Zitat von FlorianÜbrigens bin ich mir sehr sicher, dass in dem Liederbuch, dass zu meiner Gymnasialzeit (80er Jahre, Bayern) verwendet wurde, ebenfalls alle 3 Strophen abgedruckt waren.
Ich kann dazu, als Beauftragter für die 50er Jahre, die Erinnerung beisteuern, daß damals die Nationalhymne nicht nur besprochen wurde, sondern daß uns Sextanern der Lehrer (der Musiklehrer übrigens!) auch erklärte, warum die erste Strophe nicht mehr gesungen würde. Er hat das mittels einer Deutschlandkarte getan.
Als ich das meinen Eltern zu Hause erzählte, waren sie empört, denn aus ihrer Sicht waren das nach wie vor die Grenzen Deutschlands, wenn auch die Gebiete teils "unter fremder Verwaltung" standen, wie es damals offiziell hieß. Nur bei der Etsch paßte das eben nicht; wenn man sich nicht gleich auch wieder Österreich samt Südtirol einverleiben wollte.
Ich habe damals alle drei Strophen auswendig gelernt; ob wir das mußten oder ob ich es aus eigenem Antrieb getan habe, weiß ich allerdings nicht mehr. Schon damals kam mir Zehnjährigem die zweite Strophe reichlich doof vor.
Zitat Als ich das meinen Eltern zu Hause erzählte, waren sie empört, denn aus ihrer Sicht waren das nach wie vor die Grenzen Deutschlands, wenn auch die Gebiete teils "unter fremder Verwaltung" standen, wie es damals offiziell hieß.
In meinem "Diercke" Schulatlas (Braunschweig 1974, Auflage von 1980/81) sind auf allen Karten, die Polen auch nur ansatzweise zeigen, noch die Grenzen von 1937 gepunktet eingezeichnet (und zwar auch in der Klimakarte etc.).
Zitat von ZettelSchon damals kam mir Zehnjährigem die zweite Strophe reichlich doof vor.
Irgendwie liebt hier niemand die zweite Strophe. Was haben denn alle hier für Probleme mit deutschen Frauen? Und deutschem Wein? Immerhin hat Zettel unlängst zugegeben, sich an der Bergstraße einzudecken, dort habe ich meine Herzallerliebste her, womit ich deutsche Frauen und deutschen Wein gleich in Personalunion abdecke... Deutsche Treue, naja, darüber kann man streiten, aber wahrscheinlich hat Herr von Fallersleben keinen schönen Reim auf "deutsche Ingenieurskunst" gefunden... Und wenn man die lobende Erwähnung von deutschem Sang in einem deutschen Lied doof findet, dann ist das schon recht selbstreferenziell.
-- Civilización es la suma de represiones internas y externas impuestas a la expansión informe de un individuo o de una sociedad. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Ein schönes Beispiel für Nicht-Nachdenken (oder bewusstes Nebelkerzenwerfen?) von Journalisten jetzt im Spiegel online:
"Engländer nennen ihre Jungs am liebsten Mohammed. Ob Jack, William oder Harry, mit den Vornamen für ihren männlichen Nachwuchs sind viele Engländer und Waliser traditionell britisch. Der meist vergebene Vorname für neugeborene Jungen allerdings stammt aus dem Arabischen." http://www.spiegel.de/panorama/gesellsch...,725763,00.html
So sehr man den Eindruck zu vermitteln sucht, die Engländer nennen ihre Jungs jetzt halt mal Mohammed und nicht Jack, vielleicht so wie in Deutschland ja auch Wilhelm nicht so sehr in ist, um so aufschlussreicher ist der Bericht für die Bevölkerungszusammensetzung in britischen Städten:
"Die am weitesten verbreitete Schreibweise, Mohammed, rangiert auf dem 16. Platz. In London ist sie auf dem vierten Platz der beliebtesten Vornamen zu finden, in Birmingham, der zweitgrößten Stadt Englands, sogar an der Spitze der Liste."
Denn wenn allein die Schreibweise "Mohammed" (neben der es weitere gibt) in Birmingham auf Platz ist steht, wie groß mag der Anteil arabisch-muslimischer Namen dann insgesamt sein?
Zitat von ZettelSchon damals kam mir Zehnjährigem die zweite Strophe reichlich doof vor.
Irgendwie liebt hier niemand die zweite Strophe. Was haben denn alle hier für Probleme mit deutschen Frauen? Und deutschem Wein? Immerhin hat Zettel unlängst zugegeben, sich an der Bergstraße einzudecken, dort habe ich meine Herzallerliebste her, womit ich deutsche Frauen und deutschen Wein gleich in Personalunion abdecke... Deutsche Treue, naja, darüber kann man streiten, aber wahrscheinlich hat Herr von Fallersleben keinen schönen Reim auf "deutsche Ingenieurskunst" gefunden... Und wenn man die lobende Erwähnung von deutschem Sang in einem deutschen Lied doof findet, dann ist das schon recht selbstreferenziell.
Was meine Sangeskunst als Zehnjähriger (und auch danach) angeht, stimmt das genau, lieber Gorgasal.
Aber hier erst einmal der Text, damit alle wissen, wovon wir reden:
Zitat von Hoffmann von FallerslebenDeutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang Sollen in der Welt behalten Ihren alten schönen Klang, Uns zu edler Tat begeistern Unser ganzes Leben lang – Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang!
Das klang mir immer mehr wie ein Trinklied als wie eine Strophe einer Nationalhymne; man hätte nur "Treue" durch etwas Handfesteres ersetzen müssen - sagen wir: Deutsche Frauen, deutsche Brotzeit, deutscher Wein und deutscher Sang. Da hätten wir alles beeinander, was ein zünftiges Gelage ausmacht.
Und siehe, als ich jetzt in der Wikipedia nachgsehen habe - was steht da?
