Die Einwanderungsdebatte ist ein Deutschland Jahrzehnte so geführt worden, als sei zwischen zwei Alternativen zu entscheiden: Der multikulturellen Gesellschaft oder einem Deutschland, das Einwanderer fernhält. Zwei gleichermaßen absurde Alternativen.
Wer schon länger in ZR mitliest, der weiß, daß ich geradezu gebetsmühlenartig immer wieder auf das Thema Assimilation komme: Wer nach Deutschland einwandert, der hat sich zu bemühen, Deutscher zu werden. Wer das nicht will, der kann sich vorübergehend hier aufhalten, aber nicht über Generationen seßhaft werden. So handhaben es alle Einwanderungsländer. Ein Land, das es nicht so handhabt, gibt sich selbst auf; seine Kultur, seine nationale Identität.
Diesen Kernpunkt hat jetzt Thilo Sarrazin in einem Essay entwickelt, das ich unbedingt zur Lektüre empfehle.
Ich befürchte, auch diese Worte wird man wieder gegen Sarrazin verwenden und ihn aufs übelste bezichtigen. Bei Scienceblogs konnte man das erst letztens in Bezug auf sein Interview im „LETTRE INTERNATIONAL“ sehr gut sehen:
Im Rahmen dieser Diskussion konnten dann alle Vorwürfe Stück für Stück auseinandergenommen werden, doch besonders der erste Artikel zeigt erschreckend, was vorgefasste (und vermutlich durch den "Kampf gegen Rechts" geprägte) Meinungen hervorbringen können. Ganz gruselig wird es aber, wenn die Autorin im Laufe der Diskussion solche Aussagen bringt:
Zitat Ich vermute, ich habe eine andere Empfindlichkeit, was braunes Gedankengut angeht, als andere hier.
Andrea T.· 15.08.10 · 17:41 Uhr (sarrazin-die-zweite)
Ich habe im ScienceBlogs den Artikel von Andrea Thum gelesen und in etwa die 91 Kommentare. Der Artikel kam am 14.August heraus, kurz nach 23.00 Uhr, der letzte Kommentar am 17. August morgens gegen 8.00.Innerhalb von nicht einmal zweieinhalb Tagen war die ganze Aufregung beendet. Was bedeutet das nun? Werden daraus an entscheidender Stelle Schlüsse gezogen? Ist es nur so, daß halt jeder was sagen und Dampf ablassen durfte? Falls es doch jemand interessieren sollt: Kommentar Nr. 91 spricht mir aus dem Herzen. Grüßchen, Inger und Dank an Popeye
Hatte mich sehr gewundert, dass der SPIEGEL diesen Artikel abdruckt. Anscheinend hat man es sich auch nur getraut, weil man in der gleichen Ausgabe ein massives Gegengewicht platziert hat, den - Entschuldigung - absolut widerlichen Artikel von Marc Hujer ("Vernunft gegen Wahnsinn", S. 100-102) über den New Yorker Moschee-Streit, der es schafft, die formulierten Ziele der Cordoba Initiative für bare Münze zu nehmen, kein Wort über den Sharia-Fan Feisal Abdul Rauf zu verlieren, pauschal jeden Kritiker dieses Baus in die Nähe des Wahnsinns zu rücken, über Muslime in Amerika zu sprechen, ohne auch nur ein Wort über Fort Hood zu verlieren und so weiter und so weiter. Jedes Wort hat da anscheinend nur ein Ziel - Manipulation.
Das Wort "Assimilation" ist ja bei den meisten sehr negativ belegt. Deswegen finde ich es wichtig, darauf hinzuweisen, dass in einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft gar nicht viel verlangt wird, um "angepasst" zu sein. Das Bekenntnis zu Freiheit, Demkratie und Menschenrechten wäre schon mal die halbe Miete; die allerdings auch von vielen Urdeutschen, denen Assimilation nicht genehm ist und die lieber Häuser besetzen, nicht bezahlt wird.
Ich finde, Sarrazzin vermischt da zwei verschiedene Konzepte. (a) wer zu uns kommt, soll sich anpassen (b) wer zu uns kommt, soll uns nicht auf der Tasche liegen.
in Zettels Sarrazzin-Zitat entsprechend gekennzeichnet:
Zitat Wer da ist und einen legalen Aufenthaltsstatus hat, ist willkommen. Aber wir erwarten von euch, dass ihr die Sprache lernt, dass ihr euren Lebensunterhalt mit Arbeit verdient, dass ihr Bildungsehrgeiz für eure Kinder habt, dass ihr euch an die Sitten und Gebräuche Deutschlands anpasst und dass ihr mit der Zeit Deutsche werdet - wenn nicht ihr, dann spätestens eure Kinder.(...) Wer Türke oder Araber bleiben will und dies auch für seine Kinder möchte, der ist in seinem Herkunftsland besser aufgehoben. Und wer vor allem an den Segnungen des Sozialstaats interessiert ist, der ist bei uns schon gar nicht willkommen.
Der Forderung (b) stimme ich 100% zu. Mit dieser Forderung sollte er eigentlich auch parteiübergreifend auf Gegenliebe stoßen. Ob klassischer SPD-Arbeiter, Linke-Gewerkschafter, FDP-Arzt oder CSU-Landwirt (um mal alle Stereotypen durchzugehen): von Leuten die nur zu uns kommen um unser Sozialsystem auszunutzen hält keiner von denen etwas. (einzige Ausnahme sind vielleicht ein paar realitätsentrückte Grüne).
