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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 54 Antworten
und wurde 4.508 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Kallias Offline




Beiträge: 2.300

19.12.2016 18:25
Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

In nicht allzuferner Zukunft feiern die Christen wieder die Geburt des Gottessohnes. Nur: was heißt das, "Gottes Sohn"? Ludwig Weimer, diesmal assistiert von einem der witzigsten deutschen Dichter, gibt Aufschluss darüber.

http://zettelsraum.blogspot.com/2016/12/...nicht-eine.html

Daska Offline




Beiträge: 245

21.12.2016 00:09
#2 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Guten Abend,
herzlichen Dank für den schönen Artikel. Der Schulterschluss mit dem Judentum scheint Ihnen ja schon fast gelungen zu sein, komparative Theologie vom Feinsten:

Zitat
Dieser Jude definiert das Wesen des von den Kirchen verehrten Gottes. Reduziert sich dann nicht der Unterschied zwischen Juden und Christen auf den Satz: Juden leben nach ihrem Gesetzbuch, - Christen folgen einer Person, welche dieses Gesetzbuch lebte?


Ob es ähnlich möglich ist, sich theologisch mit den Aussagen des Koran über das Sohnsein Jesu auseinanderzusetzen?

Zitat
Nur im Heidentum zeugen Götter Söhne. (LW)


Der Koran meint hierzu:

Zitat
Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes […] Gott ist nur ein einziger Gott. […] (Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben.
– Sure 4, Vers 171: Übersetzung: Rudi Paret (allen Interessierten zugänglich über wikipedia)


Ist das nicht ganz schön aufgeklärt und zudem kompatibel mit Ihrer Sicht auf die Sohnschaft Jesu?
Beste Grüße
Daska

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.569

21.12.2016 00:48
#3 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #2
Ist das nicht ganz schön aufgeklärt und zudem kompatibel mit Ihrer Sicht auf die Sohnschaft Jesu?


Nein. Denn daraus leitet sich der Anspruch ab, die Kuffar, die Christen, als ärger als im Irrtum befindlich zu betrachten: sie waren von Gott in den Besitz der wahren, zutreffenden Lehre gesetzt, aber sie haben sie verfälscht und ins Heidnische - also das Wesen Gottes verleugnende - verkehrt: daß nämlich Jesus nicht nur ein Prophet gewesen sei, sondern ihm durch diese Verfälschung der einen, wahren Offenbarung ihm als rein diesseitlichen Menschen göttliche Attribute - schlimmer noch: eine direkte leibliche Verwandtschaft mit dem immateriell Höchsten - zugeschrieben hätten. Die Verdammungsurteile des Christentums im Koran wie den Hadithen fallen entsprechend aus.

Und diese Auslegung ist zeitlos, immergleich, unveränderbar. Gar nicht zugespitzt, sondern wörtlich: der Koran ist nicht interpretierbar, nicht auslegbar. Schon ihm das zu unterstellen, ist Frevel: daß Gott über die Auffassungsgabe der wahren Gläubigen hinausgegriffen habe und einer interpretierenden Instanz bedarf. Deswegen gibt es im Islam eine Theologie, wie wir sie für die beiden anderen monotheistischen Religionen kennen, nicht. Was so bezeichnet wird, befaßt sich allein mit der Anwendungspraxis der glasklaren, unhinterfragbaren Verhaltenskataloge. Mit anderen Worten: Sie widerspricht diametral dem, was unseren mehr-oder-minder ökumenischen Axiomen, ausgesprochen oder implizit, zugrundeliegt. Das was man, wenn man es historisch nicht zu penibel & mehr idealtypisch sieht, die "sozinianische" Sicht nennen könnte: daß das Konzept eines Gottes nicht nur allein von der Zeit, der Kultur, der philosophischen Reflexion abhängt und sich im Lauf der Zeit verändert, entwickelt, sondern daß dies auch in Wechselwirkung auftritt: das Gott (oder wie immer personell einer solche transzendentelle Instanz gedacht wird) sich in Auseinandersetzung mit der Geschichte, mit der conditio humana, ihrerseits wandelt, entwickelt, Facetten dazugewinnt.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Nola Offline



Beiträge: 1.719

21.12.2016 12:18
#4 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat
Die Verdammungsurteile des Christentums im Koran wie den Hadithen fallen entsprechend aus.

(...) Und diese Auslegung ist zeitlos, immergleich, unveränderbar. Gar nicht zugespitzt, sondern wörtlich: der Koran ist nicht interpretierbar, nicht auslegbar. Schon ihm das zu unterstellen, ist Frevel:(...)



Das ist die Kernaussage!!!

Jeder, der sich auch nur annähernd mit dem Thema befaßt hat, weis um diese Tatsache.

Der Versuch der EU-Politik und insbesondere sei hierbei auf gewisse Deutsche Politiker verwiesen, die einen "Euroislam" konstruieren zu wollen ist an der Wahrhaftigkeit und dem Anspruch des Koran vorbeigelogen.

Wenn man den Versuch machen will, hier zwei total verschiedene Lebensweisen zusammen zu zwingen, kann man bei allen Menschen bis auf den kleinsten Nenner gebracht - Atmen, Essen, Schlafen - keine weitere Übereinstimmung der Lebensweisen finden.

Alles was nicht innerhalb von Sunniten oder Schiiten (was, wie oben bezeichnet, als unhinterfragbar und nicht interpretierbar gilt) gelehrt und gelebt wird - ist nicht der wahre Glaube und damit nicht der wahre Islam.

Der Versuch, dennoch diese Verschiedenheit der sich gegenüberstehenden "Kulturen, Religionen, Staatsdoktrin" wie immer man es bezeichnen mag zu überbrücken im hier und heute kann nur im Machtanspruch des einen oder anderen enden. Allein die Methoden um Macht und Anerkennung zeigen auf wie vom Kern her grundverschieden gedacht wird. Die für "Schonviellängerhierlebende" bis in alle Bereiche geltende Demokratische Grundordnung ist der Beweis, diese greift auch letztlich im positiven Sinne bis ins Privatleben hinein. Ein Vergleich mit dem Islam kann hier in keinster Weise vollzogen werden, es sei denn, man legt die unangefochtenen nicht veränderbaren und erst recht nicht der Aufklärung zugewandten Ausführungen des Koran zugrunde, die auch bis in das Privatleben hinein gelten, welche aber nicht unserer demokratischen Grundordnung entsprechen und auch keinesfalls genügen.

