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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 94 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
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stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

21.08.2013 17:36
Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Gestern war es ein Thema auf Twitter, heute Morgen hat Kommentator Nobby in der Rubrik »Aktuell im Web« darauf hingewiesen: In Berlin tobt gerade ein Konflikt um die Erwähnung des Begriffs Religion in der Geschäftsordnung zur Verleihung einer Medaille für bürgerschaftliches Engagement. Das war mir eine kurze Betrachtung wert:

http://zettelsraum.blogspot.com/2013/08/...hristentum.html

adder Offline




Beiträge: 1.073

21.08.2013 17:43
#2 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Danke, lieber stefanolix. Ich sehe das sehr ähnlich. Staat und Religion sind aus gutem Grund getrennt - und eine staatliche (wenn auch kommunale) "Medaille" sollte nicht wegen des religiösen Engagements verliehen werden. Wenn dieses religiöse Engagement natürlich eigentlich ein Engagement für andere, förderungswürdige Bereiche ist... warum nicht?

Ich stelle mir mal vor, ich als Heide solle eine solche Medaille bekommen. Für religiöses Engagement? Soll ich jetzt eine Kirche anzünden oder gegen die Zwangschristianisierung vor 1200 Jahren demonstrieren gehen, damit ich eine Medaille für religiöses Engagement bekomme? Oder darf ich auch ein paar Eichen pflanzen und pflegen? (und könnte ich nicht im letzteren Falle auch eine wegen Umweltbewusstsein oder Naturpflege bekommen?)

Paul Offline




Beiträge: 1.285

21.08.2013 20:33
#3 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Lieber stefanolix,
die Streichung von "Religion" aus der Geschäftsordnung kann ich nachvollziehen. Der Begriff hätte dort nicht hineingehört. Für ein derartiges Engagement für religiöse Belange gibt es in der Katholischen Kirche eine entsprechende Würdigungen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Hedwigsmedaille)
Eine Ehrung dieses Engagements durch den Staat ist nicht angebracht. Ich denke dabei an Folgendes: Jemand erteilt über eine längere Zeit ehrenamtlich Religionsunterricht oder fungiert als Firmbegleiter u.a.m. Ausschließlich innerkirchliche Engagements sollten nicht durch den Staat geehrt werden.

Soweit bin ich als ein praktizierendes Mitglied der Katholischen Kirche einverstanden.

Nicht einverstanden wäre ich mit dem Verbot des Namens "Weihnachtsmarkt". Als nächstes käme dann folgerichtig das Verbot der Bezeichnung "Weihnachtsfest".
Selbst in der DDR haben sich die "Jahresendfiguren" und das "Lichterfest" nicht wirklich durchgesetzt. Das hatte aber keine religiösen Gründe, sondern war kulturell bedingt.
Deshalb berührt mich dies nicht nur aus religiösen Gründen, sondern trifft auch mein kulturelles Verständnis.

Im Tagesspiegel wird wird die Bezirksbürgermeisterin schon mit einer akzeptablen Formulierung zitiert:

Zitat
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) stellt daher klar: „Ich kenne keinen Beschluss, der es Veranstaltern verbieten würde, ihren Festen religiöse Namen zu geben.“ Bei der heterogenen Bevölkerung wäre es ihrer Meinung nach abwegig, religiöse Gruppen so zu diskriminieren. Einige Veranstalter verzichteten aber auf religiöse Bezeichnungen, um zu zeigen, dass das Fest für Bürger jeden Glaubens und auch solche ohne Glauben offenstehe.



LG, Paul

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

21.08.2013 20:44
#4 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Paul im Beitrag #3
Lieber stefanolix,
die Streichung von "Religion" aus der Geschäftsordnung kann ich nachvollziehen. Der Begriff hätte dort nicht hineingehört. Für ein derartiges Engagement für religiöse Belange gibt es in der Katholischen Kirche eine entsprechende Würdigungen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Hedwigsmedaille)
Eine Ehrung dieses Engagements durch den Staat ist nicht angebracht. Ich denke dabei an Folgendes: Jemand erteilt über eine längere Zeit ehrenamtlich Religionsunterricht oder fungiert als Firmbegleiter u.a.m. Ausschließlich innerkirchliche Engagements sollten nicht durch den Staat geehrt werden.

Soweit bin ich als ein praktizierendes Mitglied der Katholischen Kirche einverstanden.

Nicht einverstanden wäre ich mit dem Verbot des Namens "Weihnachtsmarkt". Als nächstes käme dann folgerichtig das Verbot der Bezeichnung "Weihnachtsfest".
Selbst in der DDR haben sich die "Jahresendfiguren" und das "Lichterfest" nicht wirklich durchgesetzt. Das hatte aber keine religiösen Gründe, sondern war kulturell bedingt.
Deshalb berührt mich dies nicht nur aus religiösen Gründen, sondern trifft auch mein kulturelles Verständnis.

Im Tagesspiegel wird wird die Bezirksbürgermeisterin schon mit einer akzeptablen Formulierung zitiert:

Zitat
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) stellt daher klar: „Ich kenne keinen Beschluss, der es Veranstaltern verbieten würde, ihren Festen religiöse Namen zu geben.“ Bei der heterogenen Bevölkerung wäre es ihrer Meinung nach abwegig, religiöse Gruppen so zu diskriminieren. Einige Veranstalter verzichteten aber auf religiöse Bezeichnungen, um zu zeigen, dass das Fest für Bürger jeden Glaubens und auch solche ohne Glauben offenstehe.


LG, Paul



Richtig. Entscheidend ist, dass es definitiv keinen Beschluss gibt, den Begriff Weihnachten zu verbieten. Wenn sich die christlichen Gemeinden als Veranstalter der weihnachtlichen Veranstaltungen zu ihrem Glauben bekennen, dann nennen sie das Fest auch »Weihnachten«. Wenn sie sich nicht dazu bekennen, dann nennen sie es eben »Winterfest«.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

21.08.2013 20:54
#5 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von adder im Beitrag #2
Danke, lieber stefanolix. Ich sehe das sehr ähnlich. Staat und Religion sind aus gutem Grund getrennt - und eine staatliche (wenn auch kommunale) "Medaille" sollte nicht wegen des religiösen Engagements verliehen werden. Wenn dieses religiöse Engagement natürlich eigentlich ein Engagement für andere, förderungswürdige Bereiche ist... warum nicht?

