Schon länger angedacht - aber angesichts der aktuellen Entwicklung mußte diese kleine Artikelserie nun geschrieben werden. Mein Erklärungsversuch dafür, daß die Deutschen so überraschend wenig Wissen und Verständnis für außenpolitische Themen haben.
Gegen diese Analyse würde die deutsche Historikerzunft in geschlossener Formation ein Veitstanzfestival veranstalten, wenn sie sie denn zur Kenntnis nehmen würde. Nichts schweißt die Brüder (Schwester_Innen sind in diesem Metier ja für die Annales-geprägte *sehr sehr wichtige* Abteilung "Frauen & Gedöns" & ähnliches Damenprogramm relegiert) so zusammen wie die Aussicht auf einen gemeinsamen Feind. Christopher Clark hat es mit seinen "Schlafwandlern" geschafft, daß in diesem Milieu Fritz Fischers "Griff nach der Weltmacht" zum unbezweifelbaren mainstream aufgestiegen ist.
Allerdings... Die Kreuzzüge kann man ja noch als Unterstützung fremder Mächte (halt des Papstes) auffassen. Wie aber ist es mit den Kreuzzügen in Polen und Litauen? Der Beteiligung an den diversen polnischen Teilungen? Die Annektion von Elsaß-Lothringen durch Frankreich und Teilen Mecklenburgs durch Schweden im Gefolge des 30jährigen Krieges könnte man auf die Deutsche Schwäche zurückführen. Man kann aber auch den ganzen 30jährigen Krieg als europäischen Krieg auf Deutschem Boden auffassen und dann wäre Ihre These widerlegt.
Dies umso mehr als lange Zeit der "Erbfeind Frankreich" als entscheidendes Kriterium Deutscher Außenpolitik galt und Frankreich sehr wohl an den linkrheinischen Gebieten gezerrt hat. Man kann die Napoleon-Familie ja schlecht unter die Deutschen Fürsten einreihen. Und es ist ja nicht nur Elsaß-Lothringen. Auch Teile der Schweiz und der Niederlande kann man als aus dem Deutschen Reich herausgerissen betrachten und auch Prag war mal eine Deutsche Stadt, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts mehrheitlich von Deutschen bewohnt wurde.
Darüber hinaus war Deutsche (kaiserliche) Politik über lange Zeit durch den Blick nach Rom ("heiliges römisches Reich...") und auf den Papst geprägt.
Ich halte Ihre Meinung "Das Ausland war schlicht kein Objekt für die deutsche Politik." für zweifelhaft. Deutsche Außenpolitik bestand im Gegenteil (mindestens) die letzten 150 Jahre (vor 45) aus einem Einkreisungs- und Frankreichtrauma. Was ja angesichts der geographischen Lage auch völlig normal ist und sich sowohl schon im 7jährigen Krieg als auch ganz klar im 1. Weltkrieg bestätigt hat.
Wenn man überhaupt einen roten Faden über viele hundert Jahre Deutsche Politik ziehen wollte, dann wäre dieser doch eher darin zu suchen, daß bemerkenswert viele Deutsche Politiker fremde Interessen hatten und verfochten - bis heute.
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Zitat von AldiOn im Beitrag #3Wenn man überhaupt einen roten Faden über viele hundert Jahre Deutsche Politik ziehen wollte, dann wäre dieser doch eher darin zu suchen, daß bemerkenswert viele Deutsche Politiker fremde Interessen hatten und verfochten - bis heute.
Auch ein interessanter Gedanke. Aber R.A., du schreibst vom großen Land Deutschland - schon vor der Jahrtausendwende, aber war es das überhaupt? Für die Nachbarn wie auch für die Einwohner? Was ist mit dem Flickenteppich der Königreiche, Herzogtümer, Erzbistümer etc? Wäre es da überhaupt möglich gewesen Deutschland den Krieg zu erklären? Wäre es sinnvoll gewesen? Und hat es schon damals ein Deutschland gegeben, welches zusammen irgendetwas gegen Außerdeutsche hätte unternehmen können? In was waren sich die Regionalherrscher und Völker eigentlich einig, außer im Kaiser und so halbwegs der Sprache? Ich frage ganz ernst gemeint, denn aus der Schule habe ich nur den lose verbundenen und teils arg miteinander verfeindeten, sprichwörtlichen Flickenteppich des HRR deutscher Nation im Hinterkopf. Für ausländische Mächte doch ein prima auseinanderzudividierender Haufen und im Inneren genug mit sich selbst beschäftigt.
Beste Grüße, Calimero
------------------------------------------------------- Vertrauen in das Volk ist fast immer unbegründet; Kultur ist das Werk weniger. - Zettel
Zitat von Calimero im Beitrag #4...aus der Schule habe ich nur den lose verbundenen und teils arg miteinander verfeindeten, sprichwörtlichen Flickenteppich des HRR deutscher Nation im Hinterkopf.
Voltaires bekannter Ausspruch: "Ce corps qui s'appelait et qui s'appelle encore le saint empire romain n'était en aucune manière ni saint, ni romain, ni empire." (Essai sur l'histoire générale et sur les mœurs et l'esprit des nations, ch 70, 1756.)
