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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 39 Antworten
und wurde 5.579 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2
Simon Offline



Beiträge: 334

26.11.2014 12:35
#26 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Zitat

Exemplarisch zwei Stimmen (Namen geändert):
1.) Jeanette: "Ich finde es schlimm, dass dank der Medien jeder Deutsche denkt, dass Moslems Terroristen sind! Egal ob Deutscher oder Ausländer, es sind alles einfach nur Menschen."
2) Ayse: "Wenn ein Moslem einen Menschen umbringt, dann sagen alle: Er ist ein Terrorist, er hat das vom Koran. Wenn ein Priester Kinder missbraucht, sagt doch auch niemand, der hat das aus der Bibel!"


Zu 2):
Es ist ein Unterschied:
In der gesamten jüdisch-christlichen Bibel findet sich kein Anhaltspunkt, womit der Kindermissbrauch allgemein und speziell durch Priester gedeckt wäre noch entschuldigt werden könnte. Ganz im Gegenteil! Ich muss das nicht weiter ausführen. - Mit dem Argument des Mordens durch einen Angehörigen des Korans und den Angehörigen der Bibel ist es ein wenig diffiziler: Wer in der Schule noch ein wenig Bibelunterricht hatte, erinnert sich z. B., dass Mose im Streit wegen seines unterdrückten Volkes handgreiflich wurde und dabei einen Ägypter erschlagen hatte und - um der Rechtsverfolgung zu entgehen - nach Midian fliehen musste. - Die Tat des Mose wird im Zusammenhang der Darstellung der Heilsgeschichte objektiv genannt, aber nicht entschuldigt, der Ehebruch des Königs David wird anschaulich thematisiert, ebenso wie seine Einsicht, seine Reue..., ja sogar die Folgen seines Fehltritts. - Im Koran dagegen wird ausdrücklich dazu aufgefordert, die "Ungläubigen" auszuschalten. Man lese beispielsweise die Charta der HAMAS: sie bezieht sich ausdrücklich auf solche Stellen des Korans, die dort wortwörtlich vermerkt (verordnet) sind!
Mit Verlaub gesagt: Ich bezweifle allerdings, ob es sinnvoll ist, mit Schülern den (wie sich zeigt: nicht ganz einfachen) Dialog absichtlich anzustoßen und führen zu wollen, der auf höherer Ebene verweigert wird. - Ich möchte darüber aber nicht in einen Methodenstreit mit Ihnen eintreten. Bleiben wir beim Thema.
Mit Grüßen
Simon

Bodu Offline




Beiträge: 81

27.11.2014 17:39
#27 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Liebes Forum,
nachdem die Gesprächsbeiträge zwischen philosophischen Fragen und alltäglichen Fallbeispielen hin und her oszillieren, bin ich mir nicht sicher, ob mein Zwischenruf passt: Ich bekam heute per Mail einen Spendenaufruf von Stop the Bomb Österreich, einer Gruppe, die immer wieder an das iranische Atomprogramm erinnert und dagegen opponiert, mit ihren (demokratisch-pazifistischen) Mitteln. Um meine anschließende Frage vorzubereiten, die sich auf Ihren letzten Beitrag, Herr Weimer, bezieht, füge ich den ganzen Aufruf – in der Hoffnung gegen keine Forumsregeln zu verstoßen– an, damit, wer die Gruppe nicht kennt, sich ein Bild machen kann:

Zitat
e-Mail vom 27.11.2014:

Ihre Spende macht den Unterschied!

Sehr geehrte Unterstützerinnen und Unterstützer,

gerade jetzt nach dem Scheitern der Wiener Atomverhandlungen mit dem iranischen Regime und der erneuten Verlängerung der Gespräche bis Juli 2015 wird unsere Arbeit umso dringlicher! Die Urananreicherung geht mit Erlaubnis der Weltmächte weiter, die Infrastruktur des iranischen Atomwaffenprogramm bleibt vollständig intakt. Keine einzige Zentrifuge muss abgebaut werden. Der Schwerwasserreaktor in Arak bleibt bestehen.

Gleichzeitig werden die über viele Jahre mühsam aufgebauten Santionen weiterhin gelockert, was dem iranischen Regime wieder Milliarden Euro zur Fortführung des Atomprogramms, der Unterdrückungsmaschinerie gegen die eigene Bevölkerung und der Finanzierung des internationalen Terrorismus gibt.

Gerade Österreich übernimmt eine Vorreiterrolle bei der wirtschaftlichen und politischen Hofierung des iranischen Regimes. Österreichische Delegationen reisen in den Iran trotz aufrechter Sanktionen und machen sogar vor dem Besuch sanktionierter Einrichtungen nicht Halt. Bundespräsident Heinz Fischer scharrt in den Startlöchern, um dem Regime in Teheran mit einem Staatsbesuch die Ehre zu erweisen. So wird die westliche Verhandlungsposition unterminiert!

Unsere Forderungen müssen daher weiterhin Gehör finden:
Scharfe und umfassende Sanktionen gegen das iranische Regime und sein illegales Atomwaffenprogramm!
Kein österreichischer Staatsbesuch bei einem Regime, das den Holocaust leugnet und Israel mit der Vernichtung droht!
Unterstützung der demokratisch-rechtsstaatlichen und säkularen Opposition im Iran und im Exil!
Dazu sind wir seit der Gründung des Bündnisses im Jahr 2007 auf Ihre Spenden angewiesen!

Setzen Sie ein Zeichen und spenden Sie heute bequem über PayPal oder direkt auf unser Konto:
Empfänger: Liga für Aufklärung und Freiheit
Zahlungszweck: Stop the Bomb
Erste Bank
IBAN: AT752011128939040700
BIC: GIBAATWW

Informieren Sie sich hier über unsere Aktivitäten!