Ich stelle mir mal vor, ich als Heide solle eine solche Medaille bekommen. Für religiöses Engagement? Soll ich jetzt eine Kirche anzünden oder gegen die Zwangschristianisierung vor 1200 Jahren demonstrieren gehen, damit ich eine Medaille für religiöses Engagement bekomme? Oder darf ich auch ein paar Eichen pflanzen und pflegen? (und könnte ich nicht im letzteren Falle auch eine wegen Umweltbewusstsein oder Naturpflege bekommen?)


Streng genommen müssten also dort stehen: Religion, Heidentum, Agnostizismus und Atheismus. Oder eben: Keines davon!

Du bist übrigens der zweite bekennende Heide, den ich im Netz treffe ;-)

ossi_normalo Offline



Beiträge: 20

21.08.2013 21:58
#6 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

"Es gibt Religionsgemeinschaften, die nach dem biblischen Motto »Suchet der Stadt Bestes« wirken. Dieses Motto hat (neben anderen Bibelzitaten) das christliche Engagement in der friedlichen Revolution in der DDR geprägt."

Nach meinen Erinnerungen war dieses Bibelwort eine von den Theologen in der Zone, die ihre ( nach manchem Dafürhalten zu weitgehende) Anpassung an die gegebenen Verhältnisse vor sich selbst, vor anderen rechtfertigen wollten, gern verwendente Chiffre. Dieses Wort hat insofern einen gewissen unerfreulichen Beigeschmack. Diese Bewertung allein so stehen gelassen, wäre aber ungerecht. Ebenso gern benutzt wurde es in ehrbarer Absicht als Unterstellung einer gemeinsamen moralischen Zielstellung bei Klärung von Problemen mit Vertretern der politischen Macht im Interesse der Gemeindearbeit, des Anliegens einzelner Bürger oder weiter greifender bürgerschaftlicher Anliegen. Also in durchaus ehrenhaftem Sinne. Genau in diesem Sinne könnte die Losung auch in der gar nicht so langen Zeit des offen ausgebochenen Machtkampfs in der Zone naturgemäß von christlichen Akteuren eingesetzt worden sein, war aber nicht etwa eine die Massen antreibende, wirkungsvolle Losung. Diese Zeit war gekennzeichnet durch massenhafte Demonstrationen und Verweigerungsakte gegen die Staatsmacht. Nach der ersten Oktoberwoche mit Emeuten und Repressionen, kam es ab 9.Oktober gegen die Auseinanderstzungen gewaltfrei weiter (deshalb "friedliche Revolution") mit rasch stärker werdender Beteiligung der Bevölkerung und immer weiter zurückweichender Staatsmacht und zerbröselndem Repressionsorganen. Die machtpolitischen Auseinandersetzungen fanden unter der äußeren Hülle eines Dialogs zwischen präsumptiv Gleichberechtigten statt. Bis zum 8.Oktober lag die Macht immer noch eindeutig bei der SED, mit dem Mauerfall am 9. November war der SED-Macht eindeutig das Rückgrat gebrochen. Eine Wiedererstarkung hätte nur noch das Eingreifen der Russen gebracht.( Russen: Eigenes Thema. Ohne Russen hätte kei führender SED-Genosse selbständig gehandelt. Die Russen waren aber selber so defunkt, daß ihr Aufmarsch schon seit Anfang 89 unwahrscheinlich geworden war. Erst mit dem Putsch gegen Gorbatschow im August 91 hat es einen Versuch eines innersowjetischen Rollback gegeben.) Auch in der folgenden Zeit der "runden Tische", bei der tatsächlich Kirchenvertreter eine große, weit überproportionale Rolle gespielt haben, weil ihr Biotop natürliche objektive Vorraussetzungen mitbrachte, mag die Losung "Suchet ..." noch häufig eine idelle Rolle gespielt haben, eine reale aber nicht. Mit der Wahl am 18.März 90 war auch diese Zwischenzeit endgültig vorbei.

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

21.08.2013 22:05
#7 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Etwas skandalöses kann ich auch nicht sehen. Aber etwas trauriges sehe ich schon wieder deutlich bestätigt. Und zwar die Verneinung und Vernichtung der Kultur dieses Landes.

Dabei geht mir die Medaille sonstwo vorbei, ich glaube ohnehin das jemand, der sich für seine Mitbürger engagiert, nicht unbedingt allzu grossen Wert auf Medaillen und Pomp legt. Das mit dem Winterfest finde ich dagegen traurig. Sehr traurig.

Weihnachten ist KEINE Religion. Weihnachten ist unsere Tradition, unsere Kultur, es ist ein Brauch der noch viel älter als das Christentum selber ist und inzwischen eine durch und durch positive Konnotation hat. Weihnachten ist das Fest, wo die Frontkämpfer des ersten Weltkrieges miteinander feierten. Weihnachten ist das Fest wo die Kanonen auch im zweiten Weltkrieg eher geschwiegen haben. Weihnachten ist ein Fest der Besinnlichkeit und auch Nächstenliebe, egal wie man die Nase darüber rümpfen möge. Und es ist etwas was uns verloren geht. Wir werden nicht besser durch ein "Winterfest". Aber wir werden besser wenn wir uns an kitschigen Weihnachtskrippen einen Moment besinnen und ein bischen darüber sinnieren was Weihnachten eigentlich sein sollte. Es ist ein Trend der nicht zuletzt von den Amis herrührt mit ihren "Seasons Greetings" und es ist scheusslich. Wir verlieren hier etwas, das wir nicht einfach zurückbekommen.

Ich für meinen Teil mach das auch nicht mit. Wenn mir jemand im Dezember im Laden "frohe Feiertage" wünscht, dann sage ich bewusst "Frohe Weihnachten". Wenn mir jemand "Seasons Greetings" schickt, dann bekommt er ein "Merry Christmas" von mir. Ich werde mich nicht für meine Kultur entschuldigen. Die war hier mal zuhause. Und unabhängig von dem was man persönlich glaubt, sollte man sich nicht der Illusion hingeben wir würden eine bessere Gesellschaft, wenn wir die christlichen Wurzeln herausreissen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es gibt weltweit nahezu keine freie Gesellschaft, die nicht auf christlichen Wurzeln steht.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

21.08.2013 22:29
#8 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von ossi_normalo im Beitrag #6
"Es gibt Religionsgemeinschaften, die nach dem biblischen Motto »Suchet der Stadt Bestes« wirken. Dieses Motto hat (neben anderen Bibelzitaten) das christliche Engagement in der friedlichen Revolution in der DDR geprägt."

