie zumindest und Sie haben damit wohl Recht.

Ja, Sie verstehen mich, lieber nachdenken_schmerzt_nicht.
Interessant finde ich an der Vorstellung vom Verstehen der Schöpfung als eine absolute Erkenntnis, die Parallele zum religiösen Glauben. Propheten der Religionen, und das was ihnen zugeschrieben wird, gelten als unfehlbar.

Hier zeigen sich zwei völlig verschiedene Arten der Gemeinsamkeit von Wissen und Glauben.
Die eine, welche dem Glauben als Metaphysik in der wissenschaftlichen Erkenntnis den Platz einräumt, der ihm realistischerweise zusteht, solange er bereit ist, sich in Frage zu stellen.
Und der andere, welcher von der Wissenschaft entweder im hier und jetzt, oder in der Zukunft, eine Unfehlbarkeit erwartet, wie sie den Propheten des Glaubens zu eigen gemacht werden.

Zwei Wege und zwei völlig verschiedene Ergebnisse. Auf dem einen geht der Glaube in der Erkenntnis auf, während der andere Weg die Erkenntnis im Glauben aufgehen sieht.
Wie die Theorie vom menschengemachten Klimawandel...

Viele Grüße, Erling Plaethe

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




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07.07.2014 23:03
#69 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #68
Interessant finde ich an der Vorstellung vom Verstehen der Schöpfung als eine absolute Erkenntnis, die Parallele zum religiösen Glauben.
Danke für diesen Augenöffner.

Es erstaunt mich immer wieder, wie es mir ein Leichtes ist, das Offensichtlichste zu übersehen.

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ludwig Weimer Offline



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08.07.2014 14:34
#70 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

"Die Erkenntnis kann nicht sicher sein, weil ich immer die Quelle der Erkenntnis hinterfragen kann" (Nachdenken-schmerzt-nicht).

Einen besonderen Beitrag zur Frage liefert die 2 000jährige Debatte über die Aussageabsicht der vielleicht schwierigsten Stelle in der jüdischen Bibel. Gemeint ist die Erzählung, die von Christen etwas missverständlich "Opferung Isaaks" tituliert wurde (Genesis 22), in der jüdischen Auslegung bis heute, vor allem auch in der Nach-Shoah-Literatur in den USA, aber präziser "Bindung (akedah) Isaaks" heißt, nämlich Bindung Isaaks an den Glauben seines Vaters.

Was ist erkenntniskritisch das Problem?
Wenn ein Vater meint, Göttern, einem Götzen oder Gott seinen einzigen Sohn opfern zu müssen (man tat es in der Alten Welt als Bauopfer oder im Krieg als letztes Mittel), ist dies ein magischer, voraufgeklärter Glaube oder das Produkt einer schweren psychischen Störung. Die biblische Erzählung schildert denn auch, dass Abraham diesen zuerst im Herzen 'gehörten' Gotteswunsch korrigiert und einen Widder statt des Sohnes schlachtet. (Ein Engel wird eingeführt, der ihn im letzten Augenblick auf diesen Weg bringt.)
Unser Problem: W i e kann man einen Willen Gottes richtig erkennen?

Gewöhnliche, aber schwächelnde Antworten sind: Man muss mit dem kulturellen und relig. Fortschritt mitgehen; also: Auch das Buch Genesis überwindet die frühmenschheitliche Phase und löst das Menschenopfer durch das Tieropfer ab. Gern zitiert: Der afrik. Stamm der Nuer opferte den Göttern Stiere, dann merkte er, das ist zu teuer und die Götter seien auch mit einer Gurke zufrieden.
Eugen Drewermann löste den Fall tiefenpsychologisch auf: Väter müssen ihre heranwachsenden Söhne loslassen. - Na, für diese pädagogische Weisheit bräuchte es keine Bibel, Herr Drewermann.

Die jüdische Auslegung vermittelt hingegen eine lange Erfahrung, wie der Glaube von Generation zu Generation weitergegeben werden konnte, anhand des ersten Falles (bei dem neuen Glauben in der Welt, dem aufgeklärten Abrahams): Nur wenn Kinder an den Eltern sehen, was ihnen Gott wert ist, nämlich der Platz über allem, lernen sie kennen, was ein echter Gott und ein echter Glaube sind.
Es geht dabei nicht um eine Entgegensetzung von Gott und Kind, sondern um die Hauptbedingung der Befreiung des Kindes (Abraham erhält ja seinen Sohn wieder und noch dazu als einen Glaubenden). Das Wort "Bindung" meint nicht so sehr die Fesselung auf dem Altar zum Schlachten (Isaak gilt in der jüd. Tradition als vierzigjähriger Erwachsener), sondern meint das Band der Gotteserfahrung, das nun den Sohn mit dem Vater verbindet (weil der Vater bereit war, Gott mehr zu lieben als seinen Isaak (" deinen geliebten Sohn, den einzigen").