Im Namen des überparteilichen Bündnisses danken wir Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung!

Simone Dinah Hartmann
Gründerin
Stefan Schaden
Sprecher Österreich
Stephan Grigat
Wissenschaftlicher Direktor



Initiativen wie diese bemühen sich ja, sich an dem Versuch zu beteiligen, Gewalt innerhalb einer bestimmten Gruppe erfolgreich entgegenzu wirken:

Zitat
Nennt man als Beispiel die Gewalt durch eine Gruppe, kommt man heute nicht an dem Versuch einer Antwort durch René Girard vorbei. Er hat die sogenannte mimetische Theorie aufgestellt: Menschliche Gesellschaften müssen in der Lage sein, dem Ausbreiten der Gewalt innerhalb bestimmter Gruppen erfolgreich entgegenzuwirken. Seine Erklärung zwischenmenschlicher Konflikte ist das Nachahmungsverhalten in der Gruppe: Es stiftet Rivalität, Neid und Eifersucht, ist ansteckend und führt zu blinder Gewalteskalation. Dann sucht man einen Sündenbock und bestraft oder tötet ihn. (Ludwig Weimer in #25)



Und nun meine Frage: Bezieht sich Girard auf eine Gesellschaft, die Gewalt unter Gruppen in ihren eigenen Reihen unterbinden können soll (z.B. den Redner in Simons Königsplatzbeispiel soll die BRD in die Schranken weisen können), oder würde er auch Versuche wie STOP THE BOMB dazuzählen, die Gewalt in der Nachbargeselleschaft (nämlich die, die potentiell im Iran vom Iran gegenüber Israel ausgeht) verhindern wollen. Wenn ich Girard global lese: Die Weltgemeinschaft muss in der Lage sein, Gruppen, die weltweit gewalttätig agieren, in ihre Schranken zu verweisen? Dann wären die Bomben auf ISIS nicht nur philosophisch abgesichert, sondern geradezu geboten? Zur Weltgemeinschaft gehören aber auch die islamischen Staaten, ... . Kann deshalb Girard global gedacht keine Anwendung finden? Oder doch?

Gruß und Schluss
Bodu

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[In Wirklichkeit ist die Realität ganz anders. N.N.]

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

28.11.2014 08:49
#28 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Lieber Bodu,

die Überlegungen Girards beziehen sich auf alle Konflikte. Bei Ihrem Beispiel ist die Sache etwas heikel, weil es um Prävention geht.
Die Regeln zur Vermeidung eines Krieges, wie sie z. B. die katholische Kirche ausgebildet hat (Weltkatechismus von 1993, Nr. 2302-2317) würden analog angewendet ungefähr diese sein:

Ein Pazifismus hat Grenzen; man kann persönlich absoluter Gewissens-Pazifist sein, aber nur sofern dabei die Rechte anderer Menschen nicht verletzt werden. Konkret heißt das: Er ist keine Lösung, er scheitert an allen Ecken und Enden.

Jede Gewaltantwort (Verteidigung, Verteidigungskrieg) bringt aber Übel und Ungerechtigkeiten, unerwünschte Nebenfolgen. Daher ist der Einsatz für eine Vermeidung von Krieg vorzuziehen. - ( Hierin liegt meines Erachtens sogar die diffizile Möglichkeit einer Zustimmung für Ihr Beispiel iranisches Atomprogramm.)
Am besten liegt der Schutz vor Kriegen in den Händen internationaler Autoritäten, denn bei Blockbildungen in der Welt wie in unserem Beispiel pocht jeder auf sein Recht und erscheint dem anderen unglaubwürdig.

Die Bedingungen zur Gestattung oder sogar Pflicht zur militärischen Notwehr (wieweit können sie auch schon für eine Prävention gelten?) sind folgende:
Der Schaden durch den Angreifer muss feststehen und schwerwiegend sein (wie sicher erwartbar?).
Alle anderen Mittel müssen sich als wirkungslos oder undurchführbar erwiesen haben.
Es muss eine ernsthafte Aussicht auf Erfolg bestehen.
Der Einsatz von Waffen darf nicht Schäden bringen, die schlimmer sind als das zu beseitigende Übel.
- Dies sind die traditionellen Elemente der katholischen Lehre vom "gerechten Krieg".

Sie präventiv und auf Sanktionen gegen das iranische Regime und sein illegales Atomwaffenprogramm anzuwenden, ist Sache des politischen Gefühls. Da wird es unterschiedliche Meinungen geben, schon bei der Beurteilung "illegal" oder nicht.
Ich persönlich urteile, vor allem im Blick auf die Erfahrungen und Befürchtungen des Staates Israel, dass das Schlimmste wahrscheinlicher ist als das Gute. Die Vernunft sagt mir: Es gibt keine Lösung, also kann das Schlimmste kommen. - Wenn aber viele dies einsehen, kann gegengesteuert werden. Das ist meine leise Hoffnung: auf die politische Einsicht in die Abgründe des Konflikts.

Grüße, Ludwig Weimer

Bodu Offline




Beiträge: 81

28.11.2014 09:17
#29 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Lieber Ludwig Weimer,
danke für die detaillierte Antwort.

Zitat
Ich persönlich urteile, vor allem im Blick auf die Erfahrungen und Befürchtungen des Staates Israel, dass das Schlimmste wahrscheinlicher ist als das Gute. Die Vernunft sagt mir: Es gibt keine Lösung, also kann das Schlimmste kommen. - Wenn aber viele dies einsehen, kann gegengesteuert werden. Das ist meine leise Hoffnung: auf die politische Einsicht in die Abgründe des Konflikts.


