Zitat von R.A. im Beitrag #25In meinem zweiten Beitrag versuche ich darzustellen, daß die im Kontext des alten Reichs ausgebildeten Rechtstraditionen immer noch starken Einfluß darauf haben, wie sich Deutsche die Lösung von internationalen Konflikten vorstellen.
Was auch in diesen Kontext passt, obwohl Sie es im Artikel nicht ausdrücklich erwähnt haben, ist das deutsche Verhältnis zur UNO.
Die UN gelten als "Weltparlament". Was die UN beschließen wird als nicht zu hinterfragend und objektiv förderlich für das Welt-Gemeinwohl gesehen. Ob z.B. eine Intervention in einem Krisenstaat moralisch gerechtfertigt ist, hängt ganz entscheidend ob sie "völkerrechtswidrig" ist oder nicht. Und dieses wiederum hängt davon ab, ob es ein UN-Mandat gibt.
In Wahrheit spiegelt ein UN-Beschluss lediglich die Mehrheitsverhältnisse im entscheidenden Gremium wieder. Und diese Mehrheitsverhältnisse hängen ganz schnöde von den egoistischen Interessen der dort vertretenen Staaten (oder besser: von den Regierungen der dort vertretenen Staaten) ab. Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich hat die UN einen gewissen Nutzen. Wenn ein einstimmiger Beschluss des UN-Sicherheitsrats vorliegt, dann ist das z.B. ein Signal für jedes Land, dass es sich recht gefahrlos daran halten kann ohne das Missfallen einer fremden Großmacht befürchten zu müssen. Und dass sich die Großmächte ein permanent tagendes Gremium haben, in dem sie ihre Interessen besprechen und austarieren können ist sicher auch nicht schlecht. Durch ein solches Gremium hat man zumindest eine zusätzliche Sicherheitsstufe, um ein Kommunikationsversagen wie im Juli 1914 zu vermeiden. Das war's dann aber auch. Die UN ist ein Interessen-Diskussions-und-Ausgleichs-Instrument. Und kein Instrument zur Bestimmung objektiver Moral, wie es die deutsche Öffentlichkeit gerne sieht. Auch dieser spezielle Blick auf die UN scheint mir eine deutsche Spezialität zu sein, die vielleicht ebenfalls auf das deutsche Faible für Verrechtlichung zurückführen ließe.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #2Gegen diese Analyse würde die deutsche Historikerzunft in geschlossener Formation ein Veitstanzfestival veranstalten, wenn sie sie denn zur Kenntnis nehmen würde.
Das glaube ich nicht. Die Historiker sind (und waren nie) so geschlossen wie andere Disziplinen. Fischer und Genossen hatten zeitweise eine gewisse Dominanz (seine Argumente hatten ja auch einen wahren Kern), aber es gab immer Widerspruch und Diskussion. Heute ist seine Sichtweise ohnehin längst auf dem Rückzug, noch lange vor Clark.
Ich hatte da auch weniger der hortus conclusus der Fachpublikationen im Auge (da war Fischer ja wohl nie mehrheitsfähig), sondern eher die *wirklich wichtige* Arena des Feuilletons. Und da gab es in der letzten Zeit ja durchaus so etwas wie eine konzertierte Aktion contra Clark zu bestaunen: SZ (John C.G. Röhl), taz (Gerd Krumeich), Andreas Wirsching id SZ v. 16.07., Heinrich August Winkler am 31.07. id ZEIT ("Clark arbeitet mit seiner Relativierung der deutschen Kriegsschuld Revisionisten à la Jörg Friedrich in die Hände gearbeitet, behauptet Heinrich August Winkler in einem Zeit-Essay ... Und noch schlimmer: Wenn man die Schuld am Ersten Weltkrieg leugne, "ist es kein weiter Schritt mehr zu den Behauptung, dass Hitler eben der große 'Betriebsunffall' der deutschen Geschichte war."").
Zitat Wenn man die Schuld am Ersten Weltkrieg leugne, "ist es kein weiter Schritt mehr zu den Behauptung, dass Hitler eben der große 'Betriebsunffall' der deutschen Geschichte war.
