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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 59 Antworten
und wurde 5.535 mal aufgerufen
 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.01.2012 22:21
Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Bisher ist es nur eine Vorabmeldung, der ich dieses Zitat des Tages entnommen habe; und deshalb stelle ich, statt zu kommentieren, vorerst nur Fragen.

Rayson Offline




Beiträge: 2.367

12.01.2012 22:59
#2 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

All deine Fragen, lieber Zettel, sind vollauf berechtigt. Mir scheint es hier auch eher der Fall zu sein, dass Westerwelle einer Wunschvorstellung Raum gibt, die bislang noch keine Entsprechung in der Realität hat. Zumal das alles in eine Zeit fällt, in der die Parteien, die sich darauf berufen, enorme Schwierigkeiten haben zu definieren, warum sie ein "C" in ihrem Namen tragen. Bestenfalls fällt denen dazu noch ein Kopieren sozialdemokratischer Positionen ein. Oder als letzte und im Gesamtkontext unsinnige Position das "Erziehungsgeld" für Familien, in denen die Frau nicht arbeitet. Wahres Christentum wäre allerdings eher liberal, weil es seine Ansprüche zuvörderst an jeden Einzelnen richtet, statt an eine übergeordnete Instanz,

Man nenne mir Fälle, wo islamisch orientierte Parteien nicht nur für die Herrschaft der Mehrheit eintreten, was ein Kinststück ist, wenn man diese hinter sich weiß, sondern auch nachvollziehbar und mit praktischen Konsequenzen für die Rechte von Minderheiten.

--
L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)

Tischler ( gelöscht )
Beiträge:

12.01.2012 23:19
#3 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Es mag ja zur vornehmen Aufgabe eines Außenministers gehören sich über dererlei Fragen Gedanken zu machen.
Wenn aber die Folge dieser Gedanken ist, daß Deutschland als Anhängsel von irgendwem mal wieder seine Freiheit
hinter den sieben Bergen verteidigen muß, zieht sich bei mir schon wieder alles zusammen.

Bis heute weiß ich nicht wer da in Libyen eigentlich unterstützt wurde. Anscheinend bewegt sich in vielen
arabischen Ländern etwas, in welche Richtung und mit welchem Ergebnis, wer will das beurteilen.
Vielleich sollte man diese Länder ihre innenpolitische Orientierung mal alleine finden lassen und mit
den Ergebnissen zu leben lernen.

dirk Offline



Beiträge: 1.538

12.01.2012 23:39
#4 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Seltsamerweise gilt es als liberal, wenn man alle Kulturen und Traditionen für gleichwertig hält. In Wirklichkeit macht sich aber Liberalität eher daran fest, ob andere Menschen als gleichwertig behandelt werden. Und es gibt Kulturen, die tun das und es gibt solche, die tun das nicht.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.01.2012 23:48
#5 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Rayson
Mir scheint es hier auch eher der Fall zu sein, dass Westerwelle einer Wunschvorstellung Raum gibt, die bislang noch keine Entsprechung in der Realität hat.

Dazu passend ein Zitat, auf das ich gerade gestoßen bin. Es stammt vom Führer der Moslem-Bruderschaft in Ägypten, die vermutlich in Westerwelles Rubrik "islamisch-demokratisch" fällt, denn es handelt sich ja um die gemäßigten Islamisten (41 Prozent der Stimmen bei den Wahlen), nicht um die Salafiten (21 Prozent).

Dieser Führer der Moslem-Bruderschft ist seit 2010 Dr. Mohammed Badie. Er gab laut einem heutigen Artikel im Middle East Forum am 29. Dezember eine Erklärung ab, die auf Arabisch in der Ägyptischen Zeitung Al Masry Al Youm ("Unabhängiges Ägypten") veröffentlicht wurde. In englischer Übersetzung:

Zitat
Dr. Muhammad Badi, supreme leader of the Muslim Brotherhood, said: "The Brotherhood is getting closer to achieving its greatest goal as envisioned by its founder, Imam Hassan al-Banna. This will be accomplished by establishing a righteous and fair ruling system [based on Islamic sharia], with all its institutions and associations, including a government evolving into a rightly guided caliphate and mastership of the world." Badi added in his weekly message yesterday [12/29/11]: "When the Brotherhood started its advocacy [da'wa], it tried to awaken the nation from its slumber and stagnation, to guide it back to its position and vocation. In his message at the sixth caucus, the Imam [Banna] defined two goals for the Brotherhood: a short term goal, the fruits of which are seen as soon as a person becomes a member of the Brotherhood; and a long term goal that requires utilizing events, waiting, making appropriate preparations and prior designs, and a comprehensive and total reform of all aspects of life." The leader of the Brotherhood continued: "The Imam [Banna] delineated transitional goals and detailed methods to achieve this greatest objective, starting by reforming the individual, followed by building the family, the society, the government, and then a rightly guided caliphate and finally mastership of the world".

Den letzten Satz übersetze ich einmal ins Deutsche:

Zitat
" ... Der Imam [Banna] zeigte Zwischenziele und detaillierte Methoden auf, um dieses größere Ziel zu erreichen. Am Beginn steht die Besserung des Einzelnen. Es folgt der Aufbau der Familie, der Gesellschaft, der Regierung; und dann ein rechtmäßig geleitetes Kaliphat und schließlich die Weltherrschaft"

Hassan al-Banna ist der Gründung der Moslem-Bruderschaft.

Nach allem, was ich zur Moslem-Brunderschaft gelesen habe, verfolgt diese eine Strategie der kleinen Schritte. Keine Revolution, sondern die sukzessive Eroberung der Macht. Das Ziel aber ist unverändert das Kaliphat und, wie es Badi unverblümt sagt, schließlich die Weltherrschaft.

Herzlich, Zettel

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

12.01.2012 23:49
#6 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von dirk
Seltsamerweise gilt es als liberal, wenn man alle Kulturen und Traditionen für gleichwertig hält. In Wirklichkeit macht sich aber Liberalität eher daran fest, ob andere Menschen als gleichwertig behandelt werden. Und es gibt Kulturen, die tun das und es gibt solche, die tun das nicht.

Besser und konziser kann man es nicht sagen.

