Freiheit - Chance oder Bedrohung? Warum der Liberalismus nicht massenkompatibel ist
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag RE: Helikoptereltern und HelikopterstaatUnd genau dieser Furcht unterliegen doch die Helieltern, oder? Die Freiheit wird als Bedrohung empfunden, statt als Chance. Deshalb: Alles planen, planen und noch mal planen, denn alles ist planbar.
Eine Ursache für die von Ihnen so trefflich im Blog beschriebene Helicopterei scheint mir um dieses Phänomen zu kreisen. Die Freiheit ist eine Bedrohung und keine Chance, denn das Letztere führt mit sich: Nichts Genaues weiss man - jedenfalls vorher - nicht. Dadurch kommt Unberechanbarkeit ins Leben. Also etwas, was man sich, wo doch angeblich alles planerisch durchdekliniert werden kann, nicht mehr gefallen lassen will.
Dennis the Menace hat diese wenigen Sätze im Thread "Helikoptereltern - Helikopterstaat" geschrieben, und damit wie ich meine, eine sehr wichtige Sache aufgebracht - nicht nur in Bezug auf die viel gescholtenen Helikoptereltern, sondern vor allem in Bezug auf unsere Gesellschaft als ganzes und unsere politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ansichten und Vorraussetzungen.
Schauen wir uns doch einmal unsere Mitmenschen an: die Mehrzahl von ihnen wollen gerne klare Handlungsanweisungen, einfache Fragen und Antworten und vor allem genaue Grenzen aufgezeigt bekommen. Ich erlebe das jeden Tag im Betrieb - Eigenverantwortung, freie Entscheidungen... das ist ein Problem.*1 Nun kann man ja sagen, ich arbeite in einem hoch regulierten Bereich - was auch stimmt. Aber die Bereitschaft, Arbeitshilfen als strikte Anweisung mißzuverstehen, jedem Komma, jeder Leerzeile hinterherzuzählen? Und das ist nur ein kleiner Teilausschnitt: überall erlebe ich, dass meine Mitmenschen lieber genau gesagt bekommen, was sie zu tun, zu sagen oder gar zu denken haben. Womöglich ist das eine Folge unserer Menschheitsgeschichte: immerhin haben wir den größten Teil unseres erdgeschichtlichen Daseins in Kleingruppen mit klarem Anführer verbracht, von dessen Entscheidungen und der genauen Umsetzung durch seine Mitmenschen der eigene Jagderfolg und damit das Überleben der Spezies abhing. Selbst den Großteil der geschichtlichen und uns durch Schrift oder Bild bekannten Entwicklung haben die Menschen in Strukturen verbracht, die durch klare Anführerschaft und wenig Eigenverantwortung gekennzeichnet waren*2. Zusammengefasst: meine Mitmenschen verstehen Freiheit als Bedrohung. Und sie tun dies aufgrund ihrer Vorfahren, denn jene, die nur als Anführer Entscheidungen getroffen und die Entscheidungen des Anführers sonst ohne Widerspruch ausgeführt haben, jene hatten ja einen evolutionären Vorteil. Meine Mitmenschen fühlen sich bedroht, weil eine Entscheidung auch heute schwere Konsequenzen haben kann: kündige ich meinen Job und nehme den neuen an? Was, wenn ich während der Probezeit entlassen werde? Dann doch lieber im alten bleiben... investiere ich in Aktien? In welche? Was wenn die Kurse einbrechen und ich meine Altersvorsorge los bin? Dann doch lieber Riesterrente, die ist mir ja von der Politik empfohlen worden. Stimme ich für Kürzungen im Sozialetat und rigeroses Zurückfahren all' der Sozialversicherungen, die mir letztlich mein Geld für Verwaltungsausgaben abknöpfen? Und was passiert, wenn ich krank werde, oder erwerbsunfähig? Um Himmels Willen... also doch lieber nicht. Und sogar: was passiert eigentlich, wenn andere sich so entscheiden? Hilfe, die könnten mich ja überstimmen?
Wenn also Freiheit als Bedrohung statt als Chance empfunden wird, wovon ich in Bezug auf die breite Mehrheit der normalen Bürger, einen Großteil der Intelligenz und sogar die meisten Politiker und fast alle Medienmenschen überzeugt bin, dann ist der Liberalismus vielleicht trotz aller ideologischen, ökonomischen und individuellen Überlegenheit gegenüber Kollektivismus, Sozialismus und all' den anderen Ideologien, Religionen oder Wirtschaftsweisen für diese Menschen noch zu hoch, nicht die als richtig empfundene Antwort in ihrer derzeitigen Lebenssituation - trotz der auch von diesen Menschen gewünschten Toleranz/In-Ruhe-Gelassen-Werden in gesellschaftlichen Fragen (auch sie wollen schließlich nicht, dass man ihnen vorschreibt, wen sie zu lieben haben...). Das würde die hohen Zustimmungsraten für nicht im geringsten liberale Parteien, die aber zumindest "Diversität"*3 anmahnen, erklären. Die richtige Antwort ist der Liberalismus natürlich schon - nur muss er von seinen Vertretern besser verkauft werden. Die Liberalen müssen also durch ständige Überzeugungsarbeit glänzen, gerade auch die organisierten Liberalen, sie müssen den Menschen erklären, dass Freiheit eine Chance ist und nur Freiheit garantiert, dass sie "in Ruhe gelassen werden", dass ihnen Freiheit in jedem Bereich ganz klare Vorteile bringt und gerade die wirtschaftliche Freiheit selbst dem Ärmsten und Hilfebedürftigsten ein besseres Leben ermöglicht als dem Reichen in einem wirtschaftlich unfreien System. Das ist etwas, an dem die FDP letztlich in der letzten Legislatur-Periode kläglich gescheitert ist*4. Ich hoffe, dass dieses jetzt angegangen wird... - vielleicht kann uns R.A. dazu bei Gelegenheit mal informieren. Liberalismus braucht Erklärung, muss die Menschen überzeugen. Er kann sich leider nicht auf Emotionen verlassen - denn die weisen leider meist den Weg in die andere Richtung...
*1 Wenn man vielen meiner Kollegen sagt, "schaut ins Arzneimittelgesetz und die EC-Directives, das sind die einzigen wichtigen Vorgaben, und dann entscheidet, was Ihr tun müßt - mit gesundem Menschenverstand und Eurer jahrelangen Erfahrung", dann fragen sie nach internen Handlungsanweisungen, "Firmen-Standards" oder "Best Practice Guides". Die wollen ganz klare Vorgaben, genaue Fahrpläne, was sie wann zu machen haben. Wir haben einiges an Gesetzen, die sich aber doppeln (weil im Arzneimittelgesetz der BRD eben auch die meisten Vorgaben der Directives 2001/83 und 1234/2008 drin sind. Und nach ca. fünf Jahren Berufserfahrung sollte man die wichtigsten Bestimmungen eh' schon fast auswendig kennen. Trotzdem ist die Kleinteiligkeit, mit der bei uns "freiwillig" reguliert wird, schon bedenklich. Vor allem aber die Einstellung: wenn ich mich 100%ig an meine Arbeitshilfe halte, dann mache ich alles richtig. *2Selbst in der von mir so geschätzten Römisch-republikanischen Gesellschaft gab es, bei aller Demokratisierung, klare Anführer von Kleingruppen, nämlich den Pater familias als Chef seiner Klienten, und auch die Beamtenstruktur war auf Hierarchie aufgebaut. Nur dieses ermöglichte Rom ja auch sein fast demokratisches Leben bei dennoch klaren Beziehungen nach außen. *3 Diversity and inclusion, obwohl wohl die meist mißbrauchten Wörter dieser Zeit, sind wohl die wichtigsten Dinge, die ein Unternehmen zur Zeit fördern kann. Diversität ist nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen ein wichtiger Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Das ist auch logisch, da durch mehr Unterschiede im Team, durch Diversität der Menschen im Team, mehr Ideen ins Team kommen als wenn alle gleich sind und gleiche Hintergründe haben. Natürlich ist das auch abhängig von anderen Qualifikationen - aber wenn man immer die besten Bewerber nimmt und allen Bewerbern gute Bedingungen schafft, dann kommt das von alleine. Inclusion meint ja ganz anders als das deutsche, durch die Linke missbrauchte Inklusion auch nicht Zwangsintegration von geistig behinderten. Vielmehr deuten viele Unternehmen mittlerweile Inklusion als Mittel, den unterschiedlichen Lebensentwürfen ihrer Mitarbeiter und deren teilweise krass unterschiedlichen körperlichen und geistigen Vorraussetzungen gerecht zu werden. Ein körperlich behinderter Mitarbeiter (ob nun durch Geburt, Unfall oder schwere Krankheit) ist vielleicht nicht so stark belastbar wie ein körperlich gesunder, im Gesamtpaket mag er aber nach Erfüllung von bestimmten Vorraussetzungen (besonderers ergonomischer Arbeitsplatz, Pausenregelungen, gute Vertretungsregelungen etc.) eben mindestens genauso viel für das Unternehmen leisten wie dieser. Teilzeit, Telearbeit, etc. leisten ihren Beitrag dazu, dem Unternehmen die besten Mitarbeiter zu garantieren - und gute Mitarbeiter sind viel wert. Auch dieses ist ein Punkt, der sich auch ohne gesetzliche Verpflichtung (langsam?) durchsetzt. In Kleinbetrieben war das sogar zu meiner Kindheit immer so: ich kannte viele Handwerksbetriebe, die geistig etwas zurückgebliebene Jugendliche oder Erwachsene ausgebildet und übernommen haben, bei unserer kleinen Bank in meinem Heimatort arbeiteten ein Querschnittsgelähmter und später sogar eine junge Frau, die durch Contergan geschädigt war. *4 Natürlich gab es noch andere Probleme. Aber das Scheitern in der Frage der Erklärung des Liberalismus, des Überzeugens war wohl das schwerwiegendste, da es zur schlechten Performance, zum Nachrennen geführt hat. Einige aus dem Führungsteam der FDP scheinen da auch selbst Probleme mit der Überzeugung gehabt zu haben.
