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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 131 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.01.2010 17:57
#51 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von JeffDavis

Zitat von Martin
(Allerdings sollte natürlich auch Zettel erklären können wie er zu seinen gechichtlichen Schlussfolgerungen gekommen ist).


Auf den letzeren Punkt warte ich auch noch gespannt.



Da ist, lieber Martin und lieber JeffDavis, nicht allzuviel zu erklären. Hier noch einmal die Passage in meinem Artikel:

Zitat von ZR
Hat die Bischöfin sich jemals mit der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs befaßt? Was sie dazu sagt, läßt das nicht erkennen.

"Warum gab es keine Strategien?" fragt sie und meint vermutlich Strategien, den Krieg zu vermeiden. Aber diese Strategien gab es ja.

Diejenige Chamberlains war es, Hitler so weit, wie irgend verantwortbar (und ein Stück weiter) entgegenzukommen, um einen Krieg im Jahr 1938 zu vermeiden, in dem Hitler, der als einziger seine Rüstung weitgehend abgeschlossen hatte, allen anderen überlegen gewesen wäre.

"Peace for our time", das hieß eben nicht "Peace forever". England brauchte Zeit zum Rüsten; vielleicht würde das Hitler ja überhaupt von seinem Krieg abhalten können. Aber vor allem brauchte England Aufschub. Das war der Sinn der Politik des Appeasement, für welche die Bischöfin kein Verständnis zeigt.

Es gab auch die alternative Strategie, die Winston Churchill, damals ein Journalist, politischer Außenseiter und Hinterbänkler, zu predigen nicht müde wurde: Hitler stoppen, so früh es geht. Denn jedes Nachgeben würde seine Aggressivität nur weiter steigern. Churchill sollte Recht behalten.

Es gab also Strategien. Sie genügen der Bischöfin offenbar nicht. Welche Strategie den Zweiten Weltkrieg denn nach ihrer Kenntnis der Geschichte hätte verhindern können, sagt sie nicht. Man darf unterstellen, daß sie es nicht weiß.


Es ging also um die strategischen Überlegungen, die der Politik des Appeasement zugrundelagen.

Diese hatte sicher viele Motive, die nicht strategischer Natur waren; zum Beispiel die in der britischen Oberschicht weitverbreitete freundliche Haltung gegenüber Nazi-Deutschland. Churchill war ja mit seiner Haltung in der Konservativen Partei ziemlich isoliert. Einen ausgezeichneten Überblick über diese Seite des Appeasement gibt Frank McDonough in seiner Monographie "Neville Chamberlain, appeasement, and the British road to war", von der man größere Ausschnitte bei Google Books lesen kann.

Aber es gab eben auch - jedenfalls nehmen das viele Historiker an - ein strategisches Moment in der Appeasement-Politik, nämlich dasjenige, einen Krieg zu dem damaligen Zeitpunkt zu vermeiden, weil die britische Rüstung noch nicht weit genug war. Dazu schreibt zum Beispiel George Visan, der sich hauptsächlich auf Robert Gilpins "War and change in world politics" und Mark R. Brawleys Aufsatz "Neoclassical realism and strategic calculations: explaining divergent British, French, and Soviet strategies toward Germany between the world wars (1919–1939)" stützt (Hervorhebung von mir):

Zitat von George Visan
In the 1930s the room for maneuver in response to Germany’s rise was severely constricted because of the strategic choices made in the previous decade. France soon realized that it could not compete with Germany’s economic wherewithal and adopted a defensive strategy. France’s situation was compounded by internal political and social crises and it soon abandoned any plans concerning building up any offensive military capability to strike at Germany and retreated behind the Maginot line. Britain gave up its moratorium on re-armament in the 1930s and concentrated on building up its air force and modernizing its fleet, as it most feared what was called then a “knock out blow”. Diplomatically the British used appeasement to win time and invest in their arms industry.


Es ging mir also in dem Aufsatz um die strategischen Überlegungen, die (auch) hinter der Appeasement-Politik standen, wie natürlich auch hinter Churchills Position. Die Bischöfin hatte ja "Strategien" vermißt.

Ob die Strategie Chamberlains vernünftig war, weiß ich nicht. Ich bezweifle es. Aber sie war eben offenbar ein Teil der Überlegungen, die in München 1938 auf britischer und auch französischer Seite eine Rolle gespielt hatten.



Nun habe ich geschrieben: "Diejenige Chamberlains war es, Hitler so weit, wie irgend verantwortbar (und ein Stück weiter) entgegenzukommen, um einen Krieg im Jahr 1938 zu vermeiden, in dem Hitler, der als einziger seine Rüstung weitgehend abgeschlossen hatte, allen anderen überlegen gewesen wäre". Damit wollte ich die Sicht Chamberlains kennzeichnen. Ob diese richtig war, wollte ich in dem Artikel nicht und kann ich überhaupt nicht beurteilen.

Mir schien allerdings, daß die seit 1935 betriebene Aufrüstung die Wehrmacht wenn auch vielleicht nicht zur stärksten, so doch zur modernsten Armee Europas gemacht hatte; Lanzenreiter, wie sie die Polen noch 1939 einsetzten, waren jedenfalls ausgemustert.

Ich habe mich aber nie ernsthaft mit diesem Thema befaßt und verfolge deshalb mit Lernbegier das, was hier dazu von denen geschrieben wurde und vielleicht noch weiter beschrieben wird, die kundiger sind als ich. Gut möglich, daß ich dann mein Urteil revidiere.



Als ich mich jetzt ein wenig zu diesem Thema umgesehen habe, ist mir allerdings aufgefallen, daß Äußerungen, wonach die Wehrmacht 1939 keineswegs den Armeen der Großbritanniens, Frankreichs und Polens überlegen gewesen seien, häufig in einem geschichtsrevisionistischen Kontext anzutreffen sind: Es wird daraus der Schluß gezogen, daß Hitler gar nicht zum Krieg entschlossen gewesen sei.

Das scheint mir nun aber ein ganz anderes Thema zu sein. Hitler wollte - das haben wir hier im Forum ja schon ausführlich diskutiert - um keinen Preis eine Wiederauflage des Zweifrontenkriegs. Er wollte sich mit Großbritannien arrangieren, um freie Hand für seinen Raubkrieg gen Osten zu haben, den er für unbedingt erforderlich hielt, um "Lebensraum" für ein demographisch wachsendes Deutsches Volk zu gewinnen; das kann man alles ausführlich in "Mein Kampf" nachlesen.

1939 hielt er die Wehrmacht für weit genug aufgerüstet, um im Verein mit Stalin Polen zu überfallen. Natürlich rechnete er damit, daß die Appeaser in England und die schwache Regierung in Paris ihre Garantie gegen Polen nicht einlösen würden; daß sie wieder einknicken würden wie schon in München.

Er hatte sich in Chamberlain verrechnet, der - man kann das sehr eindrucksvoll in Churchills "The gathering storm" lesen - eben kein Weichei war. Er hatte Hitlers Zusagen in München geglaubt, daß Deutschland nach der Erfüllung der dortigen Vereinbarungen keine territorialen Ansprüche mehr haben würde. Er sah sich jetzt von Hitler hinters Licht gefühlt.

Churchill schildert, wie empört der Gentleman Chamberlain darüber war und wie er sofort entschlossen war, das Hitler diesmal nicht durchgehen zu lassen. Es reichte.

Hitler war bekanntlich fassungslos, als ihm der Botschafter Henderson die Kriegserklärung überreichte. Sein ganzes Kalkül war damit Makulatur. Denn für einen Zweifrontenkrieg war Deutschland in der Tat 1939 nicht gerüstet.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.01.2010 18:06
#52 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von JeffDavis

Zitat von Florian
Wichtig ist für mich nur, dass das Ergebnis (auch) für die deutsche Bevölkerung positiv war.


Vor allem für die Opfer der britischen Flächenbombardements, die Opfer der Vertreibung und die Pechvögel auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs. Von diesem positiven Ergebnis durften ja auch andere Völker reichhaltig und für lange Zeit profitieren.



Diesen Einwand verstehe ich nicht, lieber JeffDavis. Sie wollen doch nicht sagen, daß es für uns Deutsche besser gewesen wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte und die Nazis nicht nur in Deutschland an der Macht geblieben wären, sondern ihr Terrorregime auch noch über einen großen Teil Europas ausgedehnt hätten?

