Ein, wie ich finde, großartiger -wenngleich gruseliger- Bericht von Clemens Wergin heute auf Welt Online hat mich veranlaßt, meinen kleinen Senf dazugeben zu wollen.
Sehr schöner Text, lieber Andreas Döding. Ich kann die Beobachtung bestätigen, Kindern werden heute oft »überbemuttert«, um mal einen neuen alten Begriff zu verwenden, um damit gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass das Problem möglicherweise auch mit dem Rückzug der Väter aus der Erziehung zu tun hat. Und wenn sie es nicht tun, dann sind eher die ängstlichen Typen, die aus der Angst heraus dem Kind könnte irgendwas passieren, genau die gleiche Schiene wie die Helikoptermütter fahren. Freiheit hat aber immer mit Risiko zu tun, das betrifft nicht nur die Kinder.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen und eine kleine persönliche Geschichte erzählen. Dies muss ich zur Zeit oft tun, vor allem dann wenn meine Kinder (5 Stück, im Alter von 5-15) von mir Erzählungen aus meiner Kindheit verlangen. Oder auch meiner Frau, wenn die an die Bälger den Befehl ausgibt, spätestens bis XX:XX Uhr zu Hause zu sein, und immer das Handy dabei zu haben, damit die Mutter weiß wo sie sind. Dann schreite ich immer ein, es paar mal kam es da zum Streit mit meiner Frau, aber als ich ihr meine Geschichte erzählte, sah sie es wieder lockerer.
Also, ich war ungefähr 12 Jahre alt und war immer auf Achse. Und manchmal übernachtete ich bei Klassenkameraden oder Freunden, so wie das auch bei den Kindern heute noch vorkommt. Nur gab es bei uns in der Zeit (ca. 1972 in der DDR) niemanden der ein Telefon hatte. Die Eltern mussten sich also gegenseitig persönlich aufsuchen, wenn sie etwas überprüfen wollten. Das haben die natürlich nicht getan, es wäre unhöflich gewesen, weil unterschwellig damit ein Verdacht verbunden wäre, der nämlich, dass das andere Elternpaar nicht ordentlich auf die Kinder aufpassen könnte.
Nun, ich und ein, manchmal zwei, Kumpels haben uns diesen Umstand zu nutze gemacht, und unseren Eltern erzählt, dass wir bei XY übernachten. In Wirklichkeit haben wir uns aber im Wald getroffen um dort, mit ein paar Decken ausgestattet (Schlafsäcke hatte keiner von uns), die Nacht zu verbringen und nächtliche Plünderungsstreifzüge in den Schrebergärten zu unternehmen. Es war ein tolles Gefühl von Freiheit, und ich weiß nicht mal, ob ich meinen Eltern jemals davon erzählt habe. Die wähnten uns jeweils immer im Hause anderer Eltern.
Heute, wenn ich diese Geschichte meinen Kindern erzähle, erscheine ich denen wie aus der Zeit gefallen, aber das tun Eltern ja eigentlich immer. Aus Sichtweise der Kinder. Aber sie haben erlebt, wie sich jemand für ihre Freiheit einsetzt, zumindest gegenüber der Mutter, die immer alles ein wenig ängstlicher sieht.
Zitat von Quentin Quencher im Beitrag #2Sehr schöner Text, lieber Andreas Döding. Ich kann die Beobachtung bestätigen, Kindern werden heute oft »überbemuttert«, um mal einen neuen alten Begriff zu verwenden, um damit gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass das Problem möglicherweise auch mit dem Rückzug der Väter aus der Erziehung zu tun hat. Und wenn sie es nicht tun, dann sind eher die ängstlichen Typen, die aus der Angst heraus dem Kind könnte irgendwas passieren, genau die gleiche Schiene wie die Helikoptermütter fahren. Freiheit hat aber immer mit Risiko zu tun, das betrifft nicht nur die Kinder.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen und eine kleine persönliche Geschichte erzählen. Dies muss ich zur Zeit oft tun, vor allem dann wenn meine Kinder (5 Stück, im Alter von 5-15) von mir Erzählungen aus meiner Kindheit verlangen. Oder auch meiner Frau, wenn die an die Bälger den Befehl ausgibt, spätestens bis XX:XX Uhr zu Hause zu sein, und immer das Handy dabei zu haben, damit die Mutter weiß wo sie sind. Dann schreite ich immer ein, es paar mal kam es da zum Streit mit meiner Frau, aber als ich ihr meine Geschichte erzählte, sah sie es wieder lockerer.
Also, ich war ungefähr 12 Jahre alt und war immer auf Achse. Und manchmal übernachtete ich bei Klassenkameraden oder Freunden, so wie das auch bei den Kindern heute noch vorkommt. Nur gab es bei uns in der Zeit (ca. 1972 in der DDR) niemanden der ein Telefon hatte. Die Eltern mussten sich also gegenseitig persönlich aufsuchen, wenn sie etwas überprüfen wollten. Das haben die natürlich nicht getan, es wäre unhöflich gewesen, weil unterschwellig damit ein Verdacht verbunden wäre, der nämlich, dass das andere Elternpaar nicht ordentlich auf die Kinder aufpassen könnte.
Nun, ich und ein, manchmal zwei, Kumpels haben uns diesen Umstand zu nutze gemacht, und unseren Eltern erzählt, dass wir bei XY übernachten. In Wirklichkeit haben wir uns aber im Wald getroffen um dort, mit ein paar Decken ausgestattet (Schlafsäcke hatte keiner von uns), die Nacht zu verbringen und nächtliche Plünderungsstreifzüge in den Schrebergärten zu unternehmen. Es war ein tolles Gefühl von Freiheit, und ich weiß nicht mal, ob ich meinen Eltern jemals davon erzählt habe. Die wähnten uns jeweils immer im Hause anderer Eltern.
Heute, wenn ich diese Geschichte meinen Kindern erzähle, erscheine ich denen wie aus der Zeit gefallen, aber das tun Eltern ja eigentlich immer. Aus Sichtweise der Kinder. Aber sie haben erlebt, wie sich jemand für ihre Freiheit einsetzt, zumindest gegenüber der Mutter, die immer alles ein wenig ängstlicher sieht.
Sehr schöne Geschichte, lieber Quentin In der Tat ist auch meine Erinnerung an die Kindheit geprägt v. a. von freiem, durch Erwachsene weitgehend unbeobachtetem Spiel. Es gab Absprachen bezüglich Uhrzeiten, und auch ein gewisser Radius ums Wohnhaus sollte eingehalten werden (was man regelmäßig nicht eingehalten hat), und ansonsten war man frei; auch frei, Risiken einzugehen. Man (ich) muß immer ein bisschen aufpassen, daß die Erinnerung an die Kindheit nicht schöngefärbt oder durch false memories allzu stark angereichert wird, aber nachmittägliches Unbeobachtetsein war, da bin ich sicher, im (im übrigen bewegungsintensiven) Spiel die Regel.
Noch ein Gedanke zum Schulweg. Den haben wir natürlich alle per pedes absolviert, und Kinder sind da ja wie Hunde; die laufen die Strecke durch vor- und zurücklaufen locker zweimal. Kinder im Grundschulalter haben diesen Bewegungsdrang, und wenn wir in der Schule ankamen, war dieser Drang erstmal ausagiert, und man konnte sich (leidlich) auf die Schule konzentrieren. Bei den Kindern der Helikoptereltern, die zur Schule chauffiert werden, wird dieser "aufgestaute" Bewegungsdrang oft in der ersten und zweiten Unterrichtsstunde übermächtig; die Kinder gehen über Tische und Bänke und haben sichtlich Mühe, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich halte dies für eine der Ursache für die z. T. absurd hohen Prävalenzziffern der "Modediagnose" AD(H)S/ Hyperkinetisches Syndrom. Dies wiederum nährt die Pathologisierungsneigung von Eltern, Lehrern, Ärzten sowie Therapeuten, die wiederum mittelbar die Ängste der Eltern verstärken und die dann ihrerseits durch noch mehr ängstliches Kontrollverhalten den Teufelskreis schließen.
1919 durfte ein 8-jähriger alleine bis zu 6 Meilen (=10 km) weit gehen. Sein Sohn durfte dann mit 8 Jahren 1950 noch 1 Meile (=1,6 km) unbeaufsichtigt gehen. Dessen Tochter dann 1979 noch ca. 800 Meter. Und deren heute 8-jähriger Sohn aktuell noch 300 Meter.
Das kann man zu Recht bedauern und für die Entwicklung des Kindes ist das sehr schade.
Meine Vermutung wäre, dass dieser Trend letztlich von der demographischen Entwicklung hin zur Ein- oder Zwei-Kind-Familie bestimmt wird.
Wenn die Eltern viele Kinder haben, dann haben sie erstens gar nicht die Zeit, jedes Kind immer zu beaufsichtigen.
Und zweitens trifft der mögliche Verlust die Eltern eines Einzelkindes viel härter, als wenn sie viele Kinder haben. ("Abnehmender Grenznutzen" würde ein Ökonom das nennen und ich hoffe, hier nicht zu kalt und zynisch zu erscheinen).
