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Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 61 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Bernd D. Offline



Beiträge: 12

03.01.2010 13:32
#26 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Zitat
Vor rund 20 Jahren wurden die Aufstaendischem in Afghanistan noch als heldenmuetige Widerstandskaempfer gegen die Sowjets gefeiert. Heute sind sie barbarische Steinzeitislamisten die wir mit allen Mitteln bekaempfen muessen. Vllt ist doch etwas Wahres an den Satz "One man's freedom fighter is another man's terrorist".



Diese Analyse, m.E. übrigens eine typisch "linke" weil sie ener stets rückwärtsbezogen Argumentationstechnik huldigt (ich meine nicht Sie persönlich), hat einen entscheidenden Makel:

Sie verweilt bei der Betrachtung der Fehler (sicher auch Verbrechen), die andere (wir alle) in der Vergangenheit gemacht haben und sie verbaut damit den Blick in eine verantwortungsvoll gestaltete Zukunft. Da Verantwortung und Freiheit aber untrennbare Geschwister sind, haben viele Linke/Pazifisten (privater Paziismus ist etwas Schönes und Gesinnungsethik sehr bequem) Probleme damit, physische Gewalt auch verantwortungsvoll einzusetzen.

Auch wenn's jetzt etwas pastoral klingt: als Christ kann ich aus der Vergebung leben, die mir Gott schenkt, die ich deshalb auch leichter an andere weitergeben kann. Und genau diese Bereitschaft und das Empfangen von Vergebung ernöglicht einen Neuanfang und den Blick nach vorne. Natürlich geht es auch anders, aber ich spreche nur von meiner Überzeugung, nicht der von X oder Y.

(Radikal-) Pazifisten möchten Freiheit zum Nulltarif; für sie eine Selbstverständlichkeit, besonders, wenn sie nach dem Krieg geboren sind. Die gibt's aber nicht ohne einen gewissen Einsatz. Vielleicht stehen wir jetzt wieder einmal vor einem Paradigmenwechsel, der uns abverlangt, dass wir wie vor 70 Jahren verantwortungsvolles Handeln (auch Gewalteinsatz) vor Geschwafel setzen müssen. Ob wir dann wieder die Qualitäten der Mobilisierung unserer positiven Kräfte abrufen können, die Demokratien besonders dann auszeichnen, wenn sie sich in höchster Gefahr befinden wie 1939?

Hoffentlich!

Bernd D. Offline



Beiträge: 12

03.01.2010 13:39
#27 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Zitat
Wie auch immer, es ist höchste Zeit, auf dieses Thema nachdrücklich aufmerksam zu machen. Daher danke ich allen herzlich,, die sich mit diesem Thema beschäftigen und ein Umdenken bewirken wollen. Auch wenn es manchmal recht einsam macht.



Vorweg: Alles, was Sie in Ihrem Beitrag schrieben, unterstütze ich.

Auch das, was ich oben zitiere. Mit einer ganz kleinen Einschränkung: ich denke, dass wir gar nicht mehr so einsam sind mit unseren Weckrufen. Es gibt etliche Menschen, die sich einfach nur nicht trauen (mag auch ein gewisses Phlegma dabei sein oder Angst, sich zu blamieren) und es dann uns überlassen, quasi für sie zu sprechen. Also Kopf hoch!

Ach ja, zum Kirchenaustritt: Ich sehe das so ähnlich wie mit der Familie: ich kann von außen weniger bewirken, als wenn ich noch gewisse Bindungen habe. Ich fühle mich auch schon lange nicht mehr wohl dort, besonders wegen des grassierenden Antizionsmus vieler Kirchenchristen, der auch nur verkappter Antisemitismus ist.

Herr Offline




Beiträge: 406

03.01.2010 16:13
#28 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Lieber Bruder Bernd, schön, dass Sie sich hier mit eingeklinkt haben, und meine Meinung teilen !

Trotzdem habe ich was anzumerken:

Zitat
Diese Analyse, m.E. übrigens eine typisch "linke" weil sie ener stets rückwärtsbezogen Argumentationstechnik huldigt (ich meine nicht Sie persönlich), hat einen entscheidenden Makel:

Sie verweilt bei der Betrachtung der Fehler (sicher auch Verbrechen), die andere (wir alle) in der Vergangenheit gemacht haben und sie verbaut damit den Blick in eine verantwortungsvoll gestaltete Zukunft.



Ich finde Ihre Argumentation nicht hilfreich. Selbstverständlich ist es legitim, rückwärtsbezogen zu argumentieren. Verantwortung schließt die Vergangenheit ein. Ich weiß, ob aus der Geschichte wirklich zu lernen ist, ist umstritten, aber Geschichtsvergessenheit ist auf keinen Fall einen Tugend. Wir verwenden ja auch umgekehrt vergangenheitsbezogene Argumentationsmuster, wie das Engagement der Alliierten im 2. WK.

Was heißt in diesem Fall "Leben aus der Vergebung"? - Das darf jedenfalls keine Formel sein, um mich selber von Verantwortung freizusprechen.

Zitat
(Radikal-) Pazifisten möchten Freiheit zum Nulltarif; für sie eine Selbstverständlichkeit, besonders, wenn sie nach dem Krieg geboren sind. Die gibt's aber nicht ohne einen gewissen Einsatz.


Auch dieses Argument ist - zumindest vor meinem Hintergrund - problematisch. Ich habe es hier im Osten mit einem Pazifismus zu tun, den es zu DDR-Zeiten nur zu recht hohen Preisen gab. Hier war man mitunter schon benachteiligt, wenn man nicht drei Jahre zur NVA gegangen ist. Wer hier den bewaffneten Wehrdienst abgelehnt hat oder gar total verweigert hat, hatte weit reichende Konsequenzen zu tragen. Und genau diese widerständische Haltung prägt unsere ostdeutschen protestantischen Milieus. Das ist eine Art von "moralischer Überlegenheit", die zumindest nicht billig ist. Und der nicht so einfach beizukommen ist, weil sie tief biographisch verankert ist.