Natürlich war das, was Sie nennen, entsetzlich. Es war die entsetzliche Folge des Hitler'schen Wahns. Aber wir sind uns - setze ich voraus - doch einig, daß es weit weniger entsetzlich war als eine fortdauernde Herrschaft der Nazis.

Natürlich haben - um einen anderen Punkt anzusprechen, den Sie in diesem Thread erwähnt haben - die Alliierten ausschließlich im eigenen Interesse gehandelt; ein US-Präsident hätte ja seinen Amtseid verletzt, wenn er das Leben amerikanischer Soldaten geopfert hätte, um etwas für Deutschland zu tun.

Aber das ändert nichts daran, daß die Niederlage von 1945 das Beste war, was Deutschland in der damaligen Situation widerfahren konnte. Auch die bedingungslose Kapitulation. Sie allein befreite Deutschland wirklich von den Nazis. Ein verhandelter Friede hätte ihnen einen Teil ihrer Herrschaft gelassen; wir sehen etwas ähnliches ja heute in Bezug auf die Machtelite der DDR.

Herzlich, Zettel

FAB. Offline



Beiträge: 523

18.01.2010 18:50
#53 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von Zettel
Natürlich war das, was Sie nennen, entsetzlich. Es war die entsetzliche Folge des Hitler'schen Wahns.

Ich stoße mich immer wieder an dem Wort "Folge". Diese Ausdrucksweise hat einen Beigeschmack von mechanischer Kausalität und Unausweichlichkeit und negiert damit die moralische Verantwortung der Gegner Deutschlands für ihre eigene Kriegführung. Sie haben sich nunmal 1945 verhalten wie jemand, der, als Angegriffener, den Angriff zurückschlägt, dann aber, nachdem der ursprüngliche Angreifer am Boden liegt und sich kaum noch rührt, weiter hemmungslos auf ihn eintritt bis er dauerhaft entstellt und zum Krüppel geschlagen ist. Das war "Folge" des Hitlerschen Wahns höchstens im chronologischen Sinn; im übrigen aber vorsätzliche - und damit verbrecherische - Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung. Diese mit der Erwägung zu beschönigen, ihre Opfer seien schließlich am Ende befreit worden, erscheint mir zynisch.

Ungelt ( gelöscht )
Beiträge:

18.01.2010 19:19
#54 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von FAB.
Ich stoße mich immer wieder an dem Wort "Folge".

Ob, wann, welche Kriegsaktion berechtigt oder erforderlich war, kann ich nicht beurteilen, dazu kenne ich mich mit der Materie nicht genügend aus. Daß aber sehr viele der auf der Siegerseite handelnden Personen auch tiefe Rachegefühle hatten, weil deren Familien zerstört, engste Freunde umgebracht, das eigene Leben verpfuscht wurde, das scheint mir aber selbstverständlich zu sein. Für mich zählen daher auch möglicherweise sinnlose Aktionen zu den "natürlichen" Folgen eines Angriffskrieges. Die Menschen sind eben so wie sie sind, man kann nicht erwarten, daß alle immer klug, besonnen und gerecht sind.

Guten Abend, Ungelt

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.01.2010 19:24
#55 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von FAB.

Zitat von Zettel
Natürlich war das, was Sie nennen, entsetzlich. Es war die entsetzliche Folge des Hitler'schen Wahns.

Ich stoße mich immer wieder an dem Wort "Folge". Diese Ausdrucksweise hat einen Beigeschmack von mechanischer Kausalität und Unausweichlichkeit und negiert damit die moralische Verantwortung der Gegner Deutschlands für ihre eigene Kriegführung. Sie haben sich nunmal 1945 verhalten wie jemand, der, als Angegriffener, den Angriff zurückschlägt, dann aber, nachdem der ursprüngliche Angreifer am Boden liegt und sich kaum noch rührt, weiter hemmungslos auf ihn eintritt bis er dauerhaft entstellt und zum Krüppel geschlagen ist. Das war "Folge" des Hitlerschen Wahns höchstens im chronologischen Sinn; im übrigen aber vorsätzliche - und damit verbrecherische - Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung. Diese mit der Erwägung zu beschönigen, ihre Opfer seien schließlich am Ende befreit worden, erscheint mir zynisch.



Das habe ich nicht getan, lieber FAB. Sie lesen ja schon lange hier mit und wissen, daß ich zum Beispiel die Flächenbombardements als Kriegsverbrechen bezeichnet habe. Die Vertreibungen waren ebenso Verbrechen.

Aber darum ging es ja in dem Dialog nicht, in den ich mich eingeschaltet habe:

Zitat von Dialog

Zitat von JeffDavis

Zitat von Florian
Wichtig ist für mich nur, dass das Ergebnis (auch) für die deutsche Bevölkerung positiv war.


Vor allem für die Opfer der britischen Flächenbombardements, die Opfer der Vertreibung und die Pechvögel auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs. Von diesem positiven Ergebnis durften ja auch andere Völker reichhaltig und für lange Zeit profitieren.




Es ging also um die Frage, ob das Ergebnis - die bedingungslose Kapitulation Hitlerdeutschlands - für die Deutschen positiv war oder negativ.

Mir schien, daß man JeffDavis so (wie ich annehme und hoffe) mißverstehen konnte, daß es ihm also lieber gewesen wäre, es hätte die Flächenbombardements und die Vetreibungen nicht gegeben, und Deutschland hätte den Krieg gewonnen oder einen verhandelten Frieden geschlossen. Dazu erbat ich eine Klarstellung, nur darum ging es mir.



Was die Frage der "Folge" angeht: Natürlich wären alle diese Entsetzlichkeiten ohne Hitlers Kriegspolitik nicht passiert. Insofern waren sie deren Folge, und die Verantwortlichkeit dafür liegt primär bei Hitler und allen, die ihm gefolgt sind.

Aber die eine Verantwortlichkeit schließt ja die andere nicht aus. Historische Prozesse sind, wie menschliches Handeln, multipel determiniert. Die Flächenbomardements sind von denjenigen zu verantworten, die sie angeordnet haben, auch wenn sie ohne Hitlers Kriegspolitik nicht stattgefunden hätten. Dasselbe gilt für die Vertreibungen.

Herzlich, Zettel

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

18.01.2010 20:36
#56 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von JeffDavis

Vor allem für die Opfer der britischen Flächenbombardements, die Opfer der Vertreibung und die Pechvögel auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs. Von diesem positiven Ergebnis durften ja auch andere Völker reichhaltig und für lange Zeit profitieren.


Diesen Einwand verstehe ich nicht, lieber JeffDavis. Sie wollen doch nicht sagen, daß es für uns Deutsche besser gewesen wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte und die Nazis nicht nur in Deutschland an der Macht geblieben wären, sondern ihr Terrorregime auch noch über einen großen Teil Europas ausgedehnt hätten?
Natürlich war das, was Sie nennen, entsetzlich. Es war die entsetzliche Folge des Hitler'schen Wahns. Aber wir sind uns - setze ich voraus - doch einig, daß es weit weniger entsetzlich war als eine fortdauernde Herrschaft der Nazis.




Lieber Zettel, ich gebe offen zu, daß ich erhebliche Probleme mit beiden Alternativen habe. Über diese Frage denke ich schon seit Jahren immer wieder nach, ohne bisher zu einem Ergebnis zu kommen, das mich überzeugt. Denn so einfach ist es nicht.

Wir sind uns darin einig, daß eine Ausdehnung von Hitlers Herrschaftssystem eine Katastrophe für Europa gewesen wäre. Wenn man seine Verbrechen und Fehler in den 12 Jahren hochrechnet auf eine Herrschaft von 3-4 Jahrzehnten.... Man darf gar nicht daran denken. Es sind ja nicht nur die Ermordeten und Entrechteten, sondern man muß auch das andere Chaos und Elend sehen, die Degradierung der Menschen zu Objekten staatlichen Handelns, die Vernichtung des Rechtsstaats, der Verlust geistiger Freiheit, die Ausübung der Macht durch eine Gruppe fanatisierter spießiger Kleinbürger. Aber das muß ich Ihnen nicht erläutern.

Nur: Genau dieses Schicksal mußten alle Völker erleiden, die unter Stalins Terrorregime gerieten (teils vor 1939, teils als seine Folge). Die Balten, die Ostdeutschen, die Polen, die Tschechen, die Rumänen, die Ukrainer, die kaukasischen Völker, die Krimtataren und viele mehr. Sie und ich hatten das Glück auf der richtigen Seite des Vorhangs zu leben. Für einen Litauer oder einen Polen gab es diese Wahl nicht. Unter den Deutschen hätten sie gelitten, die einen mehr, die anderen weniger. Aber unter den Sowjets war es keinen Deut besser. Nicht umsonst haben schon im Kriege viele hunderttausend Freiwillige aus den osteuropäischen Ländern, die der Segnungen sowjetscher Herrschaft beretis teilhaftig geworden waren, auf deutscher Seite gekämpft. Obwohl die deutsche Politik sie meist nicht viel besser behandelte.