Zudem: Gerade wenn die Eltern - wie heute oft üblich - schon etwas älter sind, können sie nach dem Tod eines Kindes ggf. gar kein neues mehr bekommen. (Als z.B. in den 1920er Jahren der 16-jährige einzige Sohn meiner Urgroßeltern starb, hatten sie 1 Jahr später noch einmal einen Sohn. Eine solche Reaktion auf ein solches Unglück wäre einem älteren Elternpaar aus biologischen Gründen nicht möglich gewesen).
Ohnehin investierten die Eltern in Zeiten hoher Kindersterblichkeit schon aus psychischen Selbstschutz weniger emotionale Bindung in ein Kind. (Heutzutage bricht - verständlicherweise - für Eltern eine Welt zusammen, wenn ihr kleines Kind stirbt. Die Eltern leiden oft viele Jahre später noch darunter. Vor 100 Jahren - als die Kleinkind-Sterblichkeit noch recht hoch war - wäre diese moderne Bindung der eigenen psychischen Stabilität an das Kindeswohl einfach fatal gewesen).
All dies hat natürlich Auswirkungen auf die Risiken, die man sein Kind aussetzen will.
Zitat von Doeding im Beitrag #3Noch ein Gedanke zum Schulweg. Den haben wir natürlich alle per pedes absolviert, und Kinder sind da ja wie Hunde; die laufen die Strecke durch vor- und zurücklaufen locker zweimal. Kinder im Grundschulalter haben diesen Bewegungsdrang, und wenn wir in der Schule ankamen, war dieser Drang erstmal ausagiert, und man konnte sich (leidlich) auf die Schule konzentrieren. Bei den Kindern der Helikoptereltern, die zur Schule chauffiert werden, wird dieser "aufgestaute" Bewegungsdrang oft in der ersten und zweiten Unterrichtsstunde übermächtig; die Kinder gehen über Tische und Bänke und haben sichtlich Mühe, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich halte dies für eine der Ursache für die z. T. absurd hohen Prävalenzziffern der "Modediagnose" AD(H)S/ Hyperkinetisches Syndrom. Dies wiederum nährt die Pathologisierungsneigung von Eltern, Lehrern, Ärzten sowie Therapeuten, die wiederum mittelbar die Ängste der Eltern verstärken und die dann ihrerseits durch noch mehr ängstliches Kontrollverhalten den Teufelskreis schließen.
Hochinteressante Beobachtung. Das sollte man einmal wissenschaftlich untersuchen!
Ich finde auch das das ein sehr schöner Text ist, lieber Andreas, aber ich erlaube mir trotzdem an der Stelle mal den advocatus diaboli zu spielen, denn auch wenn das Hämmern auf Helikoptereltern auch sein mag, so ist das eben nur eine Seite der Medaille.
Ich habe diese Diskussion "wir sind ja auch alle groß geworden" inzwischen auch schon Dutzende Male erlebt. Und am Ende läuft es nahezu immer darauf hinaus, dass ausgeführt wird, man sei ja auch Erwachsen geworden, man sei ja auch gesund, es sei einem schon nicht passiert, etc. pp. Das stimmt auch alles. Weil die, die dieses Schicksal nicht teilen sich praktischerweise ja auch nicht mehr dazu äussern können, oder, wenn es sie nur schwer verletzt aber nicht umgebracht hat, sich vielleicht dazu auch nicht äussern wollen. Es ist die selbe Argumentation, die ich erlebt habe, als es darum ging eine Kindersitzpflicht einzuführen ("Ich bin ja auch ohne das groß geworden"), die ich erlebt habe als es darum ging, dass in Gegenwart von Kindern nicht geraucht werden soll ("Ich bin ja auch nicht am Kindstod gestorben und mein Vater hat gequalmt wie ein Schlot"), die ich erlebe, wenn es darum geht ob man seine Kinder impfen soll oder muss ("Ich habe auch die Masern gehabt und mir ist nichts passiert."). Warum erleben wir diese Argumentation ? Weil die Eltern, deren Kinder aus dem Auto geschleudert wurden, rauchende Eltern, deren Kinder am Kindstod gestorben sind und Eltern, deren Kinder an Meningoenzephalitis dahingesiecht sind, in aller Regel nicht darüber reden (wollen). Es macht auch weniger Spaß auf diesen herumzutrampeln als auf "Helikoptereltern".
Am Ende ist das eine Frage der Erziehungsphilosophie. Der eine geht mehr Risiko ein, der andere weniger. Dem einen Kind schadet das Risiko, dem anderen nicht. Da spielt eine Menge Zufall mit rein, eine Menge persönliche Wahrnehmung und am Ende auch eine Menge des eigenen Verhältnisses zum Risiko. Ich möchte ungern anderen vorschreiben, wie sie ihr Kind erziehen. Ebensowenig möchte ich, dass andere sich in meine Erziehung einmischen. Wir alle werden von unseren Kindern irgendwann beurteilt werden wie gut wir den Job gemacht haben (wobei ich dazu tendiere die "Behütung" des Kindes da nicht als das primäre und entscheidende Argument zu sehen). Am Ende gehört dazu aber auch der Respekt vor dem was "Helikoptereltern" tun. Es ist deren (!) Entscheidung und auch deren (!) Erziehung. Und so lange sie damit niemandem schaden, hat da wohl auch niemand drüber zu urteilen.
Zitat von Doeding im Beitrag #3 Noch ein Gedanke zum Schulweg. Den haben wir natürlich alle per pedes absolviert, und Kinder sind da ja wie Hunde; die laufen die Strecke durch vor- und zurücklaufen locker zweimal. Kinder im Grundschulalter haben diesen Bewegungsdrang, und wenn wir in der Schule ankamen, war dieser Drang erstmal ausagiert, und man konnte sich (leidlich) auf die Schule konzentrieren. Bei den Kindern der Helikoptereltern, die zur Schule chauffiert werden, wird dieser "aufgestaute" Bewegungsdrang oft in der ersten und zweiten Unterrichtsstunde übermächtig; die Kinder gehen über Tische und Bänke und haben sichtlich Mühe, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich halte dies für eine der Ursache für die z. T. absurd hohen Prävalenzziffern der "Modediagnose" AD(H)S/ Hyperkinetisches Syndrom. Dies wiederum nährt die Pathologisierungsneigung von Eltern, Lehrern, Ärzten sowie Therapeuten, die wiederum mittelbar die Ängste der Eltern verstärken und die dann ihrerseits durch noch mehr ängstliches Kontrollverhalten den Teufelskreis schließen.
Herzliche Grüße, Andreas
Lieber Andreas Döding,
so ganz kann ich Ihre Thesen nicht nachvollziehen. Ich bin, nachdem meine Eltern von der Stadt auf das Land umgesiedelt waren, in den 50er und 60er Jahren anfangs in die Dorfschule gegangen. Unsere Tochter geht aktuell in die Grundschule. Ich denke, ich überschaue damit eine ganz gute Zeitspanne.
In der Grundschule hatte ich von allen Mitschülern zusammen mit einem Nachbarkind den längsten Fußweg von nicht ganz einem Kilometer. Alle anderen Kinder hatten weniger als 500m Fußweg. Das waren keine Entfernungen, um sich auszutoben, und für Umwege hat in der Regel die Zeit nicht gereicht. In der großen Pause gab es das ganze Bewegungsspektrum, von Reiterkämpfen bis Murmelspielen, das Letztere auch nicht gerade bewegungsintensiv. Trotzdem waren die Grundschulklassen absolut ruhig und diszipliniert.
Was macht also den Unterschied? Zum Einen gab es für die Kinder überhaupt keinen Zweifel, dass sie in der Schule ruhig zu sein hatten, zusätzlich hatten die Lehrer anfangs immer ihre 'Waffen' gezeigt, vom 'Meerrohr' bis zu Lederriemen. Zum Andern war es auch zuhause üblich, beim Essen am Tisch zu sitzen, mit einem Tischgebet am Anfang und am Ende des Essens. Im Zweifel hat das Machtwort des Vaters gereicht.
Die Zeit zwischen Schule, Essen und Schlafen hat weitgehend uns gehört, wir haben sie aber auch nur sporadisch mit Bewegung gefüllt. Es wurde gebastelt, es war die Anfangszeit von Lego, es wurde gelesen, es wurde herumgestreunt, im Freien gespielt, im Winter Schlitten gefahren. Ein ziemliche Mischung von viel- und wenig Bewegung. Eigentlich waren wir viel uns selbst überlassen. Es gab keinen Fernseher oder Vergleichbares. In der Summe: Diese These mit Bewegungsmangel will nicht so recht passen.