Herzliche Grüße!
Herr

Bernd D. Offline



Beiträge: 12

03.01.2010 17:37
#29 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Lieber Bruder Herr,

ich will versuchen,deine Zeilen zu beantworten:

Zitat
Selbstverständlich ist es legitim, rückwärtsbezogen zu argumentieren. Verantwortung schließt die Vergangenheit ein. Ich weiß, ob aus der Geschichte wirklich zu lernen ist, ist umstritten, aber Geschichtsvergessenheit ist auf keinen Fall einen Tugend. Wir verwenden ja auch umgekehrt vergangenheitsbezogene Argumentationsmuster, wie das Engagement der Alliierten im 2. WK.



dazu noch einmal mein text:

Zitat
Zitat Diese Analyse, m.E. übrigens eine typisch "linke" weil sie ener stets rückwärtsbezogen Argumentationstechnik huldigt (ich meine nicht Sie persönlich), hat einen entscheidenden Makel:

Sie verweilt bei der Betrachtung der Fehler (sicher auch Verbrechen), die andere (wir alle) in der Vergangenheit gemacht haben und sie verbaut damit den Blick in eine verantwortungsvoll gestaltete Zukunft.



Das ist schnell aufgelöst. Gut, dass Sie mich auf meinen Lapsus aufmerksam gemacht hatten. Ich hätte zweimal das Wort "ausschließlich" verwenden müssen: einmal vor rückwärtsbezogen in der esten Zeile und zum andern vor verweilt in der dritten Zeile. Natürlich gehören ensthafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und daraus resultiernde Lernfähigkeit bzw. verantwortliches Handeln in Gegenwart und Zukunft zusammen. Ich denke in diesem Moment besonders an Weizäckers berühnte Rede zum 8. Mai.

Zitat
Was heißt in diesem Fall "Leben aus der Vergebung"? - Das darf jedenfalls keine Formel sein, um mich selber von Verantwortung freizusprechen.



Auch hier hätte ich vielleicht klarer formulieren sollen: Ich will's mal so sagen: Vergebung setzt m.E. auch echte Reue voraus. Um ein Beispel zu bringen: Wenn Deutsche aus der Tätergeneration von ihren jüdischen Gesprächspartnern sagen, dass sie ihnen doch bitteschön zu vergeben hätten, dann klingt das nicht sehr überzeugend. Echte Vergebung ist da schwer möglich, weil der Täter vom Opfer etwas einfordert, ohne selbst dafür etwas zu tun. Und so könnte man das auf jeden Lebensbereich ausdehnen.

Zur DDR: 1983 zu Luthers 500. Geburtstag war ich mit dem Lehrstuhl knapp zwei Wochen dort und hatte Begegnungen mit einigen christlichen Regimegegnern (das war während der Zugfahrt im Bezirk Leipzig). Die Kontakte brachen aber relativ schnell wieder ab, weil meine Schreiben unbeantwortet blieben - aus welchen Gründen auch immer. Damals, besser gesagt zu Wendezeiten - habe ich übrigens noch Stolpe geglaubt. Ich kann mir noch heute kein abschließendes Urteil bilden - trotz Gauck-Behörde, deren Arbeit ich übrigens ausgezeichnet finde; auch die von Hubertus Knabe (Gedenkstätte Hohenschönhausen) übrigens.

Herzliche Grüße
Bernd

Carlo Schmid (SPD), Mitverfasser des Grundgesetzes:
„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft…

Man muss in einer Demokratie auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie zu beseitigen!”

Thomas Pauli Offline




Beiträge: 1.486

04.01.2010 11:26
#30 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Zitat
(Radikal-) Pazifisten möchten Freiheit zum Nulltarif;



Lieber Bernd D.,

das stimmt so nur als Pauschalurteil. Bei den britischen Commndos im 2. Weltkrieg dienten Pazifisten als Sanitäter und haben sich dort oft wegen ihres großen Mutes die Bewunderung der Befehlshaber erworben.
Falls ich den Eindruck erweckt haben sollte, daß ich alle Pazifisten in einen Topf werfen würde, bitte ich um Entschuldigung. Ich meine den Pazifismus als Staatsdoktrin oder als Politik, die vom persönlichen Pazifismus zu trennen ist.

Herzlich, Thomas

john j Offline




Beiträge: 591

04.01.2010 15:28
#31 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

@ Bernd D:

Der Blick zurueck kann durchaus zur einer "verantwortungsvoll gestaltete[n] Zukunft" beitragen. Und ich fidne es mehr als ironisch dass die NATO sich in Afghanistan genau in der Lage der Roten Armee zwischen 1980 und 1988 befindet. Und wenn nicht doch noch ein Wunder passiert wird die NATO genauso gedemuetigt abziehen muessen wie damals die Rote Armee. Und das waere eine Katastrophe in mehrfacher Hinsicht. Auf ihre Auslassungen zum Radikalpazifismus gehe ich nicht ein, ich fuehle mich nicht angesprochen. Und nicht jede politische Krise in der Welt ist wie 1939.

Vielmehr moechte ich sie und andere Kommentatoren wie bspw Ungelt oder Florian fragen:

Wann und wie ging von Afghanistan jemals eine Bedrohung des Westens aus? Und ich meine Afghanistan als Staat und Gesellschaft, nicht ein paar Terrorcamps von Nicht-Afghanen, die eh schon lange in den Jemen und anderswo verlegt wurden? Welcher Nachbar wurde von Afghanistan angegriffen? Wieviele der bekannten Al-Qaeda Attentaeter waren oder sind afghanische Staatsbuerger? Wie haetten sie es beurteilt wenn Mitte der 90er Jahre eine Koalition aus muslimischen Staaten Serbien besetzt haette, um Massaker an Muslimen wie in Srebrenica, Gorazde etc zukuenftig zu verhindern und die Belagerung von Sarajevo aufzuheben?