Inder oder Araber würde Ihnen vermutlich wieder eine andere Antwort geben. Ihnen wäre womöglich eine NS-Herrschaft in Europa gleichgültig gewesen, wenn das ein Ende der französischen oder britischen Kolonialherrschaft in ihrer Heimat bedeutet hätte.

Und nicht alle Ereignisse des 2.WKs sind eine kausale Folge von Hitlers Angriff auf Polen. Aber das meinten Sie bestimmt auch nicht, als sie schrieben "Natürlich war das, was Sie nennen, entsetzlich. Es war die entsetzliche Folge des Hitler'schen Wahns."

Hitlers Herrschaft wäre - wie alle Gewaltregime - nach einer bestimmten Zeit sklerotisiert und dann zerfallen. Ob es Hitlers Tod lange überlebt hätte, ist angesichts der starken Personalisierung des Systems fraglich, muß aber Spekulation bleiben. Wir haben es mit dem Ostblock gerade eben den Untergang eines Terrorsystems erlebt.

Ich kann mit Überzeugung unterschreiben, daß eine Fortdauer der Hitlerschen Herrschaft eine europäische Katastrophe bedeutet hätte, aber ich kann nicht behaupten, daß mir der andere Kriegsausgang wesentlich mehr behagt. Eine europäische Tragödie auch er. Nehmen Sie es mir aus diesem Grunde bitte nicht übel, daß ich mich zwar von Herzen über das Ende der NS-Herrschaft freue, in die Freude oder Genugtuung über den Sieg der Allierten aber nicht so recht einstimmen mag.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

18.01.2010 21:27
#57 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von JeffDavis
Wir sind uns darin einig, daß eine Ausdehnung von Hitlers Herrschaftssystem eine Katastrophe für Europa gewesen wäre. (...)

Nur: Genau dieses Schicksal mußten alle Völker erleiden, die unter Stalins Terrorregime gerieten (teils vor 1939, teils als seine Folge). Die Balten, die Ostdeutschen, die Polen, die Tschechen, die Rumänen, die Ukrainer, die kaukasischen Völker, die Krimtataren und viele mehr.


Lieber JeffDavis,

ich stimme weitgehend mit Ihnen überein. Die Herrschaft der Kommunisten war kein bißchen erträglicher als die der Nazis. Man sollte auch sehen - Ernst Nolte hat das herausgearbeitet -, daß der Totalitarismus in Europa mit der Herrschaft der Kommunisten begann und daß in Vielem Hitler das wiederholt (nicht unbedingt "nachgemacht") hat, was Lenin und Stalin angerichtet haben.

Nur hier bin ich nicht ganz Ihrer Meinung:

Zitat von JeffDavis
Ich kann mit Überzeugung unterschreiben, daß eine Fortdauer der Hitlerschen Herrschaft eine europäische Katastrophe bedeutet hätte, aber ich kann nicht behaupten, daß mir der andere Kriegsausgang wesentlich mehr behagt. Eine europäische Tragödie auch er. Nehmen Sie es mir aus diesem Grunde bitte nicht übel, daß ich mich zwar von Herzen über das Ende der NS-Herrschaft freue, in die Freude oder Genugtuung über den Sieg der Allierten aber nicht so recht einstimmen mag.


Aus meiner Sicht, lieber JeffDavis, war die Alternative eine totalitäre Herrschaft über ganz Europa oder über seine östliche Hälfte (wobei zu "östlich" auch Mitteldeutschland und das überhaupt nicht östliche, sondern mitten in Europa liegende Tschechien zu rechnen sind).

Deshalb zögere ich keinen Augenblick, im tatsächlichen Ausgang des Kriegs das geringere Übel zu sehen. Zumal nur der Erfolg des Kapitalismus und des demokratischen Rechtsstaats im Westen den Fall des Kommunismus im Osten ermöglicht hat.



Was wäre gewesen, wenn Hitler gesiegt hätte? Das wissen wir ja leider nicht. Sie beschreiben ein mögliches Szenario. Ein anderes ist, daß die Nazis mit so eiserner Faust und mindestens so lange regiert hätten, wie es die Kommunisten haben.

Gewiß, das Regime war auf Hitler zugeschnitten. Aber die Ideologie war ja nicht an seine Person gebunden. Wie langebig diese Ideologie noch lange Zeit war, sieht man daran, daß ja alles diese "Nationalen Befreiungsbewegungen" nationalsozialistisch waren. Ho Tschi Minh war ein Nationalsozialist ebenso wie Kim Vater es war und Kim Sohn es ist. Von Kenyatta bis Mengistu waren die linken Führer der afrikanischen "Befreiungsbewegungen" Nationalsozialisten.

Die Verbindung von Nationalismus und Sozialismus ist deshalb so gefährlich, aber eben auch so langlebig, weil jede dieser beiden Ideen ja schon die Unterordnung des Einzelnen unter die "Gemeinschaft" fordert. Beide zusammen ergeben die ideale totalitäre Ideologie.

Herzlich, Zettel

Chripa Offline



Beiträge: 132

18.01.2010 23:34
#58 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat
ich stimme weitgehend mit Ihnen überein. Die Herrschaft der Kommunisten war kein bißchen erträglicher als die der Nazis.


Zitat
Aus meiner Sicht, lieber JeffDavis, war die Alternative eine totalitäre Herrschaft über ganz Europa oder über seine östliche Hälfte



Lieber Zettel,
ich bin sehr dafür, die Gemeinsamkeiten von linken und rechten Diktaturen zu betonen.
Aber genauso wichtig ist es, die Unterschiede zwischen den einzelnen Regimen herauszuarbeiten.
Es gibt nur wenige kommunistische Herrscher, die Hitler auch nur einigermaßen gleichkommen
bezüglich Bösartigkeit und angerichtetem Schaden. Diese pauschale Gleichsetzung finde ich daher
mit Verlaub gesagt wirklich unmöglich. Ich verstehe vor allem nicht, wie man mit so viel Wissen
zu einem solchen Fehlurteil kommen kann. Deshalb komme ich mir auch komisch dabei vor, noch einmal
auf ein paar Zeilen diese grundlegenden Fakten in Erinnerung zu rufen, aber sei es drum:

Es kann ja sein, dass der durchschnittliche "Volksgenosse" in der Nazi-Zeit vor dem Krieg und
teilweise auch noch nach dessen Beginn vergleichsweise gut gelebt hat. Aber für die Juden hat es zB
sehr wohl einen Unterschied gemacht, in welcher Form des Totalitarismus sie sich wiederfanden. Entgegen
des Selbstbildes vieler Polen, die sagen, sie wären sozusagen vom Regen in die Traufe gekommen, ging es
auch ihnen nach dem Krieg sehr viel besser als im Generalgouvernement unter Herrn Frank. Diese Aufzählung
ließe sich fortsetzen. Hier ist zB noch ein Auszug aus der Posener Rede von Himmler:
"Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total gleichgültig. Das, was in den Völkern an
gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben
und sie bei uns großziehen. Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das
interessiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht.
Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur
insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.“

Ich bin mir anders als JeffDavis auch überhaupt nicht sicher, dass im Verlaufe der Zeit eine Mäßigung eingetreten
wäre. Sebastian Haffner spekuliert in seinen Büchern 1940 über einen möglichen Putsch von Himmler, der eine
weitere Radikalisierung befürchten lasse. Überhaupt wurde alles Barbarische während dieser 12 Jahre immer nur verschärft.
Hinzu kommt, dass mit der Zeit die Prägung des Volkes durch die Zeit vor 1933 immer stärker nachgelassen hätte.

Da werden Sie mir wahrscheinlich auch weitgehend zustimmen. Was nun die Kommunisten angeht: Ich kenne mich mit deren
Verbrechen ganz gut aus, auch wenn ich da natürlich kein Experte bin. Pol Pot, Stalin, Lenin usw. Aber Sie haben
ja von Kommunisten allgemein gesprochen. Und die DDR, das kommunistische Ungarn usw auch mit den Nazis gleichzusetzen
geht einfach nicht an. Das ist unter anderem auch deshalb ärgerlich, weil man es damit den Linken so leicht macht,
die DDR zu verharmlosen.

