danke für diese ausgezeichnete Zusammenfassung. In weiten Teilen (vor allem in der ersten Hälfte) deckt sie sich mit dem, was ich aufgrund des Artikels in Foreign Affairs im März vergangenen Jahres geschrieben habe, und ergänzt es mit Deails:
Darauf brauche ich also nicht einzugehen. Ich beschränke ich mich auf die Punkte, in denen ich anderer Meinung bin als Sie, oder wo ich gern etwas Ergänzendes anmerken möchte:
Zitat von JeffDavisMan darf die Sicht oder Gedankenwelt dieser Gegner nicht an eigenen Überzeugungen und am eigenen Informationsstand messen. Männer wie Kim Jong Il, Saddam oder Ahmedineshad leben in ihrer eigenen Welt und sind nicht mit unseren Maßstäben zu messen.
Was man immer bei der Beurteilung der Politik des Iran in Erinnerung haben sollte. Carl hat darauf kürzlich in einem anderen Thread in einem längeren Beitrag hingewiesen. Allerdings hat - glücklicherweise - Ahmadinedschad bei weitem nicht die diktatorische Machtvollkommenheit von Saddam.
Zitat von JeffDavis Es gab aufgrund der Vorgeschichte Saddams und der Geheimdienstberichte Anhaltspunkte für die Existenz irakischer WMD-Programme. Insofern wird man weder Bush noch Blair vorwerfen dürfen, sie hätten in diesem Punkt bewußt gelogen, um den Irak angreifen zu können. Aber sie haben sich zu früh festgelegt, und keine ausgewogene Lagebeurteilung unter Berücksichtigung sämtlicher Informationen mehr vorgenommen, sondern entschlossen den Krieg gesucht. Dadurch, und weil sich erstens ein Teil der Informationen als fehlerhaft herausgestellt, und man zweitens nach der Besetzung keine WMD gefunden hat, konnte der Eindruck entstehen, beide seien von Anfang an - WMD hin oder her - zum Angriff entschlossen gewesen.
Die "Öffentlichkeit", lieber JeffDavis, die sofort aufjaulte - am schlimmsten in Deutschland, ich komme darauf zurück - hatte ja nicht die geringsten Informationen. Aber sofort wurde geglaubt, daß Bush und Blair "gelogen" hätten. Ich habe damals in anderen Foren - ZR gab es ja noch nicht - ziemlich heftige Debatten zu diesem Punkt gehabt und stand faktisch allein. Der Haß vor allem auf Bush reichte von ganz links bis ganz rechts.
Daß Bush und Blair eben nicht gelogen, sondern allenfalls die Lage falsch beurteilt hatten, steht inzwischen fest. Aber fragen Sie mal den berühmten "durchschnittlichen Zeitungsleser"! Die Presse, die Bush durch den Dreck gezogen hatte, denkt nicht daran, jetzt die Wahrheit in gleicher Breite zu schreiben.
Zitat von JeffDavisIn den irakischen Dokumenten, die im Bericht von Woods/Rease erwähnt sind, spielt Deutschland keinerlei Rolle. Die ablehnende Haltung der Regierung Schröder ist zwar unstreitig, und Schröder ist auch sehr früh vorgeprescht, aber Saddam hat klar auf Frankreich und Rußland gesetzt. Sein aus innenpolitischen Gründen erfolgter Schritt hat viel außenpolitisches Porzellan zerschlagen (und spricht Bände über sein Fingerspitzengefühl), hat aber die Entscheidungsfindung der irakischen Führung nicht beeinflußt.
Doch, indirekt. Denn Frankreich hatte sich bis zu dem Treffen Chirac/Schröder im Januar 2003 alle Optionen offen gehalten. Ich habe damals die französische Diskussion ziemlich intensiv verfolgt. Es gab - offenbar bis in die Regierung hinein - die Überlegung, Frankreich solle der Koalition doch noch beitreten, um seine wirtschaftlichen Interessen in einem Nachkriegs-Irak zu wahren.