Fehlt diese Erfahrung heute, sodass der kirchliche Glaube in den Familien weithin abstirbt?

Zurück zu unserem Erkenntnisproblem. Erkenntnis eines echten Gottes ist nach Genesis 22 nur möglich, wenn man die zwei Aspekte des Glaubens versteht: als Sichfestmachen an Gott, Vertrauen, Sicherheit finden - und sich zugleich in seiner Lebensvitalität, in seinem gesunden Egoismus in Frage stellen lassen und preiszugeben. Ist also stark mit einer Selbstkritik, mit Aufklärung über das 'Herz' des Menschen verbunden. Keine Vatergefühle? Doch, aber befreite. So wäre die Gotteserfahrung etwas Spezielles, nämlich die Überwindung der Angst, man verliere etwas (z. B. sein Kind), wenn man die Sorgen Gottes um die Welt übernimmt. Eine Veranschaulichung, was von Abraham im wirklichen Leben verlangt war, bot das Buch Genesis schon in Kap. 14: Er musste sich entscheiden, den kriegsgefangenen Verwandten Lot und Fremde mit seinen 318 Hirten in einer Nachtaktion zu befreien oder nicht, er musste seinen eigenen Kopf riskieren; dafür wird er von dem heidnischen Priester Melchisedek gesegnet (den die kath. Priester religionskritisch als neues Muster für Jesus und sich sehen).

Die ganze alte Opferpraxis war hingegen eher ein edler Versuch, die Götter zu bestechen, die Angst des Menschen um das Überleben abzumildern.

Es gibt zu dieser Stelle Genesis 22 den mitreißend-großartigen Versuch von Soeren Kierkegaard, das Büchlein "Furcht und Zittern". Es beginnt mit interessanten Varianten: Was wäre geschehen, wenn Abraham anders reagiert hätte. - Er unterstreicht das, was auch ich noch betonen muss:
Auf Gott vertrauen ist kein 'Wissen', gibt keine Sicherheit, bleibt Glaubenmüssen (bei S. K.: Überwindung der Resignation hin zur Glaubensfreude an die Güte Gottes, obgleich bei Abraham keine Ausflucht auf eine himmlische Restitution des Sohnes = Auferstehung die Sache erleichtere), also Wagnis, Rätsel von oben bis unten. Kierkegaard holt die Kategorien heraus: Ethisch betrachtet wäre Abraham doch ein Kindsmörder; Glaube sei also auch eine Suspension des Üblich-Moralischen. Eine unausschöpfbare Geschichte, intellektuell plausibel, aber existentiell ein Rätsel.

Auch hier ist der Schlüssel wohl die (verlorene) Unterscheidung zwischen 'Religion'(=Moral) und biblischem Glauben(=Aufgeklärtsein durch die Kritik der Götzen und des Allzumenschlichen).

Grüße
Ludwig W.

Simon Offline



Beiträge: 334

10.07.2014 22:44
#71 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Sehr geehrtes Forum,
wahrscheinlich geht es nach dem letzten Beitrag von Herrn Weimer vielen so wie mir, dass man irgendwie erkennt, auf seine Fragen und möglichen Einsichten eine Antwort erhalten zu haben. Aber das Beispiel von Abraham - vielfach reflektiert durch Kierkegaard und bestätigt durch den Schreiber - fuhr einem derart in die Knochen, dass man kaum wagt, noch darüber hinaus etwas zu äußern.

Zitat
" W i e kann man einen Willen Gottes richtig erkennen?"


Wie sollte das überhaupt möglich sein? - Und wird da Gott einfach stillschweigend vorausgesetzt?

Zitat
"Erkenntnis eines echten Gottes ist nach Genesis 22 nur möglich, wenn man die zwei Aspekte des Glaubens versteht: als Sichfestmachen an Gott, Vertrauen, Sicherheit finden - und sich zugleich in seiner Lebensvitalität, in seinem gesunden Egoismus in Frage stellen lassen und preiszugeben. Ist also stark mit einer Selbstkritik, mit Aufklärung über das 'Herz' des Menschen verbunden."


Über das theoretische Fragen hinaus geschieht hier der Sprung in das wirkliche Leben: in das eigene Leben: Mit Kants Ermunterung im Rücken heißt es: credere aude! - Und es gibt kein "Wissen", "keine Sicherheit, bleibt Glaubenmüssen"!? - Herr Weimer, das müssen Sie uns näher erklären.
Simon

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

11.07.2014 12:20
#72 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Das kann man nicht weiter zergliedern, außer, man schildert die Ungewissheit rauf und runter mit Hilfe aller bekannten erkenntniskritischen Philosophien.

