Zitat von neoliberalerBei der HRE ging es tatsächlich um eine Enteignung (mit einer entsprechenden Gegenleistung versteht sich). Dies allerdings zu einer Zeit, wo der Staat schon ca.75% der Anteile übernommen hatte. Es ging ja nur noch darum die restlichen Anteile zu übernehmen um bestimmte Massnahmen ergreifen zu können (en detail müsste ich das jetzt genau nachlesen)
Meiner Erinnerung nach war das etwas anders. Der Staat hatte sich eingekauft (ordnungspolitisch ein Sündenfall, aber in der Tat keine Enteignung). Blieb aber noch unter 50%. Die 75% (und dann die Squeeze-Out-Möglichkeit) wurden nur erreicht, weil per Spezialgesetz eine Kapitalerhöhung durchgesetzt wurde, an der sich die privaten Aktionäre nicht beteiligen durften. Das war de facto eine Enteignung durch die Hintertür. Und dann kam die "Verhandlung" mit der Drohung einer Enteignung der restlichen Anteile.
Was - wurde hier schon gesagt - ähnlich schlimm zu bewerten ist wie eine "normale" Enteignung: Wenn der Staat sich Unternehmen mit Drohungen und Sondergesetzen unter den Nagel reißt, hat das mit Marktwirtschaft und Eigentumsrechten nichts mehr zu tun.
In Antwort auf:Es wurde hier auch angemerkt, dass irgendwelche "Experten" tatsächlich meinen, es wäre besser gewesen die HRE in den Konkurs gehen zu lassen. So jemanden möchte ich hier den Expertenstatus absprechen !!!
Man kann in dieser Frage ja gerne unterschiedlicher Meinung sein - aber so pauschale Abqualifizierungen möchte ich mir schon verbitten. Es gibt sehr namhafte Ökonomen (siehe z. B. die Diskussionen bei Econtalk), die das anders sehen.
Der Markt hat die Lehman-Pleite völlig problemlos verkraftet - und hätte das auch bei der HRE (mit etwas mehr Problemen) geschafft. Dito die Pleite diverser völlig überflüssiger Landesbanken.
Es wäre ja noch akzeptabel gewesen, wenn der Staat mit Bürgschaften Kettenreaktionen abgebremst hätte, so daß z. B. nicht gesunde Banken wegen HRE-Außenständen in Schwierigkeiten kommen. Aber wenn eine Firma so mies wirtschaftet wie die HRE, und die Kriterien für die Insolvenz aus eigener Fehlleistung heraus erfüllt, dann muß sie auch bankrott gehen.
Die Rettung insolventer Firmen mag im Moment hilfreich vorkommen, aber dafür wird die nächste Krise um so schlimmer - denn jetzt können sich ja Manager und Anleger darauf verlassen, daß man beliebige Risiken eingehen kann, ohne die Konsequenzen fürchten zu müssen.
In Antwort auf:Ich halte es für eine grandiose Leistung der Politik in dieser Krise so entschlossen gehandelt zu haben.
Das warten wir mal ab. Zum Einen ist noch völlig ungeklärt, ob die Lage wirklich so schlimm war, wie die Politik letzten Herbst behauptet hat. Da wurde schon mit sehr grellen Farben gemalt, um sich als großer Retter inszenieren zu können. Oder um eigene Fehler (Steinbrück bei der KfW) kaschieren zu können.
Und zum Anderen wird die Rechnung für die "Rettung" ja erst noch präsentiert.
Der Markt hat die Lehman-Pleite problemlos weggesteckt.
Nach dieser Aussage ist die Diskussion für mich erledigt, denn dies ist leider eine vollkommen falsche, ja absurde Aussage.
Ich verweise nur noch auf die Entwicklung der Aktienkurse, Credit-Spreads, BIP und Arbeitslosigkeit. Nach Lehman war es für Unternehmen auf Monate nahezu unmöglich bei Banken oder am Markt Kapital zu bekommen.
Nach der Lehman-Pleite standen Morgan Stanley und sogar Goldman Sachs kurz vor der Insolvenz. Der Bank-Run war bereits in vollem Gang.
In Antwort auf:"Liberal ist, wer für sich nicht die Definitionshoheit darüber beansprucht, wer oder was liberal ist."
Und schon wieder muss ich Ihnen widersprechen, lieber Zettel, diesmal sogar sehr energisch. Denn dies verwechselt Liberalität mit Beliebigkeit. Und nichts könnte falscher sein.
Liberal lässt sich, je nach Kontext, einfach oder schwer definieren. Ich ziehe die einfachen Definitionen in der Regel vor, kann mich aber auch mit den komplizierten abfinden. Aber es wird definiert, man kann Liberalismus definieren. Zu sagen, ein jeder kann das für sich entscheiden, ist nicht liberal sondern schlicht beliebig. Das ist das, was ich mit dem Begriff des Liberallals meine, wenn ich ihn benutze. Dazu fällt mir immer die passende Frage ein: Was unterscheidet einen liberalen Kommunisten von einem nichtliberalen ? Ganz einfach: Der liberale Kommunist will den Reichen nur enteignen und nicht aufhängen.
Für mich ist die Definition von Liberalismus sehr, sehr wichtig. Denn es ist eine mächtige Forderung sowohl an eine Gesellschaft, wie auch an sich persönlich. Wer liberal sein will, muss viel ertragen. Sehr viel. Etwas was die meisten Menschen nicht können (und das obwohl sich ja nahezu jeder liberal wähnt). Ich bin von der Freiheit überzeugt. Und genau deshalb sehe ich mit Sorge wieviel Leute sich liberal wähnen, aber überhaupt kein Problem mit der Vernichtung der Freiheit anderer haben (damit ist hier niemand persönlich gemeint, ein jeder kann sich selber die Frage stellen, was ihm die Freiheit von 'Managern', 'Kannibalen' oder 'Weiss-der-Kuckuck-für-eine-böse-Person' wert ist). Ich denke man MUSS liberal definieren, sonst ist die ganze Idee sinnlos.
Zitat von neoliberalerNach dieser Aussage ist die Diskussion für mich erledigt ...
Diese Aussage ist leider recht typisch. Auch die verantwortlichen Politiker haben ihr Vorgehen bis heute nie fundiert begründet. Es gab immer nur dieses "Sonst kommt die Apocalypse", ohne vernünftige Argumentation.
In Antwort auf:denn dies ist leider eine vollkommen falsche, ja absurde Aussage.
Dann müßte sie ja leicht zu widerlegen sein.
In Antwort auf:Ich verweise nur noch auf die Entwicklung der Aktienkurse, Credit-Spreads, BIP und Arbeitslosigkeit.
Dies ist aber nun überhaupt keine Widerlegung.
Natürlich sind die Aktienkurse gefallen (wie auch vor und nach der Lehman-Pleite). Das ist ja auch völlig normal in einer Krise. Aber es gibt kein Menschenrecht auf einen hohen Aktienkurs (oder einen günstigen Credit-Spread), Auf und Ab gehören zur Marktwirtschaft und rechtfertigen keine staatlichen Interventionen.
BIP und Arbeitslosigkeit sind von der Lehman-Pleite nur sehr indirekt und marginal beeinträchtigt worden. Schließlich ist das wesentliche Geschäft der Bank schon nach wenigen Tagen von anderen Instituten übernommen worden.
In Antwort auf:Nach Lehman war es für Unternehmen auf Monate nahezu unmöglich bei Banken oder am Markt Kapital zu bekommen
Es war schwerer, aber nicht unmöglich. Und der Hauptgrund dafür war nicht die Lehman-Pleite, sondern die ganze Immobilienkrise vorher - der Kreditmarkt war seit der IKB schwierig.
In Antwort auf:Nach der Lehman-Pleite standen Morgan Stanley und sogar Goldman Sachs kurz vor der Insolvenz. Der Bank-Run war bereits in vollem Gang.
Aber sie sind nicht pleite gegangen.
Und um es zu wiederholen: Ich hätte Verständnis, wenn der Staat mit Garantien Kaskadeneffekte bei anderen Banken vermeiden hilft (obwohl wohl auch hier ein besseres Insolvenzrecht die geeignetere Lösung wäre). Aber den Bankrotteur selber zu retten ist nicht vertretbar.
In Antwort auf:Sowas nennt man also problemlos verkraftet...
Gut, das "problemlos" war mißverständlich. Der Punkt ist: Die Probleme erforderten kein staatliches Eingreifen. Marktbereinigungen gehören zur Marktwirtschaft. Wenn der Staat diese verhindert, verschwendet er nicht nur enorm viel Geld, sondern konserviert schlechte Strukturen.
Das sieht man gerade hier: Sowohl die Landesbanken wie auch die HRE (die ja eigentlich schon als "Bad Bank" gegründet wurde!) haben in einer leistungsfähigen Bankenlandschaft nichts zu suchen. Die dort verwendeten Geschäftsmodelle waren höchst unseriös, wenn es überhaupt eine Rechtfertigung für eine staatliche Bankenaufsicht gibt, dann hätte diese schon längst eingreifen müssen.
Zitat von ZettelIch habe auch viele Übereinstimmungen mit der CDU; und ich werde sie wählen, falls die FDP nicht doch noch wirklich bindend und für mich überzeugend ausschließt, daß sie in ein Kabinett Steinmeier eintritt, in welcher Situation auch immer.
gerade eben habe ich noch den Schluß der Wiederholung von "ILLNER intensiv" erwischt. Auf die Frage, was wäre, wenn Seehofer ein klares Bekenntnis zu Schwarz-Gelb forderte, entgegnete Westerwelle, dann käme er "zu spät". Danach kam, wohin denn die Frage nach der "Ampel" führte, woraufhin Westerwelle sagte: "Auf den Friedhof!?" Und dabei hat er deutlich zum Ausdruck gebracht, wie abwegig Gedanken zu einer solchen Koalition sind. Wie ich oben schon angemerkt habe, geht das schon lange so - mal mit dieser, mal mit jener Formulierung. Was ist daran bitte nicht eindeutig?
Bei besten Willen, ich kann nicht entdecken, worauf Sie Ihre Zweifel stützen. Auf die ominösen Unbekannten, die unbedingt in eine Regierung wollen, auch wenn das einem Selbstmordkommando gleichkommt? Sie sprachen von einer verzerrten Wahrnehmung der Union. Nun, kann es sein, daß Sie in dieser Frage die FDP zu negativ beurteilen und zu wenig Vertrauen haben?
Ich habe nichts gegen Stimmen für die Union, aber die FDP nur aus diesem Grund nicht zu wählen, wäre schade.
Zitat von neoliberalerEs wurde hier auch angemerkt, dass irgendwelche "Experten" tatsächlich meinen, es wäre besser gewesen die HRE in den Konkurs gehen zu lassen. So jemanden möchte ich hier den Expertenstatus absprechen !!! Wer HRE sagt muss natürlich auch BLB, Commerzbank und wenn wir über die Landesgrenzen hinaus gehen, RBS, Citigroup, Fortis ... sagen. Und das bedeutet Zusammenbruch des Finanzsystems.
die starke Verflechtung innerhalb des Finanzsystems bringt natürlich wechselseitige Abhängigkeiten mit sich. Insofern ist klar, daß ein Zusammenbruch in der Größenordnung der HRE erhebliche Folgen gehabt hätte. Diese entstünden aber aus dem Forderungsausfall, nicht von der Bank selbst. Von daher habe ich nichts dagegen, wenn der Staat die Gläubiger schützt in so einem Fall, um das System nicht kollabieren zu lassen, aber ich als Bürger habe kein Verständnis dafür, warum zweifelhafte Geschäftsmodelle gerettet werden und Leute, die ganz offensichtlich versagt haben, nicht in die Wüste geschickt werden können. Dies gilt analog für die Landesbanken. In diesem Punkt bin ich ganz bei R.A., der gesagt hat: "Ich hätte Verständnis, wenn der Staat mit Garantien Kaskadeneffekte bei anderen Banken vermeiden hilft (obwohl wohl auch hier ein besseres Insolvenzrecht die geeignetere Lösung wäre). Aber den Bankrotteur selber zu retten ist nicht vertretbar." Letzteres ist doch gerade verantwortlich für Moral Hazard. Auf der einen Seite will man verhindern, daß das Finanzsystem den Bach runtergeht, aber auf der anderen muß eine Mentalität vermieden werden, zu hohe Risiken eingehen zu können, weil zur Not der Staat schon einspringt. Das kann nur erreicht werden, wenn man den Gläubigern hilft, aber nicht der Bank selbst. Oder übersehe ich hier was?
ich bin relativ oft ihrer Meinung, aber an diesem Punkt kann ich sie überhaupt nicht verstehen. Wir befinden uns doch in einer Situation, in der endlich massiv gegengesteuert werden muß. Wenn dies nicht rechtzeitig erfolgt, besteht die Gefahr, daß wir uns bald in einem System wiederfinden, daß dem ähneln wird, welches ich in meiner Jugend kennenlernen durfte. Dann hätten die Liberalen und die Konservativen allerdings wirklich genug Zeit auszudiskutieren, wer an der Situation Schuld trägt.