Nation-building at gun point kann nicht gut gehen, und bevor sie es mir schreiben, das Beispiel Deutschland und Japan nach dem II WK passt hier nicht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

04.01.2010 15:48
#32 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Zitat von john j
Und ich fidne es mehr als ironisch dass die NATO sich in Afghanistan genau in der Lage der Roten Armee zwischen 1980 und 1988 befindet.


Nicht ganz, lieber John.

Zum einen war die Rote Armee eine von allen Afghanen - mit Ausnahme der paar Kommunisten, die das Regime Karmal und dann Nadschibullah noch unterstützten - gehaßte Besatzungsarmee. Die Nato hingegen wird von vielen Afghanen, vermutlich einer großen Mehrheit, als ein Schutz gegen die Rückkehr der Taliban wahrgenommen.

Zweitens war die Rote Armee in einem asymmetrischen Krieg ganz ungeübt. Sie versuchte gegen die Mudschaheddin so Krieg zu führen, wie sie es für einen konventionellen Krieg gedrillt hatte. Die Nato-Truppen agieren heute aber wesentlich mit Mitteln, die auf einen asymmetrischen Krieg zugeschnitten sind: Spezialeinheiten, Drohnen usw.

Und drittens, nebenbei, stehen die Nato-Truppen im Auftrag der UNO in Afghanistan.

Zitat von john j
Wann und wie ging von Afghanistan jemals eine Bedrohung des Westens aus? Und ich meine Afghanistan als Staat und Gesellschaft, nicht ein paar Terrorcamps von Nicht-Afghanen, die eh schon lange in den Jemen und anderswo verlegt wurden? Welcher Nachbar wurde von Afghanistan angegriffen? Wieviele der bekannten Al-Qaeda Attentaeter waren oder sind afghanische Staatsbuerger?


Als die Invasion Afghanistans stattfand, befanden sich dort die Ausbildungslager der Kaida. Die Operation Enduring Freedom war notwendig und gerechtfertigt. Dieser Feldzug ging innerhalb weniger Wochen zu Ende, weil er nicht nur ein Feldzug der USA und der Nato war, sondern ein Befreiungkrieg der Afghanen gegen die Herrschaft der Taliban.

Hätte man danach sofort wieder abziehen können? Das erschien ausgeschlossen; die Taliban waren ja überwiegend nur untergetaucht. Also teilte man das Land in Militärzonen auf, in denen jeweils eine Macht den Schutz des Wiederaufbaus übernehmen sollte.

Daß die Taliban noch einmal so erstarken würden, daß sie einen neuen asymmetrischen Krieg starten konnten, war damals nicht zu erwarten gewesen. Es wäre vermutlich auch nicht eingetreten, wenn die Regierung in Islamabad in der Lage gewesen wäre, ihr eigenes Land zu kontrollieren.

Jetzt, lieber John, geht es nicht mehr um Afghanistan, sondern es geht darum, zu verhindern, daß in Islamabad Dschihadisten an die Macht kommen und damit Atombomben in ihren Besitz bringen.

Herzlich, Zettel

john j Offline




Beiträge: 591

04.01.2010 17:23
#33 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Ob tatsaechlich wesentlich mehr Afghanen die NATO-Truppen unterstuetzen als damals die Rote Armee kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe es zumindestens, denn die NATO steht natuerlich fuer etwas anderes als damals die SU und die Rote Armee. Allerdings denke ich dass fuer viele Afghanen wohl kaum ein Unterschied zwischen einem auslaendischen Besatzer und dem anderen besteht.

Was die Kriegfuehrung betrifft glaube ich dass die von ihnen erwaehnten Unterschiede zwischen NATO und Roter Armee graduell sind (auch die Roter Armee setzte ihre Spetsnaz-Einheiten in Afghanistan ein), und in vielen Bereichen (Drohnen etc) wohl eher dem Fortschritt geschuldet sind als einer Strategie. Das Problem ist heute genauso wie in der 80ern dass die auslaendischen Truppen zwar die Staedte mehr oder weniger unter Kontrolle haben aber das Umland und die Gebirge dem Widerstand gehoeren. Konvois, Patrouillen und Fahrzeugkolonnen sind immer noch (zu) leichte Ziele fuer die Taliban, die in der Bevoelkerung untertauchen koennen. Und die NATO-Truppen muessen soviel fuer den Selbstschutz ihrer Soldaten, Fahrzeuge und Lager aufbieten dass fuer proaktives Vorgehen offenbar zu wenig bleibt.

"Als die Invasion Afghanistans stattfand, befanden sich dort die Ausbildungslager der Kaida. Die Operation Enduring Freedom war notwendig und gerechtfertigt."

Soweit so gut. Aber die Frage ist eben ob man die Lager auch auf andere Art ausheben haette koennen als durch die dauerhafte Besetzung des gesamten Landes, wa sich ja nun als nicht sehr erfolgreich herausgestellt hat. Die Lager sind fort, aber die Qaeda und ihre Terroristen eben auch. Und die NATO muss nun ein ganzes Land kontrollieren, befrieden und wieder aufbauen.

"...sondern ein Befreiungkrieg der Afghanen gegen die Herrschaft der Taliban."

Nun ja, die afghanische Allianz die gegen die Taliban kaempfte hatte es in mehreren Jahren nicht geschafft Erfolg zu haben. Ohne die NATO waere es ihr wohl nie gelungen die Taliban zu besiegen und die NATO leistete rund 90% aller Anstrengungen um die Taliban loszuwerden. Ob es daher also ein "Befreiungkrieg der Afghanen" war lasse ich mal dahingestellt.

"Jetzt, lieber John, geht es nicht mehr um Afghanistan, sondern es geht darum, zu verhindern, daß in Islamabad Dschihadisten an die Macht kommen und damit Atombomben in ihren Besitz bringen."