Wäre es dann in den aktuellen Fragen nicht am effizientesten, sich mit der Politik in Verbindung zu setzen? Ich meine nicht die medienverwässerte Parteipolitik, sondern die wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich für die Regierung(en?) mit der internationalen Lage und den Einschätzungen in den einzelnen Regionen der Erde beschäftigen? Nicht um über Ämtervergabe und Politikerkompetenzen eine raumumgreifende Bloglawine loszutreten, sondern um zu zeigen, dass es im Hintergrund Personen mit Sachkenntnis geben muss: Wenn eine ehemalige Familienministerin zu Verteidigungsministerin avanciert, dann muss es doch im hinter den Kulissen Köpfe geben, welche den Überblick über die Fakten haben. Und diese Leute müsste man erreichen, stelle ich mir vor.
Nur mal so spontan
Gruß und Schluss
Bodu

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Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

03.12.2014 10:05
#30 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Eine Frage zu Beispielen, wie böse der Fanatismus den Menschen machen kann:

Stefan Frank zitiert am 2. Dezember 2014 in „Lizas Welt“ (http://lizaswelt.net/):
»Wenn die Juden Palästina verließen, würden wir dann anfangen, sie zu lieben?«, fragte Muhammad Hussein Ya’qub, ein bedeutender Kleriker aus Alexandria und Autor (…) »Selbstverständlich nicht. Die Juden sind Ungläubige, nicht, weil ich es sage, sondern weil Allah es sagt. […] Sie wären auch dann unsere Feinde, wenn sie nichts besetzt hielten. Wir müssen glauben, dass unser Kampf gegen die Juden ewig währt und nicht enden wird bis zur letzten Schlacht.«

Und sagt dazu: „Aus Gründen, die uns verschlossen sind, bevorzugen muslimische Terroristen, die Juden ermorden, prinzipiell die grausamste Art. (…) So taten es die Mitglieder einer muslimischen Gang, die 2006 in Paris den Juden Ilan Halimi entführten und 24 Tage lang mit Messern, Säure, brennenden Flüssigkeiten und Zigaretten folterten und dazu ihre Freunde einluden, bevor sie ihn töteten. So taten es die Bewohner von Ramallah, die im Oktober 2000 zwei Israelis, die sich dorthin verirrt hatten, in einer Polizeistation lynchten: Sie rissen den Juden die Augen und inneren Organe heraus, einer der Täter zeigte am Fenster der begeisterten Bevölkerung seine blutigen Hände, woraufhin frenetischer Jubel ausbrach. (…)
Und so verfuhr ein arabischer Mob im August 1929 mit den Juden Hebrons. Den Männern wurden die Genitalien abgeschnitten, den Frauen die Brüste. Der Bäcker Noah Immerman wurde in seinem Ofen lebendig geröstet; Rabbi Ya’akov Orlanski HaCohen, der islamische Schriften studiert hatte, wurde das Gehirn aus dem Kopf geholt.“

Sind es nur bestimmte Zufälle, also wenige verbrecherische Menschen, welchen die fanatische Regierung das Ausleben ihres Sadismus erlaubt? Oder kann eine fanatisch-verirrte Religion ihre Anhänger generell so entmenschlichen? Ohne Notlage, einfach so?

Ludwig Weimer

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

03.12.2014 10:31
#31 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #30

Eine Frage zu Beispielen, wie böse der Fanatismus den Menschen machen kann:

Stefan Frank zitiert am 2. Dezember 2014 in „Lizas Welt“ (http://lizaswelt.net/):
»Wenn die Juden Palästina verließen, würden wir dann anfangen, sie zu lieben?«, fragte Muhammad Hussein Ya’qub, ein bedeutender Kleriker aus Alexandria und Autor (…) »Selbstverständlich nicht. Die Juden sind Ungläubige, nicht, weil ich es sage, sondern weil Allah es sagt. […] Sie wären auch dann unsere Feinde, wenn sie nichts besetzt hielten. Wir müssen glauben, dass unser Kampf gegen die Juden ewig währt und nicht enden wird bis zur letzten Schlacht.«

Und sagt dazu: „Aus Gründen, die uns verschlossen sind, bevorzugen muslimische Terroristen, die Juden ermorden, prinzipiell die grausamste Art. (…) So taten es die Mitglieder einer muslimischen Gang, die 2006 in Paris den Juden Ilan Halimi entführten und 24 Tage lang mit Messern, Säure, brennenden Flüssigkeiten und Zigaretten folterten und dazu ihre Freunde einluden, bevor sie ihn töteten. So taten es die Bewohner von Ramallah, die im Oktober 2000 zwei Israelis, die sich dorthin verirrt hatten, in einer Polizeistation lynchten: Sie rissen den Juden die Augen und inneren Organe heraus, einer der Täter zeigte am Fenster der begeisterten Bevölkerung seine blutigen Hände, woraufhin frenetischer Jubel ausbrach. (…)
Und so verfuhr ein arabischer Mob im August 1929 mit den Juden Hebrons. Den Männern wurden die Genitalien abgeschnitten, den Frauen die Brüste. Der Bäcker Noah Immerman wurde in seinem Ofen lebendig geröstet; Rabbi Ya’akov Orlanski HaCohen, der islamische Schriften studiert hatte, wurde das Gehirn aus dem Kopf geholt.“

Sind es nur bestimmte Zufälle, also wenige verbrecherische Menschen, welchen die fanatische Regierung das Ausleben ihres Sadismus erlaubt? Oder kann eine fanatisch-verirrte Religion ihre Anhänger generell so entmenschlichen? Ohne Notlage, einfach so?