Nichts für ungut und viele Grüße,
Chr.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

19.01.2010 00:23
#59 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von Chripa
Es gibt nur wenige kommunistische Herrscher, die Hitler auch nur einigermaßen gleichkommen
bezüglich Bösartigkeit und angerichtetem Schaden.


Stalin, Mao, Ho Tschi Minh, Pol Pot, Kim Il-sung, Kim Jong-il. Wobei man die Zahl der Opfer immer in Relation zu den Möglichkeiten des jeweiligen Politverbrechers setzen muß. Ich empfehle sehr das "Schwarzbuch des Kommunismus", das leider in Deutschland kaum gelesen wurde und wird.

Zitat von Chripa
Es kann ja sein, dass der durchschnittliche "Volksgenosse" in der Nazi-Zeit vor dem Krieg und
teilweise auch noch nach dessen Beginn vergleichsweise gut gelebt hat. Aber für die Juden hat es zB
sehr wohl einen Unterschied gemacht, in welcher Form des Totalitarismus sie sich wiederfanden. Entgegen
des Selbstbildes vieler Polen, die sagen, sie wären sozusagen vom Regen in die Traufe gekommen, ging es
auch ihnen nach dem Krieg sehr viel besser als im Generalgouvernement unter Herrn Frank.


Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Aber es ändert nichts daran, daß der Kommunismus Opfer in mindestens derselben Größenordnung gefordert hat. Ich kopiere der Einfachheit halber die Tabelle aus dem Wikipedia-Artikel über das Schwarzbuch des Kommunismus hier herein:

Zitat von Artikel 'The Black Book of Communism'
* 65 million in the People's Republic of China
* 20 million in the Soviet Union
* 2 million in Cambodia
* 2 million in North Korea
* 1.7 million in Africa
* 1.5 million in Afghanistan
* 1 million in the Communist states of Eastern Europe
* 1 million in Vietnam
* 150,000 in Latin America
* 10,000 deaths "resulting from actions of the international communist movement and communist parties not in power."


Über die noch heute bestehenden KZ in Nordkorea habe ich in ZR im vergangenen Juli berichtet.

Zitat von Chripa
Hier ist zB noch ein Auszug aus der Posener Rede von Himmler:
"Wie es den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist mir total gleichgültig. Das, was in den Völkern an
gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen. Ob die anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen, anders interessiert mich das nicht. Ob bei dem Bau eines Panzergrabens 10.000 russische Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird.“


Genauso dachten die oben genannten Führer des Kommunismus; nur haben sie es nicht offen gesagt. Sie haben Menschen verheizt, wie sie es gerade für ihre Ziele brauchten; übrigens auch jener Ho Tschi Minh, der über Jahrzehnte Generationen seines Volks in einem Krieg verheizte und der absurderweise eines der Vorbilder der 68er war.

Zitat von Chripa
Aber Sie haben ja von Kommunisten allgemein gesprochen. Und die DDR, das kommunistische Ungarn usw auch mit den Nazis gleichzusetzen geht einfach nicht an.


Meine Beiträge hier im Forum, lieber Chripa, erscheinen mir oft zu lang, und dann lasse ich manches weg bzw. verschiebe es auf einen späteren Beitrag.

Genau zu diesem Punkt hatte ich etwas zu schreiben angefangen und habe es dann wieder gelöscht. Es ist etwas, das ich auch schon früher geschrieben habe und das sich, wenn wir ein wenig suchen, im Archiv des Forums auffinden ließe:

Man muß die richtigen Vergleiche vornehmen. Hitler auf der einen Seite ist mit Stalin, Mao und den anderen oben Aufgezählten zu vergleichen. Auch Nicolae Ceauşescu gehört noch in diese Gruppe (dank Herta Müller ist ja jetzt etwas über sein barbarisches Regime ins allgemeine Bewußtsein gedrungen). Er stand vielleicht auf derselben Stufe wie Mussolini auf der anderen Seite.

Aber es gab mildere Formen sowohl des linken als auch des rechten Totalitarismus. Franco hat nicht solche Verbrechen begangen wie Hitler; ebenso wurden in der DDR nicht solche Verbrechen begangen wie in der UdSSR.

Herzlich, Zettel

john j Offline




Beiträge: 591

19.01.2010 00:29
#60 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Wenn man sich die (vielen) Kommentare hier durchliest ohne dass man den Artikel auf den sie sich beziehen gelesen haette, dann wuerde man nur schwer darauf kommen dass es in dem Artikel um Auesserungen einer evangelischen Bischoefin zu Afghanistan im Jar 2009 geht, so verbissen argumentiert man hier mit Panzerzahlen- und modellen, Flugzeugen, LKWs, Divisionen, Ruestungsbestaenden etc, und wer 1939/40 wen haette angreifen koennen/sollen/muessen. Kann man die Aeusserungen Kaessmann's wirklich nur im Bezug auf den Beginn des II WK's verstehen und kommentieren? Und macht es wirklich Sinn den II WK im historischen Paralleluniversum nochmal ablaufen zu lassen?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

19.01.2010 00:39
#61 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von john j
Wenn man sich die (vielen) Kommentare hier durchliest ohne dass man den Artikel auf den sie sich beziehen gelesen haette, dann wuerde man nur schwer darauf kommen dass es in dem Artikel um Auesserungen einer evangelischen Bischoefin zu Afghanistan im Jar 2009 geht, so verbissen argumentiert man hier mit Panzerzahlen- und modellen, Flugzeugen, LKWs, Divisionen, Ruestungsbestaenden etc, und wer 1939/40 wen haette angreifen koennen/sollen/muessen. Kann man die Aeusserungen Kaessmann's wirklich nur im Bezug auf den Beginn des II WK's verstehen und kommentieren? Und macht es wirklich Sinn den II WK im historischen Paralleluniversum nochmal ablaufen zu lassen?


Es ist, lieber John, in diesem Forum üblich, daß Diskussionen sich vom ursprünglichen Thema wegentwickeln.

Anderswo wird das von der Admin unterbunden ("off topic"). Hier wird es nicht nur toleriert, sondern ich fördere es ausdrücklich. Ich sehe die Diskussionen hier wie eine Diskussion zwischen intelligenten und informierten Leuten, die sich, sagen wir, an einer Hotelbar treffen oder auf einer Party. Da kommt man nun mal, wie man im Ruhrgebiet sagt, vom Hölzken aufs Stöckchen. Solange es spannend und informativ ist, finde ich das richtig.

Herzlich, Zettel

john j Offline




Beiträge: 591

19.01.2010 00:55
#62 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Naja, ob es "spannend oder informativ" ist wenn hier mit der Weisheit von 70 Jahren spaeter ueber Entscheidungen von 1939/40 diskutiert wird, lasse ich dahingestellt.

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

19.01.2010 01:06
#63 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von Chripa

Es gibt nur wenige kommunistische Herrscher, die Hitler auch nur einigermaßen gleichkommen
bezüglich Bösartigkeit und angerichtetem Schaden.



Wer das im Jahr 2010 immer noch behauptet, hat einfach nicht aufgepaßt. Zettel hat dazu schon genug geschrieben.

Zitat von Chripa

Diese pauschale Gleichsetzung finde ich daher
mit Verlaub gesagt wirklich unmöglich. Ich verstehe vor allem nicht, wie man mit so viel Wissen
zu einem solchen Fehlurteil kommen kann.



Ich verstehe angesichts der Fülle an Fakten, Dokumenten, Fachliteratur und anderer Informationen über beide Systeme nicht, wie jemand allen Ernstes vertreten kann, kommunistische Diktaturen seien harmloser als das NS-System. Ihre Differenzierung zwischen Pol Pot, Mao etcpp und "harmlosen" Diktaturen wie Ungarn usw. betrifft im wesentlichen nur die Zahl der Opfer. Die Repression war dieselbe. Das Leiden der Opfer auch.