Zitat von Calimero im Beitrag #4Aber R.A., du schreibst vom großen Land Deutschland - schon vor der Jahrtausendwende, aber war es das überhaupt? Für die Nachbarn wie auch für die Einwohner? Was ist mit dem Flickenteppich der Königreiche, Herzogtümer, Erzbistümer etc? Wäre es da überhaupt möglich gewesen Deutschland den Krieg zu erklären? Wäre es sinnvoll gewesen? Und hat es schon damals ein Deutschland gegeben, welches zusammen irgendetwas gegen Außerdeutsche hätte unternehmen können?
die Beschreibung trifft ja in etwa auch auf die EU zu. Wer allerdings der EU oder einem EU-Land an den Kragen will, wird auf die NATO treffen. Und da wird der entscheidende Unterschied sein. Ansonsten sind die NATO/EU-Länder ein genau so wirrer und uneiniger Haufen wie es lange Zeit das HRRDN war.
Über weite Strecken ihrer Geschichte waren übrigens China und Indien in einer vergleichbaren Situation. So originell ist das also nicht. Wenn man das will kann man ja sogar die französische Besetzung Deutschlands mit der englischen Besetzung Indiens vergleichen.
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Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #2Gegen diese Analyse würde die deutsche Historikerzunft in geschlossener Formation ein Veitstanzfestival veranstalten, wenn sie sie denn zur Kenntnis nehmen würde.
Das glaube ich nicht. Die Historiker sind (und waren nie) so geschlossen wie andere Disziplinen. Fischer und Genossen hatten zeitweise eine gewisse Dominanz (seine Argumente hatten ja auch einen wahren Kern), aber es gab immer Widerspruch und Diskussion. Heute ist seine Sichtweise ohnehin längst auf dem Rückzug, noch lange vor Clark. Und andererseits habe ich ja bisher nur die historische Entwicklung kurz skizziert, da wird kein Fachmann widersprechen. Wenn es dann in den weiteren Folgen darum geht, die Linie bis ins Heute zu ziehen - dann wird es spannender ;-)
Zitat von AldiOn im Beitrag #3Wie aber ist es mit den Kreuzzügen in Polen und Litauen?
Das waren private Aktionen der beteiligten Ritter - die Ordensgebiete blieben auch immer außerhalb des Reichs.
Zitat Der Beteiligung an den diversen polnischen Teilungen?
Ebenfalls "Privataktionen" von Preußen und Österreich - die polnischen Gebiete wurden in Personalunion mitverwaltet, wurden aber nie Bestandteil des Reichs.
Zitat Die Annektion von Elsaß-Lothringen durch Frankreich und Teilen Mecklenburgs durch Schweden im Gefolge des 30jährigen Krieges könnte man auf die Deutsche Schwäche zurückführen.
Deutsche Schwäche aber NICHT, weil Deutschland schwächer als Frankreich oder Schweden gewesen wäre. Sondern Schwäche, weil es vom Bürgerkrieg zerrissen war und Frankreich und Schweden als Bündnispartner mitgemacht haben. Die Annektion von Elsaß-Lothringen ist übrigens deutlich später, das ist dann wie von mir beschrieben das erste Mal, daß wirklich ein äußerer Feind Deutschland angreift. Wobei Ludwig XIV selbst das lange Zeit vermeidet, und unter juristischen Vorwänden einzelne Gebiete besetzt. Mecklenburg dagegen war immer ein Teil des Reichs, auch wenn der Herrscher zeitweise im Nebenjob auch König von Schweden war. Es wurde also immer getrennt verwaltet, gehörte juristisch nie zu Schweden, und der König von Schweden agierte als Herzog von Mecklenburg, trat so auch auf dem Reichstag auf.
Zitat Dies umso mehr als lange Zeit der "Erbfeind Frankreich" als entscheidendes Kriterium Deutscher Außenpolitik galt und Frankreich sehr wohl an den linkrheinischen Gebieten gezerrt hat.
Sicher. Die Abwesenheit äußerer Bedrohungen betrifft die 700 Jahre nach 955. Danach kommen die türkische Bedrohung - und die wurde abgewehrt. Schlicht durch militärische Mobilisierung, nicht durch Außenpolitik.
Und die französische Bedrohung. Die kam erst mit Ludwig XIV und mit Napoleon führte sie dann zum Reichsende. Das war ein traumatisches Erlebnis (wenn auch die "Erbfeind"-Konstruktion recht unsinnig ist). Aber auch hier war die "Lehre" für die Deutschen: Man muß militärisch stark genug sein und die Invasoren rauswerfen. Und danach kann man sich wieder der Nabelschau widmen.
Zitat Auch Teile der Schweiz und der Niederlande kann man als aus dem Deutschen Reich herausgerissen betrachten ...
Die haben sich selbständig gemacht - das war keine Bedrohung. Außer für den persönlichen Besitzstand der Habsburger.
Zitat Prag war mal eine Deutsche Stadt
Nicht zu Zeit des alten Reichs - Prag und Böhmen war immer weitgehend tschechisch. Erst die späte Habsburger Herrschaft hat zu einer gewissen Germanisierung geführt.
Zitat Darüber hinaus war Deutsche (kaiserliche) Politik über lange Zeit durch den Blick nach Rom ("heiliges römisches Reich...") und auf den Papst geprägt.
Sicher. Klassische Innenpolitik. Italien war "unser" und der Kaiser mußte halt ab und zu für Ordnung sorgen.