Ludwig Weimer


Was wäre denn die Antwort in Bezug auf den Holocaust? Ist diese nicht die gleiche wie in den geschilderten Fällen?
Darüber hinaus möchte ich auf meinen Post #23 verweisen.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Simon Offline



Beiträge: 334

07.12.2014 18:00
#32 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Sehr geehrtes Forum,
Sie erlauben, dass ich im Hinhören auf das bisher zum Thema Geäußerte (wieder) etwas beitrage, das sich nicht nur an der Theorie, sondern auch am Gegenwartsgeschehen – allerdings nicht nur am rein politischen - orientiert.
Aus „Israel heute“ erfahre ich, dass ein Hotel-Unternehmen, das westlich von Jerusalem, also im Kernland des Staates Israel liegt, per Gerichtsspruch zu einer saftigen Strafe von umgerechnet mehreren Tausend Euro verurteilt worden ist, weil es die Anfrage eines lesbischen Paares ablehnte, in einem hauseigenen Saal ihr Hochzeitszeremoniell abzuhalten. Die Betreiber dieses Hotels, das paradiesisch schön in den judäischen Bergen gelegen ist und u.a. auch gern von Hochzeitspaaren frequentiert wird, sind „Messianische Juden“. - Sie haben in beachtenswerter Weise auf die Verurteilung reagiert: Sie wollen die Strafe bezahlen. Und obwohl ihnen diese finanzielle Einbuße weh tut, laden sie eine weitere auf sich, indem sie sich nach ersten Meldungen dazu entschieden haben, künftig überhaupt darauf zu verzichten, ihren Konferenzsaal für Eheschließungen anzubieten. - Die jüdischen Richter argumentierten nämlich mit Hinweis auf die allgemeine Gleichstellung aller Bürger, dass in einem öffentlich genehmigten Betrieb kein Gast abgewiesen, d.h. im konkreten Fall: diskriminiert werden werden dürfte. - Wie kurzsichtig dieses Urteil und das Handelnden der Betroffenen richtig und differenziert begrüngbar ist – dies zu überdenken möchte ich den werten Lesern überlassen. - Ich möchte aber noch einen Schritt weiter gehen und frecher – Sie können auch denken: naiver - Weise dieses positive Beispiel als pars pro toto für die vielen fehlenden und unterlassenen Taten in unsern "westlichen" Demokratien, auf deren Errungenschaften wir so sehr stolz sind, - der Staat Israel gehört auch dazu – hinstellen. Denn wenn in dem Aufsatz, den Ulrich Elkmann in Nr. 22 verlinkt hat, über den suicide of cultures im 21. Jahrhundert nachgedacht und gesagt wird, dass we simply do not understand the world in which we live, dann kann man aus eben diesem Aufsatz auch das Gegenmittel dazu heraushören: Es geht offensichtlich bei dem muslimischen Erstarken im Vorderen und Mittleren Osten und bei den Manövern Putins (neuerdings bezieht er sich auf das „Sakrale“ im politischen Zusammenhalt) nicht um bloße Nationalismus-Phänomene oder gar Irrationalismen – auch nicht um geschichtliche Neuauflagen von NSDAP im Falle von Hamas, IS etc.. Vielmehr verbirgt sich hinter diesem Erstarken und Säbelrasseln das verhängnisvolle Vakuum (der Suizid) an wahrhaftiger Entschlossenheit und Redlichkeit im Zusammenleben, der Gesetzgebung und in der Rechtspflege der „westlichen“ Demokratien. Und wie sich an dem Beispiel des Handelns der kleinen Gemeinschaft der Messianischen Juden ablesen lässt, kommt es tatsächlich auf die gesunden Lebensadern im Individuum und in den kleinen Gemeinschaften an, um den eigenen Suizid im Kleinen wie im Großen aufzuhalten oder verhindern zu können. Das Böse wie das Gute formiert sich. Es entfaltet seine Breitenwirkung. - Um dies zu erkennen, kann eine Ethik der Verantwortung eines Hans Jonas und dergleichen behilflich sein, indem sie auf größere Zusammenhänge und auf die Probleme im Einzelnen hinweist. Aber die Werkzeuge (tools) und ihre Handhabung sind unserer eigenen Verantwortung übergeben. - Um noch auf Erling Plaethe (Beitrag 23 und neuerdings) einzugehen: Es wäre ein Irrtum in diesem Zusammenhang an Selbst-Erlösung,„Selbstbeherrschung“, zu denken. Der theologische Begriff „Erlösung“ ist seit Jesus Christus in der katholischen Theologie innerhalb der Religionsgeschichte so geklärt, dass mit Jesu Glaube an die Zuneigung Gottes zu seinem Geschöpf, der Menschheit, und mit dessen individueller Ganzhingabe - getreu der Heilserwartung der Propheten seines Volkes – der Menschheit insgesamt eine zuverlässige Vorgabe gegeben ist. Vorgabe heißt - ähnlich wie bei einem Fußballspiel die gute „Vorlage“, dass sie aktuell verwandelt werden muss! Die eigene Anstrengung, die Mühe, das Können, das Vertrauen – sind gefragt. - Um weiter im Bild zu bleiben: Für einen Agnostiker mag Letzteres genügen. Für einen aufgeklärten gläubigen Katholiken meint „glauben“ beides: dass Alles von Gott her in der Menschen-Geschichte schon gegeben ist; dass aber zugleich noch alles aussteht: Gutes, Verwandlung von Gegebenem kann nur geschehen, wenn es gläubig ergriffen und be-wirkt wird. Die sichere Hoffnung des Gelingens ist dabei sozusagen mitgeliefert.
Simon

P.S.
Glauben Sie, bitte, nicht, dass ich die folgenden Anfragen etwa überlesen hätte. Ich glaube an keine Zufälle in der Geschichte des menschlichen Geistes. Die jüdisch christliche Bibel stellt zunehmend klarer dem Leser das richtige Handeln, aber auch die Folgen seines verkehrten Handelns vor Augen. Und sie vertraut auf die menschliche Unterscheidungs-und Wirkkraft, das Richtige wählen und den rechten Weg gehen zu können (vgl. nur Ps 1). - Allerdings erschrecke ich, wenn Weimer darauf aufmerksam macht, dass die Menschen - gemäß des Neuen Testamentes (der Fortsetzung und Erfüllung des Alten)- ganz realistisch weiterhin in Not gesehen und zu bitten angeleitet sind: "Erlöse uns von dem Bösen."

