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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 55 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.07.2016 12:26
Agonie des Rechtsstaates Antworten

Die gestern bundesweit erfolgten Hausdurchsuchungen wegen sog. Haßpostings, ihre kritiklose mediale Verbreitung und die offensichtliche erzieherische Zielsetzung halte ich für einen Skandal. Eigentlich hätte der Text sehr viel länger werden können, unter Verweis auf Seiten wie Indymedia, muslimischen Antisemitismus und die Vorgänge in der Rigaer Straße in Berlin. Aber das hätte den eigentlichen Punkt vermischt und maskiert: Schwäche oder Einseitigkeit des Rechtsstaates ist eine Sache; sein offener Mißbrauch zum Zweck der Repression dagegen eine völlig andere.

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

G. Leuner Offline



Beiträge: 9

14.07.2016 13:13
#2 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Meinen Glückwunsch, immerhin sind Sie der Erste, dem dieses zutiefst repressive Verhalten überhaupt auffällt. Aber wir können sicher sein: Das ist nur ein konsequenter Folgeschritt. Der Anfang wurde mit den völlig intransparenten Zensurmaßnahmen bei Facebook gemacht, weitere Schritte werden folgen. Es ist nicht so einfach, eine Demokratie sturmreif zu schießen, aber wir sind auf dem besten Weg dahin.

Martin Offline



Beiträge: 4.129

14.07.2016 13:55
#3 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Lieber Andreas Doeding,

ich stimme Ihnen da voll zu. Und es wundert mich, dass für eine solche Aktion Polizeikräfte eingesetzt werden, als gäbe es beispielsweise in Anbetracht noch vieler im Land unregistriert verweilenden Eindringlinge keine höheren Prioritäten für die Polizei. Es ist nicht nur ein ungerechtfertigter Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, sondern auch ein Missbrauch staatlicher Organe. Ich nehme an, dass die Betroffenen Klagemöglichkeit haben und diese wahrnehmen. Für einen Rechtsanwalt sicher eine Chance sich zu profilieren.

Gruß, Martin

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

14.07.2016 13:56
#4 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von G. Leuner im Beitrag #2
Meinen Glückwunsch, immerhin sind Sie der Erste, dem dieses zutiefst repressive Verhalten überhaupt auffällt.


Michael Klonovsky ist das auch schon aufgefallen - und er sieht im Zusammenfallen mit dem Berliner gewährenlassen zwei Seiten des gleichen Frontalangriffs auf den Rechtstaat..

http://www.michael-klonovsky.de/acta-diurna

Zitat von Eingedunkelter 13. Juli 2016
Die Gesinnungsdiktatur naht nicht mehr nur auf Taubenfüßen, sondern trampelt längst auf Harpyenkrallen durchs Land. . Die Einschränkung der Meinungsfreiheit über das juristisch Fassbare hinaus (Beleidigung, Verleumdung etc.), natürlich im Namen von Menschlichkeit, Menschenrechten, Menschenwürde und Menschenkette, ist das erste Mentekel, die Ungleichbehandlung der politischen Extreme ein weiteres, dass der Staat Gesinnungsdelikte der einen Seite härter verfolgt als politisch motivierte Gewalt der anderen, bildet die Synthese aus beidem.

Die juvenilen Brandsatz-Fatzkes, die sich selbst Antifaschisten nennen, haben bei der Gewaltorgie um das besetzte Haus in der Rigaer Straße, in welches der Eigentümer Flüchtlinge einquartieren will, über 100 Polizeibeamte zum Teil schwer verletzt. Justizminister Maas postete bei Twitter, das sei "inakzeptabel" und ein "Missbrauch des Demonstrationsrechts". (...) Gab es harsche Empörungsbekundungen, Drohungen mit unnachgiebiger Strafverfolgung, Razzien bei Betreibern linker Hetzseiten? Ach was.



Und das dürfte das eigentlich Beunruhigende sein: daß das unter Beifall sämtlicher Medien über die Bühne geht, daß hier Rechtsgrundsätze durch eine als Moral daherkommende Gesinnung ersetzt wird.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Martin Offline



Beiträge: 4.129

14.07.2016 14:44
#5 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #4


Und das dürfte das eigentlich Beunruhigende sein: daß das unter Beifall sämtlicher Medien über die Bühne geht, daß hier Rechtsgrundsätze durch eine als Moral daherkommende Gesinnung ersetzt wird.