Grundsätzlich bin ich eher gegen "Pro und Kontra", und habe ferner nicht das Geringste gegen Ihr Vorhaben, lieber adder, Mitbürger von liberalen Ideen zu überzeugen. Aber gut: eine Gegenposition.
Zitat von adder im Beitrag #1Die richtige Antwort ist der Liberalismus natürlich schon
Genau hier liegt der Hund begraben. Ich glaube, es gibt bei Liberalen eine gewisse Lässigkeit in Machtfragen, die vom Vertrauen in die Qualität der liberalen Ideen herkommt. Man kann sich darauf verlassen, dass die Kollektivisten die Karre an die Wand fahren, und dass sie dann von alleine auf liberale Rezepte zurückgreifen - auf welche auch sonst? Von Lenins NÖP bis zu Schröders Agenda immer wieder das gleiche Lied. Liberale, die Druck machen, braucht es gar nicht unbedingt.
Daher glauben viele Liberale, man könne es sich leisten, die groben Formen der Machtausübung zu meiden und stattdessen eine persönliche Freigeisterei zu pflegen.
Zwei Beispiele:
• Der liberale Politologe Alexander Wendt erklärte kürzlich, er werde nie und nirgends mehr die FDP wählen, nachdem er ein "Facebook-Posting der FDP Hamburg" gelesen habe.
• David Harnasch ist aus der FDP ausgetreten, als er sich im Frühjahr 2007 außerstande sah, "die jüngsten dämlich-populistischen außenpolitischen Äußerungen Herrn Westerwelles zu tragen".
Gute Leute, sehr gute, aber was für Mimosen! So handeln nicht Leute, die Erfolg wollen.
Solange die FDP als Mehrheitsbeschaffer gebraucht wurde, und zudem noch reichlich liberale Substanz in den anderen Parteien vorhanden war, konnte man sich das halbwegs leisten. Das ist auf lange Sicht vorbei. Heute braucht der Liberalismus daher einen rauhen, aggressiven Machtwillen mehr als alles andere.
Zitat von Kallias im Beitrag #2Grundsätzlich bin ich eher gegen "Pro und Kontra", und habe ferner nicht das Geringste gegen Ihr Vorhaben, lieber adder, Mitbürger von liberalen Ideen zu überzeugen. Aber gut: eine Gegenposition.
Zitat von adder im Beitrag #1Die richtige Antwort ist der Liberalismus natürlich schon
Genau hier liegt der Hund begraben. Ich glaube, es gibt bei Liberalen eine gewisse Lässigkeit in Machtfragen, die vom Vertrauen in die Qualität der liberalen Ideen herkommt. Man kann sich darauf verlassen, dass die Kollektivisten die Karre an die Wand fahren, und dass sie dann von alleine auf liberale Rezepte zurückgreifen - auf welche auch sonst? Von Lenins NÖP bis zu Schröders Agenda immer wieder das gleiche Lied. Liberale, die Druck machen, braucht es gar nicht unbedingt.
Daher glauben viele Liberale, man könne es sich leisten, die groben Formen der Machtausübung zu meiden und stattdessen eine persönliche Freigeisterei zu pflegen.
Danke, lieber Kallias, für die Replik. Ich halte nichts davon, Politik zwingend mit Machtfragen zu verbinden und Machtausübung zum Selbstzweck zu machen. Es ist schon korrekt, dass sich der Liberalismus (eben wie die Demokratie) auf lange Sicht ohnehin als überlegen erweisen wird, ganz einfach dadurch, dass alle anderen Ideologien sich von alleine diskreditieren. Auf der anderen Seite ist dann aber auch der untätige Liberale zu einem kleinen Teil mitverantwortlich dafür, dass Menschen unter der Knute dieser Ideologien leiden werden. Daher ist es wichtig, und sei es nur für den Liberalen und sein Gewissen, dass man sich auf den Hintern setzt und etwas tut, um die Menschen von liberalen Ideen zu überzeugen. Ich glaube aber auch, dass liberale Politiker, die sich der Machtausübung hingeben und Macht zum Zwecke des Machterhaltes einsetzen (wie wir es bei dem einen oder anderen ja leider in der letzten Legislaturperiode gesehen haben) oder aufgrund von persönlichen Vorteilen betrügen, diesem Ziel eher schädlich sind.
Zitat Zwei Beispiele:
• Der liberale Politologe Alexander Wendt erklärte kürzlich, er werde nie und nirgends mehr die FDP wählen, nachdem er ein "Facebook-Posting der FDP Hamburg" gelesen habe.
Ich halte zwar die Reaktion für überzogen, denn die FDP in NRW kann ja nichts für das Versagen der FDP Hamburgs. Das Facebook-Posting hat mich aber auch sehr aufgebracht. Sollte das die Position von Frau Suding gewesen sein, kommt da noch was an Glaubwürdigkeitsverlust auf die FDP zu.
Zitat • David Harnasch ist aus der FDP ausgetreten, als er sich im Frühjahr 2007 außerstande sah, "die jüngsten dämlich-populistischen außenpolitischen Äußerungen Herrn Westerwelles zu tragen".
David Harnasch macht aber etwas sehr wichtiges (richtiges): er verbreitet liberale Ideen und liberale Positionen unter Bürgern. Über Harnasch bin ich zum Abonennten von "Liberal" geworden und seine Debattenbeiträge sind immer sehr lesenswert. Ich denke übrigens auch, dass es in seiner Situation richtig war, auf die Falschheit der Position von Westerwelle hinzuweisen und das mit einer Reaktion, die aufgrund seines Bekanntheitsgrades durchaus Druck ausübt. Das heißt nicht, dass jeder so handeln sollte.
Zitat Gute Leute, sehr gute, aber was für Mimosen! So handeln nicht Leute, die Erfolg wollen.
Der Zweck heiligt die Mittel? Nein. Miserable Mittel werden nicht durch einen edlen Zweck besser. Und Äußerungen wie die Westerwelles schaden letztlich dem Liberalismus. Daher sollte man auf keinen Fall solche Äußerungen auch noch billigen, sondern immer klar auf die Dummheit hinweisen.
Zitat Solange die FDP als Mehrheitsbeschaffer gebraucht wurde, und zudem noch reichlich liberale Substanz in den anderen Parteien vorhanden war, konnte man sich das halbwegs leisten. Das ist auf lange Sicht vorbei. Heute braucht der Liberalismus daher einen rauhen, aggressiven Machtwillen mehr als alles andere.
Ich weiß nicht so recht. Ich glaube eher, dass der Liberalismus einen agressiven Kurs braucht, der von Ehrlichkeit, Direktheit und Eigenverantwortung geprägt ist. Denn sowohl der Liberalismus als auch die FDP [leider ist sie in Deutschland immer noch die einzige halbwegs erfolgreiche liberale Partei - wie gut haben es da unsere nordwestlichen Nachbarn in den Niederlanden...) leiden unter einem Glaubwürdigkeitsproblem und unter Ablehnung, die nur durch Überzeugung bekämpft werden kann. Nicht aber durch den Willen zur Macht um der Macht willen. Um es klar zu sagen: die FDP muss in den nächsten Jahren Profil zeigen, und Macht sausen lassen, wenn sie nicht zur Umsetzung eigener Positionen genutzt werden kann. Koalitionsbruch darf kein Tabu mehr sein.