Mir ist es wirklich vollkommen egal, ob der notwendige Umschwung nun im Namen des Liberalismus, oder im Namen des Konservativismus erfolgt, nur real zustandekommen muß er. (..verdammt noch mal, würde ich mündlich ergänzen ;-) Und weil es im realen Leben nichts in Reinstform gibt, im Gegensatz zur Welt der Zahlen und Theorien, wird er, wenn er denn zustandekommt, auf jeden Fall beide Merkmale tragen. Die gehören ja für mich auch logisch zusammen, im Gegensatz zu einem "liberalen Kommunismus".
Zitat von LlarianFür mich ist die Definition von Liberalismus sehr, sehr wichtig. Denn es ist eine mächtige Forderung sowohl an eine Gesellschaft, wie auch an sich persönlich. Wer liberal sein will, muss viel ertragen. Sehr viel. Etwas was die meisten Menschen nicht können (und das obwohl sich ja nahezu jeder liberal wähnt). Ich bin von der Freiheit überzeugt. Und genau deshalb sehe ich mit Sorge wieviel Leute sich liberal wähnen, aber überhaupt kein Problem mit der Vernichtung der Freiheit anderer haben (damit ist hier niemand persönlich gemeint, ein jeder kann sich selber die Frage stellen, was ihm die Freiheit von 'Managern', 'Kannibalen' oder 'Weiss-der-Kuckuck-für-eine-böse-Person' wert ist). Ich denke man MUSS liberal definieren, sonst ist die ganze Idee sinnlos.
Dieses Statement hat für mich etwas erschreckend absolutes - ich kann den Gedanken nicht verschweigen - in dessen Absolutheit auch sehr deutsches. Schon daß eine Definition für Sie persönlich "sehr, sehr wichtig" ist, gibt mir zu denken. Wäre es nicht besser dem realen Leben Vorrang einzuräumen und auch mal "die fünf gerade sein lassen"? Ich verzichte gerne auf die "Freiheit der Kannibalen", wenn dafür eine freie Presse gewährleistet ist.
auch ich bin oft ihrer Meinung. Und auch diesmal sind wir in der Schlussfolgerung einig, nur nicht welcher Weg dahin führen wird. Wir glauben beide, dass ein dringendes Umsteuern erforderlich ist. Und ebenso gehen wir (vermutlich) beide davon aus, dass zumindest in finanzieller Sicht sowohl ein konservatives wie auch ein liberales Weltbild dafür geeignet wäre. Wo der markante Unterschied ist darin, ob wir die Union für einen wirklich Vertreter einer konservativen Finanzpolitik sehen. Und das sehe ich überhaupt nicht. Ich sehe eine eisenharte konservative Bewegung im gesellschaftspolitischen Bereich. Mit "konservativen" Ansätzen, die ich lange überwunden glaubte. Ich hätte mir vor 20 Jahren nicht wirklich träumen lassen, dass die Union mal versucht den Rechtsstaat einzustampfen. Nicht einmal Manfred Kanther habe ich das zugetraut und den mochte ich schon nicht besonders. Aber ich wollte ja vom Geld reden: Ich sehe bei der Union keine konservative Finanzpolitik. Sondern sozialdemokratische. Ich würde gern welche sehen, das können Sie mir glauben, denn wie ich ja oben bereits bestätigte, glaube ich auch, dass Konservative und Liberale bei den Staatsfinanzen eher zusammenpassen. Aber genau in diesem Bereich, wo eigentlich die Gemeinsamkeiten sein müsste, sehe ich die Union derzeit überhaupt nicht. Es hat weniger mit Konservatismus zu tun als mit dem, was die Union derzeit tut. Ich halte die Union einfach für keine konservative Partei mehr. Ausser in gesellschaftspolitischer Sicht. Und gerade da passt es wieder gar nicht zu den Liberalen.
In Antwort auf:Schon daß eine Definition für Sie persönlich "sehr, sehr wichtig" ist, gibt mir zu denken. Wäre es nicht besser dem realen Leben Vorrang einzuräumen und auch mal "die fünf gerade sein lassen"?
Ich ahnte schon als ich das schrieb, dass ich es besser erklären müsste, aber ich wollte ja niemanden zulabern oder hier zuviel persönliches rauskramen. Jetzt mache ich es doch. Und Sie sind schuld ! :)
Mir ist die Definition von Liberalismus deshalb sehr wichtig, weil ein Teil meiner Person sehr stark durch Freiheit definiert ist. Freiheit und das Streben danach ist ein, wie ich finde, wichtiger Teil meiner Persönlichkeit. Einen, zu dem ich auch erst einen Weg finden musste, von dem ich aber ganz und gar überzeugt bin. Wenn dieser durch Beliebigkeit "abgewertet" wird (was ich Zettel nicht unterstelle, aber die Folge solcher Gleichsetzungen ist), dann habe ich ein Problem damit. Ich mag diese Verwechselung von Liberalismus als "Idee der Freiheit für jeden" mit Beliebigkeit überhaupt nicht. Ich finde, dass dadurch die Idee diskreditiert wird. Wenn man jedem das Etikett liberal zugesteht, dann hat man den Begriff verloren. Vielleicht bin ich auch deshalb so allergisch, weil diese Form von Beliebigkeit einfach viel zu oft in der Vergangenheit mit Liberalismus assoziiert worden ist. Wie wollen wir jemals andere überzeugen, wenn nichtmal klar ist, was es bedeutet ? Wenn sich jeder das aussuchen kann, dann werde ich davon nichtmal ein kleines Kind überzeugen.
In Antwort auf:Ich verzichte gerne auf die "Freiheit der Kannibalen", wenn dafür eine freie Presse gewährleistet ist.
Ich nicht, selbst davon ab, dass ich nicht glaube, dass die beiden Freiheiten ein Gegensatz sind. Ich habe das Beispiel deshalb gewählt, weil ein Kannibale überhaupt keine Sympathien von irgendjemandem erwarten kann. Und dennoch hat er ein Recht auf Freiheit, so lange er damit niemandem schadet. Freiheit darf nicht das sein, was im Interesse der Mehrheit ist oder was die Zustimmung der Mehrheit findet. Freie Presse ist sicher für die Mehrheit wünschenswert, aber darf das auf Kosten einer Minderheit geschehen ? Ich denke nicht. Und da kommen wir wirklich zum Kern dessen, was in meinen Augen liberal ist. Es ist die Freiheit des anderen, aber nicht des anderen, dessen Meinung wir ohnehin sind. Es ist die Freiheit dessen, der anderer Meinung ist, der uns abstösst, den wir nicht mögen, der anders ist. Es ist die Freiheit von Gunther von Hagens seine Leichen auszustellen, es ist die Freiheit des Kannibalen eine Leiche zu verspeisen, die ihm der Verstorbene überlassen hat, es ist die Freiheit eines Menschen mit freiem Willen von einer Brücke zu springen.
DAS ist liberal. Und eine solche, liberale Haltung, ist selten. Denn es ist schwer die eigenen Werte zurückzustellen.
Jetzt habe ich doch ne Bierzeltrede gehalten. Sorry. :)
Zitat von LlarianWo der markante Unterschied ist darin, ob wir die Union für einen wirklich Vertreter einer konservativen Finanzpolitik sehen. Und das sehe ich überhaupt nicht. Ich sehe eine eisenharte konservative Bewegung im gesellschaftspolitischen Bereich. Mit "konservativen" Ansätzen, die ich lange überwunden glaubte. Ich hätte mir vor 20 Jahren nicht wirklich träumen lassen, dass die Union mal versucht den Rechtsstaat einzustampfen....Ich halte die Union einfach für keine konservative Partei mehr.
Mir gefällt natürlich auch eine ganze Menge nicht, an der Union. Wir haben aber keine andere Wahl, als es genau mit dieser Union zu versuchen, denn nur die Union zusammen mit der FDP können diesen Wahnsinn beenden. Ob Frau Merkel mit Engelsgeduld die SPD dorthin manövriert hat, wo sie sich jetzt befindet - oder ob sie in Wirklichkeit schon immer genau diese Politik machen wollte - das werden wir relativ bald erfahren. Ich sehe eine Chance, daß das Erste zutrifft. Auch deswegen, weil immer mehr Leute schon wirklich die Nase voll haben von diesem Unsinn. Das wird auch Frau Merkel nicht entgangen sein. Mehr als eine einigermaßen begründbare Hoffnung ist das nicht, aber was bleibt den sonst übrig?
Zitat von Llarian
Zitat von UngeltSchon daß eine Definition für Sie persönlich "sehr, sehr wichtig" ist, gibt mir zu denken.
Ich ahnte schon als ich das schrieb, dass ich es besser erklären müsste, aber ich wollte ja niemanden zulabern oder hier zuviel persönliches rauskramen. Jetzt mache ich es doch. Und Sie sind schuld ! :)
Mir ist die Definition von Liberalismus deshalb sehr wichtig, weil ein Teil meiner Person sehr stark durch Freiheit definiert ist. Freiheit und das Streben danach ist ein, wie ich finde, wichtiger Teil meiner Persönlichkeit.
Ja, dann muß ich wohl auch: Ich habe ja auch solche "intensiven Anteile" in mir, die irgendwie irgendwann entstanden sind, und die man nicht so schnell loswerden kann und/oder auch will. Es gibt sicher gute Gründe dafür. Machmal sind es Dinge, an denen man das ganze Leben rumkaut, und es kann sich auch noch nach sechzig Jahren recht zäh anfühlen. Trotzdem denke ich, daß es gut ist, wenn man Versucht mit der Zeit etwas milder zu werden, wenn man sich darin übt loszulassen, irgendwann muß man ja doch vollständig loslassen. Andere Leute hatten andere Erlebnisse, haben andere schmerzhafte Stellen in ihrer Biographie, und trotzem muß man versuchen miteinander klarzukommen.
Freiheit ist auch für mich ein wichtiges Element, aber kein so absolutes. So lange ein Gunther von Hagens seine Leichen so ausstellt, daß sie nur die sehen, die sie sehen wollen, ist es für mich (soweit die Leichen auch einverstanden waren) in Ordnung. Wenn ich aber mit meinem kleinem Sohn in der S-Bahn eine halbe Stunde ein solches Plakat anglotzen muß (weil die ganze S-Bahn davon voll ist), daß diese Leichen darstellt, empfinde ich es als Gewalt und Gehirnwäsche. Freiheit ist für mich auch etwas NICHT betrachten zu müssen.
Ich wundere mich überhaupt, daß man dauernd von Feinstaub redet der unsere Lungen angeblich so stark schädigt, aber unseren "Seelen" oder "Gehirnen" - jeder wie er es mag - alles zumuten. Sensiblere Naturen sind natürlich stärker betroffen, sie haben damit sozusagen ungünstigere Umweltbedingungen und werden so auf Dauer wohl rausselektiert werden.
Zitat von LlarianIch mag diese Verwechselung von Liberalismus als "Idee der Freiheit für jeden" mit Beliebigkeit überhaupt nicht. Ich finde, dass dadurch die Idee diskreditiert wird. Wenn man jedem das Etikett liberal zugesteht, dann hat man den Begriff verloren.