Was für ein lächerlich unwissenschaftliches Argument.
Clarks Interpretation der Motivlage im Juli 1914 mag korrekt sein oder auch nicht. Aber die Motivlage im Juli 1914 kann wohl kaum davon abhängen, wie die Motivlage im Januar 1933 war. Zumindest nicht ohne Einsatz eines Flux-Kompensators (http://de.wikipedia.org/wiki/Zur%C3%BCck...Fluxkompensator)
Zitat von Florian im Beitrag #26Was auch in diesen Kontext passt, obwohl Sie es im Artikel nicht ausdrücklich erwähnt haben, ist das deutsche Verhältnis zur UNO.
Nicht nur das, auch EU und EURO-Gruppe haben hierzulande unbegrenzten (politisch-medialen) Kredit und werden als unbegrenzt legitime Übereinheiten angesehen. Egal, ob Deutschland absehbar über den Nuckel gezogen wird und sich ansonsten niemand so richtig an alle einmal vereinbarten Prinzipien hält. Noch bei der blödesten Ökodesignrichtlinie wird man Deutschland als Klassenstreber sich befleißigen sehen, und wenn diese Überinstanzen Kohle für andere Mitgliedsländer oder eigene Verschenkungszwecke brauchen, wird hierzulande auch noch brav der Michel rasiert.
Beste Grüße, Calimero
@R.A. : Vielen Dank für diese Serie, gefällt mir sehr.
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
Zitat von Florian im Beitrag #26Was auch in diesen Kontext passt, obwohl Sie es im Artikel nicht ausdrücklich erwähnt haben, ist das deutsche Verhältnis zur UNO.
Auf jeden Fall! Ich wollte den Artikel nicht überladen - aber das unglaublich naive Verhältnis vieler auch sehr intelligenter und gebildeter Landsleute zur UNO waren ein Hauptgrund, mir Gedanken über das Thema zu machen. Es freut mich sehr, daß das "rübergekommen" ist.
Zitat Wenn man die Schuld am Ersten Weltkrieg leugne, "ist es kein weiter Schritt mehr zu den Behauptung, dass Hitler eben der große 'Betriebsunffall' der deutschen Geschichte war.
Was für ein lächerlich unwissenschaftliches Argument.
Déformation professionelle. Es ist ja klar, daß hier ein Platzhirsch die Lufthoheit über den Debattenstammtischen verteidigt & dabei auf "guilt by association" setzt: Wer lügt, der stiehlt; wer stiehlt, der zündet auch Häuser an - & wer "x" betont, will nur 33/45 relativieren. Bei den weiteren Iterationen steigert sich die Vokabel bis zum "rechtfertigen". Winkler hat in dieser Tonart schon unangenehm laut während des "Historikerstreits" musiziert.
Zitat von Calimero im Beitrag #29Nicht nur das, auch EU und EURO-Gruppe haben hierzulande unbegrenzten (politisch-medialen) Kredit und werden als unbegrenzt legitime Übereinheiten angesehen.
Das kann ich nicht ganz teilen. Zum Einen steht die EU doch deutlich mehr in der Kritik als die UNO, auch in deutschen Medien. Zum Anderen haben die EU-Gremien ein Stück Legitimität, die den UN-Pendants ziemlich abgeht.
Zitat Egal, ob Deutschland absehbar über den Nuckel gezogen wird und sich ansonsten niemand so richtig an alle einmal vereinbarten Prinzipien hält.
Deutschland wird viel seltener "über den Nuckel gezogen" als das hierzulande behauptet wird. Natürlich kommt das vor, aber die Deutschen blenden sehr gerne aus, wenn sie ihre Interessen mit allen Ellenbogen gegen andere Länder durchsetzen. Weil wir ja im Selbstbild nie unsere Interessen durchsetzen, sondern immer nur das faire Prinzip hochhalten. Notfalls ganz unbeeindruckt davon, daß das jeweils hochgehaltene Prinzip recht willkürlich begründet sein man - und uns "zufällig" sehr gelegen kommt. Richtig ist aber, daß wir Regeln deutlich strenger einhalten als anderswo üblich - auch sinnlose Regeln.