Zitat von WikipediaDas Deutschlandlied ist unter anderem von seinem Autor auch als Trinklied verstanden worden, was den Lobgesang auf deutschen Wein, deutsche Frauen und deutschen Sang in der zweiten Strophe erklärt. Er hat in seiner eigenen Niederschrift als Alternative zu
Blüh im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!
auch den Trinkspruch
Stoßet an und ruft einstimmig: Hoch das deutsche Vaterland!
Zitat von WikipediaDas Deutschlandlied ist unter anderem von seinem Autor auch als Trinklied verstanden worden, was den Lobgesang auf deutschen Wein, deutsche Frauen und deutschen Sang in der zweiten Strophe erklärt.
Nu, von einem Alten Herren sowohl der Alten Göttinger Burschenschaft als auch der Alten Bonner Burschenschaft ist das ja wohl zu erwarten, oder?
-- Civilización es la suma de represiones internas y externas impuestas a la expansión informe de un individuo o de una sociedad. - Nicolás Gómez Dávila, Escolios a un Texto Implícito
Piñera hat sich spaeter fuer den Fehler entschuldigt. Es wurde auch in konservativ-liberalen Medien (La Tercera, El Mercurio) als Fehler dargestellt. Stand auch in der Provinzzeitung, die ich beim Friseur gelesen hab (La Discusión, Chillán). In El Mercurio online findet sich der Leserbrief eines Mitschuelers Piñeras. Der gibt - wohl zu Recht - den deutschen Moenchen die Schuld. Diese liessen die Schueler entweder Montags oder alle Tage die erste bis dritte Strophe in Deutsch singen, ohne dass die Problematik der ersten Strophe besprochen wurde. Letztlich befoerdert dass die europaeischen Vorurteile gegen die Nachkommen deutsch-chilenische Auswanderer als Nazis. Dabei sind viele in der xten Generation sehr assimiliert und wirklich normal. Piñera unterlaufen in seiner extrovertierten und hochenergetischen Art wohl einfach solche Fehler.
Zitat von ZettelDas ist die einzige sprachlich sinnvolle Interpretation. Es ist eine Verkürzung von "Mir geht Deutschland über alles". Wäre das gemeint, was die chauvinistische Interpretation unterstellt, dann hieße es "Deutschland über alle", nämlich alle anderen.
Dem möchte ich doch noch eine andere Interpretationsmöglichkeit hinzufügen, die eher dem entspricht, was manche Nachbarn bei dem Text empfinden. Und die wohl ebenfalls gramatikalisch korrekt sein dürfte: ...über alles, was da sonst noch so kreucht und fleucht
Es kommt in dem Fall aber m.M.n. eben nicht darauf an, welche Interpretation richtig oder falsch ist. Wichtiger ist, wie es verstanden wird, nur das zählt ja bei der Meinungsbildung des Einzelnen. Das gilt, denke ich, sowohl für die Deutschen selbst, als auch für die Nachbarn. Ich halte den Verzicht auf das Singen der ersten "auslegungsfähigen" Strophe für vernünftig. Auch wenn man dadurch natürlich nicht verhindern kann, daß der Text der ersten auch immer in den Köpfen mitschwingt. Möglicherweise sogar stärker, als wenn man sie singen würde. Es ist aber zumindest eine Art "Willenserklärung".
Die tschechische Lidové Noviny gab übrigens zum 20. Jahrestag die Wiedervereinigung Deutschlands bei Millward Brown CZ eine Meinungsumfrage in Auftrag, die sich mit dem Meinungsbild der Tschechen zu Deutschland befassen sollte. Die wohl richtig zusammenfasende Überschrift lautet "Die tschechische Jugend hat keine Angst vor Deutschland, Menschen über 60 glauben Deutschland nicht". Diese Tabelle enthält die dazugehörigen Ergebnisse, nach dem Alter der Befragten aufgeschlüsselt. Die Fragen lauten, von oben nach unten:
- Halten Sie es für möglich, daß uns das wiedervereinigte Deutschland in Zukunft militärisch bedroht? - Ist Deutschland ein demokratisches Land, von dem keine Gefahr ausgeht? - Wie empfinden Sie heute, nach 20 Jahren, die wiedervereinigung Deutschlands?
Die Antworten in der linken Spalte lauten von Oben nach Unten "voll zustimmend", über "eher zustimmend", "eher nicht zustimmend", "nicht zustimmend". Bei der letzten Tabelle dann "positiv/teils/negativ", was aber eigentlich nicht übersetzt werden muß ;-)
Zitat von ZettelDas ist die einzige sprachlich sinnvolle Interpretation. Es ist eine Verkürzung von "Mir geht Deutschland über alles". Wäre das gemeint, was die chauvinistische Interpretation unterstellt, dann hieße es "Deutschland über alle", nämlich alle anderen.
Dem möchte ich doch noch eine andere Interpretationsmöglichkeit hinzufügen, die eher dem entspricht, was manche Nachbarn bei dem Text empfinden. Und die wohl ebenfalls gramatikalisch korrekt sein dürfte: ...über alles, was da sonst noch so kreucht und fleucht
Nein, lieber Ungelt, dem kann ich nicht zustimmen. "Das geht mir über alles" ist eine idiomatische Redewendung. Aber niemand würde, wenn er sagen will, daß Deutschland über alle seine Nachbarn herrschen soll, das mit "Deutschland über alles" ausdrücken.
Das ist die rein philologische Seite. Historisch kommt hinzu, was in diesem Thread Gansguoter, R.A. und andere schon angemerkt haben: Hoffmann von Fallersleben war ein Nationalliberaler, ein Anhänger der Demokratie und der Nationalstaatsidee.
Aus heutiger Sicht - with the benefit of hindsight - mag das aggressiv klingen, aber damals war es ganz anders gemeint: Es ging um die Einheit des zersplitterten Deutschland; überhaupt nicht darum "über" irgendwen zu herrschen, schon gar nicht über "alles, was da sonst noch kreucht und fleucht". Das ist historisch so abwegig, wie Ihre Interpretation sprachlich nicht hinkommt.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verliefen die politischen Fronten nun einmal anders als später. Die demokratische und die nationale Idee gehörten zusammen, und dagegen standen die Konservativen, die überhaupt nicht national dachten, sondern dynastisch. Der junge Bismarck, der sich selbst als ultrakonservativ sah und der von einem deutschen Nationalstaat nichts hielt, hat das beispielsweise verkörpert.
