Viele der Artikel in ZR, viele der Diskussionen hier im kleinen Zimmer variieren dasselbe Thema: Was darf der Staat, was sollte er nicht dürfen?
In diesem Artikel versuche ich, diese Frage in ihren historischen Kontext zu stellen. Vereinfachend, wie es nun einmal bei einem solchen Artikel nicht anders geht. In der französischen Revolution gab es nicht nur die Jakobiner; nicht alle Väter der amerikanischen Demokratie waren so liberal wie Thomas Jefferson, der die Unabhängigkeitserklärung verfaßte.
Aber einen Unterschied zwischen amerikanischem und französischem politischem Denken gibt es schon, was die Rolle des Staats und was die Rechte des Einzelnen angeht. Es ist nicht ein Gegensatz zwischen freiheitlich und konservativ; sondern es handelt sich um zwei verschiedene Verständnisse von Freiheit.
Interessante Parallele: Doch woher kommt es, dass zwei "Revolutionen" etwa zeitgleich zu so unterschiedlichen Ergebnisse kamen? "Revolution" deswegen in "", da es genuegend Dinge gab, die nicht parallel liefen: Der Terror und die Massenhinrichtungen: 'Die Revolution frisst Ihre Kinder', danach die Diktatur Cromwells, sorry, Napoleons. - In den USA gab es beides nicht; Die Declaration of Independence ist Ausdruck dessen, aber wohl nicht die Ursache? Wie sehen die anderen Leser im kleinen Zimmer diesen Aspekt?
Schöne Zusammenfassung, lieber Zettel. Vielen Dank!
Ich glaube, dass man dieser Frage, sobald konkrete Beispiele auftreten, nicht mehr abstrakt philosophisch lösen kann. Natürlich reklamieren beide "Seiten" für sich die Vernunft, aber eben einmal die Rousseausche Vernunft (was vernünftig ist, ist definiert und die Aufgabe des Staates ist, diese Vernunft durchzusetzen - und sei es mit der Guillotine) und ein andermal die Hobbessche. Aber was genau als durchsetzenswert anzusehen ist, unterliegt sehr stark kulturellen und gesellschaftlichen Traditionen. Das Gefährliche ist, dass diese Traditionen nicht mehr als solche erkannt werden, sondern mit einem evidenten Vernunfturteil (man ist fast geneigt zu sagen mit einem "synthetischen Urteil a priori" gleichgesetzt werden. So z. B. in islamistischen Ländern. Was im Koran steht, ist vernünftig. Punkt. Aber auch in freien Gesellschaften passiert sowas.
In Amerika hat die Religionsfreiheit große Tradition. Klar in einem Land, dessen erste Kolonisten in ihren Heimatländern religiöse Verfolgung erlebt haben. Gleichzeitig aber haben jene Puritaner auch ein relativ unentspanntes Verhältnis zum Genuss, weshalb es um die Freiheit zu rauchen, zu saufen und sich nackt in der Öffentlichkeit zu zeigen, auch im von liberaler Verfassungstradition geprägten Amerika dürftig bestellt ist. Obwohl es, wie Sie selber ausgeführt haben, keinen Grund gibt, eine Burka zu erlauben, aber FKK zu verbieten.
In Frankreich (und etwas abgemildert auch in Deutschland) ist der Staat - ob monarchistisch oder republikanisch - die aufgehende Sonne, die das Wohlergehen der Franzosen (nicht umsonst sind sie zuvorderst citoyen) erst ermöglicht. Deshalb überträgt ihm die Gesellschaft viel mehr Verantwortung und damit Einmischungsrecht. Gleichzeitig erwartet sie aber, dass der Staat so regiert, dass das allgemeine Glück auch ohne Ausnahme befördert wird. Eine Substanz ist schädlich? Der Staat muss Grenzwerte aufstellen und durchsetzen. Dann ist alles gut. In Amerika unterliegt diese Verantwortung weniger dem Staat, sondern dem Schadensverursacher. Wenn Schaden entsteht, gibt es halt Produkthaftungsprozesse mit manchmal irre hohen Entschädigungssummen. Das ist auf dem Kontinent undenkbar. Wenn in Deutschland ein schädliches Produkt auf den Markt kommt, ist der Staat schuld, weil er es nicht vorher verboten hat.