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.01.2012 02:05
#7 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von dirk
Seltsamerweise gilt es als liberal, wenn man alle Kulturen und Traditionen für gleichwertig hält.

Ein schönes Beispiel habe ich eben gefunden: Jörg Laus nachgerade rührenden Versuch, die Unterschiede zwischen Islamisten und Säkularen in Ägypten zu relativieren, was die Stellung der Frau angeht.

Da wurde eine Frau von Leuten aus dem Mubarak-Unterdrückungsapparat einem üblen "Jungfräulichkeitstest" unterzogen, und mit Unterstützung ihres Vaters, eines Islamisten, klagt sie nun vor Gericht und will ein Verbot solcher "Tests" durchsetzen. Laut dazu:

Zitat
Die ägyptischen Medien haben nichts für sie getan. Auch nicht die liberalen Aktivisten, die sich für Frauenrechte kaum interessieren. Ibrahims Vater aber hat seine Tochter ermutigt, es auf den Prozeß ankommen zu lassen. Viele säkular-liberale Väter hätten dies nicht getan, um “die Schande” nicht noch an die große Glocke zu hängen.

Das Elend der patriarchalen Verhältnisse wird in Ägypten zwar durch den Islam gestützt, aber es geht weit über diesen hinaus.

Ja, zweifellos. Aber was ist das für ein Argument? Ein Vater unterstützt seine Tocher mehr, als das die "liberalen Aktivisten" tun. In einem islamischen Land herrschen patriarchale Verhältnisse; nicht nur bei den dortigen Islamisten.

Das ist ja alles wahr. Aber maßgeblich für die Beurteilung sollte doch sein, was die Parteien und Kräfte anstreben, die jetzt in Ägypten existieren. Die Liberalen wollen eine Befreiung der Frauen von der Unterdrückung, der sie jetzt noch (teilweise) ausgesetzt sind. Die Islamisten wollen diese Unterdrückung verstärken.

Lau wirft Nebelkerzen.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.01.2012 09:25
#8 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von dirk
Seltsamerweise gilt es als liberal, wenn man alle Kulturen und Traditionen für gleichwertig hält.


Das ist in der Tat sehr seltsam, impliziert dies doch die Neutralität eines außerhalb aller Kulturen stehenden.
Auf Guido Westerwelle würde ich das nicht beziehen, er vertritt die westliche Kultur, mitunter recht offensiv. Nur eben nicht auf Reisen. Sein Kulturrelativismus zielt auf die religiöse Dominanz religiöser Parteien in einer durch eine Religion geprägten Gesellschaft.
Wenn er mit den islamisch-demokratischen Parteien die Muslimbrüder meint, deren verfestigtes Leitbild im deutschen Interesse liegt, ist dies der gleiche pragmatische Ansatz in der gleichen euphemistischen Verpackung wie er vor den Revolutionen praktiziert wurde. Diktatur hin oder her, es geht um Stabilität. Da werden schon mal die demokratischen Lippenbekenntnisse der zukünftigen Despoten für bare Münze genommen. Wegen des Prinzips Hoffnung oder wider besseren Wissens oder beidem.
Wir brauchen ihr Öl aber nicht ihre Flüchtlinge.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Dagny Offline



Beiträge: 1.096

13.01.2012 09:27
#9 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von dirk
Seltsamerweise gilt es als liberal, wenn man alle Kulturen und Traditionen für gleichwertig hält. In Wirklichkeit macht sich aber Liberalität eher daran fest, ob andere Menschen als gleichwertig behandelt werden. Und es gibt Kulturen, die tun das und es gibt solche, die tun das nicht.

Besser und konziser kann man es nicht sagen.




Korrekt. Da das Wort #Liberal# hat einen Bedeutungswechsel in Richtung #Beliebig# erfahren. Aus der Historie eines Liberalismus heraus, der im Gegensatz zum Konservativismus und Sozialdemokratismus keine engen ideologischen Leitplanken setzt, sondern dem Individuum Raum zur Entfaltung gibt. Allerdings unter der vergessenen Prämisse einer aufgeklärten, rationalen, gleichberechtigten Gesellschaft, in der jeder nach seiner Facon selig werden darf.

DrNick Offline




Beiträge: 809

13.01.2012 10:18
#10 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat
Keine der christlich-demokratischen Parteien der Gegenwart versucht, ihre Glaubensinhalte und religiösen Vorschriften der gesamten Gesellschaft zu oktroyieren.



Ich will ja, lieber Zettel, nicht die Islamisten verharmlosen, aber nehmen Sie einmal folgende Stelle im Grundsatzprogramm der CDU:

Zitat
Die unantastbare Würde des Menschen als Geschöpf Gottes ist menschlicher Verfügung nicht zugänglich und ist zu schützen. [...] Das noch nicht geborene Leben bedarf beginnend mit der Verschmelzung von Samen und Eizelle unseres besonderen Schutzes und unseres kritischen Umgangs mit den sich weiter entwickelnden Möglichkeiten der Pränataldiagnostik. Wir treten für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) ein.



Hier wird doch offensichtlich eine politische Zielsetzung (Verbot der PID) im Rückgriff auf eine religiöse Überzeugung (der Mensch als Geschöpf Gottes) begründet. Es ist natürlich völlig legitim, wenn ein Christ für sich die PID ablehnt, ebenso wie es auch jedem frei steht, für sich Bluttransfusionen oder den Verzehr von Schweinefleisch abzulehnen, aber hier wird doch ein Verbot für die gesamte Gesellschaft gefordert. Ich kann hier keinen grundsätzlichen Unterschied zu islamistischen Positionen erkennen.

Der Fairness halber ist natürlich darauf hinzuweisen, daß das von der CDU gerne beschworene "christliche Menschenbild" ausschließlich im Bereich der Bioethik politisch relevant wird.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

13.01.2012 12:28
#11 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Zettel

Zitat
" ... Der Imam [Banna] zeigte Zwischenziele und detaillierte Methoden auf, um dieses größere Ziel zu erreichen. Am Beginn steht die Besserung des Einzelnen. Es folgt der Aufbau der Familie, der Gesellschaft, der Regierung; und dann ein rechtmäßig geleitetes Kaliphat und schließlich die Weltherrschaft"

Hassan al-Banna ist der Gründung der Moslem-Bruderschaft.