Zitat Deutsche Außenpolitik bestand im Gegenteil (mindestens) die letzten 150 Jahre ...
Zu dieser Zeit kommen wir noch. Ich rede bisher von der Zeit 955 - Ende 17. Jahrhundert. Da gab es überhaupt keine Außenpolitik und bis zum Reichsende 1806 nur sehr eingeschränkt.
Zitat von Calimero im Beitrag #4du schreibst vom großen Land Deutschland - schon vor der Jahrtausendwende,
Schon richtig, vor der Jahrtausendwende wurde es noch eher als ostfränkisches Reich empfunden - aber das ist letztlich ein müßiger Namensstreit. Es ist die politische Einheit, die in kompletter historische Kontinuität zum Deutschen Reich wurde.
Zitat aber war es das überhaupt? Für die Nachbarn wie auch für die Einwohner?
Aber ja. Das Königreich Deutschland war war klar definiert, mit über viele Jahrhunderte völlig stabilen Grenzen, mit eigenen Institutionen und einem König an der Spitze (der meistens zusätzlich noch Kaiser war).
Zitat Was ist mit dem Flickenteppich der Königreiche, Herzogtümer, Erzbistümer etc?
Lehnsabhängige und klar untergeordnete Herrschaften, wie in jedem mittelalterlichen Königreich.
Zitat Wäre es da überhaupt möglich gewesen Deutschland den Krieg zu erklären?
Völlig problemlos.
Zitat Wäre es sinnvoll gewesen?
Nein. Hätte in eine sichere Niederlage geführt. Deswegen hat das ja auch kein Nachbarstaat gemacht (bis Ludwigs XIV).
Zitat Und hat es schon damals ein Deutschland gegeben, welches zusammen irgendetwas gegen Außerdeutsche hätte unternehmen können?
Natürlich. Der König war anerkannter oberster Lehnsherr. Im Kriegsfall mußten ihm seine Vasallen Truppen stellen - wie in jedem mittelalterlichen Staat. Und das haben sie auch gemacht, wenn es interne Probleme gab (z. B. die Hussiten) oder er beim Reichsnachbarn Italien Aufgaben zu erledigen hatte.
Zitat In was waren sich die Regionalherrscher und Völker eigentlich einig, außer im Kaiser und so halbwegs der Sprache?
Darin, gemeinsam in selben Königreich Deutschland zu wohnen und dessen interne Ordnung zu bewahren. Ich komme im zweiten Teil der kleinen Serie zur Gerichtsbarkeit als zentralem Element dieser Ordnung. Wichtig war aber auch die gemeinsame Exekutive, dafür hatte man den König mit seinen vielen Rechtstiteln. Und es gab ausgefeilte Regeln für den Vertretungsfall. Deutschland hat auch den einmaligen Fall, daß ein König (Wenzel der Faule) wegen Unfähigkeit abgesetzt wurde.
Zitat von AldiOn im Beitrag #6Ansonsten sind die NATO/EU-Länder ein genau so wirrer und uneiniger Haufen wie es lange Zeit das HRRDN war.
Der Vergleich mit NATO/EU paßt in den meisten Punkten nicht.
Und man sollte das mit dem "wirren und uneinigen Haufen" nicht überschätzen. Unser Bild vom alten Reich wird wesentlich von zwei Vorgängen dominiert, die im rudimentären deutschen Geschichtsunterricht noch auftauchen: Die Religionskriege und die Niederlage am Ende gegen Frankreich. Das sind aber angesichts der langen Gesamtgeschichte sehr untypische Beispiele. Umgekehrt wird fast überhaupt nicht dargestellt, wie einig und erfolgreich das Reich die Türken abgewehrt hat.
Zitat Über weite Strecken ihrer Geschichte waren übrigens China und Indien in einer vergleichbaren Situation.
Überhaupt nicht. China war immer unter heftigen Druck der "Barbaren" an den Landesgrenzen. Die Abwehr dieser Bedrohung (und zwar wesentlich auch mit diplomatischen Mitteln) ist eine Grundkonstante der chinesischen Geschichte. Und bei Indien kann man erst einmal nur für kurze Zeitabschnitte überhaupt von einem indischen Staat sprechen - und der war jeweils ganz heftig mit diversen anderen Mächten der Region zu tun.
Dein Erklärungsversuch in allen Ehren, aber ich habe meine Zweifel, dass für lange Strecken der deutschen Geschichte im dargestellten Zeitabschnitt bei den meisten im Deutschen Reich lebenden Personen ein gemeinsames Staatsbewußtsein als Deutsche bewusst war (vielleicht für einige wenige Beamte oder Adlige, aber nicht für die Masse).
Weiterhin habe ich meine Zweifel, dass es eine Art "Bewusstseinserbe" über viele Jahrhundert gab bzw. gibt: Zwar wird durch die schulische Bildung Geschichtswissen vermittelt (ziemlich wenig), aber ob dies ausreicht eine jahrhundertlange Kontinuität (a la Goldhagen) für die fehlende Bereitschaft zur Information über und Beschäftigung mit außenpolitischen Belangen zu konstruieren, halte ich für verfehlt.