Was Forderung (a) betrifft, bin ich mir nicht sicher, in wie weit ich zustimmen kann. Einerseits hat er natürlich recht, dass die Tendenz zur kulturellen Abschottung speziell türkischer und arabischer Zuwanderer problematisch ist.
Andererseits: Zum einen scheint mir dies im Bereich der "High Potentials" kontraproduktiv zu sein. Warum können wir einen amerikanischen Uni-Professor oder einen indischen McKinsey-Berater nur bei uns akzeptieren, wenn er Deutsch spricht und sich an unsere Sitten und Gebräuche anpasst? Die werden sich auf ein solches Spiel wohl eher nicht einlassen. Und umgekehrt wären doch auch wir befremdet, wenn China den Siemens-Ingenieur erst dann ins Land lassen würde, wenn er Mandarin spricht und bereit ist, seine Grippe mit Schlangen-Suppe auszukurieren.
Zum anderen scheint mir die kulturelle Assimilation auch in klassischen Einwanderländer keine von Staatsseite vorgegebene Forderung zu sein. Gerade die USA sind ja sehr gut damit gefahren, den Zuwanderern hier große Freiheit zu lassen: manche siedeln sich dann eben im Chinatown oder in Little Italy an und sondern sich ab. Manche Latinos sprechen vielleicht gar kein Englisch. So what? (so lange sie uns nicht auf der Tasche liegen und solange sie sich an die Gesetze halten).
Ich würde mal vermuten, dass eine konsequente Verfolgung von Forderung (b) ausreichen würde, um faktisch auch (a) zu erreichen. Wenn ein Einwanderer gezwungen ist, sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, dann muss er sich auf seine neue Heimat ganz anders einlassen. Er muss dann aus eigenem Interesse heraus zu verstehen lernen, wie die Mehrheitsgesellschaft so tickt. Er muss die Dinge lernen, die ein potenzieller Arbeitgeber von ihm erwartet bzw. er muss die Wünsche von potenziellen Kunden verstehen lernen. Dadurch wird er ganz von alleine ein integrierter Teil der Gesellschaft. (Und wenn er dann zuhause weiterhin seine türkische Wurzeln pflegt, dann ist das wirklich seine Privatsache.)
Ein solcher Ansatz, den Zuwanderern einen ökonomischen Anreiz zu geben, sich auf die deutsche Gesellschaft einzulassen wäre m.E. viel sinnvoller als irgendwelche Zwangs-Deutschkurse mit anschließender lebenslanger Sozialhilfe-Garantie.
Diesen Beitrag habe ich mir jetzt angesehen. Das ist ja fürchterlich.
Ich hatte gelegentlich in Scienceblogs geguckt, aber da ging es immer um naturwissenschaftliche Themen. Offenbar gibt es also auch dort Blogs, die mit Wissenschaft wenig zu tun haben. Die Autorin Andrea Thum verspricht in ihrem Profil: Sie "berichtet und erklärt die Verwendung von Statistik in Nachrichten und überall sonst". Also eine Methodikerin, sollte man meinen.
Der Beitrag läßt aber von der Methodik wissenschaftlichen Arbeitens wahrlich nichts erkennen. Der Artikel beginnt mit dem Satz: "Leute wie Thilo Sarrazin finde ich einfach widerlich". Da haben wir schon alles zusammen, was es überhaupt nur an Unwissenschaftlichkeit gibt: Erstens eine Pauschalisierung ("Leute wie"), zweitens eine affektive Stellungnahme.
Wer so an ein Thema herangeht, der wird natürlich nichts Gescheites herausfinden; er wird immer nur seine affektiv gefärbten Vorurteile bestätigen. Das zeigt der Artikel sehr schön.
Da wird mit Analogien argumentiert, so als sei man noch vor Descartes (weil die Nazis angeblich eine ähnliche Rechnung angestellt haben wie die Sarrazin, ist dessen Rechnung falsch). Und da werden Daten vollkommen ungeprüft akzeptiert.
Diese Autorin, die offenbar als Wissenschaftlerin arbeitet, zitiert für ihre Behauptung, Sarrazin sei "widerlegt" (nämlich mit seiner Behauptung, türkische Einanderer hätten eine höhere Geburtenrate) - eine Meldung in "Spiegel-Online", die wiederum eine Pressemitteilung der Universität Rostock zitiert, wonach in einer "Forschungsarbeit" herausgekommen sei, daß "Frauen mit Migrationshintergrund der zweiten Generation [sich] dem Geburtenverhalten westdeutscher Frauen" anpassen würden.
Es wird eine einzige Autorin genannt; also ist es vermutlich eine Dissertation oder allenfalls eine Habilitationsschrift. Man weiß nichts über die Methodik, die Stichprobe, die Datenanalyse. Wie ist die Autorin an die Daten von Hunderttausenden von Frauen gekommen? Oder hat sie eine Stichprobe gezogen? Welche?
Und so fort. Unabhängig von diesen offenen methodischen Fragen hat selbst nach dieser Pressemitteilung diese Untersuchung nicht das ergeben, was in der Überschrift bei "Spiegel-Online" steht: "Migranten bekommen nicht mehr Kinder als Deutsche".