Nach allem, was ich zur Moslem-Brunderschaft gelesen habe, verfolgt diese eine Strategie der kleinen Schritte. Keine Revolution, sondern die sukzessive Eroberung der Macht. Das Ziel aber ist unverändert das Kaliphat und, wie es Badi unverblümt sagt, schließlich die Weltherrschaft.






Ich bin immer wieder überrascht, was deutsche Journalisten als Moderat ansehen. Aber natürlich nur, wenn es sich um eine nicht-westliche Kultur handelt. Schon bei leicht konservativen Christen, gibt es ein "Gott sei bei uns".

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

C. Offline




Beiträge: 2.639

13.01.2012 15:25
#12 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Schon alleine die Vorabmeldung mit dem Westerwelleschen Nebeldeutsch lässt mich Schlimmes ahnen:

Zitat von FAZ
In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) vom Freitag tritt der Minister dafür ein, den Ländern mit Investitionen, Bildungspartnerschaften und offenen Märkten zu helfen. So könnten die Lebenschancen für die Menschen dort verbessert werden



Wieviel gedenkt Westerwelle dafür auszugeben? 1 Milliarde, 100 Milliarden, 1 Billion? Geld spielt heutzutage keine Rolle mehr, Schäuble wird einen Grund finden, die Schuldenbremse zu lockern, wenn es die Lebenschancen der Menschen dort verbessert. Es mangelt weder an an arbeitswilligen Arbeitskräften noch an potentiellen Konsumenten. Denjenigen, deren Lebenschancen sich verschlechtern, steht unsere Tür jederzeit offen. Wir lassen uns von irgendwelchen Miesmachern
das Geschäft nicht verderben.

Zitat von FAZ
Kritikern, die eine Hinwendung zum politischen Islam fürchten, entgegnet Westerwelle in der F.A.Z.: "Islamische Orientierung bedeutet nicht per se rückwärts gewandte, anti-moderne, anti-demokratische und unfreiheitliche Gesinnung."



Das hatte Guido Westerwelle bereits in der FTD ausgeführt:

Zitat von FTD
FTD: Was bedeutet Gesprächsbereitschaft mit gemäßigten Islamisten? Mit Muslimbrüdern? Und warum dann nicht auch mit der palästinensischen Hamas, einem Ableger der Muslimbrüder, reden?
Westerwelle: Die Hamas ist von Europa als terroristische Gruppierung eingestuft. Punkt. Im Übrigen muss man unterscheiden: In Tunesien ist die Politik der islamisch ausgerichteten Parteien viel säkularer als anderswo. Und auch die Muslimbruderschaft in Ägypten ist vielfältiger, als das bisher wahrgenommen wurde....

Westerwelle Es ist gar kein Geheimnis, dass wir auf Arbeitsebene bereits mit einigen reden, von denen wir denken, dass sie die roten Linien beachten.



Diese roten Linien sind laut Westerwelle:"auf Gewalt verzichten, sich zu Demokratie, Rechtsstaat, Pluralismus sowie zum inneren und äußeren Frieden bekennen".
Westerwelles Ideal einer islamisch-demokratischen Partei ist die AKP.
Westerwelle:"Die türkische AKP von Ministerpräsident Erdogan könnte dabei ein wichtiges Vorbild sein: eine islamisch orientierte Partei mit weltlicher Ausrichtung."

Zitat von zettel
Signalisiert der Artikel Westerwelles eine Neuorientierung der deutschen Politik hin zur Unterstützung von Islamisten?



Ob die Orientierung so neu ist, wage ich zu bezweifeln, zumindest ist sie jetzt offiziell. Innenpolitisch hat man schon lange keine Berührungsängste mit Islamisten, außenpolitisch war man, zumindest offiziell, mit Rücksicht auf Israel etwas zurückhaltender.
Mit der arabischen Revolution hat der politische Islam, früher auch Islamismus genannt, auch medial und politisch in Deutschland neue Wertschätzung erhalten. Von islamistisch über moderat-islamistisch ist die Sprachregelung bei demokratisch-islamisch angelangt, wobei damit immer noch dasselbe bezeichnet wird. Etwas, was vorher nichts mit dem Islam zu tun hatte und am Aussterben geglaubt wurde, wird einfach umetikettiert und salonfähig gemacht, denn es gibt ja etwas viel Schlimmeres, die Neofundamentalisten von der Salafiyya, böse, böse.

http://iceagenow.info

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.01.2012 16:24
#13 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von C.

Zitat von zettel
Signalisiert der Artikel Westerwelles eine Neuorientierung der deutschen Politik hin zur Unterstützung von Islamisten?


Ob die Orientierung so neu ist, wage ich zu bezweifeln, zumindest ist sie jetzt offiziell. Innenpolitisch hat man schon lange keine Berührungsängste mit Islamisten, außenpolitisch war man, zumindest offiziell, mit Rücksicht auf Israel etwas zurückhaltender.
Mit der arabischen Revolution hat der politische Islam, früher auch Islamismus genannt, auch medial und politisch in Deutschland neue Wertschätzung erhalten. Von islamistisch über moderat-islamistisch ist die Sprachregelung bei demokratisch-islamisch angelangt, wobei damit immer noch dasselbe bezeichnet wird. Etwas, was vorher nichts mit dem Islam zu tun hatte und am Aussterben geglaubt wurde, wird einfach umetikettiert und salonfähig gemacht, denn es gibt ja etwas viel Schlimmeres, die Neofundamentalisten von der Salafiyya, böse, böse.



Dazu möchte ich den Schluss der Übersetzung des Beitrages "Stratfors Analysen: Demokratie, Rechtsstaat, Islamismus" in ZR zitieren:

Zitat
Es gibt in diesem Dilemma im Prinzip zwei Positionen. Die realistische lautet, der Westen solle bei der Entscheidung zwischen zwei Arten der Diktatur diejenige fördern, deren Politik wenigstens besser mit unseren nationalen Interessen übereinstimmt. Die idealistische bezweifelt, daß beispielsweise die USA in Ägypten überhaupt klar definierte nationale Interessen haben.