Als letztes sei angemerkt, alles was derzeit versucht wird oder auch schon versucht worden ist und dem der Gedanke liberale Gedanke eines wohlwollenden Miteinanders zugrunde liegt, funktioniert nur wenn die "Schonviellängerhierlebenden" in reichlicher Überzahl sind und auch bleiben. Wie sonst sollte man unsere der GOTTSEIDANK offensichtlich der Aufklärung geschuldeten weitestgehend liberalen Kultur erhalten können? Dazu gehören natürlich alle Instrumente eines demokratischen Rechtstaates, welche auch stringent angewandt und eingehalten werden müssen. Da dies im europäischen Verbund offensichtlich nicht oder nur schwer möglich ist, sollte das nationale Denken weder verteufelt noch ausgehebelt werden.

Ich wünsche an dieser Stelle eine besinnliche und beschauliche Zeit in welcher sich vor allem Politik und Religion hinterfragen.

♥lich Nola

---------------------------

Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Daska Offline




Beiträge: 245

21.12.2016 17:10
#5 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Nola im Beitrag #4
Jeder, der sich auch nur annähernd mit dem Thema befaßt hat, weis um diese Tatsache.

Um diese Tatsache wissen auch Lehrstuhlinhaber in Innsbruck und Paderborn, die dennoch versuchen, "Theologie angesichts des Islam" zu betreiben: Den eigenen Standpunkt so darstellen, dass ein Andersgläubiger ihn verstehen/ akzeptieren könnte, so er bereit für einen Dialog ist. Sie versuchen beispielsweise, Sätze wie den von mir zitierten, über die Sohnschaft Christi im Koran, abzuklopfen, und mit isalmischen Denkern darüber ins Gespräch zu kommen. Immerhin wurde der Islam Ende des 8. Jahrhunderts von Johannes Damascenus, arabisch Yaḥyā ibn Sarjun ibn Manṣūr, als häretische, christliche (!) Gruppe betrachtet. - Dass die Politik derzeit eine andere Sprache sprechen muss, ist mir auch klar. Diesem Neuansatz nachzudenken, reizt mich dennoch, und so schien mir meine Anfrage an Herrn Weimer durchaus zum Thema zu passen.

Erich Henkel Offline



Beiträge: 23

21.12.2016 17:53
#6 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sprach angesichts der Vorgänge in Berlin davon, dass ein Riss durch die Welt geht. Wo ist dieser zu orten? Ludwig Weimer würde bestimmt nicht antworten, das das Hauptproblem zwischen Christentum und Islam liegt.

Nola Offline



Beiträge: 1.719

21.12.2016 21:24
#7 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #5
Zitat von Nola im Beitrag #4
Jeder, der sich auch nur annähernd mit dem Thema befaßt hat, weis um diese Tatsache.

Um diese Tatsache wissen auch Lehrstuhlinhaber in Innsbruck und Paderborn, die dennoch versuchen, "Theologie angesichts des Islam" zu betreiben: Den eigenen Standpunkt so darstellen, dass ein Andersgläubiger ihn verstehen/ akzeptieren könnte, so er bereit für einen Dialog ist. Sie versuchen beispielsweise, Sätze wie den von mir zitierten, über die Sohnschaft Christi im Koran, abzuklopfen, und mit isalmischen Denkern darüber ins Gespräch zu kommen. Immerhin wurde der Islam Ende des 8. Jahrhunderts von Johannes Damascenus, arabisch Yaḥyā ibn Sarjun ibn Manṣūr, als häretische, christliche (!) Gruppe betrachtet. - Dass die Politik derzeit eine andere Sprache sprechen muss, ist mir auch klar. Diesem Neuansatz nachzudenken, reizt mich dennoch, und so schien mir meine Anfrage an Herrn Weimer durchaus zum Thema zu passen.


Liebe Daska, alles, was uns einander näher bringt und gegenseitiges Verständnis hervorbringt kann immer nur von Vorteil sein, ich gebe Ihnen da vollkommen recht und bin auch auf die Antwort von Herrn Weimer gespannt.

Ich erinnere mich aber auch an die Versuche, in den Hochschulen Islamwissenschaftler die in Deutschland sozialisiert wurden zu etablieren, die allesamt als ungenügend von den Recht-Gläubigen empfunden und später auch abgelehnt wurden. Das liegt m. E. an dem Umstand, daß eben in Deutschland unter Studenten Meinungsaustausch mit dem Gelehrten und Hinterfragung möglich ist.

♥lich Nola

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Status quo, nicht wahr, ist der lateinische Ausdruck für den Schlamassel, in dem wir stecken.
Zettel im August 2008

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

21.12.2016 23:18
#8 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #5
Den eigenen Standpunkt so darstellen, dass ein Andersgläubiger ihn verstehen/ akzeptieren könnte, so er bereit für einen Dialog ist.

Diese nachgeschobene Voraussetzung ist doch gerade die Crux. Wird jemand, der sich für im Besitz einer neueren, letztgültigen, über jede Einschränkung und Interpretation erhabenen expliziten schriftlichen göttlichen Offenbarung hält, einen Dialog mit dem Andersgläubigen je anders führen können als - je nachdem, wie stark er seine Position einschätzt - entweder als dissimulierende Beschwichtigung oder als unnachgiebige Bekehrung? Wie sollte da je eine Annäherung möglich sein?