NRW liefert dann auch gleich die Gebrauchsanleitung dazu: http://lfmpublikationen.lfm-nrw.de/modul...?products_id=44

Die Regierung hat es nicht geschafft unsere Grenze zu kontrollieren, muss damit rechnen, dass ihre Mitglieder irgendwann zur Verantwortung gezogen werden, also bauen sie eine Mauer gegen das Volk, dem Pack. Die 'vierte' Gewalt hat sich in Luft aufgelöst. Ich hätte mal nicht gedacht, dass das in Deutschland möglich ist, selbst Verschwörungstheoriker wurden auf dem linken Fuß erwischt. Na ja, vor zehn Jahren hätte auch noch niemand geglaubt, dass es mal negative Zinsen geben könnte. Der vorerst einzige Strohhalm ist die AfD, ein besserer fällt mir nicht ein.

Gruß, Martin

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

14.07.2016 15:59
#6 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Welt.online:

Zitat
Die Verdächtigen sollen im Internet Menschen beleidigt, bedroht und genötigt haben, zu Straftaten aufgerufen und volksverhetzende Parolen verbreitet haben.



D.h. da werden Wohnungsdurchsuchungen angeordnet, obwohl nur das übers Netz verbreitete Material strafrechtlich relevant sein kann. Es handelt sich auch nur um konkrete Vorbereitungen von Straftaten und deren Verhinderung oder dem Zuvorkommen der Vernichtung von Beweismitteln - die übliche Grundlage für die gerichtliche Anordnung von Hausdurchsuchungen. Und da wird offen zur Denunziation aufgerufen - Grundlage: nur ein unbelegt behauptetes "wer lügt der stiehlt und steckt auch Häuser an":

Zitat
Von der sprachlichen Gewalt zur realen Gewalt ist es oft tatsächlich nicht weit. BKA-Chef Holger Münch mahnt: "Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind häufig das Ergebnis einer Radikalisierung, die auch in sozialen Netzwerken beginnt."

Das BKA ruft Bürger auf, Anzeige bei der Polizei zu erstatten, wenn sie im Internet auf Hass-Postings stoßen. In einigen Bundesländern gibt es Online-Portale, über die das auch anonym möglich ist.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.07.2016 16:33
#7 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Martin im Beitrag #3
Ich nehme an, dass die Betroffenen Klagemöglichkeit haben und diese wahrnehmen. Für einen Rechtsanwalt sicher eine Chance sich zu profilieren.

Ja, lieber Martin, das hoffe ich auch. Bislang handelt es sich ja ausschließlich um ein, wie ich finde, schweres Fehlverhalten seitens der Exekutive. Auch meine Hoffnungen ruhen auf der Rechtssprechung. Wobei das psychologisch-repressive Moment davon ja unberührt und durch die gestrige Aktion sozusagen bereits "durch" ist. Abgesehen davon hat auch mein Glaube an eine funktionierende Gewaltenteilung/verschränkung inzwischen seine Blessuren bekommen.

P.S. Ihr link funktioniert leider (zumindest bei mir) nicht.

Herzliche Grüße,
Andreas

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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.07.2016 16:43
#8 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Ulrich Elkmann im Beitrag #6
Welt.online:

Zitat
Die Verdächtigen sollen im Internet Menschen beleidigt, bedroht und genötigt haben, zu Straftaten aufgerufen und volksverhetzende Parolen verbreitet haben.


D.h. da werden Wohnungsdurchsuchungen angeordnet, obwohl nur das übers Netz verbreitete Material strafrechtlich relevant sein kann. Es handelt sich auch nur um konkrete Vorbereitungen von Straftaten und deren Verhinderung oder dem Zuvorkommen der Vernichtung von Beweismitteln - die übliche Grundlage für die gerichtliche Anordnung von Hausdurchsuchungen. Und da wird offen zur Denunziation aufgerufen - Grundlage: nur ein unbelegt behauptetes "wer lügt der stiehlt und steckt auch Häuser an":



Meintest Du nur oder nicht, lieber Ulrich? Letzteres machte mehr Sinn.

Man sollte auch noch erwähnen, daß es sich bei sämtlichen Postings um Äußerungen in einer Facebookgruppe gehandelt hat, die auf "geschlossen" und "geheim" eingestellt war. D. h. die Inhalte waren zu keinem Zeitpunkt öffentlich einsehbar, was den Vorwurf der 1. Beleidigung der 2. Nötigung und der 3. Volksverhetzung etwas, sagen wir, schwierig erscheinen läßt. Gleichwohl ist schon auch richtig, daß Äußerungen, die öffentlich einen Straftatbestand darstellen, es grundsätzlich auch in geschlossenen FB-Gruppen sind. FB ist öffentlich, immer. Ich habe auch kein Problem damit, daß hier Strafverfolgung betrieben wird. Aber die Durchsuchungen sind halt eine völlig andere Baustelle. Und das, wie Du richtig schreibst, völlige Ausbleiben einer angemessenen kritischen Reaktion seitens der Medien erschreckt mich ebenfalls ganz besonders.