Ich gebe ja gern zu, daß diese schlicht falsche Interpretation bei Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, weit verbreitet ist. (In der Wikipedia kann man von einer Übersetzung ins Französische lesen, die auch gleich noch das "zum ... Trutze" falsch versteht, nämlich als "pour attaquer").
Ich habe auch Verständnis dafür, daß im Licht der späteren Entwicklung des deutschen Nationalismus (die bereits im Wilhelminischen Reich mit den dort sich herausbildenden Großmachtsideen begann) die Gefahr eines solchen Mißvestehens groß war und ist.
Aber man darf eben nicht die Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Nachhinein so interpretieren, als hätten damals schon die Ideen Wilhelms II oder gar Hitlers eine Rolle gespielt. Eine ähnliche Verbindung der demokratischen mit der nationalen Idee wie in Deutschland gab es damals in vielen Ländern Europas; in Italien beispielsweise (Thomas Manns Settembrini repräsentiert das), in Polen und in Griechenland.
Ich bin deshalb in diesem Punkt hartnäckig, lieber und geschätzter Ungelt, weil ich diese Neigung - die vor allem von den Kommunisten gepflegt wird, in der DDR war das Schulwissen -, die deutsche Geschichte so zu deuten, als sei in ihr seit Martin Luther der Nationalsozialismus sozusagen schon im Keim angelegt gewesen, nicht nur für historisch falsch, sondern auch für politisch verhängnisvoll halte. Denn daraus resultiert diese bis heute andauernde Verdruckstheit vieler Deutscher, was unsere eigene Geschichte angeht. Sie war nicht besser und nicht schlechter als die anderer Völker auch.
Zitat von UngeltEs kommt in dem Fall aber m.M.n. eben nicht darauf an, welche Interpretation richtig oder falsch ist. Wichtiger ist, wie es verstanden wird, nur das zählt ja bei der Meinungsbildung des Einzelnen. Das gilt, denke ich, sowohl für die Deutschen selbst, als auch für die Nachbarn. Ich halte den Verzicht auf das Singen der ersten "auslegungsfähigen" Strophe für vernünftig.
Ja, das war damals vernünftig, als es den Briefwechsel zwischen Heuß und Adenauer gab. Da war es richtig, auch den bösen Schein zu vermeiden. Und die dritte Strophe ist ja auch die weitaus beste; von daher bin ich völlig mit der jetzigen Regelung einverstanden.
Aber deswegen darf man, finde ich, nicht zulassen, daß die Intention von Hoffmann von Fallersleben verfälscht wird.
Es ist oft gut, auch den bösen Schein zu meiden. Aber man darf ihn nicht zur Wahrheit erklären.
Zitat von UngeltDie tschechische Lidové Noviny gab übrigens zum 20. Jahrestag die Wiedervereinigung Deutschlands bei Millward Brown CZ eine Meinungsumfrage in Auftrag, die sich mit dem Meinungsbild der Tschechen zu Deutschland befassen sollte. Die wohl richtig zusammenfasende Überschrift lautet "Die tschechische Jugend hat keine Angst vor Deutschland, Menschen über 60 glauben Deutschland nicht". Diese Tabelle enthält die dazugehörigen Ergebnisse, nach dem Alter der Befragten aufgeschlüsselt. Die Fragen lauten, von oben nach unten: - Halten Sie es für möglich, daß uns das wiedervereinigte Deutschland in Zukunft militärisch bedroht? - Ist Deutschland ein demokratisches Land, von dem keine Gefahr ausgeht? - Wie empfinden Sie heute, nach 20 Jahren, die wiedervereinigung Deutschlands? Die Antworten in der linken Spalte lauten von Oben nach Unten "voll zustimmend", über "eher zustimmend", "eher nicht zustimmend", "nicht zustimmend". Bei der letzten Tabelle dann "positiv/teils/negativ", was aber eigentlich nicht übersetzt werden muß ;-)
Vielen Dank für den Hinweis auf diese Umfrage, die das bestätigt, was zu erwarten ist. Generationserfahrungen lassen sich nicht wegwischen. Man kann nur dafür eintreten, daß sie neuen Generationen erspart bleiben.
Zitat von ZettelDas ist die einzige sprachlich sinnvolle Interpretation. Es ist eine Verkürzung von "Mir geht Deutschland über alles". Wäre das gemeint, was die chauvinistische Interpretation unterstellt, dann hieße es "Deutschland über alle", nämlich alle anderen.
Dem möchte ich doch noch eine andere Interpretationsmöglichkeit hinzufügen, die eher dem entspricht, was manche Nachbarn bei dem Text empfinden. Und die wohl ebenfalls gramatikalisch korrekt sein dürfte: ...über alles, was da sonst noch so kreucht und fleucht
Nein, lieber Ungelt, dem kann ich nicht zustimmen....
Sehr geehrter Zettel,
ich habe großes Verständnis dafür, daß sie die ihrer Meinung nach und vermutlich auch objektiv richtige Interpretation so engagiert und ausführlich verteidigen. Ich habe auch im ganzen Thread (und auch sonst meines Wissens nicht) irgend etwas dazu gesagt, welche Interpretation wohl die richtige sei. Das kann man durchaus als Zustimmung werten, auch wenn ich nicht immer meinen böhmischen Senf verabreiche, wenn mir etwas nicht gefällt ;-) Ich schrieb sogar an C., sinngemäß, daß es vermessen von mir wäre, mich dazu zu äußern. Mehr kann ich nicht tun.