Zitat von Spiegel-OnlineIn den ersten beiden Jahren nach dem Umzug war die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen etwa 2,5mal so hoch wie für Frauen in Westdeutschland. Bei den Frauen der zweiten Zuwanderergeneration dreht sich dieses Muster allerdings um: Sie werden seltener und später Mutter als die der ersten Generation. Etwa 22 Prozent bleiben sogar kinderlos. Die Wahrscheinlichkeit ein Kind zu bekommen, ist bei ihnen im Vergleich zu westdeutschen Frauen nur 1,2mal höher.
Sie bekommen also auch nach dieser Untersuchung sehr wohl mehr Kinder.
Und wie gesagt: Man weiß ja nichts über die Methodik.
Welcher Zeitraum wurde da untersucht? Die ersten Jahre nach der Eheschließung, oder die ganze Lebensspanne?
Wieviele Migrantinnen der zweiten Generation hatte die Forscherin denn in ihrer Stichprobe, die mindestens vierzig Jahre waren, für die man also die Aussage machen kann, "sie blieben kinderlos"?
Ich habe keine Ahnung von den methodischen Einzelheiten, aber einen Verdacht: Ich habe den Verdacht, daß die Autorin eine Stichprobe von Einwanderinnen und eine von deutschen Frauen angesehen hat, was das Gebärverhalten in den ersten Jahren nach der Ehelschließung angeht.
Und da wäre es durchaus plausibel, daß sich das Gebärverhalten angleicht: Auch in türkischen Haushalten der zweiten Generation dürfte man mit dem Kinderkriegen warten, bis man wirtschaftlich auf festen Beinen steht.
Wieviele Kinder danach kommen, darüber sagt das natürlich nichts.
Das ist natürlich nur eine Vermutung. Ich will man sehen, ob ich an die Daten komme.
das Problem mit den "Migrantengeburten" besteht einfach darin, dass man sich hier immer scheut, Klartext zu reden. Zu 99% sind, wenn von "Migranten" die Rede ist, Türken und "Araber" (lt. dem Buch von Frau Heisig sind das eher meist Kurden) gemeint. Und gerade die Türken sind, wenn man sich die Studie genau anschaut, eben weiterhin die Ausnahme... Dass, wie in der Studie triumphierend berichtet wird, die Geburtenraten bei hier lebenden Spanierinnen und Griechinnen sich weitgehend an die deutsche angepasst hat, sollte eigentlich auch kaum jemanden verwundern.
Im Übrigen wäre da noch zu erwähnen, dass ja gerade unter den Türken weit verbreitet ist, die Ehegattinnen eben nicht in der "2. Generation" zu suchen, sondern im als solchen weiterhin empfundenen Heimatland.
(...)„Der reine Ausländeranteil sagt relativ wenig aus“, begründet Eckhard Binder von der WSP (Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim) die Auswertung, zumal in Deutschland geborene Kinder in der Regel zunächst als deutsch gelten.
Die WSP hat Interessantes zu Tage gefördert. So hatten am 31. Dezember 2008 (der zuletzt ermittelte Stand) sage und schreibe 42,6 Prozent aller Pforzheimer einen Migrationshintergrund – zum Vergleich: 2007 waren es 41,8 Prozent. Auffällig ist, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund zunimmt, je jünger die untersuchte Gruppe ist: Während lediglich 15,7 Prozent bei den 65- bis 80-Jährigen einen Migrationshintergrund haben, so sind es bei den unter Dreijährigen bereits 71,7 Prozent. Mit anderen Worten: Die Zukunft gehört den Migranten. Stadtteile mit besonders großem Migrantenanteil sind Oststadt (61,9 Prozent), Au (60,8), Innenstadt (59,2), Weststadt (59,6) und Buckenberg (56,7) – davon Haidach: 66,1 Prozent.
(Hervorhebung von mir)
Da ist es wohl kaum verwunderlich, daß möglichst keine aktuellen (echte) Statistiken in die Öffentlichkeit gelangen sollen, schon gar nicht von seiten der Bundesregierung, wobei die jetzige, die vorige und vorvorigen Regierungen sich darüber stillschweigend einig waren.
Andrea Thum ist neu bei den Scienceblogs, die Leser sind anderes arbeiten gewohnt und das bekommt sie schon in den Kommentaren zu ihrem Artikel "Wahrnehmung" zu spüren!
Zitat Diese Autorin, die offenbar als Wissenschaftlerin arbeitet, zitiert für ihre Behauptung, Sarrazin sei "widerlegt" (nämlich mit seiner Behauptung, türkische Einanderer hätten eine höhere Geburtenrate) - eine Meldung in "Spiegel-Online", die wiederum eine Pressemitteilung der Universität Rostock zitiert, wonach in einer "Forschungsarbeit" herausgekommen sei, daß "Frauen mit Migrationshintergrund der zweiten Generation [sich] dem Geburtenverhalten westdeutscher Frauen" anpassen würden.
Nun ja, da ich treuer Leser von Zettel´s Raum bin, erinnerte ich mich gleich an den passenden Artikel (zwar die "Welt", aber gleiche Studie) und konnte ihr dieses Argument genüsslich unter die Nase reiben!
Auch wenn wir hier ein Negativbeispiel haben, Scienceblogs ist sehr zu empfehlen, besonders wenn der Astronom nicht über Astronomie, sondern über Pseudomedizin, Weltuntergänge oder seltsame Professorinnen schreibt.