Welches Interesse hatte Frankreich an dem plötzlichen Schwenk an die Seite Deutschlands? Meines Erachtens sah der Gaullist Chirac - ungleich antiamerikanischer eingestellt als etwa Sarkozy - die Chance, den alten Traum Frankreichs zu verwirklichen, Deutschland aus der Allianz mit den USA zu lösen und in ein enges Bündnis mit Frankreich zu führen; ich habe das damals "Neukarolingien" genannt. Chirac half Schröder aus seiner damaligen außenpolitischen Isolation und suchte Deutschland damit an Frankreich zu binden. Später versuchte Rußland daraus eine Triple-Allianz zu machen; natürlich auch ein alter sowjetischer Traum, Deutschland aus dem Bündnis mit den USA zu lösen.
So kam es zu dem Verhalten von Frankreich und Rußland im Sicherheitsrat, das bei Saddam den Eindruck erweckte, sie würden ihn vor einer Invasion retten. Schröder spielte zwar nicht auf der Bühne mit, aber er hatte hinter den Kulissen gewirkt. Übrigens waren weder Neukarolingien noch die Triple-Allianz Chimären. Es gab nur zwei personelle Entwicklungen, die diese Option vorerst erledigten: Im September 2005 wurde die Atlantikerin Merkel Kanzlerin, und im Frühjahr 2007 folgte auf Chirac nicht de Villepin, der diese Politik mit geformt hatte, sondern der Atlantiker Sarkozy.
Zitat von JeffDavisDas führt mich nun zu Zettels These: „Bush hatte die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen, daß Schröder sein Wort brechen und daß Chirac die daraus resultierende Isolierung Deutschlands nutzen würde, um den alten gaullistischen Traum neu zu beleben, Deutschland aus seiner Äquidistanz zu Frankreich und den USA herauszulösen und in ein gegen die USA gerichtetes Bündnis mit Frankreich zu führen. Die Folge war, daß der Krieg nicht - wie es der strategischen Planung der Regierung Bush entsprochen hatte - als ein Feldzug der Völkergemeinschaft gegen einen notorischen Friedensgefährder geführt werden konnte, sondern daß er als eine einseitige Aktion der USA und des UK erschien. „ und „Sie (die US-Strategie, Anm. JeffDavies) ist aber dennoch gescheitert, weil die US-Regierung nicht mit der Möglichkeit gerechnet hatte, daß Deutschland mit seiner Obstruktionspolitik Ernst machen und daß sich Frankreich und Rußland anschließen würden. Es war der berühmte eine Fehler im Kalkül.“ Diese Ausführungen klingen so, als sei Deutschland einer der Hauptverantwortlichen dafür, daß keine UN-Resolution mit einer Ermächtigung zur Anwendung militärischer Gewalt zustandegekommen ist. Das heißt mE, das politische Gewicht Deutschlands weit zu überschätzen.
Ich habe jetzt oben noch einmal erläutert, wie ich den Zusammenhang sehe. Deutschlands Einfluß wirkte nicht unmittelbar in der UNO, sondern dadurch, daß Chirac sich mit Schröder verbündet hatte.
Vergessen Sie bitte nicht, lieber JeffDavis, daß die Resolution 1441 einstimmig vom Sicherheitsrat verabschiedet worden war. Alles, was Sie an Widerstäden gegen die Politik der USA nennen, bestand auch damals schon. Aber es gab eben keine Vetomacht, die sich gegen die USA wandte. Daß sie die Resolution, die endgültig zum Krieg ermächtigte, nicht würden durchbringen können, konnten die USA nicht erwarten. Allerdings war es Powell gewesen, der unbedingt eine solche Resolution wollte, um völkerrechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Bush und Blair hatten 1441 als ausreichend angesehen.
Zitat von JeffDavisOb eine einheitliche Haltung des Westens Saddam zur Aufgabe bewegt hätte, ist ebenso Spekulation wie ein Gang in das Exil. Der Glaube an seine Unbesiegbarkeit und an die Schwäche der USA sprechen allerdings klar dagegen.
Sein Glaube, Frankreich und Rußland würden ihn retten, spricht aber klar dafür.
Soweit erst einmal. Zum Rest schreibe ich vielleicht später noch etwas.