Zitat Noch bei der blödesten Ökodesignrichtlinie wird man Deutschland als Klassenstreber sich befleißigen sehen ...
Ein typisches Beispiel: Die meisten Ökodesignrichtlinien (insbesondere die sehr blöden) werden von Deutschland eingebracht und den anderen Ländern aufgedrückt. Und dann wird bei uns in Deutschland gegen die böse EU Stimmung gemacht wegen Maßnahmen, die von deutschen Politikern über die Bande gespielt wurden. Siehe z. B. das Glühbirnenverbot.
Im Falle Winkler muß man leider sagen "unprofessionell". Denn so unangenehm mir das ist - er ist nun wirklich ordentlicher Historiker und nicht nur Zeitungsschwätzer. Da sind so wirklich unwissenschaftliche Sachen doppelt peinlich.
Nun also der dritte und letzte Teil meiner kleinen Reihe. Wahrscheinlich etwas zu lang geworden, dabei hätte ich gerne noch ein bißchen mehr erzählt. Denn hier kann ich auf die Darstellungen meines Professors v. Aretin zurückgreifen, der zu diesem Thema wohl die führende Kapazität in Deutschland war. Er hat das in seinen Seminaren immer sehr plastisch geschildert, wie die Abgesandten des Kaisers und die des Reichs gemeinsam auf den Friedenskongressen jener Zeit auftraten. Einerseits die diplomatischen Profis, die Österreichs Aufstieg zur Großmacht verhandelten. Und andererseits die braven Gelehrten und Provinznotare, die als "running gag" der europäischen Diplomatie über Jahrzehnte vergeblich versuchten, immer wieder ihren Kollegen den Rechtsstatus der Reichsbistümer Metz, Toul und Verdun zu erklären.
Zitat von Calimero im Beitrag #29 Noch bei der blödesten Ökodesignrichtlinie wird man Deutschland als Klassenstreber sich befleißigen sehen ...
Ein typisches Beispiel: Die meisten Ökodesignrichtlinien (insbesondere die sehr blöden) werden von Deutschland eingebracht und den anderen Ländern aufgedrückt. Und dann wird bei uns in Deutschland gegen die böse EU Stimmung gemacht wegen Maßnahmen, die von deutschen Politikern über die Bande gespielt wurden. Siehe z. B. das Glühbirnenverbot.
Ja, man kann es gar nicht oft genug sagen ... Lieber R.A., eine exzellente Serie und eine hochinteressante These die ich so gut begründet sehe, dass ich sie teile. Vielen Dank! P.S. Und ich würde mich sehr freuen, erzähltest Du noch mehr.
vielen Dank für den interessanten Artikel! Bei allen Problemen, die man mit völkerpsychologischen Erwägungen natürlich haben kann, ein anregender Erklärungsansatz. Obwohl mir scheint, wenn man die veröffentlichte und die sich im Internet austobende öffentliche Meinung in alten Diplomatiegroßmächten wie Frankreich und Großbritannien mittlerweile sieht, hat der deutsche Geist ja vielleicht doch triumphiert, vielleicht bloß noch nicht im berufsmäßig geschulten Personal.
Eine paar kleine Einwände:
Die Reichskreise wurden im Zug der Reichsreform Ende des 15. Jahrhunderts eingerichtet, zuerst 6 1500, dann 10 1512 (Eisenhardt, Dt. Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Rz. 171).
"Außenpolitik" haben die Kaiser und Könige des Früh- und Hochmittelalters für das Reich intensiv betrieben. Sicherung Italiens und Ausdehnung der Herrschaft auf Süditalien war über 300 Jahre eine zentrales außenpolitisches Projekt. Bereits die Ottonen pflegten nicht nur hierzu weit gespannte Kontakte nach Byzanz oder zum Kalifat von Cordoba. Das diplomatische Schachspiel um Süditalien im 12. Jahrhundert zwischen Barbarossa und den byz. Herrschern hat m. Erinnerung nach Lilie in seiner Byzantinischen Geschichte exzellent beschrieben, die diplomatischen Horizonte reichten ganz selbstverständlich bis weit in den Orient. Natürlich alles in einer Zeit, in der die dt. Ethnogenese noch vollzogen wurde, in der sich, wohl erst in den Italienzügen, so etwas wie Frühformen eines Zusammengehörigkeitsbewusstsein einstellten.