Daska Offline




Beiträge: 245

22.12.2016 00:12
#9 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Sowohl Nola als auch Fluminist ein herzliches Dankeschön. Kann ich alles unterschreiben. Ich wurde aber durch eine anfanghafte Beschäftigung mit der komparativen Theologie auf theologische oder christologische Aussagen im Koran gestoßen, bei denen ich sagen muss: "Ooooops. So ganz christlich ist das nicht, was ich da lese. Aber auch nicht Lichtjahre entfernt." Da geht es um Nuancen, wo man schon tief in die christliche Theologie einsteigen (und sich auskennen) muss, um benennen zu können, worin der Unterschied besteht. Und: Der Dialog mit den Moslems war schon einmal viel weiter als heute: Die Aussagen, die im 2. Vatikanischen Konzil über die Moslems getroffen werden (für Spezialisten: Nostra Aetate 3) wurden allesamt vor der endgültigen Verabschiedung von Moslems gegengelesen, bzw. wurden mit ihnen zusammen formuliert, bevor der Text ins Plenum gebracht und verabschiedet wurde. Das dritte Kapitel ist christlich wie islamisch wasserdicht. Und wenn Europa die nächsten 20 Jahre überlebt, kommen vielleicht auch wieder Zeiten, wo wieder mehr echter Dialog möglich ist. Natürlich, solange ein selbsternannter Staat, der sich islamisch nennt, sein Unwesen treibt, muten alles diese Gedanken wie weltfremde Glasperlenspiele an. Auch Ulrich Elkmanns spontane Antwort auf meine erste Frage wird wohl den neuralgischen Punkt ziemlich genau benennen. Aber was dem einen die Redefreiheit, ist dem anderen die Gedankenfreiheit. Und ich will ja nichts anderes, als laut nachdenken, ob nicht doch eine Verständigung von innen her möglich sein könnte. Deshalb meine oben gestellte Frage, nach den Gemeinsamkeiten zwischen den christologischen Aussagen im Koran und in der christlichen Theologie.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.833

22.12.2016 14:08
#10 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #2
Ob es ähnlich möglich ist, sich theologisch mit den Aussagen des Koran über das Sohnsein Jesu auseinanderzusetzen?

Zitat
Nur im Heidentum zeugen Götter Söhne. (LW)

Der Koran meint hierzu:

Zitat
Christus Jesus, der Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes […] Gott ist nur ein einziger Gott. […] (Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben.
– Sure 4, Vers 171: Übersetzung: Rudi Paret (allen Interessierten zugänglich über wikipedia)


Man kann sich durchaus damit auseinandersetzen. Es lohnt sich auch im Umgang mit Muslimen, die eine ernsthafte Auseinandersetzung, selbst wenn sie zu Widerspruch führt, stärker honorieren als so eine ignorante Konsenssoße, bei der mit entleerten Phrasen von "Werten", "zusammenhalt der Gesellschaft" usw. alle Unterschiede zugekleistert werden sollen. Allerdings muß man dafür auch Gewißheit über seine eigene Position haben. Deswegen fange ich damit an.

Zitat von Ludwig Weimer
Nur im Heidentum zeugen Götter Söhne. „Sohn" Gottes ist also weit mehr unähnlich als ähnlich zu sehen.

Ich glaube, damit tut man dem IV. Laterankonzil Unrecht. Im Kontext fiel der Satz von der Ähnlichkeit und der Unähnlichkeit, als die christologische Aussagekraft von Analogien (Signalwort "wie") behandelt wurde. Bibelstellen waren Joh 17,22 "... damit sie [die Jünger/Gläubigen] eins seien in uns, so wie auch wir [Vater und Sohn] eins sind" und Mt. 5,48 "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist."

Im Unterschied zu den Analogien gibt es die Identitäten. Da fehlt dann das "wie". So lauten die Einsetzungsworte "das ist mein Leib" und nicht "das ist wie mein Leib". Hier kommt eine Identität zum Ausdruck. Begreift man diese Identität bloß als Analogie, so wie es Reformierte oder Baptisten tun, dann ist das Brot bloß ein Symbol, kein Sakrament. Eine andere Identität ist "das, was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan." Es ist nicht ein "wie" oder ein "als ob", sondern es ist dasselbe. Deswegen reden wir von Menschwerdung. Im christlichen Verständnis ist ein "weltliches" Verbrechen daher stets unmittelbar auch eine Verletzung Gottes selber. Im Fünfbuch ist es noch nicht so. Dort ist das Verbrechen zunächst eine Gebotsübertretung und erst im zweiten Schritt die Übertretung eine Verletzung Gottes. Dasselbe gibt es übrigens im Koran. Das Risiko bei so einer zweistufigen Moral ist, daß einem Argumentationskniffe einfallen, die Gebotsübertretung doch nicht sehen zu müssen, und damit die Verletzung seines Nächsten zu verniedlichen, weil in Bezug auf Gott ja doch noch alles in Ordnung sei. Am deutlichsten wird dieser Selbstbetrug in der Bibel am Wort "Korban" oder an den Gedanken zeitgenössischer Terroristen, die sich als völlig im Recht dünken. Man kann diesen zweistufigen Selbstbetrug auch mit weltlichen Gesetzbüchern betreiben, etwa wenn man eine Vorratsdatenspeicherung für gerechtfertigt hält.

Vom biblischen Zeugnis her ist die Vater-Sohn-Beziehung eine Identität, keine Analogie. Jesus ist also wirklich Sohn Gottes, "gezeugt, nicht geschaffen". Vielmehr noch:

Zitat von Laterankonzil
... so wird dieser Ausdruck "eins" [in Joh. 17,22] für die Gläubigen gebraucht, damit die Einigung der Liebe in der Gnade verstanden werde, für die göttlichen Personen aber, damit die Einheit der Identität in Natura erkannt werde


Gottvater und Sohn Gottes sind auch noch eine Identität. Beide sind (zusammen mit dem Heiligen Geist) eins, nämlich Gott selber. Für uns klingt das paradox oder absurd. Ein menschlicher Vater und sein menschlicher Sohn sind für uns nicht nur zwei verschiedene Personen (das wäre mit der Trinitätslehre noch wörtlich vereinbar), sondern haben auch zwei verschiedene Identitäten. Das ist zwar von der Beschreibung her richtig, aber die Sache der Religion ist ja nicht die Beschreibung des Seins wie eine Naturwissenschaft, sondern die Beschreibung des Sollens (im konkreten Beispiel etwa die Einigung der Christen in der Liebe). Und da sollen sich auch Vater und Sohn miteinander identifizieren, so wie sich Gott Vater mit dem Sohn Gottes in ihrer Vollkommenheit identifizieren. Das kann man auch nachvollziehen, wenn in der eigenen Vater-Sohn-Beziehung kein guter Geist herrscht.