Nach meinen Erinnerungen war dieses Bibelwort eine von den Theologen in der Zone, die ihre ( nach manchem Dafürhalten zu weitgehende) Anpassung an die gegebenen Verhältnisse vor sich selbst, vor anderen rechtfertigen wollten, gern verwendente Chiffre. Dieses Wort hat insofern einen gewissen unerfreulichen Beigeschmack. Diese Bewertung allein so stehen gelassen, wäre aber ungerecht. Ebenso gern benutzt wurde es in ehrbarer Absicht als Unterstellung einer gemeinsamen moralischen Zielstellung bei Klärung von Problemen mit Vertretern der politischen Macht im Interesse der Gemeindearbeit, des Anliegens einzelner Bürger oder weiter greifender bürgerschaftlicher Anliegen. Also in durchaus ehrenhaftem Sinne. Genau in diesem Sinne könnte die Losung auch in der gar nicht so langen Zeit des offen ausgebochenen Machtkampfs in der Zone naturgemäß von christlichen Akteuren eingesetzt worden sein, war aber nicht etwa eine die Massen antreibende, wirkungsvolle Losung. (…)


Bei uns in Dresden war es nach meiner Erinnerung die Losung, die aus Sicht der evangelischen Christen über den ersten freien Wahlen 1990 stand. Ich (Jg. 1967) bin Mitte/Ende der 1980er Jahre erst als Jugendlicher und dann als Erstsemester in evangelische (jugendliche) Kreise gekommen, so dass ich zu den [angepassten] Kirchenfunktionären leider gar nichts sagen kann. Natürlich kann man »Suchet der Stadt Bestes« auch opportunistisch auslegen.

Ein Pfarrer an der Basis und auch der Studentenpfarrer am Studienort spielten eine sehr wichtige Rolle in meiner Entwicklung, seit ich etwa 17/18 und somit halbwegs unabhängig war. [Ich war vorher gezwungenermaßen in einer kleinen religiösen Sondergemeinschaft, aber das will und kann ich hier nicht ausführlich thematisieren].

Ich rechne der Evangelischen Kirche insgesamt ihre Rolle im Verlauf der Wende immer noch recht hoch an und habe vor vielen Akteuren persönlich Respekt. Nur ist von der damaligen Rolle der Evangelischen Kirche nicht mehr viel übrig geblieben: Heute ist ein Kirchentag so etwas wie ein erweiterter Grünen-Parteitag. Die Vertreter der Kirche in den beiden Berliner Stadtteilen hätten als Reaktion auf diesen Beschluss nicht jammern dürfen. Sie hätten einfach mal aufzählen sollen, in welcher positiven Weise die Gemeinden in den Bezirk hineinwirken. Stattdessen (aus dem BZ-Artikel):

Zitat
Wütend schrieb der stellvertretende Superintendent Peter Storck an BVV-Vorsteherin Kristine Jaath: „Seitens der evangelischen Kirche gestalten weit über tausend Bürgerinnen und Bürger unseres Bezirkes dessen öffentliches Leben aktiv mit und sollten (…) nicht von der Verleihung der Bezirksmedaille ausgeschlossen werden.“



Da baut er sich einen schönen Pappkameraden auf: Von einem Ausschließen war überhaupt niemals die Rede. Und: Hat die Evangelische Kirche dort wirklich nur noch »weit über tausend« Aktive? Wie viele Berliner leben insgesamt im Bereich dieses Bezirkes? Wie viele Kirchgemeinden gibt es dort? Das klingt ja fast schon wie eine Diaspora.

Ich bin in keiner Weise ein Gegner oder Verächter der Religion, wie manche Liberale in Ost und West es offenbar unbedingt vorzeigen müssen. Wirklich nicht. Aber ich sehe insgesamt auch keinen Grund, die Religion als besonderen Grund für eine Ehrung aufzuführen.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

21.08.2013 22:39
#9 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #7
Etwas skandalöses kann ich auch nicht sehen. Aber etwas trauriges sehe ich schon wieder deutlich bestätigt. Und zwar die Verneinung und Vernichtung der Kultur dieses Landes.

Dabei geht mir die Medaille sonstwo vorbei, ich glaube ohnehin das jemand, der sich für seine Mitbürger engagiert, nicht unbedingt allzu grossen Wert auf Medaillen und Pomp legt. Das mit dem Winterfest finde ich dagegen traurig. Sehr traurig.

Weihnachten ist KEINE Religion. Weihnachten ist unsere Tradition, unsere Kultur, es ist ein Brauch der noch viel älter als das Christentum selber ist und inzwischen eine durch und durch positive Konnotation hat. Weihnachten ist das Fest, wo die Frontkämpfer des ersten Weltkrieges miteinander feierten. Weihnachten ist das Fest wo die Kanonen auch im zweiten Weltkrieg eher geschwiegen haben. Weihnachten ist ein Fest der Besinnlichkeit und auch Nächstenliebe, egal wie man die Nase darüber rümpfen möge. Und es ist etwas was uns verloren geht. Wir werden nicht besser durch ein "Winterfest". Aber wir werden besser wenn wir uns an kitschigen Weihnachtskrippen einen Moment besinnen und ein bischen darüber sinnieren was Weihnachten eigentlich sein sollte. Es ist ein Trend der nicht zuletzt von den Amis herrührt mit ihren "Seasons Greetings" und es ist scheusslich. Wir verlieren hier etwas, das wir nicht einfach zurückbekommen.

Ich für meinen Teil mach das auch nicht mit. Wenn mir jemand im Dezember im Laden "frohe Feiertage" wünscht, dann sage ich bewusst "Frohe Weihnachten". Wenn mir jemand "Seasons Greetings" schickt, dann bekommt er ein "Merry Christmas" von mir. Ich werde mich nicht für meine Kultur entschuldigen. Die war hier mal zuhause. Und unabhängig von dem was man persönlich glaubt, sollte man sich nicht der Illusion hingeben wir würden eine bessere Gesellschaft, wenn wir die christlichen Wurzeln herausreissen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es gibt weltweit nahezu keine freie Gesellschaft, die nicht auf christlichen Wurzeln steht.