Für ihre Argumentation würde ich es für entscheidender halten, dass sich die Staatsbildungsprozesse in Deutschland innerhalb und unterhalb des Reiches auf den Ebenen der Territorien abspielen, und eben nicht auf der Ebene des Reiches.
Eins vorweg: ich bin von R.A.s Artikelserie total begeistert. Wirklich tiefe Fachkenntnis in einem sehr speziellen Thema - wirklich beeindruckend.
Insgesamt erscheinen mir die Kernaussagen auch plausibel.
Aber um dennoch einmal Advocatus Diaboli zu spielen:
Zitat von Döblinger im Beitrag #36 Für ihre Argumentation würde ich es für entscheidender halten, dass sich die Staatsbildungsprozesse in Deutschland innerhalb und unterhalb des Reiches auf den Ebenen der Territorien abspielen, und eben nicht auf der Ebene des Reiches.
Hier steckt der Keim eines Widerspruchs zu R.A.s Thesen.
Es mag schon sein, dass die Außenpolitik des deutschen Reichs unterentwicklelt war. Die Außenpolitik seiner (mittelgroßen) Teilstaaten war dafür umso aktiver. Nehmen wir mal Brandenburg-Preußen: das war über Jahrhunderte eine - im Konzert der Großmächte - sehr schwache Macht. Noch dazu mit weit gestreuten Besitztümern (von Jülich bis Polen). Um im Haifischbecken der europäischen und deutschen Mächte überleben zu können, brauchte es sehr viel diplomatisches Geschick. Ähnlich ging es auch den anderen mittelgroßen deutschen Staaten. Etwa Bayern mit seiner sehr prekären Position zwischen Österreich und Frankreich. Oder Sachsen mit seinen Ambitionen in Polen.
Es gab daher in Deutschland einen sehr großen Bedarf an Diplomatie. Und es kamen rein zahlenmäßig recht viele Personen in Kontakt mit außenpolitsischen Problemen. Und zwar nicht nur mit "jurisistischer" Außenpolitik à la Reichstagsdelegation. Sondern auch mit "darwinistischer" Außenpolitik wo es einfach um das harte Durchsetzen eigener Interessen mit machtpolitischen Instrumenten ging. Für deutsche Staatenlenker war über Jahrhunderte die Außenpolitik ein extrem wichtiges Instrument - auch dann, wenn die Außenpolitik des deutschen Reichs nur schwach entwickelt war.
Zitat von Florian im Beitrag #37Hier steckt der Keim eines Widerspruchs zu R.A.s Thesen.
Es mag schon sein, dass die Außenpolitik des deutschen Reichs unterentwicklelt war. Die Außenpolitik seiner (mittelgroßen) Teilstaaten war dafür umso aktiver. Nehmen wir mal Brandenburg-Preußen: das war über Jahrhunderte eine - im Konzert der Großmächte - sehr schwache Macht. Noch dazu mit weit gestreuten Besitztümern (von Jülich bis Polen). Um im Haifischbecken der europäischen und deutschen Mächte überleben zu können, brauchte es sehr viel diplomatisches Geschick. Ähnlich ging es auch den anderen mittelgroßen deutschen Staaten. Etwa Bayern mit seiner sehr prekären Position zwischen Österreich und Frankreich. Oder Sachsen mit seinen Ambitionen in Polen.
Ist das wirklich ein Widerspruch oder vielleicht eher der Grund für die unterentwickelte deutsche Außenpolitik? Die Teilstaaten waren eher an ihrer eigenen Außenpolitik interessiert und weniger an der deutschen. Etwas zugespitzt formuliert, wurde die deutsche Außenpolitik von denen gemacht, die keine eigene hatten.