Herzliche Grüße,
Andreas

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Doeding Offline




Beiträge: 2.612

14.07.2016 16:53
#9 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von G. Leuner im Beitrag #2
Der Anfang wurde mit den völlig intransparenten Zensurmaßnahmen bei Facebook gemacht, weitere Schritte werden folgen.

Zustimmung, lieber G. Leuner. Was dabei aufstoßen muß, ist daß der Staat wesentlich dahinter steckt und im Rahmen der Maas´schen "Task Force" auch buchstäblich seine Finger direkt drin hat. Wenn es vom Staat ausgeht, ist es für mich Zensur; sonst nicht. Facebook als Privatunternehmen könnte aus meiner Sicht machen was es will. Beiträge löschen, sich politisch korrekt verhalten oder sonstwas. Facebook steht nicht morgens um 5 bewaffnet vor der Haustür. Wenn aber der Staat direkt mitmischt, ist Schluß mit lustig.

Herzliche Grüße,
Andreas

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Martin Offline



Beiträge: 4.129

14.07.2016 17:27
#10 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #7

P.S. Ihr link funktioniert leider (zumindest bei mir) nicht.

Herzliche Grüße,
Andreas


Noch ein Versuch: http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upl...richt-final.pdf

Am Ende des Dokuments kann man die Broschüre herunterladen.

Gruß, Martin

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

14.07.2016 17:51
#11 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat
Die Regierung hat es nicht geschafft unsere Grenze zu kontrollieren, muss damit rechnen, dass ihre Mitglieder irgendwann zur Verantwortung gezogen werden, also bauen sie eine Mauer gegen das Volk, dem Pack.


Darf ich mal vorsichtig nachfragen, welche Rechtsgrundlage Sie für dieses "zur Verantwortung ziehen" im Sinn haben? Die müsste die Regierung ja auch kennen, oder kommt die erst noch?

Gruß Petz

Free speech is so last century. (Brendan O'Neill)

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

14.07.2016 19:04
#12 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

@#8 "nicht" selbstverfreilich. *Autschpeinlich*

Aus dem Welt.de-Link:

Zitat
Die Staatsanwaltschaft im bayerischen Kempten ermittelt gegen 36 Mitglieder der Facebook-Gruppe. "Einige sind sehr mühsam zu identifizieren", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Bernhard Menzel. Die Beschuldigten seien zwischen 20 und 51 Jahre alt. Ob sie rechtsextremen Gruppen angehören, müssten die Ermittlungen zeigen.



Für mich liest sich das so, als wäre da einigen bewußt, daß sie vielleicht auf krankes Eis gebaut & gehofft haben, da werde sich schon noch was finden, was die Aktion im Nachhinein rechtfertigt. Danisch hat vor ein paar Tagen ja mal beleuchtet, was bei denen so unter "Hate Speech" abgelegt werden soll.

Zitat von danisch.de 06.07.2016
Sie wollen „zur Diskussion anregen”, gleichzeitig fördern sie eine Broschüre, laut der es schon als „rassistische Hetze” gilt, wenn man nur mal nach Meinungsfreiheit und dem Verbleib von Kommentaren fragt.

Was soll das für eine Diskussion sein, zu der man da einlädt, und bei der man gleichzeitig damit droht, jeden strafrechtlich zu verfolgen, der nach einem Grundrecht fragt oder auch nur ansatzweise Kritik an der Linie der Bundesregierung äußert?



Und heute: http://www.danisch.de/blog/2016/07/14/hu...ent/#more-14114, wo er aus der Ennerweh-Broschüre zitiert:

Zitat
"Zu den wiederkehrenden Motiven rassistischer Hate Speech gehört auch, Debatten über sexualisierte Gewalt gegen Frauen zu instrumentalisieren. In der Forderung „unsere Frauen“ vor „denen“ zu schützen, zeigt sich exemplarisch die für Hate Speech typische Wir/Die-Rhetorik."

Wir notieren: Frauen nicht mehr schützen. Nun, das ist noch relativ neu.



Ich fürchte, wenn die sich in der Ausrichtung aufstellen können, kommt am Ende in etwa das heraus, was im StGB-Ost unter dem berüchtigten § 106, "Staatsfeindliche Hetze" gefaßt war. Ersetze "staat-" durch "gruppenbezogen", aber so unspezifisch & zugleich maximal abschreckend, daß es überall nach Belieben drauf paßt & keiner mehr nachzufragen traut.



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Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

14.07.2016 19:24
#13 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #8
FB ist öffentlich, immer. Ich habe auch kein Problem damit, daß hier Strafverfolgung betrieben wird.