Die Sache mit der erzwungenen Namensänderung von Weihnachts- in Winterfest ist nach allen verfügbaren Quellen eine Ente. Es gibt keinen Verwaltungsakt und keinen Beschluss der BVV in diesem Sinne. Es mag eine Selbstbeschränkung von Akteuren gegeben haben – wenn das so sein sollte, dann wäre es traurig. Aber es wird unter denen, die es für richtig halten, noch über Jahrzehnte eine Weihnachtstradition geben. Das Fest ist das, was WIR daraus machen.

Gibt es freie Gesellschaften ohne christliche Wurzeln? – Das ist schwer zu sagen. Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat mit jüdischen Wurzeln. Indien ist (weitgehend) eine Demokratie ohne christliche Wurzeln. Südkorea. Indonesien. Generell glaube ich daran, dass jede Religion im Zuge der Aufklärung auch kompatibel zum demokratischen Rechtsstaat sein kann.

Llarian Offline



Beiträge: 7.117

21.08.2013 23:03
#10 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von stefanolix im Beitrag #9
Die Sache mit der erzwungenen Namensänderung von Weihnachts- in Winterfest ist nach allen verfügbaren Quellen eine Ente. Es gibt keinen Verwaltungsakt und keinen Beschluss der BVV in diesem Sinne.

Es gibt auch keinen BVV Beschluss, dass eine Kassiererin bei Aldi einem allenfalls frohe Feiertage wünscht. Passieren tut das trotzdem. Ich beklage eine gesellschaftliche Entwicklung, nicht unbedingt nur Gesetze und Beschlüsse, die in das selbe Horn tuten.

Zitat
Aber es wird unter denen, die es für richtig halten, noch über Jahrzehnte eine Weihnachtstradition geben.


Nur werden die im Bezug auf gesellschaftliche Ströhmung immer mehr marginalisiert. Es geht nicht darum ob jemand bei sich zuhause einen Baum aufstellt. Es geht darum, dass der nicht mehr auf dem Rathausplatz steht.

Zitat
Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat mit jüdischen Wurzeln.


Okay, ändere ich das christlich in jüdisch-christlich (und füge mental Chanukka dem Weihnachtsbrauch zu).

Zitat
Indien ist (weitgehend) eine Demokratie ohne christliche Wurzeln.


Demokratie ist weit weniger als Freiheit. Gewählt wird auch in Teheran. Ich würde die indische Gesellschaft nicht allzu frei nennen.

Zitat
Südkorea. Indonesien.


Südkorea kennt ich zu wenig. Aber Indonesien ? Frei ? Da gibts Gegenden wo die Scharia angewandt wird. Indonesien gehört fest zum Grünstreifen, da ist mit Freiheit nicht viel. Da habe ich höhere Ansprüche.

Zitat
Generell glaube ich daran, dass jede Religion im Zuge der Aufklärung auch kompatibel zum demokratischen Rechtsstaat sein kann.


Das muss man auch glauben, denn in der Realität lässt sich das kaum belegen. Es geht mir aber gar nichtmal so sehr um Religion. Es geht um Tradition. Religion halte ich für per se einen Gegenentwurf zum demokratischen Rechtsstaat. Die Stärke der westlichen, demokratischen Rechtsstaaten ist nicht ihr Glaube. Sondern ihre Geschichte, ihre Kultur und Tradition. Und die ist christlich, bzw. jüdisch-christlich.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

22.08.2013 02:18
#11 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von stefanolix im Beitrag #9
Gibt es freie Gesellschaften ohne christliche Wurzeln? – Das ist schwer zu sagen. Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat mit jüdischen Wurzeln.
Die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Juden- und Christentum ist die Skepsis gegenüber staatlicher Gewalt. In Israel war es eine höchst umstrittene Frage, ob ein König für das Volk Gottes angemessen sei. In 1. Samuel 8 kann man das nachlesen. Das Christentum hat diese Haltung geerbt, nicht umsonst wird Christus als der einzig wahre König bezeichnet (Christkönigsfest), und in der katholischen Welt war es (bis auf den Absolutismus) stets unstrittig, daß selbst Könige vor Gott in ihrer Macht beschränkt sind.
Nur dadurch ist eine Art von Opposition überhaupt denkbar. Im Islam hat man das nicht. Mohammed war ebenso Heerführer wie Prophet. Seine Legitimation zog er wesentlich aus militärischer Macht. Ebenso war es im römischen Kaiserreich. In fast allen anderen Kulturen waren sakrale und politische Macht verbunden. Opposition kam damit Gotteslästerung gleich. Und ohne legitime Opposition kann Demokratie das DDR-Niveau nicht überschreiten.

Zitat von stefanolix im Beitrag #9
Indien ist (weitgehend) eine Demokratie ohne christliche Wurzeln.
Gandhi wurde entscheidend von Tolstois Ansichten zu staatlicher Gewalt und ihrer Überwindung geprägt. Diese wiederum hatte er wegen seines christlichen (wenn auch nicht rechtgläubigen) Glaubens.

notquite Offline



Beiträge: 506

22.08.2013 07:37
#12 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von stefanolix im Beitrag #9

Die Sache mit der erzwungenen Namensänderung von Weihnachts- in Winterfest ist nach allen verfügbaren Quellen eine Ente. Es gibt keinen Verwaltungsakt und keinen Beschluss der BVV in diesem Sinne. Es mag eine Selbstbeschränkung von Akteuren gegeben haben – wenn das so sein sollte, dann wäre es traurig. Aber es wird unter denen, die es für richtig halten, noch über Jahrzehnte eine Weihnachtstradition geben. Das Fest ist das, was WIR daraus machen.