Ein Grund ist wohl auch in der Art des deutschen Königstums zu sehen, dass ja ein Wahlkönigtum durch mächtige Kurfürsten war, gegen die sich der deutsche König nie eine entscheidend dominierende Stellung durchsetzen konnte. In anderen Ländern ist dies den Königen durchaus gelungen. Die Außenpolitik liegt ja immer auch in den Zentren der Macht und das war im deutschen Reich immer verteilt auf mehr als nur dem König und seinen Hof.
vielen Dank für die Einsicht in diesen Aspekt des deutschen Werdens und Wesens, der mir bisher völlig entgangen war!
Dem möchte ich mich ohne Einschränkungen anschließen, habe einiges gelernt! Bei dem hier:
Zitat von ZRFiat justitia, et pereat mundus.
erfasste mich sofort wissendes Kopfnicken. Ist ein bisserl wie der Spruch, dass es deutsch sei, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun. Es umfasst ganz gut die deutsche Unflexibilität und Sturheit bei gleichzeitig bestem "Wissen" und Gewissen. Man weiß was rechtens ist, man weiß sich im Recht und man weiß, welches der rechte Weg ist. Man berauscht sich am Gedanken Vorbild oder Vorreiter zu sein, egal ob das Umfeld dies lediglich mit Kopfschütteln, Amüsement oder gar Misstrauen quittiert.
Deine Serie, lieber R.A., lässt tief blicken, wo dieser spezielle Volkscharakter seinen Ursprung haben könnte. Vielen Dank dafür.
Beste Grüße, Calimero
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Zitat von Elmar im Beitrag #39Ist das wirklich ein Widerspruch oder vielleicht eher der Grund für die unterentwickelte deutsche Außenpolitik? Die Teilstaaten waren eher an ihrer eigenen Außenpolitik interessiert und weniger an der deutschen. Etwas zugespitzt formuliert, wurde die deutsche Außenpolitik von denen gemacht, die keine eigene hatten.
R.A.s Kernthese habe ich so verstanden, dass in Deutschland aus historischen Gründen das Verständnis für Außenpolitik unterentwickelt ist (und dass insbesondere eine unrealistische Tendenz existiert, internationale Beziehungen verrechtlichen zu wollen).
Und ich argumentiere nun, dass in Deutschland im Gegenteil aus historischen Gründen ein besonders intensives (und hoch realistisches) Verständnis für Außenpolitik existieren könnte.
In dieser Diskussion kommt es daher (m.E.) gar nicht darauf an, ob die Außenpolitik nun vom Deutschen Reich oder von seinen Teilstaaten gemacht wurde. Eine deutsche "außenpolitische Kultur" kann genauso auch in den teilstaatlichen Residenzstädten entstanden sein.
Zitat von Florian im Beitrag #41 In dieser Diskussion kommt es daher (m.E.) gar nicht darauf an, ob die Außenpolitik nun vom Deutschen Reich oder von seinen Teilstaaten gemacht wurde. Eine deutsche "außenpolitische Kultur" kann genauso auch in den teilstaatlichen Residenzstädten entstanden sein.
Natürlich. Aber die Ausgangslage für R.A.'s These ist ja, dass es keine qualifizierte außenpolitische Auseinandersetzung in der deutschen Gesellschaft und im Parlament gibt. Dass es an Fachleuten fehlt, die außenpolitische Zusammenhänge darzustellen imstande und willens sind. Und - im Ergebnis, dass nicht so recht klar ist, worin die außenpolitischen Interessen Deutschlands liegen. Ein Punkt der schon mehrfach Thema von Blogbeiträgen in ZR war und sicher auch in Zukunft sein wird.
Was sind die deutschen strategischen Interessen? Wie sichert sich Deutschland den Zugang zu Rohstoffen? Was tut es um Handelswege zu sichern? Ist der deutsche Verteidigungshaushalt ausreichend um, innerhalb des Militärbündnisses dem es angehört, eine Rolle zu spielen, die seiner wirtschaftlichen Stärke entspricht? Wie beeinflusst es Krisenherde an der Peripherie des Militärbündnisses dem es angehört. Fragen dieser Art können nicht sachlich diskutiert werden, obwohl sie es sollten.