Zitat von FlorianZum anderen scheint mir die kulturelle Assimilation auch in klassischen Einwanderländer keine von Staatsseite vorgegebene Forderung zu sein. Gerade die USA sind ja sehr gut damit gefahren, den Zuwanderern hier große Freiheit zu lassen: manche siedeln sich dann eben im Chinatown oder in Little Italy an und sondern sich ab. Manche Latinos sprechen vielleicht gar kein Englisch. So what? (so lange sie uns nicht auf der Tasche liegen und solange sie sich an die Gesetze halten). Ich würde mal vermuten, dass eine konsequente Verfolgung von Forderung (b) ausreichen würde, um faktisch auch (a) zu erreichen.
Ich möchte mich Ihrer Einschätzung, weitestgehend anschließen. Aber: Warum sollten sich Muslime zum Beispiel an unser Rechtssytem (BGB betreffend) anschließen, das im Gegensatz zu ihrem noch nicht einmal "echten" Schadenersatz, bzw. Schmerzensgeld[1] kennt. Die wären ja, entschuldigen Sie bitte, bekloppt!
Uwe Richard
[1]Positives Recht: Wenn offiziell nichts zu holen ist, gibt's auch nichts (Falls nötig, bitte mich zu korrigieren; bin ja kein Jurist). Wer wissen will, wie das z.B. bei den Muslimen in etwa funktioniert, kann das bei radikalliberalen Autoren nachlesen. Vielleicht schreibe ich mal einen kleinen Artikel unter Dies und Jenes darüber, wie Türken- und/oder Araber-Kommunities nach meinen Erfahrungen ticken (Nicht viel anders als ich, nebenbei bemerkt).
EDIT: "(Nicht viel anders als ich, nebenbei bemerkt)" ist zu ungenau, zu umgangssprachlich formuliert, und sollte besser "(Nicht wesentlich anders als ich, nebenbei bemerkt)" heißen.
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‘The problem with socialism is that eventually you run out of other people’s money’ -- Margaret T.
Zitat von NolaAuffällig ist, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund zunimmt, je jünger die untersuchte Gruppe ist: Während lediglich 15,7 Prozent bei den 65- bis 80-Jährigen einen Migrationshintergrund haben, so sind es bei den unter Dreijährigen bereits 71,7 Prozent. Mit anderen Worten: Die Zukunft gehört den Migranten. Stadtteile mit besonders großem Migrantenanteil sind Oststadt (61,9 Prozent), Au (60,8), Innenstadt (59,2), Weststadt (59,6) und Buckenberg (56,7) – davon Haidach: 66,1 Prozent. (Hervorhebung von mir)
Die genannten Zahlen decken sich mit meinen Erfahrungen. Ob die Geburtenrate künftig, bei besserer Integration, sprich beruflichem Erfolg, signifikant sinken wird, steht eher in den Sternen, als dass man/ich eine Prognose wagen könnte. Wir werden in Zukunft vermutlich eine eher konservative Gesellschaft werden, wenn mich nicht alles täuscht.
Mit freundlichem Gruß Uwe Richard
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‘The problem with socialism is that eventually you run out of other people’s money’ -- Margaret T.
- Wenn Frau Milewski ihre Dissertation auf Englisch einreicht, ist das sicher nicht zu beanstanden, sondern zunehmend guter Brauch an deutschen Hochschulen (wie übrigens schon lange zB an holländischen, wo fast jede Dissertation in den empirischen Wissenschaften und in Mathematik inzwischen auf Englisch geschrieben wird). Der Grund liegt auf der Hand: Man möchte ja, daß die Dissertation von der wissenschaftlichen Welt zur Kenntnis genommen und zitiert wird. Und die Sprache der wissenschaftlichen Welt ist nun mal heute Englisch. So, wie sie einst Latein war; noch Schopenhauer hat seine Farbenlehre auf Latein geschrieben). Ein Kollege hat mir mal gesagt, nicht auf Englisch geschriebene Artikel und Bücher seien "nonexistent literature".
- Es ist nicht so ganz klar, ob Manfred sich mit dem Artikel in der "Welt" auseinandersetzt oder mit dieser Dissertation. Auf die Inkonsistenz in dem Artikel hatte ich ja auch schon kurz hingewiesen; Popeye hat es zitiert. Die Dissertation kennt offenbar auch Manfred nicht.
Ich erwäge, wie schon erwähnt, dazu noch etwas zu schreiben, aber nur, wenn ich diese Dissertation oder wenigstens eine ausführliche Zusammenfassung der Autorin lesen kann.
Also, die Dissertation würde ich nicht kritisieren, solange ich sie nicht kenne. Aber was das Echo in der Öffentlichkeit angeht, kann ich Manfred nur zustimmen.
Und wie daraus dann eine "Widerlegung" von Sarrazin konstruiert wird, sehen wir ja an diesem Artikel der Andrea Thum. An dem mich wirklich nur wundert, daß solch ein unwissenschaftliches Gerede in Scienceblogs erscheint.
Zitat von ZettelEs ist nicht so ganz klar, ob Manfred sich mit dem Artikel in der "Welt" auseinandersetzt oder mit dieser Dissertation. Auf die Inkonsistenz in dem Artikel hatte ich ja auch schon kurz hingewiesen; Popeye hat es zitiert.
Ich habe jetzt noch einmal nachgesehen. Es gab zu diesem Thema zwei Artikel in "Welt-Online", beide mit Datum von 10. August 2010:
Zitat von FlorianIch finde, Sarrazzin vermischt da zwei verschiedene Konzepte. (a) wer zu uns kommt, soll sich anpassen (b) wer zu uns kommt, soll uns nicht auf der Tasche liegen.