Are you kidding me? Mich erinnert dieser entlarvende Satz an einen Artikel dieser bekannten "Wissenschaftlerin", die in der Sarazzin-Debatte so prominent aufgetreten ist, im SPIEGEL. Darin stand ein sehr schöner Satz, dessen genauer Wortlaut mir entfallen ist, der aber sinngemäß sagte: Was wollt Ihr eigentlich, Ihr seid doch noch in der Mehrheit, und das wird auf die nächsten 20 Jahre gesehen auch noch so bleiben. Das ist ein Pseudo-Argument, das scheinbar neutral argumentiert, aber an der Sache völlig vorbei geht. Sinngemäß sagen Sie doch, dass es halt schon noch ein paar Anhänger "dieser Weihnachtstradition" geben wird, und dass es schon ok ist, wenn sie mehr und mehr marginalisiert werden. Wenn man Ihren Gedanken fortsetzt, heisst das doch wohl, dass es nach diesen "Jahrzehnten" halt keine Weihnachtradition mehr geben wird. Auch egal, eh alles gleich, oder?

Zitat von stefanolix im Beitrag #9
Gibt es freie Gesellschaften ohne christliche Wurzeln? – Das ist schwer zu sagen. Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat mit jüdischen Wurzeln. Indien ist (weitgehend) eine Demokratie ohne christliche Wurzeln. Südkorea. Indonesien. Generell glaube ich daran, dass jede Religion im Zuge der Aufklärung auch kompatibel zum demokratischen Rechtsstaat sein kann.


Süß. Sich oben noch als voice of reason inszenieren, die den säkularen Staat verteidigt, um bei der in der Empirie leider mehr oder weniger vergeblichen Suche nach demokratischen Staaten ohne mehrheitlich christliche Bevölkerung dann doch wieder zum Glauben zu finden.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

22.08.2013 08:03
#13 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von notquite im Beitrag #12
Zitat von stefanolix im Beitrag #9

Die Sache mit der erzwungenen Namensänderung von Weihnachts- in Winterfest ist nach allen verfügbaren Quellen eine Ente. Es gibt keinen Verwaltungsakt und keinen Beschluss der BVV in diesem Sinne. Es mag eine Selbstbeschränkung von Akteuren gegeben haben – wenn das so sein sollte, dann wäre es traurig. Aber es wird unter denen, die es für richtig halten, noch über Jahrzehnte eine Weihnachtstradition geben. Das Fest ist das, was WIR daraus machen.


Are you kidding me? Mich erinnert dieser entlarvende Satz an einen Artikel dieser bekannten "Wissenschaftlerin", die in der Sarazzin-Debatte so prominent aufgetreten ist, im SPIEGEL. Darin stand ein sehr schöner Satz, dessen genauer Wortlaut mir entfallen ist, der aber sinngemäß sagte: Was wollt Ihr eigentlich, Ihr seid doch noch in der Mehrheit, und das wird auf die nächsten 20 Jahre gesehen auch noch so bleiben. Das ist ein Pseudo-Argument, das scheinbar neutral argumentiert, aber an der Sache völlig vorbei geht. Sinngemäß sagen Sie doch, dass es halt schon noch ein paar Anhänger "dieser Weihnachtstradition" geben wird, und dass es schon ok ist, wenn sie mehr und mehr marginalisiert werden.


Ich muss Sie enttäuschen. Ich fühle mich überhaupt nicht entlarvt. Ich habe mit dieser (nicht namentlich genannten) Wissenschaftlerin nicht zu tun und ich lasse mich auch nicht mit ihr assoziieren ;-)

Mein Satz »Das Fest ist das, was WIR daraus machen« meint schlicht und ergreifend: Jeder Einzelne muss sich selbst um Weihnachten kümmern, wenn es ihm etwas wert ist. Er muss in seinem Umfeld Gleichgesinnte überzeugen. Ein von Staats wegen oder von einer Kirche angeordnetes Ereignis ist wertlos. Die inhaltsleere Fortführung einer Tradition wäre in meinen Augen auch wertlos.

Tatsache ist: Das Weihnachtsfest wird durch die BVV oder die Bezirksverwaltung nicht aktiv marginalisiert. Zumindest gibt es keine belastbare Quelle, die das belegen würde. Also gehe ich davon aus, dass sich Veranstalter allenfalls selbst marginalisieren können, wenn sie das Weihnachtsfest freiwillig umbenennen. Dann haben sie es allerdings auch nicht anders verdient.

Zitat von notquite im Beitrag #12
Zitat von stefanolix im Beitrag #9
Gibt es freie Gesellschaften ohne christliche Wurzeln? – Das ist schwer zu sagen. Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat mit jüdischen Wurzeln. Indien ist (weitgehend) eine Demokratie ohne christliche Wurzeln. Südkorea. Indonesien. Generell glaube ich daran, dass jede Religion im Zuge der Aufklärung auch kompatibel zum demokratischen Rechtsstaat sein kann.


Süß. Sich oben noch als voice of reason inszenieren, die den säkularen Staat verteidigt, um bei der in der Empirie leider mehr oder weniger vergeblichen Suche nach demokratischen Staaten ohne mehrheitlich christliche Bevölkerung dann doch wieder zum Glauben zu finden.


Das Schlüsselwort ist Aufklärung. Die christlichen Kirchen mussten durch die Phase der Aufklärung gehen und die Trennung des Staates von der Kirche akzeptieren. Diese beiden Prozesse hat der Islam in weiten Teilen noch vor sich. Ich hielte es für anmaßend, dem Islam die Möglichkeit einer Reform durch Aufklärung pauschal abzusprechen. Die Aufklärung kann scheitern, sie kann teilweise oder vollständig erfolgreich sein.