Was ich schrieb, bezieht sich "nur" darauf, daß der Text, unter welchen Umständen auch immer, unterschiedlich verstanden werden kann. Und daher zwangsläufig (in einer ungeklärten Anzahl von Fällen) auch wird. Und, indirekt, daß die Gramatik in diesem Fall nichts beweist, weil man einen unvollständigen "Satz" eben auf unterschiedliche Weise vervollständigen kann. Ob nun gramatikalisch oder sonstwie korrekt oder nicht. 99,9 Prozent der Leute, die diesen Satz hören und für sich verarbeiten, haben nicht Ihre Kenntnisse, weder gramatikalisch, noch geschichtlich. Sie gehen, was Ihnen möglicherweise verabscheuungswürdig vorkommen wird, rein gefühlsmäßig vor.
Ihre Ausführungen hier, interessant und lehrreich wie immer, erreichen die Leute die ich meine leider nicht. Und mich brauchen Sie nicht zu überzeugen, wie es der Autor der Zeilen gemeint hat. Ich habe und hatte, seit ich es zum ersten mal gelesen hatte, keinen vernünftigen Grund, an dieser Darstellung zu zweifeln. Es ist aber auch leider so, daß sich Intention vom Wirkung durchaus unterscheiden können. Ebenso ist aber richtig, daß sich Mißverständnisse nicht vermeiden lassen, und daß man sie manchmal auch darüber hinwegsetzen muß.
Zitat von UngeltEs kommt in dem Fall aber m.M.n. eben nicht darauf an, welche Interpretation richtig oder falsch ist. Wichtiger ist, wie es verstanden wird, nur das zählt ja bei der Meinungsbildung des Einzelnen. Das gilt, denke ich, sowohl für die Deutschen selbst, als auch für die Nachbarn. Ich halte den Verzicht auf das Singen der ersten "auslegungsfähigen" Strophe für vernünftig.
... Aber deswegen darf man, finde ich, nicht zulassen, daß die Intention von Hoffmann von Fallersleben verfälscht wird. Es ist oft gut, auch den bösen Schein zu meiden. Aber man darf ihn nicht zur Wahrheit erklären.
Zitat Ich kann dazu, als Beauftragter für die 50er Jahre, die Erinnerung beisteuern, daß damals die Nationalhymne nicht nur besprochen wurde, sondern daß uns Sextanern der Lehrer (der Musiklehrer übrigens!) auch erklärte, warum die erste Strophe nicht mehr gesungen würde. Er hat das mittels einer Deutschlandkarte getan.
Bei mir war es auch der Musiklehrer.
Interessant finde ich übrigens auch, dass wir beide uns noch an diese Einweisung in die Nationalhymne erinnern können. Ist bei mir immerhin auch schon 25 Jahre her - und Musik war wirklich nicht mein Lieblingsfach. Ich kann mich sogar noch so halbwegs den Ablauf der Diskussion erinnern (also was der Lehrer sagte, was wir Schüler darauf antworteten etc.). (Ihnen scheint es ja ähnlich zu gehen, obwohl das ja über 50 Jahre her ist).
Nehmen wir diese beachtliche Erinnerungsleistung einmal als Indiz dafür, dass das Thema Nationalhymne durchaus ein spannendes ist.
Zitat von GansguoterWobei der Deutsche Bund aber nicht als ein deutscher Staat wahrgenommen wurde ...
Sicher, sonst hätte man ja die deutsche Einheit überhaupt nicht fordern müssen. Aber der deutsche Bund hatte schon gewisse staatliche Strukturen, gemeinsame innenpolitische und militärische Institutionen, er war noch kein "echter" Staat, aber doch mehr als nur ein Staatenbündnis. Der deutsche Bund war die natürliche Vorstufe zum angestrebten Nationalstaat, und 1848 erfolgte der Gründungsversuch auch ganz selbstverständlich in den Strukturen des Bundes.
Zitat Die Memel markiert 1841 übrigens gerade nicht die Ostgrenze des Dt. Bundes.
Richtig. Aber es war klar, daß der Ausschluß der östlichen Provinzen Preußens keine inhaltlichen Gründe hatte, sondern nur dem Proporz geschuldet war, weil eben Österreichs italienische und ungarische Besitzungen auch nicht im Bund waren.
Daß ganz Preußen "eigentlich" zum gewünschten Deutschland gehören sollte, war Fallersleben und Zeitgenossen völlig klar. Wie man auch 1848 sehen konnte: Da wurden die preußischen Ostprovinzen ganz selbstverständlich sofort dazugenommen (die außerhalb des Bundes verbliebenen Gebiete Österreichs nicht!) und sie waren auch ganz normal im Paulskirchenparlament vertreten.
Zitat Insofern markieren Maas, Memel, Etsch und Belt doch den dt. Sprach- und Kulturraum.
Jein. Wenn ihm die Sprache oberstes Kriterium gewesen wäre, hätte Fallersleben m. E. eher die Vogesen als Westgrenze genommen. Denn das Elsaß war damals noch eindeutig deutsch geprägt.
Und deswegen sehe ich gerade einen Gegensatz zu Arndt:
Zitat Ähnlich übrigens 1813 Ernst Moritz Arndt: Des Deutschen Vaterland, der in fünf Strophen die dt. Landschaften durchmustert, ob sie "des Deutschen Vaterland" seien, ehe er in Str. 6 zur Antwort findet, "des Deutschen Vaterland" reiche "So weit die deutsche Zunge klingt / Und Gott im Himmel Lieder singt".
Eben, bei Arndt ist es die deutsche Sprache. Und deswegen bezieht er auch explizit die Schweiz mit ein. Und auch ohne explizite Nennung zeigen die "deutsche Zunge" und seine klare Kampfansage an Frankreich, daß er Elsaß/Lothringen mit einbeziehen würde.
Ich möchte die Interpretation von Fallerslebens vier auch sprachlich passenden geographischen Namen natürlich nicht überstrapazieren. Aber zusammen mit dem ansonsten sehr friedlichem Kontext der übrigen Strophen sehe ich ihn zurückhaltender als Arndt, ihm scheinen die bestehenden politischen Grenzen Maßstab zu sein.
Zitat von ZettelDas mag der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß man nach dem Krieg auf das Singen der ersten Strophe verzichete; vor allem, was die Etsch anging.