Ich würde, lieber Florian, nicht sagen, daß er sie vermischt, sondern daß er sie verbindet. Aus dem kurzen (Copyright!) Zitat geht das vielleicht nicht deutlich hervor, aber seine These ist, daß es da einen Zusammenhang gibt: Wenn Einwanderer hier auch ohne sich anzustrengen ein - zumal nach ihren heimischen Maßstäben - gutes Leben führen können, dann entfällt der Anreiz zur Assimilation.
Meine Ergänzung dazu: Zwischen Arbeit und Assimilation gibt es einen doppelten Zusammenhang. Erstens assimiliert man sich durch die gemeinsame Arbeit mit deutschen Kollegen; man lernt nicht nur die Sprache, sondern paßt sich auch in der Mentalität in gewissem Umfang an. Zweitens muß man sich assimiliert haben, wenn man in der Arbeitswelt einen Job bekommen, vor allem wenn man aufsteigen will. (Sie gehen ja auch weiter unten darauf ein).
Das gilt freilich nur solange, wie sich nicht bereits eine weitgehend geschlossene Parallelgesellschaft entwickelt hat.
Zitat von FlorianEinerseits hat er natürlich recht, dass die Tendenz zur kulturellen Abschottung speziell türkischer und arabischer Zuwanderer problematisch ist.
Andererseits:
Zum einen scheint mir dies im Bereich der "High Potentials" kontraproduktiv zu sein. Warum können wir einen amerikanischen Uni-Professor oder einen indischen McKinsey-Berater nur bei uns akzeptieren, wenn er Deutsch spricht und sich an unsere Sitten und Gebräuche anpasst? Die werden sich auf ein solches Spiel wohl eher nicht einlassen. Und umgekehrt wären doch auch wir befremdet, wenn China den Siemens-Ingenieur erst dann ins Land lassen würde, wenn er Mandarin spricht und bereit ist, seine Grippe mit Schlangen-Suppe auszukurieren.
Es ist aus meiner - und wohl auch Sarrazins - Sicht eine Frage der kritischen Masse. Bei den von Ihnen genannten Beispielen gibt es sicher keine Problem. Wenn aber ein großer und schnell wachsender Teil der Bevölkerung - Zahlenbeispiele wurden ja in diesem Thread genannt - sich erstens nicht assimiliert und zweitens in sich homogen ist, wie die Gruppe der türkischen Einwanderung, dann fällt die Nation auseinander.
Ich schreibe das immer wieder: Wenn man das will, dann akzeptiere ich diese Haltung, auch wenn ich sie nicht teile. Man bekommt dann einen binationalen Staat Deutschland mit einer deutschen Nationalität (schrumpfend) und einer türkischen (wachsend).
Das wird einen Umbau unserer Gesellschaft verlangen, gegen den die Wiedervereinigung ein Klacks war. Belgien gibt einen Eindruck davon, wie schwierig es ist, wenn zwei Nationen unter demselben staatlichen Dach zusammenleben; wobei es dort noch vergleichsweise einfach ist, weil Flamen und Wallonen in weitgehend getrennten Siedlungsgebieten wohnen.
Die Probleme eines binationalen Deutschland werden riesig sein; selbst wenn die Türken vorerst demographisch noch in der Minderheit sein werden. Aber gut, wenn man das will, dann soll man es ehrlicherweise sagen. Und man soll es dann konsequenterweise vorbereiten: Einrichtung von türkischen Schulen und Universitäten, schrittweise Einführung von Türkisch als zweiter Amtssprache, Quotierungen (diese werden besonders wichtig sein, denn irgendwann werden - siehe Belgien - die Türken den Anspruch anmelden, zum Beispiel in der Beamtenschaft entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten zu sein, bei den Studenten usw.)
Man kann das wollen. Dann muß man jetzt die Vorbereitungen dazu in Angriff nehmen.
Wenn man es aber nicht will, dann brauchen wir dringend eine Assimilationspolitik; wenn es nicht schon zu spät ist.
Zitat von FlorianZum anderen scheint mir die kulturelle Assimilation auch in klassischen Einwanderländer keine von Staatsseite vorgegebene Forderung zu sein. Gerade die USA sind ja sehr gut damit gefahren, den Zuwanderern hier große Freiheit zu lassen: manche siedeln sich dann eben im Chinatown oder in Little Italy an und sondern sich ab. Manche Latinos sprechen vielleicht gar kein Englisch. So what? (so lange sie uns nicht auf der Tasche liegen und solange sie sich an die Gesetze halten).
Jeder, der amerikanischer Staatsbürger werden will, muß eine Prüfung - auf Englisch! - bestehen und einen Eid auf die Verfassung ablegen. Aber das ist aus meiner Sicht nicht das Entscheidende. Wesentlich ist, daß (siehe oben) ein Assimilationsdruck dadurch besteht, daß nur vorankommt, wer sich assimiliert. - Mit der Einwanderung der Latinos könnte es erstmals anders aussehen; ich habe ja kürzlich beschrieben, daß diese eher einer Verschiebung der mexikanisch-amerikanischen Grenze gleicht.
Zitat von FlorianIch würde mal vermuten, dass eine konsequente Verfolgung von Forderung (b) ausreichen würde, um faktisch auch (a) zu erreichen.
Es ist jedenfalls ein zentraler Faktor, das sieht auch Sarrazin so. Ob nach Jahrzehnten der Multikulti-Ideologie dies allein noch ausreicht, weiß ich allerdings nicht.