Zitat von adder im Beitrag #3 Ich halte nichts davon, Politik zwingend mit Machtfragen zu verbinden und Machtausübung zum Selbstzweck zu machen. Es ist schon korrekt, dass sich der Liberalismus (eben wie die Demokratie) auf lange Sicht ohnehin als überlegen erweisen wird, ganz einfach dadurch, dass alle anderen Ideologien sich von alleine diskreditieren. Auf der anderen Seite ist dann aber auch der untätige Liberale zu einem kleinen Teil mitverantwortlich dafür, dass Menschen unter der Knute dieser Ideologien leiden werden. Daher ist es wichtig, und sei es nur für den Liberalen und sein Gewissen, dass man sich auf den Hintern setzt und etwas tut, um die Menschen von liberalen Ideen zu überzeugen. Ich glaube aber auch, dass liberale Politiker, die sich der Machtausübung hingeben und Macht zum Zwecke des Machterhaltes einsetzen (wie wir es bei dem einen oder anderen ja leider in der letzten Legislaturperiode gesehen haben) oder aufgrund von persönlichen Vorteilen betrügen, diesem Ziel eher schädlich sind.
Au contraire, lieber Adder, Politik ist Machtausübung pur, nichts anderes. Ein Politiker, der veheimlicht, dass er Spass am Regieren hat und das Regieren als Übel ansieht, ist entweder ein Heuchler oder unfähig. Genauso traue ich keinem Unternehmer, dessen Ziel es nicht ist, Geld zu verdienen, sondern der vielleicht die Welt besser machen möchte. Politik heisst Macht, Wirtschaft heisst Geld. Fertig ist der Lack :-) (Und damit gibt es gleich gratis eine schöne Zusammenfassung der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme).
Durch alle Umfragen, Untersuchungen pp. geistert eigentlich immer die "20 % bis 25 % Klausel". Bis zu 25 % der erwachsenen Bevölkerung in D können sich mit Liberalismus (es beginnt eigentlich im Alltag und nicht erst "politisch", das haben Sie ja auch sehr schön beschrieben) ernsthaft anfreunden, heißt es. Scheint mir einigermaßen realistisch zu sein, was so viel heißt wie: Bei bis zu 80 % (ist ja durchaus 'ne satte Mehrheit ) geht's eher in Richtung Bedrohung. Grobe Richtwerte mit Grauzone natürlich, ohne mathematische Exaktheit, wie immer bei solchen Daten.
Natürlich korrespondiert das nicht mit den FDP-Wahlergebnissen, die landauf landab seit den Nachkriegsjahren zu verzeichnen sind; die liegen deutlich niedriger; aber eine Deckungsgleichheit dieser Art kann man eh nicht erwarten, denn natürlich können auch andere Parteien für Leute, die sich grundsätzlich mit dem politischen Liberalismus anfreunden, in Betracht kommen. Der Ur-Liberale Erhard war ja auf dem CDU-Ticket unterwegs (interessanterweise langjährig bis zum Bundeskanzler-Job ohne Mitglied zu sein, was damals gar nicht bekannt war). Im Übrigen ist es nicht das Schlechteste, politischen Parteien überhaupt mit einer gesunden Skepsis gegenüberzutreten; sie streben natürlich nach Macht; diesbezüglich war Erhard dieser Meinung:
Zitat Die Macht ist in meinen Augen immer öde, sie ist gefährlich, sie ist brutal und im letzten Sinne sogar dumm
Für mich eine Art liberaler Probierstein. Wenn man dem aus vollem Herzen zustimmt - dann hat man schon viel verstanden - vor allem dem "öde", den viele Leute finden Macht ja merkwürdigerweise attraktiv.
Andererseits, was die FDP angeht, so haben in den 50ern und frühen 60ern auch arg zweifelhafte Leute den Weg dahin gesucht - und gefunden, wie z.B. dieser Herr. "Sammelbecken für alte Nazis" war in bestimmten Zeiten namentlich in Norddeutschland keine üble Nachrede für diese Partei, leider. Von daher war und ist die Frage: Wie viel Liberalismus ist in der FDP tatsächlich drinne? natürlich auch immer berechtigt. In Südwestdeutschland, wo ich aufgewachsen bin, war das anders. Alte Traditionen und überzeugende Leute - jedenfalls früher mal
Zitat von adder*3 Diversity and inclusion.....
Ja, sehr aufschlussreich, was Sie da dazu schreiben, lieber adder.
ich sehe auch nicht ein, warum ich solche Begriffe vermeiden sollte, nur weil sie von ein paar Verrückten, die politisch unterwegs sind, pervertiert werden, zum Beispiel erzwingen wollen, was auch beim besten Willen nicht geht, z.B., wie unlängst, ein Kind mit Down-Syndrom in's Gymnasium zu drücken.
Jedenfalls sind Unternehmen, die auf diese Leitbegriffe verzichten, schön blöd, weil sie sich in's eigene Knie schießen. Hier ein Beispiel, wie man's richtig macht; nach meiner Kenntnis keineswegs nur Image-Blabla nach außen.
Zitat von adder*4 Natürlich gab es noch andere Probleme. Aber das Scheitern in der Frage der Erklärung des Liberalismus, des Überzeugens war wohl das schwerwiegendste, da es zur schlechten Performance, zum Nachrennen geführt hat. Einige aus dem Führungsteam der FDP scheinen da auch selbst Probleme mit der Überzeugung gehabt zu haben.
Tja, ich glaube ja ganz altmodisch, dass das Vorbild immer das Wichtigste ist. Wenn das nicht klappt, nutzen alle Erklärungen nix. Es nutzt halt nicht viel, Beschlüsse zu fassen und die anschließend aus taktischen Erwägungen, oder auch aus Inkompetenz oder wegen sonstiger Defizite in den Wind zu schießen.
Zitat von adder im Beitrag #3 Ich halte nichts davon, Politik zwingend mit Machtfragen zu verbinden und Machtausübung zum Selbstzweck zu machen. [...] Ich glaube aber auch, dass liberale Politiker, die sich der Machtausübung hingeben und Macht zum Zwecke des Machterhaltes einsetzen (wie wir es bei dem einen oder anderen ja leider in der letzten Legislaturperiode gesehen haben) oder aufgrund von persönlichen Vorteilen betrügen, diesem Ziel eher schädlich sind.
Au contraire, lieber Adder, Politik ist Machtausübung pur, nichts anderes. Ein Politiker, der veheimlicht, dass er Spass am Regieren hat und das Regieren als Übel ansieht, ist entweder ein Heuchler oder unfähig. Genauso traue ich keinem Unternehmer, dessen Ziel es nicht ist, Geld zu verdienen, sondern der vielleicht die Welt besser machen möchte. Politik heisst Macht, Wirtschaft heisst Geld. Fertig ist der Lack :-)
Geld ist genau wie Macht kein Selbstzweck. Geld verspricht, Güter oder Dienstleistungen konsumieren zu können. Der Nutzen der Güter und Dienste zum Leben oder zum Luxus ist der Zweck des Geldes. Analog zur Macht: Macht ist die Möglichkeit, andere zur Erfüllung des eigenen Willens gegen deren Willen bewegen zu können. Macht verspricht deswegen dasselbe wie Geld. Der Knackpunkt ist, daß Geldverdienen den Willen des anderen respektiert, Machtwillen hingegen nicht.
Liberale streben deswegen per definitionem keine Macht an. Aber sie beanspruchen Abwehrmacht, die darin besteht, daß andere keine Macht haben.
wer sich gegen Lässigkeit in Machtfragen wendet, proklamiert damit noch lange nicht die Macht um der Macht willen.
Wie Dennis the Menace richtig schreibt, hängen 20% oder 25% der Bevölkerung liberalen Ideen (mehr oder weniger) an. Die muss man nicht mehr davon überzeugen. Man muss sie vielmehr dazu motivieren, eine liberale Partei zu wählen.
Dabei würde es ungemein helfen, wenn die stark politisierten Anhänger des Liberalismus eben auch dazu besonders stark motiviert sind. Leider scheint es so zu sein, dass sie sehr viel eher motiviert sind, sich von der Partei zu distanzieren.