Erst mit der Unvollkommenheit der menschlichen Vater-Sohn-Beziehung haben wir den Teil, wo die Unähnlichkeit sichtbar wird. Ein menschlicher Vater und ein menschlicher Sohn haben die Freiheit, sich zu entzweien. Auch der himmliche Vater (vgl. das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, in dem der Vater seinem Sohn die Freiheit läßt, trotz dessen anmaßender Forderungen fortzuziehen!) und der Sohn Gottes haben diese Freiheit.

Nun in Bezug zum Islam. Zunächst ist festzustellen, daß auch die arabische Sprache, sogar im überlieferten Gebrauch Mohammeds, den Vater-Sohn-Begriff rege in Analogien und im Ideellen verwendet. Insofern könnte auch ein Muslim dem Begriff zustimmen, wie ihn Ludwig Weimer erklärt, nämlich "so wie dieser Jesus von Gottes Wollen sprach, und sein Gottesbild halte ich für richtig und für mein Leben maßgeblich". Auch den Begriff der Zeugnug muß man also ideell verstehen, nicht als Antropomorphismus Gottes, sondern als "Theomorphismus" dessen, wozu der Mensch berufen ist. Immerhin ist auch dem Islam eine Vereinigung oder Nähe mit Gott nicht fremd.

Im Islam wird der Begriff einer Vater-Sohn-Beziehung trotzdem verworfen. Das entscheidende ist, daß im Islam eine richtige Theologie eigentlich gar nicht existiert. Gott sei so absolut, daß er sich menschlichem Verstehen vollständig entziehe (siehe auch die bekannte Regensburger Rede von Papst Benedikt). Wo der Christ dank der Selbstoffenbarung Christi etwas über Gott lernt und daraus etwas für sein Tun, für seine Beziehungen zu seinem Nächsten folgern kann, behauptet der Koran (also nicht einmal Gott, sondern bloß ein Engel) nur Gottes Unverständlichkeit. Betont wird die Unähnlichkeit der Analogien, ohne daß es je eine Ähnlichkeit geben könne. Ein Reden über den islamischen Gott ist deswegen völlig fruchtlos für das Selbstverständnis des Menschen und seinen Platz in der Welt. Muslime bleiben daher dazu verdammt, sich nur nach Geboten und Gesetzen zu orientieren. Islamische Theologen sind eigentlich bloß Rechtsgelehrte.

Betrachtet man die Begriffe von Knecht und Sohn, wie sie in Joh. 15,15 und Joh. 8 gebraucht werden, dann sind Christen eher Söhne, Muslime nur Knechte. Muslime folgen Befehlen ihres Gottes wie brave Sowjetsoldaten ihren Kommissaren, während Christen über Sinn und Zweck informiert sind und bei der Wahl ihrer Handlungen einen Ermessensspielraum haben, der bis hin zur Freiheit geht. Immerhin gibt es aber Unterschiede in den Rechtsschulen, die in einzelnen Fällen den Gläubigen doch Ermessenspielräume zugestehen. Zwischen Gesetzlichkeit und Freiheit gibt es eben einen breiten Übergangsbereich.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

22.12.2016 18:11
#11 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Daskas Frage nach dem christlich-muslimischen Dialog, der ja recht besehen meist nur ein indirekter von europäisch Aufgeklärten mit dem Koranglauben ist, lässt sich durch das übliche Argument auf fast allen Seiten entschärfen:
„Bitte lasst uns gegen die Prediger der Gewalt vorgehen, aber nicht jeden Muslim verdächtigen! Lasst uns lernen, zwischen Mensch und Ideologie zu unterscheiden!“ (Hamed Abdel-Samad, Guten Morgen, Berlin! In: Achgut.com, 20.12.2016) Aber das hilft nicht weit.
Ich kenne Legenden der Sufis (die allermeistens natürlich vom Kalifat Verfolgte waren) zur Beschreibung des Gottvertrauens, die so gut sind, dass sie in unserer Bibel stehen könnten. Aber das hilft auch nicht weiter.

Der Koran leugnet, dass ein wahrer Prophet gekreuzigt worden sein kann. Für ihn starb Jesus nicht am Kreuz, sondern ein anderer. Schwert und Kreuz vertragen sich einfach nicht.
Und wenn der Glaube authentisch anhand von Muhammads Weisung reformiert werden soll, muss man zurück zu ihm, man kann nicht nach vorne, eschatologisch an eine Korrektur denken, an etwas Neues. Die Christen schauen nach vorne, sie haben in Rom ein zweites Jerusalem, in Konstantinopel ein zweites Rom, in Moskau noch eines gesehen. Sie sind zerstritten, aber im Wettstreit ohne Messer und Bomben um das Bessere.
Ob im Islam, wo Glaube und Staat eins sind, ein Denkumbruch möglich ist, bezweifeln Experten. Sie machen leider keine Hoffnung.
Das Argument, auch die Christen hätten Kreuzzüge geführt und dazugelernt, der Islam sei erst in seinem Mittelalter, umgeht diese Differenz Unterscheidung oder Nichtunterscheidung von Religion und Politik.
Die überlieferte Nachricht, die Ritter hätten in Jerusalem bis an die Knöchel in Blut gewatet, ist ein Verleumdungs-Märchen. Es war eine normale Stadteroberung. Übrigens: Eine Rückeroberung, - und wer hat die Stadt zuerst weggenommen und erobert?
Unsere Weihnachts-Besinnung ist rasch auf das Thema Religionendialog eingeschwenkt. Ich hatte die beim 2. Vatikanum arabischerseits hart bestrittene und verhinderte volle katholische Erklärung zum Judentum zum Hauptgegenstand gemacht: Die kath. Kirche kann sie nicht auf den jüngsten Tag vertagen. Denn die Wissenschaft geht unbeeinträchtigt ihren Weg, und die aktuelle Kirche ist nicht mehr an ihrer Seite, ist noch nicht so weit vorne wie sie. Selbst in der neuen Youcat-Bibel für die katholische Jugend fehlt das Bild von Paulus, mit dem er sich der jüdisch-heidenchristlich gemischten Gemeinde in Rom vorstellen wollte, dass die Heidenchristen Zweige auf dem jüdischen Ölbaum seien und von diesem Kraft und Saft haben oder verdorren. Hielt man es für unwichtig oder für eine Utopie, was Paulus meinte?