Zitat von Chripa
Deshalb komme ich mir auch komisch dabei vor, noch einmal
auf ein paar Zeilen diese grundlegenden Fakten in Erinnerung zu rufen, aber sei es drum:
Es kann ja sein, dass der durchschnittliche "Volksgenosse" in der Nazi-Zeit vor dem Krieg und
teilweise auch noch nach dessen Beginn vergleichsweise gut gelebt hat. Aber für die Juden hat es zB
sehr wohl einen Unterschied gemacht, in welcher Form des Totalitarismus sie sich wiederfanden. Entgegen
des Selbstbildes vieler Polen, die sagen, sie wären sozusagen vom Regen in die Traufe gekommen, ging es
auch ihnen nach dem Krieg sehr viel besser als im Generalgouvernement unter Herrn Frank. Diese Aufzählung
ließe sich fortsetzen. Hier ist zB noch ein Auszug aus der Posener Rede von Himmler:



Man kann nahezu jede Behauptung mit einzelnen, aus dem historischen Kontext genommenen Fakten belegen. Ob ein polnischer Offizier in Katyn seine Lage im Vergleich zu der seines Kameraden in einem deutschen Oflag auch so optimistisch beurteilt hätte wie Sie, wage ich zu bezweifeln. Auch die im Herbst 1939 im "befreiten" Ostpolen verhafteten und später durch Genickschuß vom NKWD liqidierten polnischen Intellektuellen werden kaum mit Ihrer kühnen Behauptung einverstanden sein. Das gleiche gilt für die nach Sibirien in die Zwangsarbeitslager verschleppten Polen. Nach 1945 verschwanden die Offiziere der polnischen Armija Krajowa und die letzten überlebenden bürgerlichen Führungskräfte in den Gulag-Lagern.

Nichts für ungut, aber ich finde es ehrlich gesagt ziemlich abgeschmackt und fragwürdig, im Jahre 2010, gemütlich am häuslichen PC sitzend, von jedem auch nur annähernd vergleichbaren Schicksal verschont, das Leid der Polen, Russen, Juden und anderen Opfer in schlimm und weniger schlimm einteilen zu wollen.


Zitat von Chripa

Ich bin mir anders als JeffDavis auch überhaupt nicht sicher, dass im Verlaufe der Zeit eine Mäßigung eingetreten
wäre.



Von Mäßigung war nicht die Rede, wenn Sie schon zitieren, dann bitte auch richtig. Ich hatte geschrieben:
"Hitlers Herrschaft wäre - wie alle Gewaltregime - nach einer bestimmten Zeit sklerotisiert und dann zerfallen."

Das ist das Schicksal noch jeden Gewaltssystems gewesen. Spekulationen, ob das NS-System ähnlich wie das System in der UdSSR nach Stalins Tod etwas liberaler geworden wäre, halte ich für fruchtlos.

Zettel Offline




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19.01.2010 07:16
#64 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von john j
Naja, ob es "spannend oder informativ" ist wenn hier mit der Weisheit von 70 Jahren spaeter ueber Entscheidungen von 1939/40 diskutiert wird, lasse ich dahingestellt.


Ja, das ist halt immer subjektiv, was man spannend und was man informativ findet.

Warum dauert es meist mehrere Generationen, bis man politische Entscheidungen einigermaßen objektiv beurteilen kann? Zum einen natürlich aus dem trivialen Grund, daß denjenigen, die selbst beteiligt waren, die Objektivität fehlt. Man kann von einem Stasi-Offizier, man kann von Gregor Gysi nicht erwarten, daß sie die DDR objektiv sehen; so wenig, wie man das nach 1945 von denjenigen erwarten konnte, die in das Regime der Nazis verstrickt gewesen waren.

Das gilt nicht nur für totalitäre Regimes. So hinreißend Churchills Geschichte des Zweiten Weltkriegs geschrieben ist - natürlich ist sie als historische Quelle mit Vorsicht zu genießen; denn ein Akteur kann eben nicht in die Haut des objektiv urteilenden Historikers schlüpfen.

Wichtiger aber scheint mir zu sein, daß die Archive meist erst nach Jahrzehnten der Forschung voll zur Verfügung stehen. Die Verbrechen der Kommunisten konnten überhaupt erst nach dem Fall des Kommunismus im einzelnen dokumentiert werden. Bei den Nazis lag ein Ausnahmefall vor, dank der bedingungslosen Kapitulation des Reichs. Aber viel Archivmaterial fiel ja den Kommunisten in die Hände und verschwand damit in deren bis 1989 überwiegend unzugänglichen Archiven.

Ob man es spannnend findet, mit diesem späteren Wissen frühere politische Entscheidungen zu analysieren, ist, wie gesagt, jedem Einzelnen überlassen. In diesem Forum gibt es ja immer viel zu lesen. Wenn Sie ein Thread wie dieser nicht oder wenn er Sie weniger interessiert, lieber John - warum ihn dann nicht einfach ignorieren?

Herzlich, Zettel

Chripa Offline



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19.01.2010 09:01
#65 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat
Ich verstehe angesichts der Fülle an Fakten, Dokumenten, Fachliteratur und anderer Informationen über beide Systeme nicht, wie jemand allen Ernstes vertreten kann, kommunistische Diktaturen seien harmloser als das NS-System.



Damit verstehen wir uns ja wohl richtig, dass Sie nicht rechte und linke Diktaturen allgemein oder das NS-Regime und bestimmte kommunistische
Staaten für gleich schlimm halten. Sondern Sie meinen, kommunistische Diktaturen allgemein seien genauso schlimm wie das sog. Dritte Reich.

Zitat
Ihre Differenzierung zwischen Pol Pot, Mao etcpp und "harmlosen" Diktaturen wie Ungarn usw. betrifft im wesentlichen nur die Zahl der Opfer. Die Repression war dieselbe. Das Leiden der Opfer auch.



Nach der gängigen moralischen Anschauung ist die Zahl der Opfer aber nunmal besonders wichtig.
Wäre Ihr Argument, es komme nur auf das Leiden der einzelnen Opfer an, dann könnte man auch sagen,
dass ein Haustyrann, der seine eigene Familie drangsaliert und vielleicht jemanden tötet im
Grunde genauso schlimm ist wie Hitler.
Ich glaube nicht, dass das Maß der Repression zB in der DDR genauso hoch war wie zur Nazi-Zeit.
Das liegt allein schon daran, dass die Nazis den Krieg angefangen haben, was sie auch von vornherein
geplant haben, wie man zB in "Mein Kampf" nachlesen kann. Damit haben sie dann auch so ziemlich jede
Familie in ihre Machenschaften hineingezogen und damit in gewisser Weise unterdrückt.
Ich finde dafür keine Entsprechung in der DDR. Aber auch im täglichen Leben der Menschen hat das
Regime stärker eingegriffen als zB in der DDR. Die Erziehung zum Hass war viel stärker, es gab bei weitem
mehr FANATISCHE Anhänger des Regimes und die Gewaltandrohung bei Zuwiderhandlung war konkreter.
Damit werde ich wohlgemerkt nicht zum Anhänger der DDR, aber verglichen mit dem NS-Regime war es eben
doch weitaus weniger schlimm, das gleiche kann man über die meisten anderen kommunistischen Staaten Osteuropas
sagen.

Zitat
Man kann nahezu jede Behauptung mit einzelnen, aus dem historischen Kontext genommenen Fakten belegen.


Sämtliche Beispiele, mit denen Sie Ihre Auffassung zu stützen versuchen fallen in die Zeit Stalins. Ich habe ja nicht
behauptet, es sei ein Vergnügen für die Polen gewesen, von der Roten Armee besetzt zu werden. Aber es macht schon einen
Unterschied, ob man bestimmte Massaker verübt und das restliche Volk im Wesentlichen so leben lässt wie das eigene Volk,
oder ob man den "slawischen Untermenschen" allgemein entweder ausrotten oder für immer in Knechtschaft halten will.

Zitat
Nichts für ungut, aber ich finde es ehrlich gesagt ziemlich abgeschmackt und fragwürdig, im Jahre 2010, gemütlich am häuslichen PC sitzend, von jedem auch nur annähernd vergleichbaren Schicksal verschont, das Leid der Polen, Russen, Juden und anderen Opfer in schlimm und weniger schlimm einteilen zu wollen.


Diese Argumente heben sich auf. Sie sitzen am heimischen PC und behaupten, im wesentlichen hätten es alle gleich schlimm gehabt,
das ist mE jedenfalls nicht besser.

Zitat
wenn Sie schon zitieren, dann bitte auch richtig. Ich hatte geschrieben:
"Hitlers Herrschaft wäre - wie alle Gewaltregime - nach einer bestimmten Zeit sklerotisiert und dann zerfallen."


Das stimmt. Ich hatte sklerotisiert im Sinne von "Verlust an Dynamik" verstanden und daraus dann "Mäßigung" gemacht.
Sie meinten offenbar, dass das System an Dynamik verloren hätte, ohne eine Aussage über das Maß an Gewalttätigkeit zu treffen
um dann später ganz zu zerbrechen.