Zitat von VolkerD im Beitrag #11Weiterhin habe ich meine Zweifel, dass es eine Art "Bewusstseinserbe" über viele Jahrhundert gab bzw. gibt: Zwar wird durch die schulische Bildung Geschichtswissen vermittelt (ziemlich wenig), aber ob dies ausreicht eine jahrhundertlange Kontinuität (a la Goldhagen) für die fehlende Bereitschaft zur Information über und Beschäftigung mit außenpolitischen Belangen zu konstruieren, halte ich für verfehlt.
Und wenn wir uns die jüngere Geschichte ansehen (Bundesrepublik Deutschland)gibt es für Politikbewertungen als Fixpunkt im wesentlichen nur das 3. Reich.
Ihre Widerlegungen meiner Sichtweisen mögen richtig sein. Aber dann kommt wieder, daß meist entweder deutsche Herrscher eigene (und damit fremde) Interessen vertraten oder fremde Herrscher in der Deutschen Politik mitmischten. Ganz deutlich an ihrem Beispiel mit dem Schwedenkönig, der ja auch Deutscher Herrscher (besser: ein Herrscher in Deutschland) war.
Im übrigen müßte man mal die Frage stellen ob es im Mittelalter und der frühen Neuzeit überhaupt eine juristische Grundlage für eine Annektion eines Gebietes mit seiner Bevölkerung gab. Für die mittelalterlichen Fürsten war das möglicherweise ein ganz abwegiger Gedanke. Die Loyalität der Untertanen (und der Fürsten) ging ja immer an eine Person und nicht an eine Nation oder gar ein Volk.
Die Abwehr der Türkengefahr war ja mehr ein europäisches Projekt dessen Hauptlast ja auch die Ungarn trugen. Ansonsten waren alle dabei - Frankreich zeitweise auf der Gegenseite. Diese langjährigen Entsendungen von Truppen gegen die Türken wären genau so abgelaufen wenn es nicht Deutschland sondern viele selbständige Staaten gegeben hätte. Es wurde zwar auf den Reichstagen darüber diskutiert und Aufrufe zum Mitmachen verschickt. Die gingen aber in ihrer Wirksamkeit nicht über die (ja zahlreichen) Truppenentsendungen für den Afghanistaneinsatz hinaus - man fühlt sich angesprochen aber letztlich wird nach Gutdünken und Interesse mitgemacht.
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Zitat von VolkerD im Beitrag #11 ... aber ich habe meine Zweifel, dass für lange Strecken der deutschen Geschichte im dargestellten Zeitabschnitt bei den meisten im Deutschen Reich lebenden Personen ein gemeinsames Staatsbewußtsein als Deutsche bewusst war (vielleicht für einige wenige Beamte oder Adlige, aber nicht für die Masse).
Eine solches gemeinsames Bewußtsein gab es auf jeden Fall, das ist auch gut mit Belegen abgesichert und in der Forschung unstreitig.
Zitat Weiterhin habe ich meine Zweifel, dass es eine Art "Bewusstseinserbe" über viele Jahrhundert gab bzw. gibt
Diese Zweifel sind natürlich berechtigt, ich möchte darauf im dritten Teil der Serie etwas eingehen. Wobei man das eigentlich sehr ausführlich untersuchen und belegen müßte, insbesondere auch im Vergleich mit der historisch gewachsenen Mentalität anderer Völker. Klar ist auf jeden Fall, daß sich solche Mentalitätsfragen nicht über den Geschichtsunterricht vererben.
Zitat von AldiOn im Beitrag #12Aber dann kommt wieder, daß meist entweder deutsche Herrscher eigene (und damit fremde) Interessen vertraten oder fremde Herrscher in der Deutschen Politik mitmischten. Ganz deutlich an ihrem Beispiel mit dem Schwedenkönig, der ja auch Deutscher Herrscher (besser: ein Herrscher in Deutschland) war.
Das ist aber normal im europäischen Mittelalter: Durch die Vererbbarkeit von Lehen ist es häufig so, daß ein "Ausländer" irgendwo Herrscher wird. Das stellt aber die Identität des jeweiligen Gebiets überhaupt nicht in Frage. Im Gegenteil zeigt es, daß ein historisches Gebilde wie das deutsche Reich eine eigene Identität hatte, und eben nicht nur der persönliche Besitz des jeweiligen Königs war.
Zitat Im übrigen müßte man mal die Frage stellen ob es im Mittelalter und der frühen Neuzeit überhaupt eine juristische Grundlage für eine Annektion eines Gebietes mit seiner Bevölkerung gab.
Aber sicher - ist ja häufig genug vorgekommen. Aber eben nicht in Bezug auf das deutsche Reich. Siehe z. B. die Expansion Frankreichs, Schwedens oder der iberischen Reiche.
Zitat Die Loyalität der Untertanen (und der Fürsten) ging ja immer an eine Person und nicht an eine Nation oder gar ein Volk.
Sie ging an eine Person - aber nur in der Form, daß diese Person das Herrscheramt für eine bestimmte Region inne hatte. Und darüber definiert sich diese Region. Die Tiroler sind die, die dem Grafen von Tirol untertan sind - diese Person kann wechseln, aber Tirol als eigenständiges Gebiet bleibt.
Zitat Die Abwehr der Türkengefahr war ja mehr ein europäisches Projekt ...
Nicht wirklich. Es gab Verteidigungsbündnisse, aber das waren dann meist nur die Staaten, die gerade von der türkischen Expansion betroffen waren.