Zitat von Zettel Was man immer bei der Beurteilung der Politik des Iran in Erinnerung haben sollte. Carl hat darauf kürzlich in einem anderen Thread in einem längeren Beitrag hingewiesen. Allerdings hat - glücklicherweise - Ahmadinedschad bei weitem nicht die diktatorische Machtvollkommenheit von Saddam.
Richtig, aber ob die anderen Führer des Iran einen Informationsstand und mehr geistige Unabhängigkeit und internationale Erfahrung besitzen, möchte ich bezweifeln. Es sind 100%ig kluge Männer unter ihnen, wenn es um religiöse Fragen und innenpolitischen Machterhalt geht. Aber das ist für die Außenpolitik zu wenig.
Zitat von Zettel Daß Bush und Blair eben nicht gelogen, sondern allenfalls die Lage falsch beurteilt hatten, steht inzwischen fest. Aber fragen Sie mal den berühmten "durchschnittlichen Zeitungsleser"! Die Presse, die Bush durch den Dreck gezogen hatte, denkt nicht daran, jetzt die Wahrheit in gleicher Breite zu schreiben.
Ich weiß, warum ich keine deutschsprachige Presse, kein deutsches Fernsehen und kein Radio verfolge. Sie sind Weapons of Massdesinformation. Den einen oder anderen "durchschnittlichen Zeitungsleser" haben wir ja auch hier im Forum. Da wundert es mich nicht, daß die deutschen WMDs leichtes Spiel haben. Man sieht die eigenen Vorurteile bestätigt und kann auf eigenes Nachdenken verzichten. Ein kuscheliges Wohlfühlmilieu, das, für mich nicht verwunderlich, ausgerechnet bei denen am weitesten verbreitet ist, die sonst immer einen "kritischen" Umgang fordern. Henschels von mir in einem anderen Thread erwähntes Buch (Das Bölken der Lämmer" beschreibt diese unsägliche Gutmenschen-Szene sehr treffend.
Zitat von Zettel
Zitat von JeffDavisOb eine einheitliche Haltung des Westens Saddam zur Aufgabe bewegt hätte, ist ebenso Spekulation wie ein Gang in das Exil. Der Glaube an seine Unbesiegbarkeit und an die Schwäche der USA sprechen allerdings klar dagegen.
Sein Glaube, Frankreich und Rupland würden ihn retten, spricht aber klar dafür.
Nein, warum? In den Dokumenten und Interviews, die als Grundlage für den Bericht dienten, findet sich nicht der geringste Hinweis darauf. Saddam hatte überhaupt keinen Grund, ins Exil zu gehen, wenn er felsenfest davon überzeugt war, die USA würden ihn nicht ernsthaft bedrohen und er sei unbesiegbar.
Wie lächerlich, aus bloßer Parteidisziplin auch gegen den fähigen Kandidaten des Gegners zu stimmen. (Klonovsky)
Saddam hätte ja abgesehen von Exil noch eine andere Möglichkeit gehabt, wie er den Krieg mit den USA hätte vermeiden können:
Er hätte schlicht einen sauberen Nachweis führen müssen, dass er keine Massenvernichtungswaffen hat.
Im Nachhinein wissen wir: Er hatte keine. Umso unverständlicher (auf den ersten Blick) wirkt die jahrelange Blockade der UNO-Konrolleure durch Saddam. Verständlich wird dies m.E. nur, wenn man bedenkt, dass es durchaus im Interesse Saddams war, den Eindruck zu erwecken, er habe WMD. Denn damit konnte er seinen Status in der Region unterstreichen.
Letzten Endes gab es aus Saddams Sicht folgende Entscheidungsmatrix:
A. Ich kooperiere voll mit den Kontrolleuren daraus folgt: geminderter interner Machtstatus und Status in der Region
B. Ich kooperiere nicht. die Folge: Hängt davon ab, was der Westen macht. > B1: Es gibt Krieg > B2: Es gibt keinen Krieg.
Seine Präferenz-Reihenfolge ist ganz klar: B2 ist das beste, gefolgt von A gefolgt von B1.
Ob er selbst A oder B wählt, hängt also davon ab, wie wahrscheinlich er im Falle von B den Kriegsfall hält. Und ganz sicher hat das Verhalten von Chirac, Schröder und Putin dazu geführt, dass er B1 als sehr unwahrscheinlich eingestuft hat.