Hm, meinen sie? Indem man Afghanistan, in welcher Form auch immer, kontrolliert, verhindert man einen Coup in Pakistan? Die Strategie die hier zugrunde liegt erschliesst sich mir nicht.

califax Offline




Beiträge: 1.502

06.01.2010 03:50
#34 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Zitat von john j
Indem man Afghanistan, in welcher Form auch immer, kontrolliert, verhindert man einen Coup in Pakistan? Die Strategie die hier zugrunde liegt erschliesst sich mir nicht.



Den Extremisten dort ist es wurscht, ob sie sich auf dieser oder jener Seite der Grenze befinden.
Die Niederlage der Russen in AFG (und manche Probleme der NATO in AFG) hat viel damit zu tun,
daß Aufständische in Pakistan Rückzugsgebiete mit Ausbildungslagern, Djihadschulen, Verkehrsknotenpunkten, Handelszentren, etc. haben.
AFG kann dieselbe Rolle für die weitere Destabiliserung Pakistans einnehmen.
Deshalb muß man auf beiden Seiten der Grenze AFG-PAK gleichermaßen gegen die Extremisten vorgehen.
Einfach ist das nicht...

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

Bernd D. Offline



Beiträge: 12

06.01.2010 11:44
#35 RE: Ein Frage an Käßmann et al. Antworten

Zitat von Thomas Pauli

Zitat
(Radikal-) Pazifisten möchten Freiheit zum Nulltarif;


Lieber Bernd D.,
das stimmt so nur als Pauschalurteil. Bei den britischen Commndos im 2. Weltkrieg dienten Pazifisten als Sanitäter und haben sich dort oft wegen ihres großen Mutes die Bewunderung der Befehlshaber erworben.
Falls ich den Eindruck erweckt haben sollte, daß ich alle Pazifisten in einen Topf werfen würde, bitte ich um Entschuldigung. Ich meine den Pazifismus als Staatsdoktrin oder als Politik, die vom persönlichen Pazifismus zu trennen ist.
Herzlich, Thomas




Lieber Thomas,

ich meinte mit (radikal-) Pazifisten jene, die in der Tradition der 30-Jahre in GB stehen. Natürlich habe ich auch ein wenig zugespitzt formuliert. In meinem Beitrag zur Bergpredigt auf meiner Webseite stelle ich auch heraus, dass Pazifismus durchaus nachvollziehbar sein kann, um deinen berechtigten Einwand mit dem Sanitätsdienst aufzugreifen.
http://castollux.blogspot.com/2009/04/ra...us-und-die.html:

Im persönlichen Bereich ist eine pazifistische Haltung durchaus zu respektieren, vor allem dann, wenn Pazifisten bereit sind - was manche auch glaubwürdig verkörpern -, die entsprechenden Konsequenzen auf sich zu nehmen. Im gesamtgesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Raum wirft der (radikale Pazifismus) im Hinblick auf die Realpolitik jedoch viele Fragen auf. Und ist die Bevölkerungsmehrheit gewillt, die Konsequenzen des Pazifismus bis zum Äußersten zu tragen (sozialer Widerstand etc.)?

Herzliche Grüße
Bernd

Carlo Schmid (SPD), Mitverfasser des Grundgesetzes:
„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft…

Man muss in einer Demokratie auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie zu beseitigen!”

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.01.2010 14:34
#36 Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Bernd D.
"(Radikaler) Pazifismus und die missverstandene Bergpredigt":
http://castollux.blogspot.com/2009/04/ra...us-und-die.html


Zitat von Castollux
Ein Blick in die Septuaginta, den griechischen Originaltext, kann manchmal nicht schaden. Er belehrt uns eines Besseren. Dort wird das Wort εϊρηνοποιοϊ (eirenopoioi) gebraucht, d.h. Friedensstifter, aber im Sinne von “Frieden machend, Frieden herbeiführen“. Es geht um das Herbeiführen von Frieden, um eine aktive Handlung, die einen unfriedlichen Zustand in einen friedlichen überführt.

In der von Hieronymus ins Lateinische übersetzten Fassung (Vulgata, 4. Jahrhundert) heißt es gleichbedeutend: Beati pacifici quoniam filii Dei vocabuntur - “glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden”.



Ich habe dazu, lieber Bernd D., zwei Fragen (auch vielleicht an Herr):

Ich habe mir jetzt einmal die wichtigsten Übersetzungen der Lobpreisungen angesehen.

Mit Ausnahme von Luthers Übersetzung "Friedfertige" machen sie alle das aktive Moment des Stiftens von Frieden deutlich, wie eben auch der griechische Text und die Vulgata (pacifici); jedenfalls diejenigen, deren Sprache mir zugänglich ist:

King James Version: "Blessed are the peacemakers [die Friedensstifter]: for they shall be called the children of God".

Bible du Semeur: "Heureux ceux qui répandent autour d'eux la paix [die um sich herum Frieden verbreiten], car Dieu les reconnaîtra pour ses fils".

Bibbia in lingua moderna: "Beati quelli che si adoperano per la pace [die sich für den Frieden einsetzen], perché saranno chiamati figli di Dio".

CST Version La Biblia al Dia: "Dichosos los que trabajan por la paz [die für den Frieden arbeiten], porque serán llamados hijos de Dios".

HTB Het Boek: "Gelukkig zijn de mensen die vrede brengen [die Frieden bringen], want zij zullen zonen van God worden genoemd".

Frage: Wie kommt es wohl, daß Luther, der doch ein ausgezeichnetes Sprachgefühl hatte, davon abweicht? Oder weicht er gar nicht ab, und "friedfertig" hatte zu seiner Zeit eine andere Konnotation als heute?

Und meine zweite Frage: Was hat es mit dem "denn sie werden Gottes Kinder heißen" auf sich? (Luther übersetzt "Kinder", aber im Griechischen (μακάριοι οἱ εἰρηνοποιοί, ὅτι αὐτοὶ υἱοὶ θεοῦ κληθήσονται) steht υἱοὶ, also Söhne).