Die Türken haben im Prinzip einen Balkanstaat nach dem anderen einzeln erobert. Von einer "europäischen Abwehr" war da nichts zu sehen. Ungarn war das letzte Glied dieser Kette. Und sie hätten dann wohl auch Österreich erobert. Wenn das ein eigenständiges Land gewesen wäre. Aber Österreich war eben Teil des Reichs, und wurde entsprechend vom ganzen Reich verteidigt. Bündnispartner wie Polen oder Venedig hatten zeitgleich eben auch Krieg mit den Osmanen - aber das übrige Europa hielt sich raus.
Zitat Diese langjährigen Entsendungen von Truppen gegen die Türken wären genau so abgelaufen wenn es nicht Deutschland sondern viele selbständige Staaten gegeben hätte.
Sehr unwahrscheinlich. Die nicht direkt von den türkischen Angriffen betroffenen deutschen Gebiete in Nord- und Westdeutschland hätten sich ohne Reichsverband genauso rausgehalten wie Skandinavier und Engländer.
Zitat Es wurde zwar auf den Reichstagen darüber diskutiert und Aufrufe zum Mitmachen verschickt.
Nicht nur Aufrufe - da wurden Steuern beschlossen und reichsweit auch eingesammelt. Und es wurden Militäreinsätze beschlossen, bei denen die aufgeforderten Reichsstände dann Truppen schickten. Das war keine "Koalition der Willigen", sondern das waren verbindliche Beschlüsse an die sich alle Reichsuntertanen hielten.
Zitat Im übrigen müßte man mal die Frage stellen ob es im Mittelalter und der frühen Neuzeit überhaupt eine juristische Grundlage für eine Annektion eines Gebietes mit seiner Bevölkerung gab.
Aber sicher - ist ja häufig genug vorgekommen. Aber eben nicht in Bezug auf das deutsche Reich. Siehe z. B. die Expansion Frankreichs, Schwedens oder der iberischen Reiche.
Eine kleine Ausnahme davon sind die mittelitalienischen Gebiete. Da gab es schon ein paar territorialen Veränderungen. Die Ursache ist da aber eher das Verhältnis von Rom und dem Papst zum Reich und weniger eine "fremde" Macht, die sich Gebiete des Reiches einverleiben will.
Ein Grund für diese relative Konstanz könnte auch darin liege, dass es für fremde Herrscher möglich war, Gebiete innerhalb des Reiches zu besitzen (z.B Schweden). Bei (fast) gleichem Ergebnis, war das die weniger risikoreiche und vermutlich finanziell günstigere Lösung.
Dein Erklärungsversuch in allen Ehren, aber ich habe meine Zweifel, (...)
Geht mir auch so. Mir kommt R.A.s Traditionslinie der deutschen Außenpolitik auch etwas konstruiert vor.
Allerdings:
Zitat Weiterhin habe ich meine Zweifel, dass es eine Art "Bewusstseinserbe" über viele Jahrhundert gab bzw. gibt: Zwar wird durch die schulische Bildung Geschichtswissen vermittelt (ziemlich wenig), aber ob dies ausreicht eine jahrhundertlange Kontinuität (a la Goldhagen) für die fehlende Bereitschaft zur Information über und Beschäftigung mit außenpolitischen Belangen zu konstruieren, halte ich für verfehlt.
Ganz sicher wäre es verfehlt, hier eine rationale Ableitung zu unterstellen. Bei den Schweizern mag es so etwas tatsächlich geben ("unsere Tradition ist seit Jahrhunderten die Neutralität. Damit sind wir immer gut gefahren und halten das weiter so"), aber nicht bei den Deutschen. Dafür waren die diversen Brüche im 20.Jahrhundert einfach zu groß.
Aber auf einer unbewussten Ebene mag es das durchaus geben. Deutschland hat zum Beispiel eine sehr lange "idealistische" Tradition. Während z.B. englische Politik als Ideal den Realismus hat ("das Wollen folgt dem Möglichen") ist Deutschland wesentlich idealistischer ("wir folgen einer Idee, unabhängig von der Realität"). Dieses Entkoppeln des Wollens von der Realität mag tatsächlich eine langandauernde Folge des Alten Reichs sein.
Wenn im 17. oder 18. Jahrhunder in der englischen Gesellschaft über Außenpolitik diskutiert wurde, dann hatte dies reale Folgen: England erklärte dann in der Folge den Niederlanden den Krieg oder verbündete sich mit diesen gegen Frankreich. Oder es eroberte Kolonien. Ganz reale Außenpolitik. Wenn in der deutschen Gesellschaft in jener Zeit über die Welt diskutiert wurde, dann nie mit dem Anspruch, Deutschland möge gegenüber dem Rest der Welt irgendeine Politik verfolgen. Entsprechend konnte man sich romantische und idalistische Sandkastenspiele leisten.
Hätte, nur mal als Beispiel, Goethe in einem Traktat schlüssig begründet, warum Deutschland Kolionalbesitz in Afrika anstreben sollte, dann wäre das schlicht folgenlos geblieben. Hätte Voltaire gleiches über die französische Herrschaft geschrieben, dann hätte dies realpolitische Folgen haben können.