Zitat von DagnyInteressante Parallele: Doch woher kommt es, dass zwei "Revolutionen" etwa zeitgleich zu so unterschiedlichen Ergebnisse kamen?
Zum Teil wohl, weil sie auf unterschiedlichen Strömungen der Aufklärung basierten. Die amerikanische auf der vorsichtig-rational-skeptischen von Locke bis Hume; die französische eher auf den Ideen von Heißspornen wie Voltaire und Rousseau.
Teils wohl aber auch wegen der unterschiedlichen sozialen Bedingungen. Die Träger der amerikanischen Revolution waren überwiegend freie Bauern und Pflanzer und Intellektuelle, die auch schon vor der Revolution britische Freiheit genossen hatten. Selbständige Geister, Individualisten. Und hochgebildete Leute wie Jefferson.
Die Träger der französischen Revolution waren auf der intellektuellen Ebene mehr oder weniger gescheiterte und mehr oder weniger unterdrückte Menschen - oft kleine Advokaten und dergleichen; geistiger Mittelstand. Und die diese Revolutionen tragenden Massen waren teils verarmte Bauern, teils aufstrebende Bürger, die sich durch die Privilegien des Adels behindert sahen.
Nachtrag: Das Homeschooling-Beispiel zeigt auch schön die unterschiedliche Tradition. Bildung wird in Kontinentaleuropa als hoheitliche Aufgabe gesehen, und die darf nur der Staat ausführen. Wo kämen wir denn da hin?
Deshalb ist auch immer die Schule schuld, wenn irgendjemand was nicht weiß.
Zu Zettels sicher sehr treffender Antwort wäre vielleicht noch hinzuzufügen, dass die amerikanische "Revolution" mindestens zur Hälfte ein Unabhängigkeitskrieg war. Mit dem Abzug der britischen Truppen war ein klares Ende gegeben, die Revolution musste nicht noch irgendwie "vollendet" werden und kein "Feind im Inneren" war noch zu bekämpfen.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
Zitat von RaysonZu Zettels sicher sehr treffender Antwort wäre vielleicht noch hinzuzufügen, dass die amerikanische "Revolution" mindestens zur Hälfte ein Unabhängigkeitskrieg war. Mit dem Abzug der britischen Truppen war ein klares Ende gegeben, die Revolution musste nicht noch irgendwie "vollendet" werden und kein "Feind im Inneren" war noch zu bekämpfen.
Naja, bedingt. Ich habe grobe Schätzungen gelesen, dass ein Drittel der Kolonisten für die Unabhängigkeit war, ein Drittel indifferent, ein Drittel für den Verbleib bei England. Der Vorteil gegenüber Frankreich war, dass die Loyalisten nach Kanada in ein kulturell identisches loyales Milieu auswandern konnten, was meines Wissens etwa 50.000 Tories taten, darunter natürlich auch viele Veteranen der englischen Truppen. Die Krone unterstützte ihre Ansiedlung dort mit Land - schließlich musste dort ja auch noch das französische Milieu anglisiert werden.
-- La sabiduría se reduce a no olvidar jamás, ni la nada que es el hombre, ni la belleza que nace a veces en sus manos. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Natürlich waren "die Amerikaner" gespalten. Aber auch die Königstreuen waren eben nach dem Abzug der Truppen des Königs keine Gefahr mehr. Dass sie gegen den neuen Staat ihre Waffen erhoben hätten, hat keiner befürchtet. Wie auch, wenn der König, für den man ist, sich nicht mehr zuständig fühlt... Da kann man sich als treuer Untertan tatsächlich nur noch zurück in den Herrschaftsbereich der Majestät begeben.