Beide Positionen stehen jetzt vor einer Herausforderung. Die Idealisten müssen sich von Mythen trennen wie dem Glauben, der "Arabische Frühling" werde demokratische Systeme hervorbringen. Die Realisten sind gefordert, zu definieren, was eigentlich die eigenen nationalen Interessen sind. Einfache Lösungen des Dilemmas gibt es nicht.


Europa kann sich nicht die Diktatur aussuchen die in den Ländern Nordafrikas wechselt. Unsere Regierung kann nur festlegen ob es eine eventuelle Übereinstimmung mit den nationalen Interessen geben kann. Auch gegenüber der UdSSR und der DDR hatte die Bundesrepublik Deutschland seinerzeit dies bejaht. Länder, mit denen man sich in einem kalten Krieg befand.
Aufgrund der angespannten Lage in Syrien und dem Iran, könnten die Regierungen in Nordafrika schnell abermals zu potentiellen Verbündeten werden.
Hervorhebungen von mir.

Viele Grüße, Erling Plaethe

patzer Offline



Beiträge: 359

13.01.2012 17:01
#14 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Selten etwas derart Abstruses gelesen.Hätt mich heute morgen beinahe am Kaffee verschluckt.Aber wieso?Dummheit und Uninformiertheit scheiden als Gründe wohl aus.Was dann?Verzweiflung ob der Umstände?Oder doch eine psychische Deformation bedingt durch den Lebensweg als Berufspolitiker?
Sind unsere Amtsträger teilweise in eine Parallelwelt abgehoben?Biegen sie sich ihre Welt zurecht?
ratloser Gruß patzer

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

13.01.2012 17:44
#15 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Dazu möchte ich den Schluss der Übersetzung des Beitrages "Stratfors Analysen: Demokratie, Rechtsstaat, Islamismus" in ZR zitieren:

Danke für den Verweis auf diesen Artikel. Nur eine klitzekleine Korrektur: Es handelt sich nicht um eine Übersetzung, sondern meine Zusammenfassung des (immer sehr viel längeren) Originaltexts.

Herzlich, Zettel

C. Offline




Beiträge: 2.639

13.01.2012 18:44
#16 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Erling Plaethe
Europa kann sich nicht die Diktatur aussuchen die in den Ländern Nordafrikas wechselt. Unsere Regierung kann nur festlegen ob es eine eventuelle Übereinstimmung mit den nationalen Interessen geben kann.



Guido Westerwelle hat die nationalen Interessen vor einem halben Jahr im Zusammenhang mit den geplanten Panzerlieferungen an Saudiarabien deutlich gemacht:

Zitat von SpOn
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) verteidigt das geplante Geschäft mit dem Hinweis darauf, Saudi-Arabien sei ein einflussreicher Faktor in der Region. "Verantwortungsvolle Außenpolitik muss auch unsere und die Sicherheitsinteressen unserer Verbündeten berücksichtigen", sagte Westerwelle der "Bild"-Zeitung. Im Interesse von Frieden und Sicherheit müsse die Bundesregierung im Nahen Osten auch mit Partnern zusammenarbeiten, "die nicht unseren demokratischen Maßstäben entsprechen"



Ich ergänze mit Bezug auf sein Interview mit der FTD, wenn es um Sicherheitsinteressen und wirtschaftliche Interessen geht, gibt es keine rote Linie, aber mit einer solchen Äußerung hätte er einen noch größeren Shitstorm ausgelöst als Bundespräsident Köhler*, der es gewagt hatte, auf nationale Interessen hinzuweisen.

Westerwelles genialer Trick besteht jetzt darin, die von ihm ins Spiel gebrachte rote Linie zu verschieben, indem er Organisationen und Parteien, die bisher nicht unseren demokratischen Maßstäben entsprochen haben, weiß anpinselt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Pflege unseres nationalen Interesses im Ausland nicht auch durchschlagende Wirkung auf unsere demokratischen Maßstäbe im Inland haben werden. Der Preis wird die Aufhebung der Überwachung und die Akzeptanz von Milli Görus und der IGD sein. Zu diesen Organisationen gab es deutliche Worte von Kristina Köhler(jetzt Schröder):

Zitat von Kristina Köhler
Es ist die Ideologie, für die er steht. Die IGD in Deutschland und die mit ihr unmittelbar oder mittelbar vernetzten Organisationen, wie etwa die türkische Milli Görüs, sind politische Islamisten. Sie vertreten eine sehr radikale Haltung, die die absolute Geltung des Grundgesetzes nicht akzeptiert. Wie die terroristischen Islamisten kämpfen sie für die Verbreitung der Scharia, doch ihre Vorgehensweise ist anders: Sie rufen nicht direkt zur Gewalt auf, sondern nutzen gesetzliche Freiräume, um gegen unsere Rechtsordnung vorzugehen. Die ihnen zugerechneten Publikationen sind voll von antisemitischer Hetze und propagieren die Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau.



Vielleicht äußert sich Guido Westerwelle zu diesen Befürchtungen im kommenden Gastbeitrag und zerstreut meine Bedenken.


*Köhler: "Meine Einschätzung ist aber, dass wir insgesamt auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen - negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen."

http://iceagenow.info

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.01.2012 20:03
#17 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von C.

Westerwelles genialer Trick besteht jetzt darin, die von ihm ins Spiel gebrachte rote Linie zu verschieben, indem er Organisationen und Parteien, die bisher nicht unseren demokratischen Maßstäben entsprochen haben, weiß anpinselt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Pflege unseres nationalen Interesses im Ausland nicht auch durchschlagende Wirkung auf unsere demokratischen Maßstäbe im Inland haben werden.


Westerwelle bezeichnet diejenigen Parteien als demokratisch die aus demokratischen Wahlen als Sieger hervorgegangen sind. Erst wenn unter der Regierung dieser Parteien keine demokratischen Wahlen mehr stattfinden, sind sie undemokratisch. Ich sehe keine realistische Möglichkeit im vornherein, auf Grund antidemokratischer Statements, selbst ihres Vorsitzenden, öffentlich ihnen den Willen abzusprechen, sich der Verfassung und einem als demokratisch international anerkannten Prozess, unterwerfen zu wollen. Das wäre ein aussenpolitisches diplomatisches Desaster.
Nicht dass sie mich missverstehen, ich halte die Muslimbrüder keinesfalls für Demokraten, ebenso wenig wie die IGB oder Milli Görüs.
Was die rote Linie anbelangt, liegt sie m.E. dort, wo gegen eine Partei Belege für terroristische Aktivitäten vorliegen.