Warum sollen gerade die Friedensstifter Söhne Gottes heißen? Könnte das nicht ebenso in den anderen Lobpreisungen verheißen werden - auch οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, die Armen im Geiste, auch οἱ πραεῖς, die Sanften, auch οἱ ἐλεήμονες, die Barmherzigen usw. - ihnen allen könnte doch ebensogut verheißen werden, daß sie Söhne Gottes genannt werden. Warum gerade die Friedensstifter?

Herzlich, Zettel

PS: Etwas verspätet - herzlich willkommen im kleinen Zimmer!



Korrektur: Lobpreisungen --> Seligpreisungen

Kallias Offline




Beiträge: 2.310

06.01.2010 15:02
#37 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Luthers Randnotiz zu dieser Stelle in der Bibelausgabe von 1545 lautet:

Zitat von S. Mattheus V.9 bey Luther
Die Friedfertigen sind mehr denn Friedsamen / nemlich / die den friede machen / fordern vnd erhalten vnter andern. Wie Christus vns bey Gott hat friede gemacht.

Der letzte Satz ist wohl als Luthers Deutung dafür zu verstehen, warum die Friedensmacher "Gottes kinder heissen" - da sie das nemliche tun wie Gottes Sohn.

Mal gespannt, was die Theologen dazu sagen!

Herzliche Grüße,
Kallias

Bernd D. Offline



Beiträge: 12

06.01.2010 15:29
#38 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Kallias
Luthers Randnotiz zu dieser Stelle in der Bibelausgabe von 1545 lautet:

Zitat von S. Mattheus V.9 bey Luther
Die Friedfertigen sind mehr denn Friedsamen / nemlich / die den friede machen / fordern vnd erhalten vnter andern. Wie Christus vns bey Gott hat friede gemacht.

Der letzte Satz ist wohl als Luthers Deutung dafür zu verstehen, warum die Friedensmacher "Gottes kinder heissen" - da sie das nemliche tun wie Gottes Sohn.
Mal gespannt, was die Theologen dazu sagen!
Herzliche Grüße,
Kallias




Zum "Friede machen" gehört, dass man auf dem Weg dahin auf keinen Fall Mt. 5, 17 ff. außer Acht lässt. Auch das ist Jesu Wort. Immer wieder interessant, dass viele Gegner des so genannten AT diese Textstelle gerne ausblenden, darunter auch viele linke und grüne Antisemiten im Schlepptau.

Mit Friede den Friedfertigen hat Jesus nicht "Frieden den Pazifisten" gemeint.

==============
Signatur

Carlo Schmid (SPD), Mitverfasser des Grundgesetzes:
„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft…

Man muss in einer Demokratie auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie zu beseitigen!”

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.01.2010 16:04
#39 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Kallias
Luthers Randnotiz zu dieser Stelle in der Bibelausgabe von 1545 lautet:

Zitat von S. Mattheus V.9 bey Luther
Die Friedfertigen sind mehr denn Friedsamen / nemlich / die den friede machen / fordern vnd erhalten vnter andern. Wie Christus vns bey Gott hat friede gemacht.

Der letzte Satz ist wohl als Luthers Deutung dafür zu verstehen, warum die Friedensmacher "Gottes kinder heissen" - da sie das nemliche tun wie Gottes Sohn.



Sehr interessant! Also hat sich die Konnotation von "Friedfertige" tatsächlich seit Luther geändert. "Friedsam" gibt es ja heute gar nicht mehr, meines Wissens.

Man müßte mal im Grimm'schen Wörterbuch nachsehen.

Das mit "Gottes Kindern" bzw. Söhnen finde ich auch einleuchtend. Vielen Dank!

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.01.2010 16:23
#40 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Zettel
Also hat sich die Konnotation von "Friedfertige" tatsächlich seit Luther geändert. "Friedsam" gibt es ja heute gar nicht mehr, meines Wissens.

Man müßte mal im Grimm'schen Wörterbuch nachsehen.


Habe ich jetzt getan:

Zitat von Deutsches Wörterbuch
FRIEDFERTIG, pacificus: selig sind die fridfertigen. Matth. 5, 9 (ahd. sibbisamê, ags. þâ gesibsuman); wenn man auf reisen treu, ehrlich, friedfertig und verbündlich lebet, so ist es genug. unw. doct. 809.


Zitat von Deutsches Wörterbuch
FRIEDSAM, pacatus, friedfertig, friedliebend, ahd. fridusam, ags. friðsum, mhd. vridesam, nnl. vreedzam:

ein man erstlich mit iederman sei fridsam.
meisterl. 23 no 160;

fraw pax, die friedsam kunigin.
no 214;

die war weisheit vaht an mit scham,
sie ist züchtig, still und fridsam.
BRANT 9, 14;

und wo do ist ein fridsame sele, do ist gott. KEISERSBERG bilg. 92d; das der mechtige gewaltige got seine wonung anderst nienen dan in einem gerüwigen, fridsamen herzen haben wil. selenpar. 69b; diese leute sind friedsam bei uns und wöllen im lande wonen und werben. 1 Mos. 34, 21; ich bin eine von den friedsamen und trewen stedten in Israel. 2 Sam. 20, 19; denn sie legen ire hende an seine friedsamen. ps. 55, 21; und Seraja war ein friedsamer fürst. Jer. 51, 59; er wandelte fur mir friedsam und aufrichtig. Maleachi 2, 6; seid friedsam, so wird gott der liebe und des friedes mit euch sein (gavairþi taujandans sijaid, jah guþ gavairþeis jah friaþvôs vairþiþ miþ izvis). 2 Cor. 13, 11; und seid friedsam mit inen (jah gavairþi habaiþ in izvis). 1 Thess. 5, 13; alle züchtigung aber,