Die meisten so Gefragten gehen daher (so wie Jesus "nur in Gleichnissen sprach") gleich zu Vergleichen über, wie:
Hat denn Liebe noch die Schönheit der Liebe, wenn man Sicherheit hätte?
Die gleiche Freiheit hat die menschliche Person im Fall des Vertrauens auf einen Ruf Gottes.
Pascal, der glaube ich die erste Rechenmaschone baute, hat seine berühmte Wette angeboten: Wenn Du Deine 70/80 Lebensjahre anständig investierst, um den himmlischen Lohn zu erhalten, und diesen gibt es auf ewig, war es ein sehr sehr gutes Geschäft: Ewig für 80; falls es ihn nachher aber doch nicht gibt, hast Du nicht so viel verloren, hast halt anständig leben müssen.
Ich weiß nicht warum, aber ich muss aus Herzensgrund diese Logik ablehnen und finde sie unwürdig wie ein schmutziges Geschäft. Ich halte mich an Theologen (wie Fenelon), die es aus ethischen Gründen ablehnten, einen Lohn für ihr anständiges Leben garantiert erhalten zu wollen.

Liebe muss doch ein Geschenk sein, kein Verdienst. Grundlos. Das will unser Glück.
So vertrete ich auch die Meinung: Glaube ist frei, Gott darf niemanden bestrafen, der nicht glauben will. Sonst wäre Glaube - wie Liebe - ein Geschäft oder ein Muss.
Wagnis-Glaube im Sinn des nichtreligiösen Vertrauens auf die Berufung, Mitarbeiter Gottes in der raumzeitlichen Welt zu sein und ihm sein Volk mitzusammeln, ist selten in der heutigen Christenheit, die meisten leben eine bürgerliche 'Religion', die weniger ins Leben eingreift als eine antik-heidnische eingriff. Es wäre schön, es wären mehr. Aber auch eine kleine Zahl kann Salz sein und das Ganze vor dem Verfaulen bewahren.

Was mich auch bewegt, ist daher das anstehende Reformationsjubiläum 2017. Luther wollte die ganze Kirche reformieren, aber es kam nur eine weitere Spaltung heraus, und beide Seiten sind schuld daran. Was wollen die Lutheraner feiern? Wie sollen die Katholiken mitheulen, mitjubeln? Keiner hat doch echte Lust, an eine Wiedervereinigung zu glauben, hat also den G l a u b e n an den Auftrag Jesu, wegen der Welt eins zu sein. In Wahrheit hat man Angst vor der Einheit, weil man sie als Uniformität versteht. Das Heil wird daher in der versöhnten Verschiedenheit gesucht, im beschworenen Reichtum gegenseitiger Anregung, und Rücksicht auf die Welt nimmt niemand, die nur durch das Wunder des einmütigen Willens aufhorchen würde, durch eine weltmeisterliche Mannschaft Christenheit.

'Glaube' wird heute definiert und diskreditiert durch die fundamentalistischen gewaltbeereiten Muslime. Die christlichen Kirchen definieren ihre Resignation.
Aber vielleicht kommt ja noch was ins Rutschen.

Jetzt reicht aber die Mahnpredigt.
Grüße, Ludwig Weimer

Simon Offline



Beiträge: 334

11.07.2014 23:52
#73 RE: Das Herz als Schnittstelle zwischen Mensch und Gott? Sind Gott und Mensch kompatibel? Antworten

Nach diesem Beinahe-Schlusswort von Herrn Weimer, in dem er seinen Standpunkt eindrucksvoll bekräftigt..., möchte ich nach unserer langen Diskussion Dank sagen, für alles, was man lernen konnte: vor allem auch die Einsicht, die Weimer schon gleich zu Anfang seines Beitrags (Ursachensucher Mensch) als mögliche Problem-"Lösung" in Glaubens- und Wissenschaftsfragen herbeigesehnt hat:

Zitat
"Im Einzelmenschen treffen Wissenschaft und Glaube zusammen, zwar unvermischbar, aber auch unzertrennlich, wenn er einen mündigen Glauben auf der Höhe der Zeit haben will."



Simon

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.404

11.10.2015 23:06
#74 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #53
Der Mensch ist der Teil des Universums, der es diesem ermöglicht, sich selbst zu erkennen und über sich selbst nachzudenken.

Es ist möglich, daß die Menschen nicht die einzige "Hirnzelle" (oder, wenn man möchte, das einzige "Sinnesorgan") sind ... in jeder praktischen Hinsicht sind wir allein im Universum. ... Mit dem Blick vom Mond hat das Leben auf der Erde in diesen Spiegel geblickt.