Unsere Tochter hat heute in der Stadt ca. 1,5 km zur Grundschule. Die meisten Mitschüler und Mitschülerinnen haben deutlich kürzere Wege (<500m wegen Innenstadtlage), einige auch deutlich längere. Die Schüler aus der Innenstadt kommen wie in alten Zeiten zu Fuß in die Schule. Einige mit dem Bus. Die entfernt wohnenden mit dem Auto, wir machen das gemischt: Jetzt im Winter eher mit dem Auto, sonst mit dem Fahrrad. Was den Bewegungsaufwand angeht, sehe ich keinen großen Unterschied zu früher. Trotzdem gibt es einige extreme Störenfriede in der Klasse, die dummerweise ansteckend wirken. Was ich aber nebenbei beobachte: Das Repertoire der Lehrerinnen zur Disziplinierung erscheint mir recht schwach, und wie mir scheint können manche Lehrerinnen dem Druck der Schüler auch schon aus gesundheitlichen Gründen nicht (mehr) gegenhalten. Erstaunlich auch, wie sehr sich das Bild gewandelt hat: In unserer Zeit hatten wir nur Lehrer, heute sind es schon fast ausnahmslos Lehrerinnen.
1919 durfte ein 8-jähriger alleine bis zu 6 Meilen (=10 km) weit gehen. Sein Sohn durfte dann mit 8 Jahren 1950 noch 1 Meile (=1,6 km) unbeaufsichtigt gehen. Dessen Tochter dann 1979 noch ca. 800 Meter. Und deren heute 8-jähriger Sohn aktuell noch 300 Meter.
Das kann man zu Recht bedauern und für die Entwicklung des Kindes ist das sehr schade.
Meine Vermutung wäre, dass dieser Trend letztlich von der demographischen Entwicklung hin zur Ein- oder Zwei-Kind-Familie bestimmt wird.
Wenn die Eltern viele Kinder haben, dann haben sie erstens gar nicht die Zeit, jedes Kind immer zu beaufsichtigen.
Und zweitens trifft der mögliche Verlust die Eltern eines Einzelkindes viel härter, als wenn sie viele Kinder haben. ("Abnehmender Grenznutzen" würde ein Ökonom das nennen und ich hoffe, hier nicht zu kalt und zynisch zu erscheinen).
Zudem: Gerade wenn die Eltern - wie heute oft üblich - schon etwas älter sind, können sie nach dem Tod eines Kindes ggf. gar kein neues mehr bekommen. (Als z.B. in den 1920er Jahren der 16-jährige einzige Sohn meiner Urgroßeltern starb, hatten sie 1 Jahr später noch einmal einen Sohn. Eine solche Reaktion auf ein solches Unglück wäre einem älteren Elternpaar aus biologischen Gründen nicht möglich gewesen).
Ohnehin investierten die Eltern in Zeiten hoher Kindersterblichkeit schon aus psychischen Selbstschutz weniger emotionale Bindung in ein Kind. (Heutzutage bricht - verständlicherweise - für Eltern eine Welt zusammen, wenn ihr kleines Kind stirbt. Die Eltern leiden oft viele Jahre später noch darunter. Vor 100 Jahren - als die Kleinkind-Sterblichkeit noch recht hoch war - wäre diese moderne Bindung der eigenen psychischen Stabilität an das Kindeswohl einfach fatal gewesen).
All dies hat natürlich Auswirkungen auf die Risiken, die man sein Kind aussetzen will.
Große Zustimmung zu allem was Sie schreiben, lieber Florian! Das Grenznutzen-Argument halte ich übrigens weder für kalt noch für zynisch sondern schlicht für angemessen. Ich habe mich vor Jahren einmal mit dem etwas speziellen (aber faszinierenden) Thema der Evolutions-Sozialpsychologie beschäftigt. Zwei Befunde sind mir da noch spontan erinnerlich. 1. Die (gruppenstatistische) Wahrscheinlichkeit, das eigene Leben zur Rettung eines anderen zu riskieren, steigt proportional zum Ausmaß der biologischen Verwandtschaft (=mit dem Ausmaß gemeinsamer Gene). 2. Großeltern dagegen retten, vor die Alternative gestellt, eher die Enkel (1/4 geneinsames Erbgut) statt der eigenen Kinder (1/2 geteiltes Erbgut), was auf die altersbedingt unterschiedlichen Reproduktionswahrscheinlichkeiten zurückgeführt wird. Interessanterweise sind diese Befunde auch dann stabil, wenn man die Quallität der persönlichen Beziehung der Verwandten untereinander mit berücksichtigt (die spielt bei solchen Entscheidungen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle).
Wenn man sich mit Erleben und Verhalten von Menschen (=Psychologie) intensiver beschäftigt, dann stellt man schnell fest, daß da sehr wenig Raum für "Gefühlswelten", "Spiritualität" oder "Seele" bleibt. Leider bekommt aber auch die an sich tröstliche Vorstellung vom "freien Willen" erhebliche Blessuren .
Zitat von Llarian im Beitrag #6 Am Ende ist das eine Frage der Erziehungsphilosophie. Der eine geht mehr Risiko ein, der andere weniger. Dem einen Kind schadet das Risiko, dem anderen nicht. Da spielt eine Menge Zufall mit rein, eine Menge persönliche Wahrnehmung und am Ende auch eine Menge des eigenen Verhältnisses zum Risiko.
Absolut, lieber Llarian. Natürlich ist Entwicklung/Sozialisation kein unidirektionaler Eltern-Kind-Prozeß (wie die Freudianer bis heute glauben), sondern eine Wechselwirkung, bei der die "zu erziehenden" ein gehöriges Wörtchen mitreden. Manche (viele?) Helikinder werden sich spätestens mit der Pubertät von ihren überängstlichen Eltern befreien und emanzipieren. Da darf man getrost auf die handlungssteuernde Wirkung der Hormone vertrauen .
Zitat Ich möchte ungern anderen vorschreiben, wie sie ihr Kind erziehen. Ebensowenig möchte ich, dass andere sich in meine Erziehung einmischen. [...] Am Ende gehört dazu aber auch der Respekt vor dem was "Helikoptereltern" tun. Es ist deren (!) Entscheidung und auch deren (!) Erziehung. Und so lange sie damit niemandem schaden, hat da wohl auch niemand drüber zu urteilen.
Toleranz ja, Respekt eher nicht, zumal es manchen der Helieltern meinem Endruck nach gar nicht primär um die Kinder geht, sondern darum, sich selbst wohl zu fühlen (bzw. eigene Ängste zu vermeiden). Viele haben da durchaus ein "Unrechtsbewußtsein" wenn man sie darauf anspricht, gefolgt von einem "aber ich kann da einfach nicht aus meiner Haut". Tolle Wurst.
Es geht mir aber gar nicht um Einmischen oder gar verbieten, im Gegenteil. Ich fürchte einen Staat, der sich immer offensiver berufen fühlt, sich einzumischen wenn die Ängstlichen, wie anscheinend in den USA, die Norm werden. Ansonsten haben Eltern selbstverständlich das Recht, innerhalb der Grenzen des Strafrechts, ihre Kinder so zu erziehen wie sie wollen. Auch das Recht, sie zu ängstlich-unselbständigen Menschen zu erziehen und -in meinen Augen- zu versaubeuteln. Meine Berufskollegen und ich müssen ja schließlich auch essen . Man darf das. Man darf es aber auch kritisieren .
Zitat von Martin im Beitrag #7In unserer Zeit hatten wir nur Lehrer, heute sind es schon fast ausnahmslos Lehrerinnen.
Die Frage, was es bewirkt, dass wir praktisch in den Grundschulen nur noch Lehrerinnen haben, treibt mich auch um. Vielleicht wäre hier eher eine Quote angebracht als in der Wirtschaft. Aus dem Bauch heraus: »Männer und Frauen sind eben nun mal verschieden, mit verschiedenen Gefühlswelten.« Lernen die Kinder nur noch die eine Seite kennen, verkrüppeln sie emotional. Wenn ich mir meine Kinder betrachte, und reflektiere, mit welchen Fragen und Anliegen sie zu mir kommen, und mit welchen zu meiner Frau, dann wird klar, wie wichtig die verschiedenen Geschlechterrollen zur Ausbalancierung der eigenen Gefühlswelt ist.
Noch ein Wort zur Bewegung. Eine Kindergärtnerin hat eine meiner Töchter mit »sie ist eine Draußen-Kind« beschrieben. Keine Pfütze, kein Schlammloch, kein Baum ist sicher, überall muss sie hinein oder hinauf. Die nächst Ältere ist völlig anders, schafft um sich herum ein kleines Reich in dem sie agiert. Ich kann die Jüngere nicht in ein Sicherheitskorsett stecken, sie würde verkümmern. Genauso wie es die Ältere verunsichern würde, würde ich dazu zwingen ein »Draußen-Kind« zu sein.