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Aus eigener Erfahrung und Erleben denke ich heute, dass gerade die Begrifflichkeit, Bedeutung und Einbindung der „Gleichheit“ ein großes Problem nicht nur darstellen kann, sondern wirklich auch massivst hervorruft. Die Forderung, der Ruf nach der Gleichheit aller Menschen führt letztlich unabwendbar zu einer materiellen und geistigen Verarmung. Wird der Staat hierbei als Mittel zur Durchsetzung der Gleichheit der Menschen eingesetzt, so wird über kurz oder lang die Freiheit des Individuum der Idee, der Gemeinschaft geopfert. Das hat die Geschichte mehrfach bewiesen und auch alles Geschrei, die anderen hätten es nur falsch gemacht und jetzt, aber jetzt, da würde es erstmals richtig gemacht werden, halte ich für arg töricht und fahrlässig. Wichtig dagegen sei doch das gleiche Recht für jeden Menschen, das gleiche Recht auf Bildung, auf Entfaltung seiner Fähigkeiten, das gleiche Recht, seine Bedürfnisse zu befriedigen, zum persönlichen Glück zu kommen, eben schnöde dem Mammon nach- zujagen oder friedvoll in der Tonne am sonnigen See seine Seele zu streicheln. Hierfür ist, denke ich, ein funktionierendes Gemeinwesen nicht nur wichtig und hinreichend, sondern einfach notwendig. Dazu gehören für mich ein Grundgesetz mit dazugehöriger schmaler Gesetzgebung, getrennte Exekutive und Legislative und eine funktionierende bürgernahe Demokratie. Kann das als freie liberale Gesellschaft gelten? Ich beschränke das auf Europa und Nordamerika, basierend auf der historischen Entwicklung durch Christentum und Aufklärung, denn ich befürchte, dass eine liberal orientierte Gesellschaft nicht im direkten Sprung aus feudalen Ordnungen entstehen kann. Nebenbei...der begnadete Mathematiker Kurt Gödel hat bei seiner Einbürgerung in die USA 1949 nachgewiesen, dass trotz der die Demokratie schützenden Verfassung im Rahmen dieser Verfassung die Errichtung einer Diktatur möglich sei.....soll heißen, es gibt eine liberale Gesellschaft nicht im Selbstlauf und sie muss ständig erneuert und verteidigt werden. Glücklicherweise hat Einstein Gödel vor einem Desaster bei der Einbürgerung bewahrt. Freie unvollständige Gedanken ins sonnige Unreine.
Der hier vorherrschenden Mehrheitsmeinung kann ich mich nicht anschließen. Grund der Differenz scheint primär die sehr unterschiedliche Haltung zur Religion im Verhältnis zum Staate zu sein. geht es um Sex und Drogen, hält sich die Abneigung vieler Amerikaner gegen hoheitliche Eingriffe in Grenzen. In Sachen Alkohol gehen sie teilweise mit den Skandinaviern konform, Das Rauchverbot ist eine uramerikanische Erfindung.
Jakobinismus und Puritanismu toben sich eben auf unterschiedlichen Gebieten aus.
Den Feind im Inneren der USA gab es, und zwar nicht zu knapp.
In der Men At Armes - Serie von Osprey gibt es zB einen Band über die American Loyalist Troops. In fast jedem Staat gab es neben einer lokalen königstreuen Miliz reguläre Truppen aus britisch gesinnten Amerikanern. Der Band nennt die Zahl von ca. 20% royalistisch gesinnten Amerikanern, darunter auch Indianerstämme und Farbige. Für Ende 1778 wird die Zahl von ca.6800 loyalistischen Soldaten genannt.
Die Mehrzahl der Soldaten und der Loyalisten ist nicht Kriegsende nicht freiwillig weggegangen. Die siegreichen US-Amerikaner haben sie vertrieben, ihr Eigentum konfisziert, einige waren ermordet worden, alle fühlten sich bedroht. Ein gewisser früherer Bundespräsident hätte hier die Forumulierung "erzwungene Wanderschaft" gewählt
Die britsche Krone hat alle Loyalisten umgesiedelt. In dem erwähnten Band ist die Rede von zB. ca. 20.000 Loyalisten, die nach Nova Scotia gingen, ca. 15.000 in die 1784 neu geschaffene Kolonie New Brunswick, einige hundert auf die Prinz Edward Island. Insgesamt war die Vertreibung der Loyalisten ein ziemlicher Aderlaß für die junge USA (außer natürlich für die Kriegsgewinnler).