Hmm, das ist schwierig, finde ich. Nicht daß sie das nicht mögen, das steht natürlich jedem frei ;-) Aber im Ernst - das hat ja mit der "Kontrolle der Sprache" zu tun, wie es Lion Edler gerade bei ef beschreibt - die Bedeutung entspricht einfach dem, was die Mehrheit darunter versteht. Man kann dafür kämpfen die eigene Bedeutung durchzusetzen, man kann sie aber niemandem vorschreiben. Ich verstehe Liberalismus auch nicht als einen absolut definierten idealen Zustand, sondern mehr als einen Vektor, der eben die "freiheitliche Dimension" eines politischen Systems beschreibt. Und ich finde schon, daß es jedem zusteht, seinen eigenen Standpunkt so zu beschreiben, so wie er es für richtig hält. Widerspruch ist natürlich auch erlaubt ;-)
Zitat von Llarian
Zitat von UngeltIch verzichte gerne auf die "Freiheit der Kannibalen", wenn dafür eine freie Presse gewährleistet ist.
Ich nicht, selbst davon ab, dass ich nicht glaube, dass die beiden Freiheiten ein Gegensatz sind. Ich habe das Beispiel deshalb gewählt, weil ein Kannibale überhaupt keine Sympathien von irgendjemandem erwarten kann. Und dennoch hat er ein Recht auf Freiheit, so lange er damit niemandem schadet.
Die "Freiheit des Kannibalen" und und eine freie Presse sind natürlich kein Gegensatz. Ich redete nur von der Bedeutung der beiden Dinge und von dem Umstand, daß man nie alles gleichzeitig haben kann. Ohne eine freie Presse ist alles Andere auch gefährdet, mit einer "Diskriminierung" der Kannibalen kann ich dagegen schon leben ;-) Ich habe eben den Eindruck, daß man auf diesem Gebiet auch übertreiben kann und so die Grundlagen gefährdet. Das mit "niemandem schadet" ist auch eine sehr schwierige Frage, wer sollte das wirklich beurteilen können? Der Schaden muß ja nicht sofort sichtbar sein, muß nicht sofort eintreten, er kann auch erst über Generationen wirksam werden. Wir gehen doch davon aus, daß wir nicht bereits alles wiisen, alle Zusammenhänge kennen, oder?
Zitat von LlarianUnd da kommen wir wirklich zum Kern dessen, was in meinen Augen liberal ist. Es ist die Freiheit des anderen, aber nicht des anderen, dessen Meinung wir ohnehin sind.
Ja, schon. Aber das bedeutet doch auch nicht, daß nur weil jemand anderer Meinung als man selbst ist, sein Tun damit automatisch als unbedenklich zu erklären ist und wir uns in dem schönen Gefühl sonnen dürfen, wie liberal wir doch sind.
Ich sehe immer so ein Bild vor mir: man wacht im Führerstand einer Dampflok auf, der mit tausenden von Schaltern und Hebeln ausgestattet ist. Die Lok ist unter Volldampf unterwegs und die einzige Information, über die wir zuverlässig verfügen, ist die, daß es schon seit Jahrtausenden so geht. Es ist also mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß die Gleise nicht eben nach der nächsten Bergkuppe verschwunden sein werden. Was ist jetzt angesagt - einfach mal rumprobieren - oder das Ganze ersteinmal mit einer riesigen Portion Respekt zu betrachten?
Der "Korrektheiten-Manfred" hat gestern die Frage nach seiner Liberalität so beantwortet: "Ob man mich “liberal” nennen kann, ist freilich eine Definitionsfrage; “konservativ” trifft’s besser, weil ich der Auffassung bin, dass die Gesellschaft sich Liberalität nur so lange leisten kann, wie die Strukturen stabil sind, auf denen sie beruht.
Das ist eigentlich auch meine Meinung. Wenn die professionellen Menscheitsbeglücker und Weltretter erst einmal definitiv das Sagen haben, hat sich die Liberalität automatisch auch mit erledigt.
Ach, weißt du, lieber Zettel, das Abheben auf Machtperspektiven ist erst erforderlich, wenn man ein Newspeak durchsetzen will, also z.B. etwa in der Form, dass staatliche Kontrolle, Überwachung und Bevormundung positiv mit individueller Freiheit korrelieren könnten. Ich kann mir jedenfalls keine logischen Verrenkungen vorstellen, die einen solchen Schluss ermöglichten. Es sei denn natürlich, man greift auf den alten Trick zurück und definiert Freiheit so, wie man sie haben will, am besten auch noch reichlich teleologisch.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von UngeltMir ist es wirklich vollkommen egal, ob der notwendige Umschwung nun im Namen des Liberalismus, oder im Namen des Konservativismus erfolgt, nur real zustandekommen muß er. (..verdammt noch mal, würde ich mündlich ergänzen ;-) Und weil es im realen Leben nichts in Reinstform gibt, im Gegensatz zur Welt der Zahlen und Theorien, wird er, wenn er denn zustandekommt, auf jeden Fall beide Merkmale tragen. Die gehören ja für mich auch logisch zusammen, im Gegensatz zu einem "liberalen Kommunismus".
Hierher, lieber Ungelt, paßt bestens der verlorengegangene, im Kallias-Schatz gerettete Beitrag, den ich ursprünglich als Antwort auf eine sehr ähnliche Anmerkung von Robert Z. geschrieben hatte.
Robert Z. hatte geschrieben:
Zitat von Robert Z.Liberale und Konservative sind in der heutigen Zeit und in unserem Land natürliche Verbündete, weil unser Land in seiner Grundordnung schon recht liberal ist und weil Änderungswünsche daher meist in eine unliberale Richtung gehen. In der Vergangenheit hätte man mit der konservativen Weltsicht aber Sklaverei, Adelsherrschaft oder die Unterdrückung der Frau rechtfertigen können, denn das Lokomotivenführerstandargument galt natürlich auch damals schon.
Damit haben Sie, lieber Robert, glaube ich den Kern der Sache herauspräpariert.
Die Dichotomie "konservativ-liberal" entstammt dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, als die Konservativen die Besitzer von Grundvermögen waren und die Liberalen das aufstrebende Bürgertum. (Es gab auch ein konservatives Bürgertum, das eine Mittelstellung einnnahm; oft versuchten ja damals Neureiche auch, sich durch den Kauf eines Gutes in die Oberschicht hineinzubewegen).
Mitte des 19. Jahrhunderts war ein tpyischer Konservativer der junge Junker Otto von Bismarck, der die Liberalen haßte: Ein Mann des Adels, der Krone, der Klassengesellschaft, einer autoritären Ordnung. Liberale waren die Burschenschafter, die Revolutionäre von 1848.
Konservative wollten die Freiheit unterdrücken; sie waren Anhänger eines Obrigkeits- und Polizeistaats. Liberale kämpften gegen den Obrigkeits- und Polizeistaat und wollten ihn durch eine freie Republik ersetzen; einen demokratischen Rechtsstaat. Einen größeren Gegensatz kann man sich kaum vorstellen.
In England wurde das politische System folgerichtig durch eine große konservative Partei - die Tories - dominiert und eine große liberale Partei - die Whigs. In Deutschland brachte es das liberale Bürgertum nie zu einer vergleichbaren politischen Wirkung. Das lag wesentlich an einer Zeitverschiebung: Als in Deutschland das liberale Bürgertum endlich seinen Aufstieg hatte, begann bereits die Ära der Sozialdemokratie. In England hat sich das dadurch ausgedrückt, daß die Whigs schrumpften und Labour zum neuen Gegenspieler der Tories wurde.
Wenn Liberale heute den "Obrigkeitsstaat" als ihren Hauptgegner ansehen, dann ist das 19. Jahrhundert.
Wenn ein durch und durch rechtsstaatlich denkender Mann wie Schäuble als eine Art neuer Fouché aufgebaut wird, dann hat das für mich etwas Nostalgisches, um nicht zu sagen Ahistorisches. Es ist ein Denken in längst obsolet gewordenen Kategorien; so wie die Kommunisten unsere Gesellschaft immer noch für eine Klassengesellschaft halten.
Es ist ein in seiner Rückwärtsgewandtheit fast schon gespenstisches Denken. Denn heutige Konservative sind ja nicht mehr kaisertreu und im Klassendenken befangen; sie wollen gerade keinen autoritären Staat.
Sondern sie betonen zum Beispiel christliche Werte, treten für die Bewahrung der eigenen Kultur gegenüber der Kultur von Einwanderern ein, wollen diesen demokratischen Rechtsstaat schützen und erhalten, indem sie ihn gegen den Terrorismus und gegen Kriminalität überhaupt verteidigt wissen wollen.
Vor allem treten heutige Konservative für die Rechte des Einzelnen gegenüber einer Gesellschaft ein, die zunehmend diese Rechte beschneidet. Nicht mehr im Namen von König und Dynastie, sondern im Namen einer Fürsorge für "unsere Menschen".
Die Träger dieser Haltung sind die Angehörigen der neuen Herrschenden Klasse: Staatsbedienstete, vor allem im Bildungs- und Sozialbereich, Mitarbeiter von Verbänden, Gewerkschaften, von Öko-Einrichtungen aller Art, deren gemeinsames Interesse es ist, an die Stelle eines freien Individuums, das ihre Hilfe nicht braucht, die allseitig infantilisierte sozialistische Persönlichkeit treten zu lassen; Menschen, die keine Ware mehr kaufen können, ohne eine "Beratung" in Anspruch genommen zu haben, denen man verbieten muß, in ihrem Haushalt bestimmte Produkte zu verwenden, bis hin zur Glühbirne.
Es ist heute nicht mehr ein barscher Vater Staat, der unsere Freiheit knebeln will, sondern eine sanfte Mutter Staat. Die Mittel und die Begründungen sind verschieden; das Ziel ist dasselbe.
Gegen diese Tendenz zur Entmündigung und Kollektivierung steht heute der Konservativismus, und zwar gemeinsam mit dem Liberalismus. In Europa mußte sich der Konservativismus für diese neuen Fronten wandeln, in den USA überhaupt nicht. Dort sind es traditionell die Konservativen, die die Freiheit des Einzelnen gegen den Staat verteidigen.
In Europa ist Ron Paul das Idol vieler Liberaler. In den USA gilt er als erzkonservativ; wenn auch in der libertären Variante. Völlig undenkbar, daß ein solcher Liberaler in der Partei Obamas wäre. Er gehört zu den Konservativen.
Zitat von LlarianDie Union redet gerne von Freiheit, das ist wahr. Nur bleibt es eben auch bei dem Gerede. Und das macht es fast noch schlimmer als bei den Genossen, die wenigstens nicht vorgeben liberal zu sein. Es ist nichts gewagtes daran festzustellen, dass liberale Prinzipien bei der Union derzeit schlicht nichtexistent sind.
Ich hänge, lieber Llarian, das folgende jetzt einmal hier an, weil es thematisch paßt. Sie hatten einen negativen Kommentar zu Wolfgang Schäuble geschrieben, der im Kallias-Schatz enthalten ist. Ich hatte geantwortet, aber die Antwort kam offenbar zu spät, um noch in das Schatzkästlein zu gelangen. Ich zitiere deshalb jetzt vollständig das, was Sie geschrieben hatten, und rekonstruiere dann meine Antwort, so gut es geht.
Zitat von Llarian
Zitat von ZettelWenn ein durch und durch rechtsstaatlich denkender Mann wie Schäuble
Oh ja, durch und durch:
Zitat von SchäubleDie Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Schuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen. Der Grundsatz kann nicht für die Gefahrenabwehr gelten." - Interview mit dem Stern, Heft 17/2007
"Es macht auf Dauer keinen Sinn, dass die Bundeswehr überall auf der Welt vielfältige Aufgaben wahrnehmen kann, nur nicht in dem Land, in dem das Grundgesetz gilt" - Beitrag im TAGESSPIEGEL am 5. Januar 2007, bmi.bund.de
"In der Tat muss man sich fragen, wie weit das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung gehen kann. Ich habe zum Beispiel verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Verfassungsgericht wirklich entscheiden sollte, für welche Straftaten man welches Instrument gesetzlich vorsehen kann oder nicht. In der einstweiligen Anordnung zur Vorratsdatenspeicherung hat es das getan. Es ist doch Sache des Gesetzgebers, zu sagen: Für diese Straftat kann ich dieses Instrument einsetzen – für jene nicht." - Im Gespräch mit Winfried Hassemer, FAZ, 11. März 2009
"Nicht der Staat bedroht Freiheit und Sicherheit, sondern die Rechtsbrecher. Wer was anderes sagt, ist verrückt." - Rede auf CSU-Wahlkampfveranstaltung am 6. Januar 2008, pr-inside.com
Und natürlich der Klassiker am Ende:
Zitat von Schäuble"Wir hatten den größten Feldherrn aller Zeiten, den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten."