Zitat von Doeding im Beitrag #3 Noch ein Gedanke zum Schulweg. Den haben wir natürlich alle per pedes absolviert, und Kinder sind da ja wie Hunde; die laufen die Strecke durch vor- und zurücklaufen locker zweimal. Kinder im Grundschulalter haben diesen Bewegungsdrang, und wenn wir in der Schule ankamen, war dieser Drang erstmal ausagiert, und man konnte sich (leidlich) auf die Schule konzentrieren. Bei den Kindern der Helikoptereltern, die zur Schule chauffiert werden, wird dieser "aufgestaute" Bewegungsdrang oft in der ersten und zweiten Unterrichtsstunde übermächtig; die Kinder gehen über Tische und Bänke und haben sichtlich Mühe, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ich halte dies für eine der Ursache für die z. T. absurd hohen Prävalenzziffern der "Modediagnose" AD(H)S/ Hyperkinetisches Syndrom. Dies wiederum nährt die Pathologisierungsneigung von Eltern, Lehrern, Ärzten sowie Therapeuten, die wiederum mittelbar die Ängste der Eltern verstärken und die dann ihrerseits durch noch mehr ängstliches Kontrollverhalten den Teufelskreis schließen.
Herzliche Grüße, Andreas
Lieber Andreas Döding,
so ganz kann ich Ihre Thesen nicht nachvollziehen. Ich bin, nachdem meine Eltern von der Stadt auf das Land umgesiedelt waren, in den 50er und 60er Jahren anfangs in die Dorfschule gegangen. Unsere Tochter geht aktuell in die Grundschule. Ich denke, ich überschaue damit eine ganz gute Zeitspanne.
In der Grundschule hatte ich von allen Mitschülern zusammen mit einem Nachbarkind den längsten Fußweg von nicht ganz einem Kilometer. Alle anderen Kinder hatten weniger als 500m Fußweg. Das waren keine Entfernungen, um sich auszutoben, und für Umwege hat in der Regel die Zeit nicht gereicht. In der großen Pause gab es das ganze Bewegungsspektrum, von Reiterkämpfen bis Murmelspielen, das Letztere auch nicht gerade bewegungsintensiv. Trotzdem waren die Grundschulklassen absolut ruhig und diszipliniert.
Was macht also den Unterschied? Zum Einen gab es für die Kinder überhaupt keinen Zweifel, dass sie in der Schule ruhig zu sein hatten, zusätzlich hatten die Lehrer anfangs immer ihre 'Waffen' gezeigt, vom 'Meerrohr' bis zu Lederriemen. Zum Andern war es auch zuhause üblich, beim Essen am Tisch zu sitzen, mit einem Tischgebet am Anfang und am Ende des Essens. Im Zweifel hat das Machtwort des Vaters gereicht.
Die Zeit zwischen Schule, Essen und Schlafen hat weitgehend uns gehört, wir haben sie aber auch nur sporadisch mit Bewegung gefüllt. Es wurde gebastelt, es war die Anfangszeit von Lego, es wurde gelesen, es wurde herumgestreunt, im Freien gespielt, im Winter Schlitten gefahren. Ein ziemliche Mischung von viel- und wenig Bewegung. Eigentlich waren wir viel uns selbst überlassen. Es gab keinen Fernseher oder Vergleichbares. In der Summe: Diese These mit Bewegungsmangel will nicht so recht passen.
Unsere Tochter hat heute in der Stadt ca. 1,5 km zur Grundschule. Die meisten Mitschüler und Mitschülerinnen haben deutlich kürzere Wege (<500m wegen Innenstadtlage), einige auch deutlich längere. Die Schüler aus der Innenstadt kommen wie in alten Zeiten zu Fuß in die Schule. Einige mit dem Bus. Die entfernt wohnenden mit dem Auto, wir machen das gemischt: Jetzt im Winter eher mit dem Auto, sonst mit dem Fahrrad. Was den Bewegungsaufwand angeht, sehe ich keinen großen Unterschied zu früher. Trotzdem gibt es einige extreme Störenfriede in der Klasse, die dummerweise ansteckend wirken. Was ich aber nebenbei beobachte: Das Repertoire der Lehrerinnen zur Disziplinierung erscheint mir recht schwach, und wie mir scheint können manche Lehrerinnen dem Druck der Schüler auch schon aus gesundheitlichen Gründen nicht (mehr) gegenhalten. Erstaunlich auch, wie sehr sich das Bild gewandelt hat: In unserer Zeit hatten wir nur Lehrer, heute sind es schon fast ausnahmslos Lehrerinnen.
Gruß, Martin
Lieber Martin, vielen Dank für Ihren interessanten Erfahrungsbericht. Natürlich ist meine obige Hypothese anekdotisch und möglicherweise wenig valide. Ich habe (in Hannover aufgewachsen) immer mehrere Kilometer zur Schule gehabt (maximal 5 Kilometer in der 4. Klasse, als ich in einem abgelegenen Waldhotel gewohnt habe, das meine Eltern betrieben haben). Und ich bin das sommers wie winters geradelt, nur wenn es mal geschneit hatte mit dem Bus gefahren. Zur weiterführenden Schule bin ich dann mit der U-Bahn gefahren; da waren es dann nur noch wenige hundert Meter zu Fuß). Heute besteht mein Weg zur Arbeit aus zwei Treppen im gleichen Haus, bei durchgehend sitzender Tätigkeit, was inzwischen seine deutlichen Spuren hinterlassen hat . Möglicherweise gibt es hier auch eine Stadt-Land-Diskrepanz, wenngleich den Medien in den letzten Jahren das Thema "Bewegungsmangel", oft im Zusammenhang mit dem Thema epidemiologische Zunahme von Adipositas und Diabetes Typ-II (die Tatsache sind) zu entnehmen. Ich denke schon, daß das ein (nicht nur aufgebauschtes) Thema ist, wenngleich der Schulweg hier nicht das entscheidende sein muß im Vergleich etwa zum außerschulischen Freizeitverhalten.
Sie haben schon recht, die "Rohrstockpädagogik" der 50er und 60er ließ die heute bekannten Disziplinlosigkeiten nicht zu. Ich habe dennoch Zweifel, ob man dieser Pädagogik nur deshalb nachtrauern sollte (ohne Ihnen das hiermit unterstellen zu wollen) weil die heute übliche laissez faire Haltung so gar nicht funktioniert.
Autoritäre Pädagogik zielt primär auf Verhaltensunterdrückung (und nicht auf den Aufbau "erwünschten" Verhaltens) mit der Nebenwirkung, daß das unterdrückte Verhalten ratzfatz gezeigt wird, sobald die "Drohung" entfällt. Daß diese Pädagogik dennoch "funktioniert" hat, liegt meines Erachtens weniger an der Strenge oder der Drastik der angedrohten Strafen sondern an der damit korrespondierenden Konsequenz des erzieherischen Handelns. "Gute" Pädagogik zeichnet sich dadurch aus, daß auf Verhalten A mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Konsequenz/Reaktion B erfolgt. Und nicht vielleicht mal B, mal C oder D oder mal keins von alledem. So gesehen ist gute Pädagogik fast idealtypisch in modernen Hundeschulen zu beobachten (ernsthaft). Dort ist man schon lange weg von Bestrafungslernen (Stromhalsband) usw; vielmehr vermittelt man dem Hundebesitzer konsequentes Handeln. Und diese konsequente Haltung wiederum muß nicht autoritär oder unter angstmachender Strafandrohung daherkommen. Das Erzeugen von Frustration oder Unlustgefühlen (oder aber die Hoffnung auf Belohnung) reichen völlig .
Zitat Ich wohne in einer ländlichen Kleinstadt in direkter Nachbarschaft einer Grundschule. Wenn ich dem morgendlichen Treiben dort gelegentlich einmal zuschaue fällt mir auf, daß so gut wie kein Kind zu Fuß zur Schule geht. Die, übrigens ziemlich enge, Zufahrtsstraße ist völlig verstopft von den Autos von Eltern, die ihre Kinder zur, oft nur wenige hundert Meter von ihrem Zuhause entfernten, Schule fahren. Nicht wenige begleiten ihre Kinder dann noch bis zum Eingang, einige sogar bis in das Klassenzimmer.
Wie in meinem vorigen Beitrag geschrieben ist das hier in einer nicht ganz 100.000 Einwohner Gemeinde nicht typisch, auch wenn verschiedene Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. So weit ich das überschaue, hat das eher mit der Entfernung und der Logistik zu tun. Auch wollen die Eltern nicht ohne Druck eine halbe Stunde früher aus dem Bett, nur weil das Kind früher los muss. Mit dem Auto geht es schneller.
Ich kann keinen Gruppendruck ausmachen. Wenn das in Ihrer Gemeinde gesagt wird, dann würde ich noch ein paar weitere Thesen testen. Bekanntlich fahren beispielsweise ja auch viele Leute die 200m zum Zigarettenautomaten oder Bäcker heutzutage mit dem Auto. Sozusagen eine bequeme Angewohnheit, nix mit Helikopter.