Der Streit zwischen den königstreuen und den rebellierenden Amerikaner entzweite viele Familien. Benjamin Franklins unehelicher Sohn William zB. war ein überzeugter Anhänger der Krone und der letzte königliche Gouverneur von New Jersey. Er entzweite sich nach bitterem Streit mit seinem Vater.
Es gibt immer eine Schattenseite, selbst bei einer Revolution wie der amerikanischen zahlt immer irgendwer den bitteren Preis...
Ich habe den Artikel jetzt in die Serie "Überlegungen zur Freiheit" eingereiht, die ich in letzter Zeit a bisserl vernachlässigt hatte. So sehr, daß ich vergessen habe, den Artikel gleich dieser Serie zuzuordnen.
Zitat von MarriexDer hier vorherrschenden Mehrheitsmeinung kann ich mich nicht anschließen.
So etwas freut mich immmer, lieber Marriex. So spannend hier die Diskussionen sind, manchmal würde ich mir a bisserl mehr Dissens wünschen. Naja, das hatten wir ja schon.
Zitat von MarriexGrund der Differenz scheint primär die sehr unterschiedliche Haltung zur Religion im Verhältnis zum Staate zu sein. geht es um Sex und Drogen, hält sich die Abneigung vieler Amerikaner gegen hoheitliche Eingriffe in Grenzen. In Sachen Alkohol gehen sie teilweise mit den Skandinaviern konform, Das Rauchverbot ist eine uramerikanische Erfindung. Jakobinismus und Puritanismu toben sich eben auf unterschiedlichen Gebieten aus.
Ein Nationalcharakter ist in der Regel komplex; ich habe ja deshalb bei der Vorstellung des Artikels geschrieben, daß ich vereinfachen mußte.
Man kann Nationen oft besser durch die Pole einer Dimension charakterisieren als durch eine Eigenschaft. In der britischen Tradition findet man zum Beispiel den Gegensatz zwischen Sittsamkeit und Ausschweifung (oft in unmittelbarer Gemeinsamkeit realisiert, wie bei den homosexuellen Spielchen in den strengsten Internaten und dem, was die sittenstrenge High Society so treibt, bis zu den Royals). Bei den Russen gibt es diesen seltsamen Gegensatz von Sentimentalität und Brutalität.
So ist es auch bei Amerika und Frankreich in Bezug auf die Freiheit. Nur meine ich, daß der Pol, den ich in dem Artikel jeweils zugeordnet habe, dominiert.
In den USA dominiert Jeffersons liberales Konzept der Freiheit als etwas, das dem Menschen wesensmäßig eigen (ihm vom Schöpfer mitgegeben) ist und wozu es keines Staats bedarf. Aber ich geben Ihnen Recht, es gibt in den USA auch eine Neigung zu heftigen staatlichen Eingriffen. Sie ist aber reaktiv: Der Staat greift ein, er greift durch, nicht um - wie in der jakobinischen Tradition - die Freiheit überhaupt erst zu ermöglichen; sondern um sie gegen Angriffe zu verteidigen. Es ist ein punktuelles, ein ad hoc-Eingreifen des Staats, wenn er als last resort benötigt wird.
Man kann das im Western sehen, wo die Bürger sich zur Bürgerwehr zusammentun und rigoros gegen Gesetzesbrecher vorgehen (am Beklemmensten realisiert in "Johnny Guitar" von Nicholas Ray). Man kann es in der Politik sehen; zuletzt eindrucksvoll bei der breiten Unterstützung, die George W. Bush zunächst bei der Errichtung des Department of Homeland Security und der zugehörigen Gesetze wie dem Patriot Act ebenso hatte wie bei den Kriegen in Afghanistan und im Irak.
Andererseits gibt es bei den Franzosen, so sehr sie an den Staat glauben und ihre Freiheit meinen aus seinen Händen zu erhalten, immer wieder diese operettenhaften Rebellionen, alle diese grèves und manifs, die wie kleine Revolutionen inszeniert werden; mit Fahnen, Geschrei, mit Aufmärschen, auch schon mal der einen oder anderen Barrikade.