Er steht nicht nur fest auf dem Boden des GG, nein, er trampelt auf noch fest druff rum.
Zunächst, lieber Llarian, eine Vorbemerkung: Ich finde es immer mißlich, mit "Zitaten" konfrontiert zu werden, die ich nicht mühelos nachlesen kann. Ich würde mich deshalb freuen, wenn Sie - wenn alle - es so handhaben würden, wie ich es wenn immer möglich tue: Zusammen mit dem Zitat einen Link zu dem Text setzen, aus dem es entnommen ist.
Nur dann kann man als Leser nachprüfen, ob das Zitat so gemeint ist, wie man vermutet, wenn man es isoliert liest. Sehr oft ist das nicht der Fall. Ich habe das seinerzeit in der Dikussion mit M. Schneider über "Zitate" von Marcel Reich-Ranicki diskutiert, die in ihrem Zusammenhang einen ganz anderen Sinn ergaben, als man beim Lesen des isolierten Zitats vermuten kann. Und ich habe damals, glaube ich, auch erwähnt, daß ich vor Jahren einmal die gängigsten "Churchill-Zitate" nachgeprüft und immer wieder gefunden haben, daß sie sinnentstellend verwendet werden.
Ich schicke dies voraus, weil ich jetzt die Zitate so kommentiere, wie sie beim Lesen des isolierten Auszugs gemeint zu sein scheinen. Sie also mit diesem Vorbehalt kommentiere.
Zitat von SchäubleDie Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Schuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen. Der Grundsatz kann nicht für die Gefahrenabwehr gelten.
Eine vollkommen zutreffende, fast triviale Bemerkung. Ich kenne übrigens niemanden, auch nicht in der FDP, der diesen Unterschied zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr leugnen würde.
Es geht jeweils um eine Güterabwägung. Bei der Strafverfolgung steht auf der einen Seite der Strafanspruch des Staats gegenüber einem Schuldigen, auf der anderen der Anspruch des unschuldigen Bürgers, nicht zu Unrecht verfolgt zu werden. Dieser letztere hat absoluten Vorrang. Verurteilt werden darf nur, wenn die Schuld, wie es im angelsächischen Strafrecht heißt, "beyond reasonable doubt" sicher ist.
Man muß also eher zehn Schuldige laufen lassen, als in Kauf zu nehmen, einen Unschuldigen zu bestrafen.
Bei der Gefahrenabwehr ist das aber nicht so. Man kann nicht zehn Terroranschläge in Kauf nehmen, die man verhindern könnte, wenn man alle Terrorverdächtigen ausweisen würde. Natürlich darf man auch in diesem Bereich niemanden bestrafen, wenn man sich seiner Schuld nicht sicher ist. Das fällt eben unter das oben Erläuterte. Aber man darf - der Staat muß - geeignete Maßnahmen ergreifen, um Gefahren für die Bürger abzuwehren.
Es gibt eine alte Formel: Im Kampf gegen den Terrorismus haben die Terroristen gewonnen, wenn sie neunmal gescheitert sind und beim zehnten Mal eine Katastrophe auslösen konnten. Der Staat hat verloren, wenn er neunmal erfolgreich die Gefahr abgewehrt hat und es beim zehnten mal nicht geschafft hat.
Zitat von SchäubleEs macht auf Dauer keinen Sinn, dass die Bundeswehr überall auf der Welt vielfältige Aufgaben wahrnehmen kann, nur nicht in dem Land, in dem das Grundgesetz gilt
Auch das ist vollkommen richtig. Das strikte Verbot, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, entstammt der Erfahrung mit der Reichswehr und dem Nationalsozialismus. In einer gefestigten Demokratie wie der unseren ist es obsolet.
In den meisten demokratischen Rechtsstaaten gibt es ein solches Verbot nicht. In GB wird die Armee selbstverständlich in Nordirland gegen Terroristen eingesetzt. In den USA hat die Nationalgarde, die ein Teil der Streitkräfte ist, wichtige Aufgaben beim Kampf gegen die Rassentrennung in den sechziger Jahren wahrgenommen. In Frankreich ist die gesamte Gendarmerie Teil der Streitkräfte.
Zitat von SchäubleIn der Tat muss man sich fragen, wie weit das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung gehen kann. Ich habe zum Beispiel verfassungsrechtliche Zweifel, ob das Verfassungsgericht wirklich entscheiden sollte, für welche Straftaten man welches Instrument gesetzlich vorsehen kann oder nicht. In der einstweiligen Anordnung zur Vorratsdatenspeicherung hat es das getan. Es ist doch Sache des Gesetzgebers, zu sagen: Für diese Straftat kann ich dieses Instrument einsetzen – für jene nicht.
Schäuble spricht hier ein auch unter Juristen immer wieder diskutiertes Problem an: Wo endet die Kompetenz des Verfassungsgerichts, wo beginnt diejenige des Gesetzgebers? Es sind Regale von Büchern darüber geschrieben worden, daß das BVerfG dazu neigt, sich zu sehr an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen, indem es diesem Vorschriften macht.
Es geht um das Problem der, wie die Juristen wohl sagen, Kompetenzkompetenz: Wer entscheidet, wie weit die Kompetenz des BVerfG geht? Bisher das BVerfG ...
Zitat von SchäubleNicht der Staat bedroht Freiheit und Sicherheit, sondern die Rechtsbrecher. Wer was anderes sagt, ist verrückt.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung vielleicht a bisserl drastisch formuliert, aber doch trivialerweise zutreffend. Würden uns keine Rechtsbrecher bedrohen, dann brauchten wir überhaupt keine staatlichen Maßnahmen, die auch in unsere Freiheit eingreifen. Der Staat selbst - unser demokratischer Rechtsstaat - hat doch nicht das geringste Interesse daran, Freiheit und Sicherheit seiner Bürger zu bedrohen; warum sollte er denn? Wir leben doch nicht in einem totalitären System, dem seine Untertanen feindlich gegenüberstehen, so daß es sie kujonieren und kontrollieren muß.
Was Sie, lieber Llarian, als den "Klassiker" bezeichnen, das kommentiere icht nicht - es sei denn, Sie erklären mir erst einmal, was sie daran beanstandenswert finden.
Zitat von RaysonAch, weißt du, lieber Zettel, das Abheben auf Machtperspektiven ist erst erforderlich, wenn man ein Newspeak durchsetzen will, also z.B. etwa in der Form, dass staatliche Kontrolle, Überwachung und Bevormundung positiv mit individueller Freiheit korrelieren könnten. Ich kann mir jedenfalls keine logischen Verrenkungen vorstellen, die einen solchen Schluss ermöglichten. Es sei denn natürlich, man greift auf den alten Trick zurück und definiert Freiheit so, wie man sie haben will, am besten auch noch reichlich teleologisch.
Einen Trick kann ich darin nicht sehen, lieber Rayson; jeder ist in seinen Definitionen frei.
Nur hattest du geschrieben:
Zitat von RaysonAber dass du zugunsten der Verbrechensprävention und der Verfolgung von Straftaten deutliche Abstriche beim Recht des Bürgers auf Privatsphäre zu machen bereit bist, eben das mag von edelmütig bis unbedingt geboten alles mögliche sein, nur eins ist es nicht: liberal.
Ich bestreite, daß das nicht liberal ist.
Wo steht denn geschrieben, daß Liberale Terroranschläge in Kauf nehmen müssen, nur damit es dem Staat verboten bleibt, die Computer potentieller Terroristen zu durchsuchen?
Nur um diese geht es ja; weder will die Union das "Recht des Bürgers auf Privatsphäre" einschränken, noch würde ich das gutheißen.
Was tatsächlich eine Einschränkung ist, die alle Bürger trifft, das ist die faktische Aufhebung des Bankgeheimnisses. Aber die geht nicht auf Wolfgang Schäuble zurück, sondern auf den SPD-Finanzminister Eichel, wenn ich mich recht erinnere.
Wie überhaupt die seltsame Vorstellung weit verbreitet zu sein scheint, die FDP hätte mit der SPD (oder gar mit den Grünen) in Sachen Freiheitsrechte mehr Gemeinsamkeiten als mit der Union. Die Grünen und die SPD sind die beiden freiheitsfeindlichen Parteien in Deutschland, übertroffen nur von den Kommunisten und den Nazis.
auch ich muss rekostruieren, was ich auf den verlorenen Beitrag antwortete. Die Reihenfolge geht jetzt a bissel durcheinander: Die Zitate stammen bis auf das letzte von Wikiquote und können dort sowohl nachgelesen wie auch nachverfolgt werden, wenn einen der Kontext interessiert (keine Sorge, der Herr Schäuble wird schon genau so veratanden, wie er es auch im Kontext sagt). Das letzte stammt aus der TAZ, der erste google-Treffer sitzt sofort.
In Antwort auf:Man muß also eher zehn Schuldige laufen lassen, als in Kauf zu nehmen, einen Unschuldigen zu bestrafen. Bei der Gefahrenabwehr ist das aber nicht so. Man kann nicht zehn Terroranschläge in Kauf nehmen, die man verhindern könnte, wenn man alle Terrorverdächtigen ausweisen würde.
Ich würde sagen, damit haben Sie die absolute Paradevorlage gelegt, warum man genau das tun muss. "Terrorverdächtige" haben wir in Deutschland zehntausende. Und wir weisen sie nicht aus. Denn verdächtigen kann man viele Leute. Wolfgang Schäuble mit seiner Vorratsdatenspeicherung verdächtigt gar alle Leute, die ein Handy oder einen Computer haben. Nun können wir nicht alle ausweisen. Der Grundsatz der Gefahrenabwehr gilt im Strafrecht nicht weniger als in der normalen Polizeiarbeit. 10 Schuldige laufen zu lassen entspricht einer ganz ordentlichen Gefahr. Und trotzdem tun wir das, weil wir in einem Rechtsstaat leben. Dieser Rechtsstaat hat eben nicht das Recht jeden zu verdächtigen, weil der Innenminister eine Angstneurose hat. Gefahrenabwehr ist doch keine Rechtsfertigung unsere Grundrechte einzustampfen.
Ich hatte es schon geschrieben, aber da ja einiges verloren gegangen ist, erneuere ich es: Lesen Sie mal ein paar Wochen das lawblog und sehen sich an, was mit Gefahrenabwehr heute so getrieben wird und wie skandalös das ist.
Davon ab, es ist ein Witz, geradezu ein Wahnwitz, unsere Grundrechte für etwas zu opfern, was faktisch ein riesengrosses Gespenst ist. Die Wahrscheinlichkeit bei einem Autounfall zu sterben, ist POTENZEN höher als bei einem Anschlag. Und mit diesem Phantom erdreistet sich dieser Mann Grundrechte zu beschneiden, die man im Zusammenhang mit Strassenverkehr ja nicht einmal diskutieren würde. Was meinen Sie, was für eine Gefahrenabwehr das wäre, jedem, der zu schnell gefahren ist, den Führerschein weg zu nehmen ? Ich wette, wir würden innerhalb eines Jahres mehr Menschen das Leben retten als in 20 Jahren Terror. Ich bin beruflich mit Sicherheit weit üderdurchschnittlich exponiert Opfer eines Anschlages zu werden. Und glauben Sie ernsthaft, ich habe Angst davor ? Ich habe Angst in einem Staat aufzuwachen, dass das Rechtsverständnis eines Wolfgang Schäuble implementiert. Davor habe ich ganz reale Angst.