Zitat:
"Sind es nur bestimmte Zufälle, also wenige verbrecherische Menschen, welchen die fanatische Regierung das Ausleben ihres Sadismus erlaubt? Oder kann eine fanatisch-verirrte Religion ihre Anhänger generell so entmenschlichen? Ohne Notlage, einfach so?

Ludwig Weimer


Was wäre denn die Antwort in Bezug auf den Holocaust? Ist diese nicht die gleiche wie in den geschilderten Fällen?
Darüber hinaus möchte ich auf meinen Post #23 verweisen.


Erling Plaethe, 03.12.2014 10:31"

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

07.12.2014 18:47
#33 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #32
Allerdings erschrecke ich, wenn Weimer darauf aufmerksam macht, dass die Menschen - gemäß des Neuen Testamentes (der Fortsetzung und Erfüllung des Alten)- ganz realistisch weiterhin in Not gesehen und zu bitten angeleitet sind: "Erlöse uns von dem Bösen."

Lieber Simon, danke, dass Sie auf meinen Beitrag eingegangen sind.
In der Tat halte ich diesen Punkt für bedeutsam. Mich beschäftigt weit weniger die Frage, ob man meint, dass man erlöst wird oder dies selbst bewerkstelligt, als vielmehr die Frage, ob eine solche Erlösung überhaupt realisiert werden kann.
Und ob die Vorstellung, dass diese Möglichkeit jedem geboten ist, nicht die Gefahr der Selbstüberschätzung, ja, des Größenwahns in sich trägt. Und nicht nur das. Meines Erachtens ist das Bewusstsein der eigenen Unvollkommenheit, im moralischen Sinne: der permanenten Existenz des Bösen in jedem einzelnen Individuum, die ausschlaggebende Motivation mit der kritischen Beurteilung des eigenen Handelns nie aufzuhören.
Das heißt nicht, dass das Böse in jedem Individuum nicht erfolgreich bekämpft und unterdrückt werden kann, aber es heißt, dass man damit niemals fertig wird. Es endet nicht. Jedenfalls nicht in dieser Realität.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

08.12.2014 19:19
#34 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Genau dies, lieber Herr Plaethe, eine Form des Gegen "die Gefahr der Selbstüberschätzung, ja, des Größenwahns",

sehe ich in dem Habitus des Bittens in diesem bestimmten Kontext. Ich stimme Ihnen voll zu. Nur nicht ganz dem Urteil, Erlösungswille bedeute Erschrecken vor einem zu stolzen gefährlichen Anspruch. Für Christen bedeutet Erlösung wörtlich "Freigekauftwerden" - ein säkularer Begriff übrigens, und keinesfalls Selbsterlösung! Dem "sondern erlöse uns von dem Bösen" aus dem sogenannten Vaterunser geht unmittelbar voraus: "und führe uns nicht in Versuchung". Auch das ist leicht missverständlich, wenn man es ohne den Kontext und in dieser Übersetzung nimmt. Der Ausdruck in Matthäus 6,13 "Versuchung" meint nicht, dass ein Gott uns bewusst zu verführen suchen könnte, sondern meint mit dem griechischen Wort "peirasmos" die apokalyptische Stunde des Bösen, von der der Beter weiß, dass er sie in seiner menschlichen Schwachheit nicht bestehen würde. Er bittet also darum, dass diese Stunde gar nicht kommt oder noch nicht kommen möge, d.h. er macht sich bewusst, dass er versagen würde, er wird demütig und selbstkritisch. Nicht Gott schafft diese kritische Stunde, sondern die Menschen schaffen sie. Man könnte auch sagen, es geht in dieser Bitte um dasselbe, was mit dem öfter genannten Spruch Jesu "Seid wach!" gemeint ist.
War es nicht der Dichter Machado, der schrieb, die Christen meinten, "Liebt einander" sei Jesu wichtigster Spruch gewesen; nein, Jesu "Wachet!" sei vielmehr der entscheidendere gewesen.
Ich schreibe grade was über Samuel Beckett, zum 25. Todestag vor Weihnachten. Da ist Ihr Thema der immerwährend-äußerst-bruchstückhaften Erlösung überhaupt nur als Schmerz der Sehnsucht vorhanden. Aber haben wir nicht auch eine Art Menschenrecht, so dass ein jeder, der - und sei's ein Fitzelchen - helfen, retten kann, seinen Beitrag leisten soll?
Einen Sieg gibt es nie, Sie sagen es besser als eine Enzyklika.
Aber die Freude über jedes Gelingen.
Es geschieht auch heute, dass ein Mensch sogar sein Leben gibt für andere.Sogar mitten in Deutschland.

Mit Grüßen, Ludwig Weimer

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

08.12.2014 22:37
#35 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Lieber Herr Weimer,

vielen Dank für Ihre Antwort, die ich mit großem Interesse gelesen habe.

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #34

Aber haben wir nicht auch eine Art Menschenrecht, so dass ein jeder, der - und sei's ein Fitzelchen - helfen, retten kann, seinen Beitrag leisten soll?