Und aus dieser Traditionslinie stammt vielleicht auch noch das Verhalten von Wilhelm II. Dem ging es ja auch "nur" darum, wie die Welt (in seinem Sinne) gerechter sein sollte: nämlich mit einem als fair empfundenen Platz an der Sonne für Deutschland. Ein Gespür dafür, dass diese Vorstellungen ganz konkrete außenpolitische Folgen haben könnten, hatte er nicht. Er meinte sich, wie zu Zeiten des alten Reichs romantische und idealistische Sandkastenspiele leisten zu können. (Und es war ja nicht nur Wilhelm II. Ganz Deutschland sah die Welt ja ganz genauso aus dem Blickwinkel "was uns zusteht" anstelle von "was wir realistischerweise erreichen können")
"Idealistisch" war Deutschland auch unter Hitler. Hitler taxierte nicht die eigenen Möglichkeiten und orientierte dann seine Außen- und Kriegspolitik daran. Sondern er hatte Ziele, die er erreichen wollte. Und er ging sie an, auch wenn die reale Basis dafür fehlte. Und das deutsche Volk ging dabei mit.
Einen ernsthaften Bruch mit dieser "idealistischen" Phase gab es eigentlich erst in der Nachkriegszeit. Hier wurde (auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs) sehr realpolitisch gedacht. Allerdings ging diese realpolitische Phase eben auch einher mit einer totalen Fokusierung auf die innerdeutsche Grenze. Was sicher realpolitisch sinnvoll war, aber eben auch zu einer Binnenfixierung führte.
Zitat von Elmar im Beitrag #15Eine kleine Ausnahme davon sind die mittelitalienischen Gebiete. Da gab es schon ein paar territorialen Veränderungen.
Richtig. Ich meinte auch nur das deutsche Königreich, nicht die anderen beiden Reichsteile Italien und Burgund (Arelat). Und gerade Burgund ist ja ziemlich gefleddert worden und wurde im Laufe der Jahrhunderte fast komplett französisch - das hat in Deutschland keinen besonders gestört und galt als privates Problem des Kaisers. Während Italien quasi als deutsches Untertanenland gesehen wurde (im wesentlichen wegen der Verknüpfung mit dem Kaisertitel) und die Romzüge der Kaiser immer als gemeinsames deutsches Anliegen galten.
Zitat Ein Grund für diese relative Konstanz könnte auch darin liege, dass es für fremde Herrscher möglich war, Gebiete innerhalb des Reiches zu besitzen (z.B Schweden). Bei (fast) gleichem Ergebnis, war das die weniger risikoreiche und vermutlich finanziell günstigere Lösung.
Es war weniger risikoreich - weil das Risiko einer Eroberung eben zu groß war, um diese zu versuchen. Aber der volle Besitz wäre schon die bevorzugte Variante gewesen (und wurde ja in Burgund auch durchgeführt). Denn als Reichsterritorium war so ein Besitz deutlich weniger kontrollierbar und attraktiv, unterlag der Reichsgerichtsbarkeit und allen Reichspflichten.
Zitat von VolkerD im Beitrag #11Dein Erklärungsversuch in allen Ehren, aber ich habe meine Zweifel, (...)
Geht mir auch so.
Geduld, es kommen ja noch zwei Teile. Vielleicht wird es dann plausibler.
Zitat Aber auf einer unbewussten Ebene mag es das durchaus geben. Deutschland hat zum Beispiel eine sehr lange "idealistische" Tradition.
Gerade so! Es ist extrem schwer, die Überlieferung einer solchen Tradition wirklich zu belegen. Weil das ja auch gar nicht expliziten Botschaften erfolgt, nicht in der Schule gelehrt wird - sondern "irgendwie wirkt". Und trotzdem ist klar, daß gewisse Denkweisen in bestimmten Ländern über lange Zeit ähnlich sind.
Und ja, die Beispiele Wilhelm II und Hitler passen sehr gut in diese deutsche Vorstellung vom Weltgeschehen.
Zitat Einen ernsthaften Bruch mit dieser "idealistischen" Phase gab es eigentlich erst in der Nachkriegszeit.
In der Deutschland aber eigentlich kein souveräner Staat war und nur sehr eingegrenzt überhaupt Außenpolitik betrieb.
Zitat von AldiOn im Beitrag #12Im übrigen müßte man mal die Frage stellen ob es im Mittelalter und der frühen Neuzeit überhaupt eine juristische Grundlage für eine Annektion eines Gebietes mit seiner Bevölkerung gab.
Aber sicher - ist ja häufig genug vorgekommen. Aber eben nicht in Bezug auf das deutsche Reich. Siehe z. B. die Expansion Frankreichs, Schwedens oder der iberischen Reiche.
Lieber R.A., ich habe eine gewisse Grundsymphatie für Ihre These.
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Sie die historische Realität des alten Reichs etwas zu stark simplifizieren.
Annektionen von fremden Mächten zu Lasten des Reichs (so dass also wirklich Gebiete aus dem Reichsverbund ausschieden) dürfte es doch schon immer wieder mal gegeben haben, oder? Mir kommt da z.B. der schwankende Status von Burgund in den Sinn: mal Teil des Reichs, dann wieder nicht. Dito Süditalien. Oder auch die norditalienischen Städte, die nur teilweise Teil des Reichs waren. Venedig war es z.B. nicht, so dass eine Expansion Venedigs einer Verkleinerung des Reichs gleichkam.
Das zerstört m.E. zwar nicht Ihre Grundthese vom weitgehend außenpolitisch unaktiven Reich. Aber es schadet m.E. auch nicht, diese Grautöne in der historischen Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen.