Ich auch nicht. Aber da befinde ich mich im #neuland; habe auch keinerlei Ahnung, wie das ausgehandelt ist. FB ist letztlich ja eine US-Firma; die sich zwar im deutschen Bereich den dt. Bestimmungen unterwerfen muß - aber wie sieht das in Zweifesfällen aus? Wenn ich mich zB über einen amerikanischen Account anmelde & mich dann innerhalb der Grenzen des dort zulässigen Spektrums bewege? (Man hörtliestsieht ja immer die PC-Gruselberichte über die Knebelung, aber es fällt auf, daß die sich immer auf physisch vernetzte Sozialkleinkollektive beziehen: die Schöler, die sich in der Klasse mobben, der Prof vor seinen Studier_Enten; Postings, die Studenten loslassen, während sie der Alma mater angehören.) Ich nehme mal an, die rezenten Unmutsbekundungen von FB-Usern über nachzureichende "Haben Sie gelebt & wenn, warum?"-Bescheide hängen damit zusammen.



Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande. - Voltaire

Martin Offline



Beiträge: 4.129

14.07.2016 20:01
#14 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Meister Petz im Beitrag #11

Zitat
Die Regierung hat es nicht geschafft unsere Grenze zu kontrollieren, muss damit rechnen, dass ihre Mitglieder irgendwann zur Verantwortung gezogen werden, also bauen sie eine Mauer gegen das Volk, dem Pack.

Darf ich mal vorsichtig nachfragen, welche Rechtsgrundlage Sie für dieses "zur Verantwortung ziehen" im Sinn haben? Die müsste die Regierung ja auch kennen, oder kommt die erst noch?

Gruß Petz



Nun, lieber Petz,

zuerst kann ich mir bei veränderten Mehrheitsverhältnissen einen Untersuchungsausschuss vorstellen, der sich erst mal mit den Hintergründen der Tatenlosigkeit von Regierung und Parlament beschäftigt. Es gibt m.E. noch eine Menge Fragen zu den gesamten Abläufen von 2015, an deren Aufklärung ich durchaus interessiert wäre. Dies könnte zu einer Klarstellung der Verantwortlichkeiten, aber auch der Klärung der Frage führen, wie es zu einer so breit gefächerten Vernachlässigung der fundamentalsten Pflichten einer Regierung und eines Parlaments kommen konnte.

Sollten die Folgen dieser Politik zu einer Destabilisierung des Landes führen kann ich mir sogar vorstellen, dass die Protagonisten dieser Misere außerhalb der jetzigen Ordnung zur Verantwortung gezogen werden. Das ist zwar außerhalb der Vorstellungskraft der meisten Leute, die Dinge ändern sich aber manchmal schneller als gedacht.

Gruß, Martin

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

14.07.2016 22:56
#15 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #1
sein offener Mißbrauch zum Zweck der Repression dagegen eine völlig andere
So banal es vielleicht ist das festzustellen, weißt du was mich mitunter am meisten gruselt:

Als ich vor etwas mehr als 30 Jahren, damals als Jugendlicher, zum ersten Mal den Film "1984" von George Orwell sah, verstand ich ihn als Mahnmal gegen den Nationalsozialismus (was sicherlich auch durch die Schule intendiert war) und er wurde dominiert von zwei Eindrücken: Der Brutalität und Skrupellosigkeit, totalitärer Systeme und die vermeintliche Offensichtlichkeit, mit der Totalitarismus auftritt, wobei beides wohl nur sein Endstadium charakterisiert.

Heute verstehe ich dieses Werk Orwells anders. Nicht mehr als Mahnmal gegen den Nationalsozilismus, sondern als Überzeichnung der Werkzeuge mit denen der Totalitarismus nach dem Fühlen, Denken und schließlich auch nach dem Urteil der Menschen greift und damit als Mahnmal gegen Totalitarismus als Feind individueller Freiheit und körperlicher und geistiger Unversehrtheit.

Ganz gleich, ob das die Feindbilder sind (bei Orwell die Kontinente die abwechselnd gegeneinander Krieg führen), um die Kohärenz in der Gesellschaft herzustellen, ob das die Sprache ist (bei Orwell das Newspeak), um Denken und Fühlen zu lenken, ob das der Staat als Erzieher mit Wahrheitsmonopol ist (wen schaudert nicht, bei der Finger abzähl Szene), um die Alternativlosigkeit in der Realität zu manifestieren: Die exakt gleichen Mittel erkennen ich, subtiler aber deutlich, in unserer Gesellschaft. Und die Gegenwehr der Gesellschaft bleibt aus. Das Dilemma ist wohl, dass in den Köpfen der Menschen, wie bei mir als Jugendlicher, Totalitarismus notwendiger Weise mit offener Brutalität assoziiert ist und die breite Mehrheit verkennt, dass diese offene Brutalität nur das Endstadium, einer subtilen Entwicklung sein kann.