Zitat von Döblinger im Beitrag #36Die Reichskreise wurden im Zug der Reichsreform Ende des 15. Jahrhunderts eingerichtet ...
Richtig. Aber sie hatten zuerst eine rein innenpolitische Funktion. Rekrutierungsfunktionen gegen äußere Bedrohungen bekamen sie erst, als es solche Bedrohungen gab, also nach den türkischen und französischen Angriffen im 17. Jahrhundert.
Zitat "Außenpolitik" haben die Kaiser und Könige des Früh- und Hochmittelalters für das Reich intensiv betrieben.
Die Kaiser haben Außenpolitik betrieben - aber nicht für das Reich. Wohlgemerkt: Wenn ich in diesem Kontext vom Reich spreche, dann ist das deutsche Königreich gemeint. Dessen Außengrenzen ja über lange Zeit völlig unverändert blieben. Z. B. waren die Erwerbungen in Süditalien reine Privatsache der Kaiser.
Zitat dass sich die Staatsbildungsprozesse in Deutschland innerhalb und unterhalb des Reiches auf den Ebenen der Territorien abspielen, und eben nicht auf der Ebene des Reiches.
Jein. Sicher bildeten auch die Territorien (jedenfalls die größeren) immer stärker staatsähnliche Strukturen aus. Aber der wesentliche Rechtsrahmen war der Gesamtstaat, also das deutsche Reich mit seinen Organen Reichstag, Reichskreise, Reichsgerichte und den Gesetzen und Beschlüssen.
Zitat von Florian im Beitrag #37Die Außenpolitik seiner (mittelgroßen) Teilstaaten war dafür umso aktiver.
Das ist richtig. Ich würde da versuchen zu argumentieren, daß es hier in der Regel eine ähnliche Diskrepanz gab wie zwischen Reich und Kaiser. D.h. diese Außenpolitik war nicht eine des betreffenden Territoriums mit seinen Organen (also den jeweiligen Landständen), sondern Privatsache des Fürsten. Z. B. ganz typisch die Erwerbung auswärtiger Kronen, die dann in Personalunion geführt wurden.
Den Unterschied sehe ich deswegen für relevant an, weil sich die Untertanen um diese Außenpolitik nicht besonders kümmern mußten. Solche Unternehmungen wurden in der Regel nicht durch zusätzliche Steuern finanziert (das hätten die Landstände abgelehnt) und falls es schief ging, war es nur privates Pech des Fürsten ohne Rückwirkung aufs Heimatterritorium.
Das war ein Unterschied z. B. zu den Kriegen eines Königs von England: Für die wurden Sondersteuern im Parlament debattiert und beschlossen und während des Kriegs waren englische Küstengebiete ständig bedroht. Die Entscheidung einen Krieg zu führen war deshalb eine im ganzen Königreich von Adligen und Bürgern heiß diskutierte Sache.
In Deutschland war das m. E. eher die Ausnahme. Z. B. bei den Bündnissen und Kriegen des "Reichsverräters" Max II. Emanuel von Bayern. Das hatte heftige Auswirkungen auf die bayrische Bevölkerung. Genau wie später natürlich die Politik Friedrich II von Preußen. Aber die Masse der deutschen Bevölkerung mußte sich in der Regel nicht mit außenpolitischen Fragen beschäftigen.
Das alles sind natürlich Thesen, die ich hier nur anekdotisch belegen kann und ex-post durch Vergleich mit der heutigen Mentalität in Deutschland ableite. In ein Rigorosum möchte ich damit besser nicht gehen. Eigentlich müßte man dazu recht ausführlich die damaligen Diskussionen in der "öffentlichen Meinung" nachlesen. Wäre ein schönes Projekt für die Rentnerzeit ;-)
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #35Lieber R.A., eine exzellente Serie und eine hochinteressante These die ich so gut begründet sehe, dass ich sie teile.