Zitat von adder im Beitrag #3Ich halte zwar die Reaktion für überzogen, denn die FDP in NRW kann ja nichts für das Versagen der FDP Hamburgs. Das Facebook-Posting hat mich aber auch sehr aufgebracht. Sollte das die Position von Frau Suding gewesen sein, kommt da noch was an Glaubwürdigkeitsverlust auf die FDP zu.
Regel 1: Keine Polemik gegen Wahlkämpfer. Wenn das Facebook-Posting wichtig ist, kann man es auch vier Wochen später noch kritisieren.
Zitat von adder im Beitrag #3Ich denke übrigens auch, dass es in seiner Situation richtig war, auf die Falschheit der Position von Westerwelle hinzuweisen und das mit einer Reaktion, die aufgrund seines Bekanntheitsgrades durchaus Druck ausübt.
Nein, diese Reaktion war unangemessen. Die scharfe Kritik, die er in seinem Blog gebracht hat, hätte völlig ausgereicht. Ich sehe da eine Einstellung, als müsste es sich die FDP zur Ehre anrechnen, einen Harnasch in ihren Reihen zu haben, und diese Gunst würdigen, indem der Vorsitzende niemals etwas sagt, was dem Mitglied Harnasch quer kommt. Vergleichen Sie das doch mal mit Sarrazin: der liegt soweit entfernt von der Parteilinie, dass er jeden Morgen in der Zeitung einen Austrittsgrund finden könnte. Tritt er aus? Selbstverständlich nicht. Er ist schließlich Sozialdemokrat. Warum fällt es Liberalen so viel schwerer, Haltung zu bewahren?
Es geht nicht darum, die Personen Wendt und Harnasch anzugreifen. Sie haben Begründungen vorgelegt, mit denen sie sich, wenn die liberale Szene halbwegs in Form wäre, lächerlich gemacht hätten. So aber konnten sie damit rechnen, dass ihr Abschiedgruß als starker Auftritt goutiert wurde. Genau da liegt das Problem. Man hat etwas davon, wenn man sich zu Lasten der gemeinsamen Sache profiliert.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #5Im Übrigen ist es nicht das Schlechteste, politischen Parteien überhaupt mit einer gesunden Skepsis gegenüberzutreten
Gibt es außer dem Liberalismus noch andere politische Überzeugungen, die, wenn schon nicht gut, wahr und schön, so doch wenigstens legitim sind? Wenn ja, dann verdienen Parteien, die solche Überzeugungen vertreten, nicht gesunde Skepsis, sondern volle Anerkennung.
Zitat Die Macht ist in meinen Augen immer öde, sie ist gefährlich, sie ist brutal und im letzten Sinne sogar dumm
Für mich eine Art liberaler Probierstein. Wenn man dem aus vollem Herzen zustimmt - dann hat man schon viel verstanden - vor allem dem "öde", den viele Leute finden Macht ja merkwürdigerweise attraktiv.
Ja, das hat der Bundeskanzler Erhard sehr schön gesagt. Andererseits gilt Dahrendorfs Satz: "Anarchie ist schön, aber unpraktisch", welcher Erhards Einsicht um einen wichtigen Aspekt erweitert.
Zitat von Emulgator im Beitrag #6Liberale streben deswegen per definitionem keine Macht an. Aber sie beanspruchen Abwehrmacht, die darin besteht, daß andere keine Macht haben.
Eine wichtige Unterscheidung, lieber Emulgator: Auf der einen Seite die Macht, die der Staat ausübt, auf der anderen die Macht, den Staatszweck zu bestimmen. Liberale wollen (in unterschiedlichem Maß) die Macht des Staates auf wenige Aufgaben beschränken. Um dies zu erreichen, müssen sie sich gegen demokratische Richtungen durchsetzen, die andere Vorstellungen von den Staatsaufgaben haben. (Wobei das Durchsetzen praktisch auf eine Kompromissfindung hinausläuft, da es diese anderen Richtungen eben gibt und sie infolgedessen ebenfalls mächtig sind und bleiben.)
Liberale wollen sicherlich nicht sehr viel herumregieren. Sich aber mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass nicht viel herumregiert werden muss, darin besteht die Aufgabe der liberalen Politik. Und das ist eine Frage der Macht, oder, wie Sie sagen, der Abwehrmacht.
Zitat von adder im Beitrag #1Meine Mitmenschen fühlen sich bedroht, weil eine Entscheidung auch heute schwere Konsequenzen haben kann
Das ist der Punkt: Freiheit muss immer mit Verantwortung für das eigene Handeln zusammen gedacht werden. Das kann selbstverständlich unangenehm sein, wenn es einen selbst betrifft. Und auf der anderen Seite kann man erleben, wie Menschen, denen man die Freiheit der Entscheidung gelassen hat, sich aus dieser Verantwortung wieder herausstehlen können - vorzugsweise um so eher, je staatsnäher sie positioniert sind.
Zitat von adder im Beitrag #1Die richtige Antwort ist der Liberalismus natürlich schon - nur muss er von seinen Vertretern besser verkauft werden.
Ja, ist das so? Ich glaube das nicht. Ich glaube, mehr Liberalismus ist eine richtige Antwort. Aber ein "totaler" Liberalismus funktioniert nur mit einem neuen Menschen, so wie alle anderen Ideologien auch. Der Mensch ist nun einmal nicht nur Individuum, sondern auch soziales Wesen, und die in ihrer Wirksamkeit besten sozialen Bindungen sind dann eben doch die nicht freiwillig gewählten, denn die könnte man jederzeit wieder lösen, so dass der Zusammenhalt immer latent gefährdet wäre.
Liberale müssten daher vor allem eins werden: ehrlicher. Die Realität vielfältiger, nicht freiwillig gewählter Bindungen zur Kenntnis nehmen. Und sagen, dass ihr schönes Konzept nichts für jedermann ist, dass aber letztlich fast alle davon profitieren würden, wenn diejenigen, für die es etwas ist, ihm folgen könnten. Den sich wunschgemäß zu Befehlsempfängern Degradierenden sagen, dass man ihre Entscheidung versteht, dass sie sich damit aber auch der Chancen berauben, die mit mehr Freiheit verbunden sind, so dass am Ende für sie immer weniger abfallen wird als für diejenigen, die Verantwortung übernehmen. Und dieser hinterhältige Angriff auf den Begriff der "Verteilungsgerechtigkeit" wiederum funktioniert nur, wenn die Einheit von Freiheit und Verantwortung für alle sichtbar gelebt wird. Das ist leider nicht der Fall, und dort müsste deshalb politisch der erste Ansatzpunkt für Liberale liegen.
Lindners "Wutrede" halte ich für ein gutes Beispiel gelungener Kommunikation in dieser Richtung.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von adder im Beitrag #1Meine Mitmenschen fühlen sich bedroht, weil eine Entscheidung auch heute schwere Konsequenzen haben kann
Das ist der Punkt: Freiheit muss immer mit Verantwortung für das eigene Handeln zusammen gedacht werden. Das kann selbstverständlich unangenehm sein, wenn es einen selbst betrifft. Und auf der anderen Seite kann man erleben, wie Menschen, denen man die Freiheit der Entscheidung gelassen hat, sich aus dieser Verantwortung wieder herausstehlen können - vorzugsweise um so eher, je staatsnäher sie positioniert sind.
Zitat von adder im Beitrag #1Die richtige Antwort ist der Liberalismus natürlich schon - nur muss er von seinen Vertretern besser verkauft werden.
Ja, ist das so? Ich glaube das nicht. Ich glaube, mehr Liberalismus ist eine richtige Antwort. Aber ein "totaler" Liberalismus funktioniert nur mit einem neuen Menschen, so wie alle anderen Ideologien auch. Der Mensch ist nun einmal nicht nur Individuum, sondern auch soziales Wesen, und die in ihrer Wirksamkeit besten sozialen Bindungen sind dann eben doch die nicht freiwillig gewählten, denn die könnte man jederzeit wieder lösen, so dass der Zusammenhalt immer latent gefährdet wäre.
Mit Verlaub: noch vor einem Jahr hätte ich genauso argumentiert. Mittlerweile denke ich anders. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und genau deshalb ist es möglich, dass er als Individuum funktioniert. Und soziale Bindungen werden auch in einem "echten" liberalen System funktionieren: und sei es nur, weil man in seiner Peer-Group mit Spenden für die Bedürftigen oder auf dem Arbeitsmarkt mit Betriebsrenten für die Arbeitnehmer punkten kann.