Ludwig Weimer

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

22.12.2016 19:25
#12 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Lieber Emulgator,

Im Koran ist der Prophet nur der Gesandte Gottes. In der Christologie ist Jesus unendlich mehr: die Präsenz Gottes selbst. Genau das meine ich, aber will es für die aufgeklärten Agnostiker von heute zu erklären versuchen.

Dem vierten Laterankonzil – am Lateran haben wir unseren Lehrstuhl für die Theologie des Volkes Gottes und das neue postgraduale Fernstudium angesiedelt – will ich nicht Unrecht tun, sondern die Formel entgegen dem damals beschränkten Gebrauch wie andere Theologen auch ‚pressen‘, wie es in der Exegese und Hermeneutik Brauch ist, Neues herauszuholen, das damals zwar gar nicht gemeint - weil noch nicht gesehen - war, aber im Sinn des Axiomatischen doch mit dem Alten verbunden ist. Wer genau liest, wird spüren, dass meine Absicht nicht das Relativieren ist, sondern das Aufschließen des vollen Sinnes, den viele heute vielleicht nur nicht mehr akzeptieren, weil er in der ‚religiösen‘ oder ‚mythischen‘ Sprach-Schublade verstaut ist statt in der von Erzählung, von Geschichte, Empirie eines Gottesvolkes.

Sie stellen Analogien und Identitäten gegenüber, das vergleichende „wie“ und das „ist“. Gut, das ist ein Stück Hilfe. Das Himmelreich ist wie ein Senfkorn, es ist kein Senfkorn; Jesus aber ist nicht wie Gott, sondern ist Gott. – Das Problem ist nur, dass es hier, im Fall Jesu, kein „ist“ auf ein und derselben Ebene gibt, sondern dass die Vermittlung zwischen zwei unvermischbaren Ebenen im Hintergrund ist. Der Vermittler „ist“, weil er wie Gott denkt und handelt, zugleich Mensch und Jude u n d Charakter Gottes, Abbild seines Wesens (Hebr 1,3), Exeget Gottes (verbal gesagt in Joh 1,18).

Ihr Vergleich, ob das eucharistische Sakrament nur Symbol oder echte Gegenwart der Person Jesu sei, spiegelt dasselbe Problem. Für mich, und das ist wohl katholische Sicht, sind Brot und Wein Zeichen der wirklichen Gegenwart Christi, und ist das Mahl sogar ein schon eschatologisches.

Die anthropologisch-ethische Seite ist nicht umfassend begriffen, wenn man sie nur moralisch oder rechtlich betrachtet. Die Christen sind nur der ‚Leib‘ Christi‘, nicht Christus heute. Christus als Vermittler Gottes ist einzigartig („unigenitus“). Wenn ich ihm glaube und ihm folge, bedeutet das, dass ich ihm die Autorität Gottes zuspreche. Damit beseitige ich nichts an Abraham, Mose, den Propheten oder auch an Sokrates, Plato, Benedikt, Franziskus …, sondern sehe sie alle wie Berge; aber Jesus überragt sie, ist ihre Spitze u n d diese Spitze ragt bis zur Definition, die für mich Gottes Wesen beschreibt.

Ich habe den Glauben der Kirche (die Regel, die Credo-Sprache) in meine persönliche Sprache, in meine Herzensangelegenheit zu wandeln, damit es gelebtes Vertrauen ist und nicht nur Wissen oder ängstliches Bekennen eines ‚Mysteriums‘. Ja, insofern stimme ich Ihnen zu: Christen sind nicht Knechte, sondern freie Söhne und Töchter ihres Gottes.
Ludwig Weimer

Daska Offline




Beiträge: 245

23.12.2016 14:09
#13 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #12
Jesus aber ist nicht wie Gott, sondern ist Gott. – Das Problem ist nur, dass es hier, im Fall Jesu, kein „ist“ auf ein und derselben Ebene gibt, sondern dass die Vermittlung zwischen zwei unvermischbaren Ebenen im Hintergrund ist.

Wenn Jesus Christus lediglich "ist", aber nicht ist, aufgrund der Unvermischbarkeit der Ebenen, wie kann dann am Anfang der Messe Kyrie eleison, Christe eleison gebetet werden? Vergötzung eines Menschen? Wie steht es um die Untrennbarkeit der beiden Ebenen?
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #12
In der Christologie ist Jesus unendlich mehr: die Präsenz Gottes selbst. Genau das meine ich, aber will es für die aufgeklärten Agnostiker von heute zu erklären versuchen.
Da wäre sie also doch, die Identität.

- Für die Agnostiker von heute erklären: Ein hehres Ziel, aber wie soll das verlustfrei gelingen? Und: Was ist gewonnen, wenn Agnostikern die Sinnhaftigkeit theologischer Aussagen erschlossen wird, wenn dafür die, die schon länger hier glauben, in den neuen Formulierungen ihren bewährten Glauben nicht mehr wiedererkennen? Das ist im Kern die einzige Anfrage, die ich an Ihren großartigen Weihnachtsartikel heuer habe.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