"Jeder, der amerikanischer Staatsbürger werden will, muß eine Prüfung - auf Englisch! - bestehen und einen Eid auf die Verfassung ablegen."
Stimmt zwar aber das ist bis auf den Eid in Deutschland genauso. Und die Deutschen fragen in dem Antrag u.a. auch nach Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe was bei den USA nicht vorkommt. Man nimmt halt an dass wer legal im Land ist auch irgendiwe seinen Lebensunterhalt verdient.
"Wesentlich ist, daß (siehe oben) ein Assimilationsdruck dadurch besteht, daß nur vorankommt, wer sich assimiliert."
Ueberzeugt mich nicht. Fuer eine solch pauschale Aussage gibt es zuviele Ausnahmen - zuviele Chinatowns und Little Italies wie jemand anderes bereits schrieb. Und zuviele "celebrate diversity" bumper stickers.
Wenn man die (illegale) mexikanische Einwanderung ausser Acht laesst dann ergibt sich das Bild einer bewussten, konsequenten Einwanderungspolitik die sich vor allem an Potentialen orientiert. In den USA wie auch in kanada und Australien etc. Und hier liegt der Unterschied zu Deutschland.
Zitat von john j"Jeder, der amerikanischer Staatsbürger werden will, muß eine Prüfung - auf Englisch! - bestehen und einen Eid auf die Verfassung ablegen." Stimmt zwar aber das ist bis auf den Eid in Deutschland genauso. Und die Deutschen fragen in dem Antrag u.a. auch nach Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe was bei den USA nicht vorkommt. Man nimmt halt an dass wer legal im Land ist auch irgendiwe seinen Lebensunterhalt verdient.
Ja eben. Eine Einwanderung in die Sozialhilfe gibt es in den USA nicht. Und es gibt meines Wissens auch nicht diesen Status, daß man über Generationen "geduldet" oder mit immer wieder verlängerter Aufenthaltserlaubnis im Land leben kann, ohne sich einbürgern lassen zu müssen.
Zitat von john j"Wesentlich ist, daß (siehe oben) ein Assimilationsdruck dadurch besteht, daß nur vorankommt, wer sich assimiliert." Ueberzeugt mich nicht. Fuer eine solch pauschale Aussage gibt es zuviele Ausnahmen - zuviele Chinatowns und Little Italies wie jemand anderes bereits schrieb. Und zuviele "celebrate diversity" bumper stickers.
Diese Diversität findet aber innerhalb einer gemeinsamen amerikanischen Identität statt; jedenfalls in der Regel und mit ausdrücklicher Ausnahme der illegalen Latinos. Man ist eben ein Hyphen American, aber die meisten hier lebenden Türken sind keine Bindestrich-Deutsche. Das haben wir ja schon oft diskutiert.
Kann sein, daß ich auch dieses Beispiel schon einmal gebracht habe: Ein amerikanischer Kollege von mir hat als Autor ein Buch mit der folgenden Widmung versehen: Für meine Mutter (auf Italienisch) - Für meine Frau (auf Dänisch) - für meine Kinder (auf Englisch). Seine Eltern waren aus Italien eingewandert, die seiner Frau aus Dänemark. That's the melting pot. Und bis zur illegalen Latino-Einwanderung hat der im großen und ganzen auch funktioniert;jedenfalls, soweit ich das beurteilen kann.
Natürlich gibt es Wohngegenden wie China Town. Es mag auch Menschen geben, die dort leben und arbeiten, ohne den Versuch einer Assimilation zu machen. Aber die meisten sind doch in die USA eingewandert, um dort ihr Glück zu machen und voranzukommen; dazu müssen sie sich assimilieren.
Das Glück vieler Einwanderer nach Deutschland ist aber schon gemacht, sobald sie Sozialhilfe bewilligt bekommen haben.
die Arbeit von Frau Milewski kenne ich auch nur aus der Berichterstattung, und Sie haben recht, ich hätte schreiben müssen, dass sich M. mit der Berichterstattung auseinandersetzt bzw. die Arbeit aus zweiter Hand zitiert.
Ich möchte aber auch kurz zu Ihren Anmerkungen antworten:
Zitat - Wenn Frau Milewski ihre Dissertation auf Englisch einreicht, ist das sicher nicht zu beanstanden, sondern zunehmend guter Brauch an deutschen Hochschulen
Ob wirklich ein guter Brauch, weiß ich nicht. Es gibt ja durchaus eine m.E. berechtigte Kritik, wenn die DFG Antragsunterlagen für ein Projekt in Deutschland auf Englisch anfordert, wenn bei einer Konferenz, auf der fast nur Deutsche angewesend sind, alle mehr oder weniger schlecht auf Englisch radebrechen. Auch können wissenschaftliche Arbeiten erheblich inhaltlich darunter leiden, wenn sie jemand auf Englisch verfasst, dessen Muttersprache eben nicht das Englische ist. Wenn es auf Nuancierung, auf Präzision ankommt, leidet sehr leicht der Inhalt unter der Fremdsprache. Deswegeh halte ich es für eher keinen guten Brauch, die Dissertation in Deutschland auf Englisch zu schreiben - vielleicht gibt es Unterschiede zwischen den Fächern. Aus gleichen guten Gründen hat man die Abfassung der Dissertation auf Latein abgeschafft - wesentlich war schon im 19. Jh. die Kritik, dass Dissertation auf Latein doch inhaltlich eher dürftig seien.