Chripa Offline



Beiträge: 132

19.01.2010 09:05
#66 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Lieber Zettel,
das hatte ich mir eigentlich sowieso schon gedacht,
dass Sie das so sehen. Die Notwendigkeit, manchmal
bestimmte Sachverhalte etwas knapper auszudrücken ist
ja auch verständlich. Trotzdem vielen Dank für die Antwort.
Herzlich,
Chr.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

19.01.2010 09:19
#67 Drittes Reich und DDR Antworten

Zitat von Chripa
Ich glaube nicht, dass das Maß der Repression zB in der DDR genauso hoch war wie zur Nazi-Zeit.
(...) Aber auch im täglichen Leben der Menschen hat das Regime stärker eingegriffen als zB in der DDR. Die Erziehung zum Hass war viel stärker, es gab bei weitem mehr FANATISCHE Anhänger des Regimes und die Gewaltandrohung bei Zuwiderhandlung war konkreter.


Der Hauptunterschied lag, lieber Chripa, aus meiner Sicht darin, daß die Machthaber der DDR keine Massenmörder waren. Sie haben - sieht man von den ersten Jahren der Ostzone ab, wo das auf dem Gebiet der nachmaligen DDR die Sowjets taten - keine KZs unterhalten, und sie haben weder einen Krieg vom Zaun gebrochen, noch Millionen Menschen allein wegen ihrer Abstammung ermordet.

Das, was ich aus Ihrem Beitrag zitiere, kann ich aber nicht so sehen wie Sie. Die Erziehung zum Haß (auf den Klassenfeind) war in der DDR nicht weniger ausgeprägt als die Erziehung zum Haß (auf die Juden) im Dritten Reich. Die Zahl der überzeugten, auch fanatischen Kommunisten dürfte jedenfalls in den ersten Jahrzehnten der DDR proportional nicht niedriger gewesen sein als die der fanatischen Nazis in den dreizehn Jahren. Und wer gegen das Regime auftrat, der mußte hier wie dort mit hohen Strafen rechnen. Zur Zeit des Kriegs waren diese im Dritten Reich extremer (oft die Todesstrafe); aber das Dritte Reich bis 1939 war in diesem Punkt durchaus vergleichbar der DDR zwischen 1949 und, sagen wir, 1960.

Wie ich schon in meiner vorausgehenden Antwort an Sie schrieb, lieber Chripa, ist aber der Vergleich zwischen Nazi-Deutschland und der DDR nicht erhellend für das Verständnis der beiden Varianten des Totalitarismus. Man muß die schlimmsten Varianten miteinander vergleichen, also das Regime Hitlers mit denen Stalins, Maos, Pol Pots. Man muß die, sagen wir verharmlosend, mittleren Varianten miteinander vergleichen, also das Regime von Mussolini mit dem beispielsweise von Ceauşescu (oder den "Volksdemokratien" zwischen 1948 und 1956). Und man muß die vergleichsweise milde Form einer kommunistischen Diktatur wie in der DDR nach dem Mauerbau mit der vergleichsweise milden Form einer rechtsextremen Dikatur wie in Franco-Spanien vergleichen.

Im Vergleich zur DDR herrschte in Franco-Spanien Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.

Herzlich, Zettel

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

19.01.2010 11:07
#68 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von Chripa

Zitat
Ich verstehe angesichts der Fülle an Fakten, Dokumenten, Fachliteratur und anderer Informationen über beide Systeme nicht, wie jemand allen Ernstes vertreten kann, kommunistische Diktaturen seien harmloser als das NS-System.


Damit verstehen wir uns ja wohl richtig, dass Sie nicht rechte und linke Diktaturen allgemein oder das NS-Regime und bestimmte kommunistische
Staaten für gleich schlimm halten. Sondern Sie meinen, kommunistische Diktaturen allgemein seien genauso schlimm wie das sog. Dritte Reich.




Ich meine, daß es - bei allen historisch vorhandenen Besonderheiten - im Ergebnis keine qualitativen Unterschiede zwischen diktatorischen Systemen gibt. Wenn die Machthaber in der DDR keinen Massenmord begangen haben, dann nicht, weil sie dazu nicht bereit gewesen wären, sondern weil es zur Aufrechterhaltung der Herrschaft nicht notwendig war (und die Sowejets ihnen das zwischen 1945 und 1949 schon abgenommen hatten). Die kommunistischen Machthaber in der UdSSR haben den Massenmord zelebriert, die in China und Kambodscha zB auch. Wenn es tatsächlich zur Besetzung Westeuropas durch die UdSSR gekommen wäre, hätte ein Massenmord auch eingesetzt, wie in allen Ländern, in denen die Kommunisten zur Macht gelangten. Und für die Opfer machte es ohnehin keinen Unterschied.

Zitat von Chripa

Zitat
Ihre Differenzierung zwischen Pol Pot, Mao etcpp und "harmlosen" Diktaturen wie Ungarn usw. betrifft im wesentlichen nur die Zahl der Opfer. Die Repression war dieselbe. Das Leiden der Opfer auch.


Nach der gängigen moralischen Anschauung ist die Zahl der Opfer aber nunmal besonders wichtig.





Mich interessiert die gängige moralische Anschauung nicht. Moralisch sollte es keinen Unterschied geben zwischen dem Mord an einem Menschen und dem an vielen. Ich finde es eher erbärmlich, wenn jemand die moralische Beurteilung an der Zahl der Opfer festmacht. Wo zieht man die Grenze? Wäre Hitlers Treiben moralisch weniger verwerflich, wenn er nur 1 Mio umgebracht hätte? Oder 500.000? Macht es die Kommunisten in der DDR zu Humanitätsaposteln, weil sie nicht an Hilters Opferzahlen herankommen? Derartige Spielchen mache ich nicht mit.

Zitat von Chripa

Wäre Ihr Argument, es komme nur auf das Leiden der einzelnen Opfer an, dann könnte man auch sagen,
dass ein Haustyrann, der seine eigene Familie drangsaliert und vielleicht jemanden tötet im
Grunde genauso schlimm ist wie Hitler.



Sorry, aber wenn Sie den Unterschied nicht erkennen, kann ich Ihnen nicht helfen.


Zitat von Chripa

Ich glaube nicht, dass das Maß der Repression zB in der DDR genauso hoch war wie zur Nazi-Zeit.
Das liegt allein schon daran, dass die Nazis den Krieg angefangen haben, was sie auch von vornherein
geplant haben, wie man zB in "Mein Kampf" nachlesen kann. Damit haben sie dann auch so ziemlich jede
Familie in ihre Machenschaften hineingezogen und damit in gewisser Weise unterdrückt.
Ich finde dafür keine Entsprechung in der DDR. Aber auch im täglichen Leben der Menschen hat das
Regime stärker eingegriffen als zB in der DDR. Die Erziehung zum Hass war viel stärker, es gab bei weitem
mehr FANATISCHE Anhänger des Regimes und die Gewaltandrohung bei Zuwiderhandlung war konkreter.
Damit werde ich wohlgemerkt nicht zum Anhänger der DDR, aber verglichen mit dem NS-Regime war es eben
doch weitaus weniger schlimm, das gleiche kann man über die meisten anderen kommunistischen Staaten Osteuropas
sagen.



Dazu hat Zettel schon das Notwendige gesagt. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber Ihre Ausführungen gehen an der Realität weit vorbei.
Sie springen munter zwischen verschiedenen Aspekten hin und her (Krieg, Familie, Erziehung) blenden alles aus, was nicht zu dem gewünschten Ergebnis paßt (auch die Kommunisten in der UdSSR wollten von Anfang an die Weltrevolution mit Gewalt durchsetzen und haben die Erziehung darauf ausgerichtet), argumentieren algemein und unbestimmt ("weitaus weniger schlimm, weitaus stärker eingegriffen usw.)
Um ganz offen zu sein: Ich finde nicht, daß diese Art von Argumentation (auch die in den anderen zitierten Abschnitten) von ausreichender Sachkenntnis zeugt.



Zitat von Chripa
Sämtliche Beispiele, mit denen Sie Ihre Auffassung zu stützen versuchen fallen in die Zeit Stalins. Ich habe ja nicht
behauptet, es sei ein Vergnügen für die Polen gewesen, von der Roten Armee besetzt zu werden. Aber es macht schon einen
Unterschied, ob man bestimmte Massaker verübt und das restliche Volk im Wesentlichen so leben lässt wie das eigene Volk,
oder ob man den "slawischen Untermenschen" allgemein entweder ausrotten oder für immer in Knechtschaft halten will.