Bd. 4, Sp. 198

wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht freude sondern trawrigkeit sein. aber darnach wird sie geben eine friedsame frucht der gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind. Ebr. 12, 11; ein stiller, trewer, friedsamer, nützlicher, tröstlicher man. LUTHER 3, 524b; der unter dem bapstthumb fein still und friedsam war. tischr. 219b; daher kompt das (= das es) in all seinem reich fridsam ist. FRANK weltb. 103b; das ist der friedsam geist Christi. kriegsb. des fr. 154;

die ersten macht er (der wein) frölich, friedsam,
gutwillig, milt, gütig und mietsam,
die andern reizet er zu zorn.
H. SACHS I, 415a;

die friedsamen verfolgt, durchecht
wider got, billichkeit und recht.
III. 1, 75a;

er ist gewest ein friedsamer fürst.
III. 1, 101c;

ir männer, fridsam und auch gütig.
101d;

fridsam, sitsam, still und gütig.
III. 2, 71c;

das es friedsam wer allesant.
AYRER 115a;

einigkeit der eltern und kind
ein fried und einsam hausgesind,
ein friedsam freund und nachbarschaft,
da wonet gott mit seiner kraft.
EYERING 1, 713;

ihr mittelmäszigen scribenten,
o, wenn wir euch doch friedsam machen könnten!
GELLERT 1, 138;

deiner friedsamen laube, der jungen tugenden wohnung
hat kein sturm, kein donner, kein todesengel geschonet.
Messias 2, 27;

still wie der friedsame mond in der hohen dämmernden wolke
über uns wallt, so gieng in diesen versammlungen Joseph.
4, 21;

das lächeln der friedsamen jahre
jede ruh des lebens ist hîn.
4, 1091;

der friedsame schlummer
war von dem aug ihm entflohn.
6, 163;

was hat er verbrochen
dieser friedsame mann, dasz ihn unmenschliche tödten?
6, 527;

aber süszere ruh deckte mit fittichen
ihres friedsamen schlummers sie.
KLOPSTOCK 1, 37;

die meinung aller friedsamen leute in der ganzen welt. WIELAND 3, 36; ein friedsames und schüchternes volk. 7, 93; diese nicht mehr friedsamen thäler. 8, 424; sie lebten friedsam untereinander. 10, 57; und nun ade! Rottweil, liebes friedsames städtchen. der a. m. im Tockenb. 109; ein gutherziger wird friedsam und höflich mit euch umgehen. KANT 7, 391; du hast den feuerbrand in mein junges friedsames herz geworfen und es wird nimmer, nimmer gelöscht werden. SCHILLER 184b;

ei, wo lebt denn
das friedsame geschöpf, das seines lebens
sich nicht mit allen lebenskräften wehrt?
366a.

friedsam und friedlich sind gleichviel, wie tugendsam und tugendlich, geruhsam und geruhlich.


Es scheint also, daß das heutige "friedfertig" dem alten "friedsam" entspricht und daß vielleicht "friedfertig" tatsächlich eine Wortneuschöpfung Luthers sein könnte; im Sinn von "friedenstiftend".

Herzlich, Zettel

Meister Petz Offline




Beiträge: 3.923

06.01.2010 16:51
#41 RE: Afghanistan, Luther und die christliche Friedensbotschaft Antworten

Zitat von Calimero
Wie erklärt sich dieses Wischi-Waschi? Gibt es in den Kirchen keine klare Linie? Erzählt da jeder Würdenträger gerade das, was seiner Ansicht nach zum Publikum passt?



Natürlich gibt es eine klare Linie. Es muss klimaneutral gebetet werden!

Gruß Petz

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.01.2010 22:07
#42 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Bernd D.
Zum "Friede machen" gehört, dass man auf dem Weg dahin auf keinen Fall Mt. 5, 17 ff. außer Acht lässt. Auch das ist Jesu Wort.


Genauer gesagt: Es ist eine Textstelle bei Matthäus. Ich habe mich ein wenig umgesehen, und es will mir jetzt scheinen, als müsse man das in zweierlei Hinsicht einschränken.

Erstens folgen auf die Aufforderungen, das Gesetz zu erfüllen, ja die "Antithesen" Mt. 5, 21-48; also dieses wiederholte ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν ..., "Ich aber sage euch ...". Jesus setzt bei Matthäus also die Thora-Tradition voraus, sieht sie aber keineswegs als hinreichend an. Er setzt ihr - so verstehe ich das - eine radikale Fortführung entgegen. Man könnte vielleicht sagen, ein Aufheben im Hegel'schen Sinn.

Zweitens ist das eben Matthäus, der mehr als die anderen Evangelisten die jüdische Tradition betont hat. Das ist, soweit ich das verstehe, einer der Akzente, die der Judenchrist "Matthäus" gegenüber seiner vermutlichen Vorlage Markus gesetzt hat.

Das sind Überlegungen eines theologischen Laien. Mich würde interessieren, wie die Theologen hier im Forum das sehen.

Herzlich, Zettel

Uwe Richard Offline



Beiträge: 1.255

06.01.2010 22:09
#43 RE: Afghanistan, Luther und die christliche Friedensbotschaft Antworten

Zitat
Natürlich gibt es eine klare Linie. Es muss klimaneutral gebetet werden!


Da dürfen die Sternsinger von Lünen natürlich nicht abseits stehen.

Uwe Richard

Bernd D. Offline



Beiträge: 12

06.01.2010 23:03
#44 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Lieber Zettel,

erst mal herzlichen Dank für deine Grüße!

Bernd:

Zitat
Zitat von Bernd D.Zum "Friede machen" gehört, dass man auf dem Weg dahin auf keinen Fall Mt. 5, 17 ff. außer Acht lässt. Auch das ist Jesu Wort.



Zettel:

Zitat
Genauer gesagt: Es ist eine Textstelle bei Matthäus. Ich habe mich ein wenig umgesehen, und es will mir jetzt scheinen, als müsse man das in zweierlei Hinsicht einschränken.