Als ich das formuliert habe, hatte ich keinerlei Ahnung von den vorhergehenden Formulierungen dieses Gedankens:

- Babylon 5, Episode 3.4, "Passing Through Gethsemane" (1995; Autor ist wie bei den meisten Episoden Serienschöpfer J. Michael Straczinski):
Delenn: "We believe that the universe itself is conscious in a way that we can never truly understand. It is engaged in a search for meaning. So it breaks itself apart, investing its own consciousness in every form of life. We are the universe trying to understand itself."

- Carl Sagan, "Cosmos" (1980): "We are a way for the cosmos to know itself."

- Julian Huxley, "Transhumanism" (in: New Bottles for New Wine, London: Chatto and Windus, 1957):
"As a result of a thousand million years of evolution, the universe is becoming conscious of itself, able to under­stand something of its past history and its possible future. This cosmic self-awareness is being realized in one tiny fragment of the universe —in a few of us human beings. Perhaps it has been realized elsewhere too, through the evolution of conscious living creatures on the planets of other stars. But on this our planet, it has never happened before." (S. 13)


Die Ahnungslosigkeit bzw. ihr Ende lässt sich sogar zeitlich exactamente festmachen: Auf das B5-Zitat (das mich erst auf den Sagan-Satz lenkte), bin ich erst durch Eric Garsides "author's note" zu seiner "Futures"-Episode in Nature, "The Shoulder of Orion", gestoßen (vol.523, p.632, 30 Juli 2015); die Suche nach Sagans genauer Formulierung warf einen Kommentar unter einem 9-Sekunden-Ausschnitt auf YouTube mit dem Hinweis auf Huxley aus. Soviel zur Staffelweitergabe von Ideen. Meine spezielle Anregung dagegen verdankt sich einigen Überlegungen von Kurd Laßwitz im Abschnitt "Planetenseele" aus seinem Buch "Seelen und Ziele" (1908). Nur falls hier ein Ideenhistoriker mitschreibt...



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Johanes Offline




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27.10.2015 15:29
#75 RE: RE:.nachdenken_schmerzt_nicht Antworten

Am 26.06.2014 um 12:34 von "Emulgator":
"Beispiel: Ein Psychologe will untersuchen, ob ein häßliches Bild ein bestimmtes, verunsichertes Verhalten erzeugt. Er wird das Bild und ein harmloses Bild den Probanden zeigen und aufnehmen, ob sie sich in bestimmter Weise verhalten, z.B. mit den Augen länger fokussieren oder nicht. Sein ganzes Experiment wäre für die Katz, wenn er einbeziehen müßte, daß diejenigen, die länger fokussiert haben, einfach so länger fokussieren wollten, ohne daß das mit dem Bild etwas zu tun hätte, sondern nur mit der Person. Letzteres wäre freier Wille. Er könnte dann nicht mehr den Effekt des häßlichen Bildes von dem Effekt des Freien Willens unterscheiden. Da helfen keine Randomisierung und keine Stratifizierung."

(Es zeigt sich hier eines der besonderen methodischen Probleme der Sozialwissenschaften. Sobald sich die Versuchspersonen der Versuchsanordnung und dem Zweck bewusst werden, beginnen sie das Ergebnis auch willentlich zu beeinflussen.)

Das ist ein sehr schönes Beispiel.
Wenn man längere Zeit darüber nachdenkt, dann wird man zur Auffassung kommen (und sie vielleicht auch wieder verwerfen), dass man jede Handlung sowohl den freien Willen als auch einer psychologischen, sozialen, wirtschaftlichen, kurz wissenschaftlichen Ursachen zuweisen kann. (Ebenso wie in vergangenen Jahrhunderten Handlungen immer der Besessenheit böser Geister zugeschrieben werden können.)

Meines Erachtens zeigt sich hier das Problem des freien Willens. Er lässt sich wissenschaftlich nicht definieren. Wissenschaftlich gesehen läuft er entweder auf den bloßen Zufall oder aber auf das Wirken von vielleicht schwer zu erkennenden, aber deshalb nicht weniger zwingenden Ursachen hinaus. Dass wir eine Handlung, die durch äußere Einwirkung zu Stande kam, nur schwer mit der Vorstellung des freien Willens vereinbaren können, muss hier nicht erörtert werden.
Freier Wille als Zufall wie bei der Ziehung der Lottozahlen oder beim Roulett dagegen hat doch auch nichts mit dem freien Willen, wie wir ihn uns zuschrieben, zu tun.

Man verzeihe mir die hochgestochene Formulierung, es geht ja um Zuspitzung: Ist der freie Wille nicht eine der Grundpositionen des Liberalismus und läuft diese Grundposition nicht den methodischen Voraussetzungen der Sozialwissenschaften entgegen?

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