Gerade aus einem Südtirol-Urlaub zurückkehrend könnte ich fast sagen, daß genau die Etsch die einzige Referenz aus der ersten Strophe ist, die noch halbwegs gilt ... Obwohl das ja inzwischen recht friedlich zugeht zwischen den Volksgruppen - bei einer Volksabstimmung wäre der Anschluß an Deutschland (die dazwischen liegenden Nordtiroler gleich mitnehmend) für die breite Mehrheit dort m. E. eine ausgemachte Sache.
Die schönsten Belege für solche Nationalgefühle finden sich ja oft im Sport. Es war 2006 empörtes Thema in den italienischen Zeitungen (wohlgemerkt in den Leitartikeln, nicht im Sportteil), daß die Südtiroler im Spiel Deutschland-Italien einhellig die "falsche" Seite angefeuert hatten. Und im Südtiroler Rundfunk wurden im Ski-Weltcup in Sölden letzte Woche nur die deutschen, österreichischen und natürlich die Südtiroler Teilnehmerinnen genannt. Die übrigen italienischen Skiläuferinnen wurden nicht berichtet, auch wenn sie vor den Genannten lagen.
Zitat "Like a torrent rush, rebellious Scots to crush"
Schön ;-) Allerdings nur eine Variante, eine offiziell fixierte Version gibt es im UK natürlich nicht, in den meist benutzten drei Strophen kommt das auch nicht vor.
Zitat "Entendez-vous dans les campagnes mugir ces féroces soldats?" "Their blood has wash'd out their foul footstep's pollution"
Nun ja, das ist ja nur "normal blutrünstig" und richtet sich nicht gegen einen speziellen Feind ...
Zitat Jein. Wenn ihm die Sprache oberstes Kriterium gewesen wäre, hätte Fallersleben m. E. eher die Vogesen als Westgrenze genommen. Denn das Elsaß war damals noch eindeutig deutsch geprägt.
Ich denke, wir sollten die knappen Worte des "Deutschlandlieds" in der Interpretation nicht auf die Goldwaage legen. Genannt sind vier Gewässer, die die Grenzen nach den vier Himmelsrichtungen abstecken; mit Maas und Memel sind alliterierende Flussnamen gewählt. Die Vogesen würden da schon arg aus der Reihe tanzen, völlig egal, was der Dichter über sie dachte.
Zitat Aber zusammen mit dem ansonsten sehr friedlichem Kontext der übrigen Strophen sehe ich ihn zurückhaltender als Arndt
Da sind wir uns einig, dass Forderungen oder dergleichen nicht erhoben werden, sondern, wie Sie sagen, bestehende Grenzen. Nur meiner Ansicht nicht so sehr nur die des Dt. Bundes, sondern das, was ein Nationalliberaler jener Zeit als die natürlichen Grenzen Deutschlands betrachtete.
Zitat von GansguoterIch denke, wir sollten die knappen Worte des "Deutschlandlieds" in der Interpretation nicht auf die Goldwaage legen.
Hatte ich ja auch schon eingeräumt. Obwohl es natürlich jammerschade ist, auf diese Goldwaage zu verzichten - kleinteiligste Überinterpretationen sind doch die Essenz jeder zünftigen Internet-Diskussion ;-)
Zitat Die Vogesen würden da schon arg aus der Reihe tanzen, völlig egal, was der Dichter über sie dachte.
OK, dann nehmen wir doch: "Von der Mosel bis zur Memel", das alliteriert auch, fließt beim Singen viel besser und dann wäre der Anspruch auf Metz klar drin. Na ok, der arme Fallersleben konnte ja nicht wissen, wie exakt man ihn interpretieren würde.
Zitat Nur meiner Ansicht nicht so sehr nur die des Dt. Bundes, sondern das, was ein Nationalliberaler jener Zeit als die natürlichen Grenzen Deutschlands betrachtete.
Die "natürlichen" Grenzen wären aber eher die Denke eines Nationalisten wie Arndt, bei dem fängt Deutschland an, wo irgendwo einer Deutsch spricht. Für die Nationalliberalen sehe ich eben eine andere Priorität, da wird der Nationalgedanke mit politischem Pragmatismus gedämpft. Also (wie eben auch 1848) in den Strukturen des Dt. Bundes gearbeitet.
Zitat Die demokratische Legitimation ist völlig klar. Über nationale Symbole, Orden, miltärische Unformen etc. entscheidet der Bundespräsident.
Ist das so? Für eine demokratische Legitimation müssten diese Rechte des Bundespräsidenten sich aus dem Grundgesetz ableiten lassen. Ich kann da aber nirgendwo einen Hinweis darauf finden, dass der Bundespräsident über nationale Symbole entscheiden dürfte.
Zitat von R.A.Das stimmt m. E. nicht. Nationale Symbole sind entweder direkt im GG geregelt (wie schwarz/rot/gold) oder Tradition (wie der Bundesadler). Der Bundespräsident hätte nicht die Kompetenz, diese Symbole zu ändern. Allenfalls kann er etwas empfehlen (wie bei der Nationalhymne). Über Orden entscheidet das Parlament (über die Schaffung und Ausgestaltung, die konkrete Verleihung kann das Parlament dem Bundespräsidenten übertragen), es gibt ja auch auf Länder- und Kommunalebene Orden und Auszeichnungen. Und die militärischen Uniformen legt das Verteidigungsministerium fest.
Also ich hatte in Erinnerung, daß die Kompetenz auch im GG stehen würde - ich habe nachgelesen und auch nichts gefunden.
Allerdings ist laut Wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestages es das Gewohnheitsrecht des Präsidenten, Staatssymbole zu bestimmen, soweit es keine verfassungsmäßige oder gesetzliche Vorgabe gibt bzw. halt in deren Rahmen. Allerdings wüßte ich von keiner Regelung außerhalb der GG-Bestimmung über die Nationalfarben.