23.12.2016 16:45
#14 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Sie haben Recht, wenn Sie einen Widerspruch feststellen, Das muss ich riskieren, weil zur Logik in diesem Fall etwas Drittes hinzukommt: Das Leben, die Glaubenspraxis. Die Mentalität der 'Einfachen' entgegenzustellen, die etwas vermissen, ist möglich, aber unproduktiv. Sie wollen nur die alte Sprache, die aber andere aus dem Kirchenglauben vertrieben hat. Das können sie nicht nachvollziehen.
Wäre es so einfach zu sagen, würde das Glauben genügen und unser Verstand dürfte ausgeschaltet werden. Genau das soll aber nicht sein. Glaube ist auch Religionskritik. Zu Gott gehört auch die Weisheit, der Heilige Geist. Er füllt die Lücke zwischen Mensch und Gott. In der praktisch gelebten Liturgie hat er fast keine Rolle.
In Jesus ist das in Israel erschienen, was ewig, immer schon der Wille Gottes war ("Sohn seit Ewigkeit", Präexistenz des Logos): bei den Menschen zu sein, mit ihnen im Geist zu kommunizieren. Gott will gleichsam ein Gespräch mit den Menschen. So stellt Joh 1 das Weihnachtsgeheimnis dar: "Am Anfang war der Logos"... und er wurde in Jesus zum Licht, zur Aufklärung der Welt über die Götter und Gott, über das Elend und den Ausweg, über das Glück: die hohe Berufung der Menschheit.

Es gab schon in der Alten Kirche im Zusammenhang eines Konzils die Frage, was man antworten könne, wenn jemand fragt, ob Jesus wirklich der Sohn Gottes sei oder nicht. Es hieß, der Bischof solle dem Fischer eine eigene klare Antwort geben, aber den Gelehrten auch ernst nehmen:
Dem Fischer soll der Bischof "piscatorie", nach Art eines Fischers einfach antworten: Ja. Wenn aber ein Philosoph die Frage hat, darf er "aristotelice" antworten. Das heißt doch wohl, zumindest heute: "Ja, er ist es nach unserem Glauben,aber Sie wissen, welche Probleme in dem Wort "IST" stecken". Die Fernstehenden dürfen uns wichtiger sein als die Beheimateten.

Ludwig Weimer

Daska Offline




Beiträge: 245

23.12.2016 19:09
#15 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #14
"piscatorie" ... "aristotelice"

Bin schon fast versöhnt, wenngleich ich die Liturgie nicht ganz so kritisch sehe wie Sie. Immerhin gelingt es den liturgischen Texten des bevorstehenden Festes, am Heiligabend beim Evangelium vom Stall "piscatorie" und am ersten Feiertag bei dem großen philosophischen Prolog "aristotelice" zu sprechen. Insofern bietet "lex orandi, lex credendi" bei aller unterstellten Unaufgeklärtheit zumindest fallweise ein Maß, einen Rahmen, um Glauben und Denken zu vereinen. Sozusagen die liturgischen Texte als Rezept für aristotelische Fischsuppe.
Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #14
Die Fernstehenden dürfen uns wichtiger sein als die Beheimateten.

Wer wollte da widersprechen, das Gleichnis vom Guten Hirten im Hinterkopf. Ein Rest Zweifel bleibt, muss wohl noch a bissi nachdenken. Das kann aber bis nach den Feiertagen dauern. Herzlichen Dank und Frohe Weihnachten!
Daska

Noricus Offline



Beiträge: 2.362

23.12.2016 20:08
#16 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im ZR-Beitrag
Da ist eine Rechtsgleichheit wie beim Vertreter eines Chefs



Das interessiert den Juristen: Jesus als Stellvertreter des Einzelunternehmers Gott? Oder Jesus als Prokurist bzw. Handlungsbevollmächtigter der Kapitalgesellschaft Gott GmbH bzw. Gott AG bzw. Gott SE (Geschäftsführer oder Vorstand wäre dann wohl der Vater)? Oder haben wir doch eine Personengesellschaft mit Jesus als Komplementär oder Kommanditisten?

Die Fragen sind nicht flapsig-blasphemisch gemeint. Die Antwort darauf würde vielmehr einem Fachidioten wie mir zum besseren Verständnis der Trinitätslehre verhelfen (der katholische Theologe meines Vertrauens beißt sich diesbezüglich seine sehr scharfen Zähne aus ).

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

23.12.2016 21:42
#17 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Ich ging für die Untersuchung, was die Analogie „Sohn Gottes“ hergibt, zunächst von dem Unterschied zwischen Metapher und Analogie aus. Metapher genügt mir als Urteil über den Titel Jesu deshalb nicht, weil bei der Metapher kein einziger inhaltlicher Punkt im Vergleich da sein muss, nur formale genügen (Beispiel: Reich Gottes gleicht dem Senfkorn¸ da gilt nur: ist noch klein und wird wachsen). Daher würde man auch monieren: Gottessohn bloß eine Metapher?
Bei der Analogie setze ich mindestens einen auch inhaltlich ähnlichen Punkt voraus; ich nannte in unserem Fall „Sohn Gottes“ zwei: familiäre Liebe und eben Rechtsgleichheit.

Da ich kein Jurist bin, ging ich von dem Satz aus: Der Gesandte ist wie der Sendende. – Das meint wohl, er hat die gleiche Würde. Das genügte mir aber nicht. Vom Fall der Mütze, die Tell nicht ehren wollte, her erwartet man beim Vertreter eine Person, und zwar eine, die auch in sich das Amt ausfüllt. Aber ein Ersatzmann ist – außer juristisch – meist doch eine Minderung.
So haben auch die Germanen als Arianer Christus unter Gott gesehen und das hat ihnen in ihrem Gefolgschaftsmodell mehr eingeleuchtet.
Aber hier geht es um den Vertreter eines unsichtbar Bleibenden, der gar nicht selber erscheinen kann (weil er es nicht will), der alles dem Gesandten anvertraute (Joh 5). Deshalb braucht es hier einen Salto bei der Vorstellung. Der Gesandte ist wirklich so viel wie Gott selber. Er zeigt den Charakter Gottes, ist Bild seines Wesens (Hebr 1,3).