Helfen wir wirklich weil wir "sollen" oder nicht viel mehr weil wir "wollen"? Wer die positive, dankbare Reaktion eines Mitmenschen, dem man geholfen hat, kennenlernte, machte auch Bekanntschaft mit einem starken Gefühl der Zufriedenheit.
Wie Sie schrieben: "Die Freude über jedes Gelingen."
Meine Kritik richtete sich an die unreflektierte Hilfe, eine die meint, ohne diese Reflexion auskommen zu können und nicht mehr erkennt, wann Hilfe zur Bevormundung wird. Dabei hatte ich vor allem die umgangssprachlich bezeichneten Ersatzreligionen im Sinn.
Für mich ist diese Erfahrung des Liebe geben und Liebe empfangen in dem Gebot enthalten: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."
Denn nur wer sich selbst liebt, wird diese Erfahrung der Zufriedenheit - empfangen durch die Freude und Dankbarkeit desjenigen, dem man half - erfahren können. Wem es auf diese Erfahrung gar nicht ankommt, weil er sich selbst nicht liebt, wird u.U. auch keine Liebe geben (können, auch wenn er soll).
Selbst wenn er meint, dies zu tun.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

09.12.2014 21:51
#36 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Lieber Herr Plaethe,

"wollen" ist wohl tatsächlich das entscheidende Grundwort, sonst ist ein gefühltes "Ich sollte" nicht frei genug, blickt noch zu sehr auf sich und die Kosten statt auf das Bedürfnis des Anderen zu schauen. Sie sagen es mit dem Hinweis auf eine unwürdige Bevormundung. - Mein "soll" als kategorischer Imperativ ist praktisch also identisch mit dem "Ich will dies, denn dieses zu tun erscheint mir als ein Gutes".

Bei der Nächstenliebe (Herkunft des Begriffs aus der Nachbarschaftlichkeit und Glaubensgenossenschaft des Lebens im Alten Israel, Gegenteil zu Fernstenliebe und bloßer Verbal-Solidarität) gibt es ja ein nettes Problem bei der sog. Goldenen Regel. Sie kommt in verschiedenen Kulturen vor, aber immer negatig formuliert: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu. Merkwürdigerweise hat sie Jesus aus Nazareth positiv formuliert: Was du willst, dass man es dir tue, das tue du dem Nächsten. Und daraus kam die witzige Kritik: Wenn der aber einen anderen Geschmack hat!? Das ist nur fein formuliert, aber an der Sprache der Ethik vorbei auf eine andere Ebene versetzt, woraus ein Witz entsteht.
Ich sehe in der positiven Wendung aber einen anderen Sinn, nämlich: Jammere nicht ständig, was dir und was überhaupt der Welt fehlt, geh hin und tu das Fehlende, und beginn beim nächststehenden Adressaten.

Sich selbst lieben ist die Voraussetzung, dass man nicht für die andern unausstehlich wird. Das bekannte Argument. Die Katecheten benutzen es seit Jahren. Die meisten Hörer bleiben wohl bei der Verwirklichung dieses ersten Teils hängen. Aber Sie verweisen trotzdem mit Recht darauf, Herr Plaethe. Es ist sehr schwer für viele, sich als Singulären mit den und den Macken anzunehmen. Die meisten schaffen es nur, sich durch Kleidung und Benehmen einer Rotte anzugleichen, um sich durch vorgebliche Gleichwertigkeit einen Wert zu verschaffen. Eine Befreiung z. B. bei Schülern kann vielleicht pädagogisch darüber anfangen, dass der Betroffene lernt, über die Sachlichkeit nachzudenken, seine persönliche Freude über die Welt zu differenzieren (Musik, Kunst, Natur, Sport usw.) und Rücksicht auf das Anderssein des Anderen zu nehmen. Es gilt die Angst davor zu verlieren, selber ein Einmaliger zu sein, und zu erkennen: Gerade im Zusammen der Vielen, Verschiedenartigen habe ich so meinen eigenen Wert.
Ich habe dies gerade mal so dahinformuliert, weil ich im Zusammenhang mit einem Konzept einer Privatschule in München darüber nachdenke.

Ludwig Weimer

Daska Offline




Beiträge: 245

24.01.2015 08:52
#37 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag RE: 5 Millionen Mal Satiremagazin
2) Mit "Laizität der Minderheit Gottesvolk" versuchte ich zusammenzufassen, dass die Christen, wenn sie wirklich als Gottes-Volk (laos theou)mit jüdisch-prophetischer und gesellschaftlicher Kraft leben, nicht eine klerikale Religion bilden, sondern als differenzierte Gestalt wie das Salz oder wie Städte auf Bergen der Großgesellschaft ein Maß des möglichen Guten und Schönen vorleben und in sie hineinwirken.

Darf ich nachfragen? Was qualifiziert jenes laizistische Volk als Gottes?
Beste Grüße
Daska

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

24.01.2015 13:08
#38 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Liebe(r) Daska,

am liebsten zitiere ich immer wieder Franz Rosenzweigs Satz, Gott habe eben nicht die Religion geschaffen, sondern die Welt.
Denn das verändert unseren Blick.
Es geht nicht mehr nur um einen Trost in Krankheit und Leid, was heute viele von einer Religion erwarten ("Da hilft nur noch das Beten"; es hilft psychologisch wohl wirklich), sondern um die Welt und nichts als die Welt, aber um die Welt, wie Gott sie wollte. Wie im Judentum geht es um Küche, Tisch und Bett, um Familie und Beruf, um soziales Engagement, um Fest und Feier,um Gastfreundschaft und Hilfe für die Fremden, um Friede im Land und bei den Nachbarvölkern. Es sind die gleichen Gegenstände, die auch Agnostiker interessieren müssen. Es ist keine Sonderwelt für Sakristeien und spiritistische Clubs. Oder nur private Innerlichkeit. Und es geht um Handeln und Taten, nicht um bloßes Reden am Stammtisch. Die Organisation als Gemeinde bedeutet Kooperation, weil einer allein und eine Familie allein hilflos wären. Es braucht das Politikum Synagoge, Kirche. Eben neben dem Staat, wegen der Religionsfreiheit.