Was Schulweg zu Fuß angeht will ich aber mal einen kleinen anderen Aspekt erwähnen: Der Schulranzen wiegt inzwischen +-7kg. Umgerechnet wäre das in etwa so, als würde ich jeden Tag mit einem 20kg Rucksack zur Arbeit gehen. Mein Schulranzen in den 50er Jahren wog nicht mal ein Kilogramm. Schon in der 2. Klasse Grundschule, als der Ranzen noch etwas leichter war, und wir unsere Tochter auch mal 1,5 km zu Fuß gehen ließen hat sie heftig über das Gewicht geklagt und sich auch deshalb gesträubt, den Weg zu gehen. Und es gab einen weiteren Grund, nachdem sie ein für sie unheimlicher Mann (auf einem wenig belebten Weg) mal einige hundert Meter verfolgt und immer wieder angesprochen hatte. Statistisch war das damals in einem von fünf Fällen, dass sie zu Fuß gegangen war. Früher gingen wir meist in kleinen Gruppen - das gibt es aber in unserem Fall nicht. Ich habe dann guten Gewissens Helikopter gespielt. Nach dem St. Florians-Prinzip: Heiliger St. Florian, verschon' mein Haus, zünd' andere an.
Zitat von Doeding im Beitrag #8 Ich habe mich vor Jahren einmal mit dem etwas speziellen (aber faszinierenden) Thema der Evolutions-Sozialpsychologie beschäftigt. Zwei Befunde sind mir da noch spontan erinnerlich.
1. Die (gruppenstatistische) Wahrscheinlichkeit, das eigene Leben zur Rettung eines anderen zu riskieren, steigt proportional zum Ausmaß der biologischen Verwandtschaft (=mit dem Ausmaß gemeinsamer Gene).
Es könnte sich doch auch um die lebensweltliche, praktische und durch Dauerhaftigkeit geprägte Nähe gehandelt haben, die Verwandtschaft i.d.R. mit sich führt, statt um die Verwandtschaft selbst.
2. Großeltern dagegen retten, vor die Alternative gestellt, eher die Enkel (1/4 geneinsames Erbgut) statt der eigenen Kinder (1/2 geteiltes Erbgut), was auf die altersbedingt unterschiedlichen Reproduktionswahrscheinlichkeiten zurückgeführt wird
Das könnte daran liegen, dass Kinder und mit abnehmender Intensität auch Jugendliche bis hin zu jungen Erwachsenen im Vergleich zu signifikant älteren Personen realistischerweise als eher hilfsbedürftig wahrgenommen werden. Erst im Hinblick auf uralte Personen dreht sich das wieder.
Zitat von Doeding im Beitrag #8 Interessanterweise sind diese Befunde auch dann stabil, wenn man die Quallität der persönlichen Beziehung der Verwandten untereinander mit berücksichtigt (die spielt bei solchen Entscheidungen, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle).
Wie ist das denn festgestellt worden? Mit genau übereinstimmenden Fallkonstellationen bei Kontrollgruppen, bei denen sonst alles 1 zu 1 ist, nur das Verwandtschaftsverhätnis nicht? Das kann ich mir nur ganz schlecht vorstellen, denn wie will man solche "Fälle", also Gegenüberstellungen, die experimentellen Ansprüchen wirklich genügen, also von allen Störfaktoren gesäubert sind, aus dem richtigen Leben rausklabüstern? Und das dann auch noch in großer Zahl, um Gevatter Zufall auszuschließen? Das ist doch das Grundproblem bei experimentellen Anordnungen der "humanities". Man hätte es gerne so wie der Physiker im Labor und das Ganze dann mit knackiger Mathematik geimpft. Das führt m.E. zu allerlei Problemen, u.a. deswegen, weil Untersucher und Untersuchungsgut zusammenfließen (Mensch und Mensch), was die vielbesungene "Objektivität" in Frage stellt. Aber das nur nebenbei.
Zitat von Doeding im Beitrag #8 Wenn man sich mit Erleben und Verhalten von Menschen (=Psychologie) intensiver beschäftigt, dann stellt man schnell fest, daß da sehr wenig Raum für "Gefühlswelten", "Spiritualität" oder "Seele" bleibt. Leider bekommt aber auch die an sich tröstliche Vorstellung vom "freien Willen" erhebliche Blessuren .
Da bin ich allerdings gaaaaanz anderer Auffassung , lieber Herr Döding . Klar, der "freie Wille" ist pure Metaphysik und nix Empirisches. Weiteres würde arg off topic gehen, zumal dieser "topic" im Zimmer schon in diversen threads diskutiert wurde. Kein Wunder: Zentrales Thema unseres Menschseins, um mal pathetisch zu werden.
Nur kurz ein Zitat von Ludwig von Mises hier eingeflochten (aus "Theory and History")
Zitat There is nothing vicious about methaphysics. Man cannot do without it. The positivists are lamentably wrong in employing the term "metaphysics" as a synonym for nonsense
Um die Kurve zu kriegen würd ich mal so sagen: Als Helieltern möchte man - ohne freien Willen - möglicherweise mit der Freiheit nix tu tun haben, weil die gar nicht auf dem Radarschirm ist.
Und genau dieser Furcht unterliegen doch die Helieltern, oder? Die Freiheit wird als Bedrohung empfunden, statt als Chance. Deshalb: Alles planen, planen und noch mal planen, denn alles ist planbar. So werden die Kinder in Programme eingemauert (Abitur, beispielweise, ist ein selbstverständlicher Programmpunkt, absolut unabdingbar), wo vor allem alles 100%ig funktionieren muss. Alles Planlose, was sich Kinder mal so aus daffke zweckfrei einfallen zu lassen pflegen, hat möglichst zu verschwinden, zumal Kinder keine Selbstverständlichkeit mehr sind, die das Leben halt so mit sich bringt - oder auch nicht, womit man dann auch zufrieden sein muss.
Wie alles andere sind auch Kinder "Produkte"; und Produkte wählt man kritisch und mit viiiiiel Bedacht im Kaufhaus aus; und selbstverständlich muss dann auch alles stimmen, mit diesem Produkt. Designte Kinder.
Eine Ursache für die von Ihnen so trefflich im Blog beschriebene Helicopterei scheint mir um dieses Phänomen zu kreisen. Die Freiheit ist eine Bedrohung und keine Chance, denn das Letztere führt mit sich: Nichts Genaues weiss man - jedenfalls vorher - nicht. Dadurch kommt Unberechanbarkeit ins Leben. Also etwas, was man sich, wo doch angeblich alles planerisch durchdekliniert werden kann, nicht mehr gefallen lassen will.
Des Weiteren gilt natürlich: Wie realistisch sind etwaige Gefahren, vor denen man insoweit Unmündige selbstverständlich schützen muss und wo fängt das Überzogene (ich sage: Das Freiheitsfeindliche) an? - die 100.000 $ Frage.
Und was die USA angeht: Es ist alles verwirrend heterogen daselbst, mit reichlich "diversity". Manch einem passt dieser Begriff nicht, mir gefällt er. Möglicherweise erziehen Helieltern ihre Kinder falsch, möglicherweise auch nicht. Würde ich jedenfalls auch unter diversity abbuchen und nicht an "Intervention" denken. Wahr ist allerdings schon, dass drüben - namentlich seit 9/11 - der hässliche Hautgout des Polizeistaatses um sich greift; das frisst sich in alle Lebensbereiche. Konfrontationen mit der Obrigkeit aus lächerlichen Anlässen, wie Clemens Wergin berichtet. Zum Land of the Free passt das so gar nicht.
Interessant, dass das ausgerechnet auf die USA zutrifft. Ich hätte als braver Anhänger von Mark Pitzke ("keine Angst vor der Wahrheit") gedacht, dass amerikanische Kinder den Weg zur Schule in Tarnuniformen zurücklegen und lauter Gegenstände dabeihaben, die bei uns unters Kriegswaffenkontrollgesetz fallen . Und jetzt stellt sich raus, der große Satan ist ein einziger Prenzelberg...
Zitat von Doeding im Beitrag #9 Toleranz ja, Respekt eher nicht, zumal es manchen der Helieltern meinem Endruck nach gar nicht primär um die Kinder geht, sondern darum, sich selbst wohl zu fühlen (bzw. eigene Ängste zu vermeiden). Viele haben da durchaus ein "Unrechtsbewußtsein" wenn man sie darauf anspricht, gefolgt von einem "aber ich kann da einfach nicht aus meiner Haut". Tolle Wurst.
Ich habe festgestellt, das nicht gerade wenige, auch sehr bittere, Mißverständnisse daraus erwachsen, dass man meint die Motive anderer besser zu kennen als diese selbst. Auch der Begriff des Unrechtsbewusstseins ist an der Stelle bestenfalls schwierig, denn er unterstellt ja gerade, dass ein Unrecht geschieht. Man kann aber bei vielen Dingen auch durchaus argumentieren, dass das Unrecht darin besteht, eine Maßnahme gerade nicht zu ergreifen, Beispiele wie Impfungen oder Kindersitze habe ich genannt. Wie würde man die anderen Eltern passenderweise nennen ? Kamikaze-Eltern ? Und was sind deren Motive ? Faulheit oder vielleicht der Zwang möglichst cool zu erscheinen ?
Zitat Auch das Recht, sie zu ängstlich-unselbständigen Menschen zu erziehen und -in meinen Augen- zu versaubeuteln.