Zitat Liberale müssten daher vor allem eins werden: ehrlicher. Die Realität vielfältiger, nicht freiwillig gewählter Bindungen zur Kenntnis nehmen.
Welche denn? Mal ehrlich: soziale Bindungen sind entweder freiwillig gewählt oder von alleine so stark, dass sie auch eine Individualgesellschaft ertragen würden. Verantwortung auf den Staat abwälzen ist nämlich keine "soziale Bindung", sondern genau das Fehlen dieser.
Zitat Und sagen, dass ihr schönes Konzept nichts für jedermann ist, dass aber letztlich fast alle davon profitieren würden, wenn diejenigen, für die es etwas ist, ihm folgen könnten.
Der Liberalismus ist wahrscheinlich das einzige (ideologische und politische) Konzept, dass in der Tat für (fast) alle ist - und von dem auch alle, die auch nur ein wenig Eigenleistung bringen wollen, profitieren würden. Je totaler, desto mehr Leute profitieren. Je totaler, umso weniger Wohlstand wird durch ineffiziente Verteilungsmaschinerien vernichtet, und umso mehr Wohlstand steht allen zur Verfügung.
Zitat Den sich wunschgemäß zu Befehlsempfängern Degradierenden sagen, dass man ihre Entscheidung versteht, dass sie sich damit aber auch der Chancen berauben, die mit mehr Freiheit verbunden sind, so dass am Ende für sie immer weniger abfallen wird als für diejenigen, die Verantwortung übernehmen. Und dieser hinterhältige Angriff auf den Begriff der "Verteilungsgerechtigkeit" wiederum funktioniert nur, wenn die Einheit von Freiheit und Verantwortung für alle sichtbar gelebt wird. Das ist leider nicht der Fall, und dort müsste deshalb politisch der erste Ansatzpunkt für Liberale liegen.
Das stimme ich zu.
Zitat Lindners "Wutrede" halte ich für ein gutes Beispiel gelungener Kommunikation in dieser Richtung.
Zitat von adder im Beitrag #11Und soziale Bindungen werden auch in einem "echten" liberalen System funktionieren: und sei es nur, weil man in seiner Peer-Group mit Spenden für die Bedürftigen oder auf dem Arbeitsmarkt mit Betriebsrenten für die Arbeitnehmer punkten kann.
Wenn man spendet, um damit in seiner Peer-Group besser dazustehen, ist das schon die schiefe Ebene. Die Spende spielt sich nur zwischen Spender und Empfänger ab. Mischt sich die Peer-Group in die Vermögensverwendung des Spenders ein, indem sie ihn mit Ansehen belohnt, dann ist da schon weniger Freiheit, denn nicht zu spenden ist genauso berechtigt wie die Spende. Wenn der Nichtspender mit Konsequenzen seiner Tat zu tun hat, die erst durch die Einmischung entstehen, dann ist das kein liberales System mehr.
Zitat von adder im Beitrag #11Mit Verlaub: noch vor einem Jahr hätte ich genauso argumentiert. Mittlerweile denke ich anders. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und genau deshalb ist es möglich, dass er als Individuum funktioniert. Und soziale Bindungen werden auch in einem "echten" liberalen System funktionieren: und sei es nur, weil man in seiner Peer-Group mit Spenden für die Bedürftigen oder auf dem Arbeitsmarkt mit Betriebsrenten für die Arbeitnehmer punkten kann.
Diese Gedankenexperimente sind mir wohl vertraut. In einem früheren Leben habe ich auch mal so argumentiert, schon allein um zu sehen, wie weit dieses Argument trägt. Mittlerweile finde ich: Es trägt nicht sehr weit. Das von Dir angeführte sind keine "sozialen Bindungen", sondern Wohltaten auf Abstand, ohne persönliche, gar emotionale Nähe. Aber der Mensch ist nicht nur nicht ausschließlich Individuum, sondern auch nicht ausschließlich rational handelnd und denkend. Echte soziale Bindungen halten auch dann, wenn sie echten Verzicht mindestens einer Seite erfordern.
Zitat von adder im Beitrag #11Welche denn? Mal ehrlich: soziale Bindungen sind entweder freiwillig gewählt oder von alleine so stark, dass sie auch eine Individualgesellschaft ertragen würden. Verantwortung auf den Staat abwälzen ist nämlich keine "soziale Bindung", sondern genau das Fehlen dieser.
Wer redet denn von Staat?
Zitat von adder im Beitrag #11Je totaler, desto mehr Leute profitieren. Je totaler, umso weniger Wohlstand wird durch ineffiziente Verteilungsmaschinerien vernichtet, und umso mehr Wohlstand steht allen zur Verfügung.
Ach, das ist so die Art Glaubenssätze, von denen jeder mit einigermaßen Lebenserfahrung weiß, dass sie unmöglich stimmen können. Selbstverständlich hat jeder Totalitarismus Verlierer, und seine Anhänger zeichnen sich dann vor allem dadurch aus, dass sie diese entweder ignorieren oder als zurecht gestraft bezeichnen. Längerfristigen Erfolg haben hingegen Gemeinwesen, die sich durch Maß und Mitte auszeichnen.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Lieber Adder, finde den Beitrag prima. Natürlich kommt jetzt das "Aber", gerne als "Verschwörungstheorie" gesehen:
Freiheit und damit Verantwortung - sind das nicht sozusagen die natürlichen Feinde von Politik und (Rundumschlag)Massenverblödung? Sind nicht unser Bildungssystem, unsere Medien usw. recht genau aufs Gegenteil ausgerichtet, indem "Angst" erzeugt wird und politische Superleichtgewichte sich als "Retter" präsentieren dürfen? Wird dies nicht durch (gezieltes?) Weglassen oder Verändern wichtiger Informationen regelrecht gesteuert? Was bedeutetes denn, wenn Entscheidungen als "alternativlos" präsentiert werden? Ist das nicht eine modern verbrämte Art eines Denkverbotes? Sind nicht Dinge wie "mainstream", "aufschrei", die sofortige Verunglimpfung von nichtgenehmen Äusserungen mit "anti-(beliebig einsetzbarer Begriff)" das Abwürgen selbständigen "Denkens"?
Zitat von adder im Beitrag #11Welche denn? Mal ehrlich: soziale Bindungen sind entweder freiwillig gewählt oder von alleine so stark, dass sie auch eine Individualgesellschaft ertragen würden. Verantwortung auf den Staat abwälzen ist nämlich keine "soziale Bindung", sondern genau das Fehlen dieser.
Wer redet denn von Staat?
Schuldigung, dass ich mich erst so spät einmische, aber:
Wir reden hier von Kritik am Liberalismus, oder? Wenn es plötzlich nicht mehr um Zwang durch den Gewaltmonopolisten oder Zwang/Nötigung mit Gewalt geht, dann wird hier ein Scheinkonflikt zum Liberalismus aufgebauscht.
Sehr beliebt unter Konservativen. Das wäre nicht weiter schlimm und nur eine Frage der Begrifflichkeiten, wenn sich dann im entscheidenden Moment nicht doch zeigen würde, dass es im Zweifel um vom Staat durchgesetzte konservative Ideale/Ideen/Weltbilder geht. Den Versuch über eine Umdefinition eines Begriffes diesen zu Kritisieren, um dann die Konsequenzen, die aus dieser Kritik gezogen werden, doch auf das anzuwenden, was ursprünglich mit dem Begriff gemeint war. Und dann wird plötzlich die konservative Freiheitsbeschränkung durch Gesetz entweder offen verteidigt oder liberale Kritik als Grund für eine abwertende Haltung gegenüber den liberalen Kritikern genommen und damit rechtfertigt, sie zu ignorieren. Weil die Einschränkung heimlich begrüßt wird. Als hätte man insgeheim doch Angst, dass ohne staatliche Unterstützung die für "natürlich" gehaltene soziale Zwangsbeziehung doch keine ist. Wäre sie so natürlich und unvermeidlich, bräuchte sie ja keinen Gewaltmonopolisten, der sie aufrecht erhält.
(Über eine aktive Bekämpfung einer angeblichen oder tatsächlichen Zwangsbeziehung durch den Staat reden wir hier nicht, das Liberalen zu unterstellen erwarte ich hier von keinem. Dazu muss man schon radikaler Rechtskonservativer sein.)
Zitat
Längerfristigen Erfolg haben hingegen Gemeinwesen, die sich durch Maß und Mitte auszeichnen.
Jetzt ist die Frage, was man schon zu "Maß und Mitte" hinzuzählt. Ist ihr Gegenüber Anarchokapitalist? Nein? Dann ist er schon mal nicht vom radikalsten, vorstellbaren Ende.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #15Sehr beliebt unter Konservativen.