In Antwort auf: Das strikte Verbot, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, entstammt der Erfahrung mit der Reichswehr und dem Nationalsozialismus. In einer gefestigten Demokratie wie der unseren ist es obsolet.
Ich denke nicht. Und ich denke, die Verfassung sieht das auch nicht so. Da ist nicht die Rede von einer gefestigten Demokratie. Wie Sie das bewerten ist ihre Sache (ich sehe es genau anders), aber die Verfassung steht auf meiner Seite. Auf der, nach ihrem Bekunden, ja Wolfgang Schäuble auch stehen müsste.
In Antwort auf:Wo endet die Kompetenz des Verfassungsgerichts, wo beginnt diejenige des Gesetzgebers?
Ist doch im GG genau geregelt, genau da, wo es um das Grundgesetz geht. Es zeugt genau vom Rechtsverständnisses eines Wolfgang Schäuble, dass er meint die Mittel zu bewerten, die ein Staat einsetzt, stünde allein ihm, dem Gesetzgeber zu. Denn genau da hat er sich geschnitten. Das was Wolfgang Schäuble sich vorstellt, ist exakt die Abschaffung dieses Gesetzes.
In Antwort auf:Der Staat selbst - unser demokratischer Rechtsstaat - hat doch nicht das geringste Interesse daran, Freiheit und Sicherheit seiner Bürger zu bedrohen; warum sollte er denn?
Es ist schwer, dass jetzt nicht sarkastisch zu kommentieren. Was ist denn der Zweck des Grundgesetzes ? Das richtet sich doch nicht gegen Verbrecher. Es richtet sich gegen den Gesetzgeber und bindet ihn. Deswegen heult ja Schäuble so rum, deswegen mault er über das BVerfG, deswegen gerät er damit ja ständig aneinander. Das Grundgesetz ist ein direktes Resultat darauf, dass man weder der Demokratie noch einer Regierung traut, die Freiheit und die Rechte seiner Bürger permanent zu respektieren. Gut, dass wir es haben. Noch.
Was das letzte Zitat angeht: Zum einen sollten sich in einer solchen Frage Nazi-Vergleiche verbieten, wie eigentlich in nahezu jeder Diskussion mit Andersmeinenden. Das gilt auch für einen Innenminister. Das Wolfgang Schäuble aber zu der Tatsache, dass wir tatsächlich die umfassendste Verfassungsbeschwerde in der Zeit des GG vorliegen haben, mit platten Versuchen sich über seine Gegner lustig zu machen, reagiert, zeigt ziemlich eindeutig welch Geistes Kind er ist. Er hat überhaupt keine Bedenken, was er da tut. Und es macht ihm nicht einmal etwas aus, das Gesetze, die er produziert an der Verfassung scheitern. Eigentlich müsste jeder Politiker, der Teil eines solchen Gesetzes wäre, sofort sein Amt verlassen. Denn das Gesetz, dass er geschworen hat zu verteidigen, das Gesetz wollte er brechen. Schäuble tut das des öfteren. Und es juckt ihn nicht. Seine Geisteshaltung ist es, diejenigen, die Sorgen um die Verfassung haben, mit Nazivergleichen zu belegen. Na Mahlzeit.
Zitat von Llarian"Terrorverdächtige" haben wir in Deutschland zehntausende. Und wir weisen sie nicht aus. Denn verdächtigen kann man viele Leute. Wolfgang Schäuble mit seiner Vorratsdatenspeicherung verdächtigt gar alle Leute, die ein Handy oder einen Computer haben. Nun können wir nicht alle ausweisen.
Nein, es gibt nicht Zehntausende Terrorverdächtige in Deutschland. Es gibt vielleicht ein paar Dutzend, von denen man weiß, daß sie in einem Terrorlager ausgebildet wurden, daß sie eine fanatische Gesinnung haben, daß sie Kontakt zur Kaida oder anderen derartigen Organisationen haben usw.
Diese müssen rund um die Uhr überwacht werden, was ein immenser, aber unvermeidbarer Aufwand ist. Und die Behörden müssen es schaffen, rechtzeitig vor Ort zu sein, um einen geplanten Anschlag zu vereiteln, wie bei der Sauerlandgruppe. Das ist Gefahrenabwehr; die Ausweisung war nur ein Beispiel für eine unter vielen Maßnahmen,
Was nun die Vorratsdatenspeicherung angeht, so ist es schlicht ein Irrtum, daß damit alle, die ein Handy oder einen Computer haben, "verdächtigt" werden. Die Daten werden ja nicht verwendet, solange es keinen konkreten Verdacht gibt; und auch dann nur unter richterlicher Kontrolle.
Ebenso könnten Sie argumentieren, alle Passanten würden "verdächtigt", die im Blickfeld von Überwachungskameras auf öffentlichen Straßen oder Plätzen sind, oder alle Besucher eines Fußballstadions, die bekanntlich gefilmt werden, um eventuelle Hooligans später identifizieren zu können. Oder sie könnten argumentieren, daß jeder Käufer im Warenhaus "verdächtigt" wird, weil ja auch dort Überwachungskameras hängen.
Überwiegend kommt die Propaganda gegen solche Maßnahmen von links. Ich erinnere mich noch lebhaft an die Ängste vor dem "Überwachungsstaat" die anläßlich der Volkszählung 1987 mit einem riesigen Agitprop-Aufwand geschürt wurden. Wahrscheinlich rührt aus derartigen Erfahrungen meine tiefe Abneigung gegen diese Art von Kritik an unserem Staat.
Zitat von LlarianDieser Rechtsstaat hat eben nicht das Recht jeden zu verdächtigen, weil der Innenminister eine Angstneurose hat. Gefahrenabwehr ist doch keine Rechtsfertigung unsere Grundrechte einzustampfen.
Sehen Sie, das ist die Art von Polemik, mit der ich nichts, wirklich gar nichts anfangen kann. Glauben Sie ernsthaft, Schäuble sei ein Neurotiker? Glauben Sie ernsthaft, bei uns würden die Grundrechte nicht mehr gelten?
Zitat von LlarianIch bin beruflich mit Sicherheit weit üderdurchschnittlich exponiert Opfer eines Anschlages zu werden. Und glauben Sie ernsthaft, ich habe Angst davor ? Ich habe Angst in einem Staat aufzuwachen, dass das Rechtsverständnis eines Wolfgang Schäuble implementiert. Davor habe ich ganz reale Angst.
Wenn ich auf Ihrem Level antworten würde, lieber Llarian, dann würde ich jetzt die Frage stellen, ob vielleicht Sie unter einer Angstneurose (ich glaube, Sie meinen eher eine Phobie) leiden.
Aber nein, ich tue das natürlich nicht.
Ich möcht nur darauf aufmerksam machen, daß es ja nicht um das Sicherheitsgefühl des Einzelnen geht. Jedes kleine Mädchen, das allein durch eine einsame Gegend läuft, ist statistisch gesehen in einer nur minimalen Gefahr, Opfer eines Sexualtäters zu werden. Aber es kann eben passieren, und dann ist es so entsetzlich, daß das einen großen Aufwand der Gefahrenabwehr lohnt.
So ist es auch bei Terroranschlägen. Zum einen sind die Opfer meist zahlreich, und sie leiden schrecklich, weil sie verbrennen oder, wenn sie überleben, ihnen Gliedmaßen abgerissen, das Gesicht weggesprengt wird; dergleichen.
Und zum anderen zielen ja Terroristen nur deshalb auf zivile Opfer, weil sie sich davon eine Propagandawirkung, eine Destabilisierung unseres Staats versprechen. Was glauben Sie, was es für Vorwürfe gegen Schäuble und die Sicherheitsbehörden geben würde, wenn in Deutschland ein Anschlag wie in London und wie in Madrid gelingen würde?
Zitat von Llarian
In Antwort auf: Das strikte Verbot, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen, entstammt der Erfahrung mit der Reichswehr und dem Nationalsozialismus. In einer gefestigten Demokratie wie der unseren ist es obsolet.
Ich denke nicht. Und ich denke, die Verfassung sieht das auch nicht so. Da ist nicht die Rede von einer gefestigten Demokratie. Wie Sie das bewerten ist ihre Sache (ich sehe es genau anders), aber die Verfassung steht auf meiner Seite. Auf der, nach ihrem Bekunden, ja Wolfgang Schäuble auch stehen müsste.
Ich habe ja erläutert, welchen historischen Erfahrungen diese Verfassungsbestimmung enstammt. Ob man die Verfassung in diesem Punkt ändern sollte, so wie man zahllose Bestimmungen geändert hat, kann man diskutieren. Aber darum geht es mir gar nicht, sondern darum, daß die Äußerung von Schäuble ihn jedenfalls nicht als Demokraten disqualifiziert.
Zitat von Llarian
In Antwort auf:Wo endet die Kompetenz des Verfassungsgerichts, wo beginnt diejenige des Gesetzgebers?
Ist doch im GG genau geregelt, genau da, wo es um das Grundgesetz geht. Es zeugt genau vom Rechtsverständnisses eines Wolfgang Schäuble, dass er meint die Mittel zu bewerten, die ein Staat einsetzt, stünde allein ihm, dem Gesetzgeber zu. Denn genau da hat er sich geschnitten. Das was Wolfgang Schäuble sich vorstellt, ist exakt die Abschaffung dieses Gesetzes.
Ich kann Ihnen nicht folgen. Es gibt, wie ich geschrieben habe, diese juristische Diskussion über die Kompetenzverteilung zwischen den Gesetzgebungsorganen und dem BVerfG. Schäuble hat in dieser Diskussion eine Position bezogen, die er mit vielen Juristen teilt. Wiederum rechtfertigt Ihr Zitat keinen Vorwurf gegen Schäuble, das ist mein Punkt.
Zitat von Llarian
In Antwort auf:Der Staat selbst - unser demokratischer Rechtsstaat - hat doch nicht das geringste Interesse daran, Freiheit und Sicherheit seiner Bürger zu bedrohen; warum sollte er denn?
Es ist schwer, dass jetzt nicht sarkastisch zu kommentieren. Was ist denn der Zweck des Grundgesetzes ? Das richtet sich doch nicht gegen Verbrecher. Es richtet sich gegen den Gesetzgeber und bindet ihn. Deswegen heult ja Schäuble so rum, deswegen mault er über das BVerfG, deswegen gerät er damit ja ständig aneinander. Das Grundgesetz ist ein direktes Resultat darauf, dass man weder der Demokratie noch einer Regierung traut, die Freiheit und die Rechte seiner Bürger permanent zu respektieren.
Sie irren. Das Grundgesetz regelt, wie jede freiheitliche Verfassung, den Aufbau des Staats und die Rechte und Pflichten der Staatsorgane und der Bürger. Natürlich sind darin die Rechte der Bürger wichtig; aber das Grundgesetz als Ausdruck eines Mißtrauens gegen die Demokratie zu deuten ist, seien Sie nicht böse, absurd.
Zitat von LlarianWas das letzte Zitat angeht: Zum einen sollten sich in einer solchen Frage Nazi-Vergleiche verbieten, wie eigentlich in nahezu jeder Diskussion mit Andersmeinenden. Das gilt auch für einen Innenminister.
Mir hat der Vergleich auch nicht gefallen. Aber wie alle Ihre Zitate rechtfertigt auch dieses es in keiner Weise, in Zweifel zu ziehen, daß Wolfgang Schäuble ein rechtsstaatlich denkender Mann ist.
Ich kann die Heftigkeit Ihrer Polemik wirklich nicht nachvollziehen. Man kann bei der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit, die in jedem demokratischen Rechtsstaat ein immerwährendes Problem ist, die Akzente anders setzen als Schäuble. Ich tue das in manchen Punkten auch. Sie haben jedes Recht, den Akzent radikal anders zu setzen.
Aber deswegen bestreite ich Ihnen doch nicht, ein Demokrat zu sein und rechtsstaatlich zu denken. Und ebenso sollten Sie, meine ich, das nicht bei Wolfgang Schäuble tun.