Zitat von FlorianLetzten Endes gab es aus Saddams Sicht folgende Entscheidungsmatrix: A. Ich kooperiere voll mit den Kontrolleuren daraus folgt: geminderter interner Machtstatus und Status in der Region B. Ich kooperiere nicht. die Folge: Hängt davon ab, was der Westen macht. > B1: Es gibt Krieg > B2: Es gibt keinen Krieg. Seine Präferenz-Reihenfolge ist ganz klar: B2 ist das beste, gefolgt von A gefolgt von B1.
Naja, eben nicht, wenn sich Saddam in seiner Wahnwelt für unbesiegbar durch die USA hielt - diese Position vertritt JeffDavis' Quelle, und sie erscheint mir recht wahrscheinlich. In diesem Falle war Saddams Präferenz B2 > B1 > A: am besten gar keinen Krieg, zweitbestens ein Krieg, den er ja sicher gewinnen würde, und bloss keinen innenpolitischen Machtverlust riskieren.
-- El liberalismo pregona el derecho del individuo a envilecerse, siempre que su envilecimiento no estorbe el envilecimiento del vecino. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Zitat von GorgasalNaja, eben nicht, wenn sich Saddam in seiner Wahnwelt für unbesiegbar durch die USA hielt - diese Position vertritt JeffDavis' Quelle, und sie erscheint mir recht wahrscheinlich. In diesem Falle war Saddams Präferenz B2 > B1 > A: am besten gar keinen Krieg, zweitbestens ein Krieg, den er ja sicher gewinnen würde, und bloss keinen innenpolitischen Machtverlust riskieren.
Das paßt auch zu dem, was die Quelle für seine militärischen Anordnungen belegt: An oberster Stelle die Sicherung der persönlichen Macht, egal, wie unsinnig die Anordnung in militärischer Hinsicht auch gewesen ist.
Wie lächerlich, aus bloßer Parteidisziplin auch gegen den fähigen Kandidaten des Gegners zu stimmen. (Klonovsky)
Zitat von ZettelSein Glaube, Frankreich und Rupland würden ihn retten, spricht aber klar dafür.
Nein, warum? In den Dokumenten und Interviews, die als Grundlage für den Bericht dienten, findet sich nicht der geringste Hinweis darauf. Saddam hatte überhaupt keinen Grund, ins Exil zu gehen, wenn er felsenfest davon überzeugt war, die USA würden ihn nicht ernsthaft bedrohen und er sei unbesiegbar.
Sie haben, lieber JeffDavis, doch selbst Saddams Überzeugung zitiert, Frankreich und Rußland würden die USA und GB von einer Invasion abhalten.
Woher rührt dieser Glaube? Bis zum Januar 2003 hatte sich Rußland zurückgehalten und hatte sich Frankreich alle Optionen offengelassen. Ich habe schon die damalige Debatte in Frankreich zu der Möglichkeit erwähnt, in letzter Minute noch in die Koalition einzusteigen. Das wurde damals schon im Detail diskutiert; es war vor allem an eine Beteiligung der Luftwaffe gedacht.
Saddams Glaube, Frankreich und Rußland würden die Koalition an einer Invasion hindern, kann erst entstanden sein, nachdem sich erst Chirac und dann Putin auf die Seite Schröders geschlagen hatten.
Dazu noch ein Gedanke: In dem Foreign-Affairs-Artikel steht ja auch, daß Saddam den "Informationen" seines Informationsministers Muhammad Saeed al-Sahhaf ("Comical Ali") allen Ernstes vertraute. Wenn etwas noch so unglaubhaft war, aber in sein Weltbild paßte, dann glaubte er es. Und nun gab es im Sicherheitsrat diese theatralischen Auftritte beispielsweise von de Villepin, es gab die gewaltige deutsch-französische diplomatische Aktivität bei den nichtständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats. Es erscheint nicht unplausibel, daß Saddam das alles als Zeichen für ein entschiedenes Engagement zu seinen Gunsten gesehen hat.
Daß es - nach meiner Interpretation - um etwas ganz anderes ging, nämlich das Hinausdrängen der USA aus Europa, dürfte jenseits seines Horizonts gewesen sein.
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