Hurra, wir haben ein Etikett gefunden! Die Strohmannbauindustrie muss sich um Aufträge wohl nie Sorgen machen.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #15Das wäre nicht weiter schlimm und nur eine Frage der Begrifflichkeiten, wenn sich dann im entscheidenden Moment nicht doch zeigen würde, dass es im Zweifel um vom Staat durchgesetzte konservative Ideale/Ideen/Weltbilder geht.
Mal abgesehen davon, dass ich mit dem Etikett nichts anfangen kann - ein Staat wie die Bundesrepublik Deutschland setzt meistens irgendwelche Ideale/Ideen/Weltbilder durch. Da wären konservative a priori genau so gut oder so schlecht wie linke oder liberale, wenn wir denn so etikettieren wollen (realiter sind die Grenzen oft fließend). Es ist im übrigen ein wenig selbstreferenzierend, wenn man den liberalen Standpunkt, möglichst wenig vom Staat geregelt zu bekommen, als Grundlage für die Bewertung anderer politischer Auffassungen nimmt - weil man das so sieht, sieht man sich eben als Liberalen, und die anderen, die es anders sehen, eben nicht. Aber das kann man ihnen dann sinnvollerweise kaum vorwerfen.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #15Und dann wird plötzlich die konservative Freiheitsbeschränkung durch Gesetz entweder offen verteidigt oder liberale Kritik als Grund für eine abwertende Haltung gegenüber den liberalen Kritikern genommen und damit rechtfertigt, sie zu ignorieren.
Ich fürchte, auch liberale Kritiker werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Kritik nicht nur Fans hat. Insbesondere dann, wenn sich hinter den hehren Freiheitsgründen doch nur die Sehnsucht verbirgt, ganz bestimmte eigene Luxus-Bedürfnisse maximieren zu wollen.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #15Sehr beliebt unter Konservativen.
Hurra, wir haben ein Etikett gefunden! Die Strohmannbauindustrie muss sich um Aufträge wohl nie Sorgen machen.
Na, wenn Werwohlf die Deutungshoheit über den Begriff Liberalismus an sich reißt (als konservativ angehauchter), dann darf der Techniknörgler auch den Begriff Konservativ definieren und jedem konservativ angehauchten Anhängen
Übrigens, ein Ettiket nennt man nicht Strohmann. Ein Strohmann bezieht sich auf die Unterstellung, der Diskussionpartner (oder eher Gegner?) habe ein Argument gebracht, obwohl er dies gar nicht gebracht hat. Um dieses dann anzugreifen. So viel Schlaubergerei muss sein
Zitat Es ist im übrigen ein wenig selbstreferenzierend, wenn man den liberalen Standpunkt, möglichst wenig vom Staat geregelt zu bekommen, als Grundlage für die Bewertung anderer politischer Auffassungen nimmt - weil man das so sieht, sieht man sich eben als Liberalen, und die anderen, die es anders sehen, eben nicht. Aber das kann man ihnen dann sinnvollerweise kaum vorwerfen.
Äh, und was will uns das jetzt sagen? Natürlich stellt man am anderen Standpunkt heraus, was einem daran nicht passt und zeichnet es als negativ. Macht ein Wehrwohlf ja auch, wenn er den Liberalismus anprangert. Natürlich nimmer man seine eigenen politischen Auffassungen als Grundlage der Bewertung anderer. Das ist genau so Vorwurfsvoll oder auch nicht wie die wehrwohlfigen Bewertungen.
Zitat Ich fürchte, auch liberale Kritiker werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Kritik nicht nur Fans hat.
Gerade ein Wehrwohlf müsste wissen, dass Liberale das von Anfang an gewohnt sind. Die Frage ist halt, wie für die Kritik argumentiert wird. Direkt oder erst mit einer Umdefinition, um dann die Konsequenzen aus der Arugmentation doch still und leise wieder auf den Liberalismus in seiner urpsrünglichen Form zu übertragen - für die man die Kritik aber nicht begründet hat.
Was meine ich damit?
Ein Beispiel aus einem anderen Kontext:
In den Schriften des Verfassungsrichterin Susanne Baer wird "Frau" als benachteiligter Mensch definiert (genauer, als das zur Benachteiligung konstruiertes Geschlecht). Sie schreibt explizit, auch ein biologischer Mann könne daher im Sinne diese Definition Frau sein. Dann wird davon ausgehend, dass Frauen per Definition benachteiligt sind, argumentiert und Forderungen daraus gezogen.
In diesem Moment wird aber still und leise wieder zu einer mehr den umgeangssprachlichen Vorstellungen des Begriffs Frau entsprechenden Definition um geschwungen. Während der Argumentation konnte man sich auf die Definition von Frau als unterdrückt zurück ziehen. Da war man unangreifbar. Sobald dann Folgen aus dem politischen Theoretisieren folgen, wird die Bedeutung der Wörter in den nun formulierten Forderungen natürlich wieder auf die ursprüngliche zurückgestellt.
Zitat Insbesondere dann, wenn sich hinter den hehren Freiheitsgründen doch nur die Sehnsucht verbirgt, ganz bestimmte eigene Luxus-Bedürfnisse maximieren zu wollen.
Und dieses Framing, um von der Frage abzulenken, warum "natürliche Bindungen" den Staat brauchen, kommt ihnen nicht konservativ vor?
Zitat von Werwohlf im Beitrag #16Insbesondere dann, wenn sich hinter den hehren Freiheitsgründen doch nur die Sehnsucht verbirgt, ganz bestimmte eigene Luxus-Bedürfnisse maximieren zu wollen.
Butter bei die Fische, wie der Hanseate sagt. Welche eigenen Luxus-Bedürfnisse wollen denn diejenigen, die tatsächlich hehre Freiheitsgründe vorbringen, verbergen?
Konservatismus ist eben alles, aber kein "natürlicher Verbündeter" des Liberalismus, sondern auch nur eine weitere Variation des Etatismus. Und ja: es gibt aus liberaler Sicht nicht viel anderes als "liberal" und "nicht liberal". Anders als bei anderen Ideologien schließt sich nämlich der Drang zu mehr Staat und mehr Zwang mit dem Wunsch nach mehr Freiheit und weniger Staat, Zwang und Einschränkungen aus.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #17Na, wenn Werwohlf die Deutungshoheit über den Begriff Liberalismus an sich reißt (als konservativ angehauchter), dann darf der Techniknörgler auch den Begriff Konservativ definieren und jedem konservativ angehauchten Anhängen grin]
Ja, wenn der Werwohlf das denn täte. Kann er aber nicht erkennen. Auch der Techniknörgler hat bisher nicht aufgezeigt, was an der werwöhlfischen Verwendung des Begriffs denn unzutreffend wäre.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #17Übrigens, ein Ettiket nennt man nicht Strohmann. Ein Strohmann bezieht sich auf die Unterstellung, der Diskussionpartner (oder eher Gegner?) habe ein Argument gebracht, obwohl er dies gar nicht gebracht hat. Um dieses dann anzugreifen. So viel Schlaubergerei muss sein doziert]
Das eine ist die Voraussetzung für das andere. Erst ordnet man den anderen einer Gruppe zu, und dann dichtet man ihm Argumente und Motive dieser Gruppe an. Und so kam es dann ja auch.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #17Die Frage ist halt, wie für die Kritik argumentiert wird. Direkt oder erst mit einer Umdefinition, um dann die Konsequenzen aus der Arugmentation doch still und leise wieder auf den Liberalismus in seiner urpsrünglichen Form zu übertragen - für die man die Kritik aber nicht begründet hat.
Ähhh... Aha. Jetzt wäre ich aber wirklich gespannt auf meine angebliche "Umdefinition". Womöglich habe ich mich früher ja mit etwas ganz anderem als dem Liberalismus auseinander gesetzt. Soll ja vorkommen. Vom zunächst gefeierten Sozialismus erfährt man hinterher schließlich auch immer, dass es eigentlich so richtig doch keiner war.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #17Und dieses Framing, um von der Frage abzulenken, warum "natürliche Bindungen" den Staat brauchen, kommt ihnen nicht konservativ vor?