Die Trennung von Staat und Kirche ist auch in Deutschland nicht vollkommen. Das Kirchensteuersystem und die fortdauernden Zahlungen des Staates an die Kirchen aufgrund historischer Vereinbarungen halte ich für falsch. Christliche Gemeinschaften sollen sich (wie die Urchristen) selbst tragen.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

22.08.2013 08:11
#14 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #11
Zitat von stefanolix im Beitrag #9
Gibt es freie Gesellschaften ohne christliche Wurzeln? – Das ist schwer zu sagen. Israel ist ein demokratischer Rechtsstaat mit jüdischen Wurzeln.
Die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Juden- und Christentum ist die Skepsis gegenüber staatlicher Gewalt. In Israel war es eine höchst umstrittene Frage, ob ein König für das Volk Gottes angemessen sei. In 1. Samuel 8 kann man das nachlesen. Das Christentum hat diese Haltung geerbt, nicht umsonst wird Christus als der einzig wahre König bezeichnet (Christkönigsfest), und in der katholischen Welt war es (bis auf den Absolutismus) stets unstrittig, daß selbst Könige vor Gott in ihrer Macht beschränkt sind.
Nur dadurch ist eine Art von Opposition überhaupt denkbar. Im Islam hat man das nicht. Mohammed war ebenso Heerführer wie Prophet. Seine Legitimation zog er wesentlich aus militärischer Macht. Ebenso war es im römischen Kaiserreich. In fast allen anderen Kulturen waren sakrale und politische Macht verbunden. Opposition kam damit Gotteslästerung gleich. Und ohne legitime Opposition kann Demokratie das DDR-Niveau nicht überschreiten.


Halten wir trotzdem fest: Es gab Phasen, in denen im christlichen Europa die Macht der Kirche nicht wirklich beschränkt war. In diesen Phasen konnten Menschen schon für kleine Abweichungen von der offiziellen kirchlichen Lehre als Ketzer verbrannt werden. Der heutige Zustand ist doch nicht vom Himmel gefallen. Die Macht der Kirchen musste eingeschränkt werden, Staat und Kirche mussten getrennt werden. Warum sollte das nicht eines Tages auch in islamischen Staaten gelingen? Vor einigen hundert Jahren sah es doch in Europa genauso aussichtslos aus.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

22.08.2013 08:18
#15 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #10

Zitat von Stefanolix
Generell glaube ich daran, dass jede Religion im Zuge der Aufklärung auch kompatibel zum demokratischen Rechtsstaat sein kann.

Das muss man auch glauben, denn in der Realität lässt sich das kaum belegen. Es geht mir aber gar nichtmal so sehr um Religion. Es geht um Tradition. Religion halte ich für per se einen Gegenentwurf zum demokratischen Rechtsstaat. Die Stärke der westlichen, demokratischen Rechtsstaaten ist nicht ihr Glaube. Sondern ihre Geschichte, ihre Kultur und Tradition. Und die ist christlich, bzw. jüdisch-christlich.



Sie ist jüdisch-christlich + aufgeklärt. Das ist die entscheidende Ergänzung. Würde man nämlich die Fundamentalisten an die Macht lassen, sähe es sehr dunkel aus. Schauen Sie sich mal an, was fundamentalistische orthodoxe Juden in Israel für Forderungen aufstellen. Sie diskriminieren z. B. Frauen in einer Weise, die für uns in der aufgeklärten Gesellschaft undenkbar wäre. Und in einer Gesellschaft unter der Kontrolle von christlichen Fundamentalisten möchte ich auch nicht leben.

Elmar Offline



Beiträge: 282

22.08.2013 09:15
#16 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Hier geht es doch mMn nicht um die Trennung von Kirche und Staat, sondern einzig um das Entfernen allen Religiösem aus der Öffentlichkeit. Das hat ja eher paranoide Züge, wenn sich ein Bezirksparlament darum kümmert, das das Wort "Religion" entfernt wird damit niemand aus den "falschen Gründen" eine Medaille bekommen (Hat man in Berlin keine anderen Probleme und was sind nochmal die Schwerpunkte der Piraten?)

Ich sehe auch nicht warum nicht Religion ein Grund für eine Medallie sein sollte. Sport ist auch keine Aufgabe des Staates. Innovation? Was hat der Staat damit zu? (... außer ihr Steine in den Weg zu regulieren) Kultur eine Staatsaufgabe? Im Bereich Jugend, Familie und Sozialem hat der Staat bereits genug Schaden angerichtet, da wäre eine Trennung auch dringend geboten. Die Umwelt und Wirtschaft wird staatlicherseits bereits mit großem Erfolg bekämpft. Wer bekommt da eine Medaille? Wer am meisten Schaden angerichtet hat? man sollte am besten gar keine Madaillen mehr verleihen.

Vielleicht sollte man die Kirche einfach mal im Dorf lassen. Wer glaubt der Papst übernimmt die Macht in Deutschland, weil in Kreuzberg jemand aus religiösen Gründen eine Medaille bekommt ("Wehret den Anfängen"?), der lebt in einer Welt in der ich nicht leben möchte. Eine Gesellschaft frei von Religion wurde schon versucht, die Ergebnisse waren aber stets wenig erfreulich.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

22.08.2013 09:22
#17 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von stefanolix im Beitrag #14
Halten wir trotzdem fest: Es gab Phasen, in denen im christlichen Europa die Macht der Kirche nicht wirklich beschränkt war. [...] Die Macht der Kirchen musste eingeschränkt werden, Staat und Kirche mussten getrennt werden.
Die Macht der Kirche war beschränkt, und zwar immer. Da nehme ich auch mal ein Beispiel: Das Konzil von Trient verbat unter Auferlegung des Kirchenbannes ipso factu, daß Eltern oder weltliche Herrscher sich in den Willensentschluß eines Paares zur Eheschließung einmischten. (Kirchenhistorischer Hintergrund ist natürlich Luthers irrige Meinung, die Eltern könnten sogar die geschlossene Ehe für ungültig erklären. War für ihn eben ein "weltlich Ding".) Damit die Eheschließung ungestörter von weltlicher Einmischung stattfinden kann, wurde die sogenannte Klandestinehe ins Kirchenrecht eingeführt und steht noch heute im CIC.
Wer nun mächtiger war in dieser Frage, kennen wir alle aus den Geschichtsbüchern, die uns von der Heiratspolitik katholischer Fürsten (insbes. der Habsburger) berichten. Auch über das Beispiel der Ehefreiheit hinaus kann man erkennen, daß die kirchlichen Machtmittel, Gebet und Schlüsselgewalt, bei weitem nicht so durchsetzungsfähig sind wie die Machtmittel "dieser Welt", das Schwert. Deswegen ist es in meinen Augen doch eine sehr wirre --wenn auch populäre-- Auffassung, für die Anwendung staatlicher Gewalt ausgerechnet der Kirche und nicht den Staat verantwortlich zu machen. Der Staat hat Gewalt genau dann eingesetzt, wenn er es wollte, nicht die Kirche. Deswegen fanden ja diverse Türkenkriege und Kreuzzüge gar nicht erst statt oder wurden gar umgelenkt.