Zitat von Zettel Ebenso könnten Sie argumentieren, alle Passanten würden "verdächtigt", die im Blickfeld von Überwachungskameras auf öffentlichen Straßen oder Plätzen sind, oder alle Besucher eines Fußballstadions, die bekanntlich gefilmt werden, um eventuelle Hooligans später identifizieren zu können. Oder sie könnten argumentieren, daß jeder Käufer im Warenhaus "verdächtigt" wird, weil ja auch dort Überwachungskameras hängen.
Nach dem Lesen dieses ZEIT-Artikels wird man schon ein wenig nachdenklich, wenn es um die Sicherheit geht. Mir geht es jedenfalls so.
Zitat von ZEITWenn die Politik also behauptet, »Sicherheit« für die Bürger gewährleisten zu wollen, nährt sie einen gefährlichen Irrglauben. Wann wären Sie denn sicher? Wenn es keine Terroristen mehr gäbe? Oder keine Krankheiten? Wenn Sie das Haus nicht verließen? Wenn Sie monatlich 3000 Euro Staatsrente erhielten? Wenn kein Freund Sie verriete, kein Geliebter Sie verletzte? Oder wenn der Tod endlich abgeschafft würde?
Gruß, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Zitat von CalimeroNach dem Lesen dieses ZEIT-Artikels wird man schon ein wenig nachdenklich, wenn es um die Sicherheit geht. Mir geht es jedenfalls so.
Hm, lieber Calimero, es steht ja eigentlich nichts drin, was man nicht schon xfach gelesen hätte. Nur etwas eindringlicher formuliert; Juli Zeh ist ja schließlich eine exzellente Schriftstellerin. (Ich würde mich nicht trauen, einen Artikel zu schreiben, der nichts Neues enthält).
Was da geäußert wird und was wir immer wieder lesen und hören, das sind ja nichts als Befürchtungen. Mich würde interessieren, wer - hier im Forum, im Bekanntenkereis von Foranten - schon einmal Nachteile dadurch erlitten hat, daß es Überwachungskameras, Vorratsdatenspeicherung usw. gibt.
Ich nicht. Ich kenne niemanden, der hätte.
Die Ängste sind real, lieber Calimero. So real wie die Angst vor der Hölle im Mittelalter. Aber können wir sicher sein, daß es deshalb die Hölle gibt?
In Antwort auf:Die Daten werden ja nicht verwendet, solange es keinen konkreten Verdacht gibt; und auch dann nur unter richterlicher Kontrolle.
Diese Aussage ist schlicht weltfremd, auch wenn es unhöflich ist, es so direkt zu sagen. Daten wecken Begehrlichkeiten, Daten werden missbraucht, die Presse ist voll von diesen Begehrlichkeiten und einem Innenministerium, dass heimliche Hausdurchsuchungen durchführen möchte, zu vertrauen, dass es sich an irgendwelche Richtervorbehalte hält, nun denn, das finde ich schon fast humoristisch. Diese Daten werden ausgewertet, da können Sie Gift drauf nehmen.
In Antwort auf:Oder sie könnten argumentieren, daß jeder Käufer im Warenhaus "verdächtigt" wird, weil ja auch dort Überwachungskameras hängen.
Tatsächlich ist genau das die übliche Argumentation im Arbeitsschutz, warum Arbeitgeber eben nicht in ihrer ganzen Firma Kameras aufhängen dürfen, bzw. selbst bei existierenden Kameras nur wenig aufgezeichnet werden darf. Ich finde diese Argumentationslinie auch mehr als bedenklich, denn ich frage mich, ob Sie auch eine Kamera bei sich im Wohnzimmer dulden wollen, denn zum einen haben Sie ja nichts zu verbergen, zum anderen könnte man Ihnen ja "versprechen", dass man diese Bänder nur nach richterlicher Prüfung prüfen würde. Irgendwie vermute ich, auch Sie hätten Bedenken. In diesem Fall. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit der Öffentlichkeit. Ich betrachte meine Internetbesuche ebenso als privat.
In Antwort auf:Glauben Sie ernsthaft, Schäuble sei ein Neurotiker? Glauben Sie ernsthaft, bei uns würden die Grundrechte nicht mehr gelten?
Zur Frage 1: Jein. Ein Neurotiker klingt irgendwie nett harmlos. Wie jemand, der einen Spleen hat. Aber das er eine schwere Neurose hat, die sich aus seiner tragischen Geschichte ergibt, das glaube ich in der Tat. Ich glaube das jemand, der Opfer einer solche schweren Gewalttat wurde, nur schlecht ein Verhältnis zwischen Schutz und Risiko definieren kann. Risiken hinzunehmen ist schwer, wenn man mal Opfer eines solchen wurde. Was die zweite Frage angeht, so gibts da einen schönen Satz von Campino, den ich nur sinngemäß zitieren kann: Man sollte sich darüber klar sein, dass die Grundrechte eines Menschen nicht mehr gelten, wenn das Wort "Zugriff" zu hören ist. Das ist sehr krass formuliert. Und trotzdem hat es was sehr Wahres. Ich habe nicht das grosse Interesse daran zuviel aus meinem privaten Bereich preiszugeben, aber ich weiss nicht aus Erzählungen was ein Kessel ist, was eine Freiheitsberaubung ist und wie Grundrechte von der Exekutive ausgelegt werden können. Ich glaube, dass eine Exekutive immer auf Kriegsfuß mit den Grundrechten steht. Und es eine ganz dumme Idee ist, dieses Gleichgewicht zu stark zu verschieben. Natürlich kann jeder den Staat und die Polizeiorgane ganz unterschiedlich erleben. Aber ebensowenig wie man es grundsätzlich in Frage stellen sollte, dass jemand immer nur "Friede-Freude-Eierkuchen" mit dem Staat erlebt hat, so sollte man anderen nicht unterstellen, sie würden sich das alles ausdenken, weil sie "links" oder generell mit dem Staat auf Kriegsfuß stünden. Vielleicht redet einfach nicht jeder gern darüber.
In Antwort auf:Jedes kleine Mädchen, das allein durch eine einsame Gegend läuft, ist statistisch gesehen in einer nur minimalen Gefahr, Opfer eines Sexualtäters zu werden. Aber es kann eben passieren, und dann ist es so entsetzlich, daß das einen großen Aufwand der Gefahrenabwehr lohnt.
Ein schönes Beispiel. Und gehen wir jetzt im Namen der Gefahrenabwehr hin und fordern alle männlichen Personen zwischen 14 und 70 Jahren zu einer Gendatenbank auf ? Oder legen ihnen Fußfesseln an, damit wir wissen, wo sie gerade sind ? Wenn im Rahmen der Gefahrenabwehr keine Verhältnismäßgkeit existiert, dann müssen wir das dringend tun. Ich kenne niemanden, der das will. Obwohl, zumindest die Datenbank kann ich mir bei Schäuble vorstellen, ich meine auch mich zu erinnern, dass zumindest Leute wie er, dass vor Jahren diskutiert haben.
In Antwort auf:Was glauben Sie, was es für Vorwürfe gegen Schäuble und die Sicherheitsbehörden geben würde, wenn in Deutschland ein Anschlag wie in London und wie in Madrid gelingen würde?
Und das gibt ihm das Recht den Rechtsstaat abzuschaffen ? Wenn eine Wirtschaftskrise kommt, gehts auch gerne gegen den Wirtschaftsminister. Aber ich glaube nicht, dass man ihm vorwerfen würde, nicht rechtzeitig den Kapitalismus abgeschafft zu haben. Hat man auch diesmal nicht getan. Niemand sagt, dass Schäuble nicht seine Arbeit tun soll. Das schliesst aber nicht das Umhacken des Rechtsstaats ein. SELBST wenn er dadurch sein Ziel erreicht. Ich würde es auch nicht vorziehen, keine Wirtschaftskrise zu haben, wenn wir dafür im Sozialismus leben würden. Genaugenommen geht es dabei um eine der simpelsten Erkenntnisse der Welt: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Auch nicht in der Abwehr von Terrorphantomen.
In Antwort auf:Aber darum geht es mir gar nicht, sondern darum, daß die Äußerung von Schäuble ihn jedenfalls nicht als Demokraten disqualifiziert.
Wer redet von Demokratie ? Ob Schäuble ein Demokrat ist, interessiert mich nur am Rande. Mich interessiert der Rechtsstaat. Und dieser Rechtsstaat, so wie er hier existiert hat, dass ist nicht das, was Wolfgang Schäuble will. Ob er Demokrat ist juckt mich nicht, demokratische Kontrolle schützt nicht meine Grundrechte. Hat sie nie getan und wird sie nie tun.
In Antwort auf:Ich kann Ihnen nicht folgen. Es gibt, wie ich geschrieben habe, diese juristische Diskussion über die Kompetenzverteilung zwischen den Gesetzgebungsorganen und dem BVerfG.
Diese Verteilung kann man diskutieren wie man will, sie ist Teil unseres Grundgesetzes. Und daran hat niemand die Axt zu legen, egal wieviel Leute das diskutieren oder nicht. Und ich glaube nebenbei, dass wenn auch viele sich Gedanken darüber machen, ob das BVerfG nicht auch vielleicht kontrolliert werden müsste, niemand deswegen meint ein Gesetzgeber könne die Mittel seiner Verwaltung in völliger Ignoranz des Grundgesetzes selbst festlegen. Denn das ist ja das skandalöse. Es geht nicht um das Gericht und seine Kompetenz oder die Frage, wem das Gericht eigentlich gegenüber verantwortlich ist. Es geht darum, dass Schäuble diese Kompetenz will, die ihm die Verfassung, aus gutem Grund, nicht zubilligt.
In Antwort auf:Natürlich sind darin die Rechte der Bürger wichtig; aber das Grundgesetz als Ausdruck eines Mißtrauens gegen die Demokratie zu deuten ist, seien Sie nicht böse, absurd.
Das was Sie als absurd bezeichnen, halte ich für trivial und vollkommen offenkundig. Seien auch Sie nicht böse. Es hat schon seinen Grund, warum die Grundrechte egal mit welche demokratischen Mehrheit nicht angetastet werden dürfen. Die Ewigkeitsgarantie ist ziemlich eindeutig und sagt klar, was man demokratisch darf und was nicht. Ich finde das nicht nur einen Ausdruck des Mißtrauens, ich finde es schreit einen an.
In Antwort auf:Aber deswegen bestreite ich Ihnen doch nicht, ein Demokrat zu sein und rechtsstaatlich zu denken.
Meine Basis ist das Grundgesetz, ich fühle mich da ziemlich sicher. Und wenn jemand bestreitet, dass ich dem Rechtsstaat anhänge: Es ist ein freies Land. Nur bin ich nicht der Innenminister und ich mache keine Gesetze, die permanent an der Verfassung scheitern. Ich maule auch nicht gegen das Verfassungsgericht, auch wenn ich nicht jede Entscheidung teile.
wenn ich es richtig sehe, nähern wir uns auch in der Diskussion zu diesem Thema - wie zuvor in den Diskussion zur CDU - dem Punkt, wo die wichtigsten Argumente ausgetauscht sind und wir nur darin übereinstimmen können, nicht übereinzustimmen.
Ich habe auch hier gern mit Ihnen diskutiert. Erstens, weil Sie immer fair und unpolemisch geblieben sind und auch ich mich darum bemüht habe. Zweitens, weil ich Ihre Position und Ihre Erläuterungen dazu sozusagen mit wachsendem Staunen aufgenommen habe - daß jemand, der intelligent und integer ist, subjektiv in einem so völlig anderen Land leben kann als ich, das hat mich schon fasziniert.
Und drittens, weil es ja um ein sehr zentrales Thema geht: Wie stehen wir zu diesem Staat? Worin sehen wir als Liberale die Gefahren und die Chancen dieser Gesellschaft?
Ich will deshalb noch einmal meine Sicht auf diesen Staat und diese Gesellschaft umreißen; viel Neues werden Sie nicht lesen, aber vielleicht dient es trotzdem dem gegenseitigen Verständnis. Ich knüpfe an diesen historischen Abriß zu Konservativismus und Liberalismus an.