Das ist nicht ernst gemeint; oft sind es ja die fonctionnaires eux-mêmes, die diese Operetten aufführen. Aber es ist halt eine Reaktionsbildung auf die Angepaßtheit des französischen Staatsbürgers.
Frankreich und die Schweiz haben liberalere Waffenrechte als andere europäische Länder. Zwar kein Vergleich mit den USA aber, zwei Länder die den Feudalabsolutismus abgewehrt oder überwunden haben.
Zitat von MarriexFrankreich und die Schweiz haben liberalere Waffenrechte als andere europäische Länder. Zwar kein Vergleich mit den USA aber, zwei Länder die den Feudalabsolutismus abgewehrt oder überwunden haben.
Hm, ohne mich da besonders gut auszukennen: England und Italien kannten ebenfalls keinen Feudalabsolutismus, und insbesondere England hat selbigen auch abgewehrt. Trotzdem ist insbesondere England derzeit nicht unbedingt für laxe Waffengesetze bekannt. Oder irre ich mich?
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Zitat von MarriexBemerkenswert: Frankreich und die Schweiz haben liberalere Waffenrechte als andere europäische Länder. Zwar kein Vergleich mit den USA aber, zwei Länder die den Feudalabsolutismus abgewehrt oder überwunden haben.
Was bitte ist ein "Feudalabsolutismus"? Was genau soll damit bezeichnet werden?
Feudalismus und Absolutismus sind zwei ganz verschiedene Dinge, die auch zeitlich nicht zusammenfallen. Den Feudalismus bringe ich mit MA und Renaissance in Verbindung, den Absolutismus mit der Zeit Ludwigs XIV und danach.
Die Schweiz hat - wenn ich mich in der Geschichte richtig auskenne - den Absolutismus a la Habsburg oder Frankreich nie kennengelernt, in Frankreich hat das Königtum den Feudalismus bekämpft und zugunsten der absolutistischen Monarchie überwunden.
So interessant die Infos auch sind, das ändert doch aber nichts daran, dass die Sache "Revolution" nach Abzug der Briten erledigt war. Oder hat man z.B. noch lange hinterher überall nach Loyalisten gefahndet oder diese für Schwierigkeiten verantwortlich gemacht?
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Zitat von Yossarius Nebenbei...der begnadete Mathematiker Kurt Gödel hat bei seiner Einbürgerung in die USA 1949 nachgewiesen, dass trotz der die Demokratie schützenden Verfassung im Rahmen dieser Verfassung die Errichtung einer Diktatur möglich sei.....soll heißen, es gibt eine liberale Gesellschaft nicht im Selbstlauf und sie muss ständig erneuert und verteidigt werden. Glücklicherweise hat Einstein Gödel vor einem Desaster bei der Einbürgerung bewahrt.
Eine schöne Anekdote, lieber Yossarius. Sie zeigt wieder einmal, daß zu einem genialen Wissenschaftler nicht zuletzt Mut gehört: Die Bereitschaft, etwas zu durchdenken und es zu prüfen, auch wenn es allen anerkannten Wahrheiten widerspricht oder zu widersprechen scheint.
Gödel hat diese Eigenschaft in besonderem Maß gehabt. Wer es im aufgeklärten 20. Jahrhundert unternimmt, den ontologischen Gottesbeweis durch Formalisierung unangreifbar zu machen, der muß schon mutig sein.
Und dieser Mut hätte Gödel wohl vor der Einwanderungskommission in die Bredouille bringen können, wenn er nicht erstens Einstein gehabt hätte und zweitens einen Vorsitzenden, der ihn kannte und der ihm wohlgesonnen war.
Ansonsten: Volle Zustimmung zu dem, was Sie geschrieben haben.
Ich empfinde beide Konzepte als ganz und gar undeutsch, in einer Kultur, die durch Preußen maßgeblich geprägt ist und in der selbst der König nur der erste Diener des Staates ist.