Diese Erkenntnis gruselt.

Herzllich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 14.542

14.07.2016 23:51
#16 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Nochmals Danisch. Im Welt-Link, #6, ist ja von gerichtlichen Konsequenzen explizit die Rede:

Zitat
Im vergangenen Oktober verurteilte das Amtsgericht Kitzingen in Bayern einen jungen Mann zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten – ohne Bewährung. Er hatte über Monate bei Facebook gegen Flüchtlinge, Ausländer und Juden gehetzt und zu Gewalt und Mord aufgerufen. Der Unterfranke hatte etliche Vorstrafen, deshalb brachte ihn die Facebook-Hetze ins Gefängnis. Aber auch bis dahin Unbescholtene müssen mit mehrmonatigen Bewährungsstrafen oder Geldstrafen rechnen.



Und jetzt kommt so etwas: http://www.danisch.de/blog/2016/07/14/da...eil/#more-14122

Zitat von danisch.de, 14.07.
Ich hatte doch erst neulich von einem Strafrechtsurteil berichtet, bei dem jemand angeblich wegen Hate Speech durch durch Anführungszeichen zu 4 Monaten auf Bewährung verurteilt worden sei, das es laut des angegebenen Amtsgerichts aber nie gab. (Link zum Eintrag vom 8.7.) Ich habe inzwischen auch noch bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt, die wissen auch nichts davon.
...
Viele Leser hatten mich dazu auf ein anderes, u.a. in der Süddeutschen besprochenes Urteil hingewiesen, in dem ebenfalls jemand wegen Hate Speech verurteilt worden sein soll. Das liest sich dort plausibler, der scheint sich da wirklich verbal geäußert zu haben statt nur Anführungszeichen zu setzen.
...
Ich habe halt einfach schriftlich beim Amtsgericht und dem Bayerischen Justizministerium Widerspruch eingelegt und Dienst- und Sachaufsichtsbeschwerde erhoben, unter anderem weil das Bundesverfassungsgericht (13.5.2015, 1 BvR 857/15) ein Auskunftsrecht der Presse und eine Publikationspflicht der Gerichte auch bei Strafrechtsurteilen festgestellt hat.

Noch nichts gehört, ist erst zwei Tage her.

Ein anderer Autor, der das Urteil auch haben wollte, und dem sie das auch gleich abgelehnt hatten, berichtete mir aber gerade, dass es auch eine Anfrage einer Zeitung gab. Also solcher Leute mit Presseausweis. Und die hätten gar keine Antwort bekommen.

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass auch an diesem Urteil irgendwas faul ist.



Was ist hier eigentlich los? Werden hier vielleicht Leute mit fiktiven Urteilen eingeschüchtert, die nie ergangen sind?



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Werwohlf Offline




Beiträge: 997

15.07.2016 01:08
#17 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #1
Schwäche oder Einseitigkeit des Rechtsstaates ist eine Sache; sein offener Mißbrauch zum Zweck der Repression dagegen eine völlig andere
Lieber Andreas, müssen wir da nicht vielleicht etwas unterscheiden? Das eine ist die Aktion von Staatsanwaltschaft bzw. Polizei gegen vermutete Straftaten. Hier könnte m.E. (bin kein Jurist, selbige mögen mich korrigieren) eine Hausdurchsuchung gerechtfertigt sein, wenn zu vermuten ist, dass zur begangenen Straftat noch weitere kommen, z.B. die Gründung einer kriminellen Vereinigung, oder wenn angenommen werden kann, dass andere Straftaten vorbereitet werden. Für den Fall dieser Facebook-Gruppe würde ich z.B. beides nicht ausschließen.

Das andere ist, was die Politik daraus macht. Da ist die Kritik natürlich völlig berechtigt. Der Rechtsstaat selbst wäre dann allerdings nicht betroffen, sondern nur die Politik, die den Eindruck erweckt, als könne sie sich über ihn hinwegsetzen.

--
Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

15.07.2016 07:21
#18 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #17
Zitat von Doeding im Beitrag #1
Schwäche oder Einseitigkeit des Rechtsstaates ist eine Sache; sein offener Mißbrauch zum Zweck der Repression dagegen eine völlig andere
Lieber Andreas, müssen wir da nicht vielleicht etwas unterscheiden? Das eine ist die Aktion von Staatsanwaltschaft bzw. Polizei gegen vermutete Straftaten. Hier könnte m.E. (bin kein Jurist, selbige mögen mich korrigieren) eine Hausdurchsuchung gerechtfertigt sein, wenn zu vermuten ist, dass zur begangenen Straftat noch weitere kommen, z.B. die Gründung einer kriminellen Vereinigung, oder wenn angenommen werden kann, dass andere Straftaten vorbereitet werden. Für den Fall dieser Facebook-Gruppe würde ich z.B. beides nicht ausschließen.