Respekt. Die Chuzpe, mit einer Bemerkung genau das zu tun, was man dem anderen vorwirft, hat nicht jeder. Mein Zitat bezog sich offensichtlich auf einen anderen Passus in Deinem Text. Aber das weißt Du (hoffentlich) selbst. Wie dem auch sei: Während Villabajo noch damit beschäftigt ist, den Aussagen der Diskussionspartner Etiketten anzukleben, hat Villariba längst weiter argumentiert. Oder mit anderen Worten: Es ist mir kürbisegal, ob irgendeine Aussage eine konservative, linke oder liberale ist. Mich interessiert nur, wie ich zu ihr stehe.
Und zum kleine inhaltlichen Teil: Natürliche Bindungen brauchen den Staat nicht. Aber wenn es einen Staat gibt, muss er mit ihnen als Realität umgehen. Und es wäre sogar liberal, sie zu respektieren.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #17Na, wenn Werwohlf die Deutungshoheit über den Begriff Liberalismus an sich reißt (als konservativ angehauchter), dann darf der Techniknörgler auch den Begriff Konservativ definieren und jedem konservativ angehauchten Anhängen grin]
Ja, wenn der Werwohlf das denn täte. Kann er aber nicht erkennen. Auch der Techniknörgler hat bisher nicht aufgezeigt, was an der werwöhlfischen Verwendung des Begriffs denn unzutreffend wäre.
Zitat von adder im Beitrag #11Welche denn? Mal ehrlich: soziale Bindungen sind entweder freiwillig gewählt oder von alleine so stark, dass sie auch eine Individualgesellschaft ertragen würden. Verantwortung auf den Staat abwälzen ist nämlich keine "soziale Bindung", sondern genau das Fehlen dieser.
Wer redet denn von Staat?
Wenn es nicht darum ging, soziale Bindung als Staatsaufgabe zu betrachten, wo liegt dann der Konflikt mit dem Liberalismus?
Den sieht man nur, wenn man meint, dem Liberalismus ginge es um die Bekämpfung sozialer Bindungen bzw. um ihre Schwächung.
Das ist aber nicht Liberalismus. Es ist ein konservativer (teilweise auch unter linken beliebter, aber da dominieren andere) Strohmann.
Zitat Chuzpe, mit einer Bemerkung genau das zu tun, was man dem anderen vorwirft, hat nicht jeder.
Gleichfalls.
Zitat Mein Zitat bezog sich offensichtlich auf einen anderen Passus in Deinem Text. Aber das weißt Du (hoffentlich) selbst.
Das Zitat bezog sich auf diesen Passus, denn auf ihn folgen die wehrwölfischen Aussagen:
Zitat
Zitat Und dann wird plötzlich die konservative Freiheitsbeschränkung durch Gesetz entweder offen verteidigt oder liberale Kritik als Grund für eine abwertende Haltung gegenüber den liberalen Kritikern genommen und damit rechtfertigt, sie zu ignorieren.
Ich fürchte, auch liberale Kritiker werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Kritik nicht nur Fans hat. Insbesondere dann, wenn sich hinter den hehren Freiheitsgründen doch nur die Sehnsucht verbirgt, ganz bestimmte eigene Luxus-Bedürfnisse maximieren zu wollen.
Butter bei die Fische: Auf welchen Passus in meinem Text bezog sich die Aussage denn, wenn nicht auf diesen? Welche Luxus-Bedürfnisse? Oder war die Stichelei mit dem "Aber das weißt Du (hoffentlich) selbst." nur ein Versuch mich von Nachfragen abzuhalten?
Zitat Womöglich habe ich mich früher ja mit etwas ganz anderem als dem Liberalismus auseinander gesetzt. Soll ja vorkommen. Vom zunächst gefeierten Sozialismus erfährt man hinterher schließlich auch immer, dass es eigentlich so richtig doch keiner war.
Wow, das nenne ich Chuzpee. Gleichsetzung von Liberalismus mit Sozialismus...
Wo hat sich denn der Liberalismus durchgesetzt und dann auch noch als totalitäres Regime geoutet?
Wer im Liberalismus einfach nur einen Gegner der Familie sieht, hat auf jeden Fall etwas gänzlich falsch verstanden.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wenn es nicht darum ging, soziale Bindung als Staatsaufgabe zu betrachten, wo liegt dann der Konflikt mit dem Liberalismus?
Der liegt darin, dass der Liberalismus außer dem Individuum und dem Staat keine weiteren menschlichen Organisationsformen erkennen vermag. Und um den Einwand gleich vorwegzunehmen: Nein, Bündnisse, die vom Individuum dem individuellen Nutzenkalkül folgend bewusst eingegangen werden, sind keine eigenständigen Formen, sondern abgeleitete.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wenn es nicht darum ging, soziale Bindung als Staatsaufgabe zu betrachten, wo liegt dann der Konflikt mit dem Liberalismus?
Dass er in dem, was er propagiert, die vielfältigen sozialen Bindungen negiert. Und das nicht etwa bewusst, als Aufgabe, der er sich verschrieben hätte, sondern weil er auf dem Auge komplett blind ist. Der Konflikt sollte schon durch das Wort "Bindung" auffallen. "Bindung" ist nicht kompatibel mit "Freiheit".
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Auf welchen Passus in meinem Text bezog sich die Aussage denn, wenn nicht auf diesen? Welche Luxus-Bedürfnisse? Oder war die Stichelei mit dem "Aber das weißt Du (hoffentlich) selbst." nur ein Versuch mich von Nachfragen abzuhalten?
Also letzteres lockt bei mir nur ein mildes Lächeln hervor. Ich konnte mir nur nicht vorstellen, dass Du den Bezug nicht selbst herstellen könntest. War dann wohl ein Irrtum. Und das, obwohl ich - den Mahnungen des verehrten Zettel eingedenk - das entsprechende Zitat direkt oben drüber angeführt hatte. In meiner Vorstellung ist leider kein Platz dafür, wie man das ignorieren und sich einen anderen Bezug selbst basteln könnte, aber das ist vielleicht dann tatsächlich eins meiner vielen Defizite.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wow, das nenne ich Chuzpee. Gleichsetzung von Liberalismus mit Sozialismus...
Echt jetzt? Dieses Niveau? In solchen Fällen wünsche ich mir dort oben rechts immer ein Symbol für das Aufschlagen eines Kopfes auf eine Tischplatte.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wer im Liberalismus einfach nur einen Gegner der Familie sieht, hat auf jeden Fall etwas gänzlich falsch verstanden.
Nicht als Gegner. Als Ignorant.
-- Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau, verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau. (Reinhard Mey)
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wenn es nicht darum ging, soziale Bindung als Staatsaufgabe zu betrachten, wo liegt dann der Konflikt mit dem Liberalismus?
Der liegt darin, dass der Liberalismus außer dem Individuum und dem Staat keine weiteren menschlichen Organisationsformen erkennen vermag.
Wo haben Sie denn das her? Um ebenfalls gleich einem Einwand zuvorzukommen: Ludwig von Mises schreibt in seinem Werk "Liberalismus" eindeutig, dass der Liberalismus keine abgeschlossene Ideologie ist, d.h. er beantwortet nicht alle Fragestellungen und will sich gar nicht zu allem äußern. Der Liberalismus erkennt also an, dass es Fragestellungen gibt, die sich eben nicht von der Ideologie beantworten lassen (und sei es auch nur die Frage, was ich heute anziehen will). Davon abgesehen, ist die Aussage, der Liberalismus vermag keine weiteren menschlichen Organisationsformen als Individuum und Staat zu erkennen, grundsätzlich nicht haltbar. Ludwig von Mises schreibt im Liberalismus gleich im Kapitel I. Die Grundlagen liberaler Politik die folgenden Sätze "Die menschliche Gesellschaft ist die Vereinigung der Menschen zu gemeinsamen Handeln." "Das, was die Menschheit alleine vorwärts bringt und sie vom Tier unterscheidet, ist die gesellschaftliche Kooperation" "Wenn ein friedliebendes Volk von einem kriegslustigen Gegner angegriffen wird..." Auch in weiteren Kapiteln werden von Mises immer wieder Gliederungen und Organisationsformen beschrieben. Er unterscheidet auch ganz deutlich zwischen Volk, Gesellschaft und Staat. Und die Tatsache, dass er die Familie nicht erwähnt, hängt wohl eher mit der Selbstverständlichkeit der Familie im damaligen Weltbild (1929...) zusammen als mit einer Unvereinbarkeit von Liberalismus und Familie.
Zitat Und um den Einwand gleich vorwegzunehmen: Nein, Bündnisse, die vom Individuum dem individuellen Nutzenkalkül folgend bewusst eingegangen werden, sind keine eigenständigen Formen, sondern abgeleitete.