Übrigens stimmt das, was ich oben über Uniformen und Orden schrieb:
- Die Uniformen etc. der Bundeswehr legt auch der Präsident fest durch die "Anordnung des Bundespräsidenten über die Dienstgradbezeichnungen und die Uniform der Soldaten" [siehe http://de.wikipedia.org/wiki/AAnordnung des Bundespräsidenten über die Dienstgradbezeichnungen und die Uniform der Soldaten], die sich wiederum auf das Soldatengesetz beruft.
- Das Ordensgesetz (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Ordensgesetz) legt seit 1957 fest, daß für den Bund der Präsident Orden stiften bzw. anerkennen kann. Heuß hat das bereits 1951 mit dem Bundesverdienstkreuz gemacht.
Wie dem auch sei, es ist falsch zu behaupten, es habe keine "demokratische Legitimation". Diese kommt nicht nur durch Abstimmungen großer Menschenmengen zustande sondern auch durch die einsame Entscheidung des demokratisch gewählten Amtsträgers, wenn man sich denn wirklich auf "demokratisch" kaprizieren will. Haben denn Verordnungen keine "demokratische" Legitimation?
Das hat weder etwas informelles noch ist es etwa nicht bindend. Es ist völlig klar, was die deutsche Nationalhymne ist: seit der Wiedervereinigung ist es die dritte Strophe des Deutschlandliedes und nichts anderes. Und das ist für alle verbindlich. Es ist ja selten jemand gewzungen, die Hymne zu spielen, aber wenn er es ist, dann muß es auch das Deutschlandlied sein.
Zitat von ZettelNein, lieber Ungelt, dem kann ich nicht zustimmen. "Das geht mir über alles" ist eine idiomatische Redewendung. Aber niemand würde, wenn er sagen will, daß Deutschland über alle seine Nachbarn herrschen soll, das mit "Deutschland über alles" ausdrücken. Das ist die rein philologische Seite. Historisch kommt hinzu, was in diesem Thread Gansguoter, R.A. und andere schon angemerkt haben: Hoffmann von Fallersleben war ein Nationalliberaler, ein Anhänger der Demokratie und der Nationalstaatsidee.
Hofmann hat es sicherlich so gemeint, daß ihm Deutschland über alle Teilstaaten und über andere Ideen ging. Das ist erstmal nichts außergewöhnliches, wenn es auch nicht so selbstverständlich oder unproblematisch wäre. Ich für meinen Teil wüßte schon eine Reihe von Dingen "in der Welt", die mir über Deutschland gehen. Es ist eben doch Ausdruck von Nationalismus, was ja erstmal kein Chauvinismus oder Eroberungsstreben sein muß - allerdings ist dies nicht ausgeschlossen. Es gab durchaus auch in der 1848er-Revolution dergleichen.
Aber das die "außenpolitische Wendung" so eindeutig ein Mißverständnis ist, stimmt m.E. auch nicht. "Alles" ist nunmal ein unbestimmtes Wort (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Alles) und kann deshalb nicht gegen "allen" (was ja kurz für "alle ..." steht) ausgespielt werden. "Alles" bedeutet "alle Dinge" und andere Nationen sind da begrifflich mit einbezogen. Diese Wendung vollzogen meines Wissens erstmals Soldaten im Ersten Weltkrieg, die das Lied sangen. Im Nachgang wurde es dann von Präsident Ebert zur Nationalhymne erklärt - die Preußenhymne war ja hinfällig geworden.
Es geht da nicht um "richtig oder falsch", sondern um das was Hofmann meinte, was spätere Sänger meinten und auch darum, wie es verstanden wurde. Die erste Strophe hat m.E. völlig zurecht einen schlechten Beigeschmack - die einwandfreie dritte Strophe spielte ja bis zur Bundesrepublik überhaupt keine Rolle. Es ist daher auch falsch zu sagen, die Nazis hätten die Hymne durch Weglassen verstümmelt. Nein, durch Hinzufügen des Horst-Wessel-Lieds.
Zitat von UngeltEs kommt in dem Fall aber m.M.n. eben nicht darauf an, welche Interpretation richtig oder falsch ist. Wichtiger ist, wie es verstanden wird, nur das zählt ja bei der Meinungsbildung des Einzelnen. Das gilt, denke ich, sowohl für die Deutschen selbst, als auch für die Nachbarn. Ich halte den Verzicht auf das Singen der ersten "auslegungsfähigen" Strophe für vernünftig.
Ja, das war damals vernünftig, als es den Briefwechsel zwischen Heuß und Adenauer gab. Da war es richtig, auch den bösen Schein zu vermeiden. Und die dritte Strophe ist ja auch die weitaus beste; von daher bin ich völlig mit der jetzigen Regelung einverstanden. Aber deswegen darf man, finde ich, nicht zulassen, daß die Intention von Hoffmann von Fallersleben verfälscht wird. Es ist oft gut, auch den bösen Schein zu meiden. Aber man darf ihn nicht zur Wahrheit erklären.
Zitat von UngeltDie tschechische Lidové Noviny gab übrigens zum 20. Jahrestag die Wiedervereinigung Deutschlands bei Millward Brown CZ eine Meinungsumfrage in Auftrag, die sich mit dem Meinungsbild der Tschechen zu Deutschland befassen sollte. Die wohl richtig zusammenfasende Überschrift lautet "Die tschechische Jugend hat keine Angst vor Deutschland, Menschen über 60 glauben Deutschland nicht". Diese Tabelle enthält die dazugehörigen Ergebnisse, nach dem Alter der Befragten aufgeschlüsselt. Die Fragen lauten, von oben nach unten: - Halten Sie es für möglich, daß uns das wiedervereinigte Deutschland in Zukunft militärisch bedroht? - Ist Deutschland ein demokratisches Land, von dem keine Gefahr ausgeht? - Wie empfinden Sie heute, nach 20 Jahren, die wiedervereinigung Deutschlands? Die Antworten in der linken Spalte lauten von Oben nach Unten "voll zustimmend", über "eher zustimmend", "eher nicht zustimmend", "nicht zustimmend". Bei der letzten Tabelle dann "positiv/teils/negativ", was aber eigentlich nicht übersetzt werden muß ;-)
Vielen Dank für den Hinweis auf diese Umfrage, die das bestätigt, was zu erwarten ist. Generationserfahrungen lassen sich nicht wegwischen. Man kann nur dafür eintreten, daß sie neuen Generationen erspart bleiben. Herzlich, Zettel [/quote]
Zitat von ZettelSchon damals kam mir Zehnjährigem die zweite Strophe reichlich doof vor.