Das andere ist, was die Politik daraus macht. Da ist die Kritik natürlich völlig berechtigt. Der Rechtsstaat selbst wäre dann allerdings nicht betroffen, sondern nur die Politik, die den Eindruck erweckt, als könne sie sich über ihn hinwegsetzen.



Das ist natürlich ein grundsätzlich berechtigter Einwand, und es ist auch für diesen Fall nicht völlig auszuschließen, daß diese Durchsuchungen der Aufklärung weiterer Straftaten (für die es dann aber laut BverfG konkrete Anhalte geben müßte) oder dem Nachgehen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung dienen sollten. Ich halte das aber aus mehreren Gründen für sehr unwahrscheinlich, und hierfür ist die (lesenswerte!) Pressemitteilung des BKA zentral.

Wäre man auf solch bedeutsame Aspekte dieser Aktion dort nicht eingegangen? Politisch wäre schon ein solcher Verdacht hoch wünschenswert für die Kommunikation gewesen. Wenn aber ermittlungstaktische Geheimhaltungsgründe dagegen gesprochen hätten, warum dann der ganze sonstige öffentlichkeitswirksame Zinnober?

Dann die Formulierung, daß es sich um den "ersten bundesweiten Einsatztag" dieser Art gehandelt habe. Klinkt doch etwas zu sehr sehr nach "Blitzermarathon", oder? Und schließlich auf der zweiten Seite dann, lieber Werwohlf, die Sache mit der "Sensibilisierung der Bevölkerung" zum Zweck der Denunziazion.

Ich bin übrigens nicht mal sicher, (hier müßte man mich entsprechend korrigieren), ob es in diesem Fall überhaupt eine "auftraggebende" Staatsanwaltschaft gegeben hat. Wäre eine solche öffentliche Stellungnahme nicht eher deren Sache gewesen? Möglicherweise hat das BKA als Bundesbehörde hier ja (bei gleichzeitig großer Nähe zur Regierungspolitik) besondere Kompetenzen, so etwas auf eigene Faust durchzuziehen?

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

15.07.2016 07:30
#19 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Sehr geehrter Herr Döding!
Betr. "Der Rechtstaat schafft sich ab."

Ich finde Ihre Argumentation völlig daneben; im Gegensatz zu vielen anderen hier. Außerdem wird für mich der Rechtsstaat hier zu oft und zu leichthändig abgeschafft. Fürt mich erzeugt das eine gewise Lächerlichkeit (als Ausdruck einer mangelnden Ernsthaftigkeit).

Mit freundlichen Grüßen
Peter C. Zeller

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

15.07.2016 07:41
#20 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #19
Sehr geehrter Herr Döding!
Betr. "Der Rechtstaat schafft sich ab."

Ich finde Ihre Argumentation völlig daneben; im Gegensatz zu vielen anderen hier. Außerdem wird für mich der Rechtsstaat hier zu oft und zu leichthändig abgeschafft. Fürt mich erzeugt das eine gewise Lächerlichkeit (als Ausdruck einer mangelnden Ernsthaftigkeit).

Mit freundlichen Grüßen
Peter C. Zeller


Und haben Sie auch ein inhaltliches Argument oder wollen Sie hier nur rumpoltern? In letzterem Falle wären Sie in diesem Forum schlicht falsch. Sie lesen hier doch nun schon eine Weile mit, und da müßten Sie eigentlich inzwischen gemerkt haben, daß hier erstens zur Sache und zweitens in konziliantem Ton diskutiert wird.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

Nola Offline



Beiträge: 1.719

15.07.2016 07:55
#21 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #19
Sehr geehrter Herr Döding!
Betr. "Der Rechtstaat schafft sich ab."

Ich finde Ihre Argumentation völlig daneben; im Gegensatz zu vielen anderen hier. Außerdem wird für mich der Rechtsstaat hier zu oft und zu leichthändig abgeschafft. Fürt mich erzeugt das eine gewise Lächerlichkeit (als Ausdruck einer mangelnden Ernsthaftigkeit).

Mit freundlichen Grüßen
Peter C. Zeller



Sehr geehrter Herr Zeller,

können Sie obigen Text näher erläutern

Ich meine, so mit einer Argumentation, die nicht "völlig daneben" ist.