Zitat von HajoIch empfinde beide Konzepte als ganz und gar undeutsch, in einer Kultur, die durch Preußen maßgeblich geprägt ist und in der selbst der König nur der erste Diener des Staates ist.
Hm, lieber Hajo. Zum einen: Finden Sie nicht auch, daß das Wort "undeutsch" als ein Begriff der Rechtsextremen diskreditiert ist? Ich fände es besser, solche Begriffe wegen der Mißverständlichkeit nicht zu verwenden; aber das ist eine Frage der persönlichen Präferenz.
Zweitens aber, und das finde ich ungleich wichtiger:
Ich bin ein Bewunderer von Friedrich II. und ich habe eine hohe Meinung von seinem Preußen. Von jenem liberalen Preußen, in dem jeder nach seiner Fasson selig werden konnte; in dem Kant unbehelligt lehren konnte. Von jenem multikulturellen Preußen, in dem die Juden sich früher als anderswo emanzipieren konnten und das Einwanderer wie die Hugenotten gern aufnahm. Von jenem Preußen, das in der Zeit des zu Ende gehenden Absolutismus geradezu ein Vorbild an Rechtsstaatlichkeit war.
Aber "deutsch" war dieses Preußen ja gerade nicht. Es war ein sich dynastisch, nicht national definierender Staat. Noch der junge Bismarck hatte für nationale Bestrebungen nur Verachtung; er sah sich seinem Herrn, dem König Friedrich Wilhelm IV. und dann Wilhelm I. verpflichtet, nicht dem deutschen Volk.
Später hat er sich geändert und ist auf den nationalen Wagen aufgesprungen; aber das dann Deutschland dominierende Preußen warf ja nicht mehr das klassische Preußen, sondern zunehmend das Preußen der Nationalisten, der Koofmichs. Am Ende das des Diederich Heßling.
Keiner hat das alte Preußen und seinen Niedergang besser beschrieben als Theodor Fontane, der meine Hochschätzung Preußens wesentlich geprägt hat; neben der Leküre einiger Werke von Friedrich II. und seines Briefwechsels mit Voltaire.
Ich würde weiter gehen - die "Amerikanische Revolution" war gar keine sondern einzig und allein ein Unabhängigkeitskrieg, nachdem die britische Krone in den Augen von 13 Kolonien ihre altangestammten Rechte verletzt hatte. Es ging darum, Neuerungen zu bekämpfen, nicht Neues zu schaffen.
Letzteres tat man nur so weit, wie es durch die Verhältnisse von nöten war. Selbst die Gründung der USA als Bundesstaat erfolgte erst, als das eher staatenbündische Miteiander sich 1783-1787 als untauglich erwiesen hatte. Dies erklärt auch, warum man solche kontroversen Fragen wie die Sklaverei zunächst ausklammerte. Eine Bill of Rights wurde nur auf Druck der Opposition aufgenommen, galt aber zunächst nur für relativ bescheidenen Bereich der Bundesregierung (das änderte sich erst nach dem Bürgerkrieg).
Infolgedessen wurde das politische System auch nach britischem Vorbild gestaltet - dem damaligen britischen System, von dem heute nichts mehr übrig ist, was aber damals Montesquieu zum Vorbild nahm und dadurch auch die erste Verfassung der Franzöischen Revolution inspirierte.
In Frankreich dagegen stand man vom ersten Moment auf einer doktrinären Grundlage, schon in der ersten Schrift des Abbe Sieyes ist dies zu sehen. (Und diese Auffassung drückt sich nicht nur in obengeschildertem Jakobinertum aus, sondern auch im Treiben und Schreiben mancher Libertären oder auch Liberalen.)
Aber man sollte den Unterschied nicht an zwei Dokumente festmachen. Ob die Unabhängigkeitserklärung ein gültiges Rechtsdokument der USA sind, ist durchaus strittig. Die frz. Menschenrechtserklärung von 1793 ist es sicher nicht, denn das heutige Frankreich bezog und bezieht sich auf die Erklärung von 1789, die etwas anders aussieht. Darüberhinaus spricht auch die Erklärung von 1793 von "natürlichen, unveräußerlichen" Rechten - die unterschiedliche Gewichtung ist in der Tat minimal. Der Unterschied liegt in einer bestimmten Geisteshaltung, nicht in solchen Dokumenten.