Irgendwie liebt hier niemand die zweite Strophe. Was haben denn alle hier für Probleme mit deutschen Frauen? Und deutschem Wein? Immerhin hat Zettel unlängst zugegeben, sich an der Bergstraße einzudecken, dort habe ich meine Herzallerliebste her, womit ich deutsche Frauen und deutschen Wein gleich in Personalunion abdecke... Deutsche Treue, naja, darüber kann man streiten, aber wahrscheinlich hat Herr von Fallersleben keinen schönen Reim auf "deutsche Ingenieurskunst" gefunden... Und wenn man die lobende Erwähnung von deutschem Sang in einem deutschen Lied doof findet, dann ist das schon recht selbstreferenziell.
Nunja, wenn ich dazu was sagen darf als Mitgenannte.
Sprachlich vielleicht etwas seltsam, finde ich es gut, daß es auch eine Strophe gibt, die sich nicht nur mit Hochwertbegriffen befaßt (Deutschland, Schutz und Trutze, Einigkeit, Recht, Freiheit, Glückes Unterpfand) sondern sozusagen auch das wahre Leben einbezieht.
Deutschem Wein und Sang kann auch ich etwas abgewinnen und deutscher Treue, soweit sie denn vorkommt.
Zitat von lois janeHofmann hat es sicherlich so gemeint, daß ihm Deutschland über alle Teilstaaten und über andere Ideen ging. Das ist erstmal nichts außergewöhnliches, wenn es auch nicht so selbstverständlich oder unproblematisch wäre. Ich für meinen Teil wüßte schon eine Reihe von Dingen "in der Welt", die mir über Deutschland gehen. Es ist eben doch Ausdruck von Nationalismus, was ja erstmal kein Chauvinismus oder Eroberungsstreben sein muß - allerdings ist dies nicht ausgeschlossen.
Aber eine Nationalhymne soll ja genau das ausdrücken, es soll ja pathetisch sein und Stolz ausdrücken.
Will man denn eine Hymne, wo man ausdrückt, dass die Nachbarländer eigentlich auch ganz nett sind, und dass *eigentlich* das eigene Land nichts besonderes ist?
Zitat von lois janeIch für meinen Teil wüßte schon eine Reihe von Dingen "in der Welt", die mir über Deutschland gehen. Es ist eben doch Ausdruck von Nationalismus, was ja erstmal kein Chauvinismus oder Eroberungsstreben sein muß - allerdings ist dies nicht ausgeschlossen. Es gab durchaus auch in der 1848er-Revolution dergleichen.
Das würde mich interessieren, weil es mir neu ist. Können Sie das bitte erläutern? Was sollte erobert werden, und wer strebte das an?
Zitat von lois janeAber das die "außenpolitische Wendung" so eindeutig ein Mißverständnis ist, stimmt m.E. auch nicht. "Alles" ist nunmal ein unbestimmtes Wort (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Alles) und kann deshalb nicht gegen "allen" (was ja kurz für "alle ..." steht) ausgespielt werden. "Alles" bedeutet "alle Dinge" und andere Nationen sind da begrifflich mit einbezogen.
Nein, dem kann ich nicht zustimmen. Die deutsche Sprache läßt das nicht zu.
Um es nochmal zu sagen: "Deutschland über alles" ist eine Verkürzung. Die vollständige Aussage lautet "Deutschland geht mir über alles" oder "Ich liebe Deutschland über alles". Wie sollte denn die vollständige Aussage lauten, wenn der Sinn wäre, daß Deutschland herrschen soll? "Deutschland herrsche über alles"? Das ist doch, nehmen Sie es mir nicht übel, abwegig. Es müßte dann heißen "Deutschland über alle". Das habe ich ja schon geschrieben.
Daß Deutschland "alles" beherrschen soll - was kreucht und fleucht, wie Ungelt vorschlug -, kann Hoffmann von Fallersleben ja wohl nicht ernsthaft gefordert haben. In einer historischen Situation, in der es ja Deutschland gar nicht als politische Einheit gab. Und dieses nicht vorhandene Deutschland, das ja erst entstehen sollte, wollte Hoffmann über "alles in der Welt" herrschen lassen? Er sehnte sich nach einem einigen Deutschland, wie damals fast alle Demokraten. Niemand dachte damals im Traum daran, Deutschland über andere herrschen zu lassen.
Kurz, liebe Lois Jane, da ist der Interpretationsspielraum null.
Interpretationen können variieren, aber sie sind nicht beliebig. Diese "Herrschen wollen"-Interpretation ist philologisch unhaltbar und sie ist historisch unhaltbar.
Daß sie vorgebracht wurde und wird, das stimmt ja. Aus Unkenntnis, aus propagandistischer Absicht, mit dem Ziel der Verunglimpfung. Aber das ist ja erst recht ein Grund, ihr entgegenzutreten.