Gruß
L. Weimer

Reisender ( gelöscht )
Beiträge:

25.01.2015 09:03
#39 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #36

Ich habe dies gerade mal so dahinformuliert, weil ich im Zusammenhang mit einem Konzept einer Privatschule in München darüber nachdenke.



Ich habe eingangs die Frage gestellt, was das Böse sei. Sie denken über ein Konzept für eine Schule nach. Ich selbst habe mit Religion nichts zu tun. Ich beobachte aber gerade, was (nicht) passiert, wenn sich mein Kind auf seine Erstkommunion vorbereitet (was ich toleriere:-)). Deshalb nehme ich mir die Zeit, zu antworten und hoffe, dass sie Ihnen etwas behilflich sein kann. Obwohl, es könnte sein, dass ich offene Türen einrenne.

Zitat
Sich selbst lieben ist die Voraussetzung, dass man nicht für die andern unausstehlich wird…Es gilt die Angst davor zu verlieren, selber ein Einmaliger zu sein, und zu erkennen: Gerade im Zusammen der Vielen, Verschiedenartigen habe ich so meinen eigenen Wert.



So ist es. Wenn man keinen Respekt vor dem eigenen Haus hat, wer soll ihn dann haben? Hier wird der Gedanken erweitert. : https://www.youtube.com/watch?v=010KHPxjX_Y .

Zitat:Wie im Judentum geht es um Küche, Tisch und Bett, um Familie und Beruf, um soziales Engagement, um Fest und Feier,um Gastfreundschaft und Hilfe für die Fremden, um Friede im Land und bei den Nachbarvölkern. Es sind die gleichen Gegenstände, die auch Agnostiker interessieren müssen. Es ist keine Sonderwelt für Sakristeien und spiritistische Clubs. Oder nur private Innerlichkeit. Und es geht um Handeln und Taten, nicht um bloßes Reden am Stammtisch.[/quote)

In dem Kirchenkreis meines Kindes wird sehr viel “soziale Arbeit” gemacht. Alle wollen Gutes tun. Deshalb hält ein Kind einen Vortrag vor der Gemeinde. Es erzählt über ein Kinderdorf, was dort im Argen liegt, wie es seiner Meinung nach weiter gehen müsste und was man dazu braucht. Die Leute folgen den Gedanken und spenden. Die Rückmeldung der Religionslehrerin ist, “wir haben soundsoviel erbettelt”. Nein, hat sie nicht. Das Kind hat auch nicht gebettelt. Es hat Tacheles geredet nach seinem Verständnis: “Das ist mir wichtig aus diesen Gründen…” und hat deshalb Fremde überzeugen können. Das verdient Respekt und rechtfertigt Stolz auf die Leistung. Das sah die Dame aber nicht so. Stolz sei schlecht. Demut das Gebot. Sie lebt in einem ordentlichen Haus, hat mehrere Fahrzeuge zur Verfügung, leidet an nichts Mangel und hat nicht alles selbst bezahlt. Ich würde es nicht aushalten, mich für alles bedanken zu müssen und demütig durch die Gegend zu laufen. Letztlich halte ich es für bigott?

Ich habe immer gehofft, dass die Kinder dort lernen, sich über die Welt, das Gute und Böse Gedanken zu machen. Stattdessen lernen sie nur, wie die Mütze des Diakons heißt und Basteln als Form der Kundenaquise. Oder sehen einen Film.

“Meinen Sie nicht, dass die Sintflut für kleine Kinder harter Stoff ist? Gott ersäuft die Menschheit, weil er unzufrieden ist?” “Das lehrt, dass das Böse bei Gott keine Chance hat!” Waren die Menschen Böse? Bei mir tun sie nur Böses. Ersäufe ich mein Kind, wenn es böses tut? Was ist das Böse? Keine Antwort, keine Belehrung - nichts.

Ein Junge dort macht 4 x Woche Sport. Das ist ihm sehr wichtig. In der Schule ist er auch sehr gut. Man kann darüber denken was man will. Der Junge widerspricht: “Nein, das habe ich nicht Gott zu verdanken, das mache ich selbst!” Und ward nicht mehr gesehen.

Vielleicht ändert sich das mit dem Wechsel auf das Gymnasium. Bis jetzt stelle ich fest, dass ich als Nichtglaubender als der Einzige mit meinen Kindern über Gott, Darth Veda und die dunkle Seite der Macht rede. Leider auch über Stolz, der Nachsicht, Milde und Großmut beinhaltet. Seltsamer Weise scheinen genau diese Sachen den Frommen und Guten, die ich kenne, abzugehen. Am meisten reden sie auch über Geld. (Die Kinder MÜSSEN anläßlich der Erstkommunion spenden. Nur müssen sie dann mein Geld mitbringen. Will die Kirche mein Geld, soll sich mich fragen!)

Die Heilige Hedwig wird gern zitiert als gutes Beispiel. Ich teile diese Sicht nicht. Ich halte sie für kleinmütig und ängstlich. Selbstbewusst hätte sie ihre Macht besser nutzen können und andere lehren, Freude am Leben zu haben. Es beinhaltet Leid, es ist aber nicht Leid:

Gott schuf die Welt. Dabei “richtete er es so ein”, dass aus einem Chaos eine Ordnung geschaffen werden kann. Nur muss dazu Energie von einem Punkt abgezogen und woanders eingebracht werden. Der Löwe muss also töten, um zu überleben. Die Zerstörung einerseits ermöglicht die Entwicklung und das Leben andererseits. Sonst gäbe nur Stillstand, Lethargie. Erst das Böse ermöglicht die Schöpfung, also ist das Böse das Gute, der Antrieb der Welt.