Mut zum Risiko macht nicht selbstständig, das ist m.E. nach eher eine Illusion von Leuten, die sich ihr persönliches Risikoverhalten gerne schön reden möchten. Mit Freiheit kommt auch Verantwortung und wer meint mit 220 auf der linken Spur seinen James-Dean-Komplex ausleben zu müssen beweist gerade, dass er ausgesprochen unselbstständig ist, nämlich unselbstständig Verantwortung für sich selbst (und auch andere) zu übernehmen. Risiko muss sich lohnen, es ist kein Wert um seiner selbst willen. Kinder wissen das vielfach nicht, einige lernen es zu spät. Es ist kein intrinsischer Wert Risiken eingehen zu wollen, insbesondere wenn das selbe Ergebnis erzielt werden kann, ohne ein Risiko einzugehen.
Zitat Man darf es aber auch kritisieren .
Natürlich darf man. Kritisieren darf man immer. Und richtig gut wird eine Kritik dann, wenn man beweist, dass man es besser kann. Daran scheitert es dann allerdings oft. Bevor ich selber Kinder hatte habe ich auch unheimlich viel dazu gemeint. Und am Ende festgestellt das davon 90% Mumpitz gewesen ist. Heute halte ich mich deutlich mehr zurück zu dem Thema wie andere ihre Kinder erziehen. Ich habe meine eigenen Vorstellungen, aber ich erzähle nahezu niemandem das meine besser sind als die seinen.
Zitat von Doeding im Beitrag #9Manche (viele?) Helikinder werden sich spätestens mit der Pubertät von ihren überängstlichen Eltern befreien und emanzipieren. Da darf man getrost auf die handlungssteuernde Wirkung der Hormone vertrauen .
Wenn man Glück hat. Wenn man Pech hat, geht der Wunsch der Eltern, daß ihre Kinder Kinder bleiben (in dem Artikel gut auf den Punkt gebracht) zusammen mit der erworbenen Hilflosigkeit der Kinder eine unheilvolle Symbiose in Komplexen wie Anorexia nervosa ein. Dieses gruselige Krankheitsbild entwickelt sich besonders bei Kindern von "harmonischen" Mittelschichtsfamilien.
Zitat von Doeding im Beitrag #9Es geht mir aber gar nicht um Einmischen oder gar verbieten, im Gegenteil. Ich fürchte einen Staat, der sich immer offensiver berufen fühlt, sich einzumischen wenn die Ängstlichen, wie anscheinend in den USA, die Norm werden. Ansonsten haben Eltern selbstverständlich das Recht, innerhalb der Grenzen des Strafrechts, ihre Kinder so zu erziehen wie sie wollen. Auch das Recht, sie zu ängstlich-unselbständigen Menschen zu erziehen und -in meinen Augen- zu versaubeuteln.
Das wird hier im Forum sicher jeder so sehen. Ich möchte aber noch darauf hinweisen, daß in dem Artikel geschildert wird, wie die neue Normalität der Überbehütung zur Norm wird, und Eltern, die ihren Kindern Selbständigkeit angedeihen lassen wollen, Besuch von der Polizei und den Behörden bekommen.
Auslöser für die gegenwärtige Bedenkenwelle ist u.a. Madeline Levines The Price of Privilege (2006), wobei nie ganz klar scheint, ob bei solchen pädagogischen (und medizinischen - Beispiel Impfgegner, und ernährungsphysiologischen - Veganer - und und und) Wellen die Gurus oder die Bedenkenträger die Hauptrolle der Multiplikatoren spielen. Das Thema spielte ja bei Disneys letzter Geschäftsausweitung, bevor sie sich auf das Kerngeschäft, mit Pixar-Filmen den Großen Reibach zu machen, konzentrierten: die "Main Street, USA"-Utopie Celebration, FL. Das wurde ja in Sachen Zivilschutz, Übersichtlichkeit, small family values usf. beworben & zeigte doch nur mustergültig, daß das Management von dem wofür Disney steht, nämlich folgenlose Unterhaltung mit heftigem Seichtheitsfaktor, keine Ahnung anwehte. Ist ja auch so gnadenlos verdient am Markt gescheitert wie alle gebauten Musterstädtchen davor.
Interessant, daß das Thema allein in den "liberalen" Medien (im englischen Sinn, also links-grün) - also dem Zeit/FR/Spiegel-Publikum entsprechend, eine Rolle spielt, wo man die eigene Klientel warnt; in den konservativen Medien ist das nicht präsent. Es ist aber auch nicht die erste solche Welle (& diese Rollenverteilung ist da konstant): die erste lief in den 30er Jahren an, wurde dann unterbrochen & bruchlos in den 50ern fortgesetzt, im Zusammenhang mit der Gururolle von Dr. Benjamin Spock für die frühkindliche Erziehung (& mit B.F.Skinners Behaviorismus als Hintergrunduntermalung): Väter (wahlweise: beide Eltern) dürfen Kindern keine/nicht zuviel Zuneigung zukommen lassen, sonst werden sie lebensuntüchtig; oer das genaue Gegenteil. Als Hauptbedrohung stand da immer zeitgemäß das Stigma Homosexualität im Raum: der Junge mußte ja so werden, weil der Vater so dominant war; oder weil der immer abwesend war.
Die Rundumschlagdiagnose der "amerikanischen Gesellschaft" (= der weißen Mittelschicht; dem Rest sind solche Selbstdiagnosen naturgemäß Hekuba) aus einem solchen Nexus hat eine Amplitude von recht genau 13 Jahren: Als ältestes Beispiel wmg. Philip Wylies "Generation of Vipers" von 1942, der eine vehement antifeministische Stoßrichtung hatte & sich am "Momism" abarbeitete, der alles, was echt-amerikanisch-&-mannhaft war, zerfraß; David Riesmans "The Lonely Crowd" von 1950; Betty Friedans "The Feminine Mystique" von 1963, Christopher Laschs "The Culture of Narcissism" von 1979 (vorweggenommen durch Tom Wolfe Essay "The 'Me ' Decade and the Third Great Awakening", 1976), Mike Davis' "City of Quartz" von 1990. Als Phänomen sind Helimütter gerade auch in den USA kein neues Phänomen: die "yiddishe mamme" hat als Klischee solch einen Bart...
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #13Und genau dieser Furcht unterliegen doch die Helieltern, oder? Die Freiheit wird als Bedrohung empfunden, statt als Chance. Deshalb: Alles planen, planen und noch mal planen, denn alles ist planbar.
Eine Ursache für die von Ihnen so trefflich im Blog beschriebene Helicopterei scheint mir um dieses Phänomen zu kreisen. Die Freiheit ist eine Bedrohung und keine Chance, denn das Letztere führt mit sich: Nichts Genaues weiss man - jedenfalls vorher - nicht. Dadurch kommt Unberechanbarkeit ins Leben. Also etwas, was man sich, wo doch angeblich alles planerisch durchdekliniert werden kann, nicht mehr gefallen lassen will.
Diese beiden Teile Ihres Posts sind sehr wichtig, lieber Dennis the Menace, so extrem wichtig für eine Metadiskussion dieser Diskussion um Helikoptereltern, dass ich sie in einem anderen Thread mitnehmen werde. Ich denke, Sie haben hier des Pudels Kern getroffen.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #13Und genau dieser Furcht unterliegen doch die Helieltern, oder? Die Freiheit wird als Bedrohung empfunden, statt als Chance. Deshalb: Alles planen, planen und noch mal planen, denn alles ist planbar.
Eine Ursache für die von Ihnen so trefflich im Blog beschriebene Helicopterei scheint mir um dieses Phänomen zu kreisen. Die Freiheit ist eine Bedrohung und keine Chance, denn das Letztere führt mit sich: Nichts Genaues weiss man - jedenfalls vorher - nicht. Dadurch kommt Unberechanbarkeit ins Leben. Also etwas, was man sich, wo doch angeblich alles planerisch durchdekliniert werden kann, nicht mehr gefallen lassen will.
Diese beiden Teile Ihres Posts sind sehr wichtig, lieber Dennis the Menace, so extrem wichtig für eine Metadiskussion dieser Diskussion um Helikoptereltern, dass ich sie in einem anderen Thread mitnehmen werde. Ich denke, Sie haben hier des Pudels Kern getroffen.
Bei 'Meta' wird es natürlich ganz wichtig. Ich habe nur den leisen Verdacht, dass weder Sie noch Dennis allzu viel Einblick in die Realität haben, und - wie das manchmal so ist - wenn man schon im Detail nicht mitreden kann, gerne 'meta' wird. Ich habe nun mal einen ganz guten Überblick über Grundschulen einer größeren Stadt und ich habe mich auch gelegentlich als Begleitung bei Klassenunternehmen zur Verfügung gestellt. Meine Beobachtungen decken sich kaum mit denen von Andreas Döding an seinem Wohnort. Wir haben viel Kontakt mit anderen Eltern, von Upper Class bis türkischer Alleinerziehender, und ich würde keinen der Eltern das Etikett 'Helikopter' verpassen.