Zitat von C.
Der Preis wird die Aufhebung der Überwachung und die Akzeptanz von Milli Görus und der IGD sein.


Ich sehe überhaupt keinen Grund diesen Preis zu bezahlen. Der Verfassungsschutz beobachtet auch Parteien in Deutschland die in Parlamenten und Regierungen vertreten sind.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

13.01.2012 20:12
#18 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Zettel

Zitat von Erling Plaethe
Dazu möchte ich den Schluss der Übersetzung des Beitrages "Stratfors Analysen: Demokratie, Rechtsstaat, Islamismus" in ZR zitieren:

Danke für den Verweis auf diesen Artikel. Nur eine klitzekleine Korrektur: Es handelt sich nicht um eine Übersetzung, sondern meine Zusammenfassung des (immer sehr viel längeren) Originaltexts.



Ja richtig. Da die Quelle hausintern ist, hab ich nicht so genau hingeschaut, mich nur gewundert, dass der Originaltext so viel länger war.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

14.01.2012 00:31
#19 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Ich bin wohl der einzige im Forum, der den Arabischen Frühling befürwortet und sogar den Libyenkrieg.

Zettel, erinnerst du dich nicht mehr an den Irakkrieg? Ein laizistischer Diktator gestürzt, es folgte die Zeit der Islamisten, die massive Vertreibung der Christen und allgemeines Chaos- also genau das, was gerade in Ägypten passiert. Aber während die Konservativen Bushs Projekt dennoch lobten, kritisieren sie nun das eigenständige Projekt der arabischen Völker. Man stimmte Bush zu, dass Demokratie überall möglich ist. Jetzt heißt es auf einmal: Nein, bei den Arabern ist kene Demokratie möglich. Wieso? Demokratisierung führt oft über Blutbäder. Frankreich 1789, Irak 2003, Ägypten 2011. 55 Millionen Menschen mussten sterben, um uns zu demokratisieren. Nun ist Deutschland aber eine stabile Demokratie.

Was wäre denn die Alternative? War der Nahe Osten vor 2011 wirklich so viel besser als das, was uns jetzt bevorsteht? Die arabischen Länder wurde nicht von friedlichen, säkularen Camp David-Politikern regiert, sondern von einem Haufen nationalistischer, antisemitischer Massenmörder. Statt im Namen des Islams wurde die Bevölkerung im Namen des arabischen Nationalismus oder Sozialismus unterdrückt. Ethnische Minderheiten wie z.B. die Kurden wurden wie Menschen zweiter Klasse behandelt, von Meinungsfreiheit hielten auch die säkularen Herrscher nicht viel. Der Kampf gegen Israel war für die arabischen Nationalisten nicht weniger verpflichtend als für die Islamisten. Zumindest für Israel wird es wohl nicht schlimmer, sondern höchstens genauso schlimm kommen. Säkularismus führt auch nicht automatisch zu mehr Demokratie. Die Nazis waren säkular, aber nicht weniger schlimm als die Muslimbrüder oder Salafisten unserer Zeit. Assads säkulares Syrien ist viel schlimmer als das islamische Jordanien.

Der Weg zur Demokratie ist ein langer Prozess, aber die Muslime müssen ihn gehen. Es war klar, dass die Muslime zuerst Islamisten an die Macht bringen würden. War im Irak auch so. Aber ist dir klar, dass die Islamisten schnell den Rückhalt der Bevölkerung verlieren? Und dass die Lage in Tunesin (und auch in Syrien) völlig anders ist als in Ägypten?

Ich habe dazu auf meinem Blog einen eigenen Beitrag geschrieben:
http://arprin.wordpress.com/2012/01/13/d...ler-schlachten/

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.01.2012 07:51
#20 Frage Antworten

Zitat von Zettel
Bisher ist es nur eine Vorabmeldung, der ich dieses Zitat des Tages entnommen habe; und deshalb stelle ich, statt zu kommentieren, vorerst nur Fragen.

Es sollte ein Artikel folgen, der sich auf Westerwelles Artikel selbst stützt. Leider hatte ich aber Probleme mit dem Kindle wg. der Kreditkartenumstellung, die nach dem Hackerangriff auf Stratfor erforderlich gewesen war.

Als ich diese gelöst hatte und die FAZ herunterladen konnte, erhielt ich schon die Ausgabe vom Samstag. Meine Frage: Hat jemand evtl den Artikel aus der Freitagsausgabe und könnte so nett sein, ihn mir zur Verfügung zu stellen?

Zettel Offline




Beiträge: 20.200

14.01.2012 08:17
#21 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Lieber Jorge Arprin,

Zitat von Jorge Arprin
Ich bin wohl der einzige im Forum, der den Arabischen Frühling befürwortet und sogar den Libyenkrieg.

Den Libyenkrieg halte ich in der Tat für einen Fehler. Oder besser gesagt: Aus der Sicht Frankreichs, das eine Vorherrschaft bei den Mittelmeerstaaten anstrebt (siehe Sarkozys mediterrane Strategie; ZR vom 24. 7. 2007), machte der Sturz Gaddafis Sinn. Im Interesse des Westens lag er nicht. In unserem Interesse wäre eine Ablösung Gaddafis durch seinen Sohn Seif al-Islam gewesen, der für eine allmähliche Liberalisierung gestanden hätte; unter Bewahrung der nationalen Einheit Libyens.

Was den Arabischen Frühling angeht, bin ich der Meinung, daß diese Entwicklung nicht von uns abhängig war und ist und deshalb "Befürworten" die falsche Kategorie ist.

Das Ende des Arabischen Sozialismus war unvermeidlich; so, wie das Ende des Sozialismus in Osteuropa. Es wird in Deutschland fast notorisch übersehen, daß alle Regimes, die jetzt gefallen sind (Tunesien, Ägypten) oder bedroht sind (Syrien, Jemen) sozialistische Regimes waren/sind, die im Zug des Arabischen Sozialismus mit mehr oder weniger enger Anlehnung an das sowjetische Vorbild entstanden waren. Daraus erklärt sich ihre Misere und die Wut der Massen; auch die Hinwendung zur Religion, wie jetzt in Rußland.