Das ist zwar richtig, ändert faktisch aber nichts: wenn es für das Individuum aus irgendeinem Grund sinnvoll ist/erscheint, eine Bindung einzugehen, dann ist das eine freiwillige Bindung, keine aufgezwungene Bindung. Letztlich ist jede familiäre, freundschaftliche oder liebende Bindung eine freiwillige Bindung (wenn wir einmal von der Wirkung verschiedener Hormone auf das Bindungsverhalten absehen*) - und könnte vom Individuum auch beendet werden, bzw. nicht eingegangen werden. Eine staatlich organisierte und mit Zwang durchgesetzte Bindung, wie z.B. die verschiedenen Zwangsumverteilungsmaschinerien, dagegen ist unfreiwillig und kann auch nicht beendet werden. Darin liegt der große Unterschied zwischen Liberalismus und Konservatismus: der erstere setzt auf Freiwilligkeit, Eigenverantwortung und gemeinsamen Vorteil durch Abbau von Sonderprivilegien. Der letztere setzt auf Zwang, Fremdverantwortung und gruppenweisen Vorteil durch Aufbau oder Erhalt von Sonderprivilegien. Sei es ein Schutzzoll, der die heimischen Landwirte vor billiger Konkurrenz schützt oder ein besonderes Privileg der Familie gegenüber der (eventuell unfreiwilligen) Einzelperson. Eine freiwillige Bindung ist tragfähiger, besser und dauerhafter als eine unfreiwillige.
*diese Hormone sind aber eine persönliche und nicht beeinflussbare Größe, genauso wie andere psychologische Faktoren. Daraus sollte sich der Staat auch am besten heraushalten - die Gesellschaft desgleichen.
Zitat
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wenn es nicht darum ging, soziale Bindung als Staatsaufgabe zu betrachten, wo liegt dann der Konflikt mit dem Liberalismus?
Dass er in dem, was er propagiert, die vielfältigen sozialen Bindungen negiert. Und das nicht etwa bewusst, als Aufgabe, der er sich verschrieben hätte, sondern weil er auf dem Auge komplett blind ist. Der Konflikt sollte schon durch das Wort "Bindung" auffallen. "Bindung" ist nicht kompatibel mit "Freiheit".
Aber er negiert doch gar nicht. Der Liberalismus sagt nur, dass die sozialen Bindungen freiwillig sein sollen, anstatt das man sie mit Staatsgewalt erzwingt. Um genau zu sein, hält sich der Liberalismus soweit möglich aus den sozialen Bindungen heraus, solange diese nicht dazu führen, dass die Gesellschaft einen Staat errichtet, der sie durchsetzen soll. Bindung ist auch nur dann mit Freiheit inkompatibel, wenn Zwang herrscht. Freiwilligkeit nimmt Bindung aus dem Konflikt heraus.
Zitat
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20Wow, das nenne ich Chuzpee. Gleichsetzung von Liberalismus mit Sozialismus...
Echt jetzt? Dieses Niveau? In solchen Fällen wünsche ich mir dort oben rechts immer ein Symbol für das Aufschlagen eines Kopfes auf eine Tischplatte.
Dito. Das ist sehr schönes Diskussionsverhalten, lieber Werwohlf. Man kennt das normalerweise nicht von Ihnen, sondern eher von bestimmten Linken.
Zitat Womöglich habe ich mich früher ja mit etwas ganz anderem als dem Liberalismus auseinander gesetzt. Soll ja vorkommen. Vom zunächst gefeierten Sozialismus erfährt man hinterher schließlich auch immer, dass es eigentlich so richtig doch keiner war.
wie sollen wir denn sonst dieses Bonmot verstehen?
Übrigens bleibt immer noch die Frage offen, welche Luxusbedürfnisse denn jetzt von Techniknörgler oder mir verborgen werden.
Zitat von Techniknörgler im Beitrag #20... Gleichsetzung von Liberalismus mit Sozialismus...
Zitat Womöglich habe ich mich früher ja mit etwas ganz anderem als dem Liberalismus auseinander gesetzt. Soll ja vorkommen. Vom zunächst gefeierten Sozialismus erfährt man hinterher schließlich auch immer, dass es eigentlich so richtig doch keiner war.
wie sollen wir denn sonst dieses Bonmot verstehen?
Ist mir schleierhaft, wie man dieses Bonmot mißverstehen kann. Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung. Und das hier ist noch nicht einmal ein Vergleich, sondern nur die Beobachtung, daß das gleiche Prinzip (der Umdeutung post festum) auf zwei ganz verschiedene Dinge angewendet werden könnte.
A free society is a society where it is safe to be unpopular. - Adlai Stevenson
Zitat Womöglich habe ich mich früher ja mit etwas ganz anderem als dem Liberalismus auseinander gesetzt. Soll ja vorkommen. Vom zunächst gefeierten Sozialismus erfährt man hinterher schließlich auch immer, dass es eigentlich so richtig doch keiner war.
Wow, das nenne ich Chuzpee. Gleichsetzung von Liberalismus mit Sozialismus... Wo hat sich denn der Liberalismus durchgesetzt und dann auch noch als totalitäres Regime geoutet?
Lieber Techniknörgler, bitte verzeihen Sie wenn ich dazu etwas anmerken möchte.
Aktuell wird ja einiges über ein Interview von Frau Kramp Karrenbauer geschrieben und die Art, mit der man ihre Aussagen interpretiert. Erling Plaethe hier zum Beispiel. Wohlwollende Interpretation der Argumente des Gegenüber ist eine notwendige (natürlich keine hinreichende) Voraussetzung einer ergiebigen Diskussion. Die wohlwollende Interpretation* ist leider ein seltens Gut und ihr Fehlen, dass muß ich leider immer wieder feststellen, macht vor keiner politischen Überzeugung halt. Weder vor denen die für mich nicht in Frage kommen, noch vor denen, die ich präferiere.
Wenn Sie Werwohlfs Aussage frei von der Hitze der Emotion, frei von eigenen Interpretationen lesen, wird es Ihnen ganz sicher schwer fallen eine Gleichsetzung von Liberalismus und Sozialismus zu erkennen und schon gar keine Stelle finden, die sich als Behauptung interpretieren ließe, der Liberalismus könne zu einem totalitären Regime führen oder hätte das je getan.
Ich möchte bitte nicht anmaßend erscheinen aber ich habe das Gefühl, dass Sie diese Auslegung der wehrwöhlfischen Zeilen in sich selbst tragen, sie keinesfalls aus seinen Zeilen abgeleitet haben können.
Die wehrwöhlfischen Gedanken verstehe ich so, dass er "soziale Bindung" anstelle der Moral in meinem Zitat setzt. Dieses Argument erweitert mein Verständnis. Daher empfinde ich es als gut.
Soziale Bindung widerspricht der individuellen Freiheit. Man muß ihr die Freiheit abringen. Dazu muß man aber auch annerkennen, dass es sie gibt und sie mit der individuellen Freiheit unvereinbar ist.
In meinen Augen ist der reine Liberalismus keine Form in der eine menschliche Gesellschaft gedeihen kann. Das verstehe ich immer mehr. Würde man ihn versuchen gegen alle Widerstände durchzusetzen, müßte er notgedrungen zur Ideologie verkommen. Der Liberalismus ist vielmehr als Aufruf zu verstehen, den wir niemals ausser Acht lassen sollen, der als Kontrapunkt zu unserer sozialen und kulturellen Prägung zu sehen ist und der da lautet:
"Im Zweifel für die individuelle Freiheit." -- und eben nicht "Immer für die individuelle Freiheit."
Das ist ein wesentlicher, wichitger Unterschied, der das ganze aber so schwierig, wie auch unübersichtlich macht, dafür aber vor Ideologisieren schützt.
In diesem Zusammenhang vielleicht ein Hinweis darauf, daß Adam Smiths erstes Hauptwerk, gleichberechtigt neben dem "Wohlstand der Nationen" & wie dieser in 5 stets erweiterten Fassungen erschienen, die "Theorie der ethischen Gefühle" (The Theory of Moral Sentiments) war.
Und Margaret Thatchers verschrieenes "there is no such thing as society". Im Zusammenhang lautet das so:
Zitat von The Iron Lady, 1987"I think we've been through a period where too many people have been given to understand that if they have a problem, it's the government's job to cope with it. 'I have a problem, I'll get a grant.' 'I'm homeless, the government must house me.' They're casting their problem on society. And, you know, there is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look to themselves first. It's our duty to look after ourselves and then, also to look after our neighbour. People have got the entitlements too much in mind, without the obligations. There's no such thing as entitlement, unless someone has first met an obligation."
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