Zitat von Florian im Beitrag #19...Grundthese vom weitgehend außenpolitisch unaktiven Reich.
Bitte nicht weitersagen - aber ich gehör[t]e zu den Subskribenten von Fukuyamas Ende-der-Geschichte. (Da hat man natürlich mittlerweile einen schweren Stand - schon 1 Grund, dem Zaren in Moskau & den muselmanisch-destruktiven Fundis zu zürnen ) aber ein Kernbereich dieser Idee war ja das Wegfallen der "Haupt- & Staatsaktionen", mithin ein Großteil der Klassischen Außenpolitik. Bündnisse, Handelsabkommen, Zollunion, ppp. hat FF ja ausdrücklich ausgenommen. (Ausgangspunkt für FF war der Wegfall des Kalten Krieges; insofern wird das Ausblenden der Sozialgeschichte vielleicht verständlich.) Aber nach dieser Meßlatte gibt es ja um D herum eine ganze Reihe von Staaten, die über lange Zeiträume hinweg keine Außenpolitik hatten. Die Schweizer haben sich mit ihrer Neutralität erfolgreich verinselt; Schweden hat außer dem Intermezzo im 30-jährigen Krieg (neudeutsch: "Friedensprozeß") & den Feldzügen Karls XII. "im Grunde" keine Außenpolitik verfolgt - bis auf die regelmäßig wiederkehrenden Kriege mit Russland (zumeist ging es um die Finnmark; Anfang d. 18. Jh.s darum, die russische Invasion Nordschwedens zurückzuwerfen). Dänemark & Holland haben immer ihr eigenes Ding gemacht (die Dänen haben sich mit den Schweden um Ostseefleckchen gebalgt & die Holländer haben im späten 17. Jh. 3x Krieg gegen England geführt - aber alles ohne klassische Bündnispolitik). Die letzten beiden Kandidaten fallen deshalb auf, weil Holland ein großes Kolonialreich hatte - aber eben keine Außenpolitik (nb: das gilt auch in großem Maß für Spanien & Portugal, die sich aus den europäischen Händeln verabschiedet hatten; der Spanische Erbfolgekrieg ging eben darum, ob der 14. Ludwig einen iberischen Dukatenesel für seine unendlichen Kriegszüge ergattern konnte). Dänemarks Kolonialreich war zwar fast so dürftig wie die von Kurland oder Brandenburg, aber das Land war immmerhin einer der global players beim atlantischen Sklavenhandel. Da kommen keine 700 Jahre zusammen ... aber soo ungewöhnlich ist die Lage nicht.
PS: Was machen wir mit China & Japan? 2 Klassische Fälle von "von innen abschließen & den Schlüssel wegwerfen" & sich nach Ende der Quarantäne aufführen wie Gog-&-Magog. Würde zur Kernthese passen...
Zitat von Florian im Beitrag #19Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Sie die historische Realität des alten Reichs etwas zu stark simplifizieren.
Ich bin mir sicher, daß ich sogar sehr stark simplifiziere ;-) Sonst bekäme ich den Themenkomplex nicht in ein paar Seiten abgehandelt.
Aber einen Aspekt hätte ich wohl klarer darstellen müssen: Ich spreche konkret von Deutschland. Also dem (ostfränkischen) deutschen Königreich, also innerhalb des Heiligen Römischen Reichs dem Reichsteil "Germania". Genau dieses deutsche Königreich hatte den Reichstag, die Reichsgerichte, alle möglichen Reichsordnungen mit Steuer- und Militärpflichten für die Reichsstände. Und dieses Reich war über viele Jahrhunderte völlig ohne äußere Bedrohung und hatte auch völlig stabile Grenzen. Bis Ludwig XIV kam.
Ich rede nicht über den Reichsteil "Gallia" (aka Königreich Arelat, Burgund), das die Deutschen nie sonderlich interessiert hat und das stückweise von Frankreich einverleibt wurde. Und ich rede nicht über den Reichsteil "Italia" (aka Königreich der Langobarden), das ebenfalls Gebietsverluste hatte, für das sich die Deutschen aber nur eingeschränkt interessierten (indem sie die Romzüge des Kaisers als deutsche Reichsaufgabe akzeptierten).
Man könnte übrigens bestimmt auch darüber schreiben, warum das moderne Italien ebenfalls gewisse Defizite bei seinem weltpolitischem Auftreten hat. Andere Defizite als die Deutschen, aber auch historisch gewachsen.
Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #20Aber nach dieser Meßlatte gibt es ja um D herum eine ganze Reihe von Staaten, die über lange Zeiträume hinweg keine Außenpolitik hatten.
Es kommt selten lieber, lieber Ulrich, aber da muß ich doch sehr widersprechen.
Die Schweiz hat lange Zeit sehr aktive Außen- (und Eroberungs-)Politik gemacht, bevor sie damit kräftig auf die Nase fiel und sich in die Neutralität zurückzog. Was Deutschland ja auch gerne machen würden, wenn es nicht so lästig groß wäre.
Aber Dänemark, Schweden und Holland haben immer sehr aktive Außenpolitik betrieben, haben vielfältig Bündnisse geschlossen und Kriege geführt (Angriff und Verteidigung).