♥lich Nola

---------------------------

Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Doeding Offline




Beiträge: 2.612

15.07.2016 08:33
#22 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #15
Zitat von Doeding im Beitrag #1
sein offener Mißbrauch zum Zweck der Repression dagegen eine völlig andere
So banal es vielleicht ist das festzustellen, weißt du was mich mitunter am meisten gruselt:

Als ich vor etwas mehr als 30 Jahren, damals als Jugendlicher, zum ersten Mal den Film "1984" von George Orwell sah, verstand ich ihn als Mahnmal gegen den Nationalsozialismus (was sicherlich auch durch die Schule intendiert war) und er wurde dominiert von zwei Eindrücken: Der Brutalität und Skrupellosigkeit, totalitärer Systeme und die vermeintliche Offensichtlichkeit, mit der Totalitarismus auftritt, wobei beides wohl nur sein Endstadium charakterisiert.


Da bin ich wirklich froh, daß ich dieses großartige Buch ganz ohne schulisch vorgegebenen Interpretationskontext, übrigens tatsächlich im Jahr 1984 im Alter von 14 Jahren, gelesen habe. Denn natürlich handelt es sich überhaupt nicht um ein "Mahnmal gegen den Nationalsozialismus" allein, sondern richtet sich, wie Du richtig schreibst, gegen Totalitarismus insgesamt. Orwell schafft es sozusagen, die Essenz von Totalitarismus zu extrahieren; bereinigt um jegliche konkrete Ideologie. Das ist die große Stärke des Buches. Für mich äußerst eindrücklich, wie das Zusammenspiel aus Denken, Fühlen und Handeln unter Kontrolle gebracht wird durch die Kontrolle des gemeinsamen "Einfallstores", nämlich der Sprache. Und hier schließt sich der Kreis zu den aktuellen Stilblüten der hatespeech-Geschichte.

Umgekehrt ist der Tonfall im Netz z. T. wirklich entsetzlich, und was man zuweilen hört, nämlich daß die Sprache vor der Tat kommt, stimmt so ja durchaus auch (auch das kann man ja bei Orwell lernen). Ich glaube nur nicht daß staatliche Repression hier 1. hilft und 2. auf diesen Aspekt begrenzt bleiben wird. Staatlich-erzieherischem Handeln wohnt generell eine Tendenz zur Inflationierung inne, zum Exzeß mangels wirksamer Begrenzung. Ganz abgesehen vom Legitimationsproblem als staatliche Aufgabe. Strafverfolgung strafrechtlicher Tatbestände. Damit endet der Auftrag für staatliches Handeln.

Herzliche Grüße,
Andreas

"Man kann einen gesellschaftlichen Diskurs darüber haben, was Meinungsfreiheit darf. Oder man hat Meinungsfreiheit." (Christian Zulliger)

crastro Offline



Beiträge: 212

15.07.2016 08:39
#23 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Lieber Andres Doeding,
meinen herzlichen Dank für den Beitrag!Meine Gedanken zum Vorgang sind nämlich ganz und gar ähnlich den Ihrigen.........nur hätte ichs sprachlich einfach nicht so gut ausdrücken können - nochmals : Danke!

flobotron Offline



Beiträge: 331

15.07.2016 10:29
#24 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat
Bundesjustizminister Maas: "Das entschlossene Vorgehen der Behörden sollte jedem zu denken geben, bevor er bei Facebook in die Tasten haut."



Irgendwie erinnert mich das erschreckend genau an "Bestrafe einen, erziehe hunderte" von Mao.

Und das als Bundestjustizminister...

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 2.007

15.07.2016 10:38
#25 RE: Agonie des Rechtsstaates Antworten

Zitat von Doeding im Beitrag #18
Ich halte das aber aus mehreren Gründen für sehr unwahrscheinlich, und hierfür ist die (lesenswerte!) Pressemitteilung des BKA zentral.
Nach Artikel 13 GG ist die Wohnung unverletzlich. Ich habe das mal vor anderm Hintergrund hier thematisiert. Aufhebungen dieser Unverletzlichkeit sind ein starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bzw. eine schwere Verletzung eines Grundrechtes und erfordern meines Wissens immer einen richterlichen Beschluß mit einer stichhaltigen Begründung bzw. mindestens eine staatsanwaltschaftliche Anordnung, wenn Gefahr in Verzug ist.

Es wäre daher interessant zu wissen, worin genau die "Führung der Staatsanwaltschaft Kempten" bestand, ob es Durchsuchungsbefehle gab (die es nach meiner juristischen Laienmeinung hätte geben müssen) und wie sie begründet waren, bzw. wenn sie durch die Staatsanwaltschaft ausgestellt wurden, wie diese die Gefahr im Verzug begründet hat. Sollte es keine Durchsunchungsbeschlüsse gegeben haben, halte ich persönlich das Agieren de BKA aus rechststaatlicher Sicht durchaus für bedenklich. bzw. würde es als Erosion rechtsstaatlicher Verfahrensweisen ansehen. Aber dazu wäre es interessant die Meinung eines Juristen zu hören, von denen wir hier doch einige haben.