Komplett teilen hat natürlich den Nachteil, daß keine Diskussion in Gang kommen kann ;-)
Ansonsten möchte ich mich bei Dir und den anderen Diskussionsteilnehmern hier für das Lob danken. Es ist schon gut zu wissen, daß man nicht ellenlanges Geschreibsel fabriziert, das keinen interessiert.
Zitat Und ich würde mich sehr freuen, erzähltest Du noch mehr.
In diesem Rahmen könnte man höchstens in der Diskussion noch ein paar Aspekte vertiefen. Ansonsten wäre das natürlich ein schönes Thema für das nächste RL-Treffen ;-)
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #35Lieber R.A., eine exzellente Serie und eine hochinteressante These die ich so gut begründet sehe, dass ich sie teile.
Komplett teilen hat natürlich den Nachteil, daß keine Diskussion in Gang kommen kann ;-)
Was mir auch immer wieder auffällt ist, dass nicht nur die eigene Außenpolitik auf das Handeln eines Kleinstaates reduziert wird, sondern, dies als moralisch hochwertiges Vorbild anderen Ländern angetragen wird. Wieder mal Vorreiterrolle und Vorbildfunktion. Wenn dann eine Großmacht wie die USA den militärischen Schutz Europas mit bezahlt, die Handelswege auch für Deutschland mit schützt und aktuell die Gefahr, welche vom internationalen Terrorismus ausgeht, auch für Deutschland mit eindämmt, besitzen deutsche Außenpolitiker dann auch noch die Dreistigkeit, in diese sie fütternde Hand öffentlichkeitswirksam zu beißen.
Um diese Politik des Draußenhaltens aufrecht zu erhalten, müssen natürlich eigene Interessen verleugnet und Notwendigkeiten wie die Sicherung der für eine Exportnation existenziell wichtigen Handelswege, ausgeblendet werden. Diese Verweigerungshaltung gegenüber der Realität ist nötig um dem unerreichbaren und idealistischen Anspruch zu genügen, den man sich auferlegt hat. Aktuell wird diese Vorgehensweise in Bezug auf die Energiepolitik mit der Floskel "Verfolgung ambitionierter Ziele" umschrieben.
M.E. spielt der Idealismus in der deutschen (Außen-)Politik eine zu Deiner These, lieber R.A., ergänzende und ebenso historische Rolle.
Es ist ja auch keineswegs so, dass Deutschland diese Vorgehensweise im Ergebnis immer zum Nachteil gereicht hätte. Ganz im Gegenteil. Sie scheint mir sogar recht erfolgreich gewesen zu sein, wenn man Aufwand und Nutzen gegenüberstellt. Aber die Zeiten ändern sich. Und sie haben sich geändert. Auch Deutschlands Rolle in der Welt hat sich geändert; es ist jetzt immer öfter "+1". Die Diskussion um die Militärhilfe für die Kurden im Irak macht mir Hoffnung, dass auch in Deutschland in Bezug auf außenpolitische Themen mehr realpolitisch als idealistisch diskutiert wird und gezwungenermaßen auch nationale Interessen benannt werden.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #46Diese Verweigerungshaltung gegenüber der Realität ist nötig um dem unerreichbaren und idealistischen Anspruch zu genügen, den man sich auferlegt hat.
Völlig richtig. Ganz aktuelles Beispiel: Ein derzeit gängiges Argument der Gutmenschen angesichts der IS-Barbarei ist, man möge doch statt Waffenlieferungen an die Kurden lieber die "Finanziers" der IS belangen und damit eine weitere Ausbreitung des Kalifats verhindern. Mal ganz abgesehen davon, daß das völlig unrealistisch ist: Ein Finanzier der IS ist die Bundesregierung. Sogar jetzt noch. Gerade heute ging durch die Presse, daß eine deutsche Geisel der IS in Syrien freigekommen ist. Nur ganz wenige Medien berichten über den Hintergrund dieser plötzlichen Befreiung: Wie üblich hat die Bundesrepublik eine hohe Summe Lösegeld auf den Tisch gelegt. Womit Deutsche weiterhin ganz oben der Liste potentieller Entführungsopfer stehen.