Zitat von stefanolix im Beitrag #14
Warum sollte das nicht eines Tages auch in islamischen Staaten gelingen?
Weil das philosophische Fundament fehlt. Man kann einem Gott, der sich durch das Vergießen des Blutes Ungläubiger beweist, nicht so gut eine tolerante Haltung zu einer Opposition andichten wie einem Gott, der lieber sein eigenes Blut vergießt. Und der jeweilige Gott hat eben durchaus Vorbildfunktion, gerade für Machthaber. Da sind wir noch immer nicht weit von den Caesaren und den Sakralherrschern anderer Kulturen weggekommen.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.875

22.08.2013 09:35
#18 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Elmar im Beitrag #16
Man sollte am besten gar keine Medaillen mehr verleihen.
Ich habe mich auch über die Medaillenvergabe gewundert. Aber wäre es nicht besser, den Bezirksverordneten mit der Medaillenvergabe einen Sandkasten zu lassen? So eine Blechmedaille ist ja kaum eine relevante Motivation für irgendein bürgerschaftliches Engagement, insbesondere auch nicht für schädliches Engagement. Sie schmückt auch nicht den Träger, sondern den Verleiher, deswegen hat ja auch Obama den Friedensnobelpreis bekommen, als er noch die Illusion eines fähigen Politikers verkörpert hat. Aber sie gibt dem Verleiher die Machtillusion, durch die Auswahl des Laureaten eigene Ansichten aufzuwerten. Und solange ein Gremium Jurysitzungen abhält, kann es keine törichten Entschlüsse fällen. Insgesamt eine Win-win-Situation für alle.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

22.08.2013 10:10
#19 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Elmar im Beitrag #16
Hier geht es doch mMn nicht um die Trennung von Kirche und Staat, sondern einzig um das Entfernen allen Religiösem aus der Öffentlichkeit. Das hat ja eher paranoide Züge, wenn sich ein Bezirksparlament darum kümmert, das das Wort "Religion" entfernt wird damit niemand aus den "falschen Gründen" eine Medaille bekommen (Hat man in Berlin keine anderen Probleme und was sind nochmal die Schwerpunkte der Piraten?)

Ich sehe auch nicht warum nicht Religion ein Grund für eine Medallie sein sollte. Sport ist auch keine Aufgabe des Staates. Innovation? Was hat der Staat damit zu? (... außer ihr Steine in den Weg zu regulieren) Kultur eine Staatsaufgabe? Im Bereich Jugend, Familie und Sozialem hat der Staat bereits genug Schaden angerichtet, da wäre eine Trennung auch dringend geboten. Die Umwelt und Wirtschaft wird staatlicherseits bereits mit großem Erfolg bekämpft. Wer bekommt da eine Medaille? Wer am meisten Schaden angerichtet hat? man sollte am besten gar keine Madaillen mehr verleihen.

Vielleicht sollte man die Kirche einfach mal im Dorf lassen. Wer glaubt der Papst übernimmt die Macht in Deutschland, weil in Kreuzberg jemand aus religiösen Gründen eine Medaille bekommt ("Wehret den Anfängen"?), der lebt in einer Welt in der ich nicht leben möchte. Eine Gesellschaft frei von Religion wurde schon versucht, die Ergebnisse waren aber stets wenig erfreulich.


Ich glaube ja nicht, dass das Wort in der Befürchtung gestrichen worden ist, der Papst könne die Macht übernehmen. Papst Franziskus soll doch im Gegenteil eher gesagt haben, dass er Kirche und Welt stärker trennen will. Auf Prunk und Äußerlichkeiten legt er auch viel weniger Wert als seine Vorgänger.

Mein Vorschlag für eine vernünftige Formulierung:

Die zu ehrende Person, Gruppe oder Initiative soll sich durch ein herausragendes gesellschaftliches Engagement über einen längeren Zeitraum verdient gemacht haben.

Fertig. Das schließt keinen Menschen irgendeiner Religion oder Weltanschauung aus.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

22.08.2013 10:12
#20 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #18
Zitat von Elmar im Beitrag #16
Man sollte am besten gar keine Medaillen mehr verleihen.
Ich habe mich auch über die Medaillenvergabe gewundert. Aber wäre es nicht besser, den Bezirksverordneten mit der Medaillenvergabe einen Sandkasten zu lassen? So eine Blechmedaille ist ja kaum eine relevante Motivation für irgendein bürgerschaftliches Engagement, insbesondere auch nicht für schädliches Engagement. Sie schmückt auch nicht den Träger, sondern den Verleiher, deswegen hat ja auch Obama den Friedensnobelpreis bekommen, als er noch die Illusion eines fähigen Politikers verkörpert hat. Aber sie gibt dem Verleiher die Machtillusion, durch die Auswahl des Laureaten eigene Ansichten aufzuwerten. Und solange ein Gremium Jurysitzungen abhält, kann es keine törichten Entschlüsse fällen. Insgesamt eine Win-win-Situation für alle.


Es ist in unserer Gesellschaft schlichtweg üblich, dass die Kommune oder das Bundesland ehrenamtliche Arbeit würdigt. Meist geschieht das nicht mit materieller Anerkennung, sondern mit einer Urkunde oder Medaille. So ist es Tradition und ich sehe keinen Grund, darauf zu verzichten.