Ich bleibe dabei: Ich finde diese Art von Bewertung der verschiedenen Auswirkungen von Gewaltherrschaft durch Nachgeborene sehr problematisch und fragwürdig. Es bleibt - wie der Schwabe sage nwürde - ein "Geschmäckle". Mir gefällt das nicht.

Und nur weil Lenin, Trotzki und Stalin schon in einem Blutbad die Gegner ihres Systems umgebracht und ihren Nachfolgern die Arbeit abgenommen hatten, die Nachfolger als weniger schlimm zu betrachten, finde ich verfehlt.

Verfehlt ist auch Ihr weiterer Vergleich im zitierten Abschnitt. Die Nazis haben auch "bestimmte Massaker" an politsch und rassisch unerwünschten Bevölkerungsteilen begangen und den Rest "im wesentlichen so leben lassen" wie das eigene Volk. Halten Sie doch mal bitte einen Augenblick inne: Kommt Ihnen diese Unterscheidung zwischen "bösen" und "weniger bösen" Massakern nicht peinlich vor?

Chripa Offline



Beiträge: 132

19.01.2010 13:37
#69 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Hallo JeffDavis,
Sie halten Ihre Weigerung, zwischen verschiedenen diktatorischen Systemen einen qualitativen Unterschied anzuerkennen
möglicherweise für einen Ausdruck besonderer Sensibilität und besonderen Urteilsvermögens.
So verstehe ich jedenfalls Ihre Anmerkung mir gegenüber:

Zitat
Kommt Ihnen diese Unterscheidung zwischen "bösen" und "weniger bösen" Massakern nicht peinlich vor?



Aber Menschen sind nun einmal Mängelwesen, deshalb wird auch jeder Staat erst recht mangelhaft sein,
das gilt natürlich in besonderem Maße für Diktaturen.
Wenn man nun keine wie Sie sagen qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Unrechtsherrschaften sehen will,
dann offenbart das meiner Meinung nach eine gewisse moralische Blindheit.

Zitat
Mich interessiert die gängige moralische Anschauung nicht. Moralisch sollte es keinen Unterschied geben zwischen dem Mord an einem Menschen und dem an vielen. Ich finde es eher erbärmlich, wenn jemand die moralische Beurteilung an der Zahl der Opfer festmacht. Wo zieht man die Grenze? Wäre Hitlers Treiben moralisch weniger verwerflich, wenn er nur 1 Mio umgebracht hätte? Oder 500.000?



Das meine ich mit moralischer Blindheit. Natürlich ist es am besten, wenn überhaupt keine Leute ermordet werden.
Aber wenn es doch dazu kommt, dann muss man sich selbstverständlich auch die Quantität angucken. Ich wüsste keinen
Lebensbereich, wo das anders wäre. Wenn Sie zB bestohlen werden, ist es Ihnen ja vermutlich auch nicht egal, wie hoch die
Summe ist.

Zitat
Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber Ihre Ausführungen gehen an der Realität weit vorbei.
Sie springen munter zwischen verschiedenen Aspekten hin und her (Krieg, Familie, Erziehung) blenden alles aus, was nicht zu dem gewünschten Ergebnis paßt (auch die Kommunisten in der UdSSR wollten von Anfang an die Weltrevolution mit Gewalt durchsetzen und haben die Erziehung darauf ausgerichtet), argumentieren algemein und unbestimmt ("weitaus weniger schlimm, weitaus stärker eingegriffen usw.)



Nun, ich wollte halt keinen Roman schreiben, sondern in wenigen Sätzen das Maß an Repression in beiden Systemen gegenüberstellen.
Da habe ich einige Aspekte herausgegriffen, die ich für besonders relevant und anschaulich hielt. Natürlich wollten auch die Kommunisten
die ganze Welt. Aber es kommt eben nicht nur auf die Ziele, sondern auch auf die eingesetzten Mittel an. Und da unterscheiden sich
die besagte DDR oder die CSSR usw schon deutlich vom Dritten Reich. Ihr erneuter Hinweis auf die "Sowjetunion von Anfang an" hilft deshalb
nicht weiter, weil Sie ja beweisen wollen, dass nicht nur bestimmte, sondern alle kommunistischen Staaten so schlimm waren/sind wie die Nazis.
Auch nach nochmaligem Nachdenken meine ich nicht, dass die Propaganda der DDR genauso perfide war. Ich habe zB mal das Buch gelesen,
das man zur Jugendweihe bekam. Da stand schon viel über den bösen Kapitalismus/Imperialismus drin, aber ich fand das bei weitem nicht
so ekelhaft wie die Goebbels-Propaganda. Dass es auch Parallelen gab, ist natürlich richtig, steht aber auf einem anderen Blatt.

Wenn die Machthaber in der DDR keinen Massenmord begangen haben, dann nicht, weil sie dazu nicht bereit gewesen wären, sondern weil es zur Aufrechterhaltung der Herrschaft nicht notwendig war

Zitat
Wenn die Machthaber in der DDR keinen Massenmord begangen haben, dann nicht, weil sie dazu nicht bereit gewesen wären, sondern weil es zur Aufrechterhaltung der Herrschaft nicht notwendig war


Der Massenmord war zur Aufrechterhaltung der Hitlerschen Herrschaft auch nicht nötig. Als er zur Aufrechterhaltung der DDR nötig gewesen wäre,
hat die SED ihn nicht durchgeführt. 1953 haben die Russen eingegriffen (nicht mit den Gräueln von Hitler vergleichbar, siehe oben, außerdem stellt
Ihre Argumentation ja wie schon erwähnt auf alle Kommunisten ab), 1989 wurde die sogenannte chinesische Lösung zwar diskutiert, aber nicht umgesetzt.

Meinen Punkt, dass es absurd ist, alle Totalitarismen ohne weiteres über einen Kamm zu scheren habe ich durch den Vergleich mit dem
Haustyrannen verdeutlichen wollen.

Zitat
Wäre Ihr Argument, es komme nur auf das Leiden der einzelnen Opfer an, dann könnte man auch sagen,
dass ein Haustyrann, der seine eigene Familie drangsaliert und vielleicht jemanden tötet im
Grunde genauso schlimm ist wie Hitler.


Sorry, aber wenn Sie den Unterschied nicht erkennen, kann ich Ihnen nicht helfen.



Um mich an Ihr Diskursniveau zumindest anzunähern wandle ich mein Beispiel ab: Nehmen wir statt eines Familientyrannen einen
Urwaldhäuptling auf einer kleinen Südseeinsel. Der übt staatliche Gewalt aus (Staatsgebiet, -volk,-herrschaft), in meinem
Beispiel auch totalitäre Herrschaft. Meinen Sie wirklich, dass diesen Urwalddespoten qualitativ nichts von Hitler unterscheidet?
Grüße,
Chr.

Chripa Offline



Beiträge: 132

19.01.2010 13:41
#70 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Kleiner Nachtrag:
Natürlich kann man sagen, man müsse die Herrscher der DDR auch für die Untaten
der russischen Kommunisten verantwortlich machen. Das sehe ich auch so, dennoch hebt
das nicht alle Unterscheidungen auf.

energist Offline




Beiträge: 322

19.01.2010 20:00
#71 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von JeffDavis

[...] Richtig, die alliierte Niederlage ist auf andere Faktoren zurückzuführen, aber nicht auf zu wenig oder zu schwache Waffen oder auf zahlenmäßige Unterlegenheit. Ich verweise auch dazu auf den Frieser, um die Diskussion nicht in ein militärgeschichtliches Seminar ausufern zu lassen.
Der erfolgreiche Einsatz militärischer Gewalt ist eben auch von mentalen Faktoren abhängig, wie der Westfeldzug sehr schön beweist. Die Engländer und Franzosen (und übrigens auch ein erheblicher Teil der deutschen Generalität) haben ihn geführt wie 1914-18. Der franz. Generalstab war ein Altersheim, die Briten haben bis 1945 den Kern des modernen Panzerkrieges nicht begriffen. [...]



Keine Widerrede, nur eine Ergänzung um dies zu verdeutlichen; zitiert nach „Illustrierte Geschichte des zweiten Weltkrieges“, Dr. Kurt Zentner, 1963, Südwest Verlag München.