Die andere Komponente dieser Aktion ist ganz klar die politische und die wird in dem BKA Dokument so offen zur Schau gestellt, dass man sie glatt als Selbstverständnis überliest: Die Aktion soll eben nicht der Sensibilisierung der Bevölkerung gegen eine bestimmte Art von Straftaten dienen, sondern gegen eine bestimmte Art von Straftaten, die aufgrund einer besonderen Gesinnung (rechtsgerichtet) ausgeführt wurden.

Und genau dieser Punkt ist es lieber Andreas, den ich weiter oben ebenfalls thematisieren wollte.
Zitat von Doeding im Beitrag #22
Zitat von nachdenken_schmerzt_nicht im Beitrag #15
Als ich vor etwas mehr als 30 Jahren, damals als Jugendlicher, zum ersten Mal den Film "1984" von George Orwell sah, verstand ich ihn als Mahnmal gegen den Nationalsozialismus (was sicherlich auch durch die Schule intendiert war) und er wurde dominiert von zwei Eindrücken: Der Brutalität und Skrupellosigkeit, totalitärer Systeme und die vermeintliche Offensichtlichkeit, mit der Totalitarismus auftritt, wobei beides wohl nur sein Endstadium charakterisiert.


Da bin ich wirklich froh, daß ich dieses großartige Buch ganz ohne schulisch vorgegebenen Interpretationskontext, übrigens tatsächlich im Jahr 1984 im Alter von 14 Jahren, gelesen habe. Denn natürlich handelt es sich überhaupt nicht um ein "Mahnmal gegen den Nationalsozialismus" allein
Ich wollte damit nicht hervorheben, dass die Schule darauf gedrängt hat, dass ich als Schüler das so empfand, sondern dass meine Sozialisation in der Bundesrepublik damals gar nichts anderes zulies, als es so zu verstehen: Als Mahnmal gegen den Nationalsozialismus.

Und ich meine, das ist der Kern des Problems. Für die meisten in unserem Land sozialisierte Menschen sind die Begriffe "Totalitarismus", "Faschismus" und "Nationalsozilismus" Identitäten. Es ist eben nicht nur so, dass der Nationalsozialismus ein Totalitarismus ist, sondern auch, dass Totalitarismus immer auch Nationalsozialimus ist. Die (falschen) logischen Schlüsse aus diesem (falschen) Verständnis, die hierzulande heute fast Allgemeingut sind, lauten: "Totalitarismus kann nur Nationalsozialismus sein." und "Solange ich mich vor dem Nationalsozialismus schütze, bin ich sicher vor Totalitarismus."

Es ist diese Engstirnigkeit und Selbstzentrietheit im eigenen Weltbild, die weite Teile der deutschen Politik und Gesellschaft so anfällig für Angriffe auf Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie macht. Die von dir im Einleitungstext genannten anderen Beispiele, von offen zur Schau getragenen, gewaltverherrlichendem, islamischem Antisemitismus oder den Ereignissen um die Berliner Linksautonomen Szene, bei denen auch völlig offen zur Gewalt gegen die Polizei aufgerufen wurde, bestätigen das eindrucksvoll. Hier vermengt sich schließlich politische Intention und staatliche Ordnung zu einer Melange, welche durchaus das Potential hat, der Freiheit in diesem Lande gefährlich zu werden.

Wir haben eine der besten Verfassungen auf diesem Erdball. Davon bin ich überzeugt. Aber diese Verfassung schützt sich trotzdem nicht systemimmanent, auch wenn durch die Gewaltenteilung und andere Dinge viele Hürden zu ihrem Schutz eingebaut sind. Die Verfassung schütz sich in letzter Konsequenz durch die Gesellschaft und sie ist nur so gut geschützt, wie das Denken der Gesellschaft vor totalitärem Denken geschützt ist. Hier sehe ich die Gefahr und die kommt, dass ist meine persönliche Meinung, derzeit nicht von "rechts". Nicht, weil Nationalsozialismus nicht intrinsisch gefährlicher Unsinn wäre, sondern weil unsere bürgerliche Gesellschaft wohl noch auf Jahrzehnte hinaus gegen den Nationalsozialismus äußerst wachsam, wenn nicht gar immunisiert ist. Die potentiellen Einfalltore des Totalitarismus hierzulande liegen woanders.

Für mich sind diese Hausdurchsuchungen, die Ereignisse um die Rigaer Straße und einiges mehr im Windschatten unserer aktuellen Regierung, an vorderster Front unser Justizminister, recht stimmige Belege für diese meine Sicht auf die Dinge.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

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