Ja gut, die Feldrede bei Lukas müsste man dann hinzuziehen. Ist ja höchstwahscheinlich die gleiche Quelle.

Zitat
Er setzt ihr - so verstehe ich das - eine radikale Fortführung entgegen. Man könnte vielleicht sagen, ein Aufheben im Hegel'schen Sinn. Erstens folgen auf die Aufforderungen, das Gesetz zu erfüllen, ja die "Antithesen" Mt. 5, 21-48; also dieses wiederholte ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν ..., "Ich aber sage euch ...". Jesus setzt bei Matthäus also die Thora-Tradition voraus, sieht sie aber keineswegs als hinreichend an.



Ja, Fortführung, aber nicht Aufhebung, wie viele meiner Mitchristen meinen. Der Antijudiasmus der Frühkirche kam ja auch nicht von ungefähr. Bei Hegel habe ich allerdings Bauchschmerzen, weil ich mit seinem "Gottesbegriff", einem "Es", wie es auch in der griechischen Mythologie und im Islam anzutreffen ist, herzlich wenig anfangen kann.

Zitat
Das sind Überlegungen eines theologischen Laien. Mich würde interessieren, wie die Theologen hier im Forum das sehen.



Mein Studium ist jetzt doch schon eine Ecke her. Ich wäre froh, wenn "Herr" sich einklinken würde. Bin auch mehr auf Kirchengeschichte spezialisiert. Publikation über die Täufer:
http://www.amazon.de/Die-radikale-Reform...g/dp/3638957209

Herzliche Grüße
und bis bald
Bernd

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P.S.: Sehr gute Webseite!
Eine Frage noch: Wie kann ich eigentlich die Signatur vom restlichen Text abgrenzen? Gut, ich kann's manuell machen, aber geht das auch automatisch?

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Carlo Schmid (SPD), Mitverfasser des Grundgesetzes:
„Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft…

Man muss in einer Demokratie auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie zu beseitigen!”

Gorgasal Offline




Beiträge: 4.095

06.01.2010 23:15
#45 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Bernd D.
Eine Frage noch: Wie kann ich eigentlich die Signatur vom restlichen Text abgrenzen? Gut, ich kann's manuell machen, aber geht das auch automatisch?


Fangen Sie einfach Ihren Signaturblock mit einem Begrenzer an. Bei mir steht beispielsweise in der ersten Zeile "--", danach erst kommen die subversiven Zitate.

--
La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.01.2010 23:20
#46 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Bernd D.
Lieber Zettel,
erst mal herzlichen Dank für deine Grüße!


Wenn's recht ist, lieber Bernd, dann bleiben wir beim "Sie". Falls Sie meine Meinung dazu interessiert - ich habe hier und hier ein paar Anmerkungen dazu gemacht.

Zitat von Bernd D.

Bernd:

Zitat
Zitat von Bernd D.Zum "Friede machen" gehört, dass man auf dem Weg dahin auf keinen Fall Mt. 5, 17 ff. außer Acht lässt. Auch das ist Jesu Wort.


Zettel:

Zitat
Genauer gesagt: Es ist eine Textstelle bei Matthäus. Ich habe mich ein wenig umgesehen, und es will mir jetzt scheinen, als müsse man das in zweierlei Hinsicht einschränken.


Ja gut, die Feldrede bei Lukas müsste man dann hinzuziehen. Ist ja höchstwahscheinlich die gleiche Quelle.



Es ging mir darum, daß a) ja auf das, was Sie zitieren - Mt. 5t, 17-20 - die Antithesen folgen. Was Sie zitiert haben, ist nur die Grundlage dafür, es anschließend wenn nicht zu widerlegen, so doch einzuschränken.

Und es ging mir b) darum, daß Matthäus als Judenchrist eben eine bestimmte Sicht hat, die man sicher nicht "Jesus" zuschreiben kann. Matthäus war kein Zeitzeuge. Er hat sehr wahrscheinlich Markus als Grundlage gehabt und ihn eben in seinem, am Judentum orientierten Sinn bearbeitet.

Zitat von Bernd D.

Zitat
Er setzt ihr - so verstehe ich das - eine radikale Fortführung entgegen. Man könnte vielleicht sagen, ein Aufheben im Hegel'schen Sinn. Erstens folgen auf die Aufforderungen, das Gesetz zu erfüllen, ja die "Antithesen" Mt. 5, 21-48; also dieses wiederholte ἐγὼ δὲ λέγω ὑμῖν ..., "Ich aber sage euch ...". Jesus setzt bei Matthäus also die Thora-Tradition voraus, sieht sie aber keineswegs als hinreichend an.


Ja, Fortführung, aber nicht Aufhebung, wie viele meiner Mitchristen meinen. Der Antijudiasmus der Frühkirche kam ja auch nicht von ungefähr.



Man kann es, lieber Bernd D., schon Aufhebung nennen. Aber eben in dem bekannten dreifachen Hegelschen Sinn - als Aufbewahren, Erhöhen und Überwinden.

Zitat von Bernd D.
Bei Hegel habe ich allerdings Bauchschmerzen, weil ich mit seinem "Gottesbegriff", einem "Es", wie es auch in der griechischen Mythologie und im Islam anzutreffen ist, herzlich wenig anfangen kann.


Ich bin alles andere als ein Freund Hegels. Irgendwo tief in diesem Forum finden Sie eine lange Diskussion zwischen Gomez und mir über Hegel. Hier ging es mir nur um den Begriff des Aufhebens.

Herzlich, Zettel

PS: Alles zur Signatur finden Sie hier. Und alles zum Zitieren hier.

Herr Offline




Beiträge: 406

06.01.2010 23:41
#47 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Bernd D.
Mein Studium ist jetzt doch schon eine Ecke her. Ich wäre froh, wenn "Herr" sich einklinken würde.