Zitat (wie übrigens schon lange zB an holländischen, wo fast jede Dissertation in den empirischen Wissenschaften und in Mathematik inzwischen auf Englisch geschrieben wird).
Ein früherer niederländ. Kollege an der Uni hat mir erklärt, dass a) man in den Niederlanden das Englische besser beherrsche im Schnitt als in Deutschland, da z.B. Filme nicht synchronisiert werden, Niederländer sich präziser auf Englisch ausdrücken als Deutsche; und dass b) es die Sondersituation der Niederlande ist, ein so kleines Land zu sein, was es erforderlich mache, auf Englisch oder Deutsch (!) zu publizieren.
Zitat Der Grund liegt auf der Hand: Man möchte ja, daß die Dissertation von der wissenschaftlichen Welt zur Kenntnis genommen und zitiert wird. Und die Sprache der wissenschaftlichen Welt ist nun mal heute Englisch. So, wie sie einst Latein war; noch Schopenhauer hat seine Farbenlehre auf Latein geschrieben). Ein Kollege hat mir mal gesagt, nicht auf Englisch geschriebene Artikel und Bücher seien "nonexistent literature".
Auch das sicher mit Unterschieden in den Fächern. Ich habe für meine Dissertation auf Deutsch Rezensionen aus England / Amerika, aus Spanien, aus den Niederlanden bekommen; bin von einem Leser aus Ungarn angeschrieben worden. Die geringste Resonanz kam aus Deutschland ...
Vielen Dank! Das erspart mir das Suchen. Ich habe erst nur einmal das Summary gelesen. Daraus ergibt sich der erste Eindruck einer soliden wissenschaftlichen Arbeit, die aber in ihrer Fragestellung wenig mit dem zu tun zu haben scheint, was in der Presse angekommen ist.
Ich werde mich weiter darum kümmern, und es wird wohl ein Artikel in ZR daraus werden.
Danke für den Link auf den Arbeit. Auf die Schnelle fällt mir auf:
a) Aus Sicht eines Geisteswissenschaftlers, der ich bin, scheint mir die Arbeit mit nicht mal 200 Seiten extrem kurz. Staatsarbeiten waren angelegt auf ca. 100 Seiten; meine Magisterarbeit hatte gut 200 Seiten, und das war kein Einzelfall.
b) Vollkommen absurd erscheint mir, dass die Verf. lt. Appendix, Table A8 und A9 bei der Religionszugehörigkeit drei christliche Richtungen unterscheidet (catholic, protestant, other christian), aber den Islam nicht aufführt, obwohl sie sich mit Einwanderern aus der Türkei beschäftigt. Die sind bei der Verf. zu 59,8 % "other" und zu 36,1 % "N.A.". Ich dachte, jedes Schulkind wüsste, dass in der Türkei der Islam mit 99 % die dominierende Religion ist. Ebenso erstaunlich: "religion was constructed as time-varying covariate". Man sollte eigentlich wissen, dass gerade im Islam die Religion nicht so sehr "time-varying", sondern oft stark persönlichkeitsprägend ist.
c) Einen schönen Unsinn schreibt die Verf. in der Einleitung S. 3, wenn sie die Vertriebenen definiert als "The ethnic Germans who were forced to return to Germany immediately during or following the Second World War". Wie etwa die Schlesier aus Breslau gezwungen werden gekonnt haben sollen, nach Deutschland "zurückzukehren", bleibt das Geheimnis der Verf. Entweder hat Verf. keine Ahnung oder kann nicht logisch denken (da die Breslauer ja nicht vor 1945 aus Deutschland fortgegangen sind, kann man sie auch nicht zur Rückkehr gezwungen haben) oder will die Vertreibung relativieren - oder hier haben wir eines der Probleme, das daraus resultiert, wenn man sich in einer Fremdsprache angemessen wissenschaftlich ausdrücken will.
Zitat - Wenn Frau Milewski ihre Dissertation auf Englisch einreicht, ist das sicher nicht zu beanstanden, sondern zunehmend guter Brauch an deutschen Hochschulen
Ob wirklich ein guter Brauch, weiß ich nicht. Es gibt ja durchaus eine m.E. berechtigte Kritik, wenn die DFG Antragsunterlagen für ein Projekt in Deutschland auf Englisch anfordert, wenn bei einer Konferenz, auf der fast nur Deutsche angewesend sind, alle mehr oder weniger schlecht auf Englisch radebrechen.
Bei den Antragsunterlagen liegt das wohl schlicht daran, daß auch Gutachter zu Rate gezogen werden können, die das Deutsche nicht beherrschen.
Bei kleineren Tagungen habe ich das immer so gehalten, daß Englisch Konferenzsprache ist, sobald unter den Teilnehmern jemand ist, der nicht genug Deutsch kann. Sonst Deutsch.
Allerdings gibt es vor allem unter den Jüngeren eine Tendenz, selbst dann Englisch zu sprechen, wenn alle Deutsch können. Das liegt an der Fachterminologie. Für viele Begriffe muß man sich erst eine deutsche Übersetzung überlegen. Das läßt man meist, und es entsteht dann ein Kauderwelsch in der Art: "War das alles jetzt randomized, oder haben Sie irgendwelche constraints gesetzt?" Warum dann nicht gleich alles auf Englisch, fragen viele.