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #46Diese Verweigerungshaltung gegenüber der Realität ist nötig um dem unerreichbaren und idealistischen Anspruch zu genügen, den man sich auferlegt hat.
Völlig richtig. Ganz aktuelles Beispiel: Ein derzeit gängiges Argument der Gutmenschen angesichts der IS-Barbarei ist, man möge doch statt Waffenlieferungen an die Kurden lieber die "Finanziers" der IS belangen und damit eine weitere Ausbreitung des Kalifats verhindern. Mal ganz abgesehen davon, daß das völlig unrealistisch ist: Ein Finanzier der IS ist die Bundesregierung. Sogar jetzt noch. Gerade heute ging durch die Presse, daß eine deutsche Geisel der IS in Syrien freigekommen ist. Nur ganz wenige Medien berichten über den Hintergrund dieser plötzlichen Befreiung: Wie üblich hat die Bundesrepublik eine hohe Summe Lösegeld auf den Tisch gelegt. Womit Deutsche weiterhin ganz oben der Liste potentieller Entführungsopfer stehen.
Genau das habe ich heute auch gedacht, als ich las: "Das Auswärtige Amt konnte ihn nach Verhandlungen nach rund einem Jahr befreien." Und der Junge auf diesem grausamen Foto (http://live.huffingtonpost.com/r/highlig...b0001b7?cn=tbla) wird mit keinem Geld der Welt von dem befreit werden können, was der IS ihm angetan hat.
Zitat von R.A. im Beitrag #45Ansonsten möchte ich mich bei Dir und den anderen Diskussionsteilnehmern hier für das Lob danken. Es ist schon gut zu wissen, daß man nicht ellenlanges Geschreibsel fabriziert, das keinen interessiert.
Ich schließe mich mal den Lobhudlern an. Der lange Blick zurück wirkt in Verbindung mit der zentralen These ungemein erhellend, was aktuelles deutsches außenpolitisches Handeln angeht.
Ich würde (durch die Lektüre der Serie angeregt) nur den Akzent ein wenig anders setzen, und zwar ist mir die deutsche Außenpolitik viel eher Ausfluss von etwas, das sie nicht will: deutsche Interessen vertreten. Im Gegensatz zu praktisch allen anderen, wie du ja auch ausgeführt hast. War es früher das Festhalten am als einzig gültiger rechtlicher Rahmen Erkannten, sind nach der Wiedervereinigung als außenpolitische Motive eigentlich nur noch moralische zulässig. Interessant ist aber, dass in der Phase der Teilung deutsche Interessen durchaus eine wichtige Rolle spielten. Sowohl die Ostpolitik Brandts (und seiner Nachfolger) als auch der auf Schmidt zurückgehende NATO-Doppelbeschluss waren stark vom jeweiligen Verständnis der Handelnden getrieben, was im originär deutschen Interesse lag. Wie dann auch das Vorpreschen Kohls in der historischen Sekunde (eben historisch gesehen) nach dem Mauerfall. Aber seitdem scheint die gesamte deutsche Außenpolitik "saturiert". Irgendwie schien man eine himmlische Harmonie erwartet zu haben und kann sich nur noch empören, wenn die Wirklichkeit sich als davon abweichend erweist. Und weil man keine eigenen Interessen mehr kennt (was ist Horst Köhler für einen Versuch in dieser Richtung abgewatscht worden), muss man eben Zuflucht zu höheren Werten suchen. Und die sind dann eben nicht nur der internationale Rechtsrahmen - mit den richtigen Greuelbildern wird dann trotz der rechtlichen Hindernisse auch der Kampfeinsatz auf dem Balkan möglich. Aber eben nur durch die. Drunter ging nicht.
In internationalen Umfragen steht Deutschland meist an der Spitze, wenn gefragt wird, welchem Land man eine stärkere Rolle in der Weltpolitik wünscht. Kein Wunder - bei Deutschland können sich die Beteiligten sicher sein, dass es keine eigenen Ziele verfolgt.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat) Je länger das Dritte Reich tot ist, um so stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen. (Johannes Gross)
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