Es gab kürzlich einen öffentlichen Brief eines Stuttgarter Schulrektors, der sich in einer Art Befreiungsschlag über sogenannte Helikoptereltern, die am Morgen bis zum Klassenzimmer kämen und gleich mal die Lehrer sprechen wollten, beschwerten. Ich kann mir vorstellen, dass es das gibt, ich glaube aber nicht, dass das die Regel ist. Manche Vorwürfe müssten abe auch an die Schulen zurückgehen: Wir haben hier zwei Schulen mit einem Campus, Eltern, von denen ein Kind in die eine Schule geht und ein Kind in die andere. Da sind gute Vergleiche möglich. Während beispielsweise das eine Kind entspannt den Nachmittag für sich hat, das andere mit dem von den Lehrerinnen verursachten Chaos bis 20 Uhr zu kämpfen hat. Wenn dann die Eltern sich austauschen und in der Schule vorstellig werden hat das mit Helikopter nichts zu tun. Dennis würde wahrscheinlich in diesen Zuständen eine Chance für die Kinder wittern.
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #13Und genau dieser Furcht unterliegen doch die Helieltern, oder? Die Freiheit wird als Bedrohung empfunden, statt als Chance. Deshalb: Alles planen, planen und noch mal planen, denn alles ist planbar.
Eine Ursache für die von Ihnen so trefflich im Blog beschriebene Helicopterei scheint mir um dieses Phänomen zu kreisen. Die Freiheit ist eine Bedrohung und keine Chance, denn das Letztere führt mit sich: Nichts Genaues weiss man - jedenfalls vorher - nicht. Dadurch kommt Unberechanbarkeit ins Leben. Also etwas, was man sich, wo doch angeblich alles planerisch durchdekliniert werden kann, nicht mehr gefallen lassen will.
Diese beiden Teile Ihres Posts sind sehr wichtig, lieber Dennis the Menace, so extrem wichtig für eine Metadiskussion dieser Diskussion um Helikoptereltern, dass ich sie in einem anderen Thread mitnehmen werde. Ich denke, Sie haben hier des Pudels Kern getroffen.
Bei 'Meta' wird es natürlich ganz wichtig. Ich habe nur den leisen Verdacht, dass weder Sie noch Dennis allzu viel Einblick in die Realität haben, und - wie das manchmal so ist - wenn man schon im Detail nicht mitreden kann, gerne 'meta' wird. Ich habe nun mal einen ganz guten Überblick über Grundschulen einer größeren Stadt und ich habe mich auch gelegentlich als Begleitung bei Klassenunternehmen zur Verfügung gestellt. Meine Beobachtungen decken sich kaum mit denen von Andreas Döding an seinem Wohnort. Wir haben viel Kontakt mit anderen Eltern, von Upper Class bis türkischer Alleinerziehender, und ich würde keinen der Eltern das Etikett 'Helikopter' verpassen.
Ich habe das ganz bewusst von diesem Thread getrennt. Kein Grund also, hier verbal zuzuschlagen - und es wird von mir auch keine verbale Retourkutsche geben.
Zitat Es gab kürzlich einen öffentlichen Brief eines Stuttgarter Schulrektors, der sich in einer Art Befreiungsschlag über sogenannte Helikoptereltern, die am Morgen bis zum Klassenzimmer kämen und gleich mal die Lehrer sprechen wollten, beschwerten. Ich kann mir vorstellen, dass es das gibt, ich glaube aber nicht, dass das die Regel ist. Manche Vorwürfe müssten abe auch an die Schulen zurückgehen: Wir haben hier zwei Schulen mit einem Campus, Eltern, von denen ein Kind in die eine Schule geht und ein Kind in die andere. Da sind gute Vergleiche möglich. Während beispielsweise das eine Kind entspannt den Nachmittag für sich hat, das andere mit dem von den Lehrerinnen verursachten Chaos bis 20 Uhr zu kämpfen hat. Wenn dann die Eltern sich austauschen und in der Schule vorstellig werden hat das mit Helikopter nichts zu tun. Dennis würde wahrscheinlich in diesen Zuständen eine Chance für die Kinder wittern.
Gruß, Martin
Es ist recht wahrscheinlich, dass unterschiedliche Zustände an unterschiedlichen Schulen eine Chance für die Kinder sind. Nämlich dann, wenn die Eltern den Arsch in der Hose haben, die Schule zu wechseln, oder sich zu beschweren, wenn echte Probleme vorliegen. Nicht aber bei jeder teilweise selbst verursachten Kleinigkeit gegen die Lehrer keilen. Ich hatte in meiner Schulzeit auch Probleme, aber meine Eltern sind nicht sofort zum Direktor gerannt, sondern haben mir noch gesagt, ich solle mich zusammenreissen und aufpassen, selbst wenn ich mich unterfordert fühle. Soweit würde ich ja garnicht gehen wollen, aber etwas mehr Realitätssinn auch bei Eltern über den Leistungsstand ihrer Kinder schadet auch nicht.
Zitat von Doeding im Beitrag #11Sie haben schon recht, die "Rohrstockpädagogik" der 50er und 60er ließ die heute bekannten Disziplinlosigkeiten nicht zu. Ich habe dennoch Zweifel, ob man dieser Pädagogik nur deshalb nachtrauern sollte (ohne Ihnen das hiermit unterstellen zu wollen) weil die heute übliche laissez faire Haltung so gar nicht funktioniert.
Autoritäre Pädagogik zielt primär auf Verhaltensunterdrückung (und nicht auf den Aufbau "erwünschten" Verhaltens) mit der Nebenwirkung, daß das unterdrückte Verhalten ratzfatz gezeigt wird, sobald die "Drohung" entfällt. Daß diese Pädagogik dennoch "funktioniert" hat, liegt meines Erachtens weniger an der Strenge oder der Drastik der angedrohten Strafen sondern an der damit korrespondierenden Konsequenz des erzieherischen Handelns. "Gute" Pädagogik zeichnet sich dadurch aus, daß auf Verhalten A mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Konsequenz/Reaktion B erfolgt. Und nicht vielleicht mal B, mal C oder D oder mal keins von alledem. So gesehen ist gute Pädagogik fast idealtypisch in modernen Hundeschulen zu beobachten (ernsthaft). Dort ist man schon lange weg von Bestrafungslernen (Stromhalsband) usw; vielmehr vermittelt man dem Hundebesitzer konsequentes Handeln. Und diese konsequente Haltung wiederum muß nicht autoritär oder unter angstmachender Strafandrohung daherkommen. Das Erzeugen von Frustration oder Unlustgefühlen (oder aber die Hoffnung auf Belohnung) reichen völlig .
Herzliche Grüße, Andreas
Lieber Andreas Döding,
wenn es um autoritäre Erziehung im Stile der 50er oder 60er Jahre geht schätze ich mich glücklich, dass diese nicht nur vom Hörensagen kenne. Da Sie ja schon mal 'Gruppendruck' erwähnten, den gab es hier tatsächlich zum Thema Teilnahme an einem Erziehungskurs (der Druck auf mich bestand in Form meiner Frau , 'andere Eltern hatten den Kurs auch schon gemacht'). Die STEP-Methode kennen Sie sicher auch.
Auffällig war auch hier, wie Erziehungsmethoden verglichen wurden. Autoritäre Beispiele wurden immer dumm gewählt, quasi abschreckend, um dann die bessere Alternative zu formulieren. Das Schulungspersonal kennt aber die vermeintlich autoritäre Zeit überhaupt nicht aus eigener Erfahrung. Irgendwie werden in modernen Pädagogik die damaligen Erziehungsmethoden derart mit der Badewanne ausgekippt, dass nicht mal eine nuancierte Diskussion möglich ist. Ich kann nur feststellen, dass ich oder meine Geschwister nie den Eindruck hatten im Verhalten unterdrückt zu sein, ich würde mal behaupten, dass es Teil des Verhaltensspektrums ist, Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Der Rohrstock hatte zwar existiert und kam gelegentlich zum Einsatz, aber sehr sehr selten. Wenn man aber so will, dann war der Rohrstock eine sehr effektive non-verbale Kommunikation.
Als Kinder wussten wir einfach, sobald die Klingel geläutet hatte, war Ruhe (später im Gymnasium hat das auch nicht mehr ganz so streng funktioniert). Und wir hatten am Nachmittag alle Zeit und allen Unsinn für uns, wir durften uns nur nicht erwischen lassen und mussten um 19 Uhr zuhause sein - s.a. Quentin Quencher. Heute dagegen geht der Trend zur pädagogischen Betreuung bis 17 Uhr, wenn kein Unterricht, dann AGs. Ich bin noch unentschlossen, welche Zeit ich besser sehe, gefühlsmäßig aber die 50er und 60er Jahre.