Hm, wollte eigentlich gerade schlafen gehen.

Ich würde eigentlich mehr Zettels Interpretation zustimmen: Der mt Jesus radikalisiert die Thora und hebt sie auf eine höhere Stufe: Durchdringung auf ihren inneren Sinn. Da gibt es wie beim Töten und Ehebrechen das Zurückgehen auf die Herzensneigung. - Das hat, lieber Zettel, um mal Hegel außen vor zu lassen, Verwandtschaft mit der Kant'schen Unterscheidung von Moralität und Legalität. An anderen Stellen, wie beim Thema Ehescheidung (Mt 19) geht Jesus weiter, indem er sagt, das Thora-Gebot (Erlaubnis der Ehescheidung) sei nur "eures Herzens Härte wegen" von Mose (nicht von Gott!) gegeben worden.

Insofern ist es wirkungsgeschichtlich nicht abwegig, die Bergpredigt als ein Stück Gesinnungsethik zu verstehen. Und das macht natürlich auch ihre Problematik und ihre schwierige Handhabbarkeit aus.

Zitat von Bernd W.
Ja, Fortführung, aber nicht Aufhebung, wie viele meiner Mitchristen meinen. Der Antijudiasmus der Frühkirche kam ja auch nicht von ungefähr.


Ich habe, lieber Bernd, erhebliche Probleme mit der modischen Antijudaismus-Brille. Ich halte da vieles für Ideologie. Im NT spiegelt sich eine dramatische Ablösungsgeschichte einer neuen Religion von ihrer Mutterreligion. Mt wie auch Paulus stehen auf je ihre Art in der Spannung, von ganzem Herzen Juden zu sein und gleichzeitig maßlos enttäuscht zu sein, dass der jüdische Mainstream den Jesus-Christus-Glauben ablehnt. Darum finden wir bei beiden einen vehementen theologischen Antijudaismus auf jüdischer Grundlage. Und der ist für das Christentum prägend geworden.
(Sehr erhellend in diesem Zusammenhang: Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen, 1999, der die Entstehung der christlichen Religion als Absetzung vom Judentum in Mythos, Ethos und Ritus anhand der ntl. Schriften rekonstruiert.)

Wer Jesus und das frühe Christentum nicht im Kontrast zur jüdischen Mutterreligion versteht, kann eigentlich das Wesen des Christentums nicht verstehen. Ein jüdischer Rabbi, der nicht viel anderes sagt, als da und dort auch gesagt worden ist, taugt nicht zum Religionsstifter.

Entgegen dem modischen Philojudaismus in der Theologie bin ich der Meinung, dass das Christentum dezidiert als eigenständige Religion gegen das Judentum profiliert werden muss. (Dass theologische Kritik an der jüdischen Religion in der Vergangenheit antisemitisch instrumentalisiert worden ist, nimmt ihr in keiner Weise ihre theologische Berechtigung.)

Schöne Grüße!
Herr

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

06.01.2010 23:52
#48 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Herr

Zitat von Bernd D.
Mein Studium ist jetzt doch schon eine Ecke her. Ich wäre froh, wenn "Herr" sich einklinken würde.


Hm, wollte eigentlich gerade schlafen gehen.



Ich freue mich, daß Sie erst noch diesen Beitrag geschrieben habe, aus dem ich - mal wieder - viel gelernt habe.

Herzlich, Zettel

Calimero ( gelöscht )
Beiträge:

07.01.2010 11:52
#49 RE: Afghanistan, Luther und die christliche Friedensbotschaft Antworten

Zitat von Uwe Richard

Da dürfen die Sternsinger von Lünen natürlich nicht abseits stehen.



Au, das ist hart! Da wundert einen garnix mehr...

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Wir sind alle gemacht aus Schwächen und Fehlern; darum sei erstes Naturgesetz, dass wir uns wechselseitig unsere Dummheiten verzeihen. - Voltaire

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

07.01.2010 14:03
#50 RE: Zwei theologische Fragen Antworten

Zitat von Herr
Das hat, lieber Zettel, um mal Hegel außen vor zu lassen, Verwandtschaft mit der Kant'schen Unterscheidung von Moralität und Legalität.


Also - für diejenigen, die vielleicht mit Kant nicht so bewandert sind - mit dem Unterschied zwischen der Einhaltung des Gesetzes (Legalität; die viele Ursachen haben kann; zB Angst oder Neigung) und der Einhaltung des Gesetzes allein aus Achtung vor dem Gesetz (Moralität).

Schiller hat dazu gedichtet (aus dem Gedächtnis zitiert):

Zitat von Friedrich Schiller
Gerne hülf' ich dem Freund,
doch tu ich es leider aus Neigung,
und so grämt es mich denn,
daß ich nicht tugendhaft bin



Trifft das Mt. 5? Mir scheint, lieber Herr, daß gerade das Judentum religiös-moralisches Verhalten allein aus Achtung vor dem Gesetz verlangt. Ich hatte kürzlich wieder ein Gespräch mit einem jüdischen Freund darüber. Wie viele Juden ein Ungläubiger, der gleichwohl viele religiöse Rituale einhält. Warum? Weil es nun einmal Gesetz ist, sagt er. Weil die Einhaltung des Gesetzes uns Juden über die Jahrtausende zusammengehalten hat. Würden wir das aufgeben, dann würden wir unsere Identität aufgeben.

Der Jude, der koscher ißt, erfüllt seine Pflicht aus Achtung vor dem Gesetz, ganz im Sinn der Kant'schen Moralität. (Daß dieses Gesetz natürlich nicht auf dem kategorischen Imperativ beruht, ist ein anderes Thema). Lediglich Legalität läge vor, wenn er es zB nur wegen der orthodoxen Erbtante täte.

Zu Gesinnungsethik und Verantwortungsethik schreibe ich vielleicht getrennt noch etwas.

Herzlich, Zettel

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