Zitat Schweden hat außer dem Intermezzo im 30-jährigen Krieg (neudeutsch: "Friedensprozeß") & den Feldzügen Karls XII. "im Grunde" keine Außenpolitik verfolgt - bis auf die regelmäßig wiederkehrenden Kriege mit Russland
"bis auf" ist so eine niedliche Formulierung ;-) Schweden ist überhaupt erst mal einige Jahrhunderte später aufgetaucht und erst Mitte des 16. Jahrhunderts richtig selbständig geworden. Dann verschiedene Kriege mit Dänemark, mit Polen und Rußland geführt, dazwischen der 30-jährige Krieg, dann der nordische Krieg, dann noch einmal "regelmäßig wiederkehrend" mit Rußland, dann die napoleonischen Kriege, Norwegen gewonnen und wieder verloren war nicht so kriegerisch. Ruhiges Fahrwasser haben die Schweden eigentlich erst ab ihrer Neutralität im ersten Weltkrieg.
Zitat die Holländer haben im späten 17. Jh. 3x Krieg gegen England geführt - aber alles ohne klassische Bündnispolitik
Und vorher gegen Spanien Krieg geführt, und danach einige Male gegen Frankreich, immer in wechselnden Bündnisformationen. Die Holländer haben seit Entstehung ihres Staates (auch relativ spät) immer sehr aktiv Außenpolitik mit allem Zubehör gemacht.
Zitat das gilt auch in großem Maß für Spanien & Portugal, die sich aus den europäischen Händeln verabschiedet hatten
Etwas verabschiedet auch erst im ersten Weltkrieg. Vorher haben beide Staaten selten eine Chance ausgelassen, um gegeneinander und den Rest der Welt aktiv zu werden.
Zitat Was machen wir mit China & Japan?
China hatte immer Ärger mit den Völkern vor seinen Grenzen (von denen es auch einige Male erobert wurde). Japan paßt halbwegs - aber die liegen halt auch isoliert. Während Deutschland ja nun immer sehr viele Nachbarn hatte und es im Rest des Kontinents immer heftig zur Sache ging.
Zitat Aber auf einer unbewussten Ebene mag es das durchaus geben. Deutschland hat zum Beispiel eine sehr lange "idealistische" Tradition.
Gerade so! [...] Und trotzdem ist klar, daß gewisse Denkweisen in bestimmten Ländern über lange Zeit ähnlich sind.
Hängen blieb ich an diesem Zitat, bzw. Florians Erklärung, warum es diese "deutsche Tradition des Idealismus" geben könnte. Dieser Idealismus erscheint mir auch Abseits des Verständnisses von Außenpolitik einen Erklärungsansatz für viele gesselschaftliche Eigenheiten des deutschen Volkes zu bieten. Es handelt sich um den "Antrieb zu handeln", welchen man hierzulande des Öfteren findet und den ich simplifiziert unter der Einstellung "Eine Sache um ihrer selbst Willen zu tun." subsumieren würde.
Möglicherweise kann man über die besondere (außen)politische Situation "Deutschlands" im Laufe der Geschichte, nicht nur "außenpolitische Vorlieben" begründen, sondern findet hierin auch einen Antrieb, der sich im Laufe der Zeit auf viele unterschiedliche Lebensbereich übertrug und so zu einer grundsätzlichen Einstellung wurde.
"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu
Zitat von VolkerD im Beitrag #11...dass für lange Strecken der deutschen Geschichte im dargestellten Zeitabschnitt bei den meisten im Deutschen Reich lebenden Personen ein gemeinsames Staatsbewußtsein als Deutsche bewusst war (vielleicht für einige wenige Beamte oder Adlige, aber nicht für die Masse).
Mgw. ist "Staatsbewußtsein" eine irreführende Vokabel. Eher das Bewußtsein einer eigenen "Kultur", vor allem auch in religiöser Hinsicht, mit ganz bestimmten Prägungen. Der Fall ist ja so selten nicht, daß durchaus auf solche Eigenständigkeit abgehobenen Kulturen ohne überwölbenden Staat auskommen. Die Italiener haben sich spätestens seit d. 13. Jhdt als "Italiener" gesehen (UND natürlich als Venezianer, Florentiner etc.) Das alte Griechenland war nie ein Staat, aber die Unterscheidung zwischen Hellenen & Barbaren war eisern - es machte geradezu eine Bedingung des "wirklichen Griechen" aus, daß Friedensverträge zwischen den Stadtstaaten nur befristet geschlossen wurden, weil nur im Krieg symbolisches Kapital zu ergattern war. Bei Rom liegt der Fall anders: eroberte Provinzen erhielten den Provinzstatus (mit Bürgerrecht für alle Freien) erst, wenn sie lang genug friedlich gewesen waren, also nach 2-3 Generationen. Das hat nur eingeschränkt geklappt, aber die drastischen Gegenmaßnahmen bei Widerborstigkeit gegen die Zentrale (verbrannte Erde: zuerst unter der späteren Diktatur Sullas gegen die italischen Provinzen, die Kriegssteuern zahlen mußten, aber kein Stimmrecht im Senat hatten, also: "no taxation without representation") waren ziemlich wirkungsvoll.
In meinem zweiten Beitrag versuche ich darzustellen, daß die im Kontext des alten Reichs ausgebildeten Rechtstraditionen immer noch starken Einfluß darauf haben, wie sich Deutsche die Lösung von internationalen Konflikten vorstellen.
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