Ihr Vergleich mit der Hundedressur hat etwas: Zumindest in der prinzipiellen Diskussion. Ich gebe aber vielerlei zu bedenken: Die Kinder in der Schule werden nun mal von professionell ausgebildeten Pädagogen betreut. Wir selbst nutzen zuhause durchaus die Elemente, die Sie aufzählen. Die Hundeerziehung ist eine Beziehung von einem Hund zu einem Erzieher. Die Klassenstärken sind hier aber zwischen 20 und 30 Kindern. Das ist eine andere Situation. Und haben Sie schon mal einen raffinierten oder rhetorisch gewieften Hund gesehen? Ich kenne mich in der Hundeerziehung nicht aus, aber neigen Hunde dazu, ihre Grenzen ständig auszuloten?
Ich weiß nur, dass die Lehrerinnen mal Schüler verbal 'einen Kopf kürzer machen', wenn sie nicht parieren, die andere wirft mit Strafarbeiten um sich, die andere setzt Störenfriede vor die Tür und muss sie nachher verzweifelt suchen, die andere macht auf 'laissez faire', um ihre Nerven zu schonen, die andere droht mit Absage einer Veranstaltung, macht diese aber nicht wahr, weil sie das den Eltern nicht verklickern kann. Sie sehen, ich suche noch nach den Lehren aus der Hundeerziehung. Auf der anderen Seite: Wenn 'professionelle' Erziehung nur von ganz talentierten und robusten Lehrern umgesetzt werden kann, dann sollte man pragmatischerweise die Methoden hinterfragen.
Zitat von adder im Beitrag #20Es ist recht wahrscheinlich, dass unterschiedliche Zustände an unterschiedlichen Schulen eine Chance für die Kinder sind. Nämlich dann, wenn die Eltern den Arsch in der Hose haben, die Schule zu wechseln, oder sich zu beschweren, wenn echte Probleme vorliegen. Nicht aber bei jeder teilweise selbst verursachten Kleinigkeit gegen die Lehrer keilen. Ich hatte in meiner Schulzeit auch Probleme, aber meine Eltern sind nicht sofort zum Direktor gerannt, sondern haben mir noch gesagt, ich solle mich zusammenreissen und aufpassen, selbst wenn ich mich unterfordert fühle. Soweit würde ich ja garnicht gehen wollen, aber etwas mehr Realitätssinn auch bei Eltern über den Leistungsstand ihrer Kinder schadet auch nicht.
Ja, lieber adder,
im Prinzip haben Sie recht. Ich habe ja auch einige Pädagogen in meinem Familienumfeld. Die erzählen dann gerne, dass die schlimmsten Eltern die Psychologen, Pädagogen u.ä. sind. Ein Schwager hat seinen Ersatzdienst in einem Heim für 'schwer erziehbare Jugendliche' abgeleistet. Dort waren anscheinend bevorzugt Kinder dieser Berufsgruppen. Ich traue allerdings meinem Schwager da nicht so ganz, denn solche Geschichten finden zu leicht Gefallen. Nach dem Motto "Pfarrers Kind...".
Was sich heute ganz sicher gegenüber älteren Zeiten geändert hat, das ist die Hochachtung vor Lehrern. Heute ist jeder kompetent, der Abitur gemacht hat, und das werden ja immer mehr .
Zitat von Doeding im Beitrag #1Ein, wie ich finde, großartiger -wenngleich gruseliger- Bericht von Clemens Wergin heute auf Welt Online hat mich veranlaßt, meinen kleinen Senf dazugeben zu wollen.
Zu Wergins Bericht fällt mir der gelegentliche small talk mit meiner US-amerikanischen Chefin vor 10-15 Jahren ein, die selbst zwei Kinder hatte. Sie erzählte mir damals auch davon, wie sie sich mit anderen Eltern aus Sicherheitsgründen organisierte, wenn sie ihre Kinder von der einen zur anderen Sportaktivität oder Party transportieren mussten. Sie lebte in der Boston Area. Als Deutscher konnte ich das nicht ganz nachvollziehen, auch wenn ich schon die einen oder anderen Problemviertel in New York, Miami oder anderen Kommunen gesehen hatte. Mir fehlte dieses Gefühl für Gefahr, und ich bin durchaus auch bei Nacht alleine durch Rio gegangen, trotz gelegentlichen Schießereien und auch mal einer Leiche auf der Straße. Es war auch ungewohnt, wenn mich ein dort lebender deutscher Freund immer gebeten hatte, im Auto die Seitenscheiben trotz Hitze oben zu lassen (er selbst war damals innerhalb von zwei Monaten in Natal und in Rio zweimal mit vorgehaltener Pistole ausgeraubt worden).
Mein Vorurteil: Wir Deutschen sind für die Einschätzung von Gefahren in solchen Ländern keine gute Referenz. Man kann auch schlecht Wahrscheinlichkeiten und Statistiken ansetzen, weil es eventuell nur die erwischt, die nicht aufpassen. Es besteht also ein unmittelbarer Zusammenhang. Wer heutzutage beispielsweise als Westler durch manche Gebiete in Nordafrika reist, der hat ein Preisschild von ein oder mehreren Millionen um den Hals. Er ist Target.
Außerdem kann man mit solchen Geschichten natürlich auch das deutsche Publikum unterhalten.
Mir gefällt vieles an der Diskussion hier nicht. Zu rational, zu abwägend. Als ob Eltern bloß weil sie mehrere Kinder haben, den Verlust eines besser verkraften könnten, und deswegen nicht so ängstlich sind. Wenn ich das höre, dann dreht sich mir der Magen um. Unsere älteste Tochter hat einen Herzfehler, sie musste operiert werden. Zu dieser Zeit als sie operiert werden musste, stand nur sie im Mittelpunkt, alle anderen mussten zurücktreten, niemals, aber wirklich niemals, wäre der Gedanke aufgekommen: »Zu Not haben wir ja noch mehr Kinder, wenns schief gehen sollte«.
Nur ein weiteres Kind hatte in dieser Zeit eine Sonderbehandlung erfahren, ein ungeborenes. Meine Frau war im 7. oder 8. Monat schwanger als die Älteste auf der Intensivstation lag, und versuchte nicht zu viele Negativnachrichten an sich heran zu lassen, weil, wie sie später sagte, das Ungeborene den schlechten Gemütszustand der Mutter spüren würde, und sie dem noch nicht geborenen keine schwere Hypothek mitgeben wollte.
Gerade wegen dieser emotionalen Schiene, die meines Erachtens bei der Kindererziehung eine viel größere Rolle spielt, als sämtliche pädagogischen Konzepte, möchte ich noch auf einen Text aus meiner Feder hinweisen: Kuscheln oder Kita
Was sich heute ganz sicher gegenüber älteren Zeiten geändert hat, das ist die Hochachtung vor Lehrern. Heute ist jeder kompetent, der Abitur gemacht hat, und das werden ja immer mehr .
Gruß, Martin
Ja, das stimmt. Ist bei mir auch so. Hab auch Abitur. Und ich habe auf dem Weg dorthin eine Menge faule und/oder unfähige Lehrer erlebt. Und im Gegensatz zu meinen Eltern, die, im Krieg aufgewachsen, eher niedrige Bildungsabschlüsse hatten, weiß ich worum und wie es geht in der höheren Schule. Und deshalb lasse mir von der Lehrerschaft nicht alles widerspruchlos erzählen.
Mich hat diese Klage von dem Stuttgarter Schulleiter sehr geärgert. Die Schulen greifen immer mehr auf die Eltern zu. In der Grundschule der Lesenachmittag, Mithilfe beim Basar, im Förderverein, Kampfrichter bei den Bundesjugendspielen und ob man doch nicht noch eine AG leiten könnte. Die Krönung gibt es dann bei uns im Gymnasium, da wäre es doch nett, wenn man sich den Kocheltern anschliessen würde. Damit die Kinder der staatlich verordneten Ganztagsschule was zu essen kriegen sollen die Eltern helfen.
Und dann erdreistet sich dieser Mensch und schimpft auf die Eltern, die sich zuviel einmischen. Natürlich übertreiben es manche, ich habe auch den Kopf geschüttelt über den Vater der seinen Filius noch in der 4.Klasse bis aufs Schulgelände begleitet hat. Aber wie gesagt, es wird auch mehr von den Eltern verlangt. Klar, den Lehrern wäre es das liebste, wenn die Eltern bereitstehen wenn sie gebraucht werden, und ansonsten das Maul halten. So geht's aber nicht. Überall wird der mündige Verbraucher gefordert und gefördert, und beim wichtigsten, der Erziehung meiner Kinder soll ich mich raushalten?
In jedem Beruf muß heute wesentlich mehr als früher aufgeschrieben und dokumentiert werden. Frag mal nach beim Mindestlohn oder in der Gesundheitsbranche. Bei der Schule heißt es, warte bis zum Elternabend oder Zeugnis, wir machen das schon. Und wenn ihr es nicht richtig macht?
Und noch etwas: Die Schulen mischen sich immer mehr in Dinge ein die sie eigentlich nichts angehen, siehe beispielsweise die Diskussion über die Sexualaufklärung. Aber auch vieles mehr. Was glaubt eigentlich eine Lehrerin, was sie berechtigt mir ungefragt Ernährungstips für mein Kind zu geben? Die auf meinen untergewichtigen Bewegungsfreak eh nicht passen.
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