Zitat von R.A.Gerade aus einem Südtirol-Urlaub zurückkehrend könnte ich fast sagen, daß genau die Etsch die einzige Referenz aus der ersten Strophe ist, die noch halbwegs gilt ... Obwohl das ja inzwischen recht friedlich zugeht zwischen den Volksgruppen - bei einer Volksabstimmung wäre der Anschluß an Deutschland (die dazwischen liegenden Nordtiroler gleich mitnehmend) für die breite Mehrheit dort m. E. eine ausgemachte Sache. Die schönsten Belege für solche Nationalgefühle finden sich ja oft im Sport. Es war 2006 empörtes Thema in den italienischen Zeitungen (wohlgemerkt in den Leitartikeln, nicht im Sportteil), daß die Südtiroler im Spiel Deutschland-Italien einhellig die "falsche" Seite angefeuert hatten. Und im Südtiroler Rundfunk wurden im Ski-Weltcup in Sölden letzte Woche nur die deutschen, österreichischen und natürlich die Südtiroler Teilnehmerinnen genannt. Die übrigen italienischen Skiläuferinnen wurden nicht berichtet, auch wenn sie vor den Genannten lagen
Ganz so ist es meinem Eindruck entsprechend nicht, viele Südtiroler wollen auch einen Anschluss an Tirol unter dem österreichischen Bundesadler. Deutschnational empfinden eigentlich nur noch die Älteren, und das kann manchmal eine hässlich braune Färbung annehmen.
Ein Paradox ist allerdings, dass die SVP im Europäischen Parlament ausgerechnet eine Fraktionsgemeinschaft mit der CSU eingeht. Andreas Hofer würde sich im Grabe umdrehen...
Ein guter Freund von mir ist Südtiroler und sieht das ganze sehr pragmatisch, er bezeichnet sich selbst immer als "deutschsprachigen Italiener". Allerdings ist er auch Gastronom und weiß ganz genau, wie sehr die Südtiroler vom römischen Geld profitiert haben.
Zitat von Meister Petz Ein guter Freund von mir ist Südtiroler und sieht das ganze sehr pragmatisch, er bezeichnet sich selbst immer als "deutschsprachigen Italiener". Allerdings ist er auch Gastronom und weiß ganz genau, wie sehr die Südtiroler vom römischen Geld profitiert haben. Gruß Petz
Verallgemeinern geht natürlich immer schlecht, aber so wie ich das immer so mitbekommen habe, sei es von den Leuten direkt oder aus den örtlichen Medien, bezeichnen sich zumindest viele Südtiroler (natürlich zuerst als Tiroler und dann) als "Deutsche". Genau so wie sich Mozart früher als "Deutsch" bezeichnete (tolle seitenlange Diskussionen dazu gibt auf der Wikipediaseite von Mozart). Man spricht eben die deutsche Sprache, die Nationalität ist dabei doch zweitrangig und ein (gerade im Fall der deutsch sprechenden) willkürliches Konstrukt.
Zitat von Colombia(natürlich zuerst als Tiroler und dann)
Das ist überhaupt der entscheidende Punkt. Ob es eine deutsche, eine italienische oder eine österreichische Fremdherrschaft ist, ist im Selbstverständnis vieler Tiroler zweitrangig. Am besten ist die, die ihnen die größtmögliche Eigenständigkeit als Tiroler bietet. Und da hat die italienische natürlich am schlechtesten abgeschnitten. Allerdings wurde die Hoffnung der Optanten von Hitler auch bitter enttäuscht (entweder umsiedeln oder dem Duce zum Fraß vorgeworfen werden), weshalb man sich danach enger an Österreich anlehnte:
Zitat Die Südtiroler Volkspartei forderte die Autonomie bzw. die Rückkehr zu Österreich, wofür 156.600 Südtiroler (fast 100 % der Wähler) unterschrieben.
Da hatte ich mißverständlich formuliert. Die breite Mehrheit gäbe es m. E. für die Loslösung von Italien und die Wiedervereinigung Tirols. Ob dann die weitere Präferenz Österreich oder Deutschland ist - das ist wohl eher offen.
Die Politiker (wie der Link zur Klotz-Partei zeigt) sprechen natürlich nur über die Österreich-Option, weil das die einzige ist, die nicht völlig realitätsfern ist.
Aber als Cossiga 2007 eine Volksabstimmung über Südtirol vorgeschlagen hat (gab in Rom einen großen Aufruhr), da war die erste Idee, daß Italien, Deutschland und Österreich die drei Antwortmöglichkeiten sein sollten. Mein erster Verdacht war damals, daß der alte Fuchs das bewußt so formuliert hat, damit sich die Südtiroler über D vs. AT zerstreiten und Italien dann die relative Mehrheit bekommt. Aber der Verdacht war wohl unberechtigt, seine konkreten Gesetzesvorschläge hatten dann wohl nur noch zwei Optionen (die habe ich aber nie gelesen).
In der ersten Diskussion in Südtirol war aber Deutschland gut im Rennen, vor allem bei den Leserbriefen. Aber das muß nicht repräsentativ sein. Auf jeden Fall aber sind solche Ideen dort nicht deutschnational im Sinne von bräunlich gefärbt.
Zitat Ein Paradox ist allerdings, dass die SVP im Europäischen Parlament ausgerechnet eine Fraktionsgemeinschaft mit der CSU eingeht. Andreas Hofer würde sich im Grabe umdrehen...
Bei Hofer ging es ja ganz allgemein gegen die Fremdherrschaft, die gegnerischen Truppen bestanden größtenteils aus Franzosen (und Sachsen), anti-bayrische Gefühle sind da nicht zurückgeblieben. Viel pikanter finde ich, daß die von Cossiga vorgeschlagene Volksabstimmung ausgerechnet an der SVP-Landesregierung gescheitert ist. Natürlich spielte es dabei eine Rolle, daß der jetzige Zustand für Südtirol eigentlich sehr vorteilhaft ist, insbesondere wirtschaftlich. Aber auch die SVP und ihre Politiker würden natürlich bei einer Wiedervereinigung ihre Sonderrolle und langfristig drastisch an Einfluß verlieren.
Interessant ist übrigens, daß das alte Tirol auch auf die "welschen" Alteinwohner immer noch eine ungebrochene Attraktivität ausübt. Mussolini hatte ja einige ladinische (Cortina d'Ampezzo) und trentinische Gemeinden abgetrennt und rein italienischen Provinzen angegliedert. In allen diesen Gebieten gab es inzwischen Volksabstimmungen mit deutlicher Mehrheit für die Rückkehr nach Tirol - das ist im italienischen Parlament noch anhängig.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.