Bis in die Weimarer Republik hinein gab es in Deutschland eine starke, bis 1918 dominierende konservative Oberschicht, die in der Demokratie eine Gefahr für ihre Privilegien sah. Innerhalb von ihr gab es viele Strömungen, von völkisch-antisemitischen bis hin zu aufgeklärten Konservativen wie den Verschwörern des 20. Juni, die unbedingt rechtsstaatlich gesonnen waren, aber einen autoritären Rechtsstaat wollten.
Allen diesen Konservativen war gemeinsam, daß sie die staatliche Ordnung für wichtiger hielten als die Freiheit des Einzelnen.
Nach der Katastrophe des Nazismus und des Zweiten Weltkriegs spielte diese Schicht so gut wie keine Rolle mehr. Sie war schon in der Weimarer Zeit eines Teils ihrer Privilegien verlustig gegangen; der egalitäre Nazismus hatte diese weitgehend beseitigt. Die Umkremplung der Gesellschaft in der Nachkriegszeit tat ein Übriges.
Dies hatten die Nazis mit ihrer mörderischen Politik bewirkt: Nie in der deutschen Geschichte und nur ganz selten in der Geschichte anderer Länder gab es einen solchen radikalen Neuanfang wie nach 1945. Es war wirklich die "Stunde Null".
In der Bundesrepublik entstand eine demokratisch gesonnene Gesellschaft; die erfolgreiche Reeducation hatte daran einen wesentlichen Anteil gehabt. Mit Ausnahme unbedeutender Extremisten waren alle Politiker Demokraten und überzeugte Anhänger des Rechtsstaats. Viele - und zwar in allen Parteien - waren in der Emigration gewesen oder hatten, wie Konrad Adenauer, die Nazizeit überstanden, ohne sich mit den Nazis gemein zu machen.
Es fand damals ein weitaus radikalerer Austausch der führenden Politiker, der gesellschaftlichen Eliten statt als nach 1989 in den zuvor kommunistischen Ländern.
Für die konservative Oberschicht war es essentiell gewesen, die Bürger zu überwachen und unter Kontrolle zu halten; denn sie fürchtete ja die demokratische Revolution. Erst Recht galt das natürlich für die Nazis und für die Kommunisten in der DDR, die deren Tradition fortsetzten. Alles das, was Sie, lieber Llarian, heute noch befürchten, mußte jeder Demokrat und jeder rechtsstaatlich Gesonnene unter der Herrschaft dieser Oberschicht zu Recht befürchten: Bespitzelung, Gesinnungsschnüffelei.
In der Bundesrepublik gab es dafür nie einen Grund und nie ein Motiv. Die Bevölkerung hat diesen Staat spätestens von 1950 an (als das Wirtschaftswunder begann) in ihrer überwältigenden Mehrheit bejaht und tut das bis heute. Welches Interesse sollten Vetreter dieses Staats daran haben, uns, dieser Bevölkerung, zu mißtrauen, so wie die Konservativen des 19. Jahrhunderts, wie die Nazis und die Kommunisten ihrer jeweiligen Bevölkerung zu Recht mißtraut haben?
Alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr, der Vorsorge für den Fall eines Notstands usw. richteten und richten sich nicht gegen die gesetzestreue, demokratisch und rechtsstaatlich eingestellte Bevölkerung, sondern gegen solche Personen und Gruppierungen, deren Ziel die Beseitigung dieses demokratischen Rechtsstaats ist - in den fünfziger Jahren die verbliebenen Nazis und die Kommunisten; deren jeweilige Parteien wurden verboten. Heute dazu noch die Islamisten.
Wolfgang Schäuble ist ein konsequener Vertreter dieser demokratisch-rechtsstaatlichen Haltung; der "wehrhaften Demokratie". Es gibt nicht den Schatten eines Hinweises darauf, daß er in der Tradition der Konservativen des 19. Jahrhunderts, der Nazis und der Kommunisten die Rechte der Bürger einschränken will. Aber er kämpft, wie es seines Amtes ist, wie alle seine Vorgänger gegen diejenigen, die unseren demokratischen Rechtsstaat gefährden. Vielleicht spricht er darüber ehrlicher als mancher seiner Vorgänger, die, von Baum bis Schily, faktisch dieselbe Politik betrieben, sie aber mehr oder weniger drapiert haben.
Wie kommt es nun, daß das so oft falsch gesehen wird? Daß Sie, lieber Llarian, Schäuble in der Tradition der Antidemokraten sehen, der Rechtsstaatsfeinde, gegen die Schäuble doch gerade unseren Staat schützen will?
Das ist, glaube ich, eine lange Geschichte. Sie hat vor allem etwas mit der unheiligen Allianz zwischen Kommunisten und linken Demokraten schon in der Weimarer Zeit zu tun, die sich in die Bundesrepublik hinein fortgesetzt hat.
Die Kommunisten und haben größtes Interesse daran, die Bundesrepublik in die Tradition des Obrigkeitsstaats des 19. Jahrhunderts und des Nazismus zu stellen. Das entspricht ihrer Faschismus-Theorie; das legitimiert sie als die Verteidiger von Demokratie und Rechtsstaat. In der Zeit des Kalten Kriegs diente es vor allem auch dazu, die Bundesrepublik zu delegitimiern und die DDR aufzuwerten.
Die Kommunisten haben also logischerweise jede Verfolgung, der sie selbst als Feinde unseres Staats ausgesetzt waren, als einen Angriff auf Liberalität und Rechtsstaatlichkeit darzustellen gewußt.
Und sie haben viele Fellow Travellers gefunden. Einflußreiche Leute wie Abendroth, Ridder, Victor Agartz; später eine ganze Generation von Juristen und Politologen wie Heinrich Hannover und Wolf-Dieter Narr, die sich als Liberale sahen, die aber Liberalität und Rechtsstaatlichkeit immer nur dann einforderten, wenn Kommunisten betroffen waren; für die Rechte von Rechtsextremen sind sie nie eingetreten. Zwischen Mitte der sechziger Jahre und Ende der achtziger Jahre entstand dank des Wirkens dieser Leute sowie derer, die ihnen folgten, dieses Bild vom "Überwachungsstaat", vom "Schnüffelstaat", vom "Abbau demokratischer Rechte", das heute auf der Linken, auf der extremen Rechten und leider auch bei manchen Liberalen verbreitet ist.
Ich will, lieber Llarian, keineswegs den organisierten Kommunisten allein die Schuld an dieser Entwicklung zuschieben.
Seit der "Spiegel"-Affäre und den Notstandsgesetzen gab es die - zum Teil nicht unberechtigte - Sorge, es könne wieder zu einer Entwicklung in Richtung Obrigkeitsstaat kommen. Aber der Ausgang der "Spiegel"-Affäre hat gezeigt, wie stabil inzwischen der demokratische Rechtsstaat geworden war. Schon der Kampf gegen die Notstandsgesetze war ein Kampf gegen ein Phantom; niemand wollte sie je anwenden, um den demokratischen Rechtsstaat zu beseitigen.
Daß dennoch die Angst vor dem "Schnüffelstaat" auch unter Nichtextremisten so weit verbreitet ist, liegt aus meiner Sicht hauptsächlich daran, daß auf der Linken die Grenze zu Nichtextremisten fließend ist.
Extremisten - ob nun Neonazis oder einst K-Gruppen und Fischers Putztruppe; heute Autonome und Kommunisten aller Coutleur - fürchten den Staatsschutz; und zwar zu Recht. Sie müssen selbstverständlich überwacht, ihre demokratiefeindlichen und gegen den Rechtsstaat gerichteten Bemühungen müssen vereitelt werden. Daß ihnen das nicht behagt, ist nachvollziehbar.
Aber bis weit in demokratische Parteien hinein genießen sie Solidarität. Ihre berechtigte Angst vor dem Staat hat sich auf weite Teile der demokratischen Linken, sogar auf Linksliberale übertragen. Daß die amtierende Vorsitzende der Jusos Mitglied der "Roten Hilfe" gewesen sein konnte und daß sie, als das herauskam, nicht zurücktreten mußte, zeigt, wie offen auf der Linken heute die Grenze zwischen Demokraten und Feinden des demokratischen Rechtsstaats ist.
So sehe ich das, lieber Llarian. Ich habe in einem anderen Beitrag gestern die Frage "in die Runde" gestellt, wer von den Foranten oder ihren Bekannten schon einmal Nachteile dadurch erlitten hat, daß es Überwachungskameras, Vorratsdatenspeicherung usw. gibt.
Ich habe das nicht. Ich kennen niemanden, der hat. Bisher hat sich niemand gemeldet, der hat.
Schlußwort :
Ich bin, lieber Llarian, ein Liberaler, der sich allerdings die Freiheit nimmt, der Meinung zu sein, daß unsere Freiheit durch Politiker wie Schäuble geschützt und nicht gefährdet wird. Und deshalb werde ich schon a bisserl böse, wenn man mir, nur weil ich die paranoiden Befürchtungen anderer Liberaler nicht teile, unterstellt, kein wahrer Liberaler zu sein.
Schäuble ist für mich genauso wenig tragbar wie Frau von der Leyen, weil sie unsere Freiheit einschränken wollen und dafür irgendwelche Hilfskonstruktionen bemühen. Wenn Schäuble unsere Innenpolitik maßgeblich vertritt, dann muss man konstatieren, dass der Minister "auf dem linken Auge blind" ist, während er rechts einen riesenhaften Popanz sieht, welcher mit allen (Steuer-)Mitteln virtuell bekämpft werden soll.
Zum zweiten sind wir uns sicher einig, woher die größte terroristische Gefahr droht, aber mit den Vertretern dieser Leute setzt sich Schäuble ständig an irgendwelche "runden Tische", statt vorbeugend aktiv zu werden.
Es gibt m.E. genau zwei Richtungen, aus denen uns wirklich Gefahr droht, aber genau da wird der Innenminister nicht rigoros tätig. Rigoros wird er nur, wenn es um allgemeine Überwachung geht. Ich habe nix gegen Überwachungskameras an belebten Orten, sie versprechen mir ein etwas erhöhtes Maß an Sicherheit (wenn auch nur bei einer späteren Aufklärung). Okay.
Aber wenn ich weiß, dass die potentiell größte Gefahr von Leuten einer bestimmten Konfession oder politischen Ausrichtung ausgeht, dann würde ich mich, an seiner Stelle, doch genau auf die konzentrieren und nicht eine ganze Bevölkerung unter Generalverdacht stellen. Ich persönlich würde mich sicherer fühlen, wenn Schäuble die wirklichen Gefahrenherde erkennen und auch mit Ansage bekämpfen würde. Die allgemeine Marginalisierung von Bürgerrechten macht mich aber nicht unbedingt zu seinem Fan, wie auch Zensursula mich nicht gerade der CDU in die Arme treiben wird.
Irgendwie fuchteln die beiden gestenreich und folgenschwer im Schatten rum, während die eigentliche Gefahr im hellsten Lichte unbeachtet bleibt, oder ihre "politischen Vertreter" sogar zu Kaffee und Kuchen eingeladen werden. Da stimmt was grundsätzlich nicht.
Herzlich, Calimero
---------------------------------------------------- ... und im übrigen sollte sich jeder, der sich um die Zukunft Sorgen macht, mal zehn-, bis zwanzig Jahre alte Sci-Fi-Filme ansehen.
Vielleicht sollten wir ein Unterforum "FDT" aufmachen, für Frequently Discussed Topics. Dorthin könnten wir ab und zu entgleitende Diskussionen umlenken, das würde einigen von uns viel Tipperei ersparen, und wir könnten wieder mehr Zeit mit dem Bochumer Theater und der Speziellen Relativitätstheorie verbringen. Vorschläge meinerseits:
- Schäuble, Rechtsstaat, Liberalismus - Islam und Terrorismus, oder Islam und Islamismus
Hat sonst noch jemand Vorschläge?