Also, es geht nicht um befürworten. Wir sollten uns nur keine Illusionen machen. Die Aufstände gegen den Arabischen Sozialismus bringen nicht Demokratie, sondern Islamismus. Allenfalls in Tunesien gibt es die Chance für die Entwicklung eines demokratischen Systems; bedingt durch den starken kulturellen Einfluß Frankreichs.

Zitat von Jorge Arprin
Zettel, erinnerst du dich nicht mehr an den Irakkrieg? Ein laizistischer Diktator gestürzt, es folgte die Zeit der Islamisten, die massive Vertreibung der Christen und allgemeines Chaos- also genau das, was gerade in Ägypten passiert. Aber während die Konservativen Bushs Projekt dennoch lobten, kritisieren sie nun das eigenständige Projekt der arabischen Völker. Man stimmte Bush zu, dass Demokratie überall möglich ist. Jetzt heißt es auf einmal: Nein, bei den Arabern ist kene Demokratie möglich. Wieso? Demokratisierung führt oft über Blutbäder. Frankreich 1789, Irak 2003, Ägypten 2011. 55 Millionen Menschen mussten sterben, um uns zu demokratisieren.


Nein, lieber Jorge Arprin, Demokratisierung führt fast nie über Blutbäder.

Gerade die Französische Revolution zeigt es. Während der Revolution gab es zu keinem Zeitpunkt eine funktionierende Demokratie, sondern die Herrschaft des Pöbels und dann zunehmend der Jakobiner. Danach gab es die Diktatur Bonapartes und anschließend die bourbonische Restauration.

Eine wirkliche Demokratie entstand in Amerika; bekanntlich schon mehr als ein Jahrzehnt vor der Französischen Revolution. Und das ohne Blutbad; allerdings mußte sich die Demokratie gegen die Briten verteidigen.

Auch die meisten anderen Demokratien entstanden nicht in einem Blutbad, sondern auf friedlichem Weg. Eine gewaltsame Revolution bringt fast stets eine neue Diktatur hervor.

Zitat von Jorge Arprin
Der Kampf gegen Israel war für die arabischen Nationalisten nicht weniger verpflichtend als für die Islamisten. Zumindest für Israel wird es wohl nicht schlimmer, sondern höchstens genauso schlimm kommen.

Das ist aus meiner Sicht ein Irrtum.

Die Zeit, in der arabische National-Sozialisten wie Arafat, Assad sen. und Saddam Hussein die Vernichtung Israels betrieben, liegt lange zurück. Das war mit dem Beginn des Prozesses von Oslo Geschichte. Daß dieser Friedensprozeß gescheitert ist, lag an den Veränderungen in Arabien: Während die alten National-Sozialisten bereit waren, ihre Militanz aufzugeben, enstand eine neue Militanz in Gestalt der Hamas und der Hisbollah, gesteuert aus Teheran. Diese war und ist auf der arabischen Seite religiös motiviert, auf der iranischen natürlich machtpolitisch.

Israel hatte in Mubaraks Ägypten einen ihm freundlich gesonnenen Nachbarn, mit dem man in der Sicherheitspolitik zusammenarbeitete. Jetzt wird es ein von den Moslembrüdern regiertes Ägypten zum Nachbarn haben, deren palästinensische Ableger die Hamas bekanntlich ist.

Herzlich, Zettel

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

14.01.2012 13:28
#22 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Jorge Arprin
War der Nahe Osten vor 2011 wirklich so viel besser als das, was uns jetzt bevorsteht?


Definitiv. Die arabischen Dikatoren waren zum einen deutlich berechenbarer, zum anderen eigentlich nicht daran interessiert die Welt in einen Krieg zu stürzen, an deren Ende das Ende ihrer Herrschaft stehen könnte. Diktatoren möchten ja weiter herschen. Jemand der sein Seelenheil dagegen aus einer Jehenseitsvorstellung speist ist deutlich gefährlicher.

Zitat
Der Kampf gegen Israel war für die arabischen Nationalisten nicht weniger verpflichtend als für die Islamisten.


Das ist nicht richtig, sonst hätte es auch nie Frieden zwischen Israel und Ägypten gegeben, deren Verhältnis sich durch die Etablierung des Islam in der Regierung massiv verschlechtert hat.

Zitat
Säkularismus führt auch nicht automatisch zu mehr Demokratie. Die Nazis waren säkular, aber nicht weniger schlimm als die Muslimbrüder oder Salafisten unserer Zeit.


Als Mann lässt sich das leicht sagen, als Frau würde ich dieser Aussage keinesfalls zustimmen. Den Nazis kann man sicher viel vorwerfen aber sie haben im Allgemeinen ihre Frauen nicht in dem Maße unterdrückt wie das in islamischen Ländern geschieht. Und das in einer Zeit, als die Emanzipation noch in den Kinderschuhen steckte. Ich bin jedenfalls ziemlich sicher das die Frauen in Ägypten, Tunesien und Lybien den "arabischen Frühling" (treffenden wird wohl demnächst ein Begriff wie islamischer Frühling) nicht so positiv beurteilen werden.

Zitat
Der Weg zur Demokratie ist ein langer Prozess, aber die Muslime müssen ihn gehen. Es war klar, dass die Muslime zuerst Islamisten an die Macht bringen würden. War im Irak auch so. Aber ist dir klar, dass die Islamisten schnell den Rückhalt der Bevölkerung verlieren?


Im Iran warten wir jetzt wie lange darauf ? Der Islam ist keine demokratische Religion, ganz im Gegenteil. Warum sollten die islamischen Regime ihre Abwahl zulassen ? Das wird genauso wenig passieren wie im Iran. Denn die Muslime müssen diesen Weg keinesfalls gehen. Der Beweis das nur Demokratie eine Gesellschaft weiterbringt ist nie erbracht worden. Auch Diktaturen können lange bestehen. Sehr lange.