Gott beherrschte nun die Balance zwischen beiden Kräften. Seine Menschen im Garten Eden forderte er auf, den Apfel zu essen, als er sagte “Esst niemals von diesem Baum da!” Das ist wie mit den blauen Elefanten, an die man nicht denken soll. Als Konstrukteur wußte Gott, welche Folge die Weisung haben wird.

Er wollte also, dass die Menschen Gut und Böse kennen und beherrschen lernen - damit sie ihm gleich werden.

Da könnte sich m.M.n. der Kreis von christlicher Religion und Agnostikern schließen, die vielleicht doch das Gleiche meinen.

Einen schönen Sonntag!

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

25.01.2015 17:55
#40 RE: Schulterschluss zwischen humanistischen Agnostikern und wirklich aufgeklärten, gläubigen Christen Antworten

Lieber Reisender,

Dank für Ihren ausführlichen Beitrag.
Als Theologe sehe ich meine Aufgabe darin, das authetische Christentum freizulegen und vom nichtshelfenden Zeitgeist zu reinigen.
Das Christentum darf nicht seine Nische in einem Religionsbegriff suchen, der nur ein Segment der Lebenswelt beträfe: die psychische persönliche Kontingenz- und Krisenbewältigung. Dazu könnte sogar ein esoterischer Aberglaube ausreichen. Man sagt ‚mehr Spiritualität‘, meint oft aber bloß eine subjektive Seelenreligion oder ein ökumenisches Gutmenschentum. Vergessen wird dabei der Gründungsauftrag des Gottesvolkes: Gegenaktion Gottes zum verschuldeten Elend der Welt zu sein. Viele sagen: Jesus ja – Kirche nein, vielleicht weil sie von der tradierten Form der Pfarrei enttäuscht sind.

Jesus hatte aber die 12 und die 72 in alle Städte Israels geschickt, um das Gottesvolk für die Erfüllung der Verheißungen neu zu sammeln. Er will nicht nur in den Herzen Bedeutung haben, sondern braucht auch einen Leib zum sozialen Präsentsein, eine Stadt auf dem Berge, wie er in der Bergpredigt sagte.
Ein ‚religiöser‘ christlicher Glaube ist ein synkretistischer: Die Namen sind zwar christlich, der Inhalt bleibt aber auf der Stufe der Religion in den Grenzen des menschlichen Herzens stehen. Es fehlt dann beim Beten das Entscheidende: die Willenseinigung mit dem Plan Gottes, ein Volk zur Weltgestaltung zu sammeln; es fehlt die Sorge um die Heilsgeschichte.

Im Anschluss an den genialen christlichen Kritiker SÖREN KIERKEGAARD (1813-1855) konnte nach dem Ersten Weltkrieg bei uns KARL BARTH (1886-1968) solche Fragen unterscheidungskräftig vertiefen: Vielleicht haben wir aus dem Christentum eine uns passende Religion gemacht, den Gegensatz zum echten Christentum? Ein halbes Jahrhundert lang wurde seither die heute wieder verstummte Frage gestellt: Ist das Christentum überhaupt eine ‚Religion‘ oder nicht etwas viel Größeres?

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Irrationalität und Vernunft im Volkschristentum eines Landes? Herrscht ein ablehnender Fundamentalismus gegenüber den Naturwissenschaften (vgl. USA-Staaten im Bibelgürtel)? Gibt es eine Kulturfreundlichkeit? Gibt es magische Reste, Zauberglaube (wie in Süditalien)? Für eine Erstmission stellte sich die Sache kaum anders dar als heute für eine „Neuevangelisierung ehemals christlicher Länder“. Die Restkirchgänger glauben die wahre Religion zu leben und ahnen hier und dort gar nicht, dass diese längst verkürzt ist auf eine schwache bürgerliche Anständigkeit.

Fundamental für die Neubesinnung innerhalb der Kirche wäre meiner Meinung nach das Erkennen des langen faktischen Ausgeblendetseins der jüdischen Wurzel und Verankerung der Kirche im Alten Testament. Durch die „Ur-Spaltung“ von Juden und Christen am Anfang der christlichen Geschichte wurde nicht nur der Boden für die Entstehung des Islam gelegt; dadurch büßte das Christentum in Verbindung mit dem Staatsreligion-Werden sein religionskritisches Potential ein und konnte sich zu einer Religion wie die anderen Religionen entwickeln – die Voraussetzung dafür, dass der heutige Religionspluralismus von der Hypothese ausgehen kann, das Christentum sei eine Religion wie die anderen auch.

Die Nähe von Judentum und Christentum beruht darauf, dass beide keine ‚Religionen‘ mehr sind, sondern die Aufklärung Gottes über die Not und die Berufung des Menschen, Partner Gottes zu sein. Meine Kritik der Religion ist nicht gegen eine andere gerichtet, sie hat eine innerkirchliche Funktion: Theologie und Praxis daraufhin zu läutern. Zur Debatte steht heute eine drohende Häresie eines alles nivellierenden Religionspluralismus, der letztlich die Mission der Kirche wenn nicht sogar verbieten, so doch verbiegen würde zu einer nichtssagenden Inkulturation in einen postchristlich-interkulturellen Dialog und eine Nachplapper-Ökoethik als Ersatz für die eigentliche Umkehrbotschaft.

Herzlichen Gruß
Ludwig Weimer

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