-- Ultramontan – dies Wort beschreibt vorzüglich die katholische Mentalität: mit einem kleinen Teil des Bewusstseins nicht Deutscher, nicht Zeitgenosse, nicht Erdenbürger zu sein. - Martin Mosebach, Spiegel 7/2009
ich glaube auch, dass wir in der eigentlichen Sache nicht wirklich weiterkommen, was tatsächlich belegt, dass man, obwohl die Beobachtungen ähnlich sind, die Interpretation der Realität diametral unterschiedlich ausfallen kann. Ein paar Anmerkungen habe ich aber doch, vielleicht ein bischen durcheinander, aber doch hoffentlich substantiell:
- Ich sehe auch sehr viel Positives in der Entwicklung nach 45 und sehr viel Erfolge der Reeducation. Das ist aber, und das sollte man auch unbedingt sehen, 60 Jahre her. Die heutige Generation, und das schliesst die Politik ein, hat den Krieg nicht erlebt, sondern nimmt Grundrechte als selbstverständlich an. Viele sehen die Gefahr, die vom Staat ausgeht nicht, weil sie sie nicht erlebt haben. Aber wie immer, wenn es dem Esel zu gut geht, dann geht er aufs Eis. Und sägt an seinem Fundament. Ich glaube, dass der Rechtsstaat ein sehr emfindliches und wertvolles Gut ist. Und das wir nicht riskieren können, es Leuten wie Wolfgang Schäuble zu überlassen.
- Gerhard Baum würde wahrscheinlich einen Anfall kriegen, wenn man ihn mit Wolfgang Schäuble vergliche. Es wäre mal interessant seine Sicht auf ihn zu sehen. Ich glaube nicht, dass er viel gemeinsames sehen würde.
- Es ficht mich nicht im Geringsten an, dass es Kommunisten gibt, die was gegen Wolfgang Schäuble haben. Das ist weder ein Grund ihn positiv wie negativ zu sehen. Nur weil die Linken was brüllen, heisst das nicht, dass es falsch ist. Die Verfassungsbeschwerde, die Schäuble so gerne abtut, ist keine Aktion der Linken. Das Verfassungsgericht, dass ihm permanent widerspricht, ist nicht links. Und ich würde auch ganz ohne Linke vermuten, dass er in einer schwarzgelben Koaltion die längste Zeit im Amt gewesen sein dürfte. Ganz ohne Linke.
- Das Ablehnen von Wolfgang Schäuble ist bei mir keine vier Jahre alt. Im Gegenteil, ich hielt ihn früher für einen grossen Hoffnungsträger, möglicherweise für den ersten Bundeskanzler im Rollstuhl. Das war noch zur Zeit von Kohl. Damals hat er allerdings auch nicht am Grundgesetz gesägt.
- Die Vorratsdatenspeicherung ist noch zu neu, um schon Opfer zu haben. Sie Phantomjagd im Internet dagegen schon. Man braucht nur mal das Nachhallen der Aktion Himmel zu verfolgen. Und wie ich Ihnen schon schrieb, nur weil Ihnen niemand seine persönlichen Erfahrungen mit der dunklen Seite des Staates mitteilt, heisst das nicht, dass es nicht da ist. Ein Großonkel von mir sass zwei Jahre in der DDR im Gefängnis weil er einem Bild von Walther Ulbricht einen Schnurrbart angemalt hatte. Der hat auch nicht darüber gesprochen. Dieses Schweigen würde ich nicht dahingehend interpretieren, dass es keine Opfer der DDR gab.
- Wenn Sie verdachtsunabhängige Kontrollen, heimliche Hausdurchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung, Abhören ohne Richtervorbehalt und natürlich den Bundestrojaner für mit einer liberalen Geisteshaltung vereinbar halten, kann ich Sie daran kaum hindern. Aber, das hatten wir ja weiter oben, dann haben wir einen völlig unterschiedlichen Begriff von Freiheit.
- Schlußwort von mir: Jemanden in der Geisteshaltung konservativ zu nennen ist keine Beleidigung. Jemanden eine paranoide Haltung zu unterstellen normalerweise schon.
Zitat von Llarian- Schlußwort von mir: Jemanden in der Geisteshaltung konservativ zu nennen ist keine Beleidigung. Jemanden eine paranoide Haltung zu unterstellen normalerweise schon.
Es lag mir fern, Sie zu beleidigen, lieber Llarian. Wenn Sie das so empfunden haben, dann entschuldige ich mich.
Ich hatte ja nicht von einer paranoiden Haltung gesprochen, sondern von "paranoiden Befürchtungen"; eigentlich hatte ich gedacht, daß das im Web eine harmlose Formulierung ist. (Einer meiner Mitarbeiter, ein Informatiker, pflegte zu sagen: "Auch wir mit unseren paranoiden Befürchtungen sind deshalb ja nicht vor Verfolgung sicher").
Aber ich nehme das gern zurück und ersetze es durch "realitätsferne Befürchtungen".
Und noch etwas, lieber Llarian: Bei allen Gegensätzen sind wir ja doch immerhin derselben Meinung, was die Bundesrepublik angeht, die wir gern erhalten möchten.
der Trick ist doch einfach: Wenn ich einen Zielkonflikt habe, z.B. den zwischen Privatsphäre und Verbrechensprävention, betone ich nur die eine Seite und lasse die andere komplett weg. Aber diesen Konflikt gibt es, und je nachdem, welche Seite man für wichtiger hält, unterscheiden sich Liberale von Konservativen und Sozis.
Ich glaube nicht, dass du diesen Trick anwenden möchtest, aber wenn du schreibst, dass es nicht der Wille der Überwacher sei, das Recht des Bürgers auf Privatsphäre einzuschränken, wenn sie ihre schützende Hand über uns halten, dann kommt das dem im Ergebnis recht nahe. Ein subjektiv geäußerter Wille ist schnurz - entscheidend ist, was tatsächlich passiert. Das Schlüsselwort in deiner Argumentation ist z.B. "potenziell". "Potenzieller Terrorist" ist da kein einschränkendes Kriterium, sondern praktischerweise und zirkulär automatisch die Eigenschaft des Überwachten. Ich muss schon davon ausgehen, dass jeder, der in das Visier von Fahndern gerät, auch schuldig ist, um das beruhigend zu finden.
Und bitte, nimm's mir nicht übel, aber deine weitere Argumentation unterstützt meine Ausgangsthese nur: Du meinst, die von Linken befürworteten Freiheitseinschränkungen in die Waagschale werfen zu können und zu müssen, wenn es darum geht, wie illiberal bestimmte konservative Vorhaben sind. Aber genau diese Sichtweise geht dem Liberalen am Allerwertesten vorbei, denn ihm ist es egal, woher die staatliche Bevormundung kommt: Er ist einfach dagegen.
Es gibt keine "natürlichen" Verbündeten für Liberale. Nur unvollkommene und situationsbedingte. Mit den Grünen wird man sich auf diverse Bürgerrechte einigen können, aber bei Kontrollwahn und Regulierung in Folge der von den Grünen bevorzugten "Projekte" nicht mitmachen wollen. Mit der CDU gibt es partiell Übereinstimmung im Bereich der Wirtschaft, aber innenpolitisch einigen Zündstoff, angefangen bei Homoehen bis eben hin zur Internetregulierung. Und in Sachen Sozis ist man irgendwie in allen Politikfeldern gleich weit entfernt, aber nicht jenseits von Kompromissmöglichkeiten. Du magst da bestimmte Präferenzen haben, die dir die eine Konstellation grundsätzlich attraktiver erscheinen lassen als die andere. Aber ehrlich: Mir ist das grundsätzlich wurscht, ich möchte erst den konkreten Koalitionsvertrag sehen, bevor ich urteile.
Es wird keinen verwundern, wenn ich die von links kommenden Bedrohungen der Freiheit aktuell für relevanter halte als die von rechts kommenden. Aber diese Bewertung ist nicht in Stein gemeißelt. Auf jeden Fall hoffe ich, dass alle auf die Schnauze fallen, die da meinen, die FDP könne gar nicht anders als mit ihrem Sauhaufen zu koalieren, ob sie nun Müntefering, Steinmeier oder Seehofer heißen.
Weiter herzlich, Rayson
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
laß mich eines vorweg sagen, das mir wichtig ist. Es ist trivial, aber ich habe den Eindruck, daß es oft nicht gesehen wird:
Wir sind uns einig - ebenso, wie wir mit Llarian einig sind, mit R.A. und anderen, die hier mitdiskutieren -, daß wir einen Staat wollen, in dem der Bürger so frei wie möglich ist; in dem er sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann und in dem der Staat nicht versucht, ihn zu erziehen, zu bevormunden oder gar unschuldig zu verfolgen.
Der Dissens liegt nicht auf dieser Ebene, sondern auf der, sagen wir, instrumentellen Ebene: Wie erreicht und erhält man solche Verhältnisse, wie wir sie gemeinsam wollen?
Aus meiner Sicht ist dazu zweierlei vordringlich:
Erstens muß verhindert werden, daß eine sozialistische Gesellschaft entsteht, in der nicht mehr der Bürger für die Gestaltung seines Lebens verantwortlich ist, sondern in der der Staat sich das Recht herausnimmt, buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre zu bestimmen, wie wir leben, wie wir unsere Kinder erziehen und vor allem: Was wir gut und was wir schlecht zu finden haben, welche Meinung wir zu den gesellschaftlichen, politischen, ja weltanschaulichen Themen haben sollen.
Zweitens muß die Freiheit gegen Kriminelle und Terroristen gesichert werden. Wenn sich der Bürger abends nicht mehr auf die Straße oder in eine nächtliche Straßenbahn traut; wenn er Menschenansammlungen meidet, weil vielleicht eine Bombe hochgeht; wenn er sein Haus wie eine Festung ausbauen muß, um halbwegs vor Einbrüchen sicher zu sein; wenn er ein allgemeines Mißtrauen gegen Fremde entwickelt, weil er damit rechnen muß, daß sie ihn betrügen oder einen Trickdiebstahl versuchen - dann ist das eine ebenso schlimme Einschränkung unserer Freiheit wie die andere, deren Urheber der Staat ist.
Vermutlich stimmen wir, lieber Rayson, im ersten Punkt überein. Im zweiten, vermute ich, nicht. Jedenfalls erlebe ich in der Diskussion in diesem Thread und habe ich es in zahlosen Diskussionen im Web und im RL erlebt, daß Maßnahmen zur Sicherung unserer Freiheit mittels des Kampfs gegen Kriminalität und Terrorismus nicht als liberal, sondern - für mich unverständlich - als freiheitsfeindlich wahrgenommen werden.
Zitat von Raysonder Trick ist doch einfach: Wenn ich einen Zielkonflikt habe, z.B. den zwischen Privatsphäre und Verbrechensprävention, betone ich nur die eine Seite und lasse die andere komplett weg. Aber diesen Konflikt gibt es, und je nachdem, welche Seite man für wichtiger hält, unterscheiden sich Liberale von Konservativen und Sozis.
Ich als Liberaler halte die Verbrechensbekämpfung für wichtig; siehe oben. Sie dient unserer Freiheit. Sie ist ein genuin liberales Ziel.
Im Einzelfall gibt es Konflikte; da hast du Recht. Nicht beim Vorgehen gegen Terroristen und Verbrecher; sondern dort, wo in die Freiheit gesetzestreuer Bürger eingegriffen wird.
Sie werden nicht verfolgt, aber sie werden belästigt. Durch die Kontrollen am Flughafen beispielsweise, die ich als sehr lästig empfinde.
Solche Konflikte versuche ich nicht, lieber Rayson - wie du mir doch a bisserl anzudeuten scheinst - durch einen "Trick" hinwegzueskamotieren, sondern sie sind mir sehr bewußt. Ich habe darüber sogar mal in ZR einen Artikel geschrieben. Du kennst ihn, denn du hast ihn damals kommentiert - und deine eigene Position in deinem Kommentar so charakterisiert:
Zitat von Rayson... wurde ich gleich zum Konservativen, der ich im Grunde meines Herzens dann auch blieb, zumal die liberale Injektion durch das Ökonomiestudium von einer zeitgleichen christlichen begleitet wurde.
Aber wenn es um unser gesellschaftliches Modell geht, dann versagt das Konservative mangels konstruktiver Vision und dynamischer Perspektive. Da lobe ich mir den Liberalismus, in dem man auch als Konservativer überleben kann, was umgekehrt kaum möglich wäre.
Das klingt mir bedeutend konservativer als meine eigene Haltung, lieber Rayson.
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