Was das Radebrechen angeht - das entspricht eigentlich nicht meiner Erfahrung. Vor allem die Jüngeren können fast alle gut Englisch. In naturwissenschaftlichen Fächern werden ja oft englische Lehrbücher eingesetzt, so daß die Studenten vom ersten Semster an viel Englisch lesen müssen; das Sprechen ergibt sich dann schon. Viele waren auch schon einmal in den USA, spätestens als Postdoc.
Zitat von GansguoterAuch können wissenschaftliche Arbeiten erheblich inhaltlich darunter leiden, wenn sie jemand auf Englisch verfasst, dessen Muttersprache eben nicht das Englische ist. Wenn es auf Nuancierung, auf Präzision ankommt, leidet sehr leicht der Inhalt unter der Fremdsprache.
Ja, das ist wahr. Darin sehe ich den größten, im Grunde den einzigen Nachteil dieser Entwicklung zu English with a foreign accent als der Lingua Franca der Wissenschaft. Das ist natürlich in den einzelnen Fächern unterschiedlich kritisch. Für Mathematiker dürfte es kaum eine Rolle spielen, für Physiker und Biologen eine geringe; kritischer wird es schon bei den Human- und Sozialwissenschaften. Sehr kritisch in der Philosophie.
In der Philologie sollte man meines Erachtens publizieren und Konferenzen abhalten in der Sprache, die Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen ist. Also Germanisten sollten selbstverständlich auf Deutsch publizieren und Deutsch als Konferenzsprache verwenden; denn ein Germanist, der kein Deutsch kann, ist keiner. Dito für Romanisten usw.
Ein interessanter Fall sind die Historiker. Fachhistoriker, die sich zB mit deutscher Geschichte befassen, müssen natürlich Deutsch können. Allerdings erinnere ich mich an eine spektakuläre Ausnahme: Daniel Goldhagen, dessen Buch "Hitlers willige Vollstrecker" Mitte der neunziger Jahre viel Aufsehen erregte, reiste damals zu Diskussionen nach Deutschland - und war nicht in der Lage, auf Deutsch zu diskutieren! Ja, wie hat er denn dann die Dokumente gelesen.
Zitat von GansguoterEin früherer niederländ. Kollege an der Uni hat mir erklärt, dass a) man in den Niederlanden das Englische besser beherrsche im Schnitt als in Deutschland, da z.B. Filme nicht synchronisiert werden, Niederländer sich präziser auf Englisch ausdrücken als Deutsche; und dass b) es die Sondersituation der Niederlande ist, ein so kleines Land zu sein, was es erforderlich mache, auf Englisch oder Deutsch (!) zu publizieren.
Ja, das stimmt. Aber es macht es den Holländern (wie auch zB den Skandinaviern) nur leichter, das zu tun, was wir Deutsche und die Franzosen (denen es besonders schwer fällt) usw. auch tun müssen.
Zitat von Gansguoter
Zitat Der Grund liegt auf der Hand: Man möchte ja, daß die Dissertation von der wissenschaftlichen Welt zur Kenntnis genommen und zitiert wird. Und die Sprache der wissenschaftlichen Welt ist nun mal heute Englisch. So, wie sie einst Latein war; noch Schopenhauer hat seine Farbenlehre auf Latein geschrieben). Ein Kollege hat mir mal gesagt, nicht auf Englisch geschriebene Artikel und Bücher seien "nonexistent literature".
Auch das sicher mit Unterschieden in den Fächern. Ich habe für meine Dissertation auf Deutsch Rezensionen aus England / Amerika, aus Spanien, aus den Niederlanden bekommen; bin von einem Leser aus Ungarn angeschrieben worden. Die geringste Resonanz kam aus Deutschland ...
Das war nicht zufällig eine germanistische Dissertation?
Zitat von ZettelDarin sehe ich den größten, im Grunde den einzigen Nachteil dieser Entwicklung zu English with a foreign accent als der Lingua Franca der Wissenschaft.
Ich sehe noch einen gewichtigen (aber leider nicht zu behebenden Nachteil: Englische Muttersprachler sind in der Wissenschaftswelt privilegiert. Sie sparen die Zeit fürs Sprachenlernen, wirken bei Vorträgen automatisch professioneller durch ihre Sprachkompetenz und können sich bei Diskussionen auf das Thema konzentrieren.
Latein war da deutlich fairer als Wissenschaftssprache - das mußten alle gleichermaßen lernen.
Zitat Ein interessanter Fall sind die Historiker. Fachhistoriker, die sich zB mit deutscher Geschichte befassen, müssen natürlich Deutsch können. Allerdings erinnere ich mich an eine spektakuläre Ausnahme: Daniel Goldhagen, dessen Buch "Hitlers willige Vollstrecker" Mitte der neunziger Jahre viel Aufsehen erregte, reiste damals zu Diskussionen nach Deutschland - und war nicht in der Lage, auf Deutsch zu diskutieren! Ja, wie hat er denn dann die Dokumente gelesen.
Typisch für Historiker ist ein hohes passives Sprachverständnis. Es wird erwartet, daß man englische, französische, oft auch italienische Texte lesen und verstehen kann - das muß nicht heißen, daß man diese Sprachen auch sprechen kann. Ich habe viel mit Texten in diesen drei Sprachen (und spanisch) gearbeitet - könnte aber eine Diskussion nur in Englisch führen, schon bei Französisch fehlt mir die Übung, komplexere Sachverhalte korrekt zu formulieren. Und in Italienisch oder Spanisch reicht es gerademal zur Bestellung im Restaurant ...
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