Urlauber ( gelöscht )
Beiträge:

14.01.2012 13:44
#23 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zitat von Jorge Arprin
Aber ist dir klar, dass die Islamisten schnell den Rückhalt der Bevölkerung verlieren?

Um ehrlich zu sein, das ist mir nicht klar. Im Gegenteil.

Zitat von Jorge Arprin
Und dass die Lage in Tunesin (und auch in Syrien) völlig anders ist als in Ägypten?

Das ist eine Binse. Für jeden Normalen.
Dass man die Unterschiedlichkeit hervorheben muss, liegt m.E. am Antisemitismus unserer polit-medialen Elite. Die kennen nur noch (neben den USA) Israel als Ursache aller Probleme Arabiens und der ganzen Welt. Deren verzerrtes Weltbild kennt nur 1,2 Milliarden von 12 Millionen Juden unterdrückte Moslems. Da wundert kaum noch, wenn die Experten „Zum Tode Gaddafis jetzt direkt aus Kairo...“ zugeschaltet werden. Was sind schon die paar Kilometer zwischen Kairo und Tripolis? Beide Länder sind Opfer des Judentums. Mehr Kategorien kennen die nicht.
Mal sehen wie das weitergeht. Vielleicht kommt der nächste Bericht über die berliner Mairandale "direkt aus Moskau".

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

14.01.2012 14:30
#24 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zettel:

Wann hätte denn ein absolutistischer König einen Demokratisierungsprozess gestartet? Die Französische Revolution brachte die Nationalversammlung, die Deklaration der Menschenrechte, die Judenemanzipation und den Code Civil hervor. Ohne die Entwicklung in Frankreich wäre auch die nachfolgende Entwicklung in Deutschland, Italien, England usw. nicht möglich gewesen.

Du sagst es: Man musste auch in den USA um die Freiheit kämpfen, auf blutigem Wege. Hätten die Briten die Amerikaner jemals friedlich in die Unabhängigkeit entlassen? Wenn sich keine Kolonie erhoben und gesiegt hätte, würden die Briten vielleicht bis heute noch ein Drittel der Welt beherrschen. Die USA waren auch nicht sofort eine Demokratie, das ist großer Blödsinn, man musste dafür weiter kämpfen. Um die Sklaverei abzuschaffen, musste man wieder in einen blutigen Krieg ziehen, diesmal gegen sich selbst. Man hätte natürlich auch die Südstaaten ihre Sezession durchgehen lassen, aber wie wie würde Nordamerika heute aussehen, wenn die Südstaaten noch einige Jahrzehnte die Sklaverei beibehalten hätten und die USA sich 1861 aufgteilt hätte? In den 1960ern folgte dann der oft ebenfalls blutige Kampf gegen die Segregation und die Gleichberechtigung der geschundenen Indianer. Die USA sind erst seit den 1970ern eine echte Demokratie.

Es gibt Unterschiede zwischen Revolutionen, Staatsstreiche und Bürgerkriege, doch was sie alle gemeinsam haben: Sie sind oft blutig. Du hast es ironischerweise selbst auf den Punkt gebracht, indem du die USA erwähnt hast. Und warum bist du nicht auf mein Beispiel mit dem Irakkrieg eingegangen? Du warst doch AUSDRÜCKLICH für den Krieg, obwohl er strategisch (der Iran wurde bekanntlich gestärkt und der Irak war, wie du selbst einräumst, keine so große Gefahr mehr für Israel und den Westen) eine mindestens genauso große Katastrophe war die aktuelle Situation in Ägypten. Nicht nur das: Im Irak kamen bei den ersten Wahlen auch die Islamisten an die Macht, die Christen wurden auch vertrieben und die Infrastruktur brach auch zusammen. Trotzdem warst du immer für Bushs Demokratiserungsprojekt. Man kann auch nicht behaupten, dass die US-Soldaten ganz allein das Land "in die richtige Bahn gelenkt" haben. Auch sie konnten die 100.000 Tote und 4 Millionen Flüchtlinge nicht verhindern und am Ende waren es die Iraker, die von sich aus, ohne den Druck der USA, säkulare Parteien gewählt haben.

Ägypten wird auch in Zukunft keine militärische Bedrohung für Israel sein. Man ist abhängig von amerikanischer Entwicklungshilfe und die IDF wird nicht tatenlos zuschauen, wenn Ägypten zum Krieg aufrüstet. Die Ägypter schreien zwar momentan "One day we kill all jews" und "One nation for a new holocaust". War aber bei Mubarak aber auch so: http://www.youtube.com/watch?v=Vtt8V25lGmc. Bevor Ägypten eine militärische Bedrohung für Israel wird, ist man schon dreimal hintereinander bankrott gegangen. Die Muslimbrüder und die Salafisten haben ihre großspurigen Verrnichtungsdrohungen bereits zurückgenommen.

Llarian und Urlauber:

Im Iran waren die Mullahs nicht auf demokratischem Wege an die Macht gekommen. Sie haben die Revolution "gestohlen", wie die Bolschewisten 1917. Man kann diese Umstürze nicht mit denen von 2011 vergleichen. Hier hatte man von Anfang an das Ziel, eine Diktatur durch eine andere zu ersetzen. Das Volk wurde nie gefragt, in Russland hat man sich sogar über die Entscheidung des Volkes hinweggesetzt (es gab ja schon im Februar eine Revolution!). Was wir in Arabien zurzeit erleben ist vollkommen anders: Demokratische Wahlen, ein gesellschaftlicher Austausch, sowie es immer bei Demokratiserungsprozessen notwendig ist. Am Anfang werden die Islamisten an die Macht kommen, doch die meisten Muslime haben den Islamismus schnell satt. Die heutige Jugend des Iran hat längst die westliche Popkultur angenommen und den Mullahs den Rücken gekehrt. Die meisten Iraner sind überhaupt keine Israelhasser, die Grüne Bewegung wird nicht von Islamisten beherrscht, aber repräsentiert einen großen Teil der iranischen Bevölkerung. Die Mullahs können sich nur mittels Gewalt an der Macht halten, sie würden niemals auf demokratischem Wege an der Macht bestätigt werden.