stefanolix Offline



Beiträge: 1.959

22.08.2013 10:26
#21 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Emulgator im Beitrag #17
Zitat von stefanolix im Beitrag #14
Halten wir trotzdem fest: Es gab Phasen, in denen im christlichen Europa die Macht der Kirche nicht wirklich beschränkt war. [...] Die Macht der Kirchen musste eingeschränkt werden, Staat und Kirche mussten getrennt werden.
Die Macht der Kirche war beschränkt, und zwar immer. Da nehme ich auch mal ein Beispiel: Das Konzil von Trient verbat unter Auferlegung des Kirchenbannes ipso factu, daß Eltern oder weltliche Herrscher sich in den Willensentschluß eines Paares zur Eheschließung einmischten. (Kirchenhistorischer Hintergrund ist natürlich Luthers irrige Meinung, die Eltern könnten sogar die geschlossene Ehe für ungültig erklären. War für ihn eben ein "weltlich Ding".) Damit die Eheschließung ungestörter von weltlicher Einmischung stattfinden kann, wurde die sogenannte Klandestinehe ins Kirchenrecht eingeführt und steht noch heute im CIC.
Wer nun mächtiger war in dieser Frage, kennen wir alle aus den Geschichtsbüchern, die uns von der Heiratspolitik katholischer Fürsten (insbes. der Habsburger) berichten. Auch über das Beispiel der Ehefreiheit hinaus kann man erkennen, daß die kirchlichen Machtmittel, Gebet und Schlüsselgewalt, bei weitem nicht so durchsetzungsfähig sind wie die Machtmittel "dieser Welt", das Schwert. Deswegen ist es in meinen Augen doch eine sehr wirre --wenn auch populäre-- Auffassung, für die Anwendung staatlicher Gewalt ausgerechnet der Kirche und nicht den Staat verantwortlich zu machen. Der Staat hat Gewalt genau dann eingesetzt, wenn er es wollte, nicht die Kirche. Deswegen fanden ja diverse Türkenkriege und Kreuzzüge gar nicht erst statt oder wurden gar umgelenkt.

Zitat von stefanolix im Beitrag #14
Warum sollte das nicht eines Tages auch in islamischen Staaten gelingen?
Weil das philosophische Fundament fehlt. Man kann einem Gott, der sich durch das Vergießen des Blutes Ungläubiger beweist, nicht so gut eine tolerante Haltung zu einer Opposition andichten wie einem Gott, der lieber sein eigenes Blut vergießt. Und der jeweilige Gott hat eben durchaus Vorbildfunktion, gerade für Machthaber. Da sind wir noch immer nicht weit von den Caesaren und den Sakralherrschern anderer Kulturen weggekommen.


Ich sehe keine Verbindung zwischen einem »toleranten« Gott und der demokratischen Opposition. Der demokratische Rechtsstaat ist doch nicht gottgegeben, sondern eine Konstruktion der Menschen. Entscheidend ist die Trennung von Staat und Kirche. Im Islam muss ein Aufklärungsprozess durchlaufen werden, der diese Trennung ermöglicht. Diesen Aufklärungsprozess hat das Christentum bereits hinter sich.

Zu dem oberen Textblock: Die Heiratspolitik und die kirchliche Auffassung von der Ehe – das ist eher ein Randgebiet. Die Katholiken haben davon eine andere Auffassung als die Protestanten.

Mit dem Leben bezahlt haben die Ketzer, die von der Katholischen Kirche verfolgt und im Zusammenwirken mit dem Staat ermordet wurden. Dieses Zusammenwirken von Staat und Kirche begann im Prinzip schon, als das Christentum zur Staatsreligion wurde. Seitdem wurden Häretiker von Kirche und Staat gemeinsam verfolgt und in vielen Fällen auch ermordet.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

22.08.2013 11:07
#22 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Ich denke geistliche und weltliche Macht dürfen nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Die Bereiche in denen beide Mächte wirken, sollten klar abgegrenzt sein. Unter diesen Vorraussetzungen ist ein demokratischer Rechtsstaat möglich.

Viele Grüße, Erling Plaethe

Elmar Offline



Beiträge: 282

22.08.2013 11:30
#23 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #22
Ich denke geistliche und weltliche Macht dürfen nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Die Bereiche in denen beide Mächte wirken, sollten klar abgegrenzt sein. Unter diesen Vorraussetzungen ist ein demokratischer Rechtsstaat möglich.
Das sehe ich ebenso. Die Voraussetzung haben wir in Deutschland seit etwa 890 Jahren.

Elmar Offline



Beiträge: 282

22.08.2013 11:40
#24 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von stefanolix im Beitrag #19

Mein Vorschlag für eine vernünftige Formulierung:

Die zu ehrende Person, Gruppe oder Initiative soll sich durch ein herausragendes gesellschaftliches Engagement über einen längeren Zeitraum verdient gemacht haben.

Fertig. Das schließt keinen Menschen irgendeiner Religion oder Weltanschauung aus.


Sehr einfache und übersichtliche Formulierung. Das wäre eine Änderung die man guten Herzens unterstützen und beschliesen könnte.

Ich habe nur das Gefühl im Zeitalter der Digitalisierung und der Suchfunktionen beschränkt man sich der einfachkeit halber mit Ctrl+F --> "Religion" --> Return.
Vermutlich haben wir Glück, dass sie nicht nach "Gott" gesucht haben, sonst wären sie beim 6. Wort der Präambel des Grundgesetzes hängen geblieben

Edit: QWERTY gegen QWERTZ getauscht

adder Offline




Beiträge: 1.073

22.08.2013 14:15
#25 RE: Wird in Berlin gerade das Christentum ausgelöscht? Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #7
Es gibt weltweit nahezu keine freie Gesellschaft, die nicht auf christlichen Wurzeln steht.



Das ist nicht logisch - es ist sogar eine Annahme, die fundamental falsch ist.

Japan ist eine Demokratie, die Japaner sind nicht unfreier als wir. Religion: Shintoismus.
Island hat eine nordisch-paganistische Tradition zusätzlich zum (aufgezwungenen) Christentum. Die Isländer sind aber auch nicht unfreier als wir. (Gleiches gilt für Finland)
Möchte jemand argumentieren, dass die Aborigines untereinander einen Tyrannen haben? Die sind so wenig christlich wie möglich - aber einen Tyrannen oder so haben die auch nicht. Wenn überhaupt, wurden sie jahrzehntelang von Christen unterdrückt.
Taiwan ist ebenfalls ein buddhistisch/taoistisch/shintoistisch geprägtes, freies und demokratisches Land - genauso wie Südkorea.

Auf der Gegenseite haben wir Russland, in dem Unfreiheit (wieder) zum normalen Leben gehört - während der christliche Glaube und die Religiösität wieder auf dem Vormarsch sind. Oder Irland, ein sehr katholisches Land, das Frauen einige Freiheiten, die in den meisten westlichen Ländern gelten, aus religiösen Gründen vorenthält.
Spanien unter Franco und Portugal unter Salazar waren auch christliche Länder - in denen Freiheit wohl eher nur begrenzt bestand.

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