Es ist jedenfalls keine Personengesellschaft, sonst hätten wir eine Dreigötterlehre. Jesus ist also eher der Unternehmer im Kosmos für einen Gott, der sich total zurückhält, damit wir Menschen Platz haben und ganz frei bleiben. (Ob das eine theologische Ausrede ist oder eine tiefe jüdisch-christliche Mystik als letzte Wahrheit, muss jeder für sich entscheiden. Hans Jonas ist an der Frage eher gescheitert, wenn er aus Auschwitz folgerte, Gott sei ohnmächtiger als gedacht. Dass er die Christen nicht einmal haftbar machte, ist die tiefste Beschämung des kirchlichen Versagens.)
Eine Hilfe ist auch der Satz: Der Vater hat das ganze Gericht dem Sohn übergeben. Der Weltenrichter richtet uns nicht, nur Jesus richtet uns. Klar, denn er war auch ganz Mensch und zeigt, was möglich ist. Sein Maß ist Maßstab, mag er dann noch so barmherzig sein.

Ich werde an Weihnachten noch einen theologisch verwandten Freund treffen, der Jurist ist, und zu Rate ziehen.
Ludwig Weimer

Martina Offline



Beiträge: 41

23.12.2016 23:10
#18 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Hochinteressante Fragestellung! Darf ich mich als theologisch interessierter Jurist zu Wort melden?
Wenn man das Bild vom "Organ" der Kapitalgesellschaft aufgreift, müßte Jesus schon der Geschäftsführer der Gott GmbH sein.
Die juristische Person kann nicht selbst handeln, sie braucht eine natürliche Person, die für sie tätig wird.
Der Geschäftsführer vertritt die GmbH voll verantwortlich, allein vertretungsberechtigt und haftet unbeschränkt mit seinem gesamten Privatvermögen.
Bin gespannt, was Herr Weimer dazu sagt.

Publius Offline



Beiträge: 127

24.12.2016 05:28
#19 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Ich wünsche allen Zimmerleuten in Zettels Raum ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest sowie erholsame Feiertage.

Gruß

Publius

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

31.12.2016 17:28
#20 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Liebe Martina,
nocheinmal zu unserer Frage, ob man den scheinbar so verflixten und für einen Juden heidnischen christlichen Trinitätsglauben mit juristischen Kategorien in eine der Vernunft einleuchtende Aussage über den jüdisch-christlichen Eingottglauben verwandeln könne:

Ihr Vorschlag ist Jesus Christus = "Geschäftsführer der Gott GmbH". Ähnlich äußerte sich auch der von mir befragte Jurist und Freund. Aber wir kamen dann überein, dass auch die juristische Sprache nicht viel zutreffender ist als die alte philosophische oder die mythisch-poetische es waren.
Woran liegt das? Der, welcher die Sache und das Wesen Gottes sichtbar machte, ins Wort brachte, muss zu unserer physikalischen Welt gehören; damit muss er ein anderer sein als Gott; aber zugleich muss er ja Gott Worte, Gesicht und Hände verleihen, also dessen unsichtbare Macht voll und ganz sein. Gott und Mensch sind aber auch unendlich verschieden. So haben wir das Problem von zwei verschiedenen "Personen", wie man es ausdrückte. Die Vereinbarkeit wäre hier aber auch mathematisch nicht 2 = 1 , sondern 1 + 1 = 1 Gott, und da die Vereinbarkeit der so genannte Hl. Geist ist, sogar 1 + 1 + 1 = 1. Mit mehr Recht muss ich sagen: 1 + 1 + 1 = 3. Das "Recht" scheitert also am Paradox. Daran erscheinen die Grenzen aller unserer Analogien.
"Geschäftsführer" ist nicht ganz das, was das alte Wort "Sohn" sagen wollte und konnte (aber natürlich missverstehbar).
Gott kam nicht vom Himmel herunter, sondern er blieb oben; hier unten in Israel war nur ein Mensch, aber dieser Jude lebte und dachte und starb dafür so, dass er für uns Christen wie das herabgekommene Gotteswort war. Wir werden noch weiter eine Sprache für heutige Menschen suchen müssen.

Die Macht Gottes in Welt und Geschichte besteht nur darin, dass er in unseren Herzen Zustimmung und dadurch in unseren Händen Werkzeuge findet. In diesem Sinn wünsche ich Fortschritte im Guten für das Neue Jahr,

Ludwig Weimer

Simon Offline



Beiträge: 334

31.12.2016 23:38
#21 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Ludwig Weimer in #17:
Erich Mühsam hatte eine das Getrennte übergreifende Einsicht, die er in dem Zwölfzeiler „Ich weiß von allem Leid ..." in Verehrung für den Volksgenossen hinterließ:

„Ich weiß vom Leide nur, fühl nur die Scham, -
und kann doch selber nicht Erlöser sein,
wie jener Jesus, der die ganze Pein
der Welt auf seine schwachen Schultern nahm."

Lieber Herr Weimer,
vielen Dank für Ihre Weihnachtsbesinnung und Ihre Segenswünsche!

Als ich am Fest des Hl. Stephanus Ihren Text mit Freunden gemeinsam bis zu Ende gelesen hatte, fragte einer in die Runde: Ist er (Mühsam) nun Christ gewesen oder geworden? Und er fiel sich gleich selber ins Wort: Wohl nicht.
Nun ist Mühsam längst tot, wir können sein ausdrückliches Bekenntnis nicht mehr erfragen. Aber brächte es etwas für die Beantwortung der Fragen, vor allem der Frage - nach der Behebung des Ur-Schismas zwischen Juden und Christen, die Sie aufwerfen? - Der Schismatiker mit der richtigen Einsicht - tot. Doch er hatte geredet, bevor er mundtot gemacht worden ist, deutlicher und richtiger als alle die, die sich zu seiner Zeit Christen nannten. Sein "Kurzpoem" Geboren ward zu Bethlehem ist offenbar keine beiläufige Satire, sondern Aufdeckung einer Wirklichkeit, die zum Himmel schreit: Weihnachten - eine Rindviehfeier: Der LOGOS Gottes, Gottes dem Menschen persönlich zugeneigte, ihm in allem wohlwollende Vernunft, in einem Juden-Kind zur Welt gekommen und um Aufnahme bittend: "der die ganze Pein der Welt auf seine schwachen Schultern nahm", karikiert im Allerwelts-Kind der Arier"_Feier am Winter-Sonnwendtag, wohlfeil für alle und "überall". Eine Party, der Juden - angeekelt - von selbst fern bleiben.
Ob sich an diesem Antijudaismus der "Arier", Pardon - der Christen, etwas geändert hat?, fragen Sie. Ich lasse die Antwort offen.