„Daß – außer Daladier – keiner der westlichen Politiker auch nur annähernd militärisch so fortschrittlich denkt wie Hitler, [sic] wird den Westmächten, vor allem Frankreich, bald zum Verhängnis werden. Schon vor Jahren hat in Frankreich ein gewisser Hauptmann Charles de Gaulle ähnlich revolutionäre Gedanken über den Einsatz der Panzerwaffe entwickelt, wie in Deutschland zur gleichen Zeit der Major Heinz Guderian. In Frankreich haben die führenden Militärs die Ideen des Hauptmanns de Gaulle, die Panzerwaffe als selbständige, schnelle [sic] bewegliche Waffe zu entwickeln, statt als bloße lahme Hilfswaffe der langsamen Infanterie, abgelehnt. In Deutschland hat Guderian die gleichen Schwierigkeiten, die ihm insbesondere von dem noch in den Vorstellungen des vergangegenen Jahrhunderts, bestenfalls des Ersten Weltkrieges mit seinen Stellungskämpfen, lebenden Genralstabschef Beck gemacht werden. Das ändert erst Hitler ab 1933, soweit er das gegen die damals noch relativ unabhängige militärische Führung vermag.“ (S. 124)

„[Vorangehend eine Aufstellung der Kräfteverhältnisse] Dazu kommt, daß die französischen Panzern den deutschen Panzern an Bewaffnung mit weit stärkeren Geschützen ebenso überlegen sind wie durch die viel stärkere Panzerung. Unterlegen alledings sind sie in der Beweglichkeit. Das den Krieg im Westen mitentscheidende Manko aber ist die schlechte Führung der Panzerwaffe. Die französischen Panzer werden nur zur Unterstützung der Infanterie eingesetzt, nicht als selbständige Waffengattung, sie verfügen deshalb auch nicht über solch hervorragende Nachrichtenmittel wie die deutschen Panzer, die ja eine unabhängige Bewegung ganzer Panzerdivisionen erst ermöglichen.“ (S.125)

„[Vorangehend Beschreibung der entblößten Flanke der Panzerabteilung Guderian] Die vielen französischen Panzer sind überall hingekleckert worden, sie sind Bestandteil der Infanterieverbände, sollen diese im Kampf schützen, nichts weiter. Als selbständige, schlagkräftige Streitmacht gibt es die Panzer nicht. [...] Ganze drei Panzerdivisionen gibt es, die entgegen der von der französischen Führung vertretenen Theorie stark genug sind, selbständige Operationen durchzuführen. [...] Auch dieser entschlossene Kommandeur ist da, denn jene französische Panzerdivision, die eine von den nur vorhandenen drei, ist die Division des früheren Hauptmanns und jetzigen Obersten de Gaulle. [Es folgt eine Beschreibung der Panzerschlacht bei Montcornet]“ (S. 134)

„Es gibt eine grundlegende und sehr wertvolle Aussage in der Wissenschaft, sie ist ein Zeichen von Weißheit und lautet: Ich weiß es nicht.“
Commander Data – Star Trek

JeffDavis Offline



Beiträge: 448

19.01.2010 21:00
#72 RE: Zettels Meckerecke: Historikerin Käßmann Antworten

Zitat von energist

„Daß – außer Daladier – keiner der westlichen Politiker auch nur annähernd militärisch so fortschrittlich denkt wie Hitler, [sic] wird den Westmächten, vor allem Frankreich, bald zum Verhängnis werden.



Jein, Hitler hat sicher in der einen oder anderen Beziehung militärisch moderner gedacht als seine alliierten Gegenspieler.
Aber er war - wie Frieser für die Zeit zwischen Oktober 1939 und Juni 1940 sehr schön darlegt - viel zu sprunghaft, ungeduldig, zeigte oft Nerven, und besaß ein gediegenes militärisches Halbwissen, eine Mischung aus seinen Weltkriegserfahrungen und unsystematisch angeeignetem Wissen. Einem gelernten Generalstäbler oder erfahrenen Frontoffizier konnte er nicht das Wasser reichen. Allerdings hat er, wie das bei außenstehenden Nichtfachleuten gelegentlich der Fall ist, unorthodoxe Vorschläge gemacht, wo der Fachmann den Wald vor lauter Bäumen nicht sah. Blindes Huhn findet auch mal ein Korn... In diese Kategorie gehört zB sein Anteil am Sichelschnittplan.


Zur Ergänzung und im Anschluß an Ihren Hinweis auf Moncornet: Bei Stonne, unmittelbar nach dem deutschen Druchbruch an der Maas, hat bei den französischen Gegenangriffen bei einer Gelegenheit und begünstigt durch das Gelände, ein einziger schwerer Char B - Panzer fast eine ganze deutsche Panzerkompanie angegriffen und zusammengeschossen.

Gescheitert sind die Franzosen, weil sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht umsetzen konnten, das Gefecht mit verbundenen Waffen nicht beherrschten, weil ihre Führung nahezu komplett versagte, und die Organisation der Kommunikation bzw. die Nachrichtentechnik auf dem Stand von 1918 stehengeblieben waren.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.01.2010 23:13
#73 EKD korrigiert Käßmann - Käßmann jetzt Steuerexpertin Antworten

Nachdem die Ratsvorsitzende der EKD am 24. Dezember in der Berliner Zeitung noch erklärt hatte:

Zitat von Margot Käßmann
Es mag Kriterien geben, mit denen man einen Krieg rechtfertigen kann, was mir schon schwer fiele. Aber nach diesen Kriterien, ist das, was in Afghanistan geschieht, in keiner Weise zu rechtfertigen.

... so heißt es heute in einem "Evangelischen Wort zu Krieg und Frieden in Afghanistan", welches Käßmann, ihr Stellvertreter Schneider sowie der Militärbischof Martin Dutzmann gemeinsam verantworten:

Zitat von EKD
Bei den in der Friedensdenkschrift der EKD entwickelten Kriterien für den Einsatz rechtserhaltender Gewalt handelt es sich um Prüfgesichtspunkte, die es erlauben sollen, die Handlungsoptionen ethisch zu beurteilen. Wir sehen gegenwärtig nicht, dass der Einsatz anhand der friedensethischen Kriterien eindeutig gebilligt oder abgelehnt werden könnte. Sicher aber ist: Die Prüfung weist auf deutliche Defizite hin. Ein bloßes "Weiter so" würde dem militärischen Einsatz in Afghanistan die friedensethische Legitimation entziehen.

(Hervorhebung von mir.)

So beugt sich die Kirche einmal mehr dem Herrenwort: "Eure Rede sei Ja, ja, nein, nein".



Und den Verstand, von dem Zettel und der Volksmund annehmen, daß Gott ihn zum Amt dazugibt - den Seinen gibt er's wieder besonders reichlich: Margot Käßmann äußert sich jetzt zur Steuerpolitik!

Steuersenkungen, sagte sie im Sender Phoenix, sehe sie "kritisch": "Wir als Kirche meinen, dass die Staatsverschuldung nicht weiter steigen darf." (DDP-Meldung vom 25.01.2010, 20:02 Uhr)

So lasst uns nun auf das "andererseits" vom Evangelischen Steuerbischof warten.

Herzliche Grüße,
Kallias

califax Offline




Beiträge: 1.502

25.01.2010 23:21
#74 RE: EKD korrigiert Käßmann - Käßmann jetzt Steuerexpertin Antworten

Nuja, wenn ich noch einmal das böse Wort vom Kanzelw... benutze, fliege ich hier wahrscheinlich raus.
Aber vielleicht darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß es meiner Meinung nach Leute gibt, bei denen die Predigt in der Kirche hauptsächlich der Verbalbefriedigung des Redners dient.
Und daß Frau Käse, Mann! meines Erachtens zu diesen Leuten gehört, beleidigt hoffentlich niemanden in seinem Glauben.:)

--
Der Weg zur Hölle beginnt mit dem Monopol auf Moral.

Kallias Offline




Beiträge: 2.300

25.01.2010 23:52
#75 RE: EKD korrigiert Käßmann - Käßmann jetzt Steuerexpertin Antworten

Zitat von califax
Nuja, wenn ich noch einmal das böse Wort vom Kanzelw... benutze, fliege ich hier wahrscheinlich raus.

Ja.

Zitat von califax
Aber vielleicht darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß es meiner Meinung nach Leute gibt, bei denen die Predigt in der Kirche hauptsächlich der Verbalbefriedigung des Redners dient.

Ja.

Zitat von califax
Und daß Frau Käse, Mann! meines Erachtens zu diesen Leuten gehört

Nein.

Zitat von califax
beleidigt hoffentlich niemanden in seinem Glauben.:)

Nein.

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