Weder ein Burkaverbot noch eine Schulpflicht können sich auf das Prinzip der Equalité berufen, welches ja nur eine Gleichheit der Rechte vertritt, keine Uniformierung aller Einwohner - diese Idee gibt es in Frankreich, was aber andere Gründe hat, wohl vor allem ein neurotisches (und historisch völlig unbegründetes) Verhältnis zu religiösem Ausdruck. Dieses wiederum würde ich in der Tat auf Voltaire, Rousseau und Konsorten zurückführen.
Man sollte aber beachten, daß es "die Freiheit" ja gar nicht gibt. Was in einem freiheitlichen Staat als möglich oder nicht gilt, hängt auch von der jeweiligen Verfassung ab.
Schließlich wäre ich noch der Meinung, daß ein Nacktheitsverbot sehr viel besser begründet werden kann, als ein Burka-Verbot. Weshalb es ja auch ersteres weltweit allgemein verbreitet ist, letzteres aber nicht.
Was die Schweiz betrifft, kenne ich mich nicht so aus, aber Frankreich hat den Absolutismus nicht abgewehrt oder überwunden sondern weitergeführt (Deutschland ebenso), im Gegensatz zu den USA oder England, die einen Absolutismus nie hatten.
Zitat Zitat von Yossarius Nebenbei...der begnadete Mathematiker Kurt Gödel hat bei seiner Einbürgerung in die USA 1949 nachgewiesen, dass trotz der die Demokratie schützenden Verfassung im Rahmen dieser Verfassung die Errichtung einer Diktatur möglich sei.....soll heißen, es gibt eine liberale Gesellschaft nicht im Selbstlauf und sie muss ständig erneuert und verteidigt werden. Glücklicherweise hat Einstein Gödel vor einem Desaster bei der Einbürgerung bewahrt.
Von welcher Verfassung spricht er denn da?
Und wie will er so etwas nachweisen können? Etwa mathematisch?
Um nicht mißverstanden zu werden, ich halte es für eine Binsenweisheit, daß nur Menschen, nicht ein Stück Papier die Errichtung einer Diktatur (was ist das?) anstelle einer Demokratie (was ist das?) verhindern können. Aber wie will man so etwas "nachweisen"?
Sie werden es hoffentlich vergeben, wenn die Nichtpreußen hier im Zimmer das anders sehen.
Insbesondere ist das "König als der erste Diener seines Staates" überhaupt nichts genuin preußisches sondern schon Jahrhunderte vorher allgemeines europäisches Gedankengut.
Zitat von lois janeWas die Schweiz betrifft, kenne ich mich nicht so aus, aber Frankreich hat den Absolutismus nicht abgewehrt oder überwunden sondern weitergeführt (Deutschland ebenso), im Gegensatz zu den USA oder England, die einen Absolutismus nie hatten.
Da muß man etwas differenzieren. Richtig ist auf jeden Fall, daß die absolutistische Tradition Frankreichs auch nach der Revolution stark nachgewirkt hat.
Für Deutschland kann man das schon deshalb nicht sagen, weil es hier Absolutismus nur in diversen Fürstentümern gegeben hat. Daneben gab es immer andere Herrschaftsformen, und das Reich selber war überhaupt nicht absolutistisch. Dieser Mix an Traditionen wirkt bis heute fort.
Dagegen gab es in England durchaus Phasen, in denen der Monarch fast absolutistisch regierte - es wurde nur nie so explizit als offizielle Staatsform verkündet wie in Frankreich. In vielen Bereichen könnte man England sogar als absolutistischer bezeichnen als Frankreich, weil der König viel stärker realen Durchgriff bis ins letzte Eck des Landes hatte und regionale Sonderrechte kaum eine Rolle spielten. Demgegenüber hat erst die Revolution Frankreich wirklich zentralisiert, selbst auf dem Höhepunkt der absolutistischen Herrschaft hatte es der König nicht geschafft, die Provinzen durchgängig zu regieren.
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