Immer noch frohe Weihnachten - in der Oktav - und ein gesegnetes Neues Jahr!
Simon

Simon Offline



Beiträge: 334

02.01.2017 19:01
#22 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat
Was die Sternsinger an unseren Türen noch nicht wissen: Die Magier aus dem Osten stehen für die ersten Heiden aus der erwarteten Völkerwallfahrt zum Zion. Denn dies ist das Urverhältnis zwischen Heiden-Christen und Judentum: Jene kommen zum Gottesvolk hinzu und nicht: sie lösen es ab.

Das Ur-Schisma Juden und Christen ist die verborgene Schwäche und, erst recht nach der Shoah, eine verdrängte Hauptaufgabe der Kirchen. Nicht Papst und Luther sind das Problem.



Ebenso wie dieses stammt das Zitat in meinem Beitrag (#21) natürlich aus Weimers Aufsatz vom 19.12.2016, Zweifelt, aber verzweifelt nicht. - Das wollte ich richtigstellen.

Ich bin der Ansicht, dass es zu der Thematik auch in diesem neuen, dem "Luther-Jahr" noch einiges zu sagen gibt.

Nicht ganz zufällig bin ich auf den "Fall Berger" im Internet gestoßen und habe Bergers späte Angabe kommemoriert:

Zitat
1967 hatte die Münchner katholische Fakultät seine Doktorarbeit ablehnend beurteilt, da er behauptete, Jesus Christus habe das jüdische Gesetz nicht aufgelöst, sondern ausgelegt und im Sinne seiner Zeit erfüllt. Er selbst sagt dazu: Diese Promotion an der Münchner Fakultät endete mit einem Skandal: Ich durfte, entgegen meinem Wunsch, nicht Priester werden und mußte eine neue Dissertation schreiben. Der Grund: Ich hatte behauptet, Jesus habe das jüdische Gesetz nicht abgeschafft, sondern im Sinne seiner Zeit verstanden und erfüllt.

In: Kathpedia

Nun möchte ich damit nicht Bergers Theater um seine Konfessionsidentität noch einmal aufrühren.

Ich möchte vielmehr betonen, welche Einsichten die katholische Kirche inzwischen in den vergangenen 50 Jahren vornehmlich durch das 2. Vatikanische Konzil und durch die Bibel- und sonstigen Wissenschaften gewinnen konnte und dass die Möglichkeit und Öffnung besteht, mit den christlichen Kirchen - wie sie auch alle heißen mögen - und ebenso mit dem Judentum in Kontakt und ins Gespräch treten zu können.

Viele Neujahrsgrüße!
Simon

Daska Offline




Beiträge: 245

02.01.2017 19:49
#23 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Dazu fällt mir ein, dass es Anfang der 1990er Jahre ein Werbeplakat gab: "Dein Christus ein Jude, dein Auto ein Japaner, ... ."
- Ihr Anliegen als Eyecatcher, das hat doch 'was!

Daska Offline




Beiträge: 245

03.01.2017 09:59
#24 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Zitat von Ludwig Weimer im Beitrag #14
Es gab schon in der Alten Kirche im Zusammenhang eines Konzils die Frage, was man antworten könne, wenn jemand fragt, ob Jesus wirklich der Sohn Gottes sei oder nicht. Es hieß, der Bischof solle dem Fischer eine eigene klare Antwort geben, aber den Gelehrten auch ernst nehmen:
Dem Fischer soll der Bischof "piscatorie", nach Art eines Fischers einfach antworten: Ja. Wenn aber ein Philosoph die Frage hat, darf er "aristotelice" antworten.

Jetzt habe ich ein Problem: Die Bücher, die in meinem Regal stehen, geben zu der Frage piscatorie - aristotelice nichts preis, und die etwas dazu preisgäben, stehen nicht in meinem Regal. Das Internet geizt mit Hinweisen, und bei der Suche nach dem von Ihnen erwähnten Zitat wollte es mich partout in eine etwas andere Richtung locken: Gerade so, als ginge es bei pisactorie - aristotelice um unterschiedliche theologische Auffassungen zwischen Antiochenern und Alexandrinern, als stößen die Formulierungen entsprechender Lehraussagen an die Grenzen der aristotelischen Logik - sagen die einen - , als sei es angemessener, schlichter, konkret-anschaulicher, piscatorie eben, zu formulieren - sagen die anderen. Schließlich seien die Apostel ja schlichte Fischer gewesen, denen dennoch die volle Erkenntnis zuteil geworden sei. Vertreter der einfachen Bildersprache - piscatorie - wären demnach beispielsweise Augsutinus und Leo. Auf der anderen Seite - aristotelice - stünden dann Theologen des Ostens, die wohl mehr auf eine philosophisch klare Durchdringung der Fragen rund um die göttlichen Personen mittels aristotelischer Logik gedrungen hätten, und deshalb mit "Chalzedon" nicht so ganz d'accord gewesen wären. - Mehr Puzzleteile geben Google & Co. nicht her. Evtl. habe ich mich ja gerade an der Produktion und Verteilung von Fake-News beteiligt, denn knapp daneben ist ja bekanntlich auch vorbei, mei.

Hanna Eiselt Offline



Beiträge: 23

03.01.2017 20:27
#25 RE: Zweifelt, aber verzweifelt nicht - Eine Weihnachtsbesinnung Antworten

Sie sagen, die Bibel ist mit einer großartigen, sprachlichen Kunst verfasst, aber eben von Menschen erdacht. Eine andere Sprache haben wir nicht als unsere menschliche.
Ja, haben wir nicht! Aber es gibt das "inspirierte Wort", was den Wert der Bibel ausmacht. - Was denke Sie darüber? Waltet darin nicht auch das Geheimnis "ungetrennt und unvermischt", an dem wir Menschen teilhaben können?

Hanna Eiselt

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