Im Irak wählte die Bevölkerung 2005 zu 60% islamistische Parteien, 2009 waren es bereits mehrheitlich säkulare Parteien. In diesem Monat zeigte eine Umfrage, dass 70% der Iraker der Meinung sind, dass Religion keine Rolle in der Politik spielen sollte. In Pakistan kam 1990 eine islamistische Parteienallianz an die Macht, die 2 Jahre später zusammenbrach und danach nie wieder eine Rolle spielte. Die derzeit wichtigsten Parteien- die PPP, PML und die MQM- gelten als säkular. Es besteht keine große Gefahr eines islamistischen Umsturzes, eher ein Militärputsch (dass der ISI in islamistische Aktivitäten verwicklet ist, ist eine andere Geschichte). Das wichtigste ist: Auch für die Muslime gilt „It’s the economy, stupid!„. Die Islamisten haben also nur eine Chance, wenn sie die wirtschaftliche Lage ihres Landes verbessern. Das haben die Mullahs nicht geschafft und werden die Muslimbrüder auch nicht schaffen.

Aber was passiert, wenn die Islamisten doch an der Macht bleiben? Dann muss man sie, genauso wie mit den Nationalisten/Sozialisten, mit allen möglichen Mitteln bekämpfen, notfalls auch mit militärischen. Die Frage ist also: Wie lässt es sich verhindern, dass die Islamisten eine totalitäre Diktatur errichten, wenn sie an die Macht kommen? Es muss vor allem eine starke Opposition vorhanden sein. In Tunesien ist diese gegeben. Die Ennahda-Führer werden das Land sicher islamischer machen, aber nicht in einen neuen Iran verwandeln. Es wurde bereits angekündigt, dass weder die Scharia noch andere religiöse Konzepte in die Verfassung aufgenommen werden. TUNESIEN WIRD KEIN ZWEITES IRAN! Auch in Syrien dürfte eine starke Opposition von Kurden, Christen, Alawiten und sunnitischen Assad-Anhängern die Islamisten in Schach halten können. Das Programm des oppositionellen syrischen Nationalrats erwähnt weder den Islam noch die Scharia. Zwei Länder, indem Islamisten schon seit Jahrzehnten an den Wahlen teilnehmen, ohne dass sie ihr Land in ein zweites Iran verwandelt hätten, sind Marokko und Jordanien.

Der Vergleich Jordanien- Syrien lohnt sich hierbei: Syrien mag zwar im Gegensatz zu Jordanien ein säkularer Staat sein, dafür aber auch ein viel schlimmerer Polizeistaat. Die Demonstrationen, die Jordanien im Rahmen des Arabischen Frühlings erfassten, wurden vom König ausdrücklich erlaubt, in Syrien hat der Aufstand offiziell 6.000 Menschen das Leben gekostet. Und während Assad Palästinenser auf die israelische Grenze schickte, ging ein geplanter „Marsch der Millionen“ auf die israelische Botschaft in Amman aufgrund der Bereitstellung jordanischer Sicherheitskräfte gründlich in die Hose. Von daher ist es überflüssig darüber zu diskutieren, ob eine national-sozialistische Diktatur besser ist als eine islamistische. Es hängt immer von den Machthabern ab.

Und noch was: Es ist meiner Meinung nach ein bisschen Heuchelei dabei, wenn man jetzt Angst vor Islamisten hat. Die Behauptung, dass der Nahe Osten vor 2011 mehrheitlich säkular gewesen ist, ist falsch. In Ägypten galt gemäß Artikel 2 Vefassung die Scharia als Grundlage der Rechtsordnung. Viele Minister waren Muslimbrüder. Es war Christen verboten, zu missionieren, Kirchenbau war nur eingeschränkt möglich. Homosexualität war verboten, es kam regelmäßig zu Verhaftungen und Folterungen. Polygamie war erlaubt, Frauen hatten keine Reisefreiheit, sondern mussten ihrem Ehemann um Erlaubnis bitten, wenn sie verreisen wollten. Auch in Gaddafis Libyen hat es eine starke Islamisierung gegeben, obwohl man Gaddafi heute als säkularen Herrscher in Erinnerung hat. Der Koran war laut Artikel 2 die Rechtsgrundlage der Verfassung. Im Personen-, Familien-, Erb- und Strafrecht galt die Scharia. Polygamie war erlaubt, Homosexualität strafbar. Zina (Ehebruch und Unzucht) wurde mit 100 Stockhieben bestraft, auch auch die Verleumdung wegen Zina war strafbar. Ein Christ musste konvertieren, wenn er einen Muslim heiraten wollte. Christliche Missionierung war verboten, bei Apostasie folgte die Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Es gab ein islamkonformes Zinsverbot.

Ich verstehe dich nicht, Zettel. Wenn Bush für die Demokratie ein Land platt macht und 100.000 Menschen geopfert werden, ist es in Ordnung. Aber wenn es die Araber selbst machen, ist es falsch. Seif-el-Islam hätte, ja "hätte" auch eine Liberalisierung starten können. Aber galt das nicht auch für Saddams Nachfolger?

Jorge Arprin Offline



Beiträge: 73

14.01.2012 14:49
#25 RE: Zitat des Tages: Westerwelles Gastbeitrag Antworten

Zum Thema Israel und das neue Ägypten- ein interessanter Text von Thomas von der Osten-Sacken:
http://jungle-world.com/artikel/2012/01/44618.html

"Können aber die Muslimbrüder, die nicht nur gewählt wurden, sondern ihren Auftrag auch von Allahs Willen herleiten, es sich lange erlauben, öffentlich zu erklären, sie halten an dem Abkommen nur fest, weil die USA sonst den Geldhahn zudrehen würden? Das wirkt weder souverän noch auf Dauer überzeugend.Die Alternative bestünde im bislang Undenkbaren: einer von den sunnitisch dominierten arabischen Staaten orchestrierten Anerkennung Israels im Rahmen einer Zweistaatenlösung, die sich zugleich explizit gegen den Iran und seine Einflussnahme in der Region richten würde. Ein solcher Schritt käme keineswegs als Ausdruck guten Willens, sondern einzig aufgrund taktischer Überlegungen und äußeren Drucks zustande. Und doch würde er das Gesicht der Region nachhaltiger verändern, als es einst das